Tomavic und die Zufälle - Joachim Schmidt - E-Book

Tomavic und die Zufälle E-Book

Joachim Schmidt

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Beschreibung

Jeder Mensch birgt eine spezielle Lebensmotivation in sich. Was für die einen erstrebenswert, ist für die anderen nicht der Mühe wert. Manche glauben ihr Glück im Anhäufen von materiellen Besitztümern zu finden, andere dagegen stellen ihr Leben unter das religiöse Motto des selbstlosen Dienens. Wer entscheidet und wertet ist letztendlich immer das Individuum selbst. Tomavic glaubt tatsächlich berufen zu sein, um über Tod und Leben richten zu dürfen.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Der Autor

Joachim Schmidt

Schreibt Bücher vom Diesseits und Jenseits.

Er lebt heute mit Ehefrau und zwei Töchtern in einem Dorf bei Ulm.

Joachim Schmidt

Tomavic und die Zufälle

Der Herr über die Zufälle

Der Zufall

Was ist ein Zufall? Gibt es tatsächlich Zufälle? Oder sind diese Ereignisse nur Ergebnisse von Gesetzesabläufen, für den Menschen unsichtbar, einfach nicht nachvollziehbar?

Vorwort

Jeder Mensch birgt eine spezielle Lebensmotivation in sich.

Was für die einen erstrebenswert, ist für die anderen nicht der Mühe wert.

Manche glauben ihr Glück im Anhäufen von materiellen Besitztümern zu finden, andere dagegen stellen ihr Leben unter das religiöse Motto des selbstlosen Dienens.

Wer entscheidet und wertet, ist letztendlich immer das Individuum selbst.

Tomavic glaubt tatsächlich berufen zu sein und über Tod und Leben entscheiden zu dürfen.

www.tredition.de

Umschlaggestaltung, Illustration: Joachim Schmidt

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-7323-0219-2

e-Book: 978-3-7323-0220-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Tomavic und die Zufälle

Er genoss den herrlichen Ausblick von den Weinbergen aus über die gesamte Stadt. Er liebte laue Sommernächte, wie diese. Die Illuminationen der Stadt strahlten in alle Himmelsrichtungen und ließen sogar die Wolken hell aufleuchten. Ein herrliches Schauspiel von hier oben. Ein leichter Wind verwischte oberflächlich gesehen sogar fast alle Abgasspuren der Autos, die sich durch das Straßengewirr schlängelten. Man hätte fast glauben können, alles sei in bester Ordnung.

Tohmavic ließ sich nicht so schnell täuschen. Er kannte die Wahrheit hinter diesen Pseudo-Fassaden. Je länger er nach unten schaute und seinen Blick über die ganze Stadt schweifen ließ, umso stärker veränderte sich sein Betrachtungsbild, wie auch der zunächst entspannte Ausdruck seines Gesichtes. Seine Augen weiteten sich, die Gesichtszüge veränderten ihr Faltenmuster und gleichzeitig verschwammen die Konturen der Häuser. Die gesamte Stadt zeigte sich jetzt auf einmal in einem anderen Gewand.

Tomavic schmunzelte höhnisch, er kannte die wirkliche Welt. Ohne Zweifel, auch hier konnte er viel Gutes tun. Sein Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Maske.

Er war schon ewig unterwegs, hatte einen langen Marsch hinter sich, den er immer nur nachts durchführte. Das Tageslicht bereitete ihm in den Augen Schmerzen, aber sobald es dunkel wurde, gab es diese Probleme nicht mehr, dann sah er scharf, wie eine Katze. Er blickte selbst durch die tiefste Schwärze, wenn die Wolken Mond und Sterne verdeckten.

Viele Jahrhunderte dauerte seine Wanderung schon an. Von einem Land in das nächste, von einer Stadt zur anderen. Wenn sich jemand Mühe gegeben hätte das Chaos, das er hinterlassen hatte zu verfolgen, hätte er den dunklen Faden erkennen können, den Tomavic gesponnen hatte und an welchen sich immer wieder neue schreckliche Begebenheiten ketteten. Auf Tomavic traf die einfache Bauernregel zu: „Das was der Bauer sät, das erntet er auch“ und er säte viel, viel zu viel.

Hier, auf diesem Weinberg wollte er sich für eine bestimmte Zeit niederlassen. Nicht, dass er müde gewesen wäre und sich deshalb hätte ausruhen müssen. Nein, über seine Schreckensaktionen erhielt er mehr Energie, als er benötigte. Diese Stelle war für ihn einfach ein idealer Ort. Niemand kümmerte sich um diesen alten, verwahrlosten Weinberg und, was das Wichtigste dabei war, unter der vergammelten, vom Einsturz bedrohten Hütte verlief ein Gang in das Innere des sandsteinfelsigen Berges zu einer Höhle, die ein Geheimnis barg, von dem niemand wusste. Den Tag über zog er sich dorthin zurück, um seine Augen zu schützen, aber des Nachts….

In Tomavic sprudelten die Gedanken. Er hatte immer Ideen in seinem Kopf, hervorragende Ideen. Er empfand sich als unwahrscheinlich kreativ und lebte geradezu von diesen Einfällen. Nicht ohne Grund, denn er spürte, dass überall nach ihm verlangt wurde, dies motivierte seine überbordende Phantasie auf eine grenzenlose, nicht nachvollziehbare Weise.

So auch an diesem Abend. Tomavic nahm wieder einmal ein kommendes Ereignis wahr, das seiner Meinung nach nach einer Auflösung schrie. Er wusste ganz genau, wo es passieren würde und intuitiv wusste er auch, dass er dort rechtzeitig auftauchen konnte. Er spürte es nicht nur, sondern sah gleichzeitig alles, bis aufs kleinste Detail in Bildern vor sich. Die Auswahl der idealsten Gedanken, die er benötigte, um sein Vorhaben optimal zu gestalten, würde sich erst dort in der Situation einstellen. Nur einen Augenblick benötigte er dann für ihre Durchführung.

*.

„Du Arsch“, schrie die Frau und schaute dabei nach oben, „du Weiberheld, ich will nichts mehr von dir wissen, lass mich ja in Ruhe, sonst gehe ich zur Polizei.“ Tomavic, im Schatten einer Litfaßsäule versteckt, schmunzelte. Bevor die Frau hinter ihrem Lenkrad saß und den ersten Gang einlegte, befand auch er sich bereits tief geduckt auf dem Rücksitz ihres Autos. Seine Stimmung war richtig gut aufgeheizt. Die Wutenergie dieser Frau ermöglichte ihm gedanklich, in rasender Geschwindigkeit einen Plan auszuhecken. Aggressiv, mit durchdrehenden Vorderrädern fuhr sie los.

„Geduld“, dachte Tomavic, „ich brauche etwas Geduld, bald kommt ein Tunnel, dort wird es ideal sein.“ Mehrere Autos fuhren an ihnen vorbei. Er beachtete sie genauso wenig wie diese Frau. Mit vielen der Fahrer hätte er zwar auch eine Rechnung zu begleichen, aber alles der Reihe nach und hier hatte sich jemand in den Vordergrund gedrängt. Diese Frau benötigte zusammen mit ihrem Mann und der gesamten Verwandtschaft dringend Hilfe. Sie war noch sehr jung, er schätzte sie nicht älter als achtundzwanzig Jahre. Sie weinte, keuchte und fluchte in einem fort. In der Ferne konnte man das Dunkel der Tunnelöffnung schon erkennen. Ein Fest, ein schönes Fest würde es werden.

„Viele werden daran teilnehmen und viele werden davon aufwachen, ein bisschen wenigsten, ein bisschen“, so hoffte Tomavic. Er war der Beste. Niemand erkannte seine Fähigkeiten und Absichten. Die Menschen, mit denen er Kontakt aufgenommen hatte, verachteten ihn, aber was sollte es schon, er hatte gelernt hinter ihre Fassaden zu schauen.

Viele Autos fuhren in Richtung Tunnel. So z.B. ein Gemüselieferant, er hatte es immer besonders eilig, denn erstens musste seine Ware frisch abgeliefert werden und zweitens traf er sich diesen Abend mit Freunden im Bierzelt. Das würde eine Sauferei werden. Er bekam jetzt schon Kopfschmerzen, wenn er nur an den Tag danach dachte. Den Restalkohol vom letzten Fest, von vor zwei Tagen, hatte sein Körper noch nicht ganz überwunden, aber was machte das schon aus, schließlich wollte er leben. Dieses Mal würde er sogar noch einen draufsetzen, denn es waren auch einige Mädchen eingeladen, die nicht ohne waren und das Wochenende stand bevor. Sein Körper hüpfte unbewusst vor Freude und er fuhr, laut singend, ohne es zu bemerken in leichten Schlangenlinien.

Hinter Tomavics Auto quälte sich der Fahrer eines Lastwagens. Jeden Tag saß er schon ab fünf Uhr morgens hinter dem Steuer und die erste Müdigkeit machte sich um diese Zeit bemerkbar. Er kannte sie sehr gut und wusste, dass er sie nur durch tiefes Einund Ausatmen bezwingen konnte. Es würde ihm gelingen, deshalb machte er sich keine Sorgen.

„Mit der Frau vor mir scheint irgendetwas nicht zu stimmen, sie drückt wie verrückt aufs Gaspedal, ohne sich um die Blitzer zu kümmern. Geschieht ihr recht, diese dumme Gans“, dachte er, als ein greller Blitz seine Gedanken bestätigten. Besserwisserisch und überheblich grinste er in sich hinein.

Hinter dem Lastwagen hatte sich eine ganze Kolonne eingereiht, niemand traute sich vor dem Tunnel zu überholen. Trotzdem wusste Tomavic auch von dem Radfahrer, der sich bereits im Tunnel befand und heute, weil er es besonders eilig hatte, auf verbotener Weise diese Abkürzung nahm. Seine Frau und seine Kinder hatten ihn so lange genervt, bis er voller Wut aufs Rad gestiegen war, um sich auf ihm durch schnelles Fahren abzureagieren. An der Breite des Tunnels hatte es nicht gelegen, aber der gut gelaunte Gemüselieferant auf der entgegen kommenden Seite musste genau in dem Moment, als sein Wagen wieder in Richtung Mitte schwankte, auf Tomavics Fahrerin reagieren, die dem Radfahrer auf ihrer Seite ausweichen wollte. Entsetzt darüber, diesem Spinner hier im Tunnel zu begegnen, riss sie ihr Lenkrad ebenfalls nach links in die Mitte.

Nichts mehr konnte korrigiert werden. Die Augen des Gemüselieferanten vergrößerten sich auf das Doppelte. Er riss den Mund auf und schrie:

„Verdammt“, während Tomavics Fahrerin mit ihrem Wagen bereits an seinem Fahrzeug klebte und sich die Seiten knirschend aneinander rieben. Beide rissen ihr Lenkrad entgegengesetzt, nur dass jetzt auf einmal der Platz für große Lenkmanöver im Tunnel nicht mehr ausreichte, nicht links und nicht rechts. Wegen seiner Verschlafenheit benötigte der Lieferant mehr als nur eine Schrecksekunde, deshalb bemerkte er den nachfolgenden Lasterfahrer viel zu spät, sodass auch die hinter ihm fahrenden Autos, die sich bis dahin völlig korrekt verhielten, keine wirkliche Chance bekamen darauf zu reagieren.

„Ich lade euch alle zu meinem großen Fest ein“, dachte Tomavic noch kurz, bevor das Chaos ausbrach.

Menschlich betrachtet, konnte das Ausmaß dieses Unglückes verstanden werden. Eine Folge von Umständen hatte es ausgelöst, wie man nachträglich recherchierte. Wieder einmal hatte Gott weggeschaut oder war er während des Unglücks mit etwas Anderem beschäftigt gewesen? Viele der Hinterbliebenen zweifelten deshalb wieder einmal, wie so oft, wenn sie Zeitungsberichte lasen, an seiner Existenz und an einer göttlichen Gerechtigkeit überhaupt, aber Tomavic, völlig zufrieden mit sich und dem, was soeben passiert war, reckte sich genüsslich zwischen den Trümmern, bevor er sich davon machte. Nur einen winzig kleinen Dreh am Lenkrad von hinten hatte es gebraucht.

Er stieg aus den Trümmern und schaute nicht einmal mehr hinter sich. Das Flammeninferno würde vieles bereinigen, auch wenn niemand etwas davon wissen wollte. Eine Genugtuung zog durch sein Gemüt. Erfolg, Erfolg, auf der ganzen Linie! Seine Berechnungen auf den Millimeter und die Sekunde genau, damit sich auch alles so ereignen konnte, wie er es vorgesehen hatte. Schon eine zeitliche Verschiebung von einer Sekunde hätten seinen Plan zunichtemachen können, hätte viel weniger Unglück und Konsequenzen nach sich gezogen. Ihm war nicht wichtig, dass irgendjemand diese Vorgänge verstand, er alleine wusste, er musste es einfach tun und er tat es immer, wenn er das Gefühl dafür empfing, dass man seine Hilfe benötigte. Tomavic war ein Meister in Sachen Klarheit schaffen.

Wieder in seiner Hütte angekommen, plante er weiter. Er brauchte Helfer. In dieser Stadt gab es viel zu viele Menschen, die schon viel zu viele gleichartige Leben hinter sich gebracht hatten, ohne dass sich auch nur das Geringste verändert hatte. Er brauchte dringend Gehilfen und er wusste auch schon woher er sie bekam. Deshalb zog er sich in seine Höhlengänge zurück, um sich mit Erdenergie aufzuladen und seinen Altar aufzustellen.

*

Zur selben Zeit lebte, wie es der Zufall wollte, eine dreiköpfige Familie ganz in der Nähe von Tomavics neuer Unterkunft. Das Familienoberhaupt, Hendrik Hauser, ein erfolgreicher Psychotherapeut, hatte am Fuße des Weinbaugebietes, unterhalb des Schimmelhüttenwegs, eine beachtliche Villa mitsamt einer gutgehenden Praxis aufgebaut. Hendrik, ein von sich überzeugter Therapeut, freute sich zusammen mit seiner Ehefrau Angela, Lehrerin an einem Gymnasium, über den erfolgreichen Abschluss ihres Sohnes, der vor einigen Tagen gerade sein Abitur absolviert hatte.

Im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen, wusste Wolfram schon genau, wie es mit ihm weitergehen sollte. Geologie, Archäologie und Altsprachen schwebten ihm als Studienmöglichkeiten vor. Er träumte davon in der Zukunft irgendwo im Ausland alte Kulturen zu erforschen. Sein Arbeitszimmer war gespickt mit einschlägiger Literatur.

„Hast du das schon gelesen, was heute in der Zeitung steht?“ fragte Angela ihren Mann und zeigte ihm das Bild der Tunnelkatastrophe.

„Ja, schrecklich, habe mir schon einige Gedanken darüber gemacht. Man weiß eigentlich gar nicht so genau, wie es sich zugetragen hat, aber das ist auch egal, du kennst ja meine Einstellung, nichts geschieht ohne Grund. Obwohl es drei Tote und jede Menge Verletzte gab, glaube ich, dass letztendlich alle ihren Obolus dazu beigetragen haben. Wären sich die Leute bewusster gewesen und hätten selbst öfter überlegt, ob alles in Ordnung mit ihrem Leben ist, dann hätte sich diese Unfallkonstellation vermutlich nicht ereignet bzw. wäre nicht so heftig ausgefallen. Das hört sich zwar überheblich an, aber glaube mir, was mir alles meine Klienten erzählen, was ihnen passiert ist, nur weil… usw.“ Angela nickte beifällig.

„Ja, ich kenne das Thema, aber immer wieder zweifle ich und überlege, ob manches nicht wirklich nur ein dummer Zufall gewesen war.“

„Ein Fall, der unter ganz bestimmten Bedingungen zugefallen war - schon“, erwiderte Hendrik. „Es gibt auch genügend Beispiele, wo Menschen in fast aussichtlosen Situationen doch noch mit dem Leben davon gekommen sind. Auch hier muss man sich fragen: Zufall oder steckt etwas tieferes Verborgenes dahinter?

Viele schieben diese Art von Glücksmomenten in den esoterischen Bereich und sprechen von Schutzengeln, die helfen können. Ich frage mich dann immer wieso hilft hier ein Schutzengel und dort hilft er nicht? Schutzengel, wenn es sie überhaupt geben sollte und wenn sie überhaupt ein Menschenleben beeinflussen, dürfen doch nicht wählen? Ich erwarte von ihnen, dass sie integer sind und nicht parteiisch.“

„Wir sind trotz unseres hohen technischen Wissens einfach immer noch viel zu unbewusst uns selbst gegenüber“, meinte Angela.

„Da hast du wohl recht Angela, ich habe zwar viel studiert und eine Menge an Erfahrungen durch meine Klienten gewonnen, doch hier scheint ein Grenzbereich, den man anscheinend nicht ohne weiteres erforschen kann. Hier beginnt eine Metaphysik, die zwar erfahrbar aber nicht logisch erklärbar ist.“

„Ihr macht euch immer über Dinge Gedanken, die einfach so sind wie sie sind. Was wollte man über die alten Kulturen nicht schon alles als Wahrheit verkaufen und dann stellte sich nach einiger Zeit der Erforschung mit neuen Methoden heraus, dass alles Wissen nur auf einer mangelhaften Vorstellung basierte, wie es tatsachlich war. Man hatte oft nur religiöse Sitten und Denkweisen auf andere Kulturen übertragen. Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen und alles was wir nicht verstehen können, irgendwie esoterisch erklären wollen. Warum können wir nicht alles nur so sein lassen, wie es ist, bis die Zeit des Begreifens dafür reif ist?“

„Hört, hört unser kleiner Philosoph mausert sich zu einem großen Denker, glaubt an nichts mehr, außer nur noch an sich“, antwortete Hendrik.

„Ganz so radikal bin ich nicht, aber du hast schon in gewisser Weise recht. Zu viel lief schon an Theorien über die Weltbühne und führte das Denken der Menschen in eine Sackgasse, die keine andere Lösungsmöglichkeit mehr zuließ, als einen Krieg.“

„Du willst uns doch jetzt nicht etwa in eine ganz bestimmte Schublade stecken?“ fragte seine Mutter. „Nein, nein, ich meine ja nur einige Ansätze zu entdecken, die….“ Alle fingen plötzlich an zu lachen.

Lachen, über sich, über die Welt, alles nicht so ernst nehmen, das tat immer wieder gut und diese Familie amüsierte sich oft auf diese Weise.

„Spaß beiseite“, meinte Hendrik, „hätte denn die Welt einen Sinn, wenn sich alles zufällig ereignen würde? Wäre dann nicht alles irgendwo sinnlos? Ich glaube schon an etwas, sogar an etwas Großartiges, was ich allerdings nicht verstehen kann, weil ich ihm nicht gewachsen bin.“

„Ok, da stimme ich zu“, pflichtete ihm Wolfram bei.

„In der letzten Zeit beobachte ich eine merkwürdige Begebenheit in der Zeitung“, begann Hendrik. „Kriege, Unfälle, Naturkatastrophen ziehen wie ein Band über die Welt, als ob jemand ganz bewusst dieses Band legen würde. Wenn meine Beobachtungen stimmen, wird es Deutschland auch bald erreichen. Vielleicht war dieser Unfall im Tunnel schon ein Vorbote?“

„Jetzt hör aber auf“, rief Angela entsetzt. „Jetzt bin ich diejenige, die glaubt, dass ihr zwei zu viel hinein interpretiert.“

„Wer weiß, vielleicht sitzen wir Morgen auch zwischen den Trümmern unseres Fahrzeuges und fragen uns warum das passiert ist und dann“… wollte Hendrik weiterreden.

„Ausschließen kann man es bestimmt nicht, auch wir haben Dinge zu klären von deren Existenz uns noch gar nichts bewusst ist, die uns aber unbewusst vielleicht schon seit vielen Leben belasten und gehen dieses Problem dann auch erst nur an, wenn sich etwas Einschneidendes ereignet hat, aber das heißt noch lange nicht, dass hier ein dunkles Band“….

„Genug für heute, ich muss noch in der Schule einiges erledigen“, drängte sich Wolfram dazwischen

„Und ich habe beinahe meinen Patienten vergessen, der vermutlich schon im Warteraum sitzt.“

„Ok, dann machen wir uns auf den Weg, bis heute Abend“, schlug Angela vor und damit beendeten sie ihre Diskussionen.

*

„Passt auf, ihr wollt doch sicher ein paar Kröten verdienen, ohne dabei viel tun zu müssen.“ Tomavic wurde von allen Seiten misstrauisch angeschaut, obwohl er fast genauso aussah, wie diese abgerissenen Typen, die sich durch Betteln und Klauen ihr Geld verdienten. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, das Gesicht speckig-glänzend durch einen Monate alten Bart bedeckt, von den strähnigen, tiefschwarzen Haaren auf seinem Kopf ganz zu schweigen. Wenn man sie mit einem Kamm zügeln wollte, würden sie sich steif, wie Drähte einer Drahtbürste, gebärden. Der einzige Unterschied zu diesen anderen Typen lag in seiner energetischen Art, Worte zu formulieren und an seinen Händen, die während des Redens wild gestikulierten. Er trat mit einer Sicherheit auf, die ihn trotz seines Aussehens automatisch zu einer Respektsperson unter all den Ausgestoßenen erscheinen ließ.

„Was meinst du damit? Ein paar Kröten verdienen. In den Knast gehe ich wegen dir nicht, wir kennen dich überhaupt nicht. Wir haben hier schon genug Schwierigkeiten mit der Polizei“, meinte ein etwas verschrobener Bursche, der sich besonders schlau vorkam. Bei den anderen hatte man den Eindruck, dass sie alle zutiefst in ihrer Persönlichkeit zerrüttet waren. Der Mutigere, der Tomavic angesprochen hatte, würde schon alles regeln, wenn es denn überhaupt etwas zu regeln gab und deshalb wandten sie sich fast alle mehr oder weniger wieder ab und setzten ihre Flasche an den Hals.

„Ok, ich verteile an euch jetzt ein paar Zettel. Ich hoffe ihr kennt wenigstens das Alphabet und könnt den Text lesen und die Karte richtig deuten. Wer Interesse daran hat, den erwarte ich morgen dort, wo das Kreuz markiert ist, aber kommt nur in der Nacht, niemals am Tag und schaut, dass ihr möglichst von niemand gesehen werdet. Bier gibt es umsonst. Alles Weitere besprechen wir dann dort.

Tomavic unterhielt sich noch mit anderen Düsterlingen, die in Gruppen auf dem Boden saßen mit einer Flasche Bier zwischen den Beinen und mit einigen anderen, die einen viel zu kurzen Stock in der Hand hielten, um damit einen Verkrüppelten vorgaukeln zu können und wieder anderen, die auf irgendwelchen alten, vergammelten Instrumenten Töne herausquetschten, die den Zuhörern Ohrenschmerzen bereiteten.

„Denkt daran, nur wenn wir viele sind, wird mein Vorhaben gelingen und ihr werdet reich werden.“ Mit diesen Worten wanderte er zu den Nächsten. Es gab viele auf dieser Einkaufsstraße. Meistens saßen sie in düsteren Winkeln oder aber direkt neben den Eingängen großer Einkaufszentren, damit man sie nicht übersehen konnte.

In einem anderen Stadtteil begrüßte Tomavic eine besonders große Gruppe von Gestrauchelten, die sich tagsüber viel mit Hunden und meist mehreren Flaschen Alkohol in Plastiktüten an einer alten, vergessenen Kirche trafen. Sie beäugten ihn misstrauisch. Erst als er Weinflaschen unter ihnen verteilte und sie mit belanglosem Gerede zum Lächeln brachte, gewann er ein wenig ihr Vertrauen.

„Leute“, schrie er plötzlich und spielte dabei selbst einen Angetrunkenen, „ich habe eine gute Idee und ich könnte einige von euch Kerlen gebrauchen. Wer hat Lust einmal so richtig seine Taschen mit Scheinen vollzustopfen? Alleine kann ich es nicht durchführen, aber mit ein paar tapferen Burschen von euch könnte es gelingen.“ Die größten Maulhelden unter ihnen lachten aus vollem Hals. So einen Deppen hatten sie noch nie unter sich gehabt.

„Wie willst du das denn anstellen, du Großmaul?“, pöbelte ihn ein verwahrloster Bärtiger mit schmierigen, zu einem Zopf gebundenen Haaren, von der Seite an. „Wenn du eine Bank überfallen willst, dann mach das mal alleine, wir sind hier zufrieden mit unserem Bier. Jeder von uns weiß, wie es im Knast aussieht.“

„Pass auf, du Ratte, ich mach dir hier ein faires Angebot, wie du dich aus deiner eigenen Scheiße ziehen kannst, ohne dabei in den Knast zu müssen, oder willst du lieber ein Leben lang mit einer Bierflasche in der Hand hier sitzen bleiben?“ Tomavic richtete sich groß auf, sodass der andere Typ nun nur noch von unten in seine dunklen Augen schauen konnte. Er musste sich jetzt etwas Gutes einfallen lassen, um vor den Anderen, die bereits neugierig ihre Köpfe gedreht hatten, nicht sein Gesicht zu verlieren. Aber er durfte auch nicht zu viel verraten. Wer weiß, vielleicht lief einer von denen sofort zur nächsten Polizei, nur um sich besser zu stellen und ein paar Cents zu verdienen.

„Heute Abend, wer interessiert ist, kommt dort hin“, dabei deutete er auf einen bedruckten Fetzen Papier. „Bei ein paar Fläschchen bespreche ich mit Euch, was ich vorhabe. Ich kann mir bei keinem einzigen von Euch vorstellen, dass er nicht mitmachen möchte. Ihr werdet es nicht bereuen. Also bis heute Abend um acht, haltet aber die Schnauze.“

Darauf konnte sich Tomavic natürlich nicht verlassen, aber es ginge auch in Ordnung, wenn es sich unter ihresgleichen herumsprechen würde und sich noch mehr anschließen würden. Vor der Polizei hatte er nicht wirklich Angst. Das hier also wäre die zweite Gruppe, mit der er arbeiten würde.

Dort, wo die Sandsteinstufen einen Weg in ein schmales Weinberggut freigaben, unter dem Vordach einer Hütte, stellte er eine Kerze auf einen alten morschen, von Holzwürmern zerfressenen Tisch. Jetzt würden sie ihn bestimmt finden. Tomavic hatte schon beinahe das Warten aufgegeben, als er lautes Schnaufen und schleifende Schritte den Weg hoch kommen hörte. „Das müssen sie sein“, dachte er und lief ihnen entgegen. Nur fünf Mann waren seiner Skizze gefolgt. Einzeln hätten sie es sich nicht getraut aber die Fünf kannten sich und gemeinsam überwanden sie ihre Ängste.

„Ist ja schon ein merkwürdiger Typ gewesen, aber was soll‘s, wenn es wirklich wahr ist, dass wir an viel Kies rankommen können, warum dann nicht?“ hörte Tomavic und schmunzelte in sich hinein.

„Da seid Ihr ja, hatte schon geglaubt Ihr hättet die Hosen voll“, tönte Tomavic.

„Auf blöde Witze können wir verzichten.“

„Ist ja schon gut, Ihr seid aber empfindlich. Kommt, oben in der Hütte gibt es Bier oder will lieber einer von Euch Wasser?“

“Ha ha ha, du bist aber ein Spaßvogel.“ Sie marschierten in einer Reihe hinter Tomavic her, die enge, steinerne Treppe hoch, bis zur Hütte, wo jeder eine Flasche Bier erhielt. „Jetzt sind wir aber gespannt!“ rief einer laut.

„Pst, nicht so laut, es muss niemand unbedingt wissen, dass Ihr hier seid”. In diesem Augenblick schob sich der Mond durch die Wolken und tauchte die ganze Landschaft in eine märchenhafte, idyllische Stimmung.

„Unter dieser Hütte befindet sich ein Bergwerk mit einem Schatz. Wenn Ihr mir folgt, dann zeige ich ihn Euch und dann könnt Ihr euch entscheiden, ob Ihr mir helfen wollt, um etwas abzubekommen.“ Jeder murmelte jetzt unverständliches Zeug vor sich hin, denn keiner konnte es glauben, was Tomavic da eben von sich gegeben hatte.

„Einen Schatz, bist du dir sicher?“ wollte einer wissen.

„Wenn ich es dir sage, aber du wirst gleich sehen.“

Einer nach dem anderen stiegen sie die Leiter nach unten. An den Wänden erwartete sie Kerzenlicht, das sie durch einen Gang ins Innere des Berges führte.

„Wo sind wir hier?“ rief einer.