Tödliches Irrlicht - Myriane Angelowski - E-Book

Tödliches Irrlicht E-Book

Myriane Angelowski

4,8

Beschreibung

Ein alter Mann liegt tot in der Badewanne seines Ferienhauses. Sein grausamer Tod gibt den Ermittlerinnen Rätsel auf. Zusätzlich erschweren Lügen, Hass, Affären und eine Mauer des Schweigens die Arbeit der Kommissarinnen. Als sie glauben, der Wahrheit endlich auf der Spur zu sein, wird eine zweite Leiche gefunden, und eine weitere Person verschwindet auf mysteriöse Weise.

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Myriane Angelowski, geboren 1963 in Köln. Nach einem Jahr in Israel folgte ein Studium der Sozialarbeit und nach mehreren Jahren Arbeit als Referentin für Gewaltfragen 2001 die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Coach. Sie lebt und arbeitet in Köln.

www.angelowski.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-370-5 Köln Krimi Originalausgabe  

Für meinen Vater. Für meine Mutter.Und für Marie-Therese.

»Wer nach einem Irrlicht schlägt,

dem speit es Feuer ins Gesicht,

dass er davon stirbt.

Wer ein Irrlicht ausschlägt,

hat sich das Leben ausgeschlagen.«

Volksglaube

Prolog

Josef-Haubrich-Hof, Zentralbibliothek

Die Person fiel ihr auf. Grüner Lodenmantel, Hut mit breiter Krempe. Ungewöhnlich in der Stadt und dem Wetter nicht angemessen. Der Herbst war ziemlich mild. Lodengrün, wie sie die Gestalt insgeheim nannte, betrat seit Wochen jeden Nachmittag die zweite Etage. Schritt stundenlang die Regalreihen ab, zog hier und da ein Buch hervor, um sich anschließend an den immer gleichen Tisch zu setzen. Dort versank Lodengrün hinter der Lektüre, bis das Haus geschlossen wurde. Einmal hatte sie ihre Hilfe angeboten, aber keine Reaktion erhalten. War es Schüchternheit oder einfach schlechtes Benehmen? Sie konnte es nicht sagen. Jedenfalls machte sie keinen zweiten Versuch, schließlich tat Lodengrün nichts Verbotenes.

Auch an diesem Tag sah sie aus den Augenwinkeln den wehenden Mantel die Treppe hinaufeilen, als sie einer Lehrerin Kartenmaterial über das Kölner Umland zur Römerzeit zusammenstellte. Sie registrierte, dass Lodengrün die Regalreihen durchforstete und Bücher mit zu dem Platz in der Ecke nahm. Aber sie vergaß die Gestalt in der Ecke bald wieder. Erst als sie am Abend ihren Routinerundgang durch ihre Abteilung machte, bemerkte sie die Bücher, die auf dem Stammplatz lagen. Entgegen bisheriger Gewohnheiten waren sie nicht weggeräumt. Sogar die Leselampe brannte noch, und als sie näher kam, sah sie den Schlapphut auf dem Sessel liegen. Suchend schaute sie sich um. Vielleicht war Lodengrün kurz zur Toilette. Sie betrachtete das Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Entsetzt stellte sie fest, dass eines der Kapitel rot unterstrichen war. Wie konnte jemand Stadteigentum derart behandeln? Doch dann legte sich ihre Entrüstung. Neugierig geworden begann sie zu lesen:

»Im Dezember des Jahres 1589 blies der Wind den sechsten Tag eisig von Cölln-Deutz. Die Gesichter der Alten bekamen tiefere Falten vor Gram, und niemand konnte es ihnen verdenken. In ihrer Erinnerung waren die letzten Unglücke noch wach. Und eines war sicher: Sie erkannten Unheil, wenn es sich ankündigte.

Denn wieder lag ein regenreicher und kühler Sommer hinter den Bewohnern Cöllns und den umliegenden Grafschaften. Im Herbst waren die Weinstöcke erfroren, und nach der Missernte auf den Feldern stieg der Roggenpreis beängstigend. Der Cöllner Rat lamentierte und zögerte das Zukaufen von Getreide auf dem Amsterdamer Markt heraus. Er wollte nicht abermals vierzigtausend Gulden bereitstellen, wie im Winter 1571, als man die Bevölkerung vor dem Hungertod bewahren musste.

Für Elßbeth Vischer war die Not der hohen Herren ohne Belang. Der Tod erwartete sie heute in den kalten Fluten des Rheins. Da halfen weder Fürbitten noch Geifer.

Während dichte Schneeflocken am kleinen Fenster des Frankenturms vorbei zur Erde schwebten, kauerte Elßbeth nieder, zitternd am ganzen Leibe, und überlegte, wann das Elend seinen Lauf genommen hatte. Und ganz gleich, wie sie ihre Gedanken drehte, sie endeten immer bei Theis und seinen moosgrünen Augen. Ach, hätte sie doch nie mit ihm bei Kräutergebäck und Wein gesessen!

Lieb reden, darauf hatte sich der Junker verstanden. Sein Gesäusel war süßer als der Honig vom Jahrmarkt. Zum Lachen hatte er sie gebracht, den ganzen kalten Februar hindurch. Und als er sie wieder einmal spät, die Stadttore waren längst geschlossen, zu ihrem Quartier in der Follerstraße geleitete, hatte sie ihn in ihre Kammer neben dem Walkhaus geschleust. Konnte er doch so spät unmöglich noch nach Deutz gelangen. In dieser Nacht hatte sie sich ihm hingegeben. Wegen seiner Augen und wohl auch weil er ihr die Sterne versprach.

Bevor die Hähne krähten, hatte Theis die Bettstatt verlassen, und Elßbeth wandte sich ihrem Tagwerk zu. Sie stampfte Tücher in Walktrögen und spannte die verfilzten Stoffe auf. Dabei summte sie und war in Gedanken bei ihrer Liebelei, träumte von einem Leben mit Theis, in dem sie feinstes Gewebe trug. Sie lächelte unentwegt, denn der edle Jüngling schlich sich noch so manche Nacht herbei.

Um Pfingsten bemerkte sie dann, dass ihr der Leib rund wurde, und zu ihrem großen Kummer blieb Theis nun aus. Ihr Summen verstummte, und Elßbeth spürte die Blicke der anderen Mägde und wusste, dass sie hinter ihrem Rücken gemein über sie schwatzten. Mit Argusaugen hingen sie an ihrem Bauch. Tuschelten. Fragten jeden Tag, warum Theis nicht mehr käme und warum sie dick wurde. Elßbeth schnürte den Kittel straffer und schwor den Mägden bei Gott, dass sie kein Kind trage. Immer und immer wieder.

Dann, an Allerseelen, war sie nachts hochgeschreckt. Sämtliche Glieder hatten ihr gebrannt, und sie war halb ohnmächtig vor Qual und Angst. Das Kind presste sie vor der Dämmerung unter Schmerzen hervor. Und auch weil der Bub unaufhörlich schrie, drückte sie ihm die Hand auf die Lippen. Da war er blau geworden. Blau und still. Entsetzt hatte sie ihn an sich gepresst. Ihn im Arm gewiegt. Leise weinend Kinderlieder gesummt, die halbe Nacht. Dann war die Angst gekommen.

Wie im Wahn und voller Hast hatte sie sich mit dem Knaben zur Kammer rausgestohlen, ihn zum Perlenpfuhl getragen und hineingeworfen. Unglücklicherweise sah sie einer der Kloakenreiniger, der gerade eine Grube aushob. Er fasste sie unsanft und schleifte sie auf der Stelle zum Greven. Von der Stunde an war sie als Kindsmörderin verschrien und wegen ihrer Untat zum Tode verurteilt worden. Tod durch Ertränken. Ihre Schuld galt schnell als erwiesen. Heute nun sollte der Richterspruch vollstreckt werden.

Elßbeth jammerte und klagte. Ihr Weinen wurde noch lauter, als sie am Mittag bei Eiseskälte, nur mit einem groben Leinen bekleidet, unsanft auf einen Karren gezerrt und durch die Salzgasse, an den Bettlerherbergen vorbei, zum Stadttor hinausgefahren wurde. Sie schrie vor Verzweiflung, als man sie auf einen Nachen stieß, der von Schneegestöber begleitet auf die Mitte des Rheins hinausfuhr. Dort riss ihr der Büttel das Linnen vom Leib. Noch ein letztes Mal bettelte sie um ihr Leben, aber der Henker zeigte keine Gnade und stieß sie in die eisigen Fluten.

Tags darauf notierte ein Turmschreiber: ›Am 13.Dezember ist Elßbeth Vischer wegen ihrer Untat, dass sie ihr Kinde umbrachte, am Rhein zu Cölln bei der Salzgasse aufs Wasser gefahren und ertränkt worden.‹«

EINS

Eulenthal, Bergisches Land

Die Kinder traten in die Pedale, ließen die Gehöfte hinter sich und bogen auf einen Waldweg ab. Schlamm spritzte gegen die Rahmen ihrer Mountainbikes. Nach wenigen Metern wurde der Hügel steiler, und sie mussten sich mit aller Kraft gegen den Herbstwind stemmen, der hier oben blies. Doch schon auf halber Strecke gaben die beiden Jungs auf, sprangen beinahe gleichzeitig von ihren Rädern und schoben sie weiter.

Für Lilli kam absteigen nicht in Frage. Sie machte einen Buckel, hing dabei mit der Nasenspitze fast auf der Lenkstange und kämpfte gegen die Steigung. Die bunten Bänder an den Griffen flatterten, während sie sich Zentimeter um Zentimeter vorschob. In ihrer Phantasie veränderte sich die Umgebung. Mulden wurden zu Kratern, Tannen zu feindlichen Spähern und keckernde Elstern zu Dienern des Bösen. Und auf einmal war er da, getragen von einer rosa Wolke: Slifer der Himmelsdrache. Stark. Furchtlos. Seine Nüstern verströmten glühenden Dampf, während sie auf seinem Rücken den Berg hinaufschwebte. Mit einem kräftigen Flügelschlag erreichten sie den Gipfel der düsteren Welt. Slifer setzte Lilli ab.

»Warte auf uns«, keuchte Jesse. Die piepsige Stimme des Freundes verjagte den Drachen.

Lilli lehnte ihr Rad gegen die Zweige einer mächtigen Tanne. Nieselregen setzte ein. Das Laub unter ihren Turnschuhen wurde feucht und glitschig. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, bis ihre beiden Freunde die Anhöhe erreichten und sich wortlos neben sie hinter den Wachholderbusch fallen ließen. Von hier oben konnten sie das Haus gut sehen.

Jetzt, im diesigen Licht des späten Nachmittags, wirkte das Gebäude noch düsterer, als sie es in Erinnerung hatte. Lilli schob ihre Baseballkappe tiefer in die Stirn und betrachtete das Haus. Nirgends brannte Licht. Ein weißer Mercedes parkte in der Auffahrt. Auf den Stufen zum Wintergarten lagen zwei pralle Kürbisse, ansonsten wirkte das Grundstück verlassen. Der nächste Nachbar war über einen Kilometer entfernt.

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