Der Verräter, der begnadigt wurde - Irmgard Stamm - E-Book

Der Verräter, der begnadigt wurde E-Book

Irmgard Stamm

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Beschreibung

Otto von Corvin, 1812 geborener Schriftsteller und Freiheitskämpfer, ist eine der schillerndsten Figuren der Badischen Revolution, war Chef des Generalstabs der Revolutionäre in Rastatt und führte schließlich in aussichtloser Lage die Übergabeverhandlungen mit den Preußen - und wurde deshalb im Jahr 1849 von den Siegern als einziger der zum Tode verurteilten Anführer in letzter Minute begnadigt. Hat Corvin die Badische Revolution verraten, nur um seine eigene Haut zu retten? Zum ersten Mal erscheint nun eine ausführliche, spannend zu lesende und wissenschaftlich fundierte Biographie dieses Freiheitskämpfers, der bislang weniger Beachtung gefunden hat, als er verdient. Die Autorin Irmgard Stamm geht in ihrem Buch nicht nur dieser Frage nach und bewertet seine Lebensleistung neu, sondern beleuchtet darüber hinaus viele geschichtliche Hintergründe und gibt so den Lesern einen höchst interessanten, aufschlussreichen Einblick in jene Zeit. In jahrelangen Recherchen hat Irmgard Stamm dazu zahlreiche Originaldokumente - unter anderem Briefe und Notizen Corvins - ausgewertet und dabei auch die bisher nicht bekannte Prozessakte vom Standgericht Rastatt aus dem Jahr 1849 entdeckt. Ein Buch, das alle Leser in seinen Bann zieht und zudem den Historikern neue Facetten aufzeigt.

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Irmgard Stamm

Der Verräter, der begnadigt wurde

Otto von Corvin (1812-1886) und die Revolution in Baden

Impressum

Irmgard Stamm: Der „Verräter“, der begnadigt wurde

Otto von Corvin (1812-1886) und die Revolution in Baden

Copyright by AQUENSIS Verlag Pressebüro Baden-Baden GmbH 2012

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe jeder Art, elektronische Daten, im Internet, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsunterlagen aller Art ist verboten.

Umschlaggestaltung und Satz: Karin Lange, www.seeQgrafix.de

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783954570539

www.aquensis-verlag.de · www.baden-baden-shop.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Vorwort der Autorin

1. Familie und Kindheit

2. Beruf und Berufung

Glänzendes, elendes Leutnantsleben

Als Literat in Leipzig

3. Das erste Leipziger Schwimmbad

4. Das „Corviniello“

5. Die Revolution von 1848

Paris und die Deutsche Arbeiterlegion

Mit Herwegh über den Rhein

„Alles schreit Rache“

Berlin im demokratischen Fieber

6. Die Reichsverfassungskampagne von 1849

Baden, die revolutionäre Braut

Schicksal Rastatt: „Wir warten...“

Ergeben auf Gnade und Ungnade

Der Sand von Rastatt hat ihr Blut getrunken

7. Das Pennsylvanische Männerzuchthaus Bruchsal

8. Im Exil

9. Amerika und die „Fortyeighters“

10. Zurück in Europa

11. Der Pfaffenspiegel und die Folgen

12. Auf Gnade und Ungnade – die Rache des Schriftstellers

13. Was bleibt?

Anhang

Farbbilder

Dokumente

Fundstellen und Anmerkungen

Literatur

Archive und Sammlungen

Dank

Vorwort

Es kommt in der Geschichte vor, dass sich die politisch-geistige Entwicklung wie an einem Scheideweg staut. Neue Ideen drängen zum Durchbruch, treffen auf verkrustete gesellschaftliche Strukturen, die nicht weichen wollen. Es bleibt fraglich, welchen Verlauf die Entwicklung nehmen wird. Und dann plötzlich drängt alles einer bestimmten Richtung zu, sei es aus Gründen der inneren Logik oder weil einzelne Menschen mit ihren Taten die Richtung vorgeben. Eine solche Situation war mit der Revolution von 1848/​49 gegeben.

Die Selbstbefreiung des Individuums war seit der Renaissance vollzogen. Die Aufklärung hatte ihre Wirkung entfaltet, die französische Revolution politisch die Schlagworte geliefert: Egalité, fraternité, liberté. Diese Worte waren es, die die gesamte intellektuelle Welt elektrisierten, und zwar in ganz Europa. Gebrochen sollte die Fürstenallmacht und ein Weg beschritten werden hin zu einer konstitutionellen Monarchie, besser zur parlamentarischen, repräsentativen Demokratie. Doch der Weg um die Mitte des 19.Jahrhundert war noch weit. Der Verlauf der Entwicklung zeigt, wie die Ergebnisse, zusammengesetzt aus (unglücklichen) Zufällen, aus Umständen, die man auch Schicksal nennen könnte, wie diese Wirkungskräfte in Jahren, ja Augenblicken der Entscheidung schon die Zukunft in sich tragen.

Insoweit waren die Jahre 1848/​49Schicksalsjahre für die deutsche demokratische Bewegung. Ideen- und Stichwortgeber finden wir in dieser Zeit und den Jahren davor genügend. Doch als der Kampf 1849 zu einem Endkampf geworden war, findet sich von den Herwegh, Hecker und Struve niemand mehr unter den Akteuren in der Festung Rastatt. Uns bedrängt die Frage: Wer waren jene, die bis zum Ende diesen Kampf um bürgerliche Rechte führten, mit Hab und Gut und ihrem Leben bezahlten? Wir sind deren Erben. Sie haben einen politischen Prozess angestoßen, der noch einmal 100Jahre dauerte, bis mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik verwirklicht wurde, was 1848/​49 noch auf schändliche Weise von den alten politischen Kräften verletzt wurde: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dazwischen lag das Jahrhundert, das den Nationalstaat fest verankerte und zu einem Jahrhundert der Kriege wurde. Von 1848 her gesehen ein schauerliches historisches Ritardando mit unsäglichen Opfern!

Betrachten wir nun die agierenden Personen, die in der Festung ausharrten und hofften, den Sieg zu erringen über die abgelebten Kräfte, denen autokratisches Denken und fürstliches Gottesgnadentum die entscheidenden Impulse für politisches Handeln gaben. Unter den Handelnden in der Festung fanden sich die unterschiedlichsten Charaktere nach Herkunft, Bildung und Interesse zusammen; es band sie alle aber ein unbändiger Enthusiasmus und der Traum natürlich von einer besseren Welt, die auf Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums basierte. Da war zunächst der badische Oberst von Biedenfeld, der redlich, verwegen, besonnen, sich der neuen Regierung, die keine fürstliche mehr war, zur Verfügung stellte, und da war der Herausgeber des „Festungsboten“ Elsenhans, ein tüchtiger Journalist, der mit den Mitteln der Propaganda versuchte, die „Insurgenten“ zu motivieren und selbst dann noch bei der „Ordnung“ zu halten, als die Sache längst verloren war – ein Idealist eben: das sein einziges „Verbrechen“. Bezahlt hat er mit seinem Leben. Und dann war da der Chef des Gouvernements, Tiedemann, aus gutbürgerlichem Hause und der Professor Kinkel und einfache Menschen, Tagelöhner, Handwerksburschen und viele, die sich Vorteile versprachen, auch – zugegeben sei es – zwielichtiges Gesindel, das sich den Insurgenten anschloss, bereit, sich eben so schnell wie sie gekommen waren, wieder zu verlaufen. Viele von ihnen von der Not getrieben. Auch sie bildeten die historische Kulisse, denn Jahrzehnte der Verheerungen, der Auswanderungswellen, aus Not und Elend, von Hungersnöten hatten das Land heimgesucht und ausbluten lassen. Diesen Hintergrund muss man kennen, will man die Akteure verstehen.

Dazwischen taucht eine der schillerndsten, abenteuerlichsten und begabtesten Figuren auf, die der ganzen Revolutionsbewegung und dem Geschehen in Rastatt Farbe und eine gewisse Sensation verleiht: Otto von Corvin-Wiersbitzky.

Ein Abenteurer ohne Prinzipien, ohne Überzeugung, sagen die einen, ein Verräter sagen die anderen. Doch für keinen trifft so sehr das Schiller-Wort zu: „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Ein Charakter, das war er zweifellos, „geprägte Form, die lebend sich entwickelt“: ein vielseitiger Dilettant, voller Elan, getrieben von Neugier, zunächst schwankend zwischen den Fronten, Entscheidungen fällend, präzise und streng im Militärischen, überlegt, gelegentlich zur Ranküne neigend, sicher auch zur Vorsicht, ein eitler Beau, erfolgreich bei Frauen, der um Anerkennung warb. Ein Mann von aristokratischer Erziehung und dem entsprechenden Habitus, aber nicht zu sehr. Manchmal Freund von jedermann, aber mit Distanzbewusstsein, stolz gewiss, auch ehrgeizig, am Ende redlich für eine Überzeugung einstehend, die er anfänglich gar nicht hatte. Ein Freund des einfachen Volkes sicher nicht. Einer, der sich schon an die Ideale der Demokratie-Bewegung band, der die Zeichen der Zeit richtig deutete? Einer, der den Fortschritt liebte, der nicht den üblichen vorgezeichneten Weg des Offiziers gehen wollte, mit Gamaschendienst und Standesdünkel – nein, Corvin suchte nach einem individuellen Lebensentwurf jenseits des Herkömmlichen. Das konnte er, weil seine Begabungen ihm solche Möglichkeiten eröffneten: Erfinder, Schriftsteller, verhinderter Unternehmer. War er auch ein politischer Mensch, hatte er überhaupt politische Überzeugungen oder trieben ihn lediglich Neugier und Renegatentum? Am Ende ging es auch für ihn ums Überleben. Sein Weg mag ein Beispiel dafür sein, wie es geht, wenn man die Irrungen und Wirrungen seiner Epoche mit durchleben muss und versucht, am Ende die „Fackel der Wahrheit“ weiterzutragen, selbst dann, „wenn der Vogel der Minerva zum letzten Flug angesetzt hat“.

Rastatt, August 2012, Wolfgang Peitz

Vorwort der Autorin

Die meisten Biografien entstehen im Alter eines Menschen; diese beginnt im Gefängnis, genauer: in den Kasematten von Rastatt. Denn dort saß, neben vielen anderen Revolutionären, der “Hochverräter” Otto von Corvin-Wiersbitzki in Erwartung seines Todesurteils und schrieb: zunächst über die Tragödie von Rastatt, später, im Zuchthaus und Exil, über seine eigene, die unmittelbar daraus hervorging.

Wer sich in Rastatt mit der badisch-pfälzischen Revolution von 1848/​49 beschäftigt, der findet eine große Zahl von Publikationen; einige wurden anlässlich der Gedenkjahre 1998 und 1999 verfasst. Je mehr man aber über die Vorgänge von damals weiß, desto mehr wächst auch das Interesse an den Menschen, die hier wirkten und von der Bewegung erfasst wurden oder sie aktiv vorantrieben. Und, anders als vor 160Jahren, erinnert man sich heute gerne, sucht nach Details, die mit dieser Revolution zusammenhängen. Es war, da sind sich alle Demokraten einig, eine gute Revolution mit guten Zielen. Dass sie niedergeschlagen wurde, macht die Bewegung erst recht sympathisch, und wer darin verwickelt war, gilt uns durch die bloße Teilnahme als Held.

Doch welche Lebensläufe verbergen sich hinter den Namen der “Achtundvierziger”, und wie führten sich die Revolutionäre in der eingeschlossenen Freiheitsfestung Rastatt auf? Die Rastatter hatten ihre eigene Vorstellung von Freiheit, wenn über den Dächern die Kugeln der Belagerer pfiffen! Einige Zeitzeugen haben ihre Erinnerungen – oft Jahre später – zu Papier gebracht, liefern uns lebendige Bilder zu den Vorgängen von damals und geben manchem Namen ein Gesicht.

Auch Albert Förderer, der 1849Schüler am Rastatter Lyzeum war, griff zur Feder.1 In der Einleitung zu seinen Erinnerungen begründet Förderer, was ihn dazu veranlasst hat: Die Karlsruher Zeitung vom 9.Januar 1881 berichtete über eine Unterredung, die der Literat Otto von Corvin im Jahre 1870 zu Versailles mit dem Fürsten Bismarck gehabt und bei der Bismarck folgende Worte gesagt haben soll: “Wie das Schicksal die Dinge fügt: Dieselben Gesinnungen haben Sie ins Gefängnis geführt und mich auf den Platz, auf welchem ich stehe.” Dieser Zeitungsartikel führte Förderer die Ereignisse von 1849 so lebhaft vor die Seele, dass er die beteiligten Personen aus dem Gedächtnis hätte malen können. Zu den Unvergesslichen habe auch Herr v. Corvin gehört. Förderer hatte ihn in jenem Sommer oft gesehen und auch einige Male reden hören und war zu folgendem Schluss gekommen: “Wenn einer den Tod verdient hatte war er es. Und doch dachte ich von vornherein, dass Corvin nicht erschossen würde; schon sein Auftreten im großen Kriegsrate, wo er die Übergabe befürwortete, machte den Eindruck, dass ihm Schonung des Lebens versprochen sei… Derlei gehen nicht so leicht unter.”2

“Den Tod verdient –” ein starkes Wort! So prägnant war das Erlebte, dass ein Rastatter, noch dazu ein Geistlicher, nach Jahrzehnten betroffen reagiert, ja sogar zur Feder greift und ein so hartes Urteil fällt.

Die Durchsicht gedruckter und archivalischer Quellen ergab, dass Otto von Corvin zu den rührigsten Persönlichkeiten der 1848/​49er-Revolution gehörte. Gewiss, die Popularität eines Friedrich Hecker oder Georg Herwegh hat er nicht erlangt. Im Unterschied zu diesen – bis heute gefeierten – Freiheitshelden hat Corvin aktiv an den Feldzügen von 1848 und 1849 teilgenommen und musste, während die geistigen Väter der Revolution sich längst im sicheren Exil befanden, die Rache der Sieger aushalten. Und er trug auf beiden Schultern, denn diesen galt er als Hochverräter, dem eigenen Lager als Verräter.

Äußerungen anderer Zeitgenossen scheinen Förderers Ansicht zu bestätigen: Corvin war vielen suspekt, man misstraute ihm und traute ihm einiges zu – auch Verrat. Er machte Eindruck auf Andere und hinterließ selbst mannigfache Eindrücke: in Briefen, Zeitungsberichten und vor allem seinen gedruckten Erinnerungen, derer sich stets auch die wissenschaftliche Geschichtsschreibung bedient hat. Eine bisher unveröffentlichte, dabei höchst aufschlussreiche Quelle ist Corvins Prozessakte des Standgerichts Rastatt nebst Beilagen, unter denen sich das Operationsjournal der Besatzung sowie die Morgenberichte des Stabschefs an den Gouverneur der Reichsfestung Rastatt befinden; sie sind versehen mit den handschriftlichen Marginalien des Gouverneurs Tiedemann. Auch die übrigen Originaldokumente, die Corvin im Hochverratsprozess belasten sollten, verraten Einzelheiten über seine Aktivitäten bei der Mannheimer Volkswehr, der Beschießung von Ludwigshafen und im belagerten Rastatt bis zur Übergabe im Juli 1849.

Die Stadt Rastatt pflegt die Erinnerungen an zahlreiche Freiheitskämpfer, und so ist auch nach Otto von Corvin eine kleine Straße im Stadtteil Rheinau benannt. In der Erinnerungsstätte für Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte versucht man – oft mühsam–, den Wert von Freiheit zu erklären, indem historische Beispiele von Unfreiheit ausgestellt werden. Ergänzend dazu bieten sich Spuren der Ereignisse von 1849 an: Denkmäler und Gedenkstätten, ein Friedhof und einige steinerne Zeugen aus der Zeit der Bundesfestung Rastatt sprechen vom Kampf um die Reichsverfassung. Doch diese Zeugnisse sind in ihrem Bestand gefährdet. Der Rastatter Historische Verein bemüht sich seit Jahren um die Erhaltung des Cavalier 1, das in seinem Innern sehr eindrucksvoll die Haftbedingungen der “Kasemattenbrüder” vor Augen führt. Auch das Bermengebäude, die “Todeskasematte”, in der die Verurteilten auf ihr Erschießungskommando warteten, ist (noch) vorhanden. Otto von Corvin hat sowohl die Freiheitsfestung während der Belagerung als auch die Kasemattenhaft beschrieben und damit authentische Orte aus Rastatts Festungszeit literarisch verewigt. Insofern bietet Corvins Lebensbericht einen Zugang zu den Ereignissen von 1848 und 1849; sie bilden den Schwerpunkt der folgenden Darstellung. Über den Nutzen biografischer Aufzeichnungen für das Verständnis historischer Epochen äußert der Exildemokrat Heinrich Simon:

“Unsere Geschichtsschreibung ist erbärmlich, weil es an Biographien fehlt… Wenn mir Ein Menschenleben von Tag zu Tag vorliegt in seinem Handeln und Denken,… so giebt mir dies eine bessere Einsicht in die Geschichte der Zeit, als die beste allgemeine Darstellung derselben.”3

Rastatt, August 2012, Irmgard Stamm

1.Familie und Kindheit

Ein Menschenleben von Tag zu Tag aufzuzeichnen, wie Heinrich Simon es sich in seinem Schweizer Exil vorstellte, ist ein fast unmögliches Unterfangen, vor allem wenn es sich um ein Menschenleben handelt, das so angefüllt ist von Erlebnissen und weltpolitischen Ereignissen wie das hier zu betrachtende. Sitzt man aber im Gefängnis und bringt einen jeder Tag der ersehnten Freiheit ein wenig näher, dann kann eine solche Arbeit gelingen. Otto von Corvin hatte Zeit genug, sein Leben Revue passieren zu lassen und legte bald nach seiner Haftentlassung eine umfangreiche Autobiografie vor, aus deren Fülle zahlreiche Angaben stammen. Jedes historische Ereignis, das in Lebensberichten geschildert wird, ist subjektiv und die Realität wird eben gespiegelt durch ein Temperament.

Otto Julius Bernhard wurde am 12.Oktober 1812 als Sohn des Postdirektors Heinrich von Corvin-Wiersbitzki und der Sophie geb. Mandel in Gumbinnen geboren. Genau genommen hieß er Wiersbitzki (d.h. von der Weiden) und war Spross eines polnischen Adelsgeschlechts, von dem ein Zweig nach Pommern ausgewandert war. Der Stammsitz befand sich in Gehlweiden in Ostpreußen. Laut Familienüberlieferung rührt der Doppelname Corvin-Wiersbitzki von einer Petition her, die Heinrich Friedrich Ernst von Wiersbitzki 1792 an den preußischen König richtete. Wegen der Gleichheit ihres Wappens mit dem der Familie Corvin oder Corvinus (das Wappen zeigt einen Raben) durften die Wiersbitzkis fortan den Namensvorsatz “Corvin” tragen. Dass Otto v. Corvin später die Herkunft seiner Familie – ebenso wie es die bürgerliche Familie Corvinus tut – von dem ungarischen Königshaus und Matthias Corvinus herleitete, dürfte auf eitlem Wunschdenken fußen. Er sah sich in direkter Linie verwandt mit dem ungarischen Helden Johann Corvin Hunyad und vertiefte diese genealogische Variante in dem Drama “Die Hunyaden”, das 1837 in Leipzig erschien. Wahrscheinlich hat aber eine solche Verbindung entgegen allen Phantasien (sie gehen sogar zurück auf das römische Geschlecht der Valerier) nicht existiert; denn Matthias Corvinus hatte nur einen illegitimen Sohn Johannes, der aber keine Nachkommen zeugte.4 In jedem Fall ist der Name Corvin in Ungarn häufig zu finden.5

Der Knabe Otto verbrachte die ersten zehn Lebensjahre in Gumbinnen, das damals im polnisch-litauischen Grenzgebiet Preußens lag. Öfters besuchte er zusammen mit seinem Vater den “Onkel General” auf dem nur wenige Kilometer entfernten Gut Gehlweiden, dem in Ostpreußen gelegenen Stammsitz der Familie. Über diesen unverheirateten Onkel in Gehlweiden schreibt Corvin, er habe seine Untertanen noch wie persönlichen Besitz behandelt und viele von ihnen hätten allen Grund gehabt, ihn “Vater” zu nennen. In jungen Jahren hatte der General um die Hand seiner Kusine Wilhelmine angehalten, erhielt aber einen Korb; sie wurde später Frau von Arnim und sollte im Leben ihres Neffen Otto noch häufig eine hilfreiche Rolle spielen.

Corvins Elternhaus war alles andere als behütet; der Vater war ein Schürzenjäger und so tyrannisch, dass er seine Kinder manchmal im Jähzorn bis zur Ohnmacht schlug. Dies blieb nicht ohne Einfluss auf Ottos späteres Leben; er führte seine cholerischen Anfälle auf die zügellosen Eskapaden im väterlichen Haus zurück. Daheim und in der Schule galt die allgemeine Ansicht, dass man ohne Prügel keine Knaben aufziehen könne und dass, wer befehlen wolle, zuerst gehorchen lernen müsse.

Die erste Zäsur in Ottos Kindheit war die Trennung seiner Eltern. Wegen häufiger Affairen des Vaters, der zudem doppelt so alt war wie seine Frau, ließ Corvins Mutter sich scheiden und heiratete den jungen Gymnasiallehrer Dr.Johann Bernhard Thiersch.6 Beide lebten anfangs in Lyck (Masuren), wohin die Kinder gelegentlich zu Besuch fuhren – mit dem Postwagen, damals der einzigen zivilen Reisemöglichkeit. Zweimal erlebte Otto dort gefährliche Feuersbrünste. Bei einem dieser Brände blieb nur das Haus eines Juden stehen, weil es als einziges massiv gebaut war. Die Leute sagten daraufhin, der Besitzer könne hexen. Durch die Angst vor Häuserbränden lernte Otto beten, denn, so erinnert er sich später, “sonst lehrte es mich niemand.”7 Es muss also eine sittenlose Unordnung, eine rechte “polnische Wirtschaft” im Hause Corvin geherrscht haben – so zu lesen in der Allgemeinen Deutschen Biographie von 1903.8

Nach dem Tod des Vaters, bei dem die Kinder bis zuletzt lebten, wurde das Haus versteigert, Vermögen war nicht vorhanden. Nun zog Otto nach Halberstadt zu seiner Mutter und dem Stiefvater, wohnte am Moritzplan und besuchte zwei Jahre lang das Domgymnasium. Anschließend bemühte sich die Mutter um die weitere standesgemäße Ausbildung ihres Sohnes. Nach anfänglicher Ablehnung wurde der nun Zwölfjährige durch persönliche Eingabe des preußischen Königs in die Kadettenanstalt Potsdam aufgenommen.

Diese von Friedrich WilhelmI., dem “Soldatenkönig”, gegründete Einrichtung war die “Pflanzschule des preußischen Offizierskorps”.9 Zwar war sie auch für Nichtedelleute zugänglich, doch befanden sich zu Corvins Zeit kaum bürgerliche Kadetten in Potsdam. Dem Zweck der Anstalt entsprechend ging es militärisch zu: die Schüler waren in Vorkorps eingeteilt und trugen rote Achselklappen. Im Übrigen erhielten sie Unterricht in allgemeinbildenden Fächern.

Die jungen Kadetten wurden wegen ihrer Proviantsäcke, die sie von zu Hause erhielten, “Schnappsäcke” genannt. Schläge waren nicht üblich, als Strafen gab es Arrest oder Hungerkarzer bei Wasser und Brot, doch ging man nicht zimperlich um mit Verletzungen und Krankheiten. “Ein Soldat muss auf Nadeln tanzen können!” lautete die Devise. Die Spartaner waren die Vorbilder der Jungen: sie ließen Gummi auf der Haut brennen oder stachen sich in das Fleisch, um das Ertragen von Qualen zu üben. Zivilisten verachtete man; wer ein Geschäft hatte, wurde als “Dütchendreher” verspottet. In der Havel lernte Otto v. Corvin Schwimmen, eine Fähigkeit, die ihm später noch sehr nützen sollte. Schon im zweiten Sommer wurde er Fahrtenschwimmer und konnte sich 2 3/​4Stunden im Wasser aufhalten!

In Potsdam verlebte Otto v. Corvin die drei glücklichsten Jahre seines Lebens. Zwischen den Kadetten entspannen sich Freundschaften, die wie Liebschaften geartet waren: Die Knaben schrieben sich heimlich Briefe und es gab Eifersuchtsfälle. Was die Erziehung in der Kadettenschule betraf, so beurteilt Corvin sie später als militärisch sinnvoll und zweckmäßig; die Kinder seien weder überfordert noch geistig abgestumpft worden. Man lernte “die Kunst des Befehlens, die schwieriger ist als das Gehorchen.”10Mit fünfzehn Jahren kam Corvin auf die Kadettenanstalt in Berlin; diese befand sich in der Neuen Friedrichstraße 13, (d.i. die heutige Littenstraße 13-17 an der Stelle des ehemaligen Staatsgerichtshofs). Das 1720 unter dem “Soldatenkönig” Friedrich WilhelmI. (1688-1740) eingerichtete, 1776-1779 umgebaute und 1817 erweiterte Kadettenhaus zählte etwa 50Lehrer sowie “Unterricht gebende Offiziere und Repetenten”, die in jener Zeit 300Kadetten unterwiesen. Im Berliner Kadettenhaus wurde mit Schlägen bestraft. Weil die Anstalt für ihre schlechte Verpflegung bekannt war, spottete die Straßenjugend über ihre Altersgenossen, die sie an ihrer uniformartigen Kleidung erkannten: “Kadett, Kadett, Kaldaunenschlucker/​roter Kragen, nichts im Magen/​goldne Tressen, nichts zu fressen”, rief man ihnen nach.11 Zum Unterricht gehörten nun auch Fechten und Waffenlehre (Angriff, Verteidigung, Fortifikation etc.) Über seine Lehrer schmunzelte Corvin noch in späteren Jahren: “Es ist eigentümlich, dass sich fast unter keiner Menschenklasse so viele Sonderlinge finden wie unter den Schullehrern.” Dass er nach Ablauf der Schulzeit als Einziger nicht versetzt wurde, schob er auf den Leiter der Anstalt, einen General, der ihn angeblich schikanieren wollte. Einige Male war Corvin nämlich durch Streiche und einen gewissen “Geist der Opposition” aufgefallen. Es gelang ihm jedoch, durch gute Leistungen seine Nachversetzung zu erreichen.

In der Berliner Zeit verkehrte Corvin häufig im Hause der letzten noch lebenden Schwester seines Vaters, Wilhelmine v. Arnim. Diese verwitwete reiche Tante führte ihn in die aristokratischen Salons ein, wodurch Corvin Einblick in die politischen und sozialen Verhältnisse Berlins erhielt. In dieser Zeit schrieb er auch sein erstes Theaterstück, ein Trauerspiel. Als beim Vorlesen im Hause Arnim an einer besonders rührseligen Stelle Gelächter ausbrach, war der junge Kadett so beleidigt, dass er das Manuskript verbrannte.

Nach sechsjähriger Schulzeit erhielt Corvin das “Zeugnis der Reife zum Offizier” und der Schulleiter-General konnte ihm nichts mehr anhaben. Bis eine Anstellung in Sicht war, amüsierte sich der junge Mann auf Kosten seiner Tante v. Arnim in Berlin, besuchte Theater und das Tivoli am Kreuzberg. Dies kam dem General zu Ohren; als Corvin sein Reisegeld für die Fahrt zu seinem Regiment abholen wollte, hielt ihm der General vor, er habe doch sonst genug Geld zum Verschwenden!

Endlich erhielt Corvin das Offizierspatent und damit eine “richtige” Uniform. Und er erfuhr, wie sehr die Uniform die Persönlichkeit eines Menschen bestimmte: Leute, die ihn als Kadett gar nicht wahrgenommen hatten, sprachen ihn an und unterwegs erwiesen Soldaten und Schildwachen ihm Honneurs.

Wie es dem Spross einer Aristokratenfamilie zukam, hatte der erst Achtzehnjährige eine äußerlich glänzende Stellung in der Gesellschaft, die im Widerspruch zu seiner jugendlichen Lebensunerfahrenheit stand. Von einem staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstsein etwa konnte bei diesen jungen Leuten nicht die Rede sein, denn zu tief saß der traditionelle Untertanenglaube an das Gottesgnadentum der königlichen Gewalt.

2.Beruf und Berufung

Glänzendes, elendes Leutnantsleben

Gerne wäre Otto von Corvin in Berlin geblieben; er war begeistert von dieser Stadt und ist später häufig als “Berliner auf Zeit” dorthin zurückgekehrt. Doch die äußeren Verhältnisse und sein unstetes Wesen trieben ihn immer wieder fort. Mit dem Leutnantspatent in der Tasche wurde er in die Bundesfestung Mainz versetzt.

In Mainz lernte der junge Leutnant die Verlockungen des Soldatenlebens kennen, die hauptsächlich im Trinken und Spielen bestanden. Zum Spielen fuhr man nach Wiesbaden in den Kursaal. “Was konnte vergnügter aussehen als ein Wagen voll Leutnants in Zivilkleidern, die am ersten Mittwoch des Monats nach Wiesbaden fuhren! Was aber kläglicher als der Inhalt desselben Wagens, wenn er in der Morgendämmerung des anderen Tages nach Mainz zurückkehrte!”12

Wenn es einen Schutz gegen Exzesse gab, für die Corvin genauso anfällig war wie seine Kameraden, so war dies seine ständige Geldnot. Doch man konnte anschreiben lassen und Geld borgen, wenn der Anlass es gebot. Ein solcher Anlass und alljährlicher Höhepunkt war der Mainzer Karneval, den die Garnison ebenso begeistert feierte wie die Bürger.

Jung, adlig und gut aussehend – so muss man sich den Leutnant v. Corvin vorstellen, wie er sich auf dem gesellschaftlichen Parkett in Mainz und Wiesbaden bewegte. Er führte das Leben junger Leute seines Standes, machte als Tänzer und Unterhalter eine gute Figur und tanzte Walzer auf dem Geburtstagsball der Herzogin Pauline von Nassau. Gelegentlich schlug er auch über die Stränge; als er einmal bei einem Maskenball seine Partnerin allzu wild herumwirbelte, ermahnte ihn ein Vorgesetzter, anständig zu tanzen, die Röcke der Dame flögen zu hoch!

Glückliche Zufälle verschafften Corvin Begünstigungen. Der österreichische Feldmarschall Herzog Ferdinand von Württemberg war Gouverneur der Bundesfestung Mainz. Bereits als Corvin sich ihm vorstellte, hatte seine Gattin – eine Schwester des Fürsten Metternich– Corvin in ihr Herz geschlossen, weil er ihrem Lieblingsneffen ähnlich sah. Sie lud ihn öfters an ihre Tafel und ließ ihm Gefälligkeiten und Geschenke zukommen. Auch mit der Frau des Festungskommandeurs, der Schriftstellerin Sophie Gräfin von Mensdorff-Pouilly (1778-1835) wurde der junge Leutnant gut bekannt. So sicherte er sich einen Platz in den Kreisen der Herzöge und Grafen und verstand es, obwohl er stets “knapp bei Kasse” war, doch seine Herkunft und nicht zuletzt die Verwandtschaft mit den angesehenen Arnims einzusetzen.

Die Leutnantsuniform sicherte zwar die Zugehörigkeit zu einer gehobenen Gesellschaftsschicht, brachte aber auch Zwänge mit sich. So wurde von einem Leutnant erwartet, dass er jeden Dienst angemessen entlohnte und mit Trinkgeldern großzügig verfuhr. Dabei war ein gehobener Lebensstandard teuer. Trotz der Möglichkeit, im Mainzer Freihafen zollfreie Waren – z.B. Wein – aus Hessen, das noch nicht zum Zollverein gehörte, einzuführen, waren die Ansprüche der jungen Männer meist größer als ihr Verdienst. Die finanziellen Verhältnisse des Offiziersstandes waren eng bemessen: Ein Secondeleutnant erhielt 17Taler sowie freie Wohnung und Holzgeld; außerdem gab es 3Taler Bundeszulage. Briefe nach Preußen waren portofrei. Abzüglich des Geldes für Essen und Musik blieben elf Taler, wovon noch der Lohn für den Burschen, Frühstück und Abendessen, Wäsche, Stiefel und anderes zu bestreiten waren.13 Man war also auf Zuwendungen angewiesen, die im besten Fall aus dem Elternhaus kamen.

Corvins anfängliche Begeisterung für den Offiziersberuf ließ mit der Zeit nach. Der langweilige “Gamaschendienst” und das autoritäre Klima im Regiment wurden ihm allmählich zuwider. Es stieß ihn ab, dass viele Soldaten trotz offizieller Verbote von Hauptleuten und Unteroffizieren beschimpft oder gar misshandelt wurden. Manche Stabsoffiziere meinten sogar, das derbe Reden gehöre zum Soldatenstand. Außer den sogenannten Gamaschensatanen gab es indessen auch gutmütige oder schrullige Hauptmänner, die aber an dem Kastengeist und am Schikanieren von Soldaten durch ihre Vorgesetzten wenig ändern konnten.

Bei Dienstvergehen wie Desertieren oder Diebstahl wurde zu Corvins Zeit noch körperlich gezüchtigt, z.B. durch die “Lattenstrafe”: In einem Marterkasten, in dem man nicht stehen konnte, waren unten scharfkantige Latten befestigt, auf denen der Delinquent bis zu 6Wochen lang sitzen oder liegen musste. Oder es gab das “Stockprügeln”, d.h. der Soldat wurde im Hemd in ein Carré geführt, das von Unteroffizieren mit spanischen Röhrchen gebildet wurde, die nun abwechselnd auf den Rücken einschlugen. Dabei war es verboten, Bleikugeln zum Verbeißen des Schmerzes in den Mund zu nehmen.

Eines Tages wurde Corvins Regimentskamerad und Freund Sallet zur Festungsstrafe verurteilt. Friedrich von Sallet (1812-1843) gehörte zu Corvins Kadettenclique und hatte sich schon in seiner Jugend poetisch betätigt. Nun hatte Sallet einen Aufsatz mit satirischen Seitenhieben auf soldatische Verhältnisse verfasst. Das Exerzierreglement, so stand darin, sei ein Lehrbuch, nach dem Menschen zu Drahtpuppen abgerichtet würden. Die mit Sallet befreundete Dichterin Kathinka Haleyn ließ den harmlosen und, wie Corvin meinte, nicht einmal besonders witzigen Text abdrucken. Die Folge war, dass Sallet sich wegen des “schändlichen Pasquills” vor dem Kriegsgericht verantworten musste. Seine Festungshaft wurde zwar auf zwei Monate gekürzt, aber Sallet musste das Regiment verlassen. Niemand in Sallets Umfeld verstand die Aufregung der Obrigkeit, denn man fasste die Kritik am Militär keineswegs als politische Äußerung auf.

Überhaupt machten sich die jungen Offiziere damals nichts aus Politik. Corvin gibt sogar zu, dass er während seines dreijährigen Aufenthaltes in Mainz nicht eine politische Zeitung gelesen hätte – er wäre sonst ausgelacht worden! Gewiss, nach der französischen Julirevolution sangen auch die Mainzer die Marseillaise und viele junge Leute trugen die französische Kokarde. Die nächste Welle von Enthusiasmus schlug den emigrierten polnischen Freiheitskämpfern entgegen, die durch den Rheingau zogen. Obwohl diese von Berlin aus als Hochverräter tituliert wurden, ließen es selbst die preußischen Offiziere in Mainz nicht an Bewunderung für die Polen fehlen; auf Bällen und anderen öffentlichen Orten waren sie zu finden und der Rheinwein floss in Strömen.

“Die Mainzer Bürger machten es sich… zur Ehrensache, die polnischen Gäste nie nüchtern werden zu lassen”, erinnert sich Corvin später, bekennt aber zugleich: “Ich liebe tapfere Männer… allein besoffene Helden verlieren bei mir sehr in der Achtung, zudem wurden die polnischen Helden meist zärtlich, redeten alles mit ‚Bruder’ an und hatten eine erstaunliche Neigung zum Küssen. ”14

Auf die “Polenbegeisterung” folgte schließlich der schwarz-rot-goldene Enthusiasmus. 1832 wurde Corvin erstmals mit Politik konfrontiert, als ein Zug von Mainzern auf vierspännigen Leiterwägen sich auf den Weg zum Hambacher Schloss aufmachte. Die Garnison war aufgefordert, bestimmte Plätze einzunehmen, eine Kompanie bewachte mit geladenen Gewehren das Neutor, das die Demonstranten passieren sollten. Als die Hambachfahrer an das Tor kamen, forderte ein Major sie auf, die schwarz-rot-goldenen Fahnen und Kokarden innerhalb des Festungsrayons abzulegen. Weil das Militär offensichtlich “auf Krakeel aus” war, folgten die Demonstranten gehorsam. Sie steckten die Fahnen und Kokarden aber zu früh wieder auf und wurden daraufhin mit Lanzenenden traktiert. Was die Liberalen daraufhin äußerten, fand Corvin zwar unverschämt; er verstand aber, dass das Volk nicht als Herde betrachtet werden wollte, und wünschte ihm einen guten Erfolg.

“Mir kam es jedoch nicht in den Sinn, mich zu diesem Volke zu rechnen, und ich würde eine solche Zumutung als eine große Beleidigung betrachtet haben. Unser Stand war nach meiner Meinung weit erhabener; wir hatten das Land gegen auswärtige Feinde im Falle eines Krieges zu schützen; wir repräsentierten den Staat, und der Respekt, den wir, die Armee, einflößten, erhielt diesem den Frieden… Wir konnten nicht begreifen, wie das Volk, ja, selbst anständige Leute sich für Menschen wie Wirth und Siebenpfeiffer begeisterten, deren plebejische Namen schon ein spöttisches Lächeln auf unsere aristokratischen Lippen brachten.”15

So dachte der junge Leutnant v. Corvin, der zur Zeit des Hambacher Festes Wachdienst auf der Mainzer Zitadelle hatte. Sein Kontakt mit dem Volk, dessen Belange ihn ansonsten nichts angingen, bestand hauptsächlich darin, Schulden bei Handwerkern und Lieferanten zu haben. Dadurch wurden seine Wege durch Mainz immer länger, denn er hatte einige Häuser von Schneidern, Schustern und Weinhändlern zu meiden, bei denen er in der “Kreide” stand; selbst seine Wäscherin musste lange auf ihren Lohn warten. In ernste Schwierigkeiten geriet er aber wegen seiner Finanzen nie, denn bei der Weiblichkeit kam er immer gut an, und es konnte ihm niemand böse sein.

Bei allem Frohsinn konnte es den jungen Leuten doch nicht verborgen bleiben, dass man sich in einer politisch unruhigen Zeit befand. In dem geistigen Klima der Metternichschen Beschlüsse rangen die Bildungsbürger um Presse- und Meinungsfreiheit, Burschenschaften beschworen Deutschlands Einigkeit und beim Volk wirkten die Parolen des revolutionären Frankreich und der Freiheitskrige nach: man war freisinnig und gegen den Polizei- und Obrigkeitsstaat. Allmählich wurde auch Corvins feudales Standesbewusstsein brüchig und sein Blick weitete sich für die Belange anderer Kreise. Als das alljährliche Mainzer Volksfest nahte, fürchtete man Krawalle und verstärkte die Präsenz des Militärs. Es wurden dann auch tatsächlich von angeheiterten Burschen laut Freiheitslieder gesungen, was fast einen Tumult ausgelöst hätte; Corvin konnte dies durch gutes Zureden verhindern – nur sein Hauptmann war enttäuscht, weil ihm dadurch die Gelegenheit genommen wurde, tätlich einzugreifen. Weitere Anlässe, den Offiziersberuf kritisch zu sehen, waren seine Verlegung nach Saarlouis, die Bekanntschaft mit dem freisinnigen Schriftsteller Friedrich Wilhelm Held (1813-1872) und nicht zuletzt die Liebe zu einem Mädchen.

Helene Cardini war die Tochter eines eingewanderten italienischen Wein- und Tabakhändlers in Rödelheim bei Frankfurt am Main. Corvin hatte sie kennengelernt, als ein Bataillon der Bundesfestung Mainz nach Frankfurt geschickt wurde, um dort, zwei Tage nach dem Sturm auf die Hauptwache, neben weiteren preußischen und österreichischen Truppen für den Schutz der Bundeseinrichtungen zu sorgen. Corvins Kompanie war für Rödelheim bestimmt, und er wurde in dem Haus des Kaufmanns Cardini einquartiert. Dort sah er die älteste Tochter Helene, kaum sechzehn Jahre alt und beide verliebten sich sofort ineinander. Im Laufe einer Woche war die ganze Familie Cardini über die Verbindung informiert und es wurde schon von Heirat gesprochen-vorschnell natürlich, denn: “Mit dieser Heirat sah es meinerseits noch sehr windig aus, denn ich hatte nichts als mein Leutnantsgehalt, allein wenn man zwanzig Jahre alt und verliebt ist, verschwinden alle Hindernisse wie Nebel, wenigstens in Gedanken”, erinnerte sich Corvin später.16

Der Schwiegervater in spe holte in Mainz Erkundigungen über Corvin ein, ausgerechnet bei einem Weinhändler, bei dem dieser große Schulden hatte und der ihn für einen leichtsinnigen Taugenichts hielt. Auch die diplomatischen Noten, die Cardini mit Corvins Familie wechselte, konnten ihn nicht besänftigen. “Adelsstolz einerseits und Kaufmannsstolz andererseits gerieten in Kollision.” Immerhin stellte der Kaufmann seine Einwilligung in Aussicht, sobald Corvin in der Lage sein würde, eine Frau zu ernähren; bis dahin war dessen Adelsprädikat ein Titel ohne Mittel. Das war für den Heiratswilligen Ansporn genug, sich nach einer neuen Anstellung umzusehen, und er setzte seine Verbindungen zur Herzogin von Württemberg und zur Gräfin Mensdorff ein, aber ohne Erfolg. Weil er sonst nichts gelernt hatte, musste Corvin also vorerst beim Regiment bleiben, ja sogar mit diesem nach Saarlouis marschieren, wohin es verlegt wurde. “Unter Tränen von Weibern, Mädchen und Gläubigern verließen wir eines Morgens die heitere Rheinstadt”, schildert Corvin den Abschied von der Bundesfestung Mainz.17 Ihm selbst war ebenfalls zum Weinen zumute, als er sich in der neuen Garnison umsah: “Laube nennt irgendwo Schkeuditz ein ‚gottverlassenes Nest’; hätte er Saarlouis gekannt, so würde er vielleicht sagen, dass Gott niemals darin gewesen sei. Damals fehlte es dort an allem, was ein gebildeter Mensch zu seiner Unterhaltung wünscht, deshalb blieb den Offizieren zu ihrem Amüsement nur übrig, die Soldaten zu quälen oder zu Spiel und Trunk Zuflucht zu nehmen.”18

Corvins Zukunft sah, namentlich in Saarlouis, trübe aus. Erstens gehörte es sich nicht für einen Offizier, eine Kaufmannstochter zu heiraten und zweitens wusste er nicht, wie er zu Geld kommen sollte. Aussichten auf Beförderung gab es nicht; wenn man Pech hatte und kein Krieg geführt wurde, konnte man als Leutnant grau werden.

“Sehr häufig nennt man den Offiziersstand ein glänzendes Elend” – schreibt Corvin rückblickend. “Das Los eines Leutnants ist traurig, wenn er nicht Vermögen hat.” Während nämlich andere Beamte sich nach ihrer Decke streckten und ihre Frauen sich durchaus mit anständiger Arbeit etwas verdienen konnten, erwartete man von einem Offizier ein glänzenderes Leben, als sein geringes Gehalt erlaubte. Eine Offiziersgattin durfte nicht in dienender Stellung gewesen sein oder sogar zum Erwerb beitragen. Ein heiratswilliger Leutnant musste für den Heiratskonsens ein Kapital von 12000Talern nachweisen oder aber warten, bis er Hauptmann wurde – dann entfiel diese Klausel.

“In Friedenszeiten ging es aber damals mit dem Avancement der Offiziere entsetzlich langsam; Leutnants mit grauem Haar waren keineswegs eine Seltenheit, und mancher trug auf der Brust das goldene Dienstkreuz. Kamen sie dann endlich so weit, eine Frau notdürftig ernähren zu können, dann war ihr Körper durch Strapazen ruiniert, die oft im Frieden härter sind als im Kriege, und sie brauchten mehr eine Krankenpflegerin als eine Gattin.”19

Andererseits machte das müßige Leben “die Offiziere ganz besonders begierig nach weiblichen Bekanntschaften”. Wer sich aber mit einem Mädchen von niederem Stand einließ, wurde, selbst wenn daraus eine langjährige, ernsthafte Liebe erwuchs, vom Regiment geächtet. Auch ein mit Corvin befreundeter Oberst reagierte verschnupft auf dessen Heiratsabsicht mit der Tochter eines Tabaksfabrikanten. In dieser aussichtslosen Lage erschien Corvin der Dienst in einer eintönigen Garnisonstadt noch öder, und auch seine vornehmen Beschützer konnten ihm nicht zu einer anderen Laufbahn verhelfen. Er besann sich deshalb auf die in ihm selbst liegenden Begabungen und beschloss, Schriftsteller zu werden.

Schon bald hatte er ein Erfolgserlebnis: Ein Lied aus seiner ersten Novelle wurde gedruckt und Corvin empfand “eine ganz unbändige Freude und konnte gar nicht müde werden, das simple Liedchen immer und immer wieder zu lesen.”20 Weitere poetische Versuche ließ er von Sallet begutachten, der im Freundeskreis bereits als literarische Autorität angesehen wurde; dann verfasste Corvin ein fünfaktiges Trauerspiel mit dem Titel “Die Hyniaden”, wofür er den Stoff aus seiner vermeintlichen Familiengeschichte nahm. Der Held im Stück war Ladislaus Corvin, der im ungarischen Ofen (Buda) hingerichtet worden war.

An den literarischen Konferenzen, die die Offiziere in Saarlouis zu ihrer Zerstreuung abhielten, nahm auch eine Persönlichkeit teil, die später auf Corvin großen Einfluss gewann: Friedrich Wilhelm Held. Dieser war im Militärwaisenhaus in Potsdam erzogen worden und hatte sein Offiziersexamen mit Belobigungen bestanden, was äußerst selten vorkam. “Da er aber in seinem Äußern nichts Empfehlendes hatte, aus dem Waisenhause kam und ein Bürgerlicher war, so nahmen wir adligen Hochnasen von ihm weiter keine Notiz.” Immerhin bemerkte Corvin, dass Held Geschmack an literarischen Arbeiten hatte, ihm gefiel dessen scharfer Verstand und die Originalität seiner Ansichten. Held verließ das Regiment nach wenigen Jahren und wurde Schauspieler; später kreuzten sich die Wege der beiden wieder.

Mit 23Jahren nahm Corvin seinen Abschied. “O goldene, goldene Freiheit! Rief ich halb seufzend, halb lachend. Selbst geldlose Freiheit erschien mir ein berauschendes Glück, und schaudernd gedachte ich der ledernen Gamaschenknechtschaft, der ich soeben entflohen war.”21 Nun begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt: Er zog nach Frankfurt und wurde Literat. Die ersten mehr oder weniger skurrilen Versuche, etwa seine “Briefe vom Mond”, blieben ohne Resonanz. Doch dann verhalfen ihm ausgerechnet die typisch aristokratischen Steckenpferde– Jagd und Reiterei – zum Erfolg. Er brachte das erste deutsche Tages-Fachblatt “Der Jäger” mit der Wochenendbeilage “Der Sonntagsjäger” heraus; ferner die Monatsschrift für Pferdesport und -zucht “Der Marstall”. Beide Fachblätter fanden viele Abonnenten und brachten endlich so viel ein, dass Corvin 1839

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