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Zweiter Band der Trilogie um Ex-Cop Charles Hardie
Charlies Hardie gerät in die Fänge einer mächtigen Geheimorganisation, die ihn kurzerhand in ein fast völlig von der Außenwelt abgeschnittenes Hochsicherheitsgefängnis werfen lässt. Dieser bizarre, gottverlassenen Ort wird ausschließlich von gefährlichen Psychopathen bevölkert, niemand weiß von seiner Existenz. Hardie erhält die Höchststrafe: Er ist der Wärter. Die Organisation verlangt absoluten Gehorsam, die Situation scheint aussichtslos – die einzige Chance, seine Familie wiederzusehen, besteht in einem wahrhaft teuflischen Pakt.
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Seitenzahl: 375
ZUM BUCH
Der Ex-Cop Charles Hardie hat die Pläne einer mächtigen Geheimorganisation durchkreuzt, die ganz Amerika unterwandert hat und vor nichts zurückschreckt. Jetzt ist er selbst in die Fänge der Verschwörer geraten. Er wird in ein hochgeheimes unterirdisches Gefängnis gebracht, wo die gefährlichsten Verbrecher und Psychopathen der Welt einsitzen. Seltsamerweise begrüßt man Hardie dort als »Wärter« und schnell wird ihm klar, dass er Teil eines teuflischen Experiments ist und dass in diesem Gefängnis eigene Regeln herrschen. Regeln, die Hardie befolgen muss – denn die Organisation hat seine Familie in ihrer Gewalt. Um aus diesem Albtraum zu entkommen, muss Hardie bis an seine Grenzen gehen.
Der Wärter ist der zweite Band der packenden Trilogie um Ex-Cop Charles Hardie.
»Duane Swierczynski hat so brutal gute Ideen, dass wir anderen Schriftsteller uns irgendwann zusammenrotten und ihn aus dem Weg schaffen müssen.« Warren Ellis
ZUM AUTOR
Duane Swierczynski wurde 1972 in einem Vorort von Philadelphia geboren. Er war Redakteur des Philadelphia City Paper. Neben einer Reihe von Kriminalromanen, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, schrieb er Sachbücher und Comics. Duane Swierczynski lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Philadelphia.
Besuchen Sie den Blog des Autors unter http://secretdead.blogspot.com/
LIEFERBARE TITEL:
Der Bewacher
Als Duane Louis: Blondes Gift – Letzte Order – Schnelle Beute – Alte Feinde
DUANE SWIERCZYNSKI
DER WÄRTER
Thriller
Aus dem Amerikanischen von Frank Dabrock
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Die Originalausgabe Hell & Goneerschien 2011 bei Mulholland Books, an imprint of Little, Brown and Company.
Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2012
Copyright © 2011 by Duane Swierczynski
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Florian Oppermann
Umschlaggestaltung: yellowfarm S.Freischem unter Verwendung von Motiven von Plainpicture/Janklein und Fotolia/fipsut.
Satz: Leingärtner, Nabburg
ePub-ISBN: 978-3-641-07624-5
www.heyne.de
Für David Hale Smith
Ma prima avea ciascun la lingua stretta
coi denti verso lor duca per cenno;
ed elli avea del cul fato trombetta
Dante, Inferno, 21. Gesang
Save me darlin’
I am down
but I am far from over
Frank Stallone
Liebe Julie,
es ist schwer zu erklären, aber …
EINS
Sie hatte die Seiten gewechselt. Sie war jetzt Teil des Landes. Sie trug ihren Hosenrock, ihren rosafarbenen Pulli, und ein Halsband aus menschlichen Zungen.
Tim O’Brien, Was sie trugen
Am Tag, als ihr Freund starb, wurde Julie Lippman frühwach.
Während sie mühsam ihre Augen öffnete und ihre innere Festplatte nach dem aktuellen Datum durchforstete, stellte sie erleichtert fest, dass heute Sonntag war, der letzte Tag der Weihnachtsferien. Bis zum Abend, wenn der Bus Bobby (wahrscheinlich) zur Uni zurückbringen würde, hatte sie nichts zu tun. Das war auch gut so, denn sie hatte einen üblen Kater und war kurz davor, sich zu übergeben; ihr dröhnte der Schädel von all dem Koks und dem Schlafmangel. Vor ein paar Tagen hatte sie das Ganze noch für eine gute Idee gehalten. Es als eine Art Exorzismus betrachtet. Um reinen Tisch zu machen, bevor sie hoffentlich wieder in die Normalität zurückkehrte. Mein Gott, was für eine Woche.
Sie hatte Bobby seit Beginn der Weihnachtsferien nicht mehr gesehen. Seit er in der Nacht vor Heiligabend wortlos verschwunden war. Sie hatte nur flüchtig mitbekommen, wie er ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben hatte, bevor er die Treppe hinunter durch die Tür des Stadthauses in den kühlen Dezembermorgen verschwunden war. Er hatte nichts weiter zurückgelassen als den Anfang einer dürftigen Abschiedsbotschaft, die sie später aus dem Papierkorb in seinem Schlafzimmer fischte.
Was für ein Wichser, dachte sie.
Trotzdem wollte sie noch mal Gnade vor Recht ergehen lassen. Vielleicht hatte das Semester Bobby so geschlaucht, dass er etwas Zeit für sich brauchte. Also beschloss sie, in der ersten Woche der Ferien ein braves Mädchen zu sein. Und fuhr nach Hause, absolvierte das Weihnachtsprogramm. Lullerte sich mit teurem Weißwein zu – ihr Vater würde ihn wohl kaum vermissen –, schaute fern und versuchte sogar, etwas von der Lektüreliste fürs nächste Semester durchzuarbeiten.
Doch an Silvester hatte sie genug davon, das brave Mädchen zu spielen. Sollte sie etwa das Leben einer Nonne führen? Nur weil Bobby fort war und sich wegen jeder Kleinigkeit gleich aufregte? Also rief sie schließlich Chrissy Gianni an und verabredete sich mit ihr; sie landeten beide auf einer Hausdachparty, in einem weißgefliesten Badezimmer mit unbekannten Leuten und einem Toilettendeckel voller Koks. Sie war betrunken genug, um sich hinzuknien – durch ihre schwarzen Strümpfe konnte sie die kalten Fliesen spüren –, und betrunken genug, um sich nach vorne zu beugen und eine Nase davon durchzuziehen. Und damit verabschiedete sich das brave Mädchen in ihrem Innern in einen langen Winterschlaf.
Die zweite Woche der Ferien verlief ungefähr so wie in Unter Null – Julie konnte förmlich hören, wie die Bangles »A Hazy Shade Of Pure Coke« sangen. Nur dass sie von einer Uni im Westen an die Ostküste zurückgekehrt – und dass Main Line Philadelphia nicht gerade L. A. war. In schwindelerregendem Tempo folgte Party auf Party, Apartment auf Apartment, und schließlich das Studentenwohnheim. Sie traf sich mit einem Exfreund aus der Highschool, von dem sie geglaubt hatte, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Sie verbrachten eine gefühlte Ewigkeit auf einer Matratze in einem Hochhausapartment nahe der University of Pennsylvania; Julie bestand darauf, dass ihr Ex seine Hände oberhalb der Gürtellinie behielt. Doch betrunken wie er war, grinste er nur und weigerte sich hartnäckig. Später in der Nacht kroch sie mit ihren Klamotten im Schlepptau in den Flur und wünschte, das Pochen in ihrem Schädel würde aufhören. Gegen eine schmutzige Wand gestützt, zog sie sich wieder an, während sie von einem Gefühl der Reue überwältigt wurde. Was zum Henker habe ich getan? Und was mache ich hier gerade?
Begleitet von Schamgefühlen kehrte sie zum Haus ihres Vaters zurück. Es war verlassen, kalt und still. Der Winter in Philadelphia hatte ihren Lieblingsplatz, den Garten, in eine Eiswüste verwandelt. Ihr blieb nur noch der Campus. Zwei teure Taxifahrten später war sie am Flughafen und bestieg die Maschine Richtung Uni. Am liebsten hätte sie die letzte Woche einfach gelöscht. In ihrer Wohnung machte sie es sich neben der Heizung gemütlich und versuchte, etwas zu lesen und Kaffee zu trinken, aber sie konnte nur noch an Bobby denken und nahm sich vor, nie wieder so etwas Dummes zu tun.
Inzwischen war es Morgen geworden. Sonntagmorgen, und sie musste irgendwie den Tag rumkriegen. Am Nachmittag würde der Bus eintreffen.
Doch der Bus kam nie an.
Am Abend machte auf dem Campus die Nachricht die Runde, dass beim Absturz einer Chartermaschine in der Wüste von Nevada, außerhalb von West Wendover, vierundzwanzig Menschen ums Leben gekommen waren. Allesamt Studenten der Leland University, auf dem Rückweg von einem Ferienprojekt, bei dem sie für bedürftige Menschen Häuser errichtet hatten.
Die Studenten hockten rauchend auf dem Rasen, einige hielten Kerzen in der Hand, andere weinten. Alle waren wie benommen. Julie wurde von einer Reihe widersprüchlicher Gefühle heimgesucht. Einerseits war sie erleichtert, dass Bobby nicht geflogen war – sie hatte lachen müssen, als er ihr einmal erzählte, dass er noch nie geflogen war. Also noch nie in seinem Leben. Andererseits erschreckte sie der Gedanke, sie könnte jemanden aus der Maschine kennen. Und sie machte sich Sorgen, weil Bobby immer noch nicht zurück war. Gleichzeitig wurde sie von Schuldgefühlen geplagt. Vielleicht hatte er es irgendwie erfahren. Erfahren, was sie in den Weihnachtsferien wirklich getrieben hatte, und jetzt würde er nie wieder zurückkehren.
Komm schon, Bobby. Wo steckst du?
Kurz vor Mitternacht hatte jemand eine Liste mit den Namen der Passagiere erstellt; sie wurde im Studentenwerksgebäude kopiert und anschließend verteilt. Als Julie an der Wiese voller Studenten vorbeilief, drückte man ihr eine davon in die Hand. Sie war darauf gefasst, einen vertrauten Namen zu lesen, und …
Nein.
Ausgeschlossen.
Völlig ausgeschlossen.
Julie tippte die Zahlenkombination – 24,3,15 – in die Metallknöpfe an Bobbys Tür und drehte den Knauf herum. Die Wohnung war zwei Wochen lang unbewohnt gewesen, und das konnte man riechen. Julie suchte das Zimmer nach dem Übeltäter ab. Jemand hatte ein angebissenes Sandwich in den Plastikabfalleimer geworfen. Außerdem stand die übliche Sammlung mit Asche bedeckter Pepsi-Dosen herum. Bobbys Mitbewohner benutzte sie als provisorische Aschenbecher, während er im Schneidersitz auf dem Boden hockte und pausenlos Cure-Platten hörte. Rauch und vergammeltes Fleisch – eine teuflische Kombination. Julie bedeckte ihr Gesicht mit dem Ärmel ihres Pullis und beförderte mindestens ein Dutzend Pepsi-Dosen in den Abfalleimer, dann brachte sie ihn zum Ende des Flurs, wo sie ihn ausleerte. Allerdings wusste sie nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe machte. Keiner der Bewohner dieses Zimmers würde je wieder zurückkehren.
Was Julie nicht kapierte – und was ihre Trauer zurückhielt, zumindest vorläufig –, war die unerklärliche Tatsache, dass Bobby in der Maschine gewesen war. Normalerweise hielt er sich nicht mal in der Nähe eines Flugzeugs auf. Sie war davon ausgegangen, dass er zu Hause war und halbtags mit seinem Vater arbeitete, um das Geld für die Studiengebühren zu verdienen. Er zog doch nicht los, um Häuser für Bedürftige zu errichten. Mann, Bobby war einer von den Bedürftigen und finanzierte sein teures Studium hauptsächlich selbst.
Warum war er bloß in der Maschine gewesen?
Vielleicht fand sich irgendwo auf Bobbys Schreibtisch ein Hinweis. Er stand direkt in der Ecke unter dem Fenster, und darauf herrschte ein mittelschweres Chaos, er war mit Unterlagen, Notizblöcken und Taschenbuchausgaben diverser Romane übersät. Bobby studierte im Hauptfach englischsprachige Literatur und hatte in diesem Semester ein Seminar über Kriegsliteratur belegt – um sich, wie er es formulierte, »zweimal pro Woche in tiefste Depressionen zu stürzen.« Doch insgeheim genoss er es. Oben auf dem Stapel lag ein Buch, über das Bobby seine Abschlussarbeit geschrieben hatte – Tim O’Briens Was sie trugen. Julie war nicht gerade eine Leseratte. Er hatte sie förmlich dazu zwingen müssen, seine Lieblingsstory aus der Sammlung zu lesen: »Das Schätzchen vom Song Tra Bong«. Sie handelte von einem Typen, der es während des Vietnamkriegs irgendwie schafft, seine Freundin ins Kampfgebiet einfliegen zu lassen. Nach ihrer Ankunft passt sie sich den örtlichen Gegebenheiten an – sie schnallt sich ein Gewehr um, beschmiert ihre zarte Haut mit Tarnfarbe und pirscht auf der Suche nach feindlichen Soldaten durch den stickigen Dschungel.
»Das würdest du doch auch für mich tun, oder?«, hatte Bobby gefragt.
»Her mit der Munition, Kamerad«, hatte Julie geantwortet.
Und Bobby hatte einen affektierten Schrei ausgestoßen – seine alberne Prince-Imitation, ein echter Kracher auf Partys. Ein hühnerartiges Kreischen, das von den oberen Stimmlagen in eine schnell absteigende Folge von Tönenmündete, bevor es sich erneut in aberwitzige Höhen hinaufschraubte. Es klang nicht im Geringsten nach Prince, doch es kam nicht darauf an, ihn haargenau zu imitieren. Sie hatte ihm gestanden, dass sie als Mädchen Prince-Fan gewesen war, und Bobby zog sie gnadenlos damit auf. Auf den Schrei folgten die beknackten Handbewegungen aus Purple Rain:
I
Would
Die
4
U
Beim letzten Buchstaben deutete er direkt auf sie. Und ohne es zu wollen, musste sie jedes Mal kichern und nannte ihn einen Blödmann. Er war ein richtiger Spinner, ihr Bobby.
Doch jetzt, im leeren Zimmer des Wohnheims …
Hier lagen weder Flugscheine noch ein Terminkalender herum noch sonst irgendwas, das Julie verriet, wo Bobby abgeblieben war. Keine Notizen, keine Quittungen. Schließlich hockte sie sich auf sein Bett und hielt sich sein Kissen vors Gesicht. Sie konnte ihn immer noch riechen. Und dann fing sie an zu weinen.
Du würdest doch für mich sterben, oder?
Sie wünschte, sie könnte so vieles von dem, was sie auf der Party gesagt hatte, zurücknehmen …
Wie sich herausstellte, hatte keiner auf dem Campus gewusst, dass die zwanzig Studenten sowie zwei Aufbaustudenten und zwei Professoren unterwegs gewesen waren, um Häuser für Bedürftige zu errichten. Die Beteiligten hatten das Projekt vor allen anderen geheim gehalten, ihre Familien eingeschlossen. Wie Bobby hatten sie ihren Verwandten und Freunden eine erfundene Geschichte erzählt, um ihre Abwesenheit zu erklären. Ein spontaner Urlaub. Ein Jobangebot. Ein studentisches Arbeitsprogramm. Ein Ausflug.
Alles Blödsinn.
Der Rektor der Uni redete sich heraus, indem er erklärte, dass es sich um eine »geheime Mission der Hilfsbereitschaft gehandelt hat – diese Studenten und Dozenten wollten ihre gute Tat nicht an die große Glocke hängen, sondern einfach etwas unternehmen.«
Ja, dachte Julie. Sicher doch.
Eine geheime Mission der Hilfsbereitschaft.
Merkte denn außer ihr keiner, wie unglaubwürdig das alles war?
Dass der Sarg bei der Beerdigung geschlossen war, schien ebenfalls niemanden zu wundern. Schließlich hatte Bobby sich in einer fliegenden Metallröhre befunden, die mit aberwitziger Geschwindigkeit auf die Erde zugerast war. Und keiner wollte sehen, was für Verletzungen der menschliche Körper bei so einem Unfall davonträgt.
Keiner außer Julie.
Während sie in ihrem schwarzen Kleid dahockte, musste sie unentwegt auf den Sarg starren. Das Kleid hatte sie erst vor ein paar Wochen in Begleitung von Bobby bei einem Treffen ihrer Studentinnenverbindung getragen, seit gestern klemmte ein Schnappschuss davon in der Ecke ihres Spiegels. Obwohl sie keinen einzigen Beweis, keinerlei Indizien hatte, wusste sie, dass der Sarg leer war. Sie konnte es spüren.
Im neuen Semester konzentrierte Julie sich ganz auf das Sammeln von Beweisen. Sie schwänzte die Vorlesungen und fotokopierte sämtliche verfügbaren Zeitungsartikel über den Absturz. Die Unibibliothek verfügte über ein umfangreiches Zeitschriftenarchiv; eine Woche lang war es praktisch Julies Zuhause. Anschließend reiste sie zur Absturzstelle. Sie kam ihr ebenfalls verdächtig vor. War Bobby je hier gewesen? Hatte er sich in diesem verkohlten, zusammengequetschten Haufen Stahl befunden? Julie glaubte nicht daran. Und wieder hatte sie keinen einzigen Beweis außer dem flauen Gefühl in ihrer Magengegend.
Als sie zu dem Grundstück mit den Häusern in der Nähe von Houston fuhr, bei deren Bau Bobby angeblich geholfen hatte, war sie überzeugt, dass man sie verfolgte.
Auf dem Gelände entsprach alles der offiziellen Schilderung; der Projektleiter führte sie sogar durch das Haus, das mit Hilfe der Studenten von der Leland University (»Gott sei ihren Seelen gnädig«) errichtet worden war. Der Chef, ein Typ namens Chuck Weddle, behauptete, er könne sich noch an Bobby erinnern. Er zeigte ihr sogar die Terrasse, an der er gearbeitet hatte. »Er hat Zement gemischt wie ein echter Profi«, erzählte Weddle. Julie gab sich die größte Mühe, höflich zu nicken und nicht gequält aufzuschreien.
Schwachsinn, SCHWACHSINN, SCHWACHSINN!
Ein Mann in einem schwarzen Wagen folgte ihr die ganze Strecke bis zum Hotel zurück und weiter zum Flughafen.
Im März wurde sie von der Universität geworfen. Ihre Eltern reagierten mit Unverständnis, stellten aber nicht allzu viele Fragen. Sie zahlten weiter ihre Miete und überwiesen ihr das Geld für die Lebenshaltungskosten.
Und Julie setzte ihre Nachforschungen fort.
Osterferien – natürlich hatte Taylor Lust, vorbeizukommen und ihr im wunderschönen Kalifornien einen Besuch abzustatten.
Taylor Williams war ihr Ex von der Highschool, und Julie war sich sicher, dass er hin und wieder an ihre gemeinsame Nacht auf der Matratze im Hochhaus dachte. Ohne ihm den genauen Grund zu nennen, bestand sie darauf, dass er einen Freund mitbrachte. Sein begeistertes »Ja« am anderen Ende der Leitung ließ darauf schließen, dass er sich seinen Teil dachte: Entweder hatte sie eine Freundin, die gerade solo war, oder Julie hatte Lust auf einen Dreier.
Nichts davon traf zu. Julie hatte gedacht, dass drei Schaufeln schneller wären als zwei.
Mit seinem Kumpel Drew Nardo, einer Kiste Bier, einer Flasche Jack Daniels und einem Leuchten in den Augen traf Taylor bei ihr ein. Julie drängte sie zwar nicht, aber ehe die beiden es sich versahen, fuhren sie schon mit ihr raus nach Stockton, um ihr einen »Gefallen« zu tun. Wie nicht anders zu erwarten, kriegten die Jungs es ein wenig mit der Angst zu tun, als sie hörten, was Julie vorhatte. Jetzt mal ehrlich – ein Friedhof? Doch ihre Erklärung klang überzeugend. Sie erzählte ihnen, dass sie Bobby den College-Ring ihres Vaters gegeben habe, ohne vorher zu fragen (das war gelogen), und seine Familie habe ihn unwissentlich damit beerdigt (ebenfalls gelogen). Und jetzt habe ihr Vater sie nach dem verschwundenen Ring gefragt, und sie traue sich nicht, ihm die Wahrheit zu sagen (noch eine Lüge). Die Jungs schienen ihr das abzukaufen. Indirekt stellte Julie ihnen eine heiße Nacht in Aussicht, sollten sie ihr diese Gefälligkeit erweisen, auch wenn es ein wenig unheimlich war …
Die Erde war kalt und hart. In den zwei Monaten seit der Beerdigung war der Boden gefroren, wieder aufgetaut und durch die ungewöhnlich kalten Winde in diesem Teil Kaliforniens erneut gefroren. Die Jungs legten sich mächtig ins Zeug und stärkten sich alle paar Zentimeter mit einem Schluck Jack Daniels.
»Wird so ein Sarg wirklich in zwei Metern Tiefe vergraben?«, fragte Taylor. »Ich meine, weißt du das sicher? Wir sind schon die ganze Nacht hier draußen.«
»Ja«, sagte Julie leise. Sie hatte während der Beerdigung am Grab gestanden. Und genau gesehen, wie tief das Loch war. Sie hatte sich verdammt zusammenreißen müssen, nicht zum Sarg zu stürzen und ihn aufzubrechen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht den Verstand verloren hatte; dass Bobby nur verschwunden war und nicht tot …
Deswegen waren sie heute Abend hier: um den Sarg auszugraben und nachzuschauen, ob er tatsächlich Bobbys sterbliche Überreste enthielt.
Sie waren erst einen Meter weit gekommen, als in der Ferne grelle Lichter aufblitzten und der Motor eines Lastwagens aufheulte.
»Was – was zum Geier ist das?«, fragte Taylor, während er sich mit dem Handgelenk über die Stirn wischte.
Sie waren nicht allein. Dunkle Gestalten huschten über den Friedhof, zu viele, um sie zu zählen. Jede mit einer Taschenlampe bewaffnet. Lichtkegel durchschnitten die Dunkelheit. Die dichten Schattenrisse bewegten sich geschickt zwischen den Grabsteinen und Grabmalen umher. Sie machten sich erst gar nicht die Mühe, sich zu verstecken. Um zu demonstrieren, dass sie Herr der Lage waren und dass es keinen Zweck hatte davonzulaufen. Das hielt Taylor allerdings nicht davon ab, es trotzdem zu versuchen; er stieß einen trunkenen Schrei aus und stürzte in die Dunkelheit. Doch er kam nicht weit.
Und als der erste Schuss über den Friedhof hallte, fand Julie Lippmans altes Leben ein jähes Ende.
Sechzehn Jahre später
ZWEI
Der Tod ist lediglich eine Erfahrung, durch die man eine wichtige Erkenntnis gewinnen soll: Du kannst nicht sterben.
Paramahansa Yogananda
In den vergangenen fünfzehn Minuten wäre Charlie Hardie fast ertrunken. Man hatte ihm aus kürzester Entfernung in den linken Arm und seitlich in den Kopf geschossen und sein Gesicht nur knapp verfehlt.
Jetzt lag er in einem Vorort ausgestreckt auf einer feuchten Wiese, mit Handschellen an eine irre, im Verborgenen agierende Killerin gefesselt, die sich gerne oben ohne sonnte.
Von nun an konnte es nur noch besser werden.
Begleitet von einem Trupp Rettungssanitäter traf die Polizei ein. Jemand öffnete die Handschellen und trennte Hardie von der irren, im Verborgenen agierenden Killerin. Ihr Name war »Mann«. (Da werd’ einer schlau draus.) Jemand anderes untersuchte seinen Hals, seine lebenswichtigen Organe und leuchtete ihm mit einer Lampe in die Augen, dann wurde er auf eine Trage gehievt und durch das Haus der Hunters abtransportiert.
Den Personen im Innern ging es nicht viel besser. Die beiden Psycho-Geschwister stöhnten und krümmten sich immer noch, aber trotz ihrer Schusswunden würden sie wahrscheinlich überleben. So wie die beiden namenlosen Killer. Hardie war schon mal besser in Form gewesen – wenn er auf einen Menschen schoss, dann, um ihn für immer außer Gefecht zu setzen.
Er hatte das starke Gefühl eines Déjà-vus, als befände er sich in einem bizarren, völlig durchgeknallten Universum: angeschossen und verprügelt und dann halb tot durch die Wohnung einer unschuldigen Familie getragen zu werden. Das war ihm vor drei Jahren schon mal passiert, als man ihn nach der Schießerei aus Nates Wohnung gebracht hatte.
Vielleicht war’s das jetzt, endlich, zu guter Letzt – der Abspann, der drei Jahre lang darauf gewartet hatte, über die Leinwand zu rollen.
Bitte, Gott, lass mich einfach sanft entschlafen und erkennen, dass die vergangenen drei Jahre nur eine ausgeklügelte Traumsequenz waren, die mein Hirn abgespult hat, während in seinem Innern die letzten Synapsen aufzuckten. Bitte sag mir, dass ich in Wirklichkeit in Nates Haus gestorben bin und dass das hier eine Art Fegefeuer war, durch das ich gehen musste, um ins nächste Leben zu gelangen. Bitte sag mir, dass dies alles nur dazu diente, meine Seele zu reinigen, und dass ich jetzt in Frieden ruhen kann.
Falls Gott überhaupt zuhörte, weigerte er sich zu antworten.
Etwas Zeit verging. Hardie war sich nicht sicher, wie viel. Vielleicht eine Minute. Er konnte jetzt nur noch verschwommen sehen. Seine Gedanken schweiften ab, als würde er gleich einschlafen. Allerdings lief vor seinem geistigen Auge nicht sein Leben ab. Und er hatte auch keine Offenbarung oder Erleuchtung in letzter Minute. Alles war nur grau, dumpf und angenehm betäubt.
Neben ihm erschien ein Rettungssanitäter. Er riss eine Plastikfolie auf. Nahm eine Spritze heraus. Brach die Plastikkappe ab. Steckte die Nadel in eine Glasampulle. Zog den Kolben zurück. Und schnippte mit dem Finger gegen die Spritze.
»Die werden ihren Spaß mit dir haben«, sagte der Sanitäter und stach Hardie die Nadel in den Arm.
Dunkelheit …
Und Hardie würgte sie erneut.
Seine fleischigen Hände lagen an ihrem dünnen, zarten Hals. Und drückten zu, als wollte er die letzten Reste Zahnpasta aus einer Tube pressen.
Ein anderes Paar Hände hielt seine Hände umklammert.
Und da war diese Stimme in seinem Kopf:
Schau sie dir an. Du wolltest sie haben, seit du sie das erste Mal gesehen hast. Ist es nicht so, Charlie? Deine kleine Filmschönheit.
Seine unbeweglichen Gummifleischhände mit ihren Plastikknochen wurden fester zusammengedrückt, immer fester …
Na los, Charlie. Du weißt, dass sie es will. Sie bettelt förmlich darum.
Behandschuhte Daumen führten seine unbeweglichen Daumen zu der weichen Stelle in der Mitte ihrer Kehle und drückten zu …
Fühlt sich gut an, was, Charlie? Erwürg die Schlampe. Mach weiter. Brich ihr den hübschen, schlanken Hals.
Er spürte, wie sich ihr Becken unter ihm aufbäumte …
Von dir ermordet, Charlie.
Etwas später kam Hardie im Heck eines Krankenwagens unsanft wieder zu sich. Über ihm spiegelten sich grelle Lichtpunkte auf Metallapparaten. Und wenn sie durch ein Schlagloch fuhren, baumelten die Plastikschläuche, die aus kleinen Fächern hervorragten, hin und her. Er spürte jeden Ruckler, der vom Fahrgestell auf die Liege übertragen wurde. Als er versuchte, einen Arm zu heben, stellte er fest, dass er festgeschnallt war. Er drehte den Kopf und sah den Rücken eines Mannes – einen Teil seines weißen Hemdes und seiner Weste sowie sein dunkelblondes Haar.
»Was soll das? Nimm die Landstraße. Was gurkst du hier auf dem Highway rum?«
»Hier ist so dichter Verkehr, da fallen wir nicht weiter auf. Perfekt.«
»Aber es geht kaum vorwärts.«
»Na und? Unser Mann ist doch stabil, oder?«
»Fürs Erste. Er kann jeden Moment kollabieren. Und bevor das passiert, möchte ich da sein. Soll sich jemand andres mit ihm rumschlagen.«
Hardie fand, das hörte sich nicht gut an. Der Krankenwagenfahrer und der Rettungssanitäter klangen nicht, als wären sie voll bei der Sache. Er wollte etwas sagen, aber der Fahrer kam ihm zuvor.
»Aber er ist stabil, oder? Dann überlass mir das Fahren. Ich sag dir ja auch nicht, wie du deine Leute stabilisieren sollst, oder?«
Der Sanitäter dachte eine Weile über diese Antwort nach. Schließlich gab er ein Geräusch von sich wie ein kleines Kind, das die Zunge rausstreckt und verächtlich prustet.
Verschont mich mit diesem Scheiß, ihr Arschlöcher, dachte Hardie.
»Ich kann nicht glauben, dass er so stabil ist. Der Typ hat zwei Schusswunden. Scheiße, eine davon in seinem Schädel. Trotzdem hat er einen kräftigen Puls und atmet noch.«
»Wir müssen nur dafür sorgen, dass das so bleibt, bis wir da sind.«
Ja, ja, redet nur, dachte Hardie. In den Fingerspitzen der rechten Hand hatte er immer noch etwas Gefühl. Sein linker Arm und die linke Hand waren so gut wie nicht zu gebrauchen. Die Fingerkuppen waren taub, die Hand unbeweglich und gefühllos. Das kam von der Kugel im Bizeps.
Aber seine rechte Hand …
Hardie krümmte das Gelenk, bis er mit Zeige- und Mittelfinger den Riemen erreichte. Es war ein kräftiger, elastischer Riemen. Er krümmte die Hand noch weiter und schaffte es, zwei Fingerkuppen darunterzuschieben und ihn nach oben zu drücken. Der Riemen bewegte sich ein klitzekleines Stück. Immerhin. Das war ein Anfang.
»Scheiße, ich hab’s dir doch gesagt. Jetzt schau dir an, wie sich da vorne alles staut!«
»Keine Sorge. Das löst sich schon wieder auf. Wir schaffen das.«
Der Riemen gab erneut etwas nach. Wenn Hardie es schaffte, die Schlaufe zu lösen, dann konnte er vielleicht so kräftig daran ziehen, dass der Stift aus der Metallöse glitt …
»Oh Mann.«
»Entspannst du dich jetzt mal? Bist du überhaupt schon mal mit dem Auto durch L. A. gefahren? Ich meine, außer in Sherman Oaks oder wo auch immer du wohnst, Mann?«
»Hey. Nichts Persönliches, schon vergessen?«
»Du mit deinen Ratschlägen gehst mir ganz persönlich auf die Nerven.«
… und wenn er es dann schaffte, seinen rechten Arm herauszuziehen, tja, dann wäre Hardie wieder mit von der Partie. Er war auf der rechten Seite nämlich neben den Kästen und Fächern eingepfercht, und mit ausgestreckter Hand könnte er nach einer der Nadeln, einem Skalpell oder irgendeinem anderen scharfen Gegenstand über sich greifen. Wenn der Sanitäter sich umdrehte, könnte Hardie ihm das Ding in den Oberschenkel rammen … nein, noch besser, es auf einen seiner Hoden richten und seinen Kollegen hinterm Steuer auffordern, rechts ranzufahren und ihm ein Handy zu geben. Andernfalls würde Hardie ihnen etwas Hoden-Schaschlik kredenzen …
Genau in diesem Moment, als verfügte er plötzlich über eine Art übersinnlicher Wahrnehmung, warf der Sanitäter mit den dunkelblonden Haaren einen Blick in Hardies Richtung und zuckte unwillkürlich zusammen.
»Scheiße, er hat die Augen geöffnet!«
»Was?«
»Er versucht mit der Hand einen der Riemen zu lösen.«
Wer? Ich? Einen Riemen lösen? Hardie ließ seine Hand sinken und tat, als wüsste er von nichts oder wäre verwirrt … Hauptsache, es wirkte überzeugend. Mit gespielter Benommenheit verdrehte er die Augen, schluckte und fragte: »Wie spät ist es?« Alles hing davon ab, dass er das Handgelenk freibekam …
»Er tut was?«, fragte der Fahrer.
»Äh, er ist jedenfalls wach.« Der Sanitäter schnippte mit den Fingern vor Hardies Gesicht. »Kannst du, ähm … kannst du sehen, was ich hier tue?«
»Bitte«, sagte Hardie. »Wie spät ist es?«
Als sich der Sanitäter zu ihm vorbeugte, fummelte Hardie erneut mit den Fingern seiner rechten Hand an dem Riemen herum, und ihm wurde schwindelig. Sein Schädel hämmerte, und er konnte nur noch verschwommen sehen. Vielleicht hatte man ihn nicht ohne Grund festgeschnallt. Weil er seinen Kopf nicht bewegen sollte. Drauf geschissen. Er wollte nicht im Heck eines Krankenwagens bei diesen Idioten liegen. Selbst wenn sein letztes Stündlein geschlagen hatte, gab es keinen Grund, in der Gegenwart von Arschlöchern zu sterben. Er versuchte erneut, an dem Riemen zu ziehen, er krümmte seine Hand so stark, dass es sich anfühlte, als würden gleich seine Sehnen reißen …
Über ihm wühlte der Sanitäter in einer Kiste herum und nahm eine Spritze heraus, dann durchstöberte er eine weitere, bis er eine Ampulle gefunden hatte.
»Nehmen wir noch was von dem Mittelchen«, sagte er zu Hardie. »Glaub mir, Kumpel, was auch passiert, du willst nicht bei Bewusstsein sein.«
»Bitte, hör mir zu …«
»Pssst, ganz ruhig.«
»Hör mir zu, du beschissenes Ar…«
Das Mittel schoss durch den Katheter, und etwas Kühles und Feuchtes rieselte über Hardies Hirn.
Er hörte einen letzten Wortwechsel, bevor es um ihn schwarz wurde:
»Mann, er hätte nicht aufwachen dürfen. Auf gar keinen Fall. Bei den Unmengen von Zeug, mit denen ich ihn vollgepumpt habe.«
»In diesem Job erlebt man ständig komische Sachen.«
Als Hardie das nächste Mal zu sich kam, rasten helle Lichter an ihm vorbei. Nein, keine Lichter. Sterne. Jede Menge. Das bedeutete, er bewegte sich. Wurde irgendwohin gerollt. Ein heißer Windhauch strich über sein Gesicht. Hardie versuchte, seinen Kopf nach links zu drehen, doch schon nach einem Millimeter ertönte ein Knacken. Ein nicht gerade beruhigendes Geräusch. Man hatte ihm eine Halskrause angelegt. Er versuchte, seine Handgelenke zu bewegen. Doch er war immer noch an diese verdammte Trage geschnallt. An Händen und Füßen. Er spürte einen Schmerz in der Brust, und sein Herz raste, dann fiel ihm Deke ein.
Sein alter Kumpel Deacon »Deke« Clark, eine große Nummer beim FBI. Er hatte ihn, wann … vor mehreren Stunden aus dem Hotel am Rand von Los Feliz angerufen.
Deke würde nach ihm suchen … oder?
Ganz bestimmt.
Wahrscheinlich ist er im Haus der Hunters eingetroffen, kurz nachdem man Hardie von dort fortgebracht hatte. Mit etwas zu essen in der Hand (der Mann war ständig am Futtern, hatte ständig einen Hotdog dabei, eine Tüte Chips, eine Brezel, irgendwas), während er den Tatort inspizierte und herauszufinden versuchte, was dort in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war.
Mann, selbst Hardie hatte Probleme, alles auf die Reihe zu kriegen. Vor seinem geistigen Auge schwirrten die Einzelheiten des gestrigen Tages wie die Bruchstücke eines Romans, den er mal gelesen hatte, an den er sich aber nicht mehr vollständig erinnern konnte. Man hatte ihn engagiert, um oben in den Hollywood Hills eine Villa zu bewachen. Das war sein Job – auf die Häuser reicher Leute aufzupassen. Seit zwei Jahren. Währenddessen schaute er sich im Fernsehen alte Filme an, ließ sich volllaufen und sorgte dafür, dass die Häuser, die er bewachte, nicht abbrannten. Bei seinem letzten Auftrag allerdings … Das Haus ist nicht einfach nur abgebrannt. Hardie hatte sich mit einer Bande von Killern angelegt, die sich die »UnfallLeute« nannten. Sie ließen ihre Morde wie Unglücksfälle aussehen. Und Mann war ihre Anführerin.
Sie war wirklich ein zähes Luder.
Mann hatte den Auftrag, die bekannte Schauspielerin Lane Madden zu töten – und bei dem Gedanken daran wurden Hardies Kopfschmerzen noch schlimmer. Ist er tatsächlich mit Lane Madden in diesem Haus gewesen, oder hatte er sich das nur eingebildet?
Nein, das war tatsächlich passiert.
Hardie und Mann hatten miteinander Katz und Maus gespielt und versucht einander auszutricksen. Doch schließlich hatten die Unfall-Leute ihn geschnappt. Ihn gezwungen, das Unvorstellbare zu tun, und ihn anschließend dem sicheren Tod überlassen. Aber dann war er darauf gekommen, was der zweite Teil ihres Auftrags war: die minutiös geplante Ermordung von Jonathan Hunter und seiner Familie.
Und die Sache war … na ja, also … eher mittelprächtig gelaufen.
Vorher hatte Hardie noch seinen Kumpel Deke Clark angerufen und ihn überredet, Philly zu verlassen, um ihm hier in L. A. zur Seite zu stehen.
Deke würde also nach ihm suchen … oder?
DREI
Ich habe hier einen Beinahe-Todesfall.
Finlay Currie in Bunny Lake ist verschwunden
Deke Clark stand im Terminal 4 des internationalen Flughafens von Los Angeles. Er war gerade aus der beengten, stickigen Maschine gestiegen, in der Hand eine Leinenreisetasche, und starrte mit fassungslosem Gesicht auf den glänzenden Flachbildschirm, der von der Decke hing. Bei dem Lärm hier im Terminal konnte man nicht alles verstehen, was die hübsche blonde Frau sagte. Doch die Meldung, die am unteren Rand durchlief, und das rechts oben eingeblendete Foto lieferten alle wichtigen Informationen. Lane Madden, Schauspielerin – und Exjunkie –, war erwürgt in einem Hotelzimmer in Hollywood aufgefunden worden.
Okay, jetzt noch mal zum Mitschreiben, dachte Deke.
Vor ein paar Stunden hocke ich in Philadelphia mit einem Bier in der Hand auf meiner Terrasse und grille ein paar Rindersteaks, während ich überlege, ob ich noch ein paar Paprikaschoten und Pilze auflegen soll.
Da bekomme ich einen Anruf von einem Typen, den ich seit Jahren nicht mehr gesprochen habe. Und mit dem ich auch nicht sprechen wollte, um ehrlich zu sein.
Charlie Hardie.
Ich mag ihn nicht mehr besonders. Eigentlich habe ich ihn noch nie gemocht.
Und er sagt:
»Ich stecke ziemlich in der Scheiße, Deke.«
Und weiter:
»Meinst du, du könntest es irgendwann heute Abend hierher schaffen?«
Mit hierher meinte er: nach Los Angeles, Kalifornien. Einmal quer über den Kontinent.
Hardie erzählt ihm also von seinem Problem, und Deke macht sich sofort auf den Weg. So ist er nun mal, er kann einen Mann, der bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt, nicht einfach hängen lassen. Er fährt zum Flughafen. Und auf dem ganzen Flug nach L. A. denkt er über die verrückte Geschichte nach, die Hardie ihm erzählt hat. Dass er in einem Haus in den Hollywood Hills, das er bewacht hat, auf einen Eindringling gestoßen war – wie sich jedoch herausstellte, handelte es sich dabei um die bekannte Schauspielerin Lane Madden, und jemand trachtete ihr nach dem Leben. Mit irgendwelchen exotischen Giftspritzen voller Speedballs und sonst was. Und jetzt waren Hardie und diese weltberühmte Schauspielerin irgendwo in L. A. auf der Flucht.
Von der Maschine war Deke die Fluggastbrücke ins Terminal hinaufgewankt, und dort hatte er auf einem Fernseher Lane Maddens Gesicht entdeckt. Man hatte sie tot in einem Hotelzimmer aufgefunden, gleich neben …
Allerdings erwähnten die Reporter keine Bande von Killern. Es hieß, die Polizei suche lediglich einen Killer, einen einzelnen Täter:
Charles D. Hardie.
Verdammt, Hardie, wo hast du mich da reingezogen?
»Ich weiß, wie sich das anhört, Deke. Vor zehn Stunden hätte ich es ja selbst nicht geglaubt.«
Allerdings.
Der örtliche Verbindungsbeamte von FBI und Polizei wich Deke nicht mehr von der Seite, nachdem der ihm am Telefon erzählt hatte, dass er erst vor ein paar Stunden mit Hardie gesprochen hatte – der Typ horchte ihn aus statt umgekehrt. Doch da spielte Deke nicht mit. Erst erzählen Sie mir, was Sie über den Mord wissen und was für Beweise Sie gegen meinen Mann in der Hand haben.
Darauf der Kontaktmann: Na ja, was ist mit der Tatsache, dass Zeugen das Opfer und Ihren Mann zusammen bei Musso and Frank gesehen haben? Die beiden sahen aus, als hätten sie sich eine Woche lang mit Heroin zugedröhnt.
Dann hätten wir da noch die Überwachungskamera, die Ihren Mann dabei gefilmt hat, wie er auf dem Parkplatz hinter Musso and Frank einen Wagen klaut, während das Opfer die Bonnie zu seinem Clyde spielt.
Und eine weitere Kamera, die die beiden beim Einbruch ins Hotel zeigt.
Dann wäre da noch die Tatsache, dass der ganze Hals des Opfers mit den Fingerabdrücken Ihres Mannes bedeckt war – und überall an ihrem nackten Körper war seine DNS.
Außerdem haben wir Ihren Mann sturzbesoffen und ohne Hemd, am Tatort angetroffen, zusammengesackt in einer Ecke des Zimmers, übersät mit der DNS des Opfers.
Und schließlich der alles entscheidende Punkt – womit die Sache für alle Beteiligten eigentlich klar war: seine abenteuerliche und gewaltsame Flucht aus einem fahrenden Streifenwagen, bei der er die beiden Beamten mit einem exotischen Giftgas außer Gefecht gesetzt hat, so dass sie fast draufgegangen wären. Dann hat er den Wagen geklaut und ist wer weiß wohin gefahren.
Also … die Beweise gegen »Ihren Mann« sind verdammt überzeugend.
Deke musste zugeben: Ja, das klingt verdammt überzeugend.
Aber Deke kannte auch Charlie Hardie. Und obwohl er ihn für einen ziemlichen Arsch hielt, wusste er, dass er zu so etwas nicht fähig war. Das erklärte Deke auch dem Verbindungsmann und fügte hinzu: »Ich habe vorhin mit ihm gesprochen. Und er sagte, dass irgendwelche Leute Lane Madden umbringen wollten und dass er versucht habe, sie zu beschützen.«
»Hat er erwähnt, wer diese Leute sind?«, fragte der Verbindungsbeamte.
»Nein«, log Deke.
»Warum ist er dann geflohen?«
»Keine Ahnung.«
»Was glauben Sie, wohin ist er geflohen?«, fragte der Verbindungsmann. »Haben Sie ihm ein Versteck genannt? Einen Ansprechpartner?«
»Nein. Und Ihre Frage können Sie sich in den Arsch schieben.«
Danach wurde der Verbindungsbeamte etwas zugänglicher und gab Deke die Adresse des Hotels, irgendein Drecksloch am Rand von Los Feliz, außerdem nannte er ihm den Namen des Detectives von der Mordkommission, der die Ermittlungen am Tatort leitete. Doch Deke wollte weder Adresse noch Namen. Er wollte herausfinden, was Charlies nächstes Ziel war.
Er log den Kontaktmann zwar nicht an, aber eins behielt er für sich.
Nämlich die Sache mit den Killern; Hardie hatte sie »Unfallleute« genannt. Hatte ihm erzählt:
»Sie sind gerissen, sie haben Verbindungen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns erneut aufspüren.«
Deke hatte keine Ahnung, wer sie waren, doch Hardie hatte gesagt, dass sie Lane Madden töten wollten, um einen drei Jahre alten Fall von Fahrerflucht zu vertuschen.
Dabei dürfte es sich um den Unfall von Kevin Hunter handeln, dem ältesten Kind des Fernsehdirektors Jonathan Hunter, der darauf die äußerst populäre Serie The Truth Hunters ins Leben gerufen hatte – mit dem Ziel, Verbrecher zu fassen, die bislang davongekommen waren.
Offensichtlich war die Schauspielerin Lane Madden in den Unfall verwickelt gewesen. Zumindest hatte Hardie das behauptet. Aber wie? Deke hatte keine Ahnung.
Inzwischen raste Deke Clark den Interstate 405 Richtung Hollywood hinauf. Wahrscheinlich hätte er ein FBI-Fahrzeug vom Wilshire Boulevard anfordern können, aber das hätte zu lange gedauert – Formulare, Ablesen des Kilometerstands und so weiter. Besser, er beeilte sich und fing Hardie so schnell wie möglich ab. Deke fädelte sich auf dem Highway in den Verkehr ein, der sich wie eine Armee träger Leuchtkäfer ruckelnd durch die graue Nacht schlängelte. Er versuchte sich an Hardies Stelle zu versetzen:
Man beschuldigt mich, eine Schauspielerin getötet zu haben.
Inzwischen habe ich einen alten Kumpel beim FBI angerufen. (Würde Hardie ihn als »Kumpel« bezeichnen? Wahrscheinlich nicht.)
Hilfe ist so gut wie unterwegs.
Also verstecke ich mich, oder? Und warte, bis mein Kumpel vom FBI sich mit mir in Verbindung setzt?
Nein. Das klang nicht nach Hardie. Er war keiner, der einfach nur abwartete. Er würde Jagd auf die Mörder der Schauspielerin machen. Um sie wenigstens zu rächen. Etwas, das Deke an Hardie bewunderte und gleichzeitig verabscheute. Er tat Dinge, die man selbst auch gerne getan hätte. Dinge, die nicht unbedingt erlaubt waren. Nur weil man ein gutes Gefühl dabei hatte, hieß das nicht, dass sie legal waren.
Aber genau das würde Charlie Hardie tun.
Und dann fiel Deke ein, was er am Telefon als Letztes zu ihm gesagt hatte.
»Mann, wenn sie sich schon die ganze Mühe machen, warum legen sie die Hunters nicht auch gleich um?«
Als Deke in Studio City eintraf, wurden aus dem Haus in 11804 Bloomfield gerade mehrere sich windende, blutende und stöhnende Körper fortgekarrt. Die Adresse hatte er von der Außenstelle in L. A.; außerdem den Namen eines Verbindungsmanns am Tatort. Doch Deke hatte keine Lust, in Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Abteilungen verwickelt zu werden. Also zückte er seine FBI-Marke und wandte sich an einen Beamten des LAPD, der ihm eine knappe Zusammenfassung der Ereignisse lieferte. Es habe ein Blutbad gegeben, erzählte der Beamte. Allerdings hätten bei ihrem Eintreffen noch alle gelebt, erst auf dem Weg ins Krankenhaus hätten zwei der Verdächtigen/Opfer einen Herzstillstand erlitten. Die beiden Überlebenden seien noch unterwegs. Zwei und zwei ergibt vier. War Hardie einer von ihnen? Deke unterbrach den Beamten:
»Wer davon war Charles Hardie? In welches Krankenhaus wurde er gebracht?«
Der Beamte wusste es nicht. »Wir gehen davon aus, dass die Familie unverletzt ist, auch wenn sie verschwunden ist. Von ihnen fehlte am Tatort jede Spur.«
»Die Familie« – die Hunters. War Hardie bei ihnen? Waren sie zusammen geflohen? Warteten sie, bis sie gefahrlos mit jemandem Kontakt aufnehmen konnten?
Bevor Deke wieder nach draußen ging, um nach jemandem zu suchen, der seine Fragen beantworten konnte, ließ er seinen Blick durch das Wohnzimmer wandern. Es war geschmackvoll eingerichtet, mal abgesehen von den zertrümmerten Möbeln, dem Blut auf den Teppichen und den gesplitterten Terrassentüren. Er fragte sich: Was würde ich tun, wenn jemand in mein Haus eindringt und das Feuer auf meine Familie eröffnet?
Draußen stellte Deke sich zu einem Rettungssanitäter, zückte erneut seine Marke und holte weitere Informationen ein: In Wirklichkeit waren fünf Personen mit den Krankenwagen abtransportiert worden: drei Männer, zwei Frauen. Allerdings niemand von den Hunters.
»Hieß einer von ihnen Charlie?«
»Charlie?«
»Ja, Charlie Hardie.«
Der Sanitäter wusste es nicht und meinte, er solle mit dem Verbindungsmann am Tatort reden.
»Und in welches Krankenhaus wurden sie gebracht?«
»Ins Valley Presby.«
Deke nickte, schaute auf seinem Handy die Adresse nach, sprang in seinen Mietwagen und raste davon, während er der Wegbeschreibung des Handys lauschte. Er kannte sich in L. A. nicht aus. Gott sei Dank gab es GPS-Geräte. Deke wollte erst das Krankenhaus überprüfen, um zu sehen, ob Hardie dort lag. Wenn nicht, dann war er wahrscheinlich mit den Hunters unterwegs. Vielleicht waren sie allesamt zu einem Restaurant gefahren und hatten sich ein Hähnchen à la française und eine Flasche Pinot Noir gegönnt, um zu feiern, dass sie dem Tod gerade noch mal entkommen waren.
Oder ein paar weitere von diesen geheimnisvollen Killern hatten sie eingeholt, und die Familienkutsche stand irgendwo im Hinterland von L. A. vor einem Motel, während in einem der Zimmer die kalten und blutbespritzten Leichen der Hunters lagen, daneben »sein Mann« mit einem Revolver in den toten, steifen Händen.
Im Presby gab es noch mehr schlechte Nachrichten:
Dort waren lediglich vier Opfer eingetroffen.
»Man hat mir gesagt, dass fünf Personen hergebracht wurden«, sagte Deke.
Der gestresste Arzt in der Notaufnahme schüttelte den Kopf. Offensichtlich hatte er seit dem letzten Wochenende nicht mehr geschlafen und weder sein struppiges Haar gekämmt noch sein ausgemergeltes Gesicht rasiert. Was merkwürdig war: Seine Zähne waren unnatürlich weiß und gerade, ja makellos, als wäre er lediglich ein Schauspieler, der einen gestressten Arzt in einer Fernsehserie spielt.
»Nein. Es waren vier. Drei waren bei der Einlieferung bereits tot. Und der vierte ist in einem kritischen Zustand.«
»Und wo ist der fünfte Patient?«
»Es waren nur die vier.«
»Ich meine den vierten. Wo liegt der?«
Mit ausgestrecktem Arm gab ihm der Arzt zu verstehen, dass er sich gerne umsehen könne. Wahrscheinlich war es nicht seine erste Begegnung mit einem Cop oder Bundesagenten. Und er wusste, dass es sinnlos war, sich auf die ärztliche Schweigepflicht zu berufen.
Deke wurde durch einen Flur in den Empfangsbereich geführt. Zunächst dachte er, er wäre falsch, doch dann betrat er einen Raum mit drei aufgebahrten Leichen. Man hatte nicht mal Zeit gefunden, sie mit Laken zu bedecken. Alle drei waren Männer. Keiner davon war Charlie Hardie.
Zurück in der Notaufnahme fragte Deke sich so lange durch, bis ihn jemand zum vierten Opfer des Massakers in 11804 Bloomfield brachte. Er wusste nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht war, dass es sich dabei um eine Frau handelte und definitiv nicht um Charlie Hardie. Sie sah völlig durchschnittlich aus, hatte ein zierliches Gesicht und todernste Augen. Sie liege im Sterben, flüsterte der Arzt aus der Notaufnahme.
Deke betrachtete die Frau. Eigentlich noch ein Mädchen. Der Arzt hatte recht. Sie konnte nicht mal mehr sprechen und verlor immer wieder für einen kurzen Moment das Bewusstsein.
Der Gedanke an ein fünftes Opfer ließ Deke nicht mehr los.
Was, wenn sich der Arzt aus der Notaufnahme irrte und man Hardie ebenfalls hierhergebracht hatte?
Vielleicht dämmerte er in einem dieser Zimmer vor sich hin, während Deke hier draußen seine Runden drehte. Er musste der Sache jedenfalls nachgehen. Sonst hätte er nicht das Geringste in der Hand. Dann blieb ihm nichts anderes übrig, als nach 11804 Bloomfield zurückzukehren und dort alle auszufragen.
Nachdem er jedoch bereits einige Zimmer überprüft hatte und auf keinerlei Lebenszeichen von Hardie gestoßen war, kam ihm die Idee, sich die Videos der Überwachungskameras in der Notaufnahme anzuschauen. Vielleicht war Hardie hier gewesen und wieder verschwunden. Er war in der Lage, eine unvorstellbare Zahl von Verletzungen zu überleben. Es war wirklich unheimlich.
»Chuck, der Unverwundbare« hatten sie ihn in Philadelphia genannt. Zu recht, fand Deke. Bei dem, was er alles durchgemacht hatte.
Deke suchte das Büro des Sicherheitsdienstes auf und ließ einen alten, verschnupften Mann, der dort hinter dem Schreibtisch hockte, die Aufnahmen der letzten zwei Stunden abspielen.
Und da war er.
Charlie Hardie, der mit einer Halskrause auf einer Trage liegend durch die Eingangstüren geschoben wurde. Verdammt, er war das fünfte Opfer. Man hatte ihn hierhergebracht.
Aber wo war er jetzt?
Der alte Mann spulte vorwärts; doch es gab keine weitere Aufnahme von Hardie. Deke erkundigte sich, ob noch an irgendeinem der anderen Ausgänge eine Kamera angebracht war. Der alte Mann stöhnte auf und nickte, dann spielte er das Material von einem der Seitenausgänge ab. Nachdem er ein paar Minuten vorgespult hatte, bat Deke ihn anzuhalten. Erneut war Hardie zu sehen, immer noch mit Halskrause, immer noch auf der Trage, nur dass er diesmal aus dem Krankenhaus hinausgeschoben wurde, ins Heck eines wartenden Krankenwagens. Von dem Kamerastandpunkt aus konnte man allerdings nur einen Teil des Fahrzeugs erkennen. Eine Ecke des Nummernschilds, nicht viel mehr.
»Haben Sie, was Sie brauchen?«, fragte der alte Mann.
»Nein«, murmelte Deke. »Nicht im Geringsten.«
VIER
Ich weiß nicht, ob ich noch lebe und träume oder ob ich schon tot bin und mich erinnere.
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Kendra Hardie mochte es nicht, wenn ihr Ehemann krank wurde.
Was jedoch nicht häufig vorkam. Meist hatte er im Sommer eine Erkältung und im Winter hin und wieder eine leichte Grippe. Und jedes Mal überließ Kendra ihn mehr oder weniger seinem Schicksal. Für eine ganze Weile wurde er nicht schlau daraus. Sollten Ehefrauen ihre Männer nicht rund um die Uhr bemuttern, wenn sie krank waren? Blieb sie auf Abstand, weil sie Angst hatte, sich anzustecken? Nein, das war nicht der wahre Grund. Sie schien jedes Mal regelrecht wütend auf ihn zu sein, als wäre er selbst schuld, weil er die Sitze der U-Bahn abgeleckt hatte oder bei Minusgraden nackt durch Philadelphias Brachland gelaufen war.