Der Vorleser von Bernhard Schlink - Textanalyse und Interpretation - Bernhard Schlink - E-Book

Der Vorleser von Bernhard Schlink - Textanalyse und Interpretation E-Book

Bernhard Schlink

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Beschreibung

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In diesem Band von Schlink, Der Vorleser findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Buch komplett gelesen zu haben.

 

Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert.

 

Inhalt:

- Schnellübersicht

- Autor: Leben und Werk

- ausführliche Inhaltsangabe

- Aufbau

- Personenkonstellationen

- Sachliche und sprachliche Erläuterungen

- Stil und Sprache

- Interpretationsansätze

- 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen

NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen

NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung

 

Layout:

- Randspalten mit Schlüsselbegriffen

- übersichtliche Schaubilder

NEU: vierfarbiges Layout

 

Im Vordergrund des Romans Der Vorleser steht anfangs die ungleiche erotische Beziehung Michael Bergs zu der 21 Jahre älteren Hanna Schmitz, im weiteren Verlauf konzentriert sich die Darstellung des Erzählers zunehmend auf ethische Fragen und den Umgang mit den Tätern des Holocaust in der Bundesrepublik der 1960er Jahre.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2025

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KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN

Band 403

Textanalyse und Interpretation zu

Bernhard Schlink

Der Vorleser

Magret Möckel

Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen

Zitierte Ausgaben: Bernhard Schlink: Der Vorleser. Zürich: Diogenes Taschenbuch, 1997.

Über die Autorin dieser Erläuterung: Magret Möckel, geboren 1952 in Lindau an der Schlei (Schleswig-Holstein), Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität in Hamburg. Zweites Staatsexamen in Hamburg. 1979 bis 2017 Arbeit als Lehrerin für Deutsch und Englisch an verschiedenen Gymnasien in Niedersachsen, zuletzt in Oldenburg, sowie Seminararbeit an der Universität Oldenburg. Ihr Unterrichtsschwerpunkt lag auf dem Deutschunterricht in der Oberstufe. Frau Möckel leitete viele Jahre lang die Fachgruppe Deutsch an der Graf-Anton-Günther-Schule (Oldenburg) und war Mitglied der Kommission zur Erstellung der zentralen Abituraufgaben im Fach Deutsch.

1. Auflage 2025

978-3-8044-7082-8

© 2025 by C. Bange Verlag GmbH, Marienplatz 12, 96142 [email protected] – www.bange-verlag.de Alle Rechte vorbehalten, darunter fällt auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von §44b UrhG! Titelabbildung: Kate Winslet und David Kross in der Verfilmung Der Vorleser, USA/BRD 2008. © picture-alliance/ dpa | Senator Film

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

Fußnoten Fußnoten sind im Text in eckigen Klammern mit fortlaufender Nummerierung angegeben. Tippen Sie auf eine Fußnote und Sie gelangen zum entsprechenden Fußnotentext. Tippen Sie im aufgerufenen Fußnotentext auf die Ziffer zu Beginn der Zeile, und Sie gelangen wieder zum Ursprung. Sie können auch die Rücksprungfunktion Ihres ePub-Readers verwenden (sofern verfügbar).

 

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

2. Bernhard Schlink: Leben und Werk

2.1 Biografie

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Der Vorleser als literarische Verarbeitung des Holocaust

Weitere literarische Verarbeitungen des Themas und Einordnung des Romans

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

Wesentliche Werke

Lebens- und schaffensprägende Einflüsse

3. Textanalyse und -Interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

3.2 Inhaltsangabe

I. Teil

II. Teil

III. Teil

Chronologie der Ereignisse

3.3 Aufbau

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Michael

Hanna

Das Verhältnis zwischen Michael und Hanna

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

3.6 Stil und Sprache

Erzählweise

Teil I

Teil II

Teil III

Das Leitmotivgeflecht

1. Die Odysee

2. Orte und Räume

3. Körper, Sexualität und Zuhause-Sein

4. Weitere Leitmotive

3.7 Interpretationsansätze

Bedingungen der Kommunikation

Das Problem des Analphabetismus

Lesen, Vorlesen und Schreiben

Liste der im Roman auftauchenden Texte oder Autoren

Zur Frage der Schuld

3.8 Schlüsselstellenanalysen

4. Rezeptionsgeschichte

5. Materialien

Ausschnitt aus Peter Weiss: Die Ermittlung

Aussage einer Zeugin im Prozess gegen Hermine Braunsteiner

Definition von Schuld

6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen

Aufgabe 1 *

Aufgabe 2 ***

Aufgabe 3 ***

Aufgabe 4 *

Aufgabe 5 **

Aufgabe 6 *

Lernskizzen und Schaubilder

Literatur

Zitierte Ausgabe

Literatur von Bernhard Schlink

Sekundärliteratur zum Vorleser und zu anderen Texten

Internet-Adressen

Verfilmung

Ergänzende Sachliteratur

Zum Holocaust

Zum Analphabetismus

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

Damit sich jede Leserin und jeder Leser in diesem Band rasch zurechtfindet und das für sie Interessante gleich entdeckt, erfolgt hier eine Übersicht.

 

Im 2. Kapitel werden Schlinks Leben und der zeitgeschichtliche Hintergrund des Romans vorgestellt:

 

Bernhard Schlink wurde 1944 geboren. Er studierte Jura und lebte und lehrte als Professor für öffentliches Recht in Bonn, Frankfurt am Main, Berlin und verfasste juristische Fachbücher. Seit 1987 schreibt er Kriminalromane mit dem Protagonisten Selb. Mit Der Vorleser erschien 1995 sein erster Roman, der sofort zum Bestseller avancierte und in mehr als 50 Sprachen (Stand 2024) übersetzt wurde. Heute lebt und arbeitet Schlink in New York und Berlin.

Der Vorleser enthält Vertreter aller drei Generationen (Täter/Kinder/Enkel), die mit den Verstrickungen der NS-Zeit zu tun haben. Die Generationen werden vorgestellt sowie Beispiele literarischen Umgangs mit der NS-Zeit seit 1945 bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts gegeben. Dieser Abschnitt zeigt auf, wie B. Schlinks Roman literaturgeschichtlich einzuordnen ist.

Wiederkehrende Motive und Konstellationen in anderen Werken Schlinks, die im Bezug zu Der Vorleser stehen, sind: Verstrickung in Schuld, Umgang mit der NS-Zeit, Heimkehr, Liebesbeziehungen, Literatur. Punktuell eingeschobene Hinweise zu weiteren literarischen Werken Schlinks sollen das Blickfeld erweitern.

 

Das 3. Kapitel geht analysierend und interpretierend auf den Roman ein.

Inhalt:

Der Roman enthält die Geschichte von Michael Berg in drei Abschnitten seines Lebens. Als Fünfzehnjähriger verliebt er sich in die wesentlich ältere Hanna, zu der er eine Liebesbeziehung entwickelt, die durch das Ritual des Duschens, sich Liebens und des Vorlesens geprägt ist. Sie verschwindet ohne Abschied. Erst als Jurastudent begegnet er Hanna wieder. Sie ist als ehemalige Aufseherin in einem Konzentrationslager angeklagt. Erst im Laufe des Prozesses begreift Michael, dass Hanna Zeit ihres Lebens alle Entscheidungen getroffen hat, um ihr Analphabetentum zu verheimlichen. Trotz dieser Erkenntnis hilft Michael ihr zwar nicht, schickt ihr jedoch nach ihrer Verurteilung Kassetten mit von ihm vorgelesenen Texten ins Gefängnis. Mit Hilfe dieser Bänder lernt Hanna im Gefängnis lesen. Kurz vor ihrer Entlassung aus dem Gefängnis nimmt sie sich das Leben.

Chronologie und Schauplätze:

Der Roman ist in 3 Teile mit insgesamt 46 kurzen Kapitel unterteilt, die dem Lebensalter Michaels als Jugendlicher, als Jurastudent und als Erwachsener folgen. Zur ersten Begegnung zwischen Michael und Hanna kommt es im Herbst 1958. Ihre Geschichte wird rückblickend (zumeist) in chronologischer Abfolge der Ereignisse erzählt bis zur Erzählgegenwart 1994/95.

 

Ortsnamen werden nicht ausdrücklich genannt. Dennoch lassen die vielen Anspielungen im 1. Teil Heidelberg als Hauptschauplatz vermuten; der 2. Teil spielt sich in erster Linie im Gerichtssaal „in einer anderen Stadt“ (S. 90) ab (evtl. Frankfurt als Anspielung auf die Auschwitzprozesse); die Stadt, in der der 3. Teil hauptsächlich angesiedelt ist, ist nicht genau zu bestimmen, im 11. Kapitel fährt Michael nach New York.

Personen:

Die Hauptfiguren sind Michael und Hanna. Die Liebesbeziehung zu der 21 Jahre älteren, rätselhaften Hanna bestimmt Michaels Leben bis in das Erwachsenenleben und ist Grund für seine spätere Bindungsunfähigkeit. Ihr Verhältnis ist durch Sexualität, durch Unterwerfung und Beherrschung, durch vielfältige Verstrickung in alte und neue Schuld und durch das Vorlesen geprägt.

Michael:

aus gutbürgerlicher Familie

klug, belesen; später Akademiker

zunächst unsicher im Verhalten, dann zunehmend selbstkritisch

Hanna:

keine Familienanbindung

Analphabetin; ehemalige KZ-Aufseherin

unberechenbar für Michael, ambivalentes Verhalten: unsicher/bestimmt/herrisch/zärtlich etc.

Stil und Sprache Schlinks:

Hintergrundinformationen zu Sachfragen und Erläuterungen zur sprachlichen Gestaltung ermöglichen einen Einblick in den Roman als literarisches Werk. Die drei Teile des Romans passen sich sprachlich dem immer älter werdenden Ich-Erzähler Michael an und vermitteln so den Eindruck großer Authentizität. Wortwahl und Diktion werden zunehmend komplexer und poetischer ausgestaltet, verlieren aber nie die für Schlink charakteristische Klarheit und Knappheit der Sprache.

 

Die Textverknüpfung erfolgt über wiederkehrende Motive (Odyssee, Symbolgehalt der Orte und Räume, der Körperlichkeit u. a.), das Leitmotivgeflecht. Es erfolgt eine genaue Darstellung der sprachlichen Gestaltung und ihrer Funktion für die einzelnen Teile.

Verschiedene Interpretationsansätze bieten sich an:

Zum tieferen Verständnis des Romans werden Themen wie Analphabetismus, Beziehung und Kommunikation, Literatur und ihre Funktion untersucht. Die Frage nach Schuld bezieht sich auf Hanna, Michael, die NS-Zeit und geht auf Verarbeitung und auf die vielfältigen Arten des Umgangs mit Schuld ein. Weil in diesem Roman plumpe Verurteilungen vermieden werden, stattdessen individuelle Schuld, Kollektivschuld, Rollen, Umstände und Verantwortung miteinander in Beziehung gesetzt werden, erhält der Roman eine weit über den Zeitbezug hinausreichende Bedeutung.

2. Bernhard Schlink: Leben und Werk

2.1 Biografie

Bernhard Schlink

© picture alliance/dpa | Henning Kaiser

Jahr

Ort

Ereignis

Alter

1944

Bielefeld

Geburt Bernhard Schlinks

 

1944–1974

Heidelberg und Mannheim

Kindheit und Jugend

bis 30

Heidelberg und Berlin

Studium der Rechtswissenschaften

1975

Heidelberg

Dissertation

31

1981

Freiburg (Breisgau)

Habilitation Herausgabe juristischer Fach- und Lehrbücher

37

1982–1991

Bonn

Professor für Öffentliches Recht der Universität Bonn

38–47

1987–2006

Münster

Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen

43–62

1987

 

Erscheinen von Selbs Justiz (Kriminalroman)

43

1988

 

Erscheinen von Die gordische Schleife (Kriminalroman)

44

1989

Berlin

Verleihung des Autorenpreises deutschsprachiger Kriminalliteratur („Der Glauser“) für Die gordische Schleife

45

1991

 

Verfilmung des Kriminalromans Selbs Justiz unter dem Titel Der Tod kam als Freund für das ZDF (Regie: Nico Hofmann)

47

1992–2009

Berlin

Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität, 2009 Emeritierung

48–65

1992

Frankfurt a. M.

Erscheinen von Selbs Betrug (Kriminalroman)

48

1993

 

Verleihung des Deutschen Krimi-Preises des Bochumer Krimi-Archivs für Selbs Betrug

49

1995

 

Erscheinen von Der Vorleser (Roman) Verleihung des „Stern des Jahres“ der „Abendzeitung“ (München) für Der Vorleser

51

1997

Italien

Grinzane-Cavour-Preis für Der Vorleser

53

Neumünster

Verleihung des Fallada-Preises der Stadt Neumünster

Frankreich

Prix Laure Batallion für Der Vorleser

USA

Erscheinen der englischen Ausgabe von Der Vorleser (The Reader)

1999

USA

The Reader auf Platz eins der Bestsellerlisten Verkauf der Filmrechte an Hollywood

55

 

Berlin

Literaturpreis der Tageszeitung „Die Welt“ für das literarische Werk

55

2000

 

Erscheinen von Liebesfluchten (Erzählungen) Ehrengabe der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Gesellschaft Evangelischer Buchpreis für Der Vorleser, Sonderkulturpreis der japanischen Tageszeitung Mainichi ShimbunHeimat als Utopie (Sachbuch)

56

2001

 

Selbs Mord (Kriminalroman)

57

2003

Berlin

Bundesverdienstkreuz (1. Klasse)

60

2004

 

Vergangenheitsschuld. Beiträge zu einem deutschen Thema (Sachtext)

63

2006

 

Die Heimkehr (Roman)

62

2007

 

Vergangenheitsschuld. Beiträge zu einem deutschen Thema (Sachtext)

63

2008

Berlin / New York

Das Wochenende (Roman)Verfilmung von Der Vorleser (The Reader) und Der Andere (The Other Man), Erzählung aus Liebesfluchten

64

2010

 

Sommerlügen (Erzählungen)

66

2011

 

Gedanken über das Schreiben (Sachtext)

67

2013

 

Verfilmung von Das Wochenende

69

2014

 

Die Frau auf der Treppe (Roman)

70

2015

 

Erkundungen. Zu Geschichten, Moral, Recht und Glauben. (Sachtext)

71

2018

 

Olga (Roman)

74

2020

 

Abschiedsfarben (Erzählungen)

76

2021

 

Die Enkelin (Roman)

77

2021

 

Schlinks erstes Theaterstück 20. Juli erscheint als Buchausgabe.

77

2023

 

Das späte Leben (Roman)

79

2024

Hamburg

Uraufführung von Schlinks Theaterstück 20. Juli in den Hamburger Kammerspielen.

80

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Zusammenfassung

Zeitliche Einordnung, Personen und Thema in Schlinks Der Vorleser

3. Phase der literarischen Verarbeitung des Holocaust

alle drei Generationen, die direkt oder indirekt von der NS-Zeit betroffen sind, sind im Roman vertreten; unterschiedlicher Umgang der Menschen mit dem Holocaust

zeitliche Distanz zum Holocaust wirkt sich auf Stil und Darstellung aus: Leichtigkeit des Tons, Erzeugung von Betroffenheit auf allgemeinerer Ebene, Einbeziehen von Vorkenntnissen und den Leser:innen vertrauten Bildern sowie Dokumenten aus der NS-Zeit

Verzicht auf eindeutige Verurteilungen und Urteile, stattdessen Aufzeigen von Umständen der Verstrickung in Schuld

Weitere literarische und filmische Verarbeitungen des Themas, literaturgeschichtliche Einordnung des Romans (nach 1945, 60er-Jahre, 90er-Jahre)

Der Vorleser als literarische Verarbeitung des Holocaust

Die Entstehung von Der Vorleser fällt in eine dritte Phase der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Thema Holocaust auf verschiedenen Ebenen. Das als bahnbrechend bezeichnete Schuldbekenntnis der katholischen Kirche in Hinblick auf Verfehlungen im vergangenen Jahrtausend bezog auch Versäumnisse gegenüber den Juden ein. Entscheidungen hinsichtlich der Entschädigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich mussten gefällt werden. Im Fernsehen, in Ausstellungen, in Filmen, in anderen Medien, auch in der Literatur wurde und wird dieses Thema behandelt. Dieses weltweite Interesse hing unter anderem mit dem hohen Alter der letzten Zeitzeugen und Opfer zusammen. Authentische Berichte, Befragungen von Betroffenen, Schuldbekenntnisse und vor allem Entschädigungen von Opfern waren nur noch begrenzt möglich. Gleichzeitig ist feststellbar, dass durch die gewachsene zeitliche Distanz zu den Geschehnissen sich auch der Umgang damit änderte. Auch in der Literatur ist erkennbar, dass sich diese Generation der „Nachgeborenen“ in einer anderen Weise als bisher dem Stoff nähert. Es sind nicht mehr der Massenmord und die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges selbst, um die es unmittelbar geht, vielmehr wird die Verarbeitung dieser Geschehnisse von Seiten der Täter- und Opferkinder bzw. der Enkel beschrieben.

Schlink selbst weist darauf hin, dass schon drei Generationen mit der Schuld des Dritten Reiches und des Holocaust umgehen müssen. Alle drei Generationen tauchen in seinem Roman auf:

Die dieser dritten Generation angehörenden oder zumindest in ihrer Zeit schreibenden Schriftsteller gehen schwerpunktmäßig anders als die vorangegangenen mit den schrecklichen Ereignissen um.

Schlink beschreibt in seiner Rede zur Verleihung des Fallada-Preises die Auseinandersetzung der 1. Generation mit der Vergangenheit als durch einerseits Verdrängung, andererseits Offenlegung geprägt. Sie ist seiner Ansicht nach weitgehend dokumentarischer Art. Diese Form der Bewältigung bezieht er in seinen Roman ein, wenn er von dem Buch der überlebenden Tochter spricht. Auch die 2. Generation, die der Söhne und Töchter, kommt in seinem Roman zu Wort. Es ist die Generation derjenigen, die sich als „Avantgarde der Aufarbeitung“ (S. 87) sehen. Zu ihr gehört Michael. Selbstkritisch erinnert dieser sich später an den fast fanatischen Eifer und die festen Vorstellungen von Schuld und Sühne, die ihre Haltung prägte. Hier deckt sich die Einstellung des Protagonisten und Erzählers mit der des Autors. Schlink sieht in dem moralischen „Anklagen, Verurteilen und Ausstoßen der Täter, Mittäter und Zuschauer der ersten Generation“[1] den Versuch der 68er-Generation, sich aus der eigenen individuellen und kollektiven Verstrickung zu befreien. Michael ist vor allem durch seine Beziehung zu Hanna persönlich mit der ersten Generation verstrickt. Seine Form der Auseinandersetzung ist die der rückblickend kritischen Aufarbeitung in Form eines Buches. Für die 3. Generation konstatiert Schlink das Ende eines Schuldzusammenhanges auf einer solchen persönlichen Ebene. Gleichwohl „gibt es ein Vermächtnis der Furchtbarkeiten des Dritten Reiches auch für die dritte und die folgenden Generationen“[2] und gleichermaßen drängende Fragen.

Literatur muss Schlinks Meinung zufolge den individuellen Zugang dazu immer wieder neu herstellen und dabei zugleich universeller sein. Mit seinem Roman gelingt ihm offenbar genau dies. In seiner „Liebesgeschichte“ mit der jähen Wende entsteht ein verblüffender und überraschender Bezug zum Holocaust, dem sich Leser:innen kaum, gleich welcher Generation, entziehen können. Die Betroffenheit der Leser:innen drückt sich nicht nur in den Zahlen der weltweit verkauften Exemplare seines Romans und in der Fülle von Kommentaren und anderen Dokumenten der Beschäftigung damit aus. Schlink vermeidet eindeutige Festschreibungen von Schuld und Unschuld, Täter und Opfer, Böse und Gut. Eindeutige Werturteile und Verurteilungen lassen sich nicht vornehmen. So ist beispielsweise Hanna einerseits brutal und herrisch, sie kann andererseits aber auch zart und einfühlsam, empfindlich sein. Ihre Schwäche, ihr Analphabetismus, liefert die Erklärungsmöglichkeit für eine Vielzahl von Entscheidungen und Verhaltensweisen. So vollziehen die Leser:innen nach, wie durch überraschende Erkenntnisse und Zusatzinformationen das Bild von einem Menschen ständig neu überdacht und revidiert werden muss. Er wird genötigt, sich über die Verbrechen und das eigene Verhältnis dazu Gedanken zu machen. Und er lernt, dass sowohl individuelle Geschichte als auch historische Vergangenheit, in die er durch Gruppenzugehörigkeit verwickelt ist, Teile seines Lebens sind. Sie lassen sich nicht abschütteln, verdrängen oder ignorieren.

Im Vorleser handeln die Menschen auf verschiedene Weise. Da ist die Tätergeneration, deren Motive für ihr Handeln im Verbergen von Defiziten (Hanna), in der Ausführung von Befehlen und Erledigen von Alltagsaufgaben (Autofahrer auf dem Weg ins Konzentrationslager) und in gedankenlosem Mitläufertum begründet sind. Es sind im weitesten Sinne der Egoismus und die fehlende Bereitschaft zur bewussten aktiven Auseinandersetzung oder zum Widerstand, die dem Tun zu Grunde liegen. Eine weitere, für Betroffene und Beobachter übereinstimmende Haltung ist die der Betäubung. Fühllosigkeit, innerliches Unbeteiligtsein, Erstarrtheit in einem Zustand der Betäubung angesichts der ertragenen oder geschilderten Gräueltaten lähmt alle. Diese Haltung wird einerseits als notwendiger Mechanismus zum Überleben des Schreckens dargestellt, gleichzeitig wird aber am Beispiel Michaels und der Tochter verdeutlicht, wie wichtig es ist, nicht in dieser Betäubung zu verharren, sondern zu registrieren, zu analysieren, literarisch zu gestalten und damit persönliche Betroffenheit zu erreichen und eine selbstkritische Einstellung zu ermöglichen. Am Beispiel Hannas, die erst mit der Überwindung ihres Analphabetismus in die Phase der Aufarbeitung gehen kann, wird die wichtige Funktion der Literatur noch einmal herausgestrichen.

Prozess gegen Aufseherinnen und Wachmänner des KZ Bergen-Belsen © picture-alliance/ dpa/dpaweb

Alle Menschen, gleich welcher Generation sie angehören, sind in eine individuelle Lebenssituation eingebunden, die ihre individuellen Wünsche und Ziele bestimmt. Alle gehören in einen zu bewältigenden Alltag. Innerhalb dieses „Alltags“ werden einige Menschen zu Mördern, andere sind Richter oder Aufklärer. Es scheint eine Frage des Zufalls, des Glückes der späten Geburt, von einer Vielzahl von Konstellationen abhängig, ob ein Mensch schuldig wird oder nicht[3]. Nicht nur die „Tätergeneration“, sondern auch die „Nachgeborenen“ handeln vielfach aus egoistischen Motiven. Dem jungen Anwalt Hannas liegt offenbar mehr an seiner Selbstdarstellung und seiner Karriere als an Hanna. Der Studentenalltag der zweiten Generation schließt die Besuche von Prozessen ein. Hier bewältigen die eifrigen Studenten ihren Generationskonflikt und ihren persönlichen Anteil an Schuld durch Vorwürfe gegenüber der Elterngeneration und deren Verurteilung zur Scham. Auch die Reisefreude des Richters und der Staatsanwälte, die gerichtliche und touristische Angelegenheiten bei der Fahrt nach Israel miteinander verknüpfen, wird von Michael (und von den Leser:innen des Romans) skeptisch aufgenommen. Michael entzieht sich einem persönlichen Kontakt zu Hanna nach der Verurteilung ebenfalls aus egoistischen Motiven. Indem Schlink den Menschen seines Romans ähnliche Grundtendenzen unterstellt, macht er deutlich, wie schwierig es ist und zu allen Zeiten sein wird, nicht schuldig zu werden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet die angeklagte Hanna einen jüdischen Mädchennamen hat.

Weitere literarische Verarbeitungen des Themas #br# und Einordnung des Romans

Jede der von Schlink angesprochenen Generationen hat eine eigene Reihe von Texten zu der Thematik hervorgebracht.

1945–1950: Direkt nach dem Krieg entsteht die Heimkehrer- und Trümmerliteratur, die Literatur des „Kahlschlags“. Es sind die Betroffenen und Erschütterten, die Krieg, Gefangenschaft, Schrecken und Erlebnisse der jüngst zurückliegenden Vergangenheit literarisch verarbeiten. Auch das Leid des Holocaust wird auf diese Weise aufgearbeitet. Diese Autorinnen und Autoren sind teilweise selbst knapp dem KZ entkommen. Sie haben Terror, Entrechtung und Bedrohung am eigenen Leib erfahren, mussten ins Exil, sind Heimatlose und Verfolgte gewesen. Oder sie haben die Schrecken als Zeitgenossen miterlebt und setzen nun alles daran, aufzuklären und zu warnen. Es entstehen kurze und lange Prosatexte und eine Vielzahl lyrischer Gestaltungen des Themas. Einige der Texte sind im Exil geschrieben worden. Zu diesen Schriftstellerinnen und Schriftstellern gehören: Anna Seghers (Exilantin), Elisabeth Langgässer (als Halbjüdin seit 1936 mit Berufsverbot belegt), Günther Weisenborn, Günter Eich (verheiratet mit Ilse Aichinger), Rose Ausländer (wurde als Jüdin von den Nazis verfolgt und überlebte 1941–44 das Czernowitzer Ghetto), Paul Celan (seine Eltern wurden deportiert und ermordet, selbst Zwangsarbeit bis 1944 in Rumänien), Wolfgang Koeppen, Ilse Aichinger (Halbjüdin, von Nazis schikaniert), Nelly Sachs (jüdischer Herkunft, Exilantin), Ilse Blumenthal-Weiß (eine der fünf Prozent der Überlebenden eines niederländischen KZs), Gertrud Kolmar (1943 im KZ umgekommen) u. a.

Die 60er-Jahre: Etwa zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt eine neue Phase der Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Es ist die Zeit der Politisierung der Literatur, die Zeit der Studentenrevolten, der heftigen Auseinandersetzung mit den Eltern und dem Establishment. Es wird in verschiedener Hinsicht radikale Kritik geäußert. Der Kalte Krieg, die amerikanische Kriegführung in Vietnam, gesellschaftliche Zustände und Fragen der Vergangenheitsbewältigung werden u. a. Gegenstand der Literatur. An den Universitäten wird durch eine junge Generation die widerstandslose, geradezu willfährige Beteiligung am Nationalsozialismus kritisiert und eine Diskussion um Fragen der Verantwortung, Verdrängung und Versagen der Elterngeneration geführt. Die Tagung des Deutschen Germanistenverbandes (Oktober 1966) steht unter dem Titel „Nationalsozialismus in Germanistik und Dichtung“. In Schule und Universität wird Vergangenheitsbewältigung versucht.

Eine wichtige literarische Form, die in dieser Zeit gefunden wird, ist das Dokumentartheater