Der unglaubliche Planet - John W. Campbell - E-Book

Der unglaubliche Planet E-Book

John W. Campbell

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Beschreibung

Aarn Munro wurde auf dem Jupiter geboren, als Kind von Forschern von der Erde, die das Sonnensystem erkundeten – und dabei auf der lebensfeindlichen Riesenwelt gestrandet sind. Als er zwanzig Jahre alt war, sah er zum ersten Mal ein Schiff landen, dass den Jupiter auch wieder verlassen konnte. Dank der hohen Schwerkraft, unter der Aarn aufwuchs, verfügt er über beinahe übermenschliche Kräfte, die er nach Abschluss seiner Studien in den Dienst der Spencer-Rocket-Gesellschaft stellt. Zusammen mit seinen Freunden Russ Spencer und Don Carlisle stürzt er sich nun mit einem neuartigen Raumschiff, der Sunbeam, in das Abenteuer seines Lebens …

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Das Buch

Aarn Munro wurde auf dem Jupiter geboren. Dank der hohen Schwerkraft verfügt Aarn über schier übermenschliche Kräfte, ist schneller und stärker als jeder normale Mensch. Zusammen mit seinen Freunden Russ Spencer und Don Carlisle stürzt er sich mit einem neuartigen Raumschiff, der Sunbeam, in das Abenteuer seines Lebens …

Der Autor

John W. Campbell (1910 – 1971) machte sich als Herausgeber der Zeitschrift Astounding um die Science-Fiction verdient wie kein Zweiter. Seit 1937 editierte er mehr als drei Jahrzehnte lang das Magazin, das heute Analog heißt, machte es zur größten und erfolgreichsten SF-Zeitschrift der Welt und wusste Talente wie Isaac Asimov, Robert Heinlein oder Arthur C. Clarke so zu fördern, dass sie zu den herausragendsten Schriftstellern des Genres werden konnten. Um diesen Verdienst zu ehren, werden jedes Jahr der John W. Campbell Memorial Award for Best Science Fiction Novel und der John W. Campbell Award for Best New Writer vergeben. Der Autor Campbell stand stets im Schatten des Herausgebers – zu Unrecht. Erzählungen wie »Das Ding aus einer anderen Welt« (1938), verfilmt von John Carpenter, und vor allem sein Roman Der unglaubliche Planet (1949) gehören zu den bedeutendsten Leistungen der Science-Fiction der Dreißiger- und Vierzigerjahre.

Mehr über John W. Campbell und seine Werke erfahren Sie auf:

diezukunft.de

John W. Campbell

Roman

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

THE INCREDIBLE PLANET

Aus dem Amerikanischen von Otto Schrag

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Vollständig überarbeitete Neuausgabe 05/2022

Redaktion: Joern Rauser

Copyright © 1949 by John W. Campbell

Copyright © 2022 dieser Ausgabe und der Übersetzungby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,unter Verwendung eines Motivs vonShutterstock.com / svekloid

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-28907-2V001

www.diezukunft.de

Einleitung

An anderer Stelle – im Roman Das unglaubliche System – ist ausführlich darüber berichtet worden, wie Aarn Munro, Russ Spencer und Don Carlisle dazu kamen, Magya zu besuchen, einen Planeten in einem anderen Sonnensystem, der in einem anderen Sternenraum – und in einem anderen Weltraum – existiert. Zum besseren Verständnis ihrer weiteren Abenteuer scheint diese einführende Zusammenfassung jedoch notwendig.

Das Spencer-Forschungslaboratorium Nr. 6 war Aarn Munros Idee. Aarn Munro war der Direktor der Forschungsabteilung der Spencer-Rocket-Gesellschaft und – nebenbei gesagt – Russ Spencers bester Freund. Russ Spencer war Konstrukteur des Raketenschiffs und Enkel des berühmten Russel Spencer, der vor einem Jahrhundert, 1979, die Rocket-Gesellschaft gegründet hatte. Zu seiner Aufgabe wurde es, den Traum zu verwirklichen, den sowohl sein Vater als auch Großvater vor ihm geträumt hatten: ein Raketenschiff zu bauen, mit dem er die interplanetarische Reise unternehmen konnte, ohne dabei die Kollision mit Meteoren befürchten zu müssen.

Aarn Munros Vater hatte dem Vater des jetzigen Russ Spencer, Russel Spencer II., geholfen – er hatte an einem Kolonisierungsexperiment teilgenommen, und mit zwanzig anderen hatten die Munros auf dem Jupiter festgesessen. Die starke Schwerkraft des Gasriesen hatte es den irdischen Raketen unmöglich gemacht, den Planeten nach der Landung wieder zu verlassen.

Aarn Munro war dort geboren worden und zwanzig Jahre alt gewesen, als er ein Schiff landen sah, das den riesigen Planeten auch wieder verlassen konnte. Durch die dort herrschenden harten Umweltbedingungen war er an Kraft und Geschwindigkeit übermenschlich geworden.

Sein erstaunlich scharfer Verstand machte sich schon bald bemerkbar und nach einem abgeschlossenen Studium an irdischen Universitäten begann der körperlich ungeheuer starke Wissenschaftler seine Arbeit bei der Spencer-Rocket-Gesellschaft. Zu einem großen Teil war es seinem Genie zuzuschreiben, dass Spencer-Rocket dann die führende Stellung auf ihrem Arbeitsgebiet erreichte.

Nach langen Untersuchungen, die einer Verbesserung der vorhandenen Methoden interplanetarischer Reisen dienten, begannen Munro, Spencer und ihr vertrauter Freund Don Carlisle, der Leiter der chemischen Forschungsabteilung der Spencer-Rocket-Gesellschaft, mit Aarns neuestem Schiffslaboratorium Nr. 6. Aarns drei größte Erfindungen – der Antigravitator, der Transponstrahl und der Impulswellenantrieb – sollten ihre erste Prüfung bestehen. Der Antigravitator ermöglichte die Arbeit ihrer sogenannten Aggie-Spulen, die die ungeheure Energie speichern konnten, die durch projizierte und gelenkte Transponstrahlen von der stärksten existierenden Energiequelle, der Sonne, geschickt wurde; und die Impulswelle verschaffte ihnen den nötigen Antrieb.

Von der Wellentheorie des Atoms hatte Aarn gelernt, wie man die Wellen in der Praxis erzeugen konnte, die in der Theorie als Impulswellen vorausgesagt worden waren. Wellen, die tatsächlich Impulse waren, wurden im Raum künstlich geschaffen. Im Weltall prüften sie ihr neues Schiff – mit voll geladenen Spulen –, und zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt überschritten sie die Geschwindigkeit von dreißig Kilometern pro Sekunde um das Zweitausendfache. 64373 Kilometer pro Sekunde!

Ihr Schiff – offiziell Nr. 6, von ihnen selbst aber Sunbeam genannt – war gegen Gefahren durch drei Kraftfelder geschützt. Da war zunächst die magnetische Sphäre, deren Magnetfeld wie ein Schutzschild jeglichen leitenden Körper, der sich auf das Schiff zubewegte, zum Anhalten brachte. Außerdem gab es das Antischwerkraftfeld, das die Tendenz hatte, jeden Körper, der nicht an sich schon gewichtslos war, abzustoßen. Und dann war da schließlich der Impulswellenapparat, der alles, was den Impuls des Schiffes hätte verändern können, abtrieb oder wegschleuderte.

Mit sechzigtausend Kilometern pro Sekunde verfügte die Sunbeam über den konzentrierten Impuls eines größeren Planeten. Und mit sechzigtausend Kilometern pro Sekunde stieß sie auf einen Planetoiden. Die magnetische Sphäre verwandelte die hunderttausend Tonnen Metall in Gas – aber hunderttausend Tonnen waren eben immer noch vorhanden. Der Antigravitator stieß sie ab und griff auf den großen Speicher der Aggie-Spulen zurück; die Impulswellen griffen die Gasmassen heftig an und riefen die gespeicherte Kraft einer Sonne zu Hilfe.

Unter dieser gewaltigen Belastung riss die Struktur des Raumes auf, und sie wurden aus dem vierdimensionalen Raum in den fünfdimensionalen Pararaum geschleudert.

Als sie aufwachten, befanden sie sich in einem anderen vierdimensionalen Raum mit Sternen riesigen Ausmaßes, in der Nähe einer Sonne von ungeheurer Größe, die hundert Millionen Mal so stark strahlte wie ihre eigene. Diese Sonne Anrel schien bei einer Entfernung von einer Milliarde Kilometern glühend heiß auf sie nieder.

Sie stießen auf die Teff-hellani und Magyaner, zwei sich bekämpfende Spezies des Sonnensystems, in das sie vorgedrungen waren, und schlossen sich den Magyanern an.

Dabei stellten sie fest, dass die Magyaner den Menschen in jeder Beziehung ähnlich waren, ja sie wirkten sogar derart menschengleich, dass es fast unwahrscheinlich erschien, bis sie dann erfuhren, dass ihr Raumschiff nicht das erste war, das durch die Welträume geschleudert worden war. Die Magyaner hatten sich auf dem Kontinent Mu entwickelt und kämpften mit einer seltsamen Spezies gehörnter Lebewesen – anscheinend halb Mensch, halb Ziege –, den alten Teff-hellani, die in den weiten Höhlen unter Mu lebten. Bei einem letzten Versuch, sie zu zerstören, errichtete der Kaiser Tsoo-Ahs von Mu zuerst starke Kolonien überall auf der Erde, baute Raumschiffe, die mit Kräften ausgestattet waren, die die Höhlen zur See hin zu öffnen vermochten, und ließ ihre Kräfte frei. Das Wasser strömte herein und Mu versank für alle Zeiten.

Ein einziges der Raumschiffe der Teff-hellani entkam jedoch und zerstörte alle Magyanerschiffe – mit einer Ausnahme. Die beiden überlebenden Feinde kollidierten während ihrer Schlacht im Raum gleichzeitig mit einem Planetoiden und wurden in diesen fremden Raum gestoßen. Die Passagiere dieser beiden Schiffe hielten sich für die einzigen Überlebenden; jedes Schiff landete auf einem von den siebenundachtzig Planeten, die um Anrel kreisten. Sie bildeten den Kern einer zukünftigen Weltbevölkerung. Nach kurzem Kampf fielen die Bewohner Magyas in die Barbarei zurück. Jahrhunderte vergingen und eine neue Zivilisation entwickelte sich. Der Weltraum wurde erneut erobert. Wieder stieß man mit den Teff-hellani zusammen. Beide Völker hatten in Wissenschaft und Technik etwa die gleiche Stufe erreicht. Für beide wurden Sagen, die nie verklungen waren, Wirklichkeit. Der Krieg, aus instinktivem Hass entstanden, wurde fortgesetzt.

Darauf folgte eine Unzahl von Schlachten im Weltraum, die mit der fast völligen Vernichtung der Magyaner und der vollständigen Zerstörung von Teff-El und seinen Bewohnern endeten. Die Sunbeam spielte in diesem interplanetarischen Krieg eine entscheidende Rolle.

Nachdem die Ordnung in Magya schließlich wiederhergestellt war, bereiteten Aarn Munro, Russ Spencer und Don Carlisle die Rückkehr in ihren eigenen Raum vor. In der Luftschleuse der Sunbeam nahmen sie von Anto Rayl Abschied.

»Der Apparat ist installiert, Anto Rayl«, sagte Aarn, »das Problem ist gelöst. Wir lassen dir das Gerät zurück. Wir müssen jetzt gehen. Unsere Heimat liegt auf der anderen Seite der Mauer, aber nun können wir beide diese Hindernisse überwinden – wir auf der Erde hoffen also, euch aus Magya bald zu sehen. Werdet ihr kommen?«

»Ganz bestimmt kommen wir, Aarn Munro! Wir möchten die Alte Welt sehen, wo Menschen erzogen werden, solche wie die, denen wir hier begegnet sind. Wir werden versuchen, euch nach eintausend Tagen zu folgen. Bis dahin also.« Anto Rayl winkte noch, drehte sich um und verschwand in der Eingangsluke einer großen glänzenden Metallwand, der Wand eines mächtigen Kriegsschiffes. Hinter ihm schloss sich die Luftschleuse.

ERSTES BUCH

Der unglaubliche Planet

1

»Fertig?«, fragte Aarn Munro und warf einen Blick auf Carlisle und Spencer. Einerseits eifrig, andererseits bedauernd nickte der Ingenieur. Die drei wandten sich der großen Metallmasse des magyanischen Kriegsschiffes Tharoon Yal zu. Eine winzige Gestalt winkte Abschied nehmend aus einer kleinen Luke in der mächtigen Wand.

»Alles Gute!«, rief Aarn.

»Alles Gute für den Sprung von einem Weltraum in einen anderen!« Spencer lächelte etwas unsicher.

Das riesige Raumschiff dehnte sich ganz plötzlich, wuchs ins Übergroße. Sie schienen sich ihm zu nähern. Instinktiv griffen sie fester zu. Dann entspannten sich ihre Muskeln. Geisterhaft wurden bewegungslose Gestalten im Innern des gigantischen Schiffes sichtbar und verschwanden wieder in dem trüben Rauch, in einer Wolke, die sich verfinsterte. Alles war schwarz – die wunderbar glänzenden Sonnen, die in Magyas Raum glühten, die Sterne, die diesen Raum zu einem sich nie verdunkelnden Vorhang gemacht hatten, waren verschwunden. Ganz allmählich nur wurden Sterne sichtbar, stecknadelkopfgroße Punkte nebligen Lichtes. Diese Sterne waren gigantische Körper, die wuchsen und dann wieder kleiner wurden. Der Wechsel war erstaunlich.

»Wir sind da!«, flüsterte Carlisle.

Munro drehte die Sunbeam so langsam, dass jeder Winkel des Raumes sichtbar wurde. Nur hin und wieder war ein Stern zu sehen. Tatsächlich hatten sie den Raum gewechselt.

»Wo?«, fragte Aarn spöttisch. »Ich kann die alte Sol nirgendwo entdecken.«

»Sind wir auch im richtigen Raum?«, fragte Spencer.

»Da du Augen hast zu sehen, weißt du genauso viel wie ich«, meinte Aarn.

»Da ich aber keineswegs über deine Kenntnisse verfüge, stimmt das nicht«, antwortete Spencer. »Ich bin Ingenieur. Ich habe den Apparat gebaut, den du haben wolltest. Es ist deine Aufgabe zu wissen, wo wir sind.«

Aarn lächelte gutmütig. Das Lächeln passte zu seinem besonders breiten Gesicht über dem massigen Körper. »Ich mache mir genauso viel Sorgen, lass uns also nicht streiten. Ich glaube schon, dass dies der richtige ist. Überleg mal: Magya liegt in einem vierdimensionalen Raum, der von unserem eigenen durch einen fünfdimensionalen Pararaum getrennt ist, in dem wir nicht leben könnten. Aus unserem Raum sind wir zufällig herausgekommen, als wir auf den Planetoiden trafen und unsere Kraftfelder sich gegen den Zusammenstoß wehrten. Dadurch öffnete sich ein Weg und wir sind hinausgeschleudert worden. In Magyas Raum konnten wir am leichtesten eindringen, und dank der Anziehungskraft von Magyas wirklich ungeheurer Sonne brachen wir an der Stelle in den Raum ein, wo vor uns die Magyaner eingebrochen waren. Wenn wir jetzt zurückkehren, müssen wir uns aus Magyas Raum herausheben und in einen anderen einbrechen. Das ist schwerer und erfordert viel Kraft. Außerdem haben wir keine Möglichkeit, uns den einen oder anderen Raum auszusuchen, außer mithilfe der Mathematik, die auf den alten magyanischen Zahlentafeln basiert, sowie durch die Analyse unseres eigenen Raumes, die auf Messungen beruht, die wir während unseres Aufenthaltes auf der Erde gemacht haben. Es besteht kaum die Wahrscheinlichkeit, dass es zwei identische Räume gibt. Ich glaube, wir sind in den richtigen geraten – vielleicht nur nicht an den richtigen Punkt. Überleg mal, die Berechnungen, von denen wir ausgegangen sind, waren den Magyanern schon fast dreißigtausend Jahre bekannt. Wie viele Erdenjahre sind das?« Aarn zuckte mit den Achseln. »Wer weiß? Aber ich glaube doch, wir sind im richtigen Raum. Unsere Entfernung von der Erde ist nicht mehr berechenbar. Wir sind … hier verloren. Der Pararaum ist so ungeheuer, dass er Tausende von Welträumen umfasst – aber selbst ein ziemlich unbedeutender kleiner Raum wie dieser hier hat noch einen Durchmesser von mehreren hundert Millionen Lichtjahren. Ich glaube, wir sind nach wie vor in der gleichen Milchstraße.«

»Oje!«, seufzte Spencer. »Es geht uns genauso schlecht wie vorher.«

»Wie können wir feststellen, wo wir sind?«, fragte Carlisle gleichzeitig.

»Darüber habe ich auch gerade nachgedacht. Nehmen wir zunächst mal an, dass wir in der richtigen Milchstraße sind. In irgendeiner Milchstraße sind wir ja, weil wir so viele Sterne sehen. Das heißt, wir hängen irgendwo am Rande einer Milchstraße, denn wären wir mittendrin, würde sie einen Kreis um uns bilden. Unser Problem ist nun, den genauen Punkt zu finden. Sollten wir in der richtigen Milchstraße sein, kann das nicht schwerfallen, weil es immer noch Orientierungspunkte im Raum geben muss, die als Wegweiser dienen können, sodass wir schließlich die gute alte Sol entdecken und direkt ansteuern könnten. Das ist keine Unmöglichkeit für uns; dank des Geschwindigkeitseinflusses des Pararaumes können wir schneller fliegen als das Licht.«

»Welche Merkmale hast du im Raum?«, fragte Carlisle.

»Was wir brauchen, ist ein bekanntes Sternsystem, das weit genug entfernt ist, damit unsere Bewegung in der Milchstraße sein Bild nicht bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Ein Sternbild, das weit genug entfernt ist, damit sich die Linien, die wir von ihm ausgehend ziehen, nicht so sehr verändern, dass wir sie miteinander verwechseln. Dabei muss diese Sterngruppe doch so nah sein, dass sich die Visierlinien mit unserer Bewegung in der Milchstraße messbar verschieben.«

»Du meinst also die Sternsysteme, die nicht zu unserer Milchstraße gehören«, sagte Carlisle, der ihn verstand.

»Ebendie. Aber wir können das nicht selbst machen.«

»Hm? Was hilft es uns dann?«

»Wir müssen jemanden in der Nachbarschaft darum bitten«, grinste Spencer. »Wir schneien da einfach rein und fragen: Können Sie mir den Weg zu den großen Orionnebeln zeigen? Oder zu den Andromedanebeln? Und die Leute da sind natürlich so höflich und zeigen uns den Weg.«

»So ungefähr«, sagte Aarn ernster. »Wir müssen irgendwo in der Nähe eine Spezies finden – oder irgendwo in dieser Milchstraße – und ihr sagen, was wir brauchen. Wenn sie Teleskope und Fotografien kennen, werden sie Bilder haben, die wir mit unseren Sternenkatalogen vergleichen können. Wir wären dann in der Lage, einige besonders hervorstechende Nebel zu bestimmen. Die große und kleine Magalhãessche Wolke könnten uns auch nützen – allerdings sind sie eigentlich ein Teil dieser Über-Milchstraße und ziemlich nah. Aber wenigstens sind sie deutlich.«

»Haben wir Aussicht, einen bewohnbaren Planeten zu finden?«, fragte Spencer.

»Bestimmt. Allein in diesem Teil der Über-Milchstraße gibt es annähernd dreihundert Millionen Sterne, und etwa einer von je hunderttausend – sagt man – verfügt über ein System von Planeten. Das bedeutet ungefähr dreitausend planetarische Systeme, und wir brauchen nur ein einziges«, lächelte Aarn.

Spencer bemerkte: »Oder aber: Ungefähr ein Stern von einhunderttausend hat wahrscheinlich ein Planetensystem. Daher werden wir einen Planeten finden, vorausgesetzt, dass wir ungefähr einhunderttausend Sternensysteme untersuchen.«

»Du könntest noch hinzufügen«, sagte Aarn fröhlich, »dass vielleicht einer von zehntausend solcher Planeten bewohnbar sein könnte und einer von diesen zehntausend bewohnt sein wird.«

»Das sieht eigentlich nicht besonders vielversprechend aus«, meinte Carlisle.

»Aber auch wieder nicht so entmutigend, wie man denken könnte. Warum beginnen wir nicht damit, die Sterne auszuschließen, die keine bewohnbaren Planeten haben können. Etwa einer von vier Sternen besteht aus mehreren, also aus zwei oder drei Sonnen. Diese können wir schon mal ausschließen. Und dann können wir die roten Riesen ausschließen, denn die sind – glaube ich – noch zu jung. Es wäre vielleicht gar nicht schlecht, einfach nach Sternen des Hauptzweigs zu suchen. Spektralklasse G zum Beispiel.«

Bob Canning, der Elektroneningenieur aus Spencers Erdlaboratorium, der sie auf diesem Flug begleitete, machte sich zaghaft in der Tür bemerkbar. »Sind wir richtig nach Hause gekommen, Herr Doktor? Ich habe die Sterne nicht wiedererkannt.«

»Es wäre komisch gewesen, wenn du sie erkannt hättest, Bob. Ich habe sie auch nicht erkannt. Ich glaube, wir müssen etwa zehntausend Lichtjahre von zu Hause entfernt sein«, antwortete Aarn. »Aber wir sollten uns auf den Weiterflug vorbereiten. Behalten Sie die Schalttafel im Auge, und dann wollen wir einen Stern in der Nähe ansteuern und sehen, was dort zu erkennen ist.«

2

»Was soll das denn sein?«, fragte Carlisle unsicher. Aarn, Spencer und Bob arbeiteten intensiv an etwas, das sie in der schon voll besetzten Kraftstation aufgestellt hatten.

»Ich hoffe, es ist eine Art Fernrohr für zwanzig Kilometer Umkreis«, erwiderte Aarn. »Nicht gerade ein Teleskop …«

»Daran hatte ich auch nicht gedacht«, gab Carlisle zu. Es sah wie eine Schalttafel aus. Vier kleine Antischwerkraftfeld-Speicherspulen, Miniaturausgaben der riesigen Aggie-Spulen, die für die Speicherung der Antriebskraft verwendet wurden, waren am Sockel der Tafel angebracht. Ein gewöhnlicher Transponstrahlenapparat vervollständigte die Anlage.

»Er ist für eine Umstellung der herkömmlichen Transponstrahlen entworfen worden«, erklärte Spencer. »Während ihr geschlafen habt, hat Aarn ihn an den Rechenmaschinen berechnet. Unser gewöhnlicher Transponstrahl nimmt aus jedem elektrischen Feld Kraft auf. Wir haben ihn natürlich meist verwendet, um Kraft aus dem elektrischen Feld der Sonne abzuzapfen, aber er kann das bei jedem elektrischen Feld tun. Aarn hat ihn so umgestellt, dass er ein elektromagnetisches Feld der Lichtstrahlung absaugt. Es ist eine Art Radioantenne, die wie ein sich schnell verbreitender Kegel arbeitet und alle elektromagnetischen Strahlen feststellen, gleich ausrichten und die Hälfte der Energie des Feldes auffangen kann. Aarn sagte, dass er dadurch eine Menge erfahren wird.«

»Hmmmm … Licht wie eine Radiowelle auffangen. Warum?«

Aarn antwortete ihm. »Ich kann ihn ziemlich leicht einrichten und dadurch Licht von irgendeinem Stern und seinem zugehörigen Sternengebiet aufnehmen. Auf diese Weise bin ich in der Lage, die Strahlung eines Sterns zu prüfen, wenn er ein Lichtjahr oder weiter entfernt ist, und außerdem kann ich alle Einzelheiten ganz genau feststellen. Es gibt da gewisse Änderungen im Licht, aus denen man vielleicht Schlüsse ziehen kann.«

»Ich nehme an«, brummte Carlisle, »›Schlüsse ziehen‹ heißt, dass du uns diese Änderungen erklären wirst, oder?«

»Allerdings«, gab Aarn zu und nahm die Arbeit wieder auf. »Aber ganz egal, nach dem erfolglosen Besuch auf fünfzehn Sternen in den letzten fünf Tagen bin ich es allmählich leid, kreuz und quer durch den Weltraum zu jagen. Dieses Ding hier könnte uns weiterhelfen.«

Sechs Stunden später war das Gerät fertig und Aarn begann damit zu arbeiten. Sie hingen im Raum und nur die künstliche Schwerkraft des Schiffes gab ihnen Gewicht. Der Schaltraum war überfüllt von den massigen Rücken der Antischwerkraftspulen, die die Raumkrümmungen, die nichts anderes als Schwerkraft waren, glätteten, wenn sie in die Nähe eines Planeten steuerten, durch den Impulswellenapparat, der die erstaunlichen Schwingungen im Subraum hervorrief, die ihrerseits die Impulse erzeugten, und durch die große Anzahl der Aggie-Spulen, die überall dort angebracht waren, wo die Magyaner Platz dazu gefunden hatten, als sie halfen, die Sunbeam mit Kraft für den Kampf auszustatten. Alle diese Dinge versteckten fast die Rechenmaschinen, die auch noch irgendwo Platz gefunden hatten. Die neue Krafttafel nahm das letzte noch freie Fleckchen ein.

Aarn schaltete auf »Strom« und warf dann ein einzelnes Relais heraus. Ein Netz von glühenden Transponstrahlen wurde erzeugt, und ein dumpfer Widerhall ging durch die Kraftstation, als der große Haupttransponapparat – durch das neue Gerät verändert – seine Arbeit aufnahm. Ein gewaltiger, unsichtbar strahlender Kegel breitete sich wie eine sich weitende Welle im Weltraum aus. Die Messinstrumente der neuen Tafel sprangen an, einige lieferten sofort Ergebnisse, andere mit ständig zunehmender Geschwindigkeit. Schließlich hatte der Kegel seine Ausbreitungsgrenze erreicht und der Sammelpunkt zeigte einen beständigen Wert an.

Aarn las die Zahlen schnell ab, Spencer notierte sie. Fünf Minuten später befand sich die Sunbeam in dem seltsamen geisterhaften Dunkel, das immer herrschte, wenn sie mit Höchstgeschwindigkeit flog. Zum einen in dem Pararaum der fünften Dimension, in der die Entfernungen der vierten Dimension nichts mehr bedeuteten, zum anderen im normalen Weltraum, sodass sie Kontakt mit ihrer Umgebung behalten konnte, raste die Sunbeam dem Stern entgegen, den sie beobachteten. Nach wenigen Minuten stoppten sie und Aarn widmete sich wieder dem Ablesen seiner Instrumente.

Auf diese Weise erhielt er innerhalb einer Stunde alle Angaben über diesen besonderen Stern, die er benötigte. In einer weiteren halben Stunde hatte er die Resultate berechnet und wusste nun mit Gewissheit, dass keine Planeten um diese Sonne kreisten.

Schon nach dem ersten Ablesen der Instrumente wurde der nächste Stern übergangen. Ein weiterer und noch ein weiterer folgten. Nach zwei Tagen schrie Aarn plötzlich triumphierend auf. Der Stern, den sie untersuchten, verfügte über Planeten – oder zumindest über einen Planeten! Das Unglaubliche hatte sich als wahr herausgestellt. Nach nur wenigen Tagen der Suche hatten sie einen Planeten entdeckt!

»Sieht aus, als sei unser Pessimismus unberechtigt gewesen«, sagte Spencer, als sie auf die ferne Sonne zurasten.

»Zugegeben«, meinte Aarn, »aber ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken.«

»Was für ein Stern ist es?«, fragte Carlisle.

»Offen gestanden, ich weiß es nicht. Er schien eher unruhig als veränderlich, etwas ungleichförmig; aber das mag daran liegen, dass der Planet ihn auf einer sehr nahen Umlaufbahn umkreist und in der Strahlung des Zentralsterns heißrot glüht. Er wirkt wie eine zweite Sonne, ein sekundärer Strahler. Der Stern scheint vom Typ F0 und nicht auf dem Hauptzweig zu sein. Wahrscheinlich ist er mit Capella zu vergleichen.«

Die Sunbeam raste auf die Sonne zu und legte in jeder Sekunde einen Weg von Lichtwochen zurück. Trotz dieser unmessbaren Geschwindigkeit brauchten sie mehr als zwei Tage für den Flug. Am zweiten Tag sahen sie, wie sich das geisterhafte Bild der Sonne von einer verkrümmten Nadelspitze in eine verschwommene Scheibe verwandelte. Am äußeren Ende des Einflussbereichs der Schwerkraft dieser Sonne verlangsamten sie ihre Fahrt und glitten mehr und mehr in eine normale Geschwindigkeit.

Sie hielten an und beobachteten das Sonnensystem aus geringerer Entfernung etwas sorgfältiger. Sie sahen den seltsamen kleinen Planeten, der der sekundäre Strahler dieser neuen Sonne war. Er hatte knapp dreitausend Kilometer Umfang und umkreiste in weniger als fünfzehn Millionen Kilometer Entfernung die glühende blauweiße Sonne, die sie als Tarns kennenlernen sollten. Er wurde durch den ungeheuren Energiestrom erhitzt und schien ein wechselnder sekundärer Strahler zu sein, mit den Wirkungen, die Aarn beobachtet hatte.

Im Ganzen waren elf Planeten vorhanden. Neun bewegten sich in einigermaßen normalen Bahnen. Der sechste, ein Riese mit einem Durchmesser von annähernd einer Viertelmillion Kilometern, erregte sofort ihre Aufmerksamkeit.

»Ein Ungeheuer«, sagte Aarn vergnügt und prüfte die Gravitationsfeldanalysen. »Und welche Laufbahn! Gravitationsfeld an der Oberfläche: 2,1-fache Erdbeschleunigung. Sein Feld erstreckt sich über fast eine Milliarde Kilometer, acht Monde – und der dort ist größer als Uranus! Ich wette, das ist ein richtiger Planet gewesen, der von dem großen Burschen dort gefangen wurde. Und seht euch nur mal den äußersten Satelliten hier an! Achttausend Kilometer Durchmesser – größer als Mars. Und seine Laufbahn umkreist keineswegs den großen Planeten! Er hat eine eigene! Da muss sich irgendetwas ereignet haben – und ich wette, dass ich auch weiß, was das gewesen ist! Etwas, was ausgesprochen selten vorkommt …«

Aarn verfiel in Schweigen und nahm neue Kontrollen an seinen seltsamen Schwerfeldsonden und den Impulswellenanalysatoren vor. Er untersuchte aufs Neue den verirrten Planeten, der sich jetzt durch eine Welt riesigen Ausmaßes drehte. Eilig las er die Ergebnisse seiner Messungen ab.

»Seine Bahnebene ist um hundertvierunddreißig Grad gegen die Ebene der anderen Planeten geneigt! Ein Wanderer, der gefangen wurde! Und ich möchte wetten, noch dazu im Lauf der letzten Jahrhunderte. Seht mal – er hat einen Durchmesser von über neunzigtausend Kilometern. Seine Laufbahn bildet eine extreme Ellipse, die beim entferntesten Punkt um fast zehn Milliarden Kilometer zurückweicht und sich dem großen Planeten dann wieder auf fünfzig Millionen Kilometer nähert! Dieser Planet war frei und kann nur zufällig in dieses System hineingekommen sein. Der Riese dort hat ihm mit seinem starken Schwerkraftfeld wohl etwas zugesetzt – so wurde er gefangen! Er hat das ganze Mondsystem in Unordnung gebracht, dann sogar den riesigen Planeten aus seiner Laufbahn herausgezogen und den Satelliten am äußeren Rande losgerissen. Dabei ist offenbar die Wanderung des Planeten zum Stillstand gebracht worden! Wahrscheinlich hatte der ursprünglich eine parabelförmige Bahn. Die Anziehungskraft war groß genug, sie in eine ellipsenförmige zu verlangsamen. Im Milchstraßensystem ist das einmalig, möchte ich behaupten.«

»Wir steuern ihn an!«

Die Sunbeam schoss vorwärts und der geisterhafte fremde Planet wurde schnell größer. Aarn hielt in einer Entfernung von dreißig Millionen Kilometern an und untersuchte ihn wieder mit dem Teleskop. Klar und scharf erschien das Bild auf dem Schirm.

»Ich habe kaum Hoffnung, dass wir dort Leben finden werden«, bemerkte Aarn. »Der ist noch gar nicht aufgetaut – nein, tatsächlich nicht. Bei diesem großen Orbit würde es mich nicht wundern, wenn der Planet selbst eine lange Reise durch den Weltraum hinter sich hätte. Seht euch die Eishauben an – und diese Meere! Ich nehme an, dass sie ebenfalls gefroren sind. Das ganze Polargebiet reicht fast bis zum Äquator. Und dann diese seltsame Neigung der Achse! Fast siebzig Grad. Wollen wir landen?«

»Klar«, erwiderte Spencer. »Aber die Untersuchungen wirst du machen müssen!« Er zeigte auf das Gravitatometer. »Die Oberflächenschwerkraft beträgt 2,6 g.«

Aarn grinste. »Mach ich! Schwächlinge seid ihr, Erdbewohner! Erstaunliche Vorstellung, dass meine eigenen Eltern solche Typen waren!«

Aarn Munro, auf dem Jupiter geboren, streckte den Arm aus, der dicker und gedrungener war als Spencers Schenkel. Dieser Arm gehörte zu einer Schulter, die so kräftig und muskulös war, dass sich der kurze mächtige Hals fast darin verlor. Wie bei einer seltsamen menschlichen Schildkröte schien der Kopf aus einer Schale hervorzukommen. Er ballte die Faust, beugte den Arm und betrachtete das leichte Spiel der Muskeln und Sehnen. »Ich verweichliche auch schon – das kommt vom Leben auf einem so leichten Planeten wie unserer Erde oder Magya.«

Von der Impulswelle getrieben, raste die Sunbeam wieder vorwärts. Wellen, die selbst Aarn Munro kaum verstand, Wellen im Pararaum, die von den Maschinen, die er erfunden hatte, erzeugt wurden, vermittelten durch Reaktionen auf die Struktur des Universums Impulse, die auf das Schiff wirkten. Sie trieben die Sunbeam mit unfassbarer Schnelligkeit vorwärts. Als das Gravitationsfeld des Planeten auf das Schiff traf, zeigten sich automatisch neue Transponstrahlen. Man verlangsamte die Fahrt auf hundert Kilometer. Schließlich hingen sie bewegungslos im Raum. Das Gravitationsfeld des Planeten wurde automatisch neutralisiert, während die innere, künstlich erzeugte Schwerkraft des Schiffes erdnormal gehalten wurde.

Und dann erspähte Aarn Myrya … das große Geheimnis. Er griff so fest nach Spencers Arm, dass der Erdenmensch vor Schmerz aufschrie.

»Spence! Spence! Ruinen!«

Großartig und majestätisch lagen sie im Schein der blauweißen Sonne da. Schimmerndes Metall unter einer dünnen Schicht Asche. Große breite Alleen mit den Trümmern langsam verfallender Ruinen. Ehrfurcht gebietend große Gebäude, wunderschön – aber die Dächer bröckelten ab. Eine Riesenstadt erstreckte sich kilometerlang an der Seite eines großen Berges und reichte vier Kilometer weit in ein Tal hinein.

»Menschen!«, sagte Carlisle atemlos.

»Wie … wie alt ist denn die Stadt?«, fragte Spencer benommen.

»Millionen und Abermillionen von Jahren!« Aarn machte eine plötzliche Bewegung und das Schiff schoss eilig auf die alte Stadt zu. Langsam sanken sie und landeten dann sanft auf dem halb verfallenen großen Platz – um ihn herum standen große Metalltürme mit steil himmelan steigenden Wänden, die mit großartigen wohlgeformten Fresken geschmückt waren. Die Straßen waren breit und mit einer Schicht bröckeligen schwarzen Materials gepflastert, das sich – als es mit dem Kraftfeld der Sunbeam in Berührung kam – unter ihnen lose bewegte. Das Schiff kam in dieser sehr feinen Staubschicht etwa einen halben Meter tief zum Stillstand.

Aarn stand auf und warf einen Blick aus der Luke. »Wie lange, o Herr, wie lange? Millionen von Jahren? Milliarden? Welches Volk hat hier gelebt, hier gekämpft? Hat die Stadt gebaut und ist dann, als der Planet seine jahrhundertelangen Wanderungen begann, gestorben?« Er überlegte und runzelte die Stirn. »Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist die Staubschicht. Sie ist schwarz und sieht schmutzig aus. Das Pflaster scheint dazuzugehören. Aber woher kommt es? Offensichtlich hat es doch keine Verwitterung gegeben, woher stammt dann also dieser Staub?«

Carlisle hatte sich auf praktische Art beschäftigt. »Sauerstoffgehalt etwa vier Prozent, Luftdruck ungefähr sieben Atmosphären.«

»Großartig, gerade richtig«, nickte Aarn. »Gifte?«

»Keine einfachen, und ich möchte auch bezweifeln, dass zusammengesetzte vorhanden sind. Ich habe schon eine unserer wenigen übriggebliebenen Mäuse rausgesetzt, und … es geht ihr immer noch gut. Im ersten Augenblick ist sie allerdings beinahe eingegangen.«

»Hmmm, das ist der Luftdruck. Macht mir aber nichts aus – etwa die gleiche Atmosphäre wie auf dem Jupiter. Ich werde gleich mal rausgehen.«

Aarn traf schnell alle nötigen Vorbereitungen. Er legte eine Staubmaske an und trug ein kleines Gerät, das er erst kürzlich entwickelt hatte, einen Handaufzug, wie er es nannte. Es war die Miniaturausgabe eines Impulsantriebgerätes mit stromspeichernden Aggregatspulen. Man konnte es in der Hand tragen und durch Daumendruck betätigen. Das würde ihn ohne Probleme hochheben. Er konnte zwar nicht direkt fliegen, war aber in der Lage, sich damit senkrecht in die Höhe zu heben.

»Ich geh mit«, kündigte Spencer plötzlich an. »Schätzungsweise werde ich es eine kurze Zeit lang aushalten können.«

Aarn betrachtete ihn nachdenklich. »Das wird ein schweres Stück Arbeit.«

»Na, eine halbe Stunde werde ich es schon schaffen.«

In fünf Minuten waren sie fertig. Carlisle hatte sich entschlossen, in der Sunbeam zu bleiben; er hatte es einmal auf dem Jupiter versucht, und das hatte ihm gereicht. Vorsichtig ließen sie die neue Atmosphäre durch ihre Luftschleuse eindringen, um sich an den Druck zu gewöhnen.

»Schönes Gefühl«, grinste Aarn, als der Druck fühlbar wurde. Seine normalerweise tiefe Stimme klang jetzt schwer und dröhnend. Ein Frösteln lag in der eindringenden Luft, gemischt mit dem frischen, sauberen Duft wachsender Pflanzen. »Die grünen Dinger, die wir gesehen haben, müssen frische, wachsende Pflanzen sein«, bemerkte Aarn und holte tief Luft. »Riecht das gut … nach der Zeit in dieser alten Badewanne!«

Gespannt und entschlossen stieg Aarn aus. Bis zur sichtbaren Oberfläche war es ein Sprung von einem halben Meter Höhe. Da Aarn an der Festigkeit der Oberfläche zweifelte, ließ er sich mit dem Handaufzug hinab. In der neutralen Zone, in der die Schwerkraft durch die künstliche Schwerkraft der Sunbeam neutralisiert wurde, spürten sie ein etwas eigenartig Zerrendes. Dann waren sie unten und versanken bis zum Knöchel in dem dicken aufgehäuften Staub. Aarn streckte sich voller Wohlbehagen aus und sah mitleidig Spencer an, der sich erschöpft bemühte, aufrecht zu stehen. Minuten vergingen, bis der kleinere Mann seine die Erde gewohnten Muskeln einer Schwerkraft angepasst hatte, die ihm ein Gewicht von zweihundert Kilo verlieh.

Endlich gingen sie auf das nächste Gebäude zu. Aarn bewegte sich leicht und ohne jede Anstrengung. Es schien, als nähmen seine Füße die schnelle, ruckartige Bewegung eines trabenden Hundes an. Spencer stellte fest, dass er seine Füße mit etwas Anstrengung aus dem Staub herausheben konnte und es leichter war, schnell zu gehen, als mit den Füßen zu schlurfen. Schnell näherten sie sich dem nächsten der großen Gebäude und spähten durch den großen Bogen hinein. Hier war es kalt, sogar bitter kalt, und ein Strom eisiger Luft drang langsam nach außen. Im Sonnenlicht verwandelte er sich in einen kompakten, flockigen weißen Nebel. Aarn sah flüchtig nach oben. Die Luft war klar und wolkenlos, die große Sonne funkelte hoch oben mit glänzendem blauweißem Licht, der Himmel hatte eine tiefdunkle Farbe mit einem Ton Grün darin. Keinerlei Anzeichen von Staub oder Nebel lagen in der Luft, die einzigen sichtbaren Wolkenspuren rührten von den umliegenden Gebäuden her.

»Die sind noch nicht aufgetaut!«, sagte Aarn leise. »Diese Welt kann noch nicht länger als wenige Jahre hier sein!«

»Jahre … Würde es denn Jahre dauern, um das alles aufzutauen?«

»Noch mehr. Es würde allein Jahre dauern, bis sich die enormen Luftmassen, die hier festgefroren sein müssen, erwärmen. Dazu kommt, dass diese übermäßig gefrorenen Felsen – und wahrscheinlich auch die Gebäude – eine Art von Isolierung besessen haben. Diese riesigen Bauten – immerhin bestehen sie aus Metall, sehen aus wie Wolkenkratzer und deuten damit auf eine hoch entwickelte Zivilisation hin – müssen Hitzeisolierungen besitzen.«

»Ich bin in allem deiner Meinung, mit Ausnahme deiner Deutung dieser Häuser. Sie sind doch nicht mehr als fünfzig Stockwerke hoch. Auch wenn das erstaunlich sein mag, die Gebäude in New York sind wesentlich höher.«

»Aber überleg mal, hier herrscht eine viel größere Schwerkraft. Hier entspricht die halbe Höhe mehr als dem Doppelten auf der Erde. Die Gebäude sind einfach schwerer.«

Aarn schritt durch den ungeheuren Bogen und trat in eine stattliche, düstere Halle ein. Riesige, elegant kannelierte und abgerundete Säulen strebten in das Halbdunkel empor und bildeten eine gewölbte und mit Bogen versehene Decke, die in dem aus wenigen zerbrochenen Fenstern eindringenden Licht allerdings kaum sichtbar war. Die Halle war mit einem Mosaik ausgelegt, das aus winzigen Stückchen farbiger Kacheln bestand, die irgendwann einmal zu einer polierten Oberfläche geschliffen worden waren. Jetzt war sie zu tiefen Furchen ausgetreten, über die viele Tausend Füße in zahllosen Jahrhunderten geschritten waren.

»Spence, das alles war schon jahrhundertealt, als es verlassen wurde.«

Aarn prüfte den Mosaikboden. Er stellte eine Landkarte dar, die riesengroße Karte eines Kontinents, wahrscheinlich des Kontinents, auf dem sie gelandet waren. Sie war großartig angelegt, und er konnte sehen, dass man nicht einfache Kachelstückchen verwendet hatte, sondern vielmehr kleine Stäbchen, die nebeneinandergelegt worden waren, um ein bestimmtes Muster zu bilden. Obwohl der Boden jetzt tief abgetreten war, war das Muster noch gut zu sehen. Seit dem Tag vor undenklichen Zeiten, an dem die Karte angelegt worden war, hatte man sie nicht verändert. Ein Dutzend Städte waren in dem Teilstück deutlich zu erkennen, das sie vom Eingang aus sehen konnten – eine der Städte jedoch, die offenbar im Herzen der Berge lag, war nicht in Kacheln ausgelegt, sondern auf die Oberfläche des Mosaiks gezeichnet worden, und ein leuchtend roter Kreis umgab sie. Verschiedene Symbole und Buchstaben waren unterhalb des Kreises angebracht und ein Pfeil deutete auf ihn.

»Ihre letzte Zuflucht?«, fragte Spencer leise.

»Zweifellos. Dorthin werden wir gehen müssen. Ich habe Angst, hier zu viele Untersuchungen anzustellen. Ich weiß nicht, wodurch diese Gebäude zerstört worden sind. Gewisse Dinge weisen auf ein Erdbeben hin – oder eher ein Planetenbeben. Aber das erklärt noch nicht den Staub und die zerfallenen Dächer der Gebäude. Hast du bemerkt, dass die unteren dreißig Meter nicht wesentlich beschädigt wurden, während der obere Teil stark angefressen ist, vielleicht von irgendeiner scharfen Säure? Es muss etwas gewesen sein, das aktiv war, während sich der Planet frei im Weltraum bewegt hat. Die gefrorene Atmosphäre hat den unteren Teil geschützt. Bestimmt waren das keine Meteore. Aber was dann?«

»Kosmische Strahlen?«

»Hm, vielleicht. Aber ich glaube nicht. Kosmische Strahlen wirken auf zirka ein Atom pro Kubikzentimeter Normalluft in der Sekunde. Wie viele Sekunden müsste es dann dauern, bis irgendein Material merklich beeinflusst würde? Dieser Planet wäre dann älter als die Sterne. Ich weiß es einfach nicht.«

Spencer schaute flüchtig auf die im Dunkeln liegende Decke. »Lass uns hier lieber abhauen! Diese tote Stadt ist mir jetzt schon unheimlich, und ich hab Angst, dass noch irgendwas auf uns runterfällt.«

»Da könntest du recht haben. Trotzdem, ich möchte die Stadt unbedingt erkunden.« Aarn zeigte auf den roten Kreis auf der Landkarte. »Ich könnte mir denken, dass das hochinteressant ist. Die Tatsache, dass die Stadt aufgemalt und nicht ausgelegt ist, deutet doch darauf hin, dass sie neu ist und in Eile erbaut wurde. Im Bewusstsein der herannahenden Gefahr müssen sie sich dorthin zurückgezogen haben. Warum sie das so angedeutet haben, weiß ich natürlich nicht. Möglicherweise sollte es ein Wegweiser sein für die Raumfahrer, die irgendwann in der Zukunft einmal auf sie treffen würden. Vielleicht haben sie auch Berichte hinterlassen, die leichter zu deuten sind. Gehen wir?«

Zehn Minuten später dekomprimierten sie die Sunbeam und eine Stunde danach flogen sie weiter auf der Suche nach jener anderen Stadt. Aarns sorgfältig abgezeichnete Karte half ihnen dabei. Sie kreuzten langsam, waren sie sich doch über die Richtung und die Entfernungen nicht genau im Klaren. Schließlich machten sie die große Bergkette ausfindig und dann die Stadt.

Wie festgeschmiedet saß Aarn für dreißig lange Sekunden an seinen Steuerkonsolen. Männer arbeiteten dort unten, Gruppen von Männern, die viel zu tun hatten. Maschinen schleppten Materialien. Die Stadt war lebendig!

»Meine Güte!«, flüsterte er schließlich. »Sie leben!«

»Das … Das ist doch unmöglich! Die da unten müssen von irgendeinem anderen Planeten gekommen sein.«

Die Sunbeam sank. Unter sich bemerkten sie ein plötzliches Rennen. Ein halbes Dutzend Düsenflugzeuge mit kurzen dicken Tragflächen hob sich graziös in die Luft. Sie kamen der Sunbeam zwar näher, wurden dann aber durch den das Schiff umgebenden magnetischen Schutz von ihrem Kurs abgelenkt. Dann wendeten sie, hielten mit dem Schiff Schritt und landeten schließlich auf einem breiten offenen Raum am Rande der Stadt.

Die Stadt selbst lag eingebettet in einer großen Spalte der Bergkette, in einem Tal, etwas über einen Kilometer tief. Und an jedem Ende erhob sich ein titanenhaftes Gebäude aus Metall und Beton, eines ungefähr achthundert Meter hoch. Ein ungeheurer Damm schloss sie in einer großen, vier Kilometer langen und einen Kilometer breiten Mulde ein, die eine Tiefe von fünfhundert Metern hatte. Das Rollfeld lag nahe dem Fuß des einen dieser unglaublich großen Dämme.

»Wie steht’s da mit deiner Ingenieurkunst, Spence?«, fragte Aarn respektvoll. »Jeweils tausend Pfund werden hier zu einer Tonne und noch mehr.«

»Unfassbar. Wollen wir landen?«

»Ich hab den Eindruck, dass sie uns freundlich gesinnt sind.« Die Sunbeam ließ sich plötzlich und leicht herab und landete neben einem der Flugzeuge.

So trafen die Menschen zum ersten Mal die Myryaner. Sie waren klein und so muskulös wie Aarn, mit breiten und offenen Gesichtern und einer tiefbronzefarbenen Haut, glatt und ohne Haare. Eine Mähne aus goldrotem Haar umgab seidig und kurz die Köpfe. Ihre Ohren waren gewölbt und beweglich, die gesamte Körperstruktur wirkte schwer, aber sonst machten sie einen menschlichen – und schönen – Eindruck. Jetzt zeigte sich ein Ausdruck neugierig-überraschten Interesses auf ihren Gesichtern. Sie schienen von höchster Intelligenz. Das Auffallendste war ein Ausdruck tiefen inneren Friedens und gelassenen Glücks.

»Seid willkommen, die ihr aus dem Nichts kommt«, sagte ein Etwas ganz deutlich in Aarns Bewusstsein, während ein Mann draußen seine Aufmerksamkeit auf sich zog. »Wollt ihr zu uns herauskommen?«

»Was?« Aarn war mehr als überrascht. »Spence, das ist Telepathie!«

Innerhalb einer Sekunde war Aarn aufgestanden und rannte auf die Schleuse zu. Er war schon drin und leitete den Druckausgleich ein, ehe Spencer dahin gelangte, sodass er warten musste, bis Aarn ausstieg.

Aarn sprang auf den Boden und landete sanft neben dem Schiff. Gleich darauf schritt er auf den Fremden zu und streckte ihm seine Hand entgegen, wobei ein Lächeln erstaunter Freude auf seinem Gesicht lag. »Ihr lebt ja!«, rief er.

Der andere lächelte breit, und irgendwie vermittelte er den Eindruck, als warte er auf etwas. Eine Menge anderer Männer kamen auf sie zu, nahezu zweihundert. Dann fuhr ein niedriger, breiter und gewaltiger Wagen vor und hielt neben ihnen an. Zwei Männer stiegen aus. Der eine trug ein einfaches blütenweißes Gewand, ebenso weiß wie die Mähne seidigen Haares, die seinen Kopf und Hals bedeckte; der andere, in einem golddurchwirkten Gewand, war wie der Mann gekleidet, den Aarn zuerst gesehen hatte.

»Willkommen ihr, die ihr aus dem Nichts kommt!«, grüßte er, als er sich ihnen näherte. Der erste Mann war jetzt, immer noch lächelnd, zurückgetreten. »Kommt ihr von einem der Planeten unseres Systems? Mit unseren Teleskopen konnten wir keinerlei Hinweise auf Bewohner feststellen.«

»Wir kommen von … irgendwo. Wir haben uns im Weltraum zwischen den Sternen verirrt. Aber ihr – ihr lebt! Das ist unglaublich!«

»Weltraum zwischen den Sternen – zwischen den Sonnen? Dann kommt ihr von einer weit entfernten Sonne. Aber das kann ja nicht sein!«

»Es ist aber so. Und ihr – dass ihr lebt! Wie, im Namen des Ewigen Geistes, habt ihr das fertiggebracht?«

»Einige von uns haben überlebt«, antwortete der Myryaner langsam. Im Geist sah Aarn lange Reihen von weiß gekleideten Gestalten vor sich, die leblos schienen, Reihe neben Reihe in einem unterirdischen Gemach, das in einen Fels hineingesprengt war und durch einige glühende Röhren erhellt wurde. »Ihr habt vollbracht, was wir vergeblich versucht haben. Hätten wir es geschafft, hätten wir alle leben können. Leben und sterben. Vorbei.«

Aarn konnte diese Zeitvorstellung nicht verstehen. Er begriff nur, dass sie über alles Maß hinaus … ungeheuerlich war. »Seid ihr schneller als das Licht gereist?«

»Ja, in einem gewissen Sinn.«

Aarn begann wieder zu denken, nachdem sich das Chaos seiner Gedanken zu ordnen begann. »Wie eine Welt rund ist wie eine Kugel, so ist auch aller Weltraum rund in der vierten Dimension. Die Kugel des Raums schwebt in einem größeren Pararaum. Wenn wir reisen, begeben wir uns in den Pararaum und an einem anderen Punkt wieder zurück in den vierdimensionalen Raum. Das ist keine Bewegung und es ist auch keine Geschwindigkeit. Es bedeutet auch nicht, schneller zu reisen als das Licht. Es ist einfach eine Entrückung. Wir verschwinden, wir hören auf, in diesem Raum zu existieren, und treten anderswo wieder in Erscheinung.«

»Deine Gedanken sagen mir nichts. Aber das ist jetzt auch nicht wichtig. Wir sind wieder sicher – wir haben eine Sonne. Von ihr werden wir nicht so bald weggerissen werden.«

Spencer rief von der Sunbeam: »Aarn, hilf mir! Ich möchte auch … mitreden.«

Die Myryaner schauten neugierig auf die schlanke Gestalt in der Tür, einen Meter hoch über dem Boden, die jetzt offenbar Angst vor dem Sprung hatte. Aarn ging zu ihm und hob ihn schnell herunter. Zusammen kehrten sie zurück.

»Wir kommen aus verschiedenen Welten des gleichen Sonnensystems«, erklärte Aarn. »Dieser Mann hier stammt von der Mutter Erde und ich von der größeren, schwereren Kolonialwelt. Mein Planet ist so groß wie eurer, seiner dagegen ist wesentlich kleiner.«

»So bist du Aarn?«, fragte der Weißhaarige. »Ich bin Karshan, von Myrya.«

»Ich bin Aarn, vom Jupiter. Das hier ist Spencer, von der Erde.«

Aarns Gedanken kehrten immer wieder zu dem Geheimnis zurück, das ihn am meisten beschäftigte. »Aber wie konntet ihr denn überleben?«

»Wir haben nicht gelebt. Wir sind gestorben und wurden wieder lebendig.«

»Wie lange ist das her? Und … was ist eigentlich geschehen?«

»Dein Gehirn kann meine Ausdrücke nicht übertragen, nicht in Bezug auf die Zeit. Aber du kannst Folgendes verstehen: Als wir Shaln umkreisten, waren wir weit am Rande des Milchstraßensystems. An unseren Himmeln glühte nachts ein großes, breites Lichtband, glänzend wie eine Sonne. Zu gewissen Jahreszeiten erhellte es unsere Welt Tag und Nacht, aber das Licht war kalt. Wir haben Bilder, die wir dir zeigen werden – vielleicht verstehst du es dann. Ich werde dir die Botschaften zeigen, die wir jedes Mal, wenn wir erwacht sind, zurückgelassen haben. Du musst allerdings üben, damit du sie verstehst.«

»Wie lange seid ihr denn schon hier?«, fragte Spencer. »Habt ihr Fotos aufgenommen?«

»Dreitausend Tage lang haben wir diese Sonne umkreist.« Das bedeutet also ungefähr sechs Jahre. »Natürlich haben wir Fotos gemacht, aber wir haben wenig daraus erfahren. Warum fragst du?«

»Wir haben uns verirrt. Nur mithilfe von Fotos, die während einer Anzahl von Jahren gemacht worden sind, können wir unsere eigene Sonne finden«, erklärte Aarn. »Ich fürchte, ihr werdet uns da nicht helfen können.«

»Das fürchte ich auch. Wir hatten wenig Zeit für Studien. Es gab so viel zu tun. Unser Los ist ein glückliches, aber selbst jetzt ist noch nicht alles vollkommen. Unsere Bahn ist außergewöhnlich unregelmäßig und wir müssen für den langen, langen Winter unsere Vorkehrungen treffen. Unsere Welt wird kalt sein, sehr kalt sogar; wir brauchen mehr als einhunderttausend Umdrehungen unseres Planeten, um zu einer kreisförmigen Laufbahn zu kommen.«

»Da kann ich euch helfen«, sagte Aarn eifrig. »Zeigt mir doch diese unglaublich alten Fotos und lasst mich mal eure Mechanismen untersuchen und eure Geschichte erforschen. Dafür zeige ich euch, wie ihr euren Planeten in eine kreisförmige Bahn steuern könnt, die jede beliebige Größe haben kann – dazu reichen fünf Umdrehungen. Ich werde euch zeigen, wie ihr genug Wärme bekommen könnt, um die Temperatur auf eurem Planeten zu erhöhen, selbst dann, wenn er am weitesten von der Sonne entfernt ist.«

»Kennst du auch das Geheimnis von der Energie der Materie?«, fragte Karshan neugierig.

»Ja und nein«, lächelte Aarn. »Wir nutzen einen Generator, der schon existiert: die Sonne. Wir zapfen ihre grenzenlose Kraftquelle an. Wir haben einen Strahl, der aus elektrischen Feldern Strom ableitet. Er verursacht elektrische Ströme entlang einer Linie im Raum und daraus können wir jede beliebige Menge nehmen. Ein Stern ist eine gärende Masse voller elektrischer Spannungen, und wir sind in der Lage, uns genug Strom zu beschaffen, um hundert Welten aus ihren Bahnen abzulenken!«

»Die Kraft der Sonne? Die Kraft von Tarns?« Karshan teilte es sowohl telepathisch als auch mündlich mit. »Wir haben unsere Sonne Tarns – Hoffnung – genannt. Für uns war sie das Licht der Hoffnung. Wenn wir ihre Kraftquelle nutzen können, sind wir tatsächlich gerettet. Aber wie wirst du es hinbekommen, einen so gewaltigen Körper wie unseren Planeten zu bewegen?«

»Unser Schiff wird von etwas angetrieben, das wie eine Schwingung zu sein scheint und es doch nicht ist; das ist ein ausstrahlender Impuls. Damit werden Impulse in das Gefüge jeglichen Raumes gestreut, und wir können auf diese Weise jeden Körper beschleunigen, den wir beschleunigen möchten. Das würde bei einem Körper von den Ausmaßen eures Planeten Jahre in Anspruch nehmen, aber wir würden es schaffen. Ich werde es euren Ingenieuren zeigen. Ihr müsstet doch Ingenieure haben.« Aarn warf einen Blick auf die großen Dämme.

»Während wir schliefen, hinderten diese Dämme die Raumstrahlen daran, uns so zu zerstören, wie sie andere Dinge zerstört haben. Wenn du unseren Ingenieuren zeigen kannst, wie es gemacht wird, dann werden wir das auch schaffen. Es hat uns immer vor der langen Nacht gegraust. Es würde eine ununterbrochene Nacht bedeuten; denn sogar diese heiße Sonne besäße bei der ungeheuren Entfernung nur die Größe eines Sterns. Unsere Welt würde nie wieder richtig auftauen. Auf jeden Fall würde es Jahrhunderte dauern, bis unsere Meere wieder zu Wasser würden. Sie sind bis zu einer Tiefe von fast sechs Kilometern zugefroren. Und unsere Welt ist bis in den innersten Kern kalt.«

Eine halbe Stunde später kehrte Spencer widerwillig zur Sunbeam zurück, weil es ihm unmöglich war, die große Schwerkraft länger zu ertragen. Aarn machte sich mit Karshan zur Stadt auf. Der lange Tag von Myrya neigte sich dem Ende zu. Lange Röhren, die unter den Schnitzereien an den Gebäuden verborgen waren, erleuchteten die Straßen mit einem gelblichen Licht. Vereinzelte Lichter zeigten sich in den Fenstern der halb entvölkerten Metropole.

»Ich werde dich zu unserem zentralen Schlafraum führen«, sagte Karshan, als sie sich von dem Hauptplatz der Stadt abwandten. »Du wirst einer Gruppe von Männern begegnen, denen viel daran liegt, dich kennenzulernen. Physiker, Chemiker und Ingenieure. Sie würden gern unsere Probleme mit dir besprechen.«

»Über was für eine Stromquelle verfügt ihr?«, fragte Aarn plötzlich.

»Auch wir nehmen Energie von der Sonne – allerdings indirekt. An einem sicheren Ort außerhalb der Stadt haben wir Apparate, die die Strahlung aufsaugen und auf einer Reihe von Fotozellen konzentrieren. Dort werden sie in Strom umgewandelt. Unsere Stadt ist natürlich die einzige, der eine brauchbare Stromanlage geblieben ist; jetzt haben wir schlechten Strom. Keine unserer Maschinen kann nachts in Gang gehalten werden, es sei denn in dringenden Notfällen. Unser Licht steht nur eingeschränkt zur Verfügung. Und das selbst bei unserer sehr geringen Einwohnerzahl.«

»Wie viele Einwohner habt ihr?«

»Etwa zweitausend Männer und rund zweitausendzweihundert Frauen. Aus irgendwelchen Gründen haben die Frauen den Schlaf besser überstanden. Wir haben zu wenig Männer, um unsere Stadt ordentlich zu verwalten. Glücklicherweise haben wir aber Vertreter aller wissenschaftlichen Gebiete.

So viele von uns sind gestorben. 789500 haben sich zum Schlaf niedergelegt. Mehr konnten wir nicht unterbringen und nur wenige mehr wollten es überhaupt. Sie hinterließen uns Botschaften, als sie starben. Berichte über das, was sich ereignet hat. Nach unserem ersten Aufwachen fanden wir sie und brachten sie an einen sicheren Ort hier in Tarnsor. Wir werden sie dir ebenfalls zeigen. Die Sterbenden haben die Toten beerdigt. Wir, die wir lebten, mussten mehr als siebenhundertachtzigtausend unserer Gefährten beerdigen.«

Aarn verzog das Gesicht. »Was für eine Aufgabe!«

Karshan lächelte leicht. »Es hat uns nicht allzu sehr bekümmert. Es ist schwer, selbst um die liebsten Menschen zu trauern, wenn ein wunderbarer, unglaublicher Traum zur Wirklichkeit wird. Wir haben wieder eine Sonne gesehen. Natürlich hatten viele von denen, die wieder erwacht sind, keine Vorstellung von dem, was wir durchgemacht hatten. Einige andere aber doch. Ich zum Beispiel. Dreimal vor diesem letzten Mal wurde ich wach – und es war immer eine Enttäuschung. Du kannst dir sicher vorstellen, mit welcher Freude ich die Maschinen in Gang gesetzt habe, die alle meine Leute wecken sollten. Selbst als wir feststellen mussten, dass viele – eigentlich fast alle – nie wieder erwachen würden, triumphierten wir in dem Gedanken, dass der Mensch Raum und Zeit erobert hatte. Wir beerdigten sie dann in den Gewölben, in denen sie so lange geschlafen hatten. Sie werden es niemals wissen.«

Vor einem langgestreckten niedrigen Gebäude, dessen Räume fast alle erleuchtet waren, hielten sie an. Hier gab es vier Türen, durch die dauernd Menschen ein und aus gingen.

»Das sind die Unterkünfte für die Unverheirateten«, erklärte Karshan. »Zurzeit sind die meisten unserer Leute unverheiratet. Die Jungen haben alles in größerer Anzahl überstanden, und als so viele starben, trennten wir die noch existierenden Paare, bis auf drei. Wir fangen das Leben von vorne an, jeder Einzelne von uns. Seit dem Erwachen hat es viele Heiraten gegeben und unsere Bevölkerung nimmt wieder zu.« Ein Lächeln erhellte sein breites Gesicht.

Sie gingen durch eine große, zentral gelegene Vorhalle, in der die Menschen es sich in Sesseln und auf Sofas gemütlich machen konnten. Alle Köpfe drehten sich nach ihnen um. Sie betraten einen Aufzug, der sie schnell in den siebten Stock hinauftrug. Ein kurzer Gang durch einen breiten Korridor brachte sie in den großen Hörsaal, in dem ihnen fünfzig Männer erwartungsvoll entgegensahen. Das Summen ihrer mündlichen Unterhaltung hörte auf, als sich sämtliche Augen auf Aarn richteten.

Mit zwei Ausnahmen waren alle in die golddurchwirkten Gewänder der Stadtbewohner gekleidet. Zwei jedoch – mittleren Alters – trugen Gewänder in leuchtendem Weiß, so wie Karshan.

Aarn folgte den drei Weißgekleideten zum Podium am Ende des Saales. Karshan trat sofort zum Rednerpult und stand einen Augenblick schweigend da. Dann begann seine telepathische Mitteilung, diesmal allerdings abgeschwächt, da sie nicht an eine Einzelperson gerichtet war:

»Männer! Ihr wisst, welch außerordentliches Ereignis eingetreten ist. Es scheint, als habe uns der Ewige Geist geprüft und für gut befunden; sicherlich hat Er uns zugelächelt. Aarn, der Mann aus einer anderen Sonnenwelt, hat uns in diesem kritischen Augenblick die Lösung unseres schweren Problems gebracht. Es scheint, als würde unsere Eroberung der unerbittlichen Natur zum Abschluss kommen. Aarn bietet uns die Möglichkeit, Tarns auf direktem Weg anzuzapfen, durch einen Strahl mit leitender Kraft, dessen Wirkungsweise selbst ich als Astrophysiker kaum verstehen kann. Wie dem auch sei, er wird uns an einem Leitstrahl entlang Strom von der Sonne bringen. Damit dürfte das Kälteproblem für diesen Winter gelöst sein. Darüber hinaus aber hat er das Geheimnis der Bewegungsgesetze gelöst. Im Gegensatz zu Rashan benötigt er keinerlei Stützpunkt, um unsere Welt zu bewegen. Er kann die neue Bahn unseres Planeten in eine kreisförmige umwandeln oder uns zumindest zeigen, wie das gemacht wird. Die Ingenieure müssen es lernen. Das wird zwar eine schwere Aufgabe sein – aber was bedeutet ein solches Problem jetzt noch für uns?« Ein leises Lächeln ging wie ein Seufzer durch die Zuhörer.

»Auf alle Fälle«, fuhr Karshan fort, »wird Myrya ganz und gar bewohnbar gemacht werden. Aber Aarn hier hat sich im Raum verirrt. Er bittet uns, ihm zu helfen, Raumspuren zu finden, die ihm den Weg nach Hause anzeigen können. Seine Schwierigkeit besteht darin, dass er in kürzester Zeit die Sternsysteme außerhalb der Milchstraße bestimmen muss, die ihm bekannt sind. Wie das bewerkstelligt werden soll, weiß ich nicht. Ich bitte um Vorschläge in dieser Richtung und darum, dass diese Vorschläge telepathisch gemacht werden.«

Es folgte eine Zeit angespannter Ruhe, eine Zeit des Nachdenkens. Schließlich erhob sich einer der Männer. »Ich kann nur einen Weg sehen – die fotografische Darstellung des gesamten Himmels. Es ist eine Aufgabe, die wir unmöglich in weniger als zwei neuen Myryajahren bewältigen können. Mindestens eintausend Tage würden benötigt werden, um ein geeignetes Teleskop zu konstruieren, denn im Augenblick haben wir keines. Und weitere zwei Jahre – vielleicht sogar drei – würden wir brauchen, um die verschiedenen Sternsysteme aufzunehmen. Ich fürchte, es könnten sich technische Schwierigkeiten ergeben, mit denen wir nicht fertigwerden. Dazu kommt, dass man, wenn die Bahn unseres Planeten in Kürze geändert werden wird – und das muss sein –, eine Zeitspanne von wenigstens zehn Umkreisungen wird einrechnen müssen, um die Schwingungen zur Ruhe kommen zu lassen und abzudämpfen. Gleiches gilt für die Berechnung der Störungen, die von anderen Planeten unseres Systems verursacht werden könnten.«

»Das war mir klar«, sagte Aarn und stand auf. »Ich weiß, dass es euch unmöglich ist, uns zu helfen. Wir werden aufbrechen, um nach einer anderen Spezies zu suchen, die mehr Glück gehabt hat als ihr. Ehe wir aber fortgehen, werde ich euch einige Hinweise geben, die eure Arbeit, dieses System kartografisch festzulegen, beschleunigen können. An erster Stelle sind natürlich Raumschiffe notwendig, die es euch ermöglichen werden, den Sprung von Welt zu Welt zu machen. Das Zweite werden die Instrumente sein, durch die ihr sofortige und genaue Angaben über die Schwerkraftfeldstärken jedes Planeten erhalten könnt, dazu Impulsmesser, um die entsprechende Bewegung zu messen. Ich besitze genauere Einzelheiten über den Orbit eures Planeten als ihr selbst, und das verdanke ich ebenjenen Instrumenten. Ich gebe euch alles, worüber wir verfügen. Als Gegenleistung würde ich gern die Geschichte hören, wie ihr die Raumkälte überlebt habt, die umso erstaunlicher sein muss, als ihr doch gar nicht für so etwas ausgerüstet gewesen seid.«

Sechs Stunden später war eine Kommission von Ingenieuren und Physikern ernannt worden, die mit Aarn Munro und Russel Spencer die benötigten Apparate studieren sollte.

3

Aarn ging mit Karshan immer tiefer in den soliden Granitfelsen hinab. Schwach glühende Röhren erleuchteten den Schacht, als der kastenförmige Aufzug langsam an seinen Zahnrädern in die Tiefe rollte. Bei der enormen Schwerkraft dieser Welt hätte kein Kabel den Aufzug halten können, wie er da fast einen halben Kilometer tief in das Innere Myryas eindrang. Je tiefer der kleine Kasten sank, desto kälter wurde es.

»Wir haben Heizvorrichtungen«, erklärte Karshan mit einem Achselzucken, »aber was bedeutet das schon? Etwa sechstausend Tage lang sind sie auf vollen Touren gelaufen, und wenn wir sie abstellen würden, würde sich die Luft selbst jetzt noch verflüssigen und in wenigen Tagen in festes Eis verwandeln. Innerhalb von zwanzig Tagen würde der halbe Schacht mit Matsch aus gefrorener Luft angefüllt sein.«

Die schrecklich beißende Kälte durchdrang selbst die schweren Isolieranzüge, die sie trugen; sie wurde immer spürbarer, bis sie, nachdem die Hälfte des Weges zurückgelegt war, die tiefste Temperatur erreichte und dann konstant blieb. Langsam flossen schmutzige Bächlein an den nackten Felswänden herab; der Lift lief mit dem leichten Rumpeln seiner gekuppelten Räder in den Gleisen, die in die Wand eingelassen waren.

»Die Schienen sind wohl brüchig vor Kälte?«, fragte Aarn.

»Sie sind nicht kalt, da sie zugleich die Heizgeräte sind«, erklärte Karshan. »Wir lassen einen besonders starken Strom durch sie hindurchlaufen – der Motor des Wagens wird auch damit gespeist –, und es ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass sie so spröde wie Glas werden.«

»Ich hatte angenommen, es würde bei zunehmender Tiefe wärmer werden, so wie auf den meisten Planeten«, bemerkte Aarn.

»Das war auch auf unserem so, als wir uns zum ersten Mal zum Schlaf legten. Jetzt aber ist er zu alt.«

»Zu alt?« Aarn verfiel in Schweigen. Die Erde war etwa zwei Milliarden Jahre alt und ihre Oberfläche wurde durch die Radioaktivität der Gesteine erwärmt. Diese Radioaktivität würde noch für weitere Milliarden von Jahren weiterbestehen. Aber … Milliarden von Jahren! Dieser Planet war zu alt!

Endlich hielt der Wagen. Ein in den Felsen gehauener Tunnel lief auf der rechten Seite in einen sanften Bogen aus, der von langen orangeroten Lichtstäben erleuchtet wurde. Aarn fühlte die Wärme, die sie ausströmten, und stellte fest, dass in ihnen Beleuchtung und Heizung kombiniert waren.

»Sind die immer in Betrieb?«

»Ja, jederzeit«, nickte Karshan. Der Weg machte erneut einen Bogen und führte in eine größere Kammer, aus der drei Gänge hinausführten. Karshan hielt an, überlegte kurz und schlug schließlich den Weg zur Linken ein.

»Ich werde dich zuerst zum Refugium führen. Dort bekommst du einen Begriff von den Betten, in denen wir gelegen haben. Das ist der Raum, in dem auch die Wissenschaftler geschlafen haben. Zehntausende lagen einst hier.«

Sie betraten den Raum, ein riesiges Zimmer, das große Steinbehälter enthielt. Auf dem Boden eines jeden Behälters zeichneten sich die Abdrücke eines menschlichen Körpers ab. »Hier lagen wir. Dies war meiner«, sagte Karshan. Der Behälter lag in der Nähe des Eingangs – einer aus einer Gruppe von sieben, die eng beieinanderstanden. Ein Zeichen war gleich daneben in den Boden geschnitten. Das myryanische Symbol für die Zahl eins.

»Ich bin Nummer drei der Gruppe eins gewesen.«

Schweigend wies Karshan den Weg zu einer Ecke des gigantischen Raumes. In einem Alkoven war eine vollständige Kraftstation aufgestellt. Riesige Oszillatorröhren waren sichtbar.

»In jede dieser Röhren«, erklärte Karshan, »ist eine Spule aus schwerer Silberrohrleitung eingewickelt. Durch sie kann der Apparat einen machtvollen Hochfrequenzstrom hindurchsenden. Im Boden jeder einzelnen Röhre befindet sich eine mit gezackter Oberfläche versehene Elektrode, die die feste und flüssige Luft, die sie unvermeidlich füllen würde, verdampfen soll. Wir haben in besonderen Anzügen geschlafen, die uns, wenn wir einmal warm waren und wieder aufgewacht sind, vor der Kälte schützen sollten. Sie enthielten Behälter mit Luft, die uns zwei Tage lang versorgen konnten. Wenn wir innerhalb dieser Zeit nicht zu Bewusstsein kamen … Wir wussten seit fast zwei Generationen, was uns bevorstand, verstehst du? Ein Teil unserer Wissenschaftler arbeitete beständig daran, entweder Klarheit darüber zu bekommen, wie wir mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Raum fliehen könnten, oder das Geheimnis der Energie der Materie zu lüften. Andere wieder haben daran gearbeitet, Mittel zu finden, die uns die Kälte überstehen ließen. Marlan fand das Geheimnis des Schlafes drei Generationen vor der Katastrophe. Wir setzten alle Hoffnung darauf. Wir erbauten die Stadt, immer mit dem Gedanken, dass solch ein Unternehmen Zeit kostete und unser Refugium hier aufgegeben werden könnte, sobald wir die anderen Geheimnisse entdeckten. Diese Kammern hier befinden sich tief unter dem Fels der Stadt. Die Dämme sollten unsere Maschinen schützen. Dort oben hatten wir eine weite Bank von Fotozellen.

Aber ich muss dir das der Reihe nach erzählen. Die Astronomen sahen und erkannten die Gefahr zuerst. Tharl, eine große rote Sonne, bewegte sich auf uns zu. Wir wussten das so lange nicht, bis das Spektroskop erfunden wurde. Erst Jahre später erkannten wir, dass sie sich nicht nur auf uns zu, sondern sich auch direkt gegen uns bewegte. Unsere Sonne Shaln war ein normaler gelber Stern. Wir erkannten, was kommen würde. Unser Planet war gerade besonders weit von seiner Sonne entfernt und Tharl würde ganz in unserer Nähe vorbeiziehen. Es war eine furchtbare Zeit. Tharl glühte wie ein rotes Auge und im Laufe unseres Lebens wuchs sie unmerklich. Und doch konnten wir nicht einmal sagen, dass sie wuchs. Unsere Wissenschaftler taten ihr Möglichstes. Menschen wurden geboren, lebten und starben – und wussten von dem Verhängnis unserer Welt. Damals wandten sich viele der Physik und der Chemie zu.

In meiner Jugend war uns Tharl so nahe, dass ich sie durch ein kleines Teleskop beobachten konnte. Planeten waren keine da. Unsere Bahn wurde schon beeinflusst, denn Tharl war gigantisch und ihr Gravitationsfeld hatte eine Reichweite von Hunderten von Milliarden von Kilometern. Ungefähr zwei Lichtjahre, um genau zu sein. Ich habe Astrophysik studiert, und als ich noch ein junger Mann war, wurden dann die genauen Berechnungen aufgestellt. Einige glaubten, unsere Planeten würden in Tharl hineingeschleudert werden. Andere nahmen an, Tharl würde uns einfangen. Wieder andere meinten, dass unsere eigene Sonne explodieren und uns mit einer Sintflut aus Feuer vernichten würde.