Der Weg nach Eutopia - Ingrid Manogg - E-Book

Der Weg nach Eutopia E-Book

Ingrid Manogg

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Beschreibung

Zehn Planeten, zehn unterschiedliche Stämme: Alles scheint friedlich und geordnet. Bis der Stamm der technisch versierten Katter die Macht ergreift. Eine rasante Entwicklung nimmt ihren Lauf, die Katter setzen ihre Vorstellung von einem 'Wir' rücksichtslos durch. Bald herrschen sie nicht nur über das Versum, sondern auch über den 'Anderen Raum'. Doch es gibt Außenseiter. Sie wollen ihre Träume und Freundschaften bewahren und suchen nach einem anderen Weg. Können sie bestehen? Und gibt es ein Entkommen aus dem schwarzen Ring? Tiefgründig! Dieses fein gesponnene Fantasy-Epos entführt in eine Welt, welche auch die unsrige sanft hinterfragt. Fünf Geschichten in einem Band.

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Inhalt

Einführung

Luno

Hoffnungslos

Der weiße Katter

Die Frequenz der Unglücklichen

Fendri

Zusammen

Zuordnungen

Triumvir-Rat

Das Geheimnis des weißen Katter

Die Sieche

Florinas Komkatt

Ars Ka-Tan-Di

Attentate

Die Novanis treffen ein

Willkommen?

Erster Schnee

Namen

Solaria

Die Zeronier

Wirre Träume

Kloris

Die Reise auf den Gemeinschaftsplaneten

Lunis

Unser aller Anfang

Tausch und Tala

Das Rotfeld

Der Schafprozess

Digitt

Medizin

Klurinal

Nachmachverbot und Ideenbesitz

Unter-Nehmen und Steuerungen

Einflüsterungen

Mondgestalter

Er-Ziehung

Retter des Versum

Das Fazit der Fedrigen

Die Verschollenen

Luno erzählt

Das große Fest

Eine neue Zeit

Schlaflos

Flora

Sinnlos

Lunaflora

Lunfoiras Erinnerungen

Vom Wünschen

Solizare

Die Tetra-Angel

Wie unter Freunden

Luf lu hat eine Idee

Der verlassene Klangtempel

Odofluid

Wettermacher

Spaßbremse

Die vier Jahreszeiten

Dodo verliert seinen Freund

Geteiltes Geheimnis

Dodo wird abgeholt

Dodo bei den Katter

Solizars Stimme

Der Fluss fließt in das Große hinein

Kein Sonnenschein

Bedingungen

Wieder im Klangtempel

Klangschalen

Eine glückliche Zeit

Die Kleinen werden größer

Ein langer Sommer

Solizars Ankunft

Solizare und Feggis

Nocturnes

Bannen durch Betönen

Wetterwarnungen und Schulden

Schwanenwassa

Die Wundertöner

Turbulenzen

Die goldene Blase platzt

Ein erster Schritt

In der Ansiedlung

Die Rebellen

Dummelf lug

In der Obhut von Domila

Einzelstunden

La Minore

Einschätzungen

Spaziergang

Gedankenverschleiern

Verhaftet

Simido

Anschuldigungen

Die beste Sängerin

Abschied

Im Flugkasten

»Fass mich nicht an!«

Der Letzte Winkel

Klangtherapie

Die Geheimnisse der Solizare

Simidodo

»Sie haben sich gefunden …«

Flucht

Der geheime Eingang

Füssik

Odissi

Die Odoe

Schlagzeug

Notensäckchen

Endzeit

Solizare

Arbo

Der Faiwer und die Angst vor Radix

Zu viel Lakrum

Arbo und der Faiwer schweigen sich an

Luno schaltet sich ein

Gefahr

Wurzelangst

Hoch oben

Ein neuer Platz

Nicht aufzuhalten

Instruktionen

Sixtus

Die Baumschule

Arborum

Lakrum

Kompromiss

Schule

Die Selbsthilfegruppe

Falsch verbunden

Die neuen Schüler

Frei

Eine schreckliche Entdeckung

Ein schlechter Späher

Unruhige Nächte

Ein Kleines

Axtinus

Axta erzählt endlich

In der Ansiedlung

Nach Norden

Eingesperrt

Luno denkt in der Katter-Logik

Axiom

Wald

Transportfähig

Auf dem Gemeinschaftsplaneten

Eingekreist

Keine Bäumin

Um-die-Eck-weg

Reparatur

Arbos Entscheidung

Wieder zurück

Gefunden

Jahre später

Loicht

Alles ist anders

Loicht

Auffällig

Die Aufrechten

Verbeugungen

Lila Augen

Geradeaus

Eine winzige Wurzel

Weiter, weiter

Das ist nicht wahr

Wolle und Wurzel

Nur eine Beere mehr

Ein Handel

Schorn, das Schaf

Kurrix

Kuriert

Schlagzeilen

Wurzelräuber

Nachhilfe

Neue Gerüchte

Aufrecht-Kurse

Das Ende naht

Löcher

Die Ur-Wurzel

Archibald

Volle Pauer

Talentsuche

Luftschlösser

Die unlösbare Aufgabe

Aktiva

Archi-Technik

Ausgebrannt

Die Nummer für den Kummer

Archibald sucht Aktiva

Sabotage

Wieder da

Überspielt

Achtus greift ein

Ein neues Komkatt

Archibalds Hund

Etwas verändert sich

Unis

Gute-Nacht-Geschichten

Oktus

Im schwarzen Ring

Der letzte Wunsch der Novanis

Warm- und Kaltfronten

Geburtswehen

Wie es den Versanern auf ihrer Reise erging

In letzter Sekunde

Der Weg nach Eutopia

Einführung

In einem fernen Versum kreisen zehn Planeten um eine Sonne. Nicht jeder von ihnen ist rund, doch alle sind umhüllt von einer kugelförmigen Schutzschicht. Ihre Bewohner nennen sich Versaner. Von ihnen gibt es zehn Stämme. Jeder Stamm lebt auf einem eigenen Planeten. Die Namen der Planeten entsprechen den von den jeweiligen Stämmen verehrten ‚Großheiten‘ oder einem ihnen wichtigen Prinzip.

Der Planet Solaria steht der Sonne am nächsten. Er dreht sich nicht um sich selbst. Auf der einen Hälfte ist immer Sommer, auf der anderen Seite immer Winter. Im Übergang liegen Frühling und Herbst. Auf Solaria lebt der Stamm der Novanis. Novanis sind dünn, dunkel, eine Feder wächst aus ihrem runden Kopf. Sie nähren sich von Sonnenlicht und lieben Pferde. Gerne spielen sie Ball, lesen oder schreiben. Lügen mögen sie nicht.

Lemniskate rotiert in wechselnder Geschwindigkeit in alle Richtungen um sich selbst. Es ist immer warm. Das Wetter ist unbeständig, nur Kakteen und zähe Gräser gedeihen. Zwei Monde kreisen unregelmäßig, es gibt keinen festen Tag-Nacht-Rhythmus. Auf Lemniskate leben die Okter. Sie sind hellbraun und rundlich und gewinnen Energie, indem sie ihre innere Lemniskate in Schwingung versetzen. Sie haben Hunde und widmen sich am liebsten dem Naturwissen schaffen.

O-Ton ist klimatisch und landschaftlich sehr abwechslungsreich. Es gibt grüne Hügel, Wälder und Seen, Berge, eine Wüste. Auf O-Ton leben die Septemer. Sie sind schlank, ihre Haare voll. An jeder Hand wachsen sieben Finger. Ihr Leib ist ein Klangkörper. Sie nähren sich durch Töne und Klänge, sie singen und machen Musik.

Lignum ist rundum bewaldet. Es regnet häufig und ist kühl. Auf Lignum leben die Seisonen. Sie sind sehr groß, untersetzt und kräftig. Ihre Haare sind dicht, die Farbe variiert wie bei ihren Augen. Sie nähren sich vom Saft der Bäume, dem Lakrum. Bäume fällen und Kämpfen sind ihre Hauptbeschäftigungen.

Radix kreist im Windschatten von Lignum. Er ist rund, doch durchlöchert und durchzogen von Wurzeln. Er ist der Planet der Gräser und Sträucher. Auf Radix leben Schafe und die Faiwer. Ihre langen Haare sind wirr, ihre Finger und Zehen gewunden. Sie laufen gebeugt, geradeaus gehen ist ihnen nicht möglich. Sie nähren sich von Beeren, flechten, weben und verehren ihre Großheit.

Mosaika ist kantig, wie aus hohlen Kuben oder Quadern zusammengesetzt. Auf Mosaika leben die Katter. Sie wirken blass und kantig, sind haarlos und stabil gebaut. Mund und Gliedmaßen sind dünn. Sie entwickeln Technik und Techniken und können aus vielem Energie ziehen. Mehr ist noch nicht bekannt.

Lunaflor ist der kleinste Planet und der einzige mit einem selbstleuchtenden Mond. Er ist flach, an den äußeren Enden leicht nach unten gewölbt, und übersät von Blumen. Seine dunkle Atmosfera schirmt ihn von der Sonne ab. Auf Lunaflor leben die Trejaner. Sie sind klein, bleich und rundlich. Ihr Äußeres wechselt mit den Mondphasen. Ihre Haare sind staubfein, die Augen groß und rund, ohne Weiß. Sie trinken Mondlicht und den Duft der Blumen. Es gibt Katzen.

Ludofluid ist geformt wie eine Schale. Er schaukelt und schwankt, Wassa schwappt hin und her. Verschiedenartige Inseln tauchen auf und verschwinden wieder. Auf Ludofluid leben die Twajis. Sie sind schlank, lockig, eher hell und extrem beweglich. Jeder von ihnen trägt einen Luden (eine Schlange) mit sich herum. Für die Energiegewinnung lassen sie Wassa durch sich fließen. Spiel, Spaß, Tanzen und Schönsein bestimmen ihr Dasein.

Formicula ist eine flache Scheibe, grau und kalt wie der Himmel über ihm. Außer einigen Bäumen und kurzem Gras wächst nichts. Auf Formicula leben die Unis. Unis sind groß, schlank und zäh. Augen und Haare sind tiefschwarz, zwei feine Fühler ragen aus ihrem Kopf. Sie nähren sich vom Saft ihrer Emsen (Ameisen) und gewinnen Energie, indem sie sich als Einheit zusammenschließen. Sie bauen, transportieren und dienen dem Prinzip der großen Emse.

Furio kreist weit außen. Er ist ein einziger Vulkan. Lavaströme fließen, die Atmosfera ist schweflig. Auf Furio leben die Zeronier. Sie sind kompakt und kräftig, Haare und Leib wechseln zwischen dunkel- und flammenfarbig. Sie nähren sich von flüssiger Lava. Jeder von ihnen ist mit einem Drachen verbunden. Wenn sie nicht kämpfen, langweilen sie sich. Die anderen Versaner fürchten sich vor ihnen.

Die Bewohner des Versum begegnen sich auf dem sogenannten Gemeinschaftsplaneten. Dieser ist jedoch kein Planet, sondern ein mehr oder weniger substantieller, geistig verdichteter Raum. Er wird auch als der ‚Andere Raum‘ bezeichnet. In diesen gelangen die verschiedenen Stämme mit unterschiedlichen ‚Flugobjekten‘.

Versaner sind den Menschen ähnlich. Ihre Sinnessysteme sind jedoch teils spezialisierter, teils ‚gesamtleiblicher‘. Ihre körperliche Substanz ist für andere Elementarteilchen durchlässig als für Menschen. Daher können sie auf unterschiedliche Weisen Energie gewinnen und Nachwuchs erwünschen.

Nach und nach lernen wir die Planeten, ihre Bewohner und deren Eigenheiten besser kennen und begleiten einige liebenswerte Charaktere durch die Herrschaftszeit der Katter.

Wir beginnen mit der Geschichte von Luno, einem Novani, der auf den Trejaner-Planeten verschleppt wurde.

LUNO

Luno, ein junger Novani, wurde auf den Planeten der Trejaner verschleppt. Nur wenige dürfen wissen, wer er ist, denn Novanis werden geächtet. Luno gerät unter den Einfluss eines manipulativen Katter. Verzweifelt wartet er auf ein Zeichen von seinem Heimatplaneten Solaria, aber als seine Stammesgenossen eintreffen, gibt er sich nicht zu erkennen. Der Planet der Trejaner wird in den schwarzen Ring gesogen, die Unruhen nehmen zu. Lunis wirbt um Verständnis und bemüht sich, den unwissenden Novanis das System der Katter nahezubringen, doch er begeht einen Fehler. Ihre Sehnsucht nach Solaria wächst – mit ungeahnten Folgen.

Hoffnungslos

Lunaflor, der Planet der Trejaner, kreiste auf einer der äußeren Umlaufbahnen. Eine dichte, dunkle Hülle schützte ihn – kein Sonnenlicht, kein Sternenschein drang hindurch. Sein selbstleuchtender Mond nahm ab und nahm zu. Bewegungslos hing er am Himmel und bestimmte den Rhythmus allen Lebens.

Der junge Novani verstand immer noch nicht, was mit ihm geschehen war. Seit sechs Mondwechseln befand er sich nun hier, weit weg von seinem Heimatplaneten Solaria und seinen Stammesgenossen. Niemand außer den Trejanern Lunis, Lunix und Lunar wusste, dass er ein verschleppter Novani war. Niemand anderes durfte es wissen.

»Du heißt fortan Luno«, hatte Lunis ihm eingeschärft. »Verbirg dein dunkles Gesicht unter der Kapuze. Schau niemanden an, das Weiß in deinen Augen ist auffällig. Es macht uns Angst, wir haben so etwas nicht. Und sprich nicht. Die Novani-Feindlichkeit hat stark zugenommen, wir könnten nicht für deine Sicherheit sorgen. Offiziell giltst du als ein defizitärer Trejaner aus einer anderen Region.«

Luno saß regungslos im Gras. Es war der zweite Tag der Vollmondfeiern, der Zeit der endlosen Tänze und Rituale. Silberhelles Licht ergoss sich über die weite Ebene, Blumen leuchteten in allen Farben, schwarze Katzen sprangen umher. Unzählige Trejaner, die dunklen runden Augen erfüllt vom Glanz des Mondes, wandelten und tanzten, als folgten sie einer unhörbaren Melodie.

Für Luno sahen sie alle gleich aus. Unter ihren schwarzen Umhängen schimmerten sie weich und hell bei Vollmond, halbdunkel bei Halbmond, fast unsichtbar bei Neumond. Ihre Gesichter und Augen veränderten sich mit dem Licht. Sogar ihre Stimmen passten sich an, je nach Mondphase klangen sie höher oder tiefer. Nur Lunis, Lunar und Lunix konnte er bisher wiedererkennen. Sie gehörten zu den Älteren. Ihre Konturen wirkten klarer, ihre Bewegungen waren ruhiger. Sie strahlten Autorität aus und kümmerten sich als einzige um ihn.

Stumpf verfolgte er, wie die drei einen silbernen Blütenkelch fertigstellten und in ihm aufschwebten. Er wusste, was geschehen würde. Der Kelch verdunkelte sich, als er die oberen Schichten der Atmosfera erreichte, dann taumelte er und sank herab. Sobald er wieder den Boden berührte, zerstob er in einer grauen Wolke.

Es war hoffnungslos. Ohne die Erlaubnis der Katter konnte niemand mehr den Gemeinschaftsplaneten erreichen, sie hatten die Kontrolle übernommen. Luno mochte nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Sein Blick verlor sich im Dämmerlicht, strich über die tanzenden Gestalten, über weiches Gras und über Blumen …

Blumen, Blumen, Blumen. Hohe und niedrigwachsende, breite und schmale, bunte und einfarbige, blaue, rote, orangene, gelbe, lila- und rosafarbene … Ein leichter Wind lief in Wellen über sie hinweg, alles flimmerte und fluoreszierte. Luno schloss gequält die Augen. Kein Baum, kein Pferd, kein Hügel. Und keine Sonne, nie.

Bisher war es für ihn unvorstellbar gewesen, woanders als auf Solaria zu leben. Niemand hatte je Zugang zu fremden Planeten gefunden. Als Vorbereitung für seine erste Reise zum Gemeinschaftsplaneten hatte er viel über die Trejaner gelesen, ihre Dreierfreundschaften und die ewigen Mondwandlungen hatten ihn damals überaus fasziniert. Nun war er hier und wünschte sich weg.

Wenn wenigstens Neumond wäre. Dann schlossen sich die Blumen und alle schliefen, nur die Katzen streiften umher mit funkelnden Augen. Auch Luno konnte gut im Dunkel sehen, wie alle Novanis hatte er sich oft in der ewigen Nacht von Solarias Immerwinter aufgehalten. Doch die Dunkelheit auf Lunaflor erschien ihm unendlich leer.

Der weiße Katter

Seit nunmehr zwei Vollmonden hatten die neuen Kommunikationsgeräte alle Planeten erobert. Auch auf Lunaflor trug mittlerweile jeder Trejaner ein sogenanntes Komkatt mit sich herum. Nur Luno besaß kein eigenes. Zu den stationären, allen zugänglichen All-Komkatts, durfte er nicht hin. Lunis hatte ihn eindringlich gebeten, für die nächste Zeit an seinem Platz zu bleiben, in der Nähe der stummen Flora. So konnte er seine beiden Schützlinge gleichzeitig im Blick behalten.

Flora war selbst für eine junge Trejanerin sehr klein. Wie ein Schatten befand sie sich stets hinter ihm. Luno wusste nicht, was ihr fehlte, er hatte sie noch nie angesehen. Immerhin hatte Lunis ihr ein großes, aufklappbares Komkatt gegeben, welches sie ungenutzt im Gras liegen ließ. Es schien sie nicht zu stören, wenn er an ihrem Gerät arbeitete.

Auch heute ignorierte Luno sowohl Flora als auch ihre Katze, die ihn schnurrend umstrich, und schaltete das Komkatt ein. Das Lernprogramm für Trejanisch war seine einzige Ablenkung, Tag und Nacht saß er davor. Was auch immer er versuchte, kein anderer Kanal öffnete sich für ihn. Außer diesem einen …

Da war er wieder, der weiße Katter!

Luno konnte immer noch nicht richtig erfassen, wie er wirklich aussah. Er erschien ihm wie sein bester Freund, den er am schmerzlichsten vermisste. Manchmal glaubte er, hinter dem Trugbild eine weiße Kapuze zu erkennen.

»Ich fühle mich so einsam», begann der Katter mit der weißen Kapuze. »Und ich habe solches Heimweh.« Er sprach fließend Novanisch, seine Stimme klang vertraut wie die seines Freundes.

Erneut wurde Luno weich und erzählte alles, was ihn bedrückte. Doch wie jedes Mal blieb die Erleichterung aus. Mit zitternden Händen fuhr er wieder und wieder über seinen Kopf.

»Hör auf damit«, sagte der Katter nun mit seiner eigenen Stimme, die blechern klang. Seine Augen wirkten jetzt fast farblos, das Gesicht wurde kantig. »Das ist doch schon eine Weile her. Alles ist gut, höher entwickelte Wesen brauchen weder Federn noch Haare. Dein Spürsinn wird auf andere Weise zurückkehren. Und nun, da du mir von deinen Befindlichkeiten erzählt hast, erfülle deine Aufgabe. Berichte, worüber die Trejaner sprechen. Was planen sie, was wünschen sie sich, womit sind sie unzufrieden?«

Luno machte eine abwehrende Geste und rutschte auf seinem Platz herum. Er versuchte Flora zu verdecken, aber er war kaum größer als sie. Das Mondlicht auf Lunaflor nährte ihn nicht gut, er wurde immer bleicher und hatte aufgehört zu wachsen.

»Du musst die kleine Flora nicht schützen«, rügte ihn der Katter. »Wir wollen euch verbessern, nicht ausschalten. Und nun sieh dich um. Ich möchte wahrnehmen, was du durch deine Augen empfängst. Schärfer, schärfer! Was guckst du so verschwommen? Steh auf und lauf ein bisschen herum, beweg dich in Richtung Lunis.«

Luno wurde ganz steif, als ihn wieder das befremdliche Gefühl befiel, als Prothese benutzt zu werden.

»Alle Wesen sind nützliche Verlängerungen unserer Gliedmaßen und Sinnesorgane«, erklärte ihm der Katter, »wie Werkzeuge. So wie ihr Novanis auf euren Pferden fliegt, die Zeronier auf ihren Drachen oder die Trejaner in silbernen Blumenkelchen. Ihr lenkt die Flugobjekte mit eurem Willen, sie werden euch zu eigen.

Eines Tages werden alle Gliedmaßen und jedes Sinnesorgan von jedem für jeden jederzeit nutzbar sein – und zusammen bilden wir eine Einheit. Dann können wir die beste aller Welten gestalten, unabhängig von den alten Energiequellen, und unseren Platz im Allversum selbst bestimmen. Es lohnt sich nicht, eure Planeten zu erhalten. Etwas sehr viel Besseres wird kommen. Bis dahin helfen wir euch, den richtigen Weg zu finden.«

Und ihr Katter haltet euch für berufen, die Dirigenten zu spielen, dachte Luno verbittert. Aber auch diesmal gelang es ihm nicht, sich zu wehren. Er erhob sich und schritt mit gesenktem Kopf auf Lunis zu.

»Kopf hoch, nimm den Kopf hoch!«, hörte er noch schwach aus dem Komkatt hinter ihm tönen. Dann zog etwas an ihm, bis er mit seinem Blick Lunis erfasste. »Und öffne deine Ohren …«

Lunis erkannte das Flehen in seinen Augen. Kurz schöpfte Luno Hoffnung, doch dann sagte Lunis: »Hast du wieder Schmerzen? Komm, setz dich zu uns.«

Die Frequenz der Unglücklichen

Einige Wochen später erklärte Luno sich bereit, neben Trejanisch die Katter-Sprache und Katter-Schrift zu lernen. Kaum war das Lernprogramm für ihn freigeschaltet, fragte der Katter ihn ab. »Und, was bedeutet Kakatara?«

»Ka-ka-ta-ra?«, stotterte Luno. »Es bedeutet: Ich bin ein Katter. Es ist der erste Satz in der ersten Lektion.«

»Sehr gut«, lobte der Katter. »Als Belohnung erkläre ich dir jetzt die Frequenz der Freundschaft, manche nennen sie auch die Frequenz der Unglücklichen. Es ist nicht verboten, auf dieser Frequenz zu kommunizieren, um Freunde zu finden und Unglück zu lindern. Ich werde mich nicht einmischen. Ich will nur wissen, was euch bewegt. Ich schalte dir den Kanal gleich frei. Auf dieser Frequenz kannst du mit unglücklichen Versanern aller Planeten in Kontakt treten, ein automatisches Übersetzungsprogramm ist integriert. Du musst dich nur in eine Frage oder in einen Wunsch hineinvertiefen und dann warten. Je präziser deine Vorstellung, deine Frage oder dein Wunsch ist, desto wahrscheinlicher kommt eine Antwort. Wenn du dich innerlich verwählst, schließe den Kontakt mit einer entschiedenen geistigen Geste und benachrichtige mich. Ich werde dann die falsche Frequenz versiegeln.«

Fendri

Luno bebte vor Aufregung. Endlich eröffnete sich ihm eine Möglichkeit, seinen Freund zu erreichen. All seine Versuche, einen geistigen Kontakt herzustellen, waren bisher gescheitert … Hinter ihm erhob sich Flora und lief zu Lunis. Sie schien zu spüren, dass er alleine sein wollte.

›Wo bist du? Geht es dir gut, mein Freund?‹ Luno füllte all sein Sein von innen heraus mit Wesen und Bild seines Freundes, seine sorgenvolle Frage leuchtete wie in goldener Schrift. Dann lauschte er, bis es in seinen Ohren brauste.

Plötzlich schien sein Gerät zu rauchen, es zischte und brodelte. Er wich erschrocken zurück. War die Frequenz gestört? Augenblicke später wurde das Bild klarer und er erkannte einen jungen Zeronier. Er badete in flüssiger Lava, ein Komkatt in der Hand. Feurige Blasen schwebten über ihm, aber er wirkte freundlich und kein bisschen gefährlich.

»Sieh an, ein Trejaner! Oder doch nicht? Du siehst fast aus wie ein Novani«, meinte der Zeronier lässig. »Aber das kann ja nicht sein. Die Verbindungen zum Novani-Planeten sind für immer unterbrochen.«

»Sieh an, ein Zeronier«, erwiderte Luno perplex. »Wie ist das möglich? Woher hast du ein Komkatt? Und wie kann es auf Furio funktionieren?«

»Wir haben Berge von Komkatts!«, prahlte der Zeronier. »Sogar All-Komkatts. Natürlich alle geklaut.«

Sie musterten sich eine Weile.

»Du bist auch unglücklich«, stellte Luno schließlich fest.

Die Feuerblasen des Zeroniers platzten. »Falsch«, sagte er. »Ich bin sehr zufrieden. Ich kann Feuerblasen machen.«

Noch mehr Feuerblasen stiegen auf, in anderen Farben und Größen.

»Du lügst«, erwiderte Luno streng. »Zeronier lügen immer. Du bist allein und traurig.«

»Ich habe meinen Drachen. Ich kann auf ihm fliegen. Du bist hier der Lügner, denn du gibst dich als Trejaner aus, bist aber keiner.«

Luno schlug die schwarze Kapuze zurück, neigte den Kopf und hielt seine Narbe ins Bild. »Du hast recht. Ich bin ein Novani. Die Katter haben mich vor einiger Zeit gefangen genommen, auf dem Gemeinschaftsplaneten. Sie haben mir meine Haare entfernt, meine Feder abgeschnitten und mich auf den Trejaner-Planeten verbannt.«

Mit einem Satz sprang der Zeronier aus der Lava. »Die Katter! Sie sind an allem schuld. Ich bin auf deiner Seite. Was willst du?«

»Ich vermisse meinen besten Freund. Ich weiß nicht, ob er es nach Solaria zurückgeschafft hat, damals, als wir zum ersten Mal auf den Gemeinschaftsplaneten gereist sind. Das war kurz vor dem großen Fest. So sieht er aus.«

Luno stellte sein schärfstes geistiges Bild in den Vordergrund. »Er ist wie ich noch jung, ein Novize.«

»Das große Fest«, murmelte der Zeronier. »Da ging es los, ab da wurde alles schlimm. Seitdem sind alle komplett durchgedreht. Die großen Zeronier liefern den Katter Furio-Material und bauen an einem schwarzen Ring, der Ur-Null. Alles wird hineingehen, alles.«

»Hilf mir«, drängte Luno sein Gegenüber. »Mein Wunsch hat mich sicherlich nicht zufällig zu dir geführt. Was weißt du von meinem Freund?«

»Hm. Was habe ich davon, wenn ich es dir verrate?«

»Meine tiefste Dankbarkeit und Verbundenheit.«

Der Zeronier lachte auf. »Diese Novanis, immer edel und ehrlich. Was hast du noch zu bieten?«

»Ich werde für dich da sein, auf dieser Frequenz, wann immer du willst. Und ich kann dir sagen, dass du sehr schöne Feuerblasen machst.

Das kann keiner außer dir, Feuerblasen machen, nicht wahr?«

Der Zeronier nickte. Er dachte nach. »Ich werde überprüfen, ob du es wirklich ernst meinst. Versuch, mich morgen wieder zu erreichen.« Er ließ seine Feuerblasen zerplatzen und schaltete das Komkatt aus.

Log der Zeronier? Wusste er wirklich etwas? Die Werbung für die Komkatts schien jedenfalls der Wahrheit zu entsprechen. Sie funktionierten auch unter Extrembedingungen und luden sich während des Gebrauchs immer wieder von selbst auf. Hoffentlich auch morgen noch …

Luno blätterte durch das Wörterbuch des Kattarisch-Lernprogramms, um die Zeit zu überbrücken. Ka-Ka-Ta-Ra, Ka-Ta-Ri-Sis, Ri-Mem-Ba-Mi …

Immer wieder schweifte er ab. Die Katter kannten kein Wort für Warten, begriff er. Sie nannten Warten Ka-Do-Tan-Di, was so viel bedeutete wie: Kann ich das eine nicht tun, tue ich etwas anderes Sinnvolles.

Gleich am frühen Morgen bemühte er sich, die Verbindung zu dem Zeronier wiederherzustellen. Er versuchte es den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag. Als er schon aufgeben wollte und vor Erschöpfung fast einschlief, knisterte es im Komkatt und eine blaue Feuerblase schwebte ihm entgegen.

Der Zeronier wirkte ausgesprochen gut gelaunt. »Den ganzen Tag hat mein Komkatt Rauchzeichen gemeldet! Und jetzt sag das mit den schönen Feuerblasen.«

Luno rang sich ein Lächeln ab. »Du bist der einzige Zeronier, der Feuerblasen machen kann. Du machst sehr schöne Feuerblasen. Du verstehst etwas vom Feuer.«

Der Zeronier schnurrte jetzt wie Floras Katze. »Du sprichst die Wahrheit, denn du bist ein Novani. Morgen erzähl ich dir, was ich weiß.«

»Nein, heute!«, rief Luno verzweifelt. »Vielleicht ist morgen keine Zeit mehr! Ich spüre es! Bitte heute! Bitte heute, Feuerblasen-Zeronier!«

»Du magst jemanden und willst ihm helfen. Ist das Freundschaft?« Der Zeronier war sichtlich beeindruckt von Lunos Intensität. »Wir kennen das nicht. Wir sind einander Kumpel, wir kämpfen zusammen und auch gegeneinander. Wir langweilen uns sonst.«

»Du bist anders«, beschwor Luno ihn. »Du hast keine Kumpel. Du bist niemandem etwas schuldig. Du bist frei zu tun, was du willst, sogar einem Novani zu helfen. Das würde kein anderer Zeronier tun.«

»Stimmt. Also gut, ich habe deinen Freund gesehen. Er kreist in der kältesten Umlaufbahn um unseren Planeten und ist tiefgefroren. In seinen Augen lodert Drachenfeuer. Das wärmt seinen Geist, nur deshalb lebt er noch. Aber bald wird er sich in das kälteste Gestein im gesamten Versum verwandeln oder jemand von den anderen entdeckt ihn und wirft ihn in einen Vulkan.«

»Tu etwas!«, flehte Luno ihn an. »Du musst etwas unternehmen, du musst ihn retten! Bring ihn auf den Gemeinschaftsplaneten!«

»Zeronier können nicht allein auf den Gemeinschaftsplaneten reisen. Und auf unserem Planeten würde dein Freund sofort verglühen.«

Luno rieb sich verzweifelt die Narbe auf seinem Kopf. »Ich hab’s! Deine Feuerblasen! Wenn du ihn einhüllst, damit ihm ein wenig wärmer wird, und er für die anderen Zeronier unsichtbar bleibt?«

»So etwas habe ich noch nie versucht. Aber ich kann schöne Feuerblasen machen, ja, das kann ich. Soll ich es gleich probieren?«

»Du bist ein wunderbarer, großartiger Zeronier. Du bist der beste Zeronier, den es jemals im Versum gab. Ich werde dir ewig dankbar sein …«

»Spar dir dein Gesülze. Ich flieg jetzt los. Bis später.«

»Halt, warte!«, rief Luno. »Du brauchst noch ein Komkatt! Stelle es auf diese Frequenz ein und gib es ihm in die Hand!«

Seine Gedanken rasten. Er zog sich zurück in sein innerstes Solaria-Bild wie in das Auge eines Sturms.

»Ich habe es geschafft«, ertönte die Stimme des Zeroniers und riss Luno aus seiner Versenkung. »Es ist wirklich ein Meisterwerk geworden. Die beste Feuerblase, die ich jemals gemacht habe! Dunkel wie das Allversum, mit kleinen Funkenblasen obendrauf, damit ich sie wiederfinde. Dein Freund ist jetzt sicher und bleibt frisch bis ans Ende aller Zeiten.«

»Und das Komkatt?«

»Alles geschafft. War gar nicht so einfach, seine Faust zu öffnen. Ich musste sie erst aufwärmen, um die Finger auseinanderzukriegen, sonst wären sie abgebrochen.«

Luno konnte vor Erleichterung kaum sprechen. »Ich werde dich Fendri nennen. Das kommt von Findori und bedeutet in der Novani-Sprache erfinderischer Retter oder rettender Erfinder.«

»Ein Name? Für mich, einen Zeronier?« Der junge Zeronier schien verlegen. »Na gut. Und nun schau mir zu, wie ich Feuerblasen mache.«

Luno schaute ihm zu bis tief in die Nacht, dann schlief er ein und suchte in seinen Träumen den Freund.

Zusammen

Er war völlig erstarrt. Nur die Bilder bewegten sich rasend schnell. Gefangen in einem Kreislauf des Grauens landete er wieder und immer wieder in einer Gruppe von grölenden Zeroniern. Es riss ihn vor Entsetzen hoch, kalte Strömungen ergriffen ihn, er driftete ab. Dann rasten Feuerdrachen auf ihn zu. Seine Augen loderten auf, seine Feder verglühte. Das Fauchen der Drachen schleuderte ihn in noch größere Kälte und er verging. Bis er erneut in der Gruppe der Zeronier landete …

Etwas schob den Albtraum in den Hintergrund. Ein Teil seiner Sinne nahm eine dichte dunkle Blase wahr, die ihn zu umhüllen schien wie ein Schutz, und ein Feuerfunkenmuster leuchtete über ihm auf, das seinen suchenden Augen Halt gab. Die eiskalten Winde schnitten nicht länger durch ihn hindurch und in seiner linken Hand steckte etwas. Wo war Solaria? Er konnte sich nicht orientieren. Das Bilderkarussell nahm wieder an Fahrt auf.

›Ich bin da, hörst du mich? Ich bin da. Hörst du mich?‹

Die Drachen rasten auf ihn zu. ›Konzentrier dich auf mich. Schau mich an!‹

War das die Stimme seines Freundes?

›Ich bin bei dir‹, sagte die Stimme. ›Wir machen das zusammen.‹

Luno hatte keine Zeit mehr, Kattarisch zu lernen, und er achtete nicht länger darauf, ob Flora hinter ihm saß. Die nächsten Tage und Nächte flog er entweder in den Filmen seines Freundes mit oder er schaute Fendri beim Feuerblasenmachen zu.

Noch immer kam keine Antwort von seinem Freund. Aber es gab nun ab und zu kleine Pausen in der Entsetzens-Endlosschleife und die Filme begannen sich zu verändern. Luno flog immer dichter neben seinem Freund. Manchmal blickten sie sich an und es war, als wüchsen ihnen wieder Federn, die sich einander zuneigten. Wenn die Drachen heranrasten, hob Luno die Hand und sie bogen ab. Der eiskalte Strom wurde schwächer, die Schutzblase spannte sich bei jedem Film-Durchgang schneller über sie. Endlich lagen sie nebeneinander, immer ruhiger. Luno schob ein Bild von Solaria neben das Feuerfunkenmuster. Sein Freund schlief friedlich an seiner Seite ein.

Am nächsten Tag begann er zu sprechen. »Du wirkst so nah, als wärst du fern von mir. Ich bin gegangen, nicht wahr?«

»Du bist nicht gegangen. Du bist ein bisschen gegangen, aber noch da. Bleib, ich bin bei dir. Du schwebst sicher und geschützt in einer kalten Feuerblase in der Nähe des Zeronier-Planeten. Eines Tages wirst du wieder frei sein. Bis dahin bleiben wir auf diese Weise verbunden.«

»Ich kann mich nicht bewegen«, sagte der Freund. »Ich fühle mich wie gefroren.«

»Du bist gefroren«, sagte Luno. »Und das ist deine Rettung. Alles wird wieder gut.«

»Erzähl mir von Solaria.«

Luno beschrieb Sonne und Schnee, grüne Hügel und fliegende Pferde. In farbenfrohen Bildern beschwor er ihre gemeinsamen Erlebnisse, als würden sie jetzt noch dort leben.

Es wurde leichter. Der Freund schlief viel, und die guten Erinnerungen nahmen nun den größten Raum in seinen Träumen ein. Nur noch selten blitzten die Ängste durch. Dann war Luno sofort bei ihm, denn er konnte es fühlen. Meist spürte es Floras Katze schon vor ihm und stupste ihn an.

Zuordnungen

Heute schimmerten seine Augen in einem warmen Braunton, sein dünner Linienmund wirkte weich. »Ich möchte, dass du das, was du mit deinem Novani-Freund gemacht hast, auch mit anderen Unglücklichen machst«, sagte der weiße Katter. »Sie brauchen jemanden, der sich wie ein Freund um sie kümmert. Sonst stiften sie Unruhe durch ihr Außenseitertum.«

»Was für Unglückliche meinst du?«, fragte Luno verwirrt.

»Für den Anfang habe ich nur zwei für dich ausgesucht. Sie sind ungefähr in deinem Alter und passen nicht in ihren Stamm. Klink dich bei ihnen ein und bring sie in Ordnung, ich stelle die Verbindung her.«

»Aber ich kenne sie doch gar nicht! Außerdem entsteht Freundschaft nicht zwischen jedem, und sie braucht Zeit, um zu wachsen!«

»Hör auf mit dem Unsinn«, meinte der Katter unwirsch. »Du erscheinst ihnen einfach als Freund. Ich habe das bei dir auch so gemacht.«

»Ich erinnere mich«, bemerkte Luno knapp.

»Entscheide dich. Willst du sie weiter leiden lassen oder springst du über deinen Novani-Schatten? Du sprichst zu ihnen einfach die Worte: Ich bin dein Freund. Dann passt du Gesicht und Sprechweise an ihre Vorstellungen an. Ich zeige dir, wie es funktioniert.«

Luno schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht lügen und ich werde kein Bedürfnis ausnutzen. Es ist demütigend. Nein, es muss anders gehen. Deine Methode wird ohnehin bei all jenen scheitern, die noch nie wirklich gute Freunde hatten, und davon gibt es einige.«

»Du glaubst, es ginge anders?«, fragte der Katter belustigt.

»Ja«, sagte Luno entschieden. »Ich bin bereit, für diese Unglücklichen da zu sein, wenn sie mich sprechen wollen. Aber zuerst brauchen sie einen echten Freund. Kannst du nicht zwei Passende zusammenbringen? Über die Komkatts ist das doch planetenübergreifend möglich.«

»Und wie lange wird es dann dauern, bis sie sich befreunden?«

Luno zuckte die Achseln. »Es dauert, solange es dauert.«

»Novani-Sprüche«, schnaubte der Katter. »Ich habe nicht genug Mitarbeiter und keine Zeit, mich selbst um alle Außenseiter zu kümmern. Ihre selbst gewählten Komkatt-Kontakte halten nicht. Unsere Zuordnungen passen nicht und die Programme sind noch nicht ausgereift genug, um künstliche Freunde zu erschaffen, die sich der Fantasie anpassen. Außerdem lehnen viele die Vorstellung eines Fantasie-Freundes ab. Aber gut, versuch es. Ich zeig dir jetzt einige Bilder und du entscheidest, wer sich mit wem befreundet. Beachte, sie dürfen nicht auf dem gleichen Planeten leben.«

Vor Anspannung begann Luno zu zittern. Was, wenn keiner von den Unglücklichen zusammenpasste? Oder wenn er sich für eine falsche Kombination entschied?

Intensiv studierte er die Gesichter und Bilder, die ihm der Katter zeigte, dann meinte er unsicher: »Dieser Seisone da und diese Twaja verstehen sich vielleicht. Und die beiden da, der Faiwer und der Septemer, die könnten ebenfalls miteinander auskommen. Ohne Gewähr. Bitte hab Geduld.«

Der Katter lachte auf und rief: »Geduld! Nun, wir werden sehen, was bei deinen Paarungen herauskommt. Bei den anderen mache ich es auf die bewährte Katter-Weise.«

Triumvir-Rat

Der Mond nahm zu, der Mond nahm ab, Mondphase um Mondphase verging. Luno war nun so bleich wie die Trejaner, das Weiß seiner Augäpfel hatte sich verkleinert und seine Narbe war fast nicht mehr zu erkennen. Die verzehrende Sehnsucht nach Solaria hatte sich in ein dumpfes Hintergrundrauschen verwandelt. Inzwischen hatte er aufgehört, Lunis oder den Katter nach den Novanis zu fragen. Er erhielt ohnehin immer die gleiche Antwort. Sie sind ausgestorben, sagten sie, vergiss sie. Doch etwas in ihm weigerte sich, ihnen zu glauben, und so suchte er nach wie vor auf all seinen geistigen Frequenzen nach Hinweisen. Wenn es noch Novanis gab, würde er sie eines Tages orten – oder sie ihn.

Die vokalreiche Trejaner-Sprache beherrschte er mittlerweile flüssig, wenngleich er sie nur in Gedanken sprach. Auch in der viersilbigen kattarischen Sprache hatte er Fortschritte gemacht, er konnte sie nun zufriedenstellend sprechen, schreiben und lesen. Die Feinheiten würde er ohnehin nie verstehen, denn die Katter nutzten nicht nur Buchstaben, sondern auch Zahlen in ihrer Kommunikation.

Lunis, Lunar und Lunix waren ständig unterwegs, und der Katter hatte selten Lust oder Zeit, ihm etwas zu erklären. »Kümmere dich um deine Freunde«, sagte er. »Dafür hast du genug Wissen. Deine ersten Zuordnungen haben nicht funktioniert, aber alle folgenden waren Treffer. Vor allem die vom letzten Jahr. Bald stelle ich dir die nächsten Kandidaten vor.«

Immerhin schaltete der Katter ihm weitere Frequenzen frei, so konnte Luno nun die trejanischen Nachrichtenkanäle durchstöbern. Mühsam erschloss er sich die Organisationsform des Verum, wie die Katter die neue Welt nannten.

Der sogenannte Triumvir-Rat war die höchste Machtinstanz, lernte er. Er bestand aus vier Katter, die die Bereiche Handeln, Richten, Überwachen, Belohnen, Steuerung und technische Innovationen verwalteten.

Dem Triumvir-Rat waren zahlreiche Abteilungen unterstellt, beispielsweise die Abteilungen Marke-Ding und Bewusstseinsbildung. Der weiße Katter leitete die Abteilung Gastfreundschaft, hatte Luno kürzlich erfahren, auch wenn er noch immer nicht verstand, was es bedeutete.

Dann gab es noch den sogenannten Rat, der dem Triumvir-Rat zur Seite stand. Alle Versaner wurden über ihn an der Weiterentwicklung des Ewigen Verum beteiligt. Er bestand aus jeweils vier Vertretern von jedem Planeten. Dabei war jeder Planet in vier Regionen aufgeteilt, aus welcher ein Rat gewählt wurde. Wer Rat werden wollte, musste zuerst Unterrat und dann Oberrat gewesen sein.

Furio und Solaria waren von dem System ausgeschlossen. Auch die Okter schickten keine Räte, sondern wählten stattdessen vier Sondergesandte in einen Ethik- oder Etikette-Rat. Er sollte die moralische Korrektheit der Räte überprüfen und sich mit systemkritischen Einwänden auseinandersetzen.

Luno scrollte die trejanischen Nachrichten durch. Es schien, als hielten sich Oberräte und Räte immer seltener auf Lunaflor auf. Alle hatten sich ihre Gesichter von den Katter auf den Vollmondmodus fixieren lassen. So konnten sie auch während der Neumondphasen durcharbeiten. Neuerdings priesen sie das Vorhaben der Katter, Lunaflor durch einen künstlichen Vollmond zu ersetzen. Wenn sie zu Besuch kamen, ließen sie kleine Feste organisieren, alle jubelnden Trejaner erhielten Geschenke. Die Räte luden alle ein, sich der höheren Intelligenz der Katter unterzuordnen. Nichts sollte mehr auf ‚natürliche‘ Weise geschehen oder entstehen. Alle Trejaner sollten einfach hören und folgen, als wäre Hören und Folgen eins. Und die Zuordnung von Partnern für die Vermehrung durfte nur noch nach Katter-Programmen erfolgen.

Bei der nächsten Gelegenheit sprach Luno Lunar darauf an.

Lunars Gesicht verdunkelte sich. »Sie wollen uns verbessern und sogenannte Missgeburten verhindern. So jemanden wie Flora dürfte es ihrer Meinung nach nicht geben. Daher wollen sie das Gefühl des Hingezogen-Seins kontrollieren und stattdessen optimale Paar-Kombinationen berechnen.« Er zuckte mit den Achseln. »Lunis versucht, in den Rat gewählt zu werden. Vielleicht kann er gegensteuern.«

»Kannst du mir noch etwas zur wirtschaftlichen Organisation erklären, zu den Währungen und den Unter-Nehmen?«, fragte Luno. »Es ist alles so verwirrend, nirgends finde ich eine Erklärung. Warum gilt der Tala nicht mehr? Und was ist ein Digitt?«

Lunar schüttelte den Kopf. »Wir haben Termine. Pass auf dich auf, und auf Flora.«

Lunos Komkatt blinkte. Es war einer seiner neuen Schützlinge auf der Frequenz der Unglücklichen, und Fendri hing auch schon wieder in der Warteschleife.

Das Geheimnis des weißen Katter

Alle Kleinen mussten mittlerweile auf ihren Komkatts Kattarisch, Rechnen, die Grundlagen von Handel, Recht und Katter-Logik lernen. Ihre Fortschritte wurden berechnet und bewertet. Die Unbegabten wurden auf die Blumenfelder und in die Färberei geschickt oder auf den Gemeinschaftsplaneten, um für die Katter zu arbeiten, die Begabten träumten davon, selbstständige Unter-Nehmer zu werden. Lunos Sorge um Flora wuchs. Sie weigerte sich nach wie vor, ein Komkatt zu benutzen. Noch war es niemandem aufgefallen. Aber ihr Bruder Floris war ein überzeugter Katter-Fan, er hatte seinen Namen in Kloris geändert und sich das Gesicht vollmondfixieren lassen. Immer öfter schlich er um Flora herum und betrachtete sie und Luno mit misstrauischem Blick.

Als der Katter sich das nächste Mal einschaltete, las er mühelos Lunos Gedanken. »Dir, Flora und deinen anderen Freunden wird nichts geschehen«, beruhigte er ihn. »Ihr könnt auf euren Planeten bleiben. Ich schütze euch alle.«

Luno glaubte ihm nicht.

Der Katter seufzte. »Dann werde ich dir wohl mein Geheimnis anvertrauen müssen. Bei dir ist es gut aufgehoben, du bist schließlich ein Novani.«

»Ich will es nicht wissen«, wehrte Luno ab, aber der Katter ließ sich nicht beirren.

»Auch unter uns Katter gibt es verschiedene Vorstellungen von dem, was wir auf welche Weise erreichen wollen«, begann er. »Wir preisen Verbindungen, haben aber selbst Mühe, uns miteinander zu verbinden. Keiner von uns will kontrolliert oder als Prothese benutzt werden. Wir schließen keine Kompromisse. Wir denken geradeaus. Wenn es zwei gegen zwei geht, prallen wir frontal aufeinander.«

»Macht es doch wie die Trejaner. Sie lieben weiche Übergänge und gehen harmonisch ineinander über«, sagte Luno, um den Katter abzulenken. »Lernt doch von ihnen!« Dann duckte er sich vor der Welle der Verachtung, die über ihn hinwegschwappte.

»Trejaner!«, schnaubte der Katter. »Sie gehen in Resonanz! Und sie hängen immer nur zu dritt herum, keiner kriegt etwas allein auf die Reihe. Sie halten sich für tiefsinnig, weil sie ins Dunkle blicken, aber sie denken – falls sie überhaupt denken – nur im Kreis. Sie tun nichts anderes als reden, an Blumen schnuppern und den Mond anbeten. Sie sind rund, weich, halb offen, unberechenbar und launisch. Sie verwechseln sogar alle vier Richtungen. Sie streicheln widerliche ‚Tire‘, die Ekliges fressen, und romantisieren ihr Gefühl, immer ihr Gefühl, das sie als Ausrede für alles benutzen. Ihr einziges Sinnesorgan ist ihr Gefühl!« Das letzte Wort spuckte der Katter regelrecht aus.

»Ja, sie denken mit ihrem Gefühl, aber ihr Gefühl ist weit und sehr ausdifferenziert«, verteidigte Luno sie, während er sich vorsichtig wieder aufrichtete. »Lunis hat mir erklärt, dass sie neunmal neun mehr Düfte und Farben wahrnehmen als jeder andere Versaner.«

»Und ihr Novanis könnt euch keine höhere Zahl vorstellen als neunmal neun«, höhnte der Katter. »Ihr seid alle sehr beschränkt.«

»Und ihr Katter könnt keine einzige Blume am Duft erkennen«, gab Luno zurück. »Und ihr hört die Blumen nicht singen und summen. Trejaner können ihre Duftkompositionen riechen, so wie wir Melodien hören, sanfte und starke, einstimmige und vielstimmige.«

»Na und?«, ätzte der Katter. »Die Trejaner vergessen doch alles in ihren Leermond- und Neumondphasen.«

»Das stimmt nicht. Das für sie Wesentliche vergessen sie nicht.«

»Falls es eines Tages nötig sein sollte, Blumen singen zu hören oder sie an ihrem Geruch zu erkennen, werden wir diese Fähigkeiten in uns hineinkopieren«, erwiderte der Katter nun in versöhnlichem Ton. »So wie wir die Novani-Fähigkeit zur Photonen-Verarbeitung übernommen haben. Wir haben nichts gegen die Trejaner. Wir geben ihnen die Chance, von uns zu lernen oder aber bei uns zu arbeiten. Es gibt viel zu tun, denn unsere Künstlichen sind noch nicht so weit, alles zu übernehmen. Warum verteidigst du sie eigentlich? Willst du etwa ein Trejaner werden?«

Luno schüttelte den Kopf. Er saß wie immer vor Floras Komkatt, die Katze schnurrte auf seinem Schoß. Ein leichter Wind bewegte die bunten Blumen und ließ ihren Duft aufleuchten. Der Duft wandelte sich in sanfte Töne, die Töne formten sich zu einer Melodie. Sie wellte sich farbig über die Ebene, kitzelte seine Nase und stieg auf, sie berührte das Mondlicht …

»Novani, du kannst dich nachher wegträumen. Hör mir jetzt gut zu.«

Der Katter verfiel in einen Flüsterton. »Du weißt, dass wir Katter uns klonen. Wir bauen eine Kopie von uns selbst und fügen unseren Geist ein. Früher lebten wir in dem neuen Klon weiter, heute bleiben wir meist in unserem Original-Gehäuse, denn wir können uns reparieren. Wir klonen also, um neue Wesen zu erschaffen, die uns ähnlich sind. Auch ich habe schon geklont, mein erster Klon entstand zur Zeit des großen Festes. Äußerlich ist er perfekt, aber etwas hat bei der Übertragung meines Geistes nicht richtig funktioniert. Mein kleiner Klon kann weder richtig schneiden noch zerteilen, weder in Gedanken noch leibmäßig. Stattdessen fühlt er und fragt mich nach merkwürdigen Dingen. Ein bisschen so, wie du es tust.« Der Katter sank in sich zusammen und fügte fast unhörbar hinzu: »Er kann riechen. Und er malt Blumen. Er sagt, er will auf dem Trejaner-Planeten leben.« Hilflos ruderte er mit den dünnen Armen. »Es ist eine Katastrophe. Vielleicht habe ich versehentlich Gefühl in ihn hineingegeben, vielleicht war ich durch die Festvorbereitungen zu abgelenkt. Ich weiß nicht, woran es liegt. Jedenfalls darf ihn niemand bemerken, ich halte ihn gut versteckt. Ich habe heimlich einen weiteren Klon produziert, der ihm ähnelt und gut funktioniert. Jeder glaubt, er wäre mein Erst-Klon. Aber was, wenn sie meinen wahren Erstling entdecken? Mein Ruf wäre ruiniert, außerdem hänge ich an ihm. Daher versuche ich, Gesetze anzustoßen, um den Status von Missglückten zu verändern. Und ich beschütze Missglückte, so gut ich kann, auch auf anderen Planeten. In Sonderfällen halte ich sogar meine Hand über Katter-Feindliche, die für Missglückte sorgen. Du weißt, wen ich meine.« Der Katter blickte ihn mit einem leidenden Blick an.

Luno flüsterte tief berührt zurück: »Eure Katter-Regeln sind unbarmherzig und zudem unlogisch. Wenn sich jeder von euch nach seinem individuellen Vorbild klont, nehmen die Abweichungen eurer Klone untereinander zwangsläufig zu, denn ihr seid ja nicht alle gleich. Dann gelten die meisten von ihnen als missglückt oder abweichend. Wenn ihr aber die Klone nach einem vorgegebenen Ideal produziert, werden auch kleinste Abweichungen als Fehler gewertet. Dann gelten ebenfalls fast alle als falsch. Was wollt ihr mit all den Missglückten machen? Und was mit den perfekten Klonen? Eines Tages werden sie euch vernichten, wenn ihr selbst nicht mehr dem neuen idealen Maßstab entsprecht.«

Abrupt wechselte der Katter zu seiner normalen Lautstärke, das Leiden in seinen Augen verschwand. »Novanis und ihre überflüssigen Vorträge … Erstens: Missglückte Klone dienen als Ersatzteillager. Zweitens: Das Klon-Ideal wird vom Triumvir-Rat ständig überarbeitet. Wir passen die Fähigkeiten, die wir brauchen, den wechselnden Anforderungen an. Es ist für alles gesorgt, wir haben Überblick und Kontrolle.«

Verwirrung stieg in Luno auf. Wie immer erschien ihm der Katter sehr widersprüchlich. Log er ihn an? Gab es gar keinen missglückten Erst-Klon? War das sogenannte Geheimnis nur eine dieser Katter-‚Anspiegelungen‘? Er war es doch, der sich mittlerweile danach sehnte, riechen zu können, im Geiste leuchtende Blumen malte und dazu innerlich summte …

Das eckige Gesicht eines kleinen Katter schob sich vor den weißen Katter. War das der Klon? Er lächelte durch ihn hindurch, Luno spürte plötzlich überdeutlich, dass Flora hinter ihm saß. Rasch drehte er das Komkatt, damit die Filmspiegel sie nicht mehr erfassen konnten.

»Warum vertraust du mir denn immer noch nicht?«, fragte der Katter tadelnd. »Wir brauchen die Kleine nicht, und auch Kloris will seine Mondschwester nicht wegschicken. Aber dich will er loswerden. Er glaubt, wenn du weg bist, wird Flora sich ihm endlich zuwenden. Gut, dass er nicht weiß, dass du ein Novani bist!«

Luno atmete tief durch. »Was habt ihr eigentlich mit Kloris gemacht?«

»Was interessiert dich Kloris? Er ist kein Unglücklicher. Wir haben ihm sein Gesicht vollmondfixiert, aber da er der Erste war, ist nicht alles glatt gelaufen. Wir haben viel durch ihn gelernt, und er ist stolz darauf. Er hat den Weg für alle seine Nachfolger geebnet. Außerdem kam er freiwillig.«

»Weil ihr ihm eingeredet habt, er sei defekt. Dabei hasst ihr es nur, wenn ihr die Neu- und Halbmondgesichter der Trejaner nicht erkennt.«

»Nein, nein«, wehrte der Katter ab. »Du versteht das falsch. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, bewusster zu werden. Kloris war sehr intelligent für einen Trejaner. Er wusste, was er tat.«

»Und jetzt ist er nicht mehr intelligent?«

»Er ist intelligent genug. Die Katter-Sprache beherrscht er nach wie vor fast perfekt. Es geht ihm gut.«

Der Katter schob seinen Klon aus dem Bild. »Nächstes Mal stelle ich dir einen Trejaner-Klon vor, der vom Wesen her ein Katter ist. Wahrscheinlich könnte er auf dem Trejaner-Planeten überleben. Bis bald, Novani.«

Luno blickte sich verstohlen um, aber alles sah aus wie immer. Flora schien zu schlafen. In der Ferne schnitten einige Trejaner unter Aufsicht eines Vollmondfixierten rote Blumen. Luno vermeinte, die feinen Schreie der Pflanzen zu vernehmen, wie eine dunstige Wolke stiegen sie auf. Weitere Trejaner stapelten die Blumenernte in einen der neuen Katter-Transport-Kästen, die selbst die Atmosfera des Trejaner-Planeten durchdringen konnten. Der Viertelmond leuchtete milde, es war kurz vor Anbruch der Neumondphase. Bald würden sich alle Blüten schließen und die Produktion ruhen.

Woran würde er einen Trejaner-Klon erkennen? Gab es überhaupt Klone? War er selbst geklont?

Erschöpft schloss Luno die Augen. Bilder von Solaria zuckten durch seine Träume, die Sonne stand hell am Himmel, aber er spürte sie nicht in seinem Innern. In der Feuerblase bewegte sich unruhig sein Freund und murmelte vor sich hin.

Die Sieche

Die Trejaner legten mehr und mehr Blumenfelder an. Sie sortierten sie nach Farbe und Größe, um die Produktion effizienter zu gestalten. Nur noch wenige lebten im Einklang mit den Mondrhythmen, und niemand machte sich mehr die Mühe, in langwierigen Ritualen silberne Blumenkelche zu gestalten. Die Befugten flogen in den neuen Kästen der Katter, die Unbefugten gingen zu Fuß. Obwohl die meisten Trejaner glücklich schienen, war unterschwellig ein Rumoren zu spüren. Egal, wie sehr sie den Arbeitstakt forcierten: Ihre Schulden wuchsen, ihre Unter-Nehmen scheiterten.

Luno und Flora blieben an all dem unbeteiligt. Sie perfektionierten die Kunst, sich unsichtbar zu machen, und wechselten häufig ihr Versteck. Nur Lunis, Lunix, und Lunar wussten, wo sie sich aufhielten. Leider gelang es auch Kloris immer wieder, sie aufzuspüren. Sie erfuhren nie, ob jemand sie wegen ihrer Defekte bei den Katter meldete oder ob der weiße Katter alle Meldungen abfing.

Dann breitete sich rasend schnell eine Sieche aus und erfasste fast alle Planeten. Alle bisher bekannte Medizin half nicht.

Wehklagen wehte hinüber zu Luno und Flora, immer wieder hielten sie sich die Ohren zu. Der Siecher fixierte die Gesichter der Trejaner auf den leeren Mond. Sobald Lunaflor die Gestalt wechselte, konnten sie nicht mehr mitschwingen. Sie waren abgeschnitten, rangen qualvoll nach Verbindung. Ihre Freunde beugten sich zu dritt über sie, um den Wandel von Lunaflor auszublenden, aber es war sehr anstrengend, so lange gebeugt zu sitzen. Nur bei Leermond hatten sie Pause. Auch die Katzen siechten und suchten vermehrt die Nähe zu ihren Verantwortern, aber sie wurden wegen der Ansteckungsgefahr weggescheucht. Die meisten von ihnen verwilderten.

Lunis verzweifelte. Er selbst war schnell genesen, doch noch zu schwach, um anderen zu helfen. Flora und der Novani schienen geschützt durch ihren Makel und ihre Isolation, aber Florina und seine Mondschwester Lunara standen kurz vor dem Großen Gehen.

Endlich entwickelten die Katter einen Gegensiecher, eine schemische Lösung zum Sich-Einverleiben. Der Gegensiecher war jedoch nicht umsonst, und die Trejaner erhielten ihn als letzte.

»Warum erhalten die Trejaner den Gegensiecher so spät?«, fragte Luno den Katter. »Sie sind doch keine Rebellen! Oder ist es, weil sie nicht zahlen können?«

»Nein, sie sind keine Rebellen, und es ist auch nicht wegen ihrer Schulden. Wir wollen, dass sie sich herausbegeben aus Schatten und Zwielicht. Sie sollen ihre Wandelgesichter unter Kontrolle bekommen und ihre Dreierfreundschaften öffnen. Du weißt, enge Freundschaften sind ‚Wir‘-feindlich. Wir kennen die schemische Zusammensetzung davon, es riecht schlecht. Jeder sollte auf Katter-Weise mit jedem verbunden sein, alle auf derselben Frequenz. Die Vollmondfixierten lernen es zu verstehen, die meisten von ihnen sind immun gegen die Sieche.«

»Habt ihr Katter den Siecher produziert?«, hakte Luno nach. »Es gibt viele Gerüchte in den Nachrichtenkanälen.«

»Nein«, lächelte der Katter milde. »So etwas brauchen wir nicht, wir wissen es nur zu gebrauchen. Erzähl mir von deinem Zeronier-Kontakt. Ich weiß, du hast da einen heißen Draht. Wir brauchen alle Informationen zu Furio, da braut sich etwas zusammen.«

Luno weigerte sich. »Fendri ist ein Außenseiter«, sagte er. Mehr konnte ihm der Katter nicht entlocken.

Die Sieche versiegte nach der Einnahme des Gegensiechers, aber alle fürchteten sich vor der nächsten. Denn die Katter experimentierten mit Hunden, Katzen, Schafen, Vögeln, Bäumen und Wurzeln und vermischten deren Elemente, ihre fliegenden Kästen trugen die neuen Partikel überall hin. Aber niemand wagte es, offen seinen Unmut über das System zu zeigen.

Florinas Komkatt

»Zeig es bloß nicht Lunis«, beschwor Lunar ihn. »Und auch nicht Lunix.

Es ist das Komkatt von Florina. Ihr Passwort ist Lunis333.«

Luno wusste nicht, wer Florina war, er hatte sie nie kennengelernt. Rasch verstaute er das handliche Komkatt in seinem aufgebauschten Umhang, der darüber hinwegtäuschen sollte, wie dünn er war. Ahnte Lunar, dass er von einem Katter kontrolliert wurde? Luno lächelte ihm dankbar zu. Nun konnte er auf Floras großem Komkatt seine gewohnten Kanäle verfolgen und gleichzeitig auf dem kleinen Komkatt nach neuen Frequenzen suchen.

»Es gibt etwas Neues!«, rief Kloris. Er beachtete den ihm entgegenkommenden Lunar nicht und steuerte direkt auf Flora und Luno zu. Sein neuer Umhang leuchtete knallrot, die Blumen in seinem Umkreis schienen zu verblassen. »Kluno, Klora, was wollt ihr in eurer nächsten Manifestation werden? Katter oder Katze?«

›Was meinst du damit?‹, fragte Luno geistig auf Kattarisch.

Kloris blickte ihn bass erstaunt an. »Na so etwas. Kattarisch! Es besteht Hoffnung für dich!«

Luno biss sich fast die Zunge ab, um seine Gedanken zu unterdrücken. Aber Kloris schien nicht weiter an ihm interessiert.

»Die Katter überwinden jetzt sogar die virtuelle Währung!«, verkündete er voller Bewunderung und zupfte an seinem Umhang. »Die Digitt werden abgeschafft. Ab heute bezahlen wir mit der einzig wahren Währung – mit Kama! Wer sich wohl verhält, sammelt Kama-Punkte und wird in seiner nächsten Manifestation ein Katter, die höchste und edelste aller Erscheinungsformen. Wer sich nicht wohl verhält, wird Katze, Hund oder Schnittblume. Kennt ihr den Verhaltenskodex? Betrug, Zockerei, Kritik und Faulheit gehen gar nicht und auch keine schlechte Stimmung. Klora?«

Flora hatte sich demonstrativ die Kapuze über das Gesicht gezogen.

»Sorg dafür, dass sie Kattarisch lernt!«, herrschte Kloris Luno an. »Lass sie auch mal an ihr Komkatt! Wie heißt du? Wie heißt du? Wie …« Abrupt drehte er sich um und lief davon.

Luno ergriff das große Komkatt und erhob sich. Sie brauchten dringend ein neues Versteck. Gebückt schlängelte er sich unter den Blumen hindurch, Flora folgte ihm mit der Katze im Arm.

Auch auf Florinas Komkatt fand er nur die offiziellen Informationen zu seinen Stammesgenossen. ‚Novanis: ehemalige Versaner-Spezies, ausgestorben. Planet Solaria: unbewohnbar.‘

Frustriert starrte Luno auf den kleinen Bildschirm. Dann gab er die Suche auf und öffnete stattdessen den einzigen Ordner, der ihm zugänglich war. Florina hatte ihn mit ‚Wichtig‘ benannt. Hunderte Dateien sammelten sich darin, Luno klickte einige von ihnen an. In allen erkannte er Luflu, den zappeligen Twajo, den er vor einiger Zeit dem Septemer Dodo als Freund zugeordnet hatte. Er schien ein großer Fluencer geworden zu sein. So viele Folger, so viele umgekehrte Einsen! Warum hatte der Katter ihm nichts davon erzählt? Und was sollte an Luflu wichtig sein?

Dann verstand er. In seinen Beiträgen tanzte Luflu in glitzernden Kostümen zu mitreißender Musik und wirbelte geschmeidig zwei Schlangen, die er Luden nannte. Von den Rhythmen, dem Schlängeln, Glitzern und Funkeln ging ein großer Sog aus. Luno verspürte verwundert den Impuls, die Refrains der Gesänge nachzusprechen. »Und heute, liebe Leute«, sang Luflu beispielsweise, »zieht es uns hin zu großem Gewinn, Karalis macht Sinn, macht Sinn, macht Sinn.« Oder: »Und morgen, es bereitet uns Sorgen, kriegt Luderaxx einen Knaxx, einen Knaxx, armes Luderaxx.«

Karalis? Luderaxx? Vage erinnerte sich Luno. Es waren zwei der erfolgreichsten Unter-Nehmen, eines davon gehörte den Katter. Luflu beeinflusste den Handel! Aber wozu? Er fand eine Datei mit dem merkwürdigen Titel ‚Sand im Tand‘. Verschieden datierte Texte schienen willkürlich aneinandergereiht. Hatte auch Florina versucht, das System der Katter zu verstehen? Rasch überflog er die erste Seite.

‚Sie sind nicht schlau, sie sind nur klau … Die Katter haben unsere Idee der Wett-Büros gestohlen und auf ihren Handel übertragen! Sie nennen es den übergeordneten Handel, den Ü-Ha, ein Handel mit dem Handel. Deshalb haben sie die feste Zuordnung von Produkten mit dem von ihnen bestimmten Digitt-Wert aufgehoben. Nicht nur regiert jetzt das Prinzip von Angebot und Nachfrage, das zum größten Teil durch Marke-Ding beeinflusst wird, und ihr wisst ja, die Katter kontrollieren alle Kommunikationskanäle. Wir sollen nun auch noch darauf wetten, ob der Wert eines Produkts oder einer Organisation steigen oder sinken wird.

Die Katter verpflichten uns, eine Mindestanzahl an Ü-Ha-Teilnahmeberechtigungen zu kaufen. Jeder könne dabei nur gewinnen, sagen sie, das sei sicher. Sicher ist jedenfalls, dass sie die Wettgebühren in ihre eigenen Börsen stecken.

Wenn ihr euch in den Ü-Ha einkauft, fiebert ihr mit, sobald der Wert eurer Investition steigt, und ihr leidet an Ängsten, sobald der Wert fällt. Ihr betreibt Werbung für die entsprechenden Produkte und Organisationen und ihr findet sie dann selber gut. Alle Konkurrenzprodukte boykottiert ihr, auch wenn diese besser sind.

Wir aber streuen Sand ins Getriebe, Sand in den Tand! Stört mit uns die von den Katter vorgeplanten Wertschwankungen! Lasst uns gemeinsam surfen auf den auf- und absteigenden Wellen – und dann die Wellen brechen!

Ich bin Luflu, Fluch der Katter! Nieder mit der Rechnerei, lang lebe das Spiel! Alles ist Spiel, alles ist Fluss …‘

Luno blätterte weiter durch die Datei.

‚Ihr produziert von allem immer mehr und immer schneller, ihr bestellt bei den Katter die neuen Fließbänder, steht stundenlang daran für noch mehr Produkte schlechter Qualität, die ihr lügnerisch anpreist … Seht, wie die gigantischen Unnützberge wachsen – und Macht und Reichtum der Katter!‘

‚Manche von euch beginnen zu murren. Ihr sucht nach Sinn in dem Ganzen oder denkt heimlich an Rebellion. Aber nach getaner Arbeit seid ihr zu müde, um ernsthaft nachzudenken, eure Köpfe sind leer. Wenn ihr abends nicht mehr wisst, womit ihr euch beschäftigen sollt, schaut ihr Katter-Filme oder spielt ‚Ka gewinnt‘, bis ihr einschlaft. Ja, das Spiel ist von uns Twajis entwickelt worden, im Auftrag der Katter, und hat den Titel ‚Spiel der Umlaufbahnen‘ gewonnen. Auch wir brauchen Digitts …‘

‚Die Okter sammeln immer mehr Daten, die Katter verfeinern die Kontrollen, die Zeronier häcken die Kommunikationskanäle und den Digittverkehr, die Musik der Septemer wird leer und flach. Nur wenige dürfen noch auf den Gemeinschaftsplaneten, die Seisonen versuchen zu betrügen, und die Faiwer liefern so viele Wurzeln, dass auf ihrem Planeten Löcher entstehen. Einige von euch wünschen sich den Tala oder den Tauschhandel zurück, manche wollen die Komkatts verbieten, manche wollen das Arbeitspensum verringern oder weniger Güter produzieren, ihr sucht nach Schuldigen. Aber keiner von euch denkt über das System nach.

Tanzt, tanzt mit mir, tanzt mit Luflu, dem Fluch der Katter! Tanzt den Tanz: Wassa auf Mühlen – Sand in den Tand!‘

Es glitzerte, es wirbelte, Luno wurde schwindelig. Er verkroch sich tiefer in seinen Umhang. Sicher war Luflus Kanal strengstens verboten. Warum schnitten ihn die Katter nicht einfach ab? Voller Schuldgefühle schaltete er Florinas Komkatt aus und verordnete sich für die nächsten Wochen einen Intensiv-Kurs in Kattarisch.

Doch bald kam er wieder in Versuchung, denn die Kama-Währung, von der Kloris gesprochen hatte, währte nur eine Mondfüllung. Luno scrollte durch die Nachrichten, um eine Erklärung zu finden. Aber es schien, als hätten die Kama-Punkte nie existiert. Stattdessen gab es nun für erwünschtes Verhalten Bonuspunkte, die auf den früheren Digitt-Konten gesammelt wurden.

Mit zitternden Fingern suchte Luno auf Florinas Komkatt herum. Da! Ein aktueller Beitrag von Luflu, er hieß ‚Der Katta-Kama-Tanz‘. Zögernd tippte er auf ‚Abspielen‘, meditative Musik erklang.

»Schalt den Ton aus.«

Der Katter! Luno fuhr zurück, die Erinnerung an die Katter-Scheren blitzte auf.

»Ganz ruhig, Luno, tu nicht immer so draumatiert.«

Ars Ka-Tan-Di

»Ich habe dein novanisches Lernbedürfnis unterschätzt«, sagte der Katter. »Also frag mich, was du wissen willst. Nein, machen wir es anders. Ich erzähle es dir, das geht schneller.

Zu den Kama-Punkten als Währung: natürlich konnte das nicht funktionieren. Die meisten Versaner kämpfen nur mit dem Hier und Jetzt und haben keine Muße, um über den nächsten Tag hinaus zu denken. Unser neues Belohnungssystem kommt ihrer Gegenwartsfixierung besser entgegen. Zudem haben die Okter unsere Kama-Definition empört abgelehnt. Sie halten sich selbst für die höchste Erscheinungsform, und wir haben uns ausgiebig bei ihnen entschuldigt. Jetzt sind sie wieder versöhnt und unterstützen uns eifrig bei der Einführung der Bonuspunkte, die unser wahres Anliegen sind.

Kennst du die kattarische Kunst Ars Ka-Tan-Di? Du glaubst vielleicht, die Kama-Punkte waren ein Fehler, dein Glitzer-Luflu macht darüber Witze. Wir aber kennen keine Fehler. Wir nutzen alles für unsere Zwecke, entweder gleich oder später. Durch Ars Ka-Tan-Di sind wir unbesiegbar.

Zum neuen Belohnungssystem: Alle erhalten auf ihren Konten einen gleichen Grundstock an Bonuspunkten, auch die Zeronier. Den meisten Versanern erlassen wir sogar ihre Digitt-Schulden. So werden sie über das Belohnungssystem erleichtert sein. Sie glauben nun zu wissen, was sie tun sollen, alles erscheint ihnen endlich einfach und transparent. Sie werden gerne Belohnungen für ihr Verhalten sammeln und sich dadurch richtig und erwünscht fühlen, ihr Gefühl für einen Eigenwert ist ihnen sowieso schon längst abhandengekommen.

Wir gehen davon aus, dass nach anfänglichen Erfolgen das unerwünschte Verhalten wieder zunehmen wird. Dann werden wir die Bonuspunkte durch Maluspunkte ergänzen. Jetzt haben alle die Wahl, ob sie Bonuspunkte erhalten, indem sie sich wunschgemäß verhalten, oder Maluspunkte, wenn sie dies nicht tun. Die Maluspunkte ziehen wir von ihren Bonuspunkten ab. Die Twajis werden dafür lustige Namen erfinden, so etwas wie Malmals und Bonbons. Es wirkt rebellisch, ist aber verharmlosend und nett. Ganz in unserem Sinne.

Wie jede Maßnahme wird auch diese nur für eine bestimmte Zeit nützen. Twajis, Zeronier und Seisonen werden nicht mehr auf die Verheißung von Bonuspunkten reagieren, und der Erhalt von Maluspunkten wird sie nicht mehr ängstigen. Die Schulden werden bei den üblichen Verdächtigen wieder anwachsen. Dann wird es eine weitere Optimierung geben: Belohnungspunkte für die Meldung von Malusverhalten.

Erst werden die Versaner nur das Fehlverhalten von Anders-Stämmigen melden, dann werden sie sich auch untereinander überwachen – ein großes Misstrauen wird sich ausbreiten. Das gefällt uns eigentlich nicht, aber großes Misstrauen untereinander verhindert eine Rebellion, die gärende Unzufriedenheit vieler Einzelner vereint sich nicht zu einer Bewegung.

So, genug davon. Im Laufe des nächsten Jahres kannst du alle meine Prognosen überprüfen. Wenn du magst, auch auf dem Luflu-Kanal.«

»Ich darf ihn schauen?«, stotterte Luno, völlig überwältigt von dem ungewohnt langen Vortrag des Katter.

»Wieso nicht? Du weißt schon, Ars Ka-Tan-Di. Alle halten den Kanal für das Sprachrohr der Katter-Feinde. Sie glauben, Luflu würde uns überlisten und wir wären unfähig, ihn auszuschalten. Denn er benutzt nicht nur sein eigenes Komkatt, sondern greift sich einfach irgendeines und sendet jedes Mal auf einer anderen Frequenz. Genau das aber machen wir uns zunutze. Niemand merkt, dass es auch von uns Luflu-Beiträge gibt, wir feiken sie. Einige Twajis, die auf Luflus Erfolg neidisch sind, unterstützen uns dabei. Manchmal schneiden wir einige Sätze aus den Originalfilmen heraus, manchmal ersetzen wir sie, manche Filme sind gänzlich von uns. Wenn du die Luflu-Beiträge aufmerksam durchgehst, wird es dir auffallen. Seine Anweisungen zur Beeinflussung des Ü-Ha widersprechen sich. Einige Folger reagieren daher so, andere so. Alles berechenbar, alles läuft für uns wie gewünscht.

Luflu hat keinen Überblick über seine Beiträge, er ist wie alle Twajis chaotisch. Spaß steht für Twajis an erster Stelle, daher haben sie keinen Plan und keine Alternative zu unserem Verum. Ihr Spaß ist ansteckend, und die meisten Versaner brauchen es, zu lachen, Hahaha zu machen. Dann geht ihre innere Spannung raus. Sie sind stolz auf ihren ‚Widerstand‘ und mögen das System, das ihnen gute Gefühle macht. Und noch etwas. Luflu muss sich stetig steigern, noch mehr Tanz, noch mehr Witz, noch mehr Glitzer. Irgendwann schwächt sich die Wirkung ab. Dann verliert er die Lust und unsere Luflu-Filme werden dominieren.«

Luno zweifelte. »Ist er wirklich keine Gefahr für euch? Oder redest du alles nur schön nach eurer Ars-Ka-Kat-…?«

»Nein. Allerdings gibt es tatsächlich eine Eigenheit von Luflu, die uns bedenklich erscheint: Er ist der erste Twaji, der in einer Zweierbeziehung lebt. Noch ist er der Einzige und wir tun alles dafür, dass es so bleibt. Die Twajis, die ihn versuchen zu imitieren und sich eine sogenannte Schwänin suchen, lassen sich leicht ablenken. Sie können nicht, wie nennen sie es noch mal, ‚troj‘ sein. Daher zeigen wir Luflu in unseren Filmen ab und zu auch mit anderen Twajas.«

»Das wird mir alles zu viel«, murmelte Luno. Die Anspannung ließ seine Narbe schmerzen. Seine Hände wanderten unter die Kapuze, wieder und wieder strich er sich über den Kopf.

»Steigere dich nicht hinein«, sagte der Katter streng. »Du hast kein Drauma. Drauma wird überbewertet. Schnipp schnapp, Feder ab. Feder ist verloren, Novani neugeboren. Auch wir kennen uns mit lustigen Sprüchen aus, nicht nur die Twajis …«

Es war das erste Mal, dass Luno die Verbindung abbrach. Aber nur zwei Sekunden später schaltete sich erst Florinas Komkatt ganz aus, dann auch Floras, beide Bildschirme wurden schwarz. Nein! schrie es in Luno. Hilflos tippte er auf den Geräten herum, aber sie ließen sich nicht