Der Vagusnerv - Heike Bueß-Kovács - E-Book

Der Vagusnerv E-Book

Heike Bueß-Kovács

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Beschreibung

Erschöpft, gestresst & krank?
Aktivieren Sie Ihren Vagusnerv und bringen Sie Körper, Geist und Seele wieder ins Gleichgewicht


Der Vagusnerv ist der Schlüsselnerv für die Balance von Körper, Geist und Seele. Ruhelosigkeit und Stress verursachen beim Menschen viele körperliche und seelische Beschwerden. Wer unter Stress und anhaltender Erschöpfung leidet, läuft oft von einem Arzt zum nächsten, ohne dass ihm wirklich geholfen werden kann. Dabei kann eine einfache Beruhigung des Vagusnervs viele Erkrankungen, die aufgrund einer Überreizung entstanden sind, lindern und heilen.

Migräne, Tinnitus, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen, Ängste und Depressionen, innere Unruhe oder Burnout haben fast immer eine seelische Komponente. Am Anfang steht Stress, der nicht mehr abgebaut werden kann, oder eine Überforderung, für die es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt. Die Nerven sind überreizt und der Körper reagiert mit den bekannten Symptomen.

Wie wichtig der Vagusnerv tatsächlich ist, erkennen Sie daran, dass er nahezu alle Organe im Körper steuert. Über ihn laufen die Signale vom Gehirn zu allen wichtigen Organen und Muskeln und auch wieder zurück zum Gehirn. Somit steuert und beeinflusst er eine große Bandbreite an Körperfunktionen.

Ist die Funktion des Vagusnervs durch Überreizung gestört, kann sich auch der Körper nicht mehr erholen und zahlreiche Krankheiten sind die Folge.

Aktivieren Sie Ihren Vagusnerv. So finden Körper und Seele in ihre natürliche Balance zurück, in der die Selbstheilungskräfte ihre machtvolle Wirkung entfalten können.

Dieses Buch ist eine wahre Fundgrube an wissenschaftlich bestätigten Informationen und wirkungsvollen Übungen, die Sie benötigen, um sich die bemerkenswerten Heilkräfte Ihres Vagusnervs nutzbar zu machen und Ihre Selbstheilungskräfte zu stärken.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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1. Auflage Juni 2020 2. Auflage November 2020 3. Auflage Februar 2022 Copyright © 2020, 2022 bei Kopp Verlag, Bertha-Benz-Straße 10, D-72108 Rottenburg Alle Rechte vorbehalten Covergestaltung: Laura Hönes Satz und Layout: opus verum, München ISBN E-Book 978-3-86445-763-0 eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck Die veröffentlichten Ratschläge wurden mit größter Sorgfalt vom Verfasser und Verlag erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden. Ebenso ist eine Haftung des Verfassers bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ausgeschlossen.

Gerne senden wir Ihnen unser Verlagsverzeichnis Kopp Verlag Bertha-Benz-Straße 10 D-72108 Rottenburg E-Mail: [email protected] Tel.: (07472) 98 06-10 Fax: (07472) 98 06-11Unser Buchprogramm finden Sie auch im Internet unter:www.kopp-verlag.de

Die Autorin

Die Autorin: Dr. med. Heike Bueß-Kovács ist Ärztin und Medizinjournalistin. Neben ihrer Tätigkeit als freie Redakteurin und Moderatorin hat sie zahlreiche Zeitschriftenartikel und Ratgeber rund um die Themen Gesundheit, Prävention, Medizin und Forschung veröffentlicht.

Vorwort

Vorwort

Wir alle leben in einer Stressgesellschaft, die sich permanent auf der Überholspur befindet. Kein Wunder also, dass stressbedingte Krankheiten wie nervöse Verdauungs- und Herzbeschwerden Infektanfälligkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen, Depressionen, Ängste und Gereiztheit drastisch zunehmen. Bei nicht wenigen Stressgeplagten mündet das körperliche und seelisch-geistige Dauerungleichgewicht in einen Burnout. In diesem Zustand drohen ernsthafte Leiden wie Herzinfarkt, Krebserkrankungen oder Multiple Sklerose, die nicht ohne Weiteres heilen oder schlimmstenfalls sogar zum Tod führen.

Es gibt einen Schlüsselnerv, der für die Balance von Körper, Geist und Seele von eminenter Bedeutung ist: der Vagusnerv. Man nennt ihn auch ganz poetisch den Ruhenerv, der – wenn er gut arbeiten darf – dem ganzen Stress ein Ende bereiten kann und dem Körper wieder Harmonie und Ausgeglichenheit zurückgibt.

Es ist gar nicht schwer, den Ruhenerv zu aktivieren. Eine Umstellung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, Bewegung in der Natur, Zeit für Pausen und entspannende Momente sowie Maßnahmen der Naturheilkunde sind bereits sehr effektiv. Wenn Sie dazu noch die 10 Selbstheilungsübungen in den Alltag integrieren, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen, werden Sie schnell merken, wie Sie zu neuer Frische, Vitalität und Balance finden und sich selbst grundlegend umstimmen. Auch Ihr Umfeld wird es Ihnen danken, wenn Ihr Partner, Ihre Kinder, Ihre Arbeitskollegen und Freunde Sie als heiteren, in sich ruhenden Menschen erleben, mit dem man gerne Zeit verbringt.

In diesem Ratgeber erfahren Sie alles Wichtige zum Vagusnerv, seine Funktionsweisen und sein Zusammenspiel mit anderen Nerven im Körper. Sie erhalten interessante Informationen über die Krankheiten und Beschwerden, die mit einer Disbalance in unserem Nervensystem zusammenhängen und den Ruhenerv in Mitleidenschaft ziehen.

Im praktischen Teil finden Sie viele Tipps und Ratschläge für eine gesunde Lebensführung sowie die 10 Übungen, die Ihre psychische Widerstandsfähigkeit in Stresssituationen und somit Ihre Resilienz stärken.

Was ist das vegetative Nervensystem?

Unser vegetatives Nervensystem ist eines der wichtigsten Systeme, das unsere Organe, unser Unterbewusstsein und damit auch unsere Gefühle und Intuition steuert. Der Vagusnerv spielt in diesem System die wichtige Rolle, uns zu Ruhe und Entspannung zu bringen. In diesem Kapitel gehen Sie auf eine interessante Reise zu Ihrem Ruhenerv!

Die Nervenautobahn

Eine Schlüsselrolle in der Wechselwirkung zwischen dem Gehirn und den Organen spielt das sogenannte vegetative Nervensystem. Es entzieht sich unserem Willen und damit der bewussten Beeinflussung.

Das vegetative Nervensystem besteht aus zwei großen Nervensträngen, die man sich wie mächtige Datenautobahnen vorstellen kann: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Neben dem enterischen Nervensystem – dem Nervengeflecht des Darms – gehört der Vagusnerv, den Sie in diesem Buch genau kennenlernen werden, zum Parasympathikus. Auf den Autobahnen des vegetativen Nervensystems werden fortlaufend Impulse aus den tiefen Gehirnschichten zu den Körperorganen und wieder zurück gesendet. Dabei fungiert der Sympathikus als eine Art Beschleuniger: Mit der Freisetzung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin aktiviert er das Organgewebe, erweitert die Atemwege, beschleunigt den Herzschlag und treibt den Blutdruck in die Höhe. Diese Sympathikus-Reaktion wird in der Natur benötigt, um Kampf- und Fluchtverhalten auszulösen und Mensch wie Tier Rettung aus Gefahrensituationen zu ermöglichen. Aber auch in alltäglichen Stresssituationen, etwa einer Auseinandersetzung mit dem Chef, einem drängelnden Autofahrer oder einem unerfreulichen Brief vom Finanzamt spielt das »Beschleuniger-System« des Sympathikus eine große Rolle, wie Sie später noch erfahren werden.

© Wikimedia: Eigenes Werk

Beim menschlichen Nervensystem wird zwischen dem Zentralnervensystem (ZNS) mit Gehirn und Rückenmark und dem restlichen, peripheren Nervensystem, das den ganzen Körper durchzieht, unterschieden. Darüber hinaus ist bei der Einteilung das Kriterium bedeutsam, ob das Nervensystem willentlich beinflussbar ist oder ob es zum vegetativen, nicht beeinflussbaren System gehört. Das vegetative Nervensystem wird in einen sympathischen (Sympathikus) und einen parasympathischen Teil (Parasympathikus) unterteilt, die Gegenspieler sind.

Der Parasympathikus ist quasi der Gegenspieler des Sympathikus und stellt für den Organismus so etwas wie eine Bremse dar. Er sorgt für Entspannung und Ausgleich. Sein Botenstoff Acetylcholin senkt die Herzfrequenz und damit den Puls, verengt die Atemwege und steigert die Bewegung des Darms, was einer Verdauung in Ruhe entspricht. In jeder Sekunde regulieren diese beiden Systeme die vegetativen Vorgänge in unserem Inneren. Unter normalen Bedingungen besteht eine Ausgewogenheit zwischen ihren Aktivitäten – Sympathikus und Parasympathikus halten sich also die Waage und reagieren angemessen auf die Signale, die von außen kommen. Ein Reh hat so beispielsweise die Möglichkeit, kraft seines Sympathikus in Habachtstellung zu gehen, wenn es Gefahr wittert und nötigenfalls die Flucht zu ergreifen, um dann – parasympathisch gesteuert – wieder ruhig und gelassen der Futtersuche nachzugehen, wenn es keine Warnsignale mehr empfängt.

© AdobeStock: Alila Medical Images

Bei den meisten Tierarten und sogar bei unseren Haustieren funktioniert dieses »Anspannungs-Entspannungs-System« noch perfekt. Vielen Menschen jedoch macht ein Ungleichgewicht der vegetativen Steuerungsfunktionen zunehmend zu schaffen, wobei die Aktivität des Sympathikus über die Maßen gesteigert ist und der Parasympathikus keinen Ausgleich mehr zu leisten vermag. Woran liegt das? Wissenschaftler aus der Stressforschung machen vor allem die Lebensbedingungen unserer modernen Industrie- und Kommunikationsgesellschaft dafür verantwortlich: Hektik, Leistungsdruck, Konkurrenzdenken, Reizüberflutung, Überlastung, Einsamkeit, zu wenig Harmonie in den zwischenmenschlichen Beziehungen, zu viele Konflikte, immer weniger Geborgenheit in Familie und Partnerschaft, immer mehr Unsicherheit und Angst. Hinzu gesellt sich noch eine stressauslösende Enge in U-Bahnen, auf den Straßen und in Wohnsiedlungen. Das alles wirkt sich auf die vegetative Steuerung in unserem Organismus so aus, als befände man sich ständig im Ausnahmezustand. Der Körper ist quasi in Daueralarmbereitschaft, auf Kampf oder Flucht programmiert so wie bei unseren Steinzeitvorfahren, wenn sie dem Säbelzahntiger zu entrinnen versuchten und auf den nächsten Baum flüchteten. Das wirklich Gefährliche an dieser vegetativen Fehlregulation ist, dass es kaum noch »Entwarnung« gibt und die Zellen des Körpers unter einem adrenergenen Dauerbombardement stehen. Im schlimmsten Fall kann dies zur Entgleisung und zum völligen Zusammenbruch des Systems führen, was sich in bedrohlichen Krankheitsprozessen wie dem Burnout-Syndrom (s. Seite 45) offenbart. Doch es muss gar nicht erst dieser Worst Case eintreten: Auch schon in viel früheren Stadien zeigen sich oft schon die Folgen des vegetativen Ungleichgewichts – zum Beispiel, indem ein hoher Adrenalinspiegel und ständige Anspannung zu Gefäßverkrampfungen und Durchblutungsstörungen führen. Die schlechtere Blutversorgung wirkt sich im gesamten Organismus negativ aus. Sie kann die Organe und das Immunsystem schwächen und viele Probleme wie Migräne, Rückenschmerzen, Rheuma, Allergien, eine erhöhte Infektanfälligkeit oder sogar die Entstehung von Krebserkrankungen nach sich ziehen. Den Vagusnerv zu stärken, ist in der heutigen Zeit deshalb wichtiger denn je. Auf den folgenden Seiten lernen Sie Ihren Ruhenerv daher genau kennen.

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Was genau ist der Vagusnerv?

Der Vagusnerv ist ein sehr langer, paariger Nervenstrang, der vom Hirnstamm ausgehend den ganzen Körper durchzieht. Seinen Namen verdankt er dem lateinischen Wort vagari. Dies bedeutet so viel wie »umherschweifen« oder »umherwandern«. Die Anatomen nannten den Nerv so, da er sich ihnen zunächst als eher unspezifisch präsentierte und sie seine vielfältigen Funktionen nicht genau zuordnen konnten. Heute weiß man aber sehr genau, welche Aufgaben der Vagusnerv an den verschiedenen Organen hat. So stimuliert der Nervus vagus, der auch als zehnter Hirnnerv (N. X) bezeichnet wird, beispielsweise die Magensäure, kontrolliert die Darmbewegungen während der Verdauungstätigkeit, reguliert den Herzrhythmus und die Atemfrequenz und ist an verschiedenen anderen Funktionen wie der Schweißregulation, dem Hungergefühl, der Speichel- und Tränenbildung und der mentalen Verfassung beteiligt.

Intelligente Kommunikation zwischen Kopf und Körper

Um sich vorstellen zu können, wie der Vagusnerv all diese verschiedenen Aufgaben ausüben kann, unternehmen Sie hier einen kleinen Ausflug in die Welt des Gehirns und der nervalen Kommunikation. Das Gehirn eines Erwachsenen wiegt ungefähr 1,5 Kilogramm. 40 Prozent dieses Gewichts entfallen auf die tief gefaltete und gewundene Hirnrinde, den sogenannten Neokortex. Die Hirnrinde fungiert als Zentrale zur Steuerung unserer Sinneswahrnehmungen sowie unserer Fähigkeit zu planvollem Denken und Handeln. Das Gehirn teilt sich in zwei Hälften, die Hemisphären. Sie sind durch den Hirnbalken verbunden, ein dichtes Nervenfaserpaket, das den lateinischen Namen Corpus callosum trägt. Über diesen Balken werden die Prozesse beider Hemisphären exakt koordiniert. Im Inneren des Gehirns unter dem Neokortex befinden sich die primitiveren und älteren Hirnstrukturen. Im limbischen System mit dem Hypothalamus, Hippocampus und den Mandelkernen werden Gefühle und Triebe wie Hunger, Durst oder Sexualität verarbeitet und viele Körperfunktionen mitgesteuert. In der sogenannten Medulla oblongata erfolgt die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen wie Herzschlag, Atmung oder Blutdruck. Hier befindet sich auch der Übergang vom Gehirn zum Rückenmark. Das angrenzende Kleinhirn im hinteren, unteren Abschnitt des Gehirns schließlich ist vor allem für die Koordination von Körperbewegungen und die Erhaltung des Gleichgewichts nötig.

Das kognitive und das emotionale Gehirn

Der französische Neurowissenschaftler und Autor David Servan-Schreiber (1961–2011) unterteilt in seinem Buch Die Neue Medizin der Emotionen unser Gehirn in ein kognitives und ein emotionales Gehirn. Dabei bezieht er sich unter anderem auch auf die Forschungsarbeiten des bekannten amerikanischen Arztes und Hirnforschers António Damásio. Dieser sieht unser psychisches Leben, die Gestaltung unseres Daseins, unser Verhalten und unsere Ausdrucksweise »als einen fortwährenden Versuch einer Symbiose zwischen den beiden Gehirnen«. Auf der einen Seite ist das kognitive Gehirn – bewusst, rational und der Außenwelt zugewandt. Ganz anders hingegen das emotionale Gehirn: »unbewusst, zuförderst aufs Überleben bedacht und vor allem – in engem Kontakt mit dem Körper«.

Die beiden Gehirne sind relativ unabhängig voneinander und beeinflussen auf sehr unterschiedliche Weise unsere Lebenserfahrung sowie unser Verhalten. Die Unterschiedlichkeit zeigt sich sogar im Nervengewebe selbst und nicht nur über dessen Funktion. Während im Neokortex, also der evolutionsbiologisch relativ jungen obersten Schicht unseres Gehirns, die Neuronenschichten komplex strukturiert und klar angeordnet sind, stellen die Nervenzellen des limbischen Systems sich eher wie verschmolzen und daher als viel rudimentärere Strukturen dar. Im Übrigen verbindet diese primitivere Schicht die Menschen mit allen Tieren, ja, selbst mit den Reptilien. Denn alle Geschöpfe aus der Tierwelt – der wir Menschen biologisch gesehen auch angehören – verfügen über diese archaische Gehirnstruktur. Doch trotz seiner vergleichsweise einfachen Strukturierung laufen die Reaktionen im emotionalen Gehirn viel schneller ab und sind deshalb in höherem Maße für elementare Überlebensstrategien geeignet, so Servan-Schreiber. »Aus diesem Grund kann beispielsweise im Halbschatten eines Waldes ein Stück Holz, das auf dem Boden liegt und einer Schlange gleicht, eine Angstreaktion auslösen«, erläutert er weiter. »Noch ehe das übrige Gehirn die Analyse abschließen und zu dem Schluss kommen kann, dass es sich um etwas Harmloses handelt, hat das emotionale Gehirn, ausgehend von sehr bruchstückhaften und oft sogar falschen Informationen, bereits die Überlebensreaktion ausgelöst, die ihm am geeignetsten erschien.«

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Das ideale Zusammenspiel

Beide Gehirne, das kognitive und das emotionale, nehmen die Informationen aus der Außenwelt nahezu gleichzeitig auf. Danach könnten sie entweder gut zusammenarbeiten oder aber einander die Kontrolle über Denken, Gefühle und Verhalten streitig machen, erklärt Servan-Schreiber. Das Resultat dieser Interaktion – Kooperation oder Konkurrenz – bedinge, was wir fühlen, und bestimme unser Verhältnis zur Welt und zu anderen Menschen. Konkurrenz mache uns unglücklich, Kooperation hingegen zu einem Menschen, der in Harmonie mit seiner Umwelt und seinen persönlichen Beziehungen leben kann. »Ergänzen sich die beiden Gehirne und gibt das emotionale Gehirn die Richtung vor, wie wir unser Leben gestalten wollen, während das kognitive Gehirn uns dazu bringt, so klug wie möglich in ebendieser Richtung vorwärtszugehen, verspüren wir eine innere Harmonie, die uns sagt: ›Ich bin genau da, wo ich in meinem Leben sein möchte.‹« Wie Sie diese Kooperation statt Konkurrenz über Ihren Ruhenerv stärken können, werden Sie in diesem Buch erfahren.

Kooperation oder Konkurrenz?

Das limbische System in der Tiefe unseres Gehirns kann man sich wie einen Kontrollposten vorstellen. Es wird auch Emotionsgehirn genannt und überwacht alle physiologischen Reaktionen wie Atmung, Herzschlag, Blutdruck, Appetit, Schlaf, Libido, die Ausschüttung von Hormonen, die Tätigkeit von Immunzellen und vieles mehr. Dabei ist es auf Informationen aus dem peripheren Nervensystem angewiesen – und damit auch ganz stark auf das Feedback vonseiten des Vagusnervs.

Dagegen hat unser Neokortex, die »neue Rinde«, an der Oberfläche des Gehirns ganz andere Aufgaben. Der Neokortex ist im Wesentlichen für unsere intellektuellen Fähigkeiten zuständig und reguliert Wahrnehmung, Sprache und Denken. Der sogenannte präfrontale Kortex, eine Großhirnrindenstruktur hinter Stirn und Augen, ist bei uns Menschen besonders hoch entwickelt. »Über den präfrontalen Kortex steuert der Neokortex Achtsamkeit, Konzentration, Hemmung oder Unterdrückung von Impulsen und Instinkten sowie die sozialen Beziehungen und sogar, wie Damásio gezeigt hat, das moralische Verhalten«, erklärt David Servan-Schreiber. »Der Neokortex, unser kognitives Gehirn, stellt eine wesentliche Komponente unseres Menschseins dar.«

Dieses Menschsein im positivsten Sinne – also mit unseren Fähigkeiten, Begabungen und Werten wie logisches Denken und Handeln, Konzentration, Empathie, Mitgefühl, Respekt, Liebe und Nächstenliebe – können wir jedoch nur hervorbringen, wenn das emotionale und das kognitive Gehirn gleichberechtigt und harmonisch zusammenarbeiten – wir also »mit uns und unserer Umwelt im Reinen sind«. Das bedeutet natürlich nicht, dass man nur noch auf Wolke sieben schweben und alles durch die sprichwörtliche rosarote Brille betrachten soll. Dispute und Krisenzeiten gehören genauso zum Leben wie Freude und Unbeschwertheit. Es sind die beiden Seiten derselben Medaille.

Allerdings ist von zentraler Bedeutung, wie man mit den Höhen und Tiefen des Lebens umgeht. Es gilt also darauf zu achten, dass das Pendel weder gänzlich auf die rein rationale noch auf die emotionale, trieb- und instinktgesteuerte Seite ausschlägt. Beide Extreme wirken destruktiv, erzeugen Stress und damit Krankheit.

Welche machtvolle Rolle der Ruhenerv dabei spielt, indem er uns immer wieder im wahrsten Sinne »in die Mitte« zu bringen versucht, lesen Sie in den folgenden Kapiteln.

Wunderwerk aus Milliarden Nervenzellen

Das Gehirn unterscheidet den Menschen von allen anderen Lebewesen am stärksten. Es birgt eine fantastische Welt, unvorstellbar groß, unvorstellbar komplex und immer noch voller Geheimnisse. In dem gigantischen Netzwerk von vielen Tausend Kilometern Nervenleitung und über 100 Milliarden Nervenzellen spielen sich täglich faszinierende elektrische und biochemische Prozesse ab, werden täglich Höchstleistungen an Informationsverarbeitung vollbracht, die kein Supercomputer auf dieser Welt zuwege bringen könnte. Dabei hat die Natur das menschliche Gehirn mit einem riesigen Fassungsvermögen ausgestattet: Seine Kapazität würde für einige Hundert Jahre Denk- und Gefühlsleistung sowie andere neuronale Aktivität reichen.

Allerdings braucht es zum Erhalt der Gehirnleistung ein regelmäßiges Training, sonst beginnen die Nervenverbindungen zu verkümmern, der Geist fängt an zu altern. Wie funktioniert das neuronale Netzwerk genau? Was befähigt ein Baby, laufen oder sprechen zu lernen; einen Pianisten, Beethoven zu spielen; eine Eiskunstläuferin, den doppelten Rittberger zu springen oder uns alle, einfach nur die unzähligen Dinge des Alltags zu bewältigen? Bei jedem Gedanken, jedem Gefühl und jeder Handlung bilden sich Nervenschaltkreise. Jedes Neuron – so die Fachbezeichnung für eine Nervenzelle – hat einen schwanzartigen Fortsatz, der als Axon bezeichnet wird und sich wie die Finger einer Hand verzweigt. Darüber hinaus besitzt ein Neuron zahlreiche Anhängsel, die als Rezeptoren, also »Empfangsstellen« für ankommende Signale, dienen. Diese Rezeptor-Anhängsel werden Dendriten genannt.

Jedes Axon einer Nervenzelle reicht nah an die Dendriten eines anderen Neurons heran, ohne sie jedoch zu berühren. Zwischen ihnen bestehen nämlich winzige Zwischenräume. In diesen als Synapsen bezeichneten Räumen findet die eigentliche Informationsübertragung des Gehirns statt. Wird eine Nervenzelle durch einen Reiz in einen Erregungszustand versetzt, sendet sie einen elektrischen Impuls aus, der zum Axon geleitet wird und dort bis zum Ende, also bis zur Synapse, weiterläuft. Normalerweise wäre hier die Reise des elektrischen Impulses beendet, da ja ein Zwischenraum das Axon von anderen Nervenbahnen trennt. Allerdings existieren in diesem synaptischen Spalt sogenannte Neurotransmitter, dazu später mehr. Hierbei handelt es sich um spezielle chemische Botenstoffe, die den Spalt überbrücken und so das Signal zur nächsten Nervenzelle weiterleiten können. Man kann sie sich wie kleine Fährschiffe vorstellen, die den Impuls auf der einen Seite des synaptischen Spalts abholen und auf die andere Seite hinübertransportieren.

Eine einzige Nervenzelle vermag bis zu 10 000 Synapsen auszubilden! Je aktiver wir sind, je öfter wir unser Gehirn benutzen und je mehr wir lernen, desto größer wird die Zahl solcher Schaltstellen und desto dichter ist das neuronale Netzwerk geknüpft.

Netzwerk aus Gehirn, Nerven, Immunsystem und Stoffwechsel

Nerven und Gehirn stehen über die komplexen Kommunikationsmechanismen auch mit dem Immunsystem, dem Stoffwechsel sowie allen anderen Systemen unseres Organismus in ständigem Austausch miteinander. Die Neurotransmitter haben bei dieser Kommunikation Schlüsselfunktionen. Ohne diese biochemischen Botenstoffe könnte unser Gehirn überhaupt nicht arbeiten, es kämen keine Übertragungen von Informationen an den Nervenleitungen zustande – und damit wären wir weder fähig, Gedanken zu entwickeln, noch Gefühle zu empfinden oder Bewegungen auszuführen. Das Gehirn befände sich quasi im Stillstand, vollkommen ohne Aktivität – und mithin auch der ganze Körper. Neurotransmitter wie beispielsweise Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin, Acetylcholin und Serotonin werden in den Nervenzellen selbst gebildet, um an den Synapsen biochemische Brücken entstehen und die Nerven miteinander in Verbindung treten zu lassen.

Über diese Art der Kommunikation werden dann viele andere Funktionsbereiche des Körpers aktiviert. An den Schnittstellen vom Gehirn zum Hormonsystem finden beispielsweise komplexe Steuerungsvorgänge statt, die durch Nervenimpulse ausgelöst sind. Solche Schnittstellen bilden etwa der Hypothalamus, ein übergeordnetes Hormon-Steuerungszentrum im Mittelhirn, sowie die Hirnanhangsdrüse, lateinisch Hypophyse genannt. Hier werden nahezu alle wichtigen Hormone des Körpers reguliert, seien es die Schilddrüsenhormone, die männlichen und weiblichen Geschlechtshormone oder die Hormone der Nebennieren.

Doch auch sämtliche Organe, alle Gefäßbahnen sowie die Körperabwehr sind über Verbindungseinheiten wie etwa das bereits genannte vegetative Nervensystem – und damit auch über den Vagusnerv – untrennbar an die neuronale Tätigkeit im Gehirn gekoppelt und so zu einer festen Funktionseinheit zusammengefügt.

© AdobeStock: the light writer

Minigehirne ermöglichen Organintelligenz

Vor einiger Zeit haben Wissenschaftler entdeckt, dass Organe, beispielsweise der Darm oder das Herz, selbst über zigtausend Neuronen verfügen, die so etwas wie ein kleines »Organgehirn« darstellen. Diese Minigehirne, so schreibt der bereits erwähnte Neurowissenschaftler David Servan-Schreiber in seinem Buch Die Neue Medizin der Emotionen, könnten ihrerseits Informationen aufnehmen, Wahrnehmungen verarbeiten und sogar Erinnerungen speichern. Und sie seien eng mit dem limbischen System verknüpft, dem Areal in der Mitte unseres Gehirns, das, wie Sie nun wissen, für unsere Emotionen zuständig ist.

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