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Köln 2010. Nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie kommt Amandas Leben gerade wieder ins Gleichgewicht. Als sie aber glaubt, nachts auf nebliger Landstraße einen Mann überfahren zu haben, kommen ihr Zweifel, denn von diesem Zeitpunkt an geschehen mysteriöse Dinge. Was ist wahrhaftig, was Einbildung? Parallel verübt ein Serientäter bestialische Morde, ohne Spuren zu hinterlassen. Die Bluttaten weisen Ähnlichkeiten zu einem Werwolffall auf, der sich vor über vierhundert Jahren ereignet hat. Doch was hat Amanda mit diesen abscheulichen Verbrechen zu tun? Allmählich erkennt sie die Zuammenhänge, begreift jedoch zu spät, dass es die Bestie auch auf sie abgesehen hat …
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Seitenzahl: 437
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Myriane Angelowski, geboren 1963 in Köln. Nach einem Jahr in Israel folgte ein Studium der Sozialarbeit und nach mehreren Jahren Arbeit als Referentin für Gewaltfragen 2001 die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Coach. Sie lebt und arbeitet in Köln.
www.angelowski.de
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Weusthoff-Noël, Hamburg (www.wnkd.de) eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-372-9 emons: mystery Originalausgabe
Für meine Amsterdam-Mädels:Tuyet, Margita, Pia und Sabine
»… und das Licht leuchtete in der Finsternis,
aber die Finsternis hat es nicht ergriffen …«
Aus der Offenbarung des Johannes (Joh 1,5)
Prolog
Die Farben des Sommers verblassten unter einem Schleier aus feinstem Staub. Seit Wochen war kein Regen gefallen.
Das störte die Kinder nicht, die laut schwatzend aus dem Wäldchen strömten und den Pfad entlanghüpften. Für sie rochen die heißen Tage nach Schwimmbad und Brausepulver. Ihre hellen Stimmen wehten über die Felder, in deren Furchen farblose Maisstangen vertrockneten. Als der Weg schmaler wurde und einen Hügel hinaufführte, riss die Gruppe auseinander.
Die Älteren, ausnahmslos Mädchen, liefen vor. Lachend, unbeschwert, während sich die jüngeren Kinder bemühten, Schritt zu halten. Aber sie fielen schnell zurück, unbemerkt von den Großen, die laut schnatternd die Anhöhe hinaufgaloppierten. Kurzzeitig wurde der Lauf zu einem Wettkampf. Der Impuls verflog jedoch schnell wieder, denn die Kräfte waren gleichmäßig verteilt. So erreichten alle Mädchen beinahe gleichzeitig eine der Aussichtsbänke und purzelten kreischend und lachend übereinander. Die Gefahren der Welt schienen Lichtjahre entfernt, und für das Böse, das ihnen seit Stunden auf Schritt und Tritt folgte, hatten sie keinen Blick.
»Hier muss ein Hinweis sein!«, rief Zoe. Sie war die Älteste und Wortführerin. »Los, los! Wir müssen suchen.«
Kichernd gehorchten die anderen.
»Da!«, riefen die Zwillinge nur Sekunden später wie aus einem Mund und zeigten auf einen Kreidepfeil. Jemand hatte ihn auf einen Stein gemalt, der unter einem eingezäunten Wegkreuz lag.
Zoe inspizierte den Hinweis, dabei streifte ihr Blick den am Kreuz hängenden Jesus. Zu seinen Füßen stand eine Schale mit Beeren.
Sie zog die Stirn in Falten.
»Das sind Wacholderbeeren.« Die Zwillinge verblüfften wieder einmal durch ihr Wissen, doch Zoe ließ sich ihr Erstaunen darüber nicht anmerken.
»Wachholderbeeren kennt doch jeder«, sagte sie stattdessen.
»Kranewitt, Kranewitt, das mag der Teufel nit«, sangen die Schwestern.
Zoe ließ sie stehen und wandte sich an die restliche Gruppe. »Hier hinauf! Weiter! Wir müssen den zweiten Hügel hoch.«
Schon stürmten die Ersten davon, doch die Zwillinge hielten Zoe am Arm zurück.
»Sollten wir nicht auf die Kleinen warten?«, fragten sie und deuteten auf die jüngeren Kinder die mit der leichten Steigung kämpften. »Schnitzeljagd ist ein Teamspiel!«
Zoe verdrehte die Augen. »Ihr könnt euch ja um die Knirpse kümmern. Außerdem heißt zusammen ankommen nicht, dass man permanent zusammenbleiben muss. Das ist für euch mit Sicherheit nicht leicht zu verstehen!«
Ida und Ines überhörten die Spitze und zeigten auf einen Jungen im Fußballdress, der sich mit hängenden Schultern die Wiese hochschleppte. Er war höchstens elf und extrem übergewichtig. Sein Gesicht war rot wie eine überreife Tomate, die Brille hing ihm schief auf der Nase.
»Der kann nicht mehr«, stellten sie fest.
»Na und?« Zoe baute sich vor den Zwillingen auf und stemmte die Hände in die Hüften. Sie hasste die Synchronsprecherinnen, die aus Süddeutschland zur Ferienfreizeit angereist waren. Seit zwei Wochen spielten sie sich als Gewissen des Zeltlagers auf, weigerten sich, Würstchen zu essen, weil sie überzeugte Vegetarierinnen waren, und trugen nur Sachen aus hundert Prozent Ökobaumwolle, um ein Zeichen gegen Billigkleidung aus Niedriglohnländern zu setzen. Dass sich die meisten Eltern der über hundert anderen Kinder, die an der Caritas-Ferienfreizeit teilnahmen, solche Sachen nicht leisten konnten, interessierte Ida und Ines nicht. Mit ihren vierzehn Jahren waren sie ziemlich kompromisslos.
In der Zwischenzeit hatten die jüngeren Kinder die Bank erreicht. Der Dicke, dessen Namen Zoe vergessen hatte, ließ sich bäuchlings auf die Wiese fallen. Unter seinem schwarz-rot-goldenen Trikot zeichneten sich Speckrollen ab. Auf dem Rücken stand die Zahl »7« und darüber in großen Lettern »Schweinsteiger«.
»Ich … kann … nicht … mehr«, keuchte er.
Zoe schaute zum zweiten Hügel. Ihre Freundinnen verschwanden gerade hinter einer Tannenschonung. Sie sah sich suchend um. »Wo ist eigentlich Schweinis Schwester? Ich finde, die sollte sich um das Dickerchen kümmern.«
Die Zwillinge, die normalerweise nie um eine Antwort verlegen waren, schwiegen und sahen zu Boden.
»Was ist?«, hakte Zoe nach, und ihr Misstrauen wuchs, als Ida und Ines wieder nicht antworteten. »Hallo? Ich warte!«
Die Mädchen zuckten mit den Schultern. Gleichzeitig natürlich.
Zoe verschränkte die Arme vor der Brust und trat näher an die beiden heran.
»Die haben sich abgesetzt«, sagte Ines schließlich.
»Die? Wer?«
Erst jetzt fiel Zoe auf, dass nicht nur Schweinis Schwester fehlte, sondern auch Joshua. »Was geht denn hier ab?«
»Die wollten zum Knutschen auf den Hochsitz«, platzte Ida heraus.
Zoe wich die Farbe aus dem Gesicht. Joshua und diese Bohnenstange? Das konnte einfach nicht sein! Joshua gehörte ihr! Seit über einer Woche dachte sie nur an ihn. Seine braunen Kulleraugen waren wahnsinnig süß. Und er mochte sie auch, da gab es keinen Zweifel. Warum küsste er jetzt Schweinchen Dicks Schwester?
Zoe verlor keine Zeit. Die beiden wollten Stress? Den konnten sie haben. Sie machte auf dem Absatz kehrt und jagte den Hügel hinunter. Mit jedem Schritt wurde ihre Wut größer, Eifersucht brannte in ihrem Herzen und erstickte jeden vernünftigen Gedanken. Ihre Beine überschlugen sich fast, einmal stürzte sie, sprang aber sofort wieder auf die Füße. Sie musste die beiden aufspüren. Die konnten vielleicht was erleben!
Sie lief schneller, stolperte über die Wiese und spurtete den Feldweg entlang. Bevor sie den Waldrand erreichte, gewann ihr Gewissen kurzzeitig die Oberhand.
Team B stand unter ihrer Leitung. Für die Schnitzeljagd trug sie die Spielführerbinde am Arm. Auch im Zeltlager fielen einem Sonderrechte nicht einfach zu, und normalerweise übernahm Zoe gern Verantwortung, denn Pflichten brachten häufig auch Privilegien mit sich.
Sie hielt kurz inne und verschaffte sich noch einmal einen Überblick. Die Zwillinge scheuchten die Nachzügler den großen Hügel hinauf. Auch der Dicke war nicht mehr zu sehen. Anscheinend hatte er es geschafft, sich aufzuraffen und weiterzulaufen.
Sie atmete durch. Dabei streifte ihr Blick für den Bruchteil einer Sekunde über den Mais. In diesem einen Moment nahm sie einen dunklen Schatten wahr. Er huschte durchs Feld. Zoe stutzte, kniff die Augen gegen die Sonne zusammen.
War da jemand? Sie zögerte einen Wimpernschlag lang. Nein. Da war nichts, den Schatten hatte sie sich nur eingebildet. Von Wut getrieben setzte sie ihren Weg fort.
Später fiel es ihr schwer, Fragen nach Anzeichen des Verbrechens eindeutig zu beantworten. Hatte sie das Rascheln der vertrockneten Blätter im Maisfeld wirklich nicht gehört? Hatte sie die Staubwolke tatsächlich übersehen, den Dicken nicht um Hilfe schreien hören, während er verzweifelt versuchte, der Gestalt zu entkommen, die aus dem Nichts aufgetaucht war und ihn packte? Nein, keinen Gedanken hatte sie an ihn verschwendet.
Genauso wenig wie irgendjemand sonst. Niemand aus Team B vermisste den Jungen. Erst am Abend, als sein Schlafsack leer blieb, verständigten die Betreuer die Polizei. Doch die Beamten fanden nur ein zerrissenes Fußballtrikot im Staub und eine in zwei Hälften gebrochene hellblaue Brille.
Das Böse nimmt seinen Anfang
BEDBURG, HERZOGTUM JÜLICH, DEZEMBER 1565
In diesem Jahr brach der Winter besonders früh über das Rheinland herein. Schon einen Tag nach Allerseelen tobten heftige Stürme, und es fiel so viel Schnee, dass ein Durchkommen zu den Dörfern vor den Toren Kölns kaum möglich war.
Die Menschen waren leidgeprüft. Das gesamte Jahr hatte es nicht gut mit ihnen gemeint: Im Frühjahr hatte eine ungewöhnliche Dürre das Land ausgetrocknet, und kaum war diese Plage vorbei, richteten Raupen auf den Feldern so große Schäden an, dass es sich vielerorts später kaum lohnte, die Sense auf die Weiden zu tragen. Um Johannis dann hatte eine solch kalte Witterung geherrscht, dass sich dergleichen niemand entsinnen konnte. Im August zerstörte schließlich starker Hagelschlag die ohnehin mageren Ernten. Scharenweise war das Vieh verendet, weil es feuchtes Heu kaute. Der Preis für Korn schnellte in die Höhe und machte es für die meisten Menschen unbezahlbar; eine Hungersnot raffte die Menschen in weiten Teilen des Landes dahin.
Nun war es Dezember, und in den Städten, Weilern und einsam gelegenen Höfen lebte das Leid mit den Menschen unter einem Dach.
In dieser kalten Winternacht bahnte sich ein junger Mann unter großen Mühen einen Weg durch den klafterhohen Schnee. Seine Wangen waren rot, und sein Atem ging schnell, doch trotz der enormen Anstrengung fror er in seinem dünnen Hemd.
Einige Raben flogen krächzend nach Norden. Der Bursche hob den Kopf und sah ihnen nach.
Ihm war nicht wohl in seiner Haut, ängstlich blickte er über seine Schulter. Doch niemand schien ihm gefolgt zu sein. Das Dorf lag schlafend unter Frost und Schnee.
Nach wenigen Schritten erreichte er den Kirchhof. Gespenstig wirkte der Ort um diese Stunde, auch wenn der Schnee dem Bild etwas Liebliches gab. Doch er ließ sich nicht täuschen: Der Winter bedeckte die Trostlosigkeit nur. Unter dem glitzernden Weiß blieb das Leben trüb und aussichtslos.
Er fand das Grab sofort. Kraftvoll stieß er den hölzernen Spaten in den frischen Totenhügel, der eine dicke Schneehaube trug. Immerhin war der Boden hier nicht gefroren. Sein Blick flog unruhig umher, während er das Werkzeug unaufhörlich in den Boden trieb, Stoß um Stoß, bis Leinen sichtbar wurde.
Zitternd wuchtete er das Leichentuch aus der Tiefe, riss es auf, strich Würmer aus den Augenhöhlen des Toten und bedeckte den Schädel mit Küssen.
»Ich hätte bei dir sein müssen in der Stunde deines Todes«, schluchzte er und wiegte den Leichnam im Arm. »Verzeih, dass ich mich nach unserem letzten Streit in der Stadt herumgetrieben habe und erst heute den Weg nach Hause fand! Glaub mir, ich hätte gerne deine Hand gehalten.«
Unter Tränen spähte er immer wieder zum Grab neben dem frischen Erdloch. Hier ruhte seine Mutter. Auch ihren Tod hatte er nicht verwunden, denn auch von ihr hatte er zu Lebzeiten nicht Abschied nehmen können.
»Hast allen Grund, Gott und der Welt zu zürnen«, flüsterte eine Stimme hinter ihm. Tief. Eindringlich und unerwartet.
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