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Es geht um Zeit-Sprünge in das späte Mittelalter während des Ulmer Münsterbaues. Stefan, von Beruf Steinmetz, findet durch Zufall an der Mauer des Ulmer Münsters einen Mauerstein, der ihn in die heutige Zeit transportiert. Im selben Moment stürzt ein Steinmetz vom Gerüst. Der Ulmer Polizei stellen sich viele Fragen, die sich nicht zufriedenstellend beantworten lassen. Sie können nicht begreifen was wirklich geschehen ist. . Stefan findet in der Neuzeit seine im Mittelalter verstorbene Schwester. Eine verzwickte Familien- und Liebesgeschichte nimmt bis nach Wien ihren Lauf, wo sich der Klerus mit den aufkommenden Reformationsgedanken herumschlägt. Auch Sophie, Stefans Angetraute, gerät in eine Wirrnis von Hexenbeschuldigungen. Die Polizei der Neuzeit ist am verzweifeln.
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Seitenzahl: 402
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Joachim Schmidt
Der unsichtbare Zeitgeist
Eine turbulente, zeitübergreifende Familiengeschichte aus dem späten Mittelalter
Ein book for all
© Umschlaggestaltung: Joachim Schmidt
Lektorin: Christina Biber-Hörger
Bild: Privatarchiv
Verlag:
Tredition GmbH, 22359 Hamburg Verlag $ Druck
Halenreie 40-44
ISBN
978-3-347-76688-4 (Softcover)
978-3-347-76689-1 (Hardcover)
978-3-347-76690-7 (E-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Joachim Schmidt
Vorwort
Der unsichtbare Zeitgeist
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Der unsichtbare Zeitgeist
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Joachim Schmidt
Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits.
Autor mehrerer Bücher
Bisher erschienen:
- Hinter den Tapeten
- Der Steinmetz und die Tochter des
- Bürgermeisters
- Der Kelch
- Das Schicksalsrad
- Die Gezeitenfrau
- Der Mann im Baum
- Zeitfallen
- Leonard in der Wo-Anderswelt
- Leonard und Anika in der Wo-Anderswelt
- Der Rabe und die vier Außenseiter
- Gestern-Heute-Morgen Teil 1
- Gestern-Heute-Morgen Teil
Vorwort
Zeitenwechsel
Ein Begriff, der in der Welt der Utopie kein unbekannter ist. Ist es tatsächlich möglich in eine andere Zeit zu wechseln? Wieso tauchen immer öfter im Kino Inhalte auf, die sich damit auseinandersetzen? Dient dieser Gedanke nur einer inneren Spannung. Etwas Unglaubliches geschieht, was eigentlich überhaupt nie sein kann. Ein Mensch bewegt sich durch die Zeit. Was ist denn die Zeit? Man erkennt sie nur an der eigenen körperlichen Vergänglichkeit. Am Kommen und Gehen von allem auf dieser Welt Existierendem. Reisen wir denn nicht alle durch die Zeit? Menschen, Tiere, Pflanzen, Planeten, Universen. Wir können sie nicht beeinflussen. Ein Strom, ähnlich dem Wasser, der alles Lebende, Materielle mit sich reißt? Oder wurde die Zeit nur erfunden, der Orientierung dienend. Grenzen zu setzen innerhalb eines großen Nichts? Wir können das Zeitliche nicht fassen. Deshalb ist sie für uns Menschen nicht wirklich existent. Trotzdem leben wir mit ihr, als ob es sie gäbe. Eine verrückte Geschichte oder?
Der unsichtbare Zeitgeist
Steinmetz als Berufsbild mag in jungen Jahren noch als ein Traumberuf betrachtet werden und vielleicht ist er es auch, wenn sich Kraft, Disziplin, Ausdauer und Kreativität vereinen. Doch, wenn man sich, um diesen Beruf zu erlernen, tatsächlich auf den Weg macht, wird man bald eines Besseren belehrt.
„Wird dieses Münster überhaupt jemals fertiggestellt sein, also frei von Gerüsten?“ will ein Besucher wissen.
Den Ulmer Bürgern fällt es schon lange nicht mehr auf. Sie sind diese immer wieder an anderen Stellen befestigten Stahlteile längst gewöhnt und kümmern sich nicht mehr darum. Sie haben es schon lange aufgegeben, sich das Münster ohne Gerüst vorzustellen.
Den vielen reiselustigen Kulturbewunderern dagegen, die unbedingt den höchsten Kirchturm der Welt wenigstens einmal in ihrem Leben sehen und betreten wollen, fällt dieses Stahlkorsett zwar auf, hält sie aber nicht davon ab, trotzdem jede Menge an Fotos zu schießen.
Das Münster kann mit seinem Backstein-Körper bestimmt nicht prahlen. Es sind die gotischen, kunsthistorischen Aufbauten, Kirchenfenster, Portale, Altäre, Inschriften und der Chor mit den mittelalterlichen Schnitzereien, die faszinieren und natürlich ganz besonders der hunderteinundsechzig Meter hohe Turm. Doch es gibt seltene Zeiten, wo das Münster auch von seinen verwöhnten Bürgern wieder wahrgenommen wird. Dann bleiben alle, die sonst immer schnell und geschäftig vorbeieilen, stehen und schauen für einen Augenblick genau zu der Stelle, von wo aus ein tollkühnes Ereignis stattfinden soll oder bereits stattgefunden hat. Entweder sah man dort einen waghalsigen Freeclimber in luftiger Höhe sich selbst verwirklichen oder ein lebensmüder Besucher schwang sich ganz oben über die Absperrung, um im freien Fall die letzten Sekunden seines ach so dramatischen Lebens betrachten zu können.
Kein Krankentransport von ganz Ulm hatte es danach besonders eilig, die Unfallstelle zu erreichen. Selbst die Polizei hetzte sich nicht ab, wenn es passiert war. Alles schien von Anfang an geklärt. Ein selbstverschuldeter Tod. Die Hintergründe waren da zunächst immer zweitrangig. Keine Spurenermittlung, nur der Tote musste abtransportiert werden, um die Schaulustigen wieder zu beruhigen und zu verteilen.
Doch dieses eine Mal verlief alles etwas anders.
Das Risiko eines Absturzes vom Gerüst während der Bautätigkeiten der Steinmetzen am Ulmer Münster ist so gering, dass Lebensversicherungen durchaus gewillt sind, eine Police für Arbeiter abzuschließen. Selbstverschuldung durch Unachtsamkeit kam so gut wie gar nicht vor, vorausgesetzt die Sicherheitsstandards waren eingehalten worden.
Es gab hier auch keinerlei Anhaltspunkte, warum dieser Kerl, bekannt als aufgeweckter, gut arbeitender Steinmetz, einfach so in die Tiefe stürzte. Die Polizei sowie die Unfallbegutachter der Versicherung konnten sich das Geschehen einfach nicht erklären. Keinerlei Schadensnachweis am Gerüst, keine fehlerhafte Montage, keine nachweislichen selbstmordbedingten Absichten seitens des Arbeiters und kein offensichtlicher Verbrechenshintergrund, denn niemand anders hatte sich zur fraglichen Zeit in der Nähe des Arbeiters aufgehalten. Völlig alleine sollte und wollte dieser vom Baumeister Beauftragte seine Arbeit wie immer dort verrichten.
„Nein, Herr Kommissar, er arbeitete ganz allein und sollte Sicherungshaken an einer Stelle anbringen, die völlig ungefährlich und an keiner ausgesetzten Stelle eingeschlagen werden mussten. Alle Haken befanden sich ca. zwei Meter über dem Laufsteg des Gerüstes. Ich verstehe es selbst nicht.“ „Vielleicht wurde es ihm übel oder schwindlig? War er in letzter Zeit krank oder ist bei ihm etwas Familiäres vorgefallen?“ „Nichts, wovon ich oder noch sonst jemand wüsste“, teilte der Baumeister mit. „Ich habe alle bereits befragt. Er war einer meiner angenehmsten und besten Arbeiter. Es gab so gut wie keinen Tag, an dem er schlecht drauf gewesen wäre.“ „Nun gut, trotzdem kann es natürlich sein, dass er… aber das muss die Gerichtsmedizin in Erfahrung bringen. Führen Sie uns doch zur Unfallstelle.“
Alte Zeit
Es geschah im Jahre 1492. Christoph Columbus entdeckte gerade irrtümlicherweise „Amerika“. Die Gier reicher Länder nach Macht, Besitz, Gold, fremden Gütern, feinem Gewebe, Kleidung, Früchten und seltenen Gewürzen schien unersättlich. Die gestalterischen Momente in und an Gebäuden, Gemälden und Skulpturen erfuhren einen kreativen Höchststand. Das Denken befreite sich langsam aus den Fesseln des engen, blinden Glaubens, den der Klerus durch Kirchenbauten und Unterdrückung der Gläubigen auf ein unerträgliches Maß getrieben hatte. Genau zu jener Zeit geschah in Ulm, am Ulmer Münster etwas Unglaubliches. Im Prinzip ein Wunder. Hätten die Kirchenmänner davon erfahren, ihre Gedankenwelt wäre überfordert und ihre höllischen Phantasien noch mehr zu bösen Gedankengebilden mutiert, als dies bereits geschehen war.
Neue Zeit
Stefan, ein gestandener, dreißigjähriger Steinmetzgesell, war gerade am frisch errichteten Holzgerüst des Ulmer Münsters emporgeklettert, um einen Platz für seinen in Bälde fertiggehauenen Wasserspeier auszumessen. Dazu musste er einen Schritt nach hinten auf das Mauerwerk zumachen. Kurze Zeit später stand er total verwirrt auf einem glänzenden Gerüstbau, starrte völlig fassungslos auf eine ihm fremde Welt. Dreißig Meter unter ihm bewegten sich skurril gekleidete Menschen und gegenüber erblickte er Gebäude mit riesigen Fenstern und glatten Wänden. Erfolglos versuchte er, das Geschehen zu begreifen.
Plötzlich wurden Stefans Gedanken durch eine kleine Stützbewegung an der Mauer unterbrochen. Hilfesuchend hatte er sich wieder umgedreht und an den bunten Stein gefasst. Daraufhin verflüchtigten sich diese merkwürdigen Eindrücke wieder und er vernahm die Stimme eines seiner Gehilfen, der von unten hochschrie: „He, Stefan! Sollst noch, bevor Du den ersten Speier an seinen Platz setzt, zum Abt kommen! Er möchte Dich eines Besseren belehren!“
Immer noch ganz in Gedanken, kletterte Stefan die Leiter hinab. Der Abt empfing ihn mit gekrümmtem Rücken und vorgehaltener Hand und flüsterte ihm eine geheime Belehrung ins Ohr. „Diese Wasserspeier besitzen nicht nur die Aufgabe, das Regenwasser vom Dach des Münsters im hohen Bogen über den Rand zu befördern, um damit das Mauerwerk zu schützen, sondern…“
Stefan hatte große Mühe, dem Gesagten zu folgen, deshalb beugte er sich jetzt weit zu dessen Ohr und vergaß dabei völlig sein kurz zuvor erlebtes Geschehen.
„Du weißt sicherlich von der geistigen Reinheit unserer Kirche.“ Stefan nickte beipflichtend, ohne wirklich darüber Bescheid zu wissen. „Diese Wasserspeier dienen mit ihrem grässlichen Aussehen der Reinheit der Kirche. Sie vertreiben die bösen Geister und halten sie davon ab, unsere Predigten zu stören und unsere Altäre zu besetzen, vor welchen täglich Zwiegespräche unserer Bürger mit Gott stattfinden.“ „So“, rutschte es über Stefans Lippen, „das wusste ich dann doch nicht so genau.“ „Sei nicht so einfältig, Gsell“, die Stimme des Abtes hob jetzt zur normalen Lautstärke an. „Weißt Du nicht, dass uns des Nachts überall die Seelen der Verstorbenen besuchen können? Es geschehen oft Dinge, die sich ein normaler Erdenmensch nicht erklären kann. Sie klammern sich an Menschen und ganz besonders an Kirchen, wo sie tröstende Gottesworte vernehmen wollen. Das müssen sie so lange machen, bis sie erlöst ins Himmelreichfahren dürfen.“ Der Abt atmete tief durch, um seinen Untergebenen weiter zu beeindrucken.
„Das wäre alles nicht so schlimm, wenn es unter diesen Geistern nicht viele Böse und Verwirrte gäbe, die nicht glauben können, dass sie gestorben sind und deshalb Menschen und ganz besonders Geistliche während ihrer Arbeit stören. Begreifst Du das?“ „Ja, doch, das habe ich auch schon gehört.“ „Also, deshalb sollen diese Wasserspeier ein Aussehen bekommen, das die Geister vor dem Eintritt in die Kirche abhält. Ihre furchteinflößenden Gesichter müssen ihnen Angst einjagen.“ „Wie sollen die Speier aussehen, damit sich die Geister fürchten? Die haben doch bestimmt selbst Angst?“ fragte Stefan mit unschuldiger Miene. „Tölpel! Natürlich haben die Geister Angst. Sie sind oft irre vor Angst und besetzen gerade deshalb die Seelen der Ungläubigen. Ich sage es Dir noch einmal, sie dürfen sich nicht in der Kirche einnisten. Du traust Dir doch zu, grässliche Gesichter zu hauen, oder muss ich jemand anderen beauftragen?“ „Nein! Nein! Scheußliche Gesichter kann ich perfekt aus dem Gestein schlagen, aber…“ „Nichts aber, schau her!“ Der Abt zog eine Papierrolle aus seinem Talar. „Ich habe mit Hilfe unseres allmächtigen Vaters Gesichter gezeichnet, die große Angst einflößen.“ Der Abt wickelte das Papier auf und Stefan hätte beinahe laut losgelacht. „Die sehen ja wirklich schrecklich aus“, stotterte er und hatte dabei Mühe, sein Lachen zu unterdrücken, denn derartige Gesichter sah er zu Hauf bei Narren und Possenreitern. Stefan kannte den Klerus, jetzt musste er klug verhandeln.
„Nicht einfach, diese Gesichter herauszumeißeln, ohne dass zu viel vom guten Gestein absplittert, Vater. Bedenkt nur diese tiefen Hinterschneidungen.“ „Das ist nicht mein Problem, Du bist der Steinmetz und der Baumeister hat mich an Dich verwiesen. Erledige also Deine Arbeit nach meinem Wunsch, damit wir Kirchenväter sicher und geschützt vor diesen ekligen Geistern sein können.“
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„Anna!“ Stefan lachte so laut wie nie zuvor. „Anna, ich muss Dir er-zählen, was ich heute beim Abt erlebt habe.“ Anna schmunzelte: „Mein Bruder, immer obenauf und zum Scherzen aufgelegt.“ „Welche lustige Geschichte bringst Du heute mit?“
Stefan rollte das Papier vor Anna auf. „Solche Kopf- und Körperskulpturen soll ich fertigen. Die lassen sich zwar zeichnen, doch wie soll ich diese Hohlräume herausarbeiten? Ist doch fast nicht ohne Absplitterungen des Gesteins möglich, das stehen bleiben muss.“ „Du kennst sie doch, diese Wichtigtuer, Stefan. Du machst diese Speier eben nur so gut es geht. Bedenke doch, Du hast immerhin für eine lange Zeit Arbeit.“ „Nur, wenn sie auch mit mir zufrieden sind, diese aufdringlichen Schwarzkittel. Ob das Gott überhaupt so wollte, dass seine Anhänger in Schwarz herumlaufen müssen, wie Tote oder wie, wie, … Geister!, Anna!“ Jetzt lachten beide. „Vater hätte sie eines Besseren belehrt.“ „Du musst Dich zuerst hocharbeiten, bevor Du sie kritisierst." „Ja, ja, ich weiß, trotzdem denke ich, Vater hätte diese Fratzen auch nicht anfertigen können.“ „Er hatte es auch nicht nötig, den Kirchenmännern gefällig zu sein, hatte immer genug anderes zu tun. Ich muss mich mit Gerd bereden.“ „Ja, tu das Bruderherz.“
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In jener Zeit traf es die Familie Einsinger schwer, als die Mutter von Anna und Stefan, wie vom Blitz getroffen, einfach umfiel und verstarb. Kurz danach stürzte der Vater vom Dach des Münsters. Er hatte vergessen, das Sicherheitsseil anzulegen. So etwas war ihm noch nie passiert. Vermutlich hatte er zu diesem Zeitpunkt gerade an den Tod seiner über alles geliebten Frau nachgedacht.
Neue Zeit
„Schauens, Herr Kommissar, was doch sehr merkwürdig ist.“ Baumeister Bofinger hielt dem Kommissar ein Eisenteil unter die Nase. „Solche Haken verwendet man bei uns schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Er ist uralt und stammt, wenn ihn nicht ein Hobbyschmied nachgearbeitet hat, wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert.“ „Wie kommt der hierher?“ „Vielleicht steckte er schon immer hier und wurde seither übersehen.“ „Und wieso soll er aus dem 15. Jahrhundert stammen, Herr Baumeister?“ „Wenn Sie genau schauen, sehen Sie noch die vom Eisenschmied eingeschlagenen Dellen. So etwas gibt es heute nicht mehr. Die werden alle gegossen. Leider muss ich jetzt nach unten und weiterarbeiten, entschuldigen Sie, Herr Kommissar.“ „In Ordnung, Herr Bofinger, gehen Sie ruhig Ihrer Arbeit nach, ich melde mich, wenn ich Sie wieder brauche und noch Fragen aufkommen sollten.“
Nachdem der Meister abgeklettert war, setzte Kommissar Steinle das Gespräch mit seinem Assistenten fort: „Enderle, überlegen Sie doch, dieser sechshundert Jahre alte Eisenhaken soll hier gesteckt haben, ohne Rost anzusetzen. Den muss doch einer nachgebaut haben.“ Enderle wurde zuerst blass, dann rot im Gesicht. „Da haben Sie natürlich Recht, Herr Kommissar.“ „Auch dieser Widerhaken hier hinten, damit er nicht so leicht aus dem Gestein brechen kann, so schlau waren diese alten Schmiede bestimmt nicht, oder was denken Sie?“ „Der Baumeister ist aber anderer Ansicht“, entgegnete Enderle etwas trotzig und ergänzte: „Solche Haken hätten sie damals mit Leichtigkeit gefertigt und hätten bestimmt besser gehalten, als unsere heutigen, konisch zulaufenden Verspannungshaken.“ „Lassen wir es gut sein, Enderle, auf jeden Fall fehlt der Rost.“ „Was ich auch gehört habe und mich sehr stutzig gemacht hat, Herr Kommissar.“ „Ich bin ganz Ohr.“ „Dieser Hans, so heißt doch der Abgestürzte, hätte schon immer sehr alte Steinmetzklamotten getragen, die aussahen, als würden sie aus jener Zeit stammen.“ „Wo wohnte er?“ „Er hatte keinen festen Wohnsitz. Er übernachtet mal hier, mal dort.“ „Vielleicht hat ihm diese Art zu leben gefallen und er ist einer dieser mittelalterlichen Gilden zugehörig. Sind die hier wirklich alle sicher, dass es sich bei diesem Herabgestürzten auch um jenen Hans handelt und nicht um irgendeinen Stadtstreicher?“ „Da sind sich alle von der Bauhütte völlig sicher.“
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„Was haben wir also an Brauchbarem, Enderle? Einen alten oder besser, einen auf alt gemachten Haken, sowie uralte oder ebenso auf alt gemachte Klamotten. Also…, eins und eins gibt…, Enderle?“ „Zwei, Herr Kommissar.“ „Genau, also was soll das? Dieser Bursche scheint tatsächlich aus einer dieser mittelalterlichen Gilden zu stammen, wo wir vermutlich auch das Mordmotiv und den Täter finden werden. Oder, da sich derartige Typen oft auch in den ganz unteren Schichten herumtreiben, suchen Sie auch unter den Obdachlosen.“ „Ich weiß nicht, Herr Kommissar, das scheint mir doch weit…“ „Morgen berichten Sie mir über Ihre Ermittlungen, Enderle.
Alte Zeit
„Und, was meinst Du, Gerd? Wie soll ich, oder wenn Du mitmachen willst, wie sollen wir derartige Hinterschneidungen herausarbeiten?“ Gerd grübelte, dann meinte er plötzlich: „Pass auf, Stefan, vielleicht kann es gelingen, wenn wir uns zwei Werkzeuge schmieden lassen. Ich zeichne es Dir auf Papier. Dieser Meißel benötigt eine starke Krümmung, während das zweite Eisen nur eine Stützfunktion des Meißels besitzen darf. Wenn man vorsichtig schlägt, kann der Stützmeißel die Kraft genau dorthin leiten, wo das Gestein weggesprengt werden muss.“ „Ich verstehe, Gerd, Du bist meine Rettung. Lass uns gleich zum Schmied aufbrechen.“ „Langsam, langsam, zuerst beantwortest Du mir eine Frage, Stefan.“ „Hä?“ „Wie geht es Deiner Schwester, Anna?“ „Was geht Dich das an, Gerd? Die bekommt mal einen ganz von oben, keinen Hungerleider.“ „Dir bei der Arbeit helfen, das darf ich, sobald es aber …“ „Das ist was ganz anderes, Gerd. Meine Schwester soll es einmal besser haben als wir.“ Geknickt schaute Gerd zu Boden: „Hast ja Recht, Stefan, sie ist zu gut für mich.“ „Schön, wenn Du es einsiehst! Wenn wir zwei unseren Meister machen, dann suchen wir uns eine entsprechende Maid.“
„Ach, jetzt fällt es mir wieder ein, ich muss Dir was erzählen, Gerd, was mir heute auf dem Gerüst widerfahren ist. Du kennst doch die Stelle, wo sich dieser merkwürdig helle Stein befindet, dort, wo ich meinen Wasserspeier anbringen werde.“ „Ja, warum?“ „Dort wollte ich einen Haken reinschlagen, um mich an ihm abzusichern. Plötzlich verschwand alles vor meinen Augen und ich stand außen an der Mauer auf einem wunderschönen Gerüst aus glänzendem Metall und unter mir bewegten sich viele seltsam gekleidete Menschen.“ „Das hast Du geträumt?“ „Nein, wenn ich es Dir doch sage.
Manche Leute fuhren auf einem Gestell mit zwei Rädern ohne Pferde und manche Menschen sah ich in einer verrückt aussehenden, farbigen Kutsche. Sie bewegten sich ebenso ohne Pferde und jetzt pass auf: Direkt unter mir lag ein Mensch, als ob er genau von der Stelle, an der ich stand, herabgefallen wäre. Es verging nur ein kurzer Augenblick, dann machte ich vor Schreck einen Schritt zurück und plötzlich stand ich wieder innen auf unserem Holzgerüst, wo mir zugerufen wurde, dass der Abt mich sprechen wolle.“ Jetzt warf Gerd seinem Freund einen zweifelnden Blick zu. „Willst mich verarschen? Lass das bloß niemand anderen wissen, sonst bin ich der Freund eines Übergeschnappten. Vielleicht war es auch nur eine kurze Tagträumerei, so etwas soll es ja geben.“ „Es hat sich aber echt angefühlt.“ „Komm, lass uns nun beim Schmied vorbeischauen.“
Neue Zeit
„Irgendeinen Anhaltspunkt muss es geben, Enderle, egal ob unverschuldeter Tod, Selbstmord oder Verbrechen. Niemand wandert durch die Welt ohne Spuren zu hinterlassen, ergo, wir haben was übersehen.“ „Auch über die Bekannten und Verwandten war nichts Neues zu erfahren. Anscheinend war dieser Kerl ein extremer Einzelgänger. Er hatte nur wenige Freunde, die ihn allerdings angeblich alle mochten. Das einzig Auffallende an ihm war, dass er sich immer sehr gerne und sehr früh aus allen Begegnungen zurückzog. Er lebte gerne in seiner eigenen Welt.“ „In was für einer Welt, Enderle, das müssen wir herausbekommen.“ „Man sah ihn oft in der städtischen Bibliothek und wenn man von ihm was Geschichtliches über das Münster fragte, schien er ein wandelndes Lexikon zu sein. Über das späte Mittelalter wusste er alles.“ „Na ja, kann ja sein, hilft uns aber nicht weiter.“ „Vielleicht doch, Herr Kommissar, denken Sie an den alten Haken, und seine Arbeitsklamotten bestanden zum Teil aus Flachs, wie die im Mittelalter, wo man diese Pflanze zu Tüchern verarbeitet hat.“ „Ich höre immer Mittelalter, Enderle, wir leben doch nicht in der Vergangenheit und haben Sie etwas bei den Pennern erfahren können?“ „Ergebnislos, keiner von denen hatte ihn je gesehen. Nur ein kleines Mädchen, das am Tatort aufgetaucht war, hat fürchterlich geweint und behauptet, er sei ihr Bruder gewesen.“ „Und haben Sie die Eltern der Kleinen konsultiert?“ „Ich war bei der Mutter, die uns mitteilte, dass es nie einen Bruder gab. Das Kind hätte sich das alles nur ausgedacht, weil sie immer in der Nähe des Münsters spielt, während sie in der Gastronomie arbeitet. Oft spräche sie auch mit diesen Wasserspeiern. Seltsam, oder nicht, Herr Kommissar?“ „Mein Gott, was für eine irre Geschichte. Ich möchte auf jeden Fall noch einmal mit ihren Eltern sprechen.“ „Es gibt nur eine Mutter. Der Vater war nicht anwesend. Ist anscheinend irgendwann abgehauen.“ „Ich werde alles in die Wege leiten, Herr Kommissar.“
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„Klara, wieso behauptest Du, der verunglückte Mann sei Dein Bruder gewesen, wo Du doch laut Deiner Mutter gar keinen Bruder hast?“ Die Mutter schüttelte den Kopf: „Das dürfen Sie nicht ernst nehmen, sie ist doch noch ein Kind.“ „Bitte lassen Sie Klara antworten.“ „Er hat mir gesagt, er sei mein Bruder und ich wäre seine Martha.“ Kommissar Steinle und sein Assistent schauten sich verzweifelt an. „Er hat mit Dir gesprochen?“ „Ja, und ab und zu gab er mir eine Butterbrezel und hat gesagt, ich dürfe die Schule nicht versäumen.“ „Sonst nichts?“ „Er nannte mich halt immer Martha, obwohl er ganz genau wusste, dass ich Klara heiße, aber jetzt ist er tot.“ Klara weinte wieder bitterlich.
„Ein Pädophiler verhält sich ähnlich, Herr Kommissar, oder?“ „Ich weiß nicht, das mit den Namen, vielleicht war er traumatisiert und hat selbst eine Schwester verloren, die er sehr geliebt hat. Wir müssen weiter in seiner Vergangenheit graben, Enderle.“ „Ich glaube, das wird ein mysteriöser Fall.“ „Ist es doch schon, Herr Kollege. Der Eisenhaken, die Klamotten, das mittelalterliche Interesse des Verstorbenen, das sind doch offensichtliche Zusammenhänge.“ „Und dieser Name, Martha, ist doch auch ein alter Name aus jener Zeit, oder Herr Kommissar?“ „Schon irgendwie, versteh den Kerl aber nicht.“ „Vielleicht ein Spinner aus einer anderen Zeit?“ „Ha, ha, könnte man fast meinen. Wahrscheinlich wollte er das Gerüst an einem mittelalterlichen Haken befestigen und seine Haltbarkeit testen.“ „Ist doch verrückt, auf welche Gedanken man stößt, wenn keine Lösung in Sicht ist. Seine Arbeitsklamotten, woher hatte er sie gleich wieder?“
„Die trugen früher die Burschen auf Wanderschaft, doch gehe ihn das nichts an, meinte der Meister. Manche von den Steinmetzen würden sich noch wie im Mittelalter fühlen. Sie bezeichnen dies als Ethos ihres Berufsstandes, meinte Bofinger.“ „Die leben in ihrer eigenen Welt, Enderle, diese Steinklopfer, obwohl sie es mit ihren modernen, elektronischen Meißeln lange nicht mehr so schwer haben dürften, wie früher.“
Alte Zeit
„Gerd, der Haken, den ich gestern hier eingeschlagen habe, ist weg!“ „Ach nein, hab ich mich in Dir getäuscht? Vielleicht brauchst Du eine Auszeit?, oder eine Braut, die Dich auf neue Gedanken bringt, Stefan? Ich hätte eine im Sinn.“ „Wen meinst Du?“ „Die Sophie von der Sammlung, ein hübsches, aufgewecktes Weib. Es gibt Besseres, als wegen eines verschwundenen Hakens zu jammern. Komm, lass uns jetzt in der Werkstatt Deines Vaters nach einem Stein für einen neuen Speier suchen.“ „Hilf mir zuerst, meinen letzten noch zu befestigen, der macht mir Schwierigkeiten.“ „Sollten wir ihn nicht vorher mit dem neuen Werkzeug des Schmiedes nach den Zeichnungen des Abtes noch hässlicher meißeln?“ „Klar, hatte es schon vergessen.“
Gerd und Stefan schleppten den eigentlich schon fertig behauenen Speier auf einer Karre wieder in Stefans Werkstätte zurück.
Unterwegs äußerte sich Stefan: „Du hast Recht, Gerd, die Sophie ist ein tolles Weib. Ich konnte sie einmal an der Donau beim Baden beobachten, wie sie mit ihren Frauen im Wasser plantschte. Eine göttliche Gestalt, mit diesen kastanienroten Haaren, das kann ich Dir sagen.“ „Na siehst Du, endlich hast Du wieder vernünftige Gedanken im Kopf und Deine Schwester Anna wäre doch was für mich. Sie lächelt mich immer so vielversprechend an.“ „Bilde Dir darauf nichts ein, sie lächelt oft, sie ist ein fröhlicher Mensch.“ „Haha, das glaubst Du doch selbst nicht.“
Dann wechselte Gerd das Thema:
„Das Gesicht Deines Speiers besitzt zwar eine ungewöhnlich lange Nase, doch als teuflisch könnte ich sie trotzdem nicht bezeichnen. Sie schaut eher dem Gesicht eines Harlekins ähnlich. Die Nasenlöcher müssen vergrößert werden, auch die Falten in der hervorstehenden Stirn sollten tiefer gearbeitet werden. Die Augen müssen viel mehr in den Vordergrund treten. Sie müssen rund und groß sein und schielen.“ „Ja, das stimmt, Gerd. Nimm Du Dir das Kinn vor und ich vertiefe die Falten. Für die Hinterschneidungen im Innenohr, den Nasenlöchern und dem offenstehenden Mund benötigen wir dann die vom Schmied gefertigten Hilfsmeißel.“
„Oh, Gerd, Du auch hier?“ „Ja, Dein Bruder benötigt meine Hilfe.“ „Könnte es auch alleine. Mit ihm geht es schneller, Anna, die Schwarzröcke machen mir Druck.“ „Denen eilt es immer, nur nicht beim Bezahlen der Arbeit. Ist doch immer so oder nicht, Stefan?“ „He, Anna! Du kennst Dich mit den Geschäften aus, alle Achtung!“ „Natürlich, wer soll sie auch sonst führen? Du hast wenigstens noch Deinen Vater.“ „Dafür keine so hübsche Schwester, wie Stefan.“ „Schmeichler.“ „Nein, Sprücheklopfer! Arbeite lieber, sonst bildet sich die Maid noch was drauf ein.“ Anna drehte sich schnell zur Seite. Sie wollte verhindern, dass die Burschen ihre sich rasch rötenden Wangen entdeckten. „Mach Dich nützlich, Anna und bring uns ein paar Schnitten mit Ei und Wurst.“ „Könnte euch noch was vom Apfelwein anbieten. Ist etwas sauer, löscht dafür den Durst.“ „Das lehnen wir bestimmt nicht ab, Anna, wir danken Dir.“
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„Und was meinst Du jetzt zu den Falten, Stefan? Da kannst Du Deinen Finger reinlegen.“ „Auch Dein Kinn macht Fortschritte, Gerd. Spitz und nach vorne gebogen, wie bei einer Hexe, gut, wirklich gut.“ „Hier, eure Brote, meine Herren Steinmetze.“ „Anna, leiste uns etwas Gesellschaft, auch wenn es Stefan nicht so gerne sieht.“ „Sie ist noch zu jung, Gerd, lass sie in Ruhe.“ „Langsam, langsam Bruderherz, immerhin bin ich schon 18 Lenze alt. In meinem Alter sind schon viele Maid verheiratet und haben Kinder. Außerdem, was geht Dich das überhaupt an?“ „Anna, Du weißt ich brauche Dich hier!“ „Und wenn schon?“ „Man kann das eine mit dem anderen ja schließlich verbinden, Anna, oder?“ „Halt Dich da raus, Gerd, Du stehst nicht in der engeren Wahl“, antwortete Anna schnell.
Neue Zeit
„Herr Kommissar, bisher führt keine Ermittlung zu irgendeinem brauchbaren Ergebnis. Wie soll ich weiter vorgehen? Gibt es hier in Ulm vielleicht einen Hellseher?“ „Bitte nicht Enderle, diese Typen kommen wirklich erst ganz zum Schluss dran, wenn gar nichts mehr geht. Schauen wir uns nochmals genau die Stelle an, wo der Haken steckt.“ „Müssen wir hochsteigen?“ „Nein, wir nehmen den Aufzug, wenn es schon einen gibt, sonst bekommen wir noch einen Herzkasper, bis wir da oben sind.“ „Das viele Bürositzen macht auch nicht fit.“ „Da haben Sie Recht, Enderle, nehmen wir die Leitern und unterstützen wir unsere Fitness.“
Alte Zeit
„Hier, Gerd, hatte ich den Haken eingeschlagen. Sieh doch, er steckt extrem tief, den bekommst Du auch mit einem Eisen nicht mehr raus.“ „Wie kannst Du den nur so weit reinhauen?“ „Das muss am Stein liegen. Der besitzt auch eine ganz andere Färbung als alle anderen.“ „Ist er weich?“ Gerd hämmerte auf den Stein ein. „Ne, fast genauso hart, nur fühlt er sich anders an. „Schlag doch noch einen Haken rein, mal sehen, wie sich dieser verhält.“ Gerd holte wie immer aus und der Haken saß plötzlich genauso tief wie der andere.
Neue Zeit
„Herr Kommissar, spinne ich oder täusche ich mich, schauen Sie doch. Hier in diesem Loch stecken schon wieder zwei Haken. Ich glaube, uns will jemand verarschen.“ „Enderle, wir müssen in der Kirche und von innen nachschauen. Vielleicht finden wir dort des Pudels Kern.“ „Steigen wir wieder ab, Herr Kommissar? Ich bin immer noch ganz verschwitzt.“ „Nein, jetzt fahren wir, absteigen kann jeder, auch ohne Training.“
„Herr Baumeister! Wird im Augenblick auch innen gearbeitet? Vielleicht sogar genau an der Stelle, wo außen, Sie wissen ja, dort wo der Mann abstürzte?“ „Da steht ein Gerüst aufgebaut, ist aber seit Tagen niemand drauf.“
„Sehens, Herr Kollege, lässt sich bestimmt alles erklären, nichts mit Mystik und so. Natürlich hat von innen jemand diese Haken reingeschlagen.“ „Das ist unmöglich Herr Kommissar, durch dieses Gestein schlägt von meinen Jungs keiner so einfach einen Haken durch. Wenn mit einem Druckluftbohrer vorgebohrt worden wäre, dann schon eher. Von mir bekam allerdings niemand diesen Auftrag und warum auch?“ „Ich muss diese Stelle ganz genau anschauen.“ „Hier gibt es keinen Aufzug.“ „Egal, dann müssen wir halt noch einmal hochklettern, Enderle, oder können Sie nicht mehr?“ „Vielleicht würde auch ein Fernglas ausreichen?“ „Stellen Sie sich nicht so an und klettern Sie hoch, mir ist gerade eingefallen, dass ich noch was anderes zu erledigen hab.“ „Ich mach das, versprechen tu ich mir dabei nichts, Herr Kommissar.“ „Wir brauchen Fakten, Kollege, Fakten die zählen. Ein Fernglas, wie kommens nur drauf?“
„Hier ist doch ein Loch. Da muss jemand gebohrt haben, der uns verarschen will“, dachte Hilfssheriff Enderle. „Wir sollten diese Stelle Tag und Nacht überwachen lassen, aber auf mich hört man ja nicht.“ Langsam kletterte er wieder nach unten: „Ein Fehltritt und meine Familie hätte mangels Beitragszahlungen keine volle Abfindung“, dachte er, sich voll auf jede Sprosse konzentrierend.
Alte Zeit
„Was ist das nur für ein Stein? Hart und gleichzeitig spröde, wie gebrannter Lehm. Am besten ersetzen wir ihn durch einen Sandsteinquader. Dann musst Du keine Angst mehr haben, dass Dein Wasserspeier irgendwann bei Regen herausbricht, Stefan. Hab auf der anderen Seite noch zu tun. Machs gut.“
Stefan hebelte mit einer langen Eisenstange die brüchigen Teile des Quaders aus der Mauer. Was war das? Träumte er wieder, wie das erste Mal? Als er durch das entstandene Loch blickte, nahm er am Ende Bewegungen wahr. „Hallo!“, rief er hinein, „ist hier jemand?“ Doch wusste er im gleichen Augenblick, dass er sich getäuscht haben musste, denn an dieser Stelle gab es von außen kein Gerüst. „Gerd hat Recht, ich spinne und sollte ein paar Tage pausieren.“ Dann vernahm er eine kaum verständliche Stimme: „Hier, Männer, an dieser Stelle muss dieses Loch gewesen sein und nun fehlt ein ganzer Brocken.“
Stefan stieg ängstlich und vollkommen verwirrt vom Gerüst. Was war nur los mit ihm? Er durfte es niemand erzählen. Auch nicht Gerd oder Anna.
*
Wieder zu Hause angekommen, lenkte er sich sofort mit einem anderen Gesprächsthema ab, das ihm ebenso wichtig erschien. „Anna, denke nicht, dass ich Dich nicht verehelichen möchte. Auch kannst Du Dir einen Mann nehmen, den Du willst, nur wer erledigt dann das Rechnerische? Wenn Martha nicht so früh gestorben wäre, könnte sie Dich jetzt bestimmt ersetzen.“
„Martha, Martha, immer wieder fängst Du mit Martha an. Sie ist seit Jahren tot. Hast wohl immer noch ein schlechtes Gewissen, dass Du mit ihr zu viel gewagt hast?“ Stefan nickte: „Diesen Augenblick werde ich nie vergessen, Anna.“
Einen winzigen Augenblick nur hatte er Marthas Tritt auf der Leiter außer Acht gelassen, da stürzte sie auch schon zehn Meter tief. Die Mutter traf daraufhin der Schlag und dann folgte der Vater der Mutter ins Grab. Seither trug Stefan eine schwere Last auf seinen Schultern, die ihn etwas nach vorne gebeugt gehen ließ und seinen Schritten einen schweren Ausdruck verlieh.
„Oh Anna, wäre nur ich damals von der Leiter gefallen, ich werde es mir nie verzeihen.“ „Stefan, Du darfst nicht darüber nachdenken. Es ist schon lange der Vergangenheit zugehörig. Nur Gott weiß, warum das passieren musste. Martha war Dein Ein und Alles. Ich kann sie nicht ersetzen, trotzdem mag ich Dich sehr. Stefan, ich habe eine Idee. Frag doch bei der Sammlung nach, ob sie jemand abstellen könnten, der Dir nochmals das Rechnen beibringt. Wenn Du wie Vater Meister werden willst, um den Betrieb richtig zu führen, dann solltest Du Dich dranmachen. Es war nicht Deine Schuld, dass Du damals statt zur Schule zu gehen, gearbeitet hast. Du musstest Dich um mich kümmern.“ „Du hast Recht, Anna, ich muss mich endlich dranmachen, das Rechnen zu üben, bevor ich zu alt dazu bin.“
Neue Zeit
„Dieser Tote, Hans hieß er doch, was hatte er gleich mit diesem Mädchen zu tun?“ „Nichts, also ergibt es auch keinen Sinn in dieser Sache weiter zu forschen.“ „Vielleicht war es nur ein Zufall? Er war doch alleine auf sich gestellt, fast keine Verwandtschaft, auch seine Eltern waren schon tot. Vielleicht hat er sich deshalb eine Schwester gewünscht. Wir sollten von dieser Annahme ausgehen, dann können wir den Fall bald abschließen.“ „Warum nannte er dieses Mädchen Martha, Herr Kommissar? Der Name scheint mir eine wichtige Rolle zu spielen.“ „Diese unsichtbare Martha muss in seiner Vergangenheit irgendwo auftauchen.“ „Eine verschmähte Liebe vielleicht.“ „Nein, er hat sie doch als seine Schwester bezeichnet.“ „Was weiß ich, was in so einem kranken Hirn vorgeht?“ „Wir müssen seinen Stammbaum genauer durchforsten, Enderle, nehmen Sie das in die Hand. Sie finden etwas, da bin ich mir sicher.“ „Danke für Ihr Vertrauen, Herr Kommissar, ich werde in der Pfarrei in den Kirchenbüchern nachschauen.“ „Wenn Sie meinen, aber das Einwohnermeldeamt, wo alles digitalisiert und geordnet liegt, wäre sicher auch ein guter Tipp. Und was wir noch wissen sollten: Wo hat sich dieser Kerl in seiner Freizeit herumgetrieben. Mit was hat er sich außer dem Altertum noch beschäftigt und befragen sie natürlich nochmals alle seine Freunde.“ „Da werde ich den Kiehnle hinschicken, der wird sich freuen, frische Luft schnappen zu dürfen.“ „Ja, ziehen Sie alle Register, Enderle.“
Alte Zeit
„Gerd, ich komme hier nicht weiter. Ich brauche jetzt doch noch einen besseren Meißel als jenen, den der Schmied bereits gefertigt hat. Ich gehe und befrage ihn. Bis gleich.“
*
„Keine Kunst, Dir einen besseren Meißel zu fertigen, die Kunst wird sein, ihn richtig anzuwenden. Wenn Du bei diesem gebogenen Meißel hinten draufschlägst, wird die Schlagkraft woanders hingeleitet bzw. es kommt dort, wo Du das Gestein entfernen willst, zu wenig Wucht an.“ „Das weiß ich und was nun? Hast Du eine Idee?“ „Es gibt nur eine Möglichkeit, Du benötigst noch einen doppelten Metallstab, der stützt den Meißel noch besser, und die Kraft kann noch mehr um die Krümmung herumgeleitet werden.“ „Schau auf die Zeichnung, Gerd, ich muss an alle Hinterschneidungen rankommen, damit das Gestein zu einer wirklichen Fratze wird, die den Geistergeschichtenerzähler zufrieden stellt.“ „Das bekommen wir hin. Ich sehe schon, da brauchst Du für jede Höhlung eine andere Stütze. Willst zuschauen?“ „Nein, hab noch was in der Sammlung zu erledigen.“ „Komm wieder, wenn die Sonne im Zenit steht.“ Gerd schmunzelte: „Was willst Du denn bei den feinen Damen, Stefan? Hast Du dort eine Auserwählte?“ „Nein, ich will mich im Rechnen schulen lassen.“ „Äh, Schule in Deinem Alter?“ „Der Meistertitel fordert es.“ „Na dann viel Glück!“
*
„Sophie ist nicht hier. Sie hat im Dorf zu tun. Du kannst Dich auch Marga anvertrauen, sie ist sehr gut im Rechnen und Unterrichten.“ „Wollte eigentlich…“ „Verstehe, Sophie kommt erst wieder gegen Abend. Besser schaust morgen früh vor der Verteilung der Aufgaben vorbei, wenn die Uhr sieben Mal schlägt.“ Stefan nickte: „Mach ich“, erwiderte er. Gerne hätte er sie sofort gesprochen, dann hätte er endlich einen triftigen Grund gehabt, ihr auf eine ungezwungene Art zu begegnen. „Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben“, tröstete er sich. Punkt sieben würde er vor Ort stehen.
Neue Zeit
„Herr Steinle, dieser Name Einsinger lässt sich bis ins späte Mittelalter zurückverfolgen.“ „Enderle, was soll ich mit dem Mittelalter? Ich wollte wissen, ob jetzt, in der heutigen Zeit, in seiner Familiengeschichte der Name Martha auftaucht.“ „Da muss ich Sie leider enttäuschen, Herr Kommissar. Seine Eltern haben sich, nachdem dieser Hans das Licht der Welt erblickte, schon früh getrennt. Ich sagte Ihnen bereits, dass der Mann abgehauen ist und Geschwister hatte dieser Hans keine. Sie sind nicht mehr auffindbar. Vermutlich gestorben.“ „Dachte ich mirs doch.“ „Haben Sie wenigstens einen Posten an die Kirche beordert, der das Gerüst beobachtet?“ „Ja, habe ich.“ „Nehmens auch den Baumeister noch einmal unter die Lupe, der tut immer so harmlos. Wahrscheinlich will er seine Steinmetzen nur decken. Wie sieht es mit seinen Freunden aus?“ „Nichts, Herr Kommissar.“ „Und seine engsten Freunde? Wir müssen alles bis aufs kleinste Detail durchsuchen. Wie, wann und wo, hat er sich in den letzten Tagen aufgehalten? Und Enderle, was wollen uns diese alten Haken mitteilen, wir müssen diese Geschichte baldmöglichst aufdecken, sonst können wir uns selbst an einem dieser Haken aufhängen.“ „Haha, Herr Kommissar, wenigstens haben Sie Ihren Humor noch nicht verloren.“ „Irgendwer treibt Schabernack mit uns.“
Alte Zeit
„Stefan, der erste Hilfshaken entsprach nicht ganz der richtigen Lösung. Mit dieser Doppelstütze lässt sich der Meißel von unten her noch besser abstützen und er leitet jetzt tatsächlich fast die ganze Schlagkraft des Hammers in die Spitze des Meißels. Viel Glück bei Deiner Arbeit und wenn Du fertig bist, hau mir einen Trog aus dem Gestein. Ich brauche einen neuen in der Werkstatt, um die heißen Eisen abzuschrecken. Dann sind wir quitt.“ „Wird gemacht, der Trog muss aber ganz hintenanstehen, hab vorher fürs Münster mindestens noch zehn Wasserspeier zu fertigen.“
„Genauso habe ich mir es vorgestellt, Stefan, das hat der Schmied gut gemacht.“ „Ha, ha, er korrigierte auch Deinen Vorschlag.“ „Warst Du bei den Frauen in der Sammlung?“ „Erreiche diese Sophie erst morgen.“ „Verspreche Dir nicht zu viel davon. Weißt ja von ihrem Gelübde.“ „Schon, trotzdem dürfen sie heiraten.“ „Stefan, mach Dir nichts vor, die sind fast alle adeliger Abstammung oder Patrizierinnen. Einen Handwerker wollen die nicht.“ „Will ja auch nichts von ihr. Nur das Rechnen lernen ist mir wichtig.“ „Ja, ja, glaub ich Dir aufs Wort.“ „Übrigens sind von denen viele Frauen von zu Hause weg, weil sie es dort nicht aushielten.“ „Trotzdem, Stefan, die sind was Besseres, zumindest fühlen sie sich bestimmt immer noch so.“
„Schau her, Gerd! Jetzt lässt sich das Material aus den Höhlungen viel besser herausmeißeln. Das wird den Schwarzröcken gefallen. Diesen Speier können wir schon morgen einsetzen. Ich gehe nochmals zur Kirche, um ihn genau auszumessen.“
Neue Zeit
„Enderle, wenn nicht in seiner Familie, dann taucht dieser Name Martha bestimmt in einem Verwandtschaftszweig auf. Irgendwo muss er versteckt sein, da bin ich mir sicher.“ „Herr Kommissar, Sie werden mich auslachen. Zufällig bekam ich in der Kirche einen Band der Verstorbenen aus dem späten Mittelalter in die Hand, und als ich ihn aufschlug, fiel mir sofort der Name Martha auf, die schon sehr früh als kleines Kind verstarb.“ „Und das sagen Sie mir erst jetzt?“ „Wann Enderle, wann ist sie gestorben?“ „Sie verstarb 1483.“ „Sind Sie jetzt übergeschnappt? Im Mittelalter? Wo soll es da einen Zusammenhang geben, Enderle, ich sehe keinen oder sind Sie schlauer als ich?“ „Es gibt einen, ist aber nicht wirklich einer, denn der Nachname dieser Martha lautet wie der Nachname dieses abgestürzten Hans, auf Einsinger.“
„Gut Enderle, das mag ja alles sein. Sie wissen, es gibt auch Zufälle und dann dieser zeitliche Sprung, das hat doch nichts mit der Martha zu tun, von der dieser Typ gesprochen hat.“ „Glaub ich eigentlich auch nicht. Ist aber schon ein komischer Zufall.“ „Es gab und gibt bestimmt auch heute noch viele Marthas oder glauben Sie nicht?“ „Ja, natürlich, ein Zufall, alles andere wäre nicht denkbar. Wollte es eigentlich auch gar nicht erwähnen. Vergessen Sie aber bitte nicht die mittelalterliche Bekleidung des Toten, aus uraltem Leinen, Herr Kommissar.“ „Und diese Haken Enderle, auch Zufall? Oder wollen Sie mir weismachen, dass wir es hier mit einem Mörder aus dem Mittelalter zu tun haben? Sie sind ein verkappter Mystiker.“ „Sie hatten doch von Mystik gesprochen, Herr Steinle.“ „So kommen wir nicht weiter, Enderle.“
Alte Zeit
Ein bisschen merkwürdig empfand es Stefan schon, als er die für den Wasserspeier gedachte Lücke mit der Schnur ausmaß. Gleich daneben befand sich dieser eingesetzte Stein, der die Lücke etwas verengt hatte. „Er müsste passen“, dachte er noch, als er einen leichten Wind spürte, seine Umgebung verschwamm und er plötzlich wieder auf diesem hellen Metallgerüst stand. „Schon wieder ein Tagtraum?“ Er erinnerte sich, wunderte sich aber, dass dieses Mal alles um ihn herum klar und scharf zu erkennen war. Dann zwickte er sich in seine Backe, spürte den Schmerz und erkannte nun dieses neue Geschehen widerwillig als Realität an.
„Wo bin ich bloß?“ Er blickte sich um und staunte wieder über das Gerüst, das hohe Münsterdach und den extrem hohen Turm. „Wo kommt dieser Turm her? Wunderschön, genauso soll er aussehen. Also doch ein Traum. Und diese Häuser um das Münster. Ein bisschen erinnern sie mich an unsere.“ Anders konnte er sich nicht ausdrücken. Er lief am Dach entlang zum Turm, fand eine Türe, ging hindurch und stieg die Treppen hinab. Alles fühlte sich stabil und fest an. „Gute Baumeister“, dachte er noch, als er vielen Menschen begegnete, die noch in der Kirche vor einem Laden standen. Sie beachteten ihn nicht. Umso mehr war er von ihnen angetan. Diese Hosen, Schuhe, Röcke, Haare, wie unpraktisch, dann diese merkwürdige Sprache. Gerade so noch zu verstehen. Er verließ die Kirche und erblickte ein kleines Mädchen. Wie erstarrt blieb er stehen: „Martha!“, schrie er, „Martha!“ „Hans! Da bist Du ja wieder. Du weißt doch, ich heiße Klara. Wo kommst Du her? Ich dachte, Du seist tot.“ „Tot? Wieso tot, Martha?“ „Du bist doch vor einiger Zeit vom Gerüst gestürzt, komm ich zeig Dir wo.“ Sie nahm einfach Stefans Hand und führte ihn an die Unfallstelle. „Ich dachte wirklich Du seist tot, auch der Kommissar hat das gesagt. Schau, hier steht noch das Gerüst. Von dort oben…“ „Oh Martha, mir fällt was ein, ich habe da oben was vergessen und muss schnell hoch. Wir sehen uns wieder. Brauchst nicht zu warten.“ Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange und kletterte schnell wie ein Wiesel die Leiter hoch. Als er oben angekommen war, drehte er sich noch einmal um, winkte Martha, die ihn mit offenem Mund verfolgt hatte, und verschwand, im wahrsten Sinne des Wortes, wie von der Mauer verschluckt. „Eine verrückte, neue, fremde Welt“, dachte er, als er sich bereits schon wieder auf seinem alten Gerüst befand.
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Fast die gleichen Gedanken schossen Christoph Columbus durch den Kopf, als er mit seinen drei Schiffen an der Küste Amerikas seine Anker auswarf. Eine neue Zeit war angebrochen. Die Menschen gierten nicht nur nach Gold, Gewändern, Gefäßen, Gewürzen und vielem anderen mehr. Die neuen Erfahrungen brachen in ihre alte Gedankenwelt ein und sprengten die engen Fesseln des Alltäglichen. Die Kirchen öffneten sich durch große Portale, bunte Fenster und gotische Bauweisen strebten gen Himmel. Die weitgereisten Schiffe rissen gedankliche Begrenzungen ein. Die Menschen überwanden ihre Ängste vor dem Unbekannten und begannen die Welt der Prediger zu hinterfragen.
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„Wartet!“ schrie Stefan. Er hatte von zu Hause seinen Speier geholt und ließ ihn mit einer Seilwinde zur Aussparung hochziehen. Er nahm sein flaches Eisen, verschob den Stein und drückte ihn an seinen vorgesehenen Platz. „Er passt! Ihr könnt das Seil einholen. Der sitzt für Jahrhunderte!“ Plötzlich schien Stefan zu erwachen: „Jahrhunderte“, flüsterte er. „Ist das, was ich erlebt habe, zeitlich um Jahrhunderte voraus gewesen? Der Turm, die Häuser, das Gerüst, die Menschen? Wie kann es sein, dass…, weiter darf ich nicht denken, sonst werde ich verrückt. Ein anderes Treiben in einer anderen Zeit? Und dann diese kleine Martha. Wie bin ich dort hingekommen und wie wieder zurück? Wo ist sie jetzt, diese Welt? Das kann nur einer meiner Träume gewesen sein. Niemand durfte es erfahren. Die Kirchenmänner würden ihm sofort seine Arbeit wegnehmen und ihn als verhext an den Pranger stellen. „Gott behüte mich“, stöhnte er.
„Stefan, komm runter, Du wolltest doch zur Sammlung.“ „Verdammte Kuhkacke“, flüsterte er. „Um sieben wollte ich dort sein und nun? Die macht mich zur Schnecke.“
*
„Hat der Herr Steinmetz die Uhr nicht schlagen hören?“ „Entschuldigt, ich …“ „Kann es mir schon denken, ihr Steinmetzen hört nur eure eigenen Hammerschläge“, Sophie lachte: „Was willst Du von mir, Geselle?“ Stefan fing an zu stottern und dachte dabei: „So ein wortgewandtes Weib, was soll ich hier überhaupt?“, antwortete aber stattdessen: „Ihr kennt mich wahrscheinlich nicht, ich…“ Stefan erzählte kurz seine Familiengeschichte sowie sein Vorhaben. „… und deshalb frage ich Euch, ob Ihr mich vielleicht ein wenig im Rechnen unterrichten könntet, damit meinem beruflichen Aufstieg nichts mehr im Wege steht.“ „Du bist mir nicht unbekannt, Stefan. Hab Dich schon oft auf dem Münster arbeiten sehen. Ich mach Dir einen Vorschlag: Wenn Du uns Sammlungsfrauen ein schönes Portal erstellst, werde ich Dich im Rechnen unterrichten, soweit das in Deinem Alter überhaupt noch möglich ist.“ Stefan strahlte: „Wann können wir anfangen?“ „Morgen, Du musst ganz in der Frühe kommen, um sechs Uhr. Weißt, obwohl wir Frauen sind, arbeiten wir tags meistens länger als die Männer. Also sei dieses Mal pünktlich, sonst wird das nichts mit uns.“ Es hatte nicht viel gefehlt und Stefan wäre vor ihr auf die Knie gefallen. Er bedankte sich durch eine tiefe Verbeugung und meinte: „Ich schaue mir noch Eure Eingangspforte genauer an.“ Sophie lächelte und dachte bei sich: „Von seiner Arbeit her zwar immer etwas schmutzig, aber er scheint ein anständiger Kerl zu sein, das muss ich ihm schon zugestehen.“
*
Ein Blick von Stefan genügte und die neue Pforte stand bereits fertig vor seinen Augen. Die schönste sollte es werden. Die allerschönste der ganzen Stadt.
Neue Zeit
„Herr Kommissar, seine Freunde meinten, Hans wäre ein ganz normal umgänglicher Typ gewesen, zwar ohne Frau, was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. Dafür liebte und lebte er seine absolute Freiheit. Also kein exzentrischer Perverser, - was allerdings eigenartig war - aber das wissen Sie schon, er interessierte sich sehr für die Ulmer Stadtgeschichte und man sah ihn deshalb oft stundenlang in der Bibliothek sitzen. Anscheinend hatte er vor, als Stadtführer zusätzlich noch Geld zu verdienen. Nichts Dummes oder Herr Kommissar?“ „Scheint trotz seiner Lebensweise tatsächlich ein anständiger Kerl gewesen zu sein. Nirgendwo lässt sich was finden, nur immer wieder das Altertum. Warum stand er denn überhaupt auf dem Gerüst? Womit war er genau an dieser Stelle beschäftigt? “