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Der Diebstahl von Computerplänen im Wert von Millionen ist auch für eine große Firma ein schwerer und nicht unbedenklicher Schlag. Privatdetektiv Mike Saxon wird auf den Täter angesetzt. Bei seinen Nachforschungen gerät Mike in das Räderwerk von Menschen, Konzernen und Mächten, von Geldgier und gewaltsamem Tod. Und irgendwo findet er die Spur des Unbekannten, der mit seiner gefährlichen Intelligenz die Computerfirma vernichten kann ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 188
William D. Blankenship
Der verschlüsselte Mann
Aus dem Amerikanischen von Thomas Schlück
FISCHER Digital
Die Adresse am Century Boulevard, die man mir gegeben hatte, stellte sich als ein doppelstöckiges rosa Gebäude heraus, das einmal einen Laden enthalten hatte, nun aber für Büros genutzt wurde. Die Schaufenster waren verhängt. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß gestohlene Industriegeheimnisse im Wert von mehreren Millionen Dollar hinter diesen unansehnlichen beigefarbenen Gardinen verborgen sein sollten.
Ich beobachtete das Haus eine Zeitlang und hörte mir das Pfeifen der Düsenflugzeuge an, die über mir zur Landung auf dem Flughafen Los Angeles International ansetzten. Schließlich verließ ich meinen Wagen und überquerte die Straße.
Ein handgeschriebenes Schild verkündete bescheiden, daß sich hier die Computer Specialties Company befinde. Ich trat ein und stand in einem kleinen Empfangsbüro. Hinter einem Vorhang, der offenbar zum Hauptteil des Büros führte, bewegte sich ein Schatten. Im nächsten Augenblick trat hastig ein Mann heraus, als wollte er mich davon abhalten, in den hinteren Raum zu blicken.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er mit nervösem Blick.
»Ich heiße Michael Saxon und bin Vertreter für Computer-Zubehör. Ich habe gehört, daß Sie hier gerade aufgemacht haben, und wollte mal vorbeischauen.«
Der Mann übersah meine ausgestreckte Hand. Er war etwa dreißig und hatte kurzes, drahtiges braunes Haar. Sehr groß, weitaus größer als ich. Er trug einen teuren, aber sehr konservativen grauen Anzug, und der Klang seiner Absätze ließ auf teure britische Schuhe schließen. Er hatte das Gesicht eines Geschäftsmannes, breit und massig, mit winzigen dunklen Augen. Ich hatte dieses Gesicht vor Jahren schon einmal auf den Sportseiten der Zeitungen gesehen, doch der dazugehörige Name war mir entfallen.
»Was für Data-Arbeiten machen Sie hier, Mr. …?«
Er seufzte. »Franklin. Adam Franklin. Wir sind ein Computer-Service für kleine Geschäftsleute …«
Seine bläulichen Lippen blieben dünn, auch während er sprach. Sein Name klang mir tatsächlich vertraut.
»Vielleicht möchten Sie einen unserer Computer leasen«, fuhr ich fort. »Wir haben ein neues 256-K-Modell, das wir Ihnen für nur dreihundert Dollar im Monat überlassen könnten.«
»Klingt gut. Vielleicht kommen wir da mal zu einem Abschluß.«
Seine Hand berührte meinen Arm: kleiner Wink, daß ich nun gehen sollte. Sehr hübsch gemacht. Aber ein Computer mit 256-K-Kernspeicher kostet jeden Monat mehrere tausend Dollar, und warum wußte er das nicht?
»Wann können wir darüber sprechen?«
»Irgendwann nächste Woche.«
»Dienstag? Ist Ihnen vormittags recht?«
»Ausgezeichnet.«
Offensichtlich wollte er bis Dienstag längst über alle Berge sein. Das Büro diente lediglich als Aufstellplatz für ein Computer-Terminal. Mit diesem Terminal zapfte er über eine Datenfernübertragungsleitung einen Computerkomplex an, der vierhundert Meilen weiter nördlich in Palo Alto stand: am Sitz meiner Klientin, der InterComp Corporation. Ich hätte sehr gern einen Blick in das Hinterzimmer geworfen und überlegte gerade, wie ich das anstellen sollte, als plötzlich ein Terminal zu rattern begann und Adam Franklins halbherzige Zuvorkommenheit zu frostiger Ablehnung wurde.
Eine Mädchenstimme rief hinter dem Vorhang: »Es kommt durch. Wir kriegen jetzt den Rest!«
Franklin wirbelte herum und rief durch den Vorhangspalt: »Ruhe! Wir haben Besuch!«
»Wer ist denn da?« Ein Hauch von Angst in der Stimme. »Niemand. Ein Vertreter. Ich schiebe ihn ab.«
Als er zurückkam, erhaschte ich einen Blick auf ein junges Mädchen, rothaarig und in braunem Kleid, das sich über ein ausdruckendes Computer-Terminal beugte.
»Sie müssen schon wiederkommen«, sagte Franklin. Diesmal war es ein Befehl. »Wir haben gerade sehr viel zu tun.«
»Dann will ich Ihnen lieber gleich sagen, daß ich kein Vertreter bin. Mein Name ist Michael Saxon – aber von den Saxon-Sicherheits-Systemen. Ich arbeite im Industrieschutz, und die InterComp Corporation hat mich beauftragt, einmal nachzusehen, was Sie mit dem Terminal da hinten machen.«
»Ach so!« zischte er. »Also, hier gibt’s nichts nachzusehen. Wir haben keine Gesetze gebrochen! Sie können wieder verschwinden.« Seine Stimme wurde laut, und er begann, sich geduckt in meine Richtung zu bewegen. Ich spürte, daß er mir nichts vormachte. Er steigerte sich in eine echte Wut hinein: »Die großen Gesellschaften haben mich schon öfter fertiggemacht. Aber diesmal klappt das nicht. Diesmal gewinne ich.«
»Was wollen Sie gewinnen? Sie haben doch nur eine neue Diebstahlmethode gefunden. Sie setzen sich an ein Computer-Terminal und ziehen wertvolle Informationen aus einem anderen Computer, der mehrere hundert Meilen entfernt ist. Sie sind ein Dieb, Franklin!«
Ich versuchte, seinem schweren Arm auszuweichen, aber ich schaffte es nicht. Das Mädchen tauchte auf, schrie und wollte sich zwischen uns werfen, wurde jedoch von Franklin brutal zurückgestoßen. Ich rappelte mich wieder auf. Er grinste mich an. Mit langsamer Bewegung schob er einen ungewöhnlich großen Lederhandschuh über seine rechte Faust. So etwas hatte ich schon einmal gesehen: Es war eine bleigefüllte Schlaghilfe, vor der ich mich in acht nehmen mußte. Franklin kam nun auf mich zu, die linke Schulter vorgebeugt. Er gab einige tastende Hiebe mit der Linken ab, die ich mit der offenen Hand parieren konnte. Dann riskierte ich einen Tritt gegen seine linke Kniescheibe. Franklin brüllte auf. Im gleichen Augenblick stürzte ich mich auf ihn und versuchte dabei, um seine Rechte herumzukommen. Aber der beschwerte Handschuh erwischte mich voll an der Schulter und lähmte meinen rechten Arm. Ohne Eile setzte er dann mit einem linken und einem rechten Haken in den Magen nach.
Etliche Zeit später saß ich auf dem Boden und versuchte, wieder zu mir zu kommen. Versuchte, wieder normal zu atmen. Und fragte mich, wie ich in diese Katastrophe geschlittert war.
Es hatte erst vor ein paar Stunden begonnen, als mich eine Stimme durch mein Telefon andröhnte: »Michael Saxon? Hier spricht George Francis Hogan von der Inter-Comp Corporation! Ich will, daß Sie genau zuhören!«
Hogans erregte, fordernde Stimme sprach weiter, ehe ich etwas sagen konnte: »Vor etwa einer halben Stunde hat jemand den Sicherheitscode unseres Computersystems umgangen und sich per Telefon in den Computer geschaltet. Die Nummer, von der der Anruf ausging, lautet … schreiben Sie mit, Saxon?«
»Gewiß, Mr. Hogan, aber ich möchte Sie bitten, sich zu beruhigen. Von wo rufen Sie an?«
Ich hörte, wie er einen tiefen Atemzug machte. »Aus Palo Alto. Sie kennen wahrscheinlich unsere Firma. Wir bauen kleine Computersysteme. Mein Problem ist folgendes: Unser Zentralcomputer hier in Palo Alto ist über Telefonleitung mit unseren Zweigbüros im Lande verbunden. Nun hat sich jemand anderes mittels eines Datenfern-Terminals in unseren Computer hineingewählt. Das ist eigentlich ganz unmöglich. Man muß einen bestimmten Sicherheitscode überwinden, um an unseren Computer heranzukommen.«
»Offensichtlich hat jemand diesen Code gestohlen. Was für Informationen werden abgerufen?«
»Die Entwürfe für ein neues Produkt, das wir gerade auf den Markt bringen wollen. Es handelt sich um einen Mini-Computer, der in Supermärkten und Warenhäusern die Registrierkassen ersetzen soll. Wir nennen das Programm ›System/Verkauf‹.« Seine Stimme begann zu beben. »Wir haben Millionen in die Sache gesteckt. Hunderte von Arbeitsplätzen hängen davon ab.«
»Sie haben die Nummer, von der aus angerufen wurde?«
»Ja. Sie steht natürlich nicht im Telefonbuch.« Er nannte mir eine Telefonnummer, die aus dem Großraum Los Angeles stammen mußte.
»Wer hat den Diebstahl entdeckt?«
»Mickey Iwasaka, unser Chef für die internen Systeme. Er hat heute morgen zufällig die Fernleitungen überwacht, weil wir den Verdacht hatten, daß einer unserer Programmierer mit seinem Mädchen in Denver telefoniert.«
»Gut. Wir stellen fest, wem die Nummer gehört. Wenn möglich, besorge ich Ihnen die gestohlenen Informationen zurück. Ihnen würde ich raten, inzwischen den Sicherheitscode zu ändern.«
»Mache ich persönlich«, erwiderte Hogan heftig.
In diesem Augenblick erinnerte ich mich an einen Bericht im Wall Street Journal über die InterComp Corporation. Die Gesellschaft hatte »System/Verkauf« angekündigt. Zugleich wurde erwähnt, daß Hogan erst vor kurzem InterComp-Präsident geworden war, nach dem plötzlichen Tod des Firmengründers Arthur Avery.
»Noch eine Frage, Hogan. Wie ist Ihr früherer Präsident gestorben?«
»Er wurde vor einigen Wochen bei einem Verkehrsunfall getötet. Fahrerflucht. Eine tragische Sache. Warum fragen Sie? Was wollen Sie damit andeuten?«
Wir wußten beide, was ich andeuten wollte, aber keiner hatte Lust, es auszusprechen: Konnte der Diebstahl mit dem plötzlichen Tod Arthur Averys zu tun haben?
»War nur eine Frage. Ich setze einen meiner besten Leute auf Ihr Problem an, und heute nachmittag …«
»Ich möchte, daß Sie der Sache persönlich nachgehen. In dem Fortune-Artikel hieß es, Sie übernehmen wichtige Fälle gern selbst. Deshalb habe ich angerufen.«
Ich stöhnte innerlich. Vor sechs Monaten hatte Fortune einen Bericht über mich veröffentlicht, der uns viele neue Aufträge, aber auch Probleme brachte:
»Innerhalb von drei Jahren hat Michael Saxon, ein dreißigjähriger ehemaliger Beamter der Polizei von Los Angeles, Absolvent der Universität von Südkalifornien in Wirtschaftskunde, seine Ein-Mann-Privatdetektei zu einem riesigen Unternehmen ausgedehnt. Saxons Sicherheits-Systeme beschäftigen tausendzweihundert Leute in einem Dutzend Städte des Westens. Trotz seines Images als Manager-Wunderkind verläßt Saxon oft sein Büro, um wichtige Fälle selbst zu leiten.«
Ich räusperte mich. »Wenn ich einen Fall persönlich übernehme, Mr. Hogan, bekomme ich fünftausend Dollar pro Tag mit einer Garantie von fünf Tagen.«
»Fünfundzwanzigtausend!« entfuhr es Hogan. »Das ist ein verdammt hoher Betrag für einen Privatdetektiv! Aber es geht um Millionen. Sie sind engagiert, Saxon. Machen Sie sich sofort an die Arbeit!«
»Gut«, sagte ich. »Ich melde mich heute nachmittag. Sind Sie im Büro?«
»Ja. Ich erwarte Ihren Anruf. Übrigens – wie kommt ein glänzender Abgänger der besten Managerschule dazu, eine solche Agentur zu führen?«
»Haben Sie’s noch nicht gehört, Mr. Hogan? Verbrechen ist eine Wachstumsbranche!«
Ich legte den Finger auf die Gabel und ließ mich mit einem alten Freund bei der Telefongesellschaft verbinden, mit Roger Max, dem Leiter der Sicherheitsabteilung für Südkalifornien.
»Hallo, Roger. Hier spricht Mike Saxon. Ich habe hier eine nicht verzeichnete Nummer und brauche dazu Namen und Adresse.«
Roger stöhnte auf. »Du weißt doch, daß ich dir so was nicht durchgeben darf.«
»Komm schon, Roger! Du weißt, daß du mir einen Gefallen schuldest.«
»Wie oft soll ich dir noch einen Gefallen tun?«
»Denk an die Pläne für den kleinen ›schwarzen Kasten‹.«
»Okay, okay! Wie lautet die Nummer?« Ich nannte sie ihm, und er sagte: »Bleib dran! Ich melde mich gleich wieder.«
Der »schwarze Kasten«, den ein kluger Ingenieur vor einigen Jahren in Hollywood erfunden hatte, bot einen billigen Weg, Ferngespräche zu führen. Ehe meine Agentur ihm auf die Spur kam, hatte der Mann schon über fünfzig Exemplare verkauft.
Roger meldete sich wieder: »Die Nummer gehört der Firma Computer Specialties Company. Die Adresse ist 5545 Century Boulevard, nahe beim Flughafen. Reicht das, Meister?«
»Gut gemacht, mein Sohn! Die Götter sind’s zufrieden. Wiedersehen, Roger.«
Ich legte auf, notierte mir die Adresse und bat meine Sekretärin, Joe Bacon und Lou Hemphill in mein Büro zu rufen. Ich bat sie auch, alle Termine für den Rest der Woche abzusagen.
Der nächste Anruf galt meinem Wertpapierberater, Harry Sharp, der das Gespräch auf seine gewohnte lebhafte Art sofort an sich riß.
»Ich weiß, daß Sie mit den Konservenaktien vom letzten Monat nicht zufrieden sind, aber wie kann ich wissen, daß die Leute verseuchte Hühner aus Paraguay einkaufen? Ich habe jetzt dafür eine nette Anlage in New Jersey gefunden, die …«
»Harry! Ich will nichts hören von Hühnern und neuen Aktienkäufen. Was ich brauche, sind Informationen über die InterComp Corporation.«
»InterComp? Gute Gesellschaft. Hatte ein Tief letztes Jahr. Aber jetzt sieht es aus, als käme sie klar.«
»Mit ›System/Verkauf‹?«
»Genau. Wenn die Prognosen hinhauen, wird ein Dollar pro Aktie verdient. Klappt es allerdings nicht, ist die Gesellschaft hin. Der Bargeldfluß stimmt nicht. Die Banken sind mit fast achtzig Millionen drin. Vor vier Monaten mußte InterComp ihr Hauptgebäude an eine Versicherungsgesellschaft verkaufen und es zurückmieten, um Bargeld lockerzumachen. Außerdem wurden dreihundert Leute entlassen. Schlägt ›System/Verkauf‹ nicht ein, passiert dreierlei: die InterComp-Aktien fallen, die Firma kriegt keinen Kredit mehr, und, statt die dreihundert wieder einstellen zu können, muß man wahrscheinlich weitere tausend rauswerfen.«
»Aber ›System/Verkauf‹ könnte alle Probleme lösen?«
»Ganz bestimmt. Jetzt ist der kritische Augenblick. Es geht auf Biegen oder Brechen.«
»Danke für die Information, Harry.«
Joe und Lou saßen bereits vor meinem Schreibtisch, als ich den Hörer auflegte.
»Ich habe gerade einen Fall persönlich übernommen«, sagte ich. »Klient ist die InterComp Corporation. Ich bin wahrscheinlich für den Rest der Woche beschäftigt. Gibt es noch etwas zu besprechen?«
Die beiden sahen sich mißbilligend an. Joe ist ein ehemaliger Militärpolizist, der für unsere Armee von uniformierten Wächtern zuständig ist. Lou kümmert sich um unsere Zweigbüros und die nicht-uniformierten Ermittler. »Wir verhandeln über einen neuen Bewachungsvertrag bei Wallenback Chemicals. Der alte Wallenback spricht gern mit der Spitze«, sagte Joe.
»Dann sag ihm, daß ich einen Fall bearbeite.«
»Du weißt, ich bin dagegen, daß du selbst Ermittlungen durchführst. Du bist die Galionsfigur der Firma. Wenn dir etwas passiert oder ein Fall schiefgeht, kann das alle möglichen Folgen haben«, sagte Lou.
»Ich brauche vielleicht einen unserer Leute oben in Palo Alto«, sagte ich ausweichend. »Jemand mißbraucht den Geheimcode des InterComp-Zentralcomputers und stiehlt Informationen. Ich möchte einen Mann einschleusen, um der Sache nachzugehen.«
»Da brauchst du jemand mit Kenntnissen in Elektronik.« Lou blätterte sein Spezialnotizbuch durch. »In San Francisco haben wir keinen Mann frei. Aber Paul Avilla macht gerade im Norden Ferien. Er wohnt bei einem Onkel oder Vetter auf einer Obstfarm im Santa-Clara-Tal. Hier ist seine Nummer.« Er schob mir das Notizbuch hin. »Paul wäre der richtige Mann für den Job.«
»Das mag sein«, sagte Lou mißmutig. Er mochte Paul Avilla nicht gerade von Herzen.
»Dann bis später.«
»Sieh dich vor«, sagte Lou. »Gib auf dein liebes Gesicht acht – und auf unser Image.«
Hier, im leeren Büro der Firma Computer Specialties Company, war mir nur zu bewußt, daß ich Lous Rat ziemlich rasch in den Wind geschlagen hatte. Gesicht und Image litten. Aber fürs erste machten mir meine Schmerzen mehr zu schaffen. Ich bin ohnehin ein wenig zu groß und ungezügelt, um der landläufigen Vorstellung von einem Manager zu entsprechen. Außerdem zieht sich eine riesige Narbe von meinem rechten Ohr zum Mundwinkel herab – etwas, das Bankiers bei der Kreditvergabe stets zurückhaltend stimmt.
Es klappte nun schon besser mit dem Bewegen. Meine Beine waren noch wie Gummi, doch die Arme ließen sich schon heben. Ich stand auf. Franklin und das Mädchen waren natürlich fort. Das Terminal im Hinterzimmer schwieg. Es dauerte noch zehn Minuten, bis ich mich soweit erholt hatte, daß ich auf die Straße gehen konnte. Der kühle Wind vom Meer wirkte erfrischend. Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, daß ich weniger als dreißig Minuten ausgeschaltet gewesen war.
Ein Stück weiter unten an der Straße flatterten allerlei rote und gelbe Fähnchen, und ein kleiner, wendiger Mann in grünem Sporthemd und mit Baseballmütze winkte dem vorbeifahrenden Verkehr zu. Die Fähnchen rahmten ein Schild: JOCKEY JOE! BESTE WETTEN FÜR HOLLY-PARK. KAUFEN SIE IHRE SIEGER HIER. Ich ging langsam hinüber und musterte das große Brett mit zahlreichen farbigen Umschlägen, auf denen »Drittes Rennen« oder »Sechstes Rennen« oder »Tägliches Doppel« standen.
»Zwei Dollar pro Rennen.« Jockey Joe wippte auf den Zehenspitzen. »Wenn Sie drei Rennen kaufen, schmeiße ich das ›Tägliche Doppel‹ dazu, das sonst allein vier Dollar kostet.«
»Ich spiele nie.«
Jockey Joe zuckte die Achseln. »Dann machen Sie Platz. Ich brauche Kundschaft.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich nichts kaufe. Ich nehme alle acht Rennen …«
Jockey Joes Finger huschten über das Brett. Er reichte mir acht Umschläge, und ich gab ihm eine Zwanzigdollarnote. »Sind Sie jeden Tag hier?« fragte ich beiläufig.
»Meistens.«
»Ich möchte gern wissen, was sich da drüben in den Büros tut.« Ich deutete auf das Gebäude, in dem mich Adam Franklin fertiggemacht hatte.
»Ah.« Jockey Joe grinste mich an. »Scheidungssache? Ein großer Bursche und ein Mädchen?«
»Er Typ Geschäftsmann? Das Mädchen mit hellrotem Haar?«
»Das sind die beiden. Das Büro hat bis vor drei oder vier Tagen leergestanden. Dann fuhr ein Lastwagen vor, und Zeug wurde ausgeladen. Anschließend kamen die beiden.«
»Wann sind sie gekommen und gegangen? Regelmäßig?«
»Tja. Wahrscheinlich haben sie sich da nur vergnügt. Moment mal.« Ein staubiger Pontiac hatte am Straßenrand gehalten, und Jockey Joe eilte hinüber und hielt seine Verkaufsrede.
»Ein Tourist«, sagte Jockey Joe strahlend, als er zurückkam. »Die besten Kunden. Nun wollen wir mal sehen. Der Kerl und das Mädchen. Sie erscheinen immer gegen neun Uhr morgens. Mit dem Taxi. Fahren wieder gegen Mittag. Ich glaube, sie kommen mit einem Frühflug von San Francisco herüber und fliegen dann nachmittags wieder zurück.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Gestern hatte sie so ein großes, flaches Sauerbrot dabei, wie’s in San Francisco gebacken wird. In einer rot-blauen Packung. Die hab’ ich dort auf dem Flughafen schon gesehen.«
»Ja, ich weiß Bescheid.« Das Mädchen und Franklin mußten Verbindungen zur InterComp in Nordkalifornien haben!
»Heute war der Kerl ziemlich wütend«, fuhr Joe fort.
»Ja?«
»Vor einer halben Stunde kam die Kleine allein rausgestürmt und nahm sich ein Taxi. Kurz nachdem Sie reingegangen waren. Ein paar Minuten später sauste auch der große Kerl auf die Straße, schnappte sich ein zweites Taxi – in dieselbe Richtung. Wahrscheinlich fühlen sie sich ertappt, stimmt’s?«
»Fast richtig geraten, Joe. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Und jetzt möchte ich meine vier Dollar Wechselgeld.«
Der kleine Mann zog eine Grimasse. »Knauseriger Knacker«, murmelte er, gab mir mein Geld und wandte sich ab.
Ich ging zu meinem Wagen und setzte mich vorsichtig hinter das Steuer. Mir war schwindlig, aber der stechende Schmerz in Magen und Schulter hatte einem dumpfen Ziehen Platz gemacht, mit dem sich leben ließ. Ich schluckte ein Aspirin, das ich im Handschuhfach fand, und versuchte mir vorzustellen, was geschehen war. Vermutlich hatte das Mädchen Angst bekommen und Franklin im Stich gelassen. Da der Mann ihr sofort nachgelaufen war, hatte sie vielleicht den Stapel Computer-Klartext mitgenommen. In diesem Fall hatte ich noch eine gute Chance, wenigstens einen Teil der Pläne für das »System/Verkauf« zu retten.
Ich stellte meinen Wagen vor dem Abfertigungsgebäude der Pacific Airlines ab. Die Pacific fliegt stündlich von und nach San Francisco. Ich vermutete, daß Franklin und das Mädchen diese Linie benutzten. Aus dem Heck meines Mercedes nahm ich den kleinen Koffer, den ich stets bei mir habe. Neben Hemden und Unterwäsche enthält er einen tragbaren Kassettenrecorder, der anstelle von Kassetten allerdings meine Walther-PPK-Automatic umschließt. Es ist heutzutage ja verboten, bewaffnet ein Passagierflugzeug zu betreten. Mit einem Tonbandgerät komme ich noch am besten durch die Kontrollen.
Ich eilte zum Schalter der Pacific Airlines, nur um festzustellen, daß ich gerade einen Flug nach San Francisco verpaßt hatte. Schöne Bescherung. Ich zog mich in eine kleine, dunkle Bar zurück und bestellte einen Drink.
Während ich noch überlegte, wie ich die Spur Franklins und seiner Komplicin wiederfinden sollte, gewöhnten sich meine Augen an das Dunkel. Bald konnte ich Gesichter und andere Einzelheiten unterscheiden. Ich versuchte, nicht zu überrascht auszusehen, als ich ganz unten an der Theke das rothaarige Mädchen entdeckte. Es war das Mädchen aus ihrem Büro der Firma Computer Specialties. Franklin war nicht bei ihr, und sie schien sich dieser Tatsache zu freuen. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick zur Tür, als habe sie Sorge, Franklin könne hereinstürmen. Sie hatte mich offensichtlich noch nicht erkannt. Glück ist oft wichtig in unserem Geschäft.
Ich drehte dem Mädchen den Rücken zu und musterte sie im Spiegel. Sie war recht unauffällig gekleidet, in eine Art Großmutterkleid. Sie hatte ihr Haar zurückgebunden. Rundes Gesicht. Große Augen mit dunklen Ringen darunter. Ihr Make-up war schlicht, aber sorgfältig aufgelegt. Manikürte Nägel. Ein Leinenbeutel mit Computer-Klartext-Papier lag neben ihr auf dem Hocker.
Zwanzig Minuten vor dem nächsten San-Francisco-Flug stand sie plötzlich auf und ging zur Abfertigung. Ich ließ sie nur kurz aus den Augen, um selbst ein Ticket nach San Francisco zu kaufen.
Als ich zum Abflug kam, stand sie schon an der Schlange. Immer wieder drehte sie sich um und suchte den Terminal ab. Gar nicht ungeschickt, wie sie ihn abgeschüttelt hatte. Anstatt den ersten Flug nach San Francisco zu nehmen, hatte sie sich in der Bar versteckt. Franklin hatte wahrscheinlich angenommen, sie hätte eine andere Fluglinie genommen, und suchte jetzt wohl in den anderen Terminals nach ihr.
An der Sperre begrüßte ein junger Mann die Fahrgäste mit Namen. Er stutzte, als er das Ticket des Mädchens betrachtete.
»Miss Lane? Ein Herr hat vorhin nach Ihnen gefragt. Hat er Sie gefunden?«
»Ja, alles in Ordnung.«
Der junge Mann lächelte: Ein glücklicher Passagier ist ein Passagier, der wiederkommt …
Als ich ihr durch den langen Flugzeuggang folgte, sah ich sie mir genauer an. Ihre Augen waren feucht, offenbar den Tränen nahe. Ich suchte mir einen Gangsitz einige Reihen hinter ihr und fragte mich, ob ich wohl herausfinden würde, weshalb die Kleine so unglücklich war. Kaum war der Jet gestartet, begannen die Stewardessen in der Kabine herumzugehen. Bei solchen Kurzflügen werden die Tickets in der Luft eingesammelt. Ich fliege gern mit Pacific Airlines, nicht zuletzt wegen der attraktiven Stewardessen.
Ich starrte noch zu dem rothaarigen Mädchen hinüber, als mir meine Flugkarte abgenommen wurde.
»Tut mir leid, Sir. Ihr Ticket gilt nicht für diesen Flug. Ich muß Sie leider bitten, das Flugzeug zu verlassen.«
»Das Flugzeug verlassen? Aber wir fliegen in sechstausend Meter – Sandy! Wie geht es dir! Himmel, du siehst großartig aus! Gerade heute morgen habe ich an dich gedacht!«
»Sicher!« Sandy Rawlings riß den rosa Abschnitt von meinem Ticket und gab mir den Rest ein wenig heftig zurück. »Ich habe sechs Monate nichts mehr von dir gehört, da mußt du natürlich ausgerechnet heute morgen an mich denken. Ha-ha.«
Sie ging zur nächsten Reihe und setzte ihre Arbeit fort, warf mir jedoch über die Schulter noch einen halb wütenden, halb ironischen Blick zu. Ihr blondes Haar war von einem kleinen Stewardessenhütchen gebändigt, und sie bewegte sich mit der gewohnten Zweckmäßigkeit. Ich hatte Sandy auf einem ähnlichen Flug getroffen, etwa ein Jahr war das jetzt her, und sie hatte mir so sehr gefallen, daß ich sie zum Abendessen einlud. Sie war so zurückhaltend gewesen, daß ich mich entschloß, den Rest des Tages im Flugzeug zu bleiben, um sie doch noch zu überreden. Wir flogen von Los Angeles nach San Francisco und zurück, dann nach San Diego und Orange County, dann nach Oakland und San José und Los Angeles und schließlich nach San Diego, wo Sandy wohnt. Je länger der Tag dauerte, desto mehr Aufmerksamkeit erregte ich bei Sandys Kolleginnen, und auch die Piloten begannen schon witzige Bemerkungen zu machen. Als ich ihr ankündigte, am nächsten Tag wiederzukommen, gab sie schließlich nach.
Der Abend wurde zu einem der Höhepunkte meines Lebens, und ich lebte wochenlang von der Erinnerung daran, auch als ich meine Kreditkartenrechnung über 542,38 Dollar für die Flüge bekam. Sechs Monate lang sahen wir uns ziemlich regelmäßig, bis ich wegen eines Falles nach Colorado mußte. Danach war ich irgendwie nicht wieder dazu gekommen, Sandy anzurufen. Da war das Mädchen von Avis gewesen, und dann …