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Beschreibung

Tag für Tag beantwortet der aus Twitter bekannte Apotheker die Fragen seiner Kundschaft: Welche Mittel helfen bei Schlafstörungen, Blasenentzündung oder Haarausfall? Gefährden Deos mit Aluminium meine Gesundheit? Sind CBD-Öl, Ginkgo und Placenta Globuli so gut, wie manche Seiten im Internet behaupten? Und welche Arzneimittel gehören in eine gute Hausapotheke? Unterhaltsam und verständlich vermittelt er so das Wichtigste zu den Bestsellern aus der Apotheke. Gewohnt kritisch schaut er zudem auf die Mittel, die viel versprechen, aber nichts halten.

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumWidmungDes Apothekers VorwortKapitel 1: Warum man mit den Z-Substanzen Zolpidem und Zopiclon zwar besser schläft, sie aber nicht unbedenklich sindKapitel 2: Wie man Trockensäfte richtig zubereitet und was man über Penicilline wissen sollteKapitel 3: Was Ashwagandha ist und warum man lieber darauf verzichten sollteKapitel 4: Warum man nicht auf Aluminium unter seinen Achseln verzichten mussKapitel 5: Warum Escitalopram bei Depressionen nicht unbedingt besser wirkt als CitalopramKapitel 6: Warum man nicht auf Fluorid in der Zahnpasta verzichten sollteKapitel 7: Was der Unterschied zwischen Opiaten und Opioiden ist und was man über Morphin zur Behandlung von Schmerzen wissen sollteKapitel 8: Warum Plazenta-Globuli Placebo-Globuli sindKapitel 9: Was man über Pseudomedizin wie Schüßler-Salze, Bach-Blüten und die anthroposophische »Medizin« wissen sollteKapitel 10: Warum CBD-Öl nicht hält, was es versprichtKapitel 11: Was bei einer Blasenentzündung hilft und was nichtKapitel 12: Welche Bindehautentzündungen man unterscheidet und wie man sie behandeln kannKapitel 13: Warum Antihistaminika als Schlafmittel nicht ungefährlich sindKapitel 14: Was man bei einem erblich bedingten Haarausfall machen kann und worauf man verzichten sollteKapitel 15: Warum Ginkgo-Präparate nicht immer ihr Geld wert sindKapitel 16: Warum Tilidin mit einem Mittel kombiniert wird, das die gegenteilige Wirkung hatKapitel 17: Warum Tramadol nicht nur gegen Schmerzen wirkt, sondern bei manchen auch eine antidepressive und angstlösende Wirkung haben kannKapitel 18: Warum die Behandlung eines Lippenherpes häufig nur Geldverschwendung istKapitel 19: Wie man das richtige Triptan gegen seine Migräne findetKapitel 20: Wie man Durchfall am besten behandelt und ob Racecadotril es mit Loperamid aufnehmen kannKapitel 21: Was bei Problemen durch eine vergrößerte Prostata hilft und was nichtKapitel 22: Warum Rapper Codein einnehmen, obwohl sie keinen Reizhusten habenKapitel 23: Warum das Hormon Melatonin nichts im Supermarkt zu suchen hatKapitel 24: Was alles in eine Hausapotheke gehörtArzneimittel, die im Text erwähnt werden

Über dieses Buch

Tag für Tag beantwortet der aus Twitter bekannte Apotheker die Fragen seiner Kundschaft: Welche Mittel helfen bei Schlafstörungen, Blasenentzündung oder Haarausfall? Gefährden Deos mit Aluminium meine Gesundheit? Sind CBD-Öl, Ginkgo und Placenta Globuli so gut, wie manche Seiten im Internet behaupten? Und welche Arzneimittel gehören in eine gute Hausapotheke? Unterhaltsam und verständlich vermittelt er so das Wichtigste zu den Bestsellern aus der Apotheke. Gewohnt kritisch schaut er zudem auf die Mittel, die viel versprechen, aber nichts halten.

Über den Autor

#DerApotheker schreibt unter einem Pseudonym, denn er spricht immer Klartext und das mögen nicht alle. Er hat Pharmazie studiert und arbeitet seit etwa zehn Jahren als approbierter Apotheker. Der Autor bloggt unter https://publikum.net/author/derapotheker/. Außerdem verfasst er medizinische Artikel für DocCheck.com, schreibt eine Online-Kolumne für Die DEUTSCHE APOTHEKERZEITUNG und ist als @APOTHEKERDER auf Twitter aktiv.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Da Sachbücher ein besonderes Maß an Übersichtlichkeit und Lesbarkeit beanspruchen, wurde beim Verfassen des vorliegenden Buches weitgehend auf geschlechtsneutrale Formulierungen verzichtet. Sofern es aus dem Kontext nicht anders hervorgeht, sind stets Frauen wie Männer gleichermaßen gemeint und angesprochen.

Originalausgabe

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: © iStock/Getty Images Plus: fpm | Indigo Diamond

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-2892-8

luebbe-life.de

luebbe.de

lesejury.de

Für meine Familie

Des Apothekers Vorwort

Puh, hier ist es also: mein zweites Buch.

Und ganz ehrlich, hättet ihr mein erstes Buch Die Wahrheit über unsere Medikamente nicht so zahlreich gekauft und es somit direkt auf den achten Platz der Spiegel-Bestsellerliste katapultiert, würde es dieses hier vermutlich gar nicht geben.

Dafür bin ich euch wirklich sehr dankbar!

Glücklicherweise wurde das erste Buch nicht nur häufig gekauft, sondern auch sehr positiv aufgenommen. Mein Ziel beim Schreiben war es damals, das Buch trotz vieler tiefergehender Fakten möglichst nicht langweilig werden zu lassen. Aus diesem Grund hatte ich einen Tag in der Apotheke als Rahmenhandlung gewählt, um somit zusätzliche Einblicke in den Apothekenalltag zu gewähren. So gab es nicht nur trockene aneinandergereihte Fakten, sondern lebendige Dialoge.

Ja, ich weiß, für Menschen, die nicht in Apotheken arbeiten, wirkten sie vielleicht ein wenig unrealistisch. Aber für diejenigen, die selbst schon einmal im Handverkauf (HV) standen und Kunden bedient haben, bildeten sie die Realität sehr gut ab.

Auch wenn der ein oder die andere sich nicht damit abfinden konnte, dass ich die Fakten in Kundengespräche eingebettet habe und sich lieber ein Buch voller Wikipedia-Einträge gewünscht hätte, so waren diese Dialoge für den Großteil der Leser jedoch genau das, was das Buch für sie so lesenswert machte – der Grund, weshalb sie es nicht weglegen konnten. (Wie mir zumindest glaubhaft aus einigen Quellen berichtet wurde.)

Natürlich gab es auch Menschen, die mich nach der Lektüre meines Buches angegriffen haben, da die Fakten darin nicht ihrem Weltbild entsprachen. Wahrscheinlich hätten sie sich eher einen Fantasy-Roman über ein alternatives Universum gewünscht, in dem nicht ständig der Satz »… hat keine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht« in allen möglichen Variationen fällt, wenn es um ihre bevorzugte Pseudomedizin ging.

Ein klitzekleines bisschen tut es mir sogar leid, dass sie durch den Kauf meines Buchs Geld verschwendet haben, obwohl das mit der Geldverschwendung bei ihnen ja eigentlich gang und gäbe ist.

Ich muss zugeben, dass der Titel Die Wahrheit über unsere Medikamente möglicherweise auch genau solche Menschen angezogen hat, da sie sich von dem Buch erhofft haben, dass darin die allgemeingültige, weil auf derzeitige Fakten basierende Wahrheit, als Lüge dargestellt wird. Sorry not sorry.

Was ich auch immer wieder zu hören bekam, war die Frage: »Wann kommt der zweite Teil?« Sosehr mich die Frage auch gefreut hat, so wenig wusste ich, worüber ich in einem möglichen Nachfolger schreiben sollte. Ich ging schließlich davon aus, die besten Themen schon im ersten Buch präsentiert zu haben.

Ich fragte also meine Follower auf Twitter und meine Abonnenten auf Instagram, worüber sie denn im zweiten Teil gern lesen möchten. Kombiniert mit einem Brainstorming meinerseits, kamen so einige neue und interessante Themen zum Vorschein, die ich zum Großteil in diesem Buch verarbeitet habe.

Da ich nicht davon ausgehen kann, dass jeder Leser das erste Buch gelesen hat, werde ich die ein oder andere Information daraus – zum besseren Verständnis – auch hier mit euch teilen.

So, genug der langen »Rede«, viel Spaß mit Teil 2.

August 2022

Kapitel 1

Warum man mit den Z-Substanzen Zolpidem und Zopiclon zwar besser schläft, sie aber nicht unbedenklich sind

RIIIING, RIIIIIIING, RIIIIIIING.

120 Dezibel reißen mich unsanft aus dem Schlaf. Nachdem mein Herz für einen kurzen Moment ausgesetzt hat, schlägt es nun mit 150 Schlägen pro Minute. Vor einer halben Sekunde befand ich mich noch in Miami, jetzt sitze ich aufrecht im Bett – irgendwo in Deutschland. Na ja, Bett wäre übertrieben, eher eine ausklappbare Schlafcouch, die immerhin ein wenig weicher ist als ein Holzbrett. Aber wir wollen uns ja nicht beschweren.

RIIIING, RIIIIIIING, RIIIIIIING.

»Ich komme ja schon!« Völlig orientierungslos taste ich nach dem Lichtschalter und bringe so etwas Licht ins Dunkel. Ich befinde mich in der Apotheke. Genauer gesagt im Pausenraum. Es ist Samstag, zwei Uhr nachts. Ich habe Notdienst.

RIIIING, RIIIIIIING, RIIIIIIING.

»Jahaaaa, ich komme ja gleich!«

Ich verdrehe die Augen und schaue bei der Gelegenheit nach oben an die Wand, wo sich diese kleine, aber verdammt laute Glocke befindet. Wütend blicke ich sie an, aber, wie erwartet, interessiert es sie nicht. Mein Herz rast noch immer.

RIIIING, RIIIIIIING, RIIIIIIING.

Der kleine Hammer prügelt erneut auf die Glocke ein, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich schlüpfe in meine Badelatschen, die stilgerecht zu meiner Jogginghose passen, werfe meinen Kittel über, um wenigstens einigermaßen seriös zu wirken, und kontrolliere im Spiegel noch kurz mein Haupthaar. Akzeptabel. Zumindest im Dunkeln.

RIIIING, RIIIIIIING, RIIIIIIING.

»Ja, doch!« Ich öffne die Tür des Pausenraums und drücke auf den Lichtschalter, der sich vor der Tür befindet. Klick. Die Lampen im Backoffice erhellen den Raum. Den Lichtschalter für den Verkaufsraum betätige ich nicht. Es darf ruhig klar werden, dass wir eben nicht geöffnet haben und auf Kunden warten. Das Licht, das aus dem Backoffice nach vorne scheint, kombiniert mit dem Leuchten des Bildschirms, reicht mir auch völlig aus.

Ich laufe zur Notdienstklappe, öffne sie und sehe einen glatzköpfigen Mann mittleren Alters mit hochrotem Kopf. Er erinnert mich ein wenig an diese roten Leuchtdioden.

»Da sind Sie ja endlich! Ich habe eine Ewigkeit warten müssen!«

Ich reibe mir die Augen und werfe einen Blick auf die kleine Uhr, die sich rechts unten auf dem Computerbildschirm befindet.

»Ich weiß nicht, wie lange Sie hier schon warten, aber das erste Mal geklingelt haben Sie erst vor drei Minuten. Danke für Ihre Geduld. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich brauche Schlaftabletten! Ich kann nicht schlafen und drehe sonst noch durch. Geben Sie mir mal bitte ’ne Schachtel Zolpidem oder Zopiclon!«

Zolpidem und auch Zopiclon gehören zu den sogenannten Z-Substanzen beziehungsweise Z-Drugs, wofür sie sich bei ihren Anfangsbuchstaben bedanken dürfen.

Beide Wirkstoffe sind verschreibungspflichtig und werden in Deutschland als Schlafmittel eingesetzt. Und das nicht zu selten. Eher zu oft. Obwohl sie abhängig machen können und auch einige andere Probleme mit sich bringen, sind sie die Nummer eins der verschriebenen Schlafmittel. Am häufigsten gebe ich Zolpidem ab. Fast immer an Frauen um die 80, die »ihre Schlaftabletten« schon seit ein paar Jahren einnehmen, obwohl die Dauer der Behandlung eigentlich so kurz wie möglich sein sollte.

Um zu erklären, wie Zolpidem und Zopiclon wirken, müssen wir ein bisschen tiefer in die Materie einsteigen.

Wir beginnen mit GABA. GABA steht für Gamma-Aminobuttersäure und ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im zentralen Nervensystem. Das bedeutet, dass eine Nervenzelle GABA freisetzt und dieses dann an den GABA-Rezeptor einer anderen Nervenzelle bindet und diese hemmt, wodurch ihre Erregbarkeit reduziert wird.

Es gibt zwei verschiedene Rezeptortypen, an die GABA binden kann: den GABA-A- und den GABA-B-Rezeptor. Für die Substanzen, die wir hier in diesem Kapitel besprechen werden, soll uns aber nur der GABA-A-Rezeptor interessieren.

Der GABA-A-Rezeptor besteht aus fünf Untereinheiten, die unterschiedlich zusammengesetzt sein können. Die meisten von ihnen enthalten zwei alpha-, zwei beta- und eine gamma-Untereinheit, die wie folgt angeordnet sind: alpha-beta-alpha-beta-gamma. Von der alpha-Untereinheit gibt es sechs verschiedene Versionen, von den beta- und gamma-Untereinheiten jeweils drei. Zusammen bilden sie einen Kanal, der in geöffnetem Zustand Chloridionen hindurchlässt.

Ein Chloridion ist ein einfach negativ geladenes Chloratom, ein Anion. Es entsteht, indem ein neutral geladenes Chloratom ein negativ geladenes Elementarteilchen, das Elektron, aufnimmt und somit selbst eine negative Ladung erhält. Ein positiv geladenes Ion hingegen wird Kation genannt. Es entsteht, wenn ein Atom ein Elektron abgibt und dadurch eine positive Ladung erhält. Ein Kation und ein Anion ergeben zusammen ein Salz. Zum Beispiel besteht Natriumchlorid, das Kochsalz, aus dem Natrium-Kation und dem Chlorid-Anion.

Nun aber zurück zum GABA-A-Rezeptor. Da das mit seinen Untereinheiten vielleicht etwas kompliziert ist, wir das Wissen aber fürs Verständnis der Arzneimittel brauchen, versuche ich es etwas bildlicher darzustellen. Stellt euch also vor, ihr habt fünf Wiener Würstchen in der geschlossenen Faust. Oben fünf Enden und unten fünf Enden.

Alle Würstchen zusammen betrachtet, stehen für den GABA-A-Rezeptor, und jedes Einzelne von ihnen soll eine Untereinheit darstellen. Die oberen Enden der Würstchen befinden sich quasi außerhalb der Zelle, und die unteren ragen in sie hinein. Wenn ihr den Griff etwas locker lasst, bildet sich zwischen den Würstchen ein Kanal, der den Chloridionen-Kanal darstellen soll. Wenn ihr da jetzt Ketchup reinlaufen lasst und so tut, als würde es sich dabei um die Chloridionen handeln, dann schmecken die Würstchen auch gleich viel besser.

Der GABA-A-Rezeptor besitzt zwei Bindungsstellen für GABA. Diese befinden sich zwischen den beiden alpha- und beta-Untereinheiten. Wenn also zwei GABA-Moleküle an je eine dieser Stellen binden, ändert sich die räumliche Anordnung des Rezeptors, wodurch die Wahrscheinlichkeit größer wird, dass sich dessen Kanal öffnet und Chloridionen ins Innere der Nervenzelle strömen. Die Erregbarkeit der Nervenzelle wird dadurch herabgesetzt, sie wird also gehemmt.

Welche Auswirkungen das haben kann, betrachten wir bei den Arzneimitteln, die an den GABA-A-Rezeptor binden können. Wir beginnen mit den Benzodiazepinen, deren Bindungsstelle zwischen der alpha- und der gamma-Untereinheit liegt. Wie erwähnt, gibt es sechs verschiedene alpha-Untereinheiten, von denen die Benzodiazepine an vier von ihnen binden können.

Sobald ein Benzodiazepin an den GABA-A-Rezeptor bindet, ändert sich dessen Gestalt, was zur Folge hat, dass GABA leichter daran binden und den Chloridionen-Kanal öffnen kann. Wäre theoretisch kein freies GABA vorhanden, das an den GABA-Rezeptor binden könnte, würde sich der Kanal auch dann nicht öffnen, wenn ein Benzodiazepin daran gebunden wäre. Die Wirkung von Benzodiazepinen ist also immer die Wirkung von GABA und somit auf dessen maximale Wirkung beschränkt. Da sie alle an die gleiche Stelle des Rezeptors binden, wirken die verschiedenen Benzodiazepine auch weitgehend gleich. Sie unterscheiden sich allerdings hinsichtlich ihrer Wirkstärke.

Zu den Benzodiazepinen gehören zum Beispiel Diazepam, Lorazepam, Alprazolam, Midazolam und viele weitere Wirkstoffe, die meistens auf -azepam oder -zolam enden. Man kann sie bei Schlafstörungen, zur Verminderung von Angstzuständen (Anxiolyse), zur Muskelentspannung (Muskelrelaxation), bei Krampfanfällen und zur akuten Beruhigung einsetzen.

Benzodiazepine sind gut wirksam, allerdings besteht bei ihnen immer das Risiko, eine körperliche und psychische Abhängigkeit zu entwickeln. Um das Risiko möglichst klein zu halten, sollten sie deshalb grundsätzlich nur kurzfristig und in einer möglichst geringen Dosis eingesetzt werden.

Werden Benzodiazepine längerfristig eingenommen, müssen sie langsam – also über mehrere Wochen hinweg – ausgeschlichen werden, um Entzugssymptome zu reduzieren. Ausschleichen bedeutet, dass man die Dosis langsam reduziert. Zum Beispiel indem man statt einer ganzen Tablette am Tag nur noch eine halbe einnimmt, falls diese teilbar ist. Man kann alternativ aber auch das Dosierungsintervall vergrößern und statt einer Tablette täglich nur noch eine alle zwei Tage schlucken.

Bei plötzlichem Absetzen kann es unter anderem verstärkt zu Schlaflosigkeit, Verwirrung und Angstzuständen kommen.

Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen haben die Z-Substanzen Zolpidem und Zopiclon den Vorteil, dass sie nur an eine der sechs alpha-Untereinheiten binden können, nämlich an alpha-1.

Das bedeutet, dass die Wirkung, die die Benzodiazepine an alpha-1 ausüben, bei den Z-Substanzen erhalten bleibt, dafür aber die angstlösende und muskelentspannende Wirkung, für die die alpha-2- und alpha-3-Untereinheiten verantwortlich sind, weitestgehend wegfallen.

Ein weiterer Vorteil der Z-Substanzen gegenüber den Benzodiazepinen ist, dass es bei ihnen zu geringeren Hangover-Effekten kommt, da ihre Halbwertszeiten relativ kurz sind und sie somit am nächsten Tag schon fast aus dem Körper verschwunden sind.

Die Halbwertszeit von Zolpidem beträgt 2,5 Stunden, was bedeutet, dass nach 2,5 Stunden nur noch die Hälfte des Zolpidems im Plasma vorhanden ist und nach weiteren 2,5 Stunden nur noch die Hälfte der Hälfte, bis es dann nach fünf Halbwertszeiten nahezu vollständig ausgeschieden ist. Bei Zopiclon dauert das doppelt so lange, da dessen Halbwertszeit 5 Stunden beträgt.

Obwohl die Hangover-Effekte geringer sind, kommt es bei den Z-Substanzen, wie bei den Benzodiazepinen auch, vor allem bei älteren Menschen zu Tagesmüdigkeit und einer erhöhten Sturzgefahr. Um das Risiko zu senken, sollte deshalb im Alter jeweils nur die halbe Dosis eingenommen werden.

Bei den Z-Substanzen beträgt die Standarddosis für jüngere Erwachsene 10 Milligramm für Zolpidem und 7,5 Milligramm für Zopiclon. Ältere Menschen können entweder auf teilbare Tabletten oder auf welche mit der Hälfte des Wirkstoffs zurückgreifen.

Egal wie hoch die Dosis letztendlich ist, es empfiehlt sich, die Tablette immer direkt vor dem Schlafengehen einzunehmen, da die Wirkung innerhalb einer halben Stunde eintritt und es zu Gangstörungen und Schwindel kommen kann.

Ein bekanntes Problem dieser Substanzen ist, dass sie zu einem Gedächtnisverlust für die Zeit vor und während des Schlafes führen können. Es wurde von Menschen berichtet, die sich nachts am Kühlschrank bedienten und sich wunderten, warum sie zunahmen, aber auch von Menschen, die sich während des Schlafs ins Auto setzten und durch die Gegend fuhren.

Weitere Nebenwirkungen, die allgemein auftreten können, sind Albträume, Halluzinationen, aber auch Depressionen. Bei Zolpidem können außerdem Magen-Darm-Probleme und Rückenschmerzen auftreten, bei Zopiclon hingegen kommt es häufig zu einer Mundtrockenheit, wodurch Karies begünstigt wird. Mehr zu Karies in Kapitel 6.

Wenn man für sich keine bessere Alternative gefunden hat und eine Z-Substanz verordnet wurde, sollte man darauf achten, dass man auch diese Wirkstoffe nur kurzfristig einnimmt, da – wie bei den Benzodiazepinen – ein Abhängigkeitspotenzial besteht. Die Einnahme sollte höchstens zwei Wochen betragen, mit weiteren zwei Wochen, in denen man das Arzneimittel dann langsam wieder ausschleicht.

Würde man die Tabletten einfach weglassen, bestünde auch hier die Gefahr, dass man unter einer verstärkten Schlaflosigkeit leidet, aber auch dann könnten Halluzinationen sowie Gedächtnisstörungen und Schwindel auftreten.

Die früher häufig als Schlafmittel verwendeten Barbiturate werden heutzutage aufgrund ihrer Nebenwirkungen nicht mehr eingesetzt. Vor allem der Wirkstoff Barbital wurde sehr häufig für Suizide benutzt.

Barbiturate binden an die beta-Untereinheit des GABA-A-Rezeptors und erhöhen dadurch ebenfalls dessen Öffnungswahrscheinlichkeit. Das Problem ist hier allerdings, dass ihre Wirkung nicht wie bei den Benzodiazepinen und den Z-Substanzen auf die maximale Wirkung von vorhandenem GABA beschränkt ist. In höheren Dosen können Barbiturate den Chloridkanal auch ohne GABA öffnen, was zu einer Atemdepression führen kann. Als Atemdepression wird eine Verringerung der Atemfrequenz bezeichnet, man atmet dementsprechend weniger häufig ein und aus. Dadurch wird der Körper mit weniger Sauerstoff versorgt, und der Kohlenstoffdioxidgehalt steigt im Blut an. Im schlimmsten Fall kann das zu einem Atemstillstand und damit zum Tod führen.

Dieser Effekt wird allerdings auch ausgenutzt. In den USA werden unter anderem Barbiturate bei Hinrichtungen eingesetzt und in der Schweiz zur Sterbehilfe.

Die Gefahr einer Atemdepression besteht bei Benzodiazepinen und Z-Substanzen nicht. Es sei denn, man schluckt sie, wenn man bereits Alkohol im Blut hat. Das liegt daran, dass Alkohol (Ethanol) allein nicht nur die Menge an GABA erhöhen, sondern ebenfalls an den GABA-A-Rezeptor binden und in niedriger Dosis die Wirkung der Benzodiazepine beziehungsweise der Z-Substanzen verstärken kann.

So leid es mir tut, kann ich dem netten Mann weder Zolpidem noch Zopiclon ohne Rezept geben.

»Für Zolpidem und Zopiclon brauchen Sie ein Rezept. Beide Wirkstoffe sind verschreibungspflichtig!« Er blickt mich nun noch wütender an.

»Ich habe jetzt aber kein Rezept. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es sich um einen Notfall handelt! Ich kann, verdammt nochmal, nicht schlafen!«

»Wie gesagt, Sie benötigen dafür leider ein Rezept. Was ich Ihnen aber geben kann …« Er schüttelt wütend den Kopf.

»Das ist doch hier der Notdienst, und ich habe einen Notfall! Warum können Sie mir die Tabletten dann nicht einfach geben.«

»Weil man selbst im Notdienst für verschreibungspflichtige Arzneimittel ein Rezept benötigt.«

»Mein Gott, sind Sie unflexibel. Ich bringe Ihnen Ihr scheiß Rezept ja morgen, nachdem ich bei meinem Arzt war.«

»Das ist leider nicht möglich, die Verordnung muss vor der Abgabe vorliegen!«

»So was wie Sie habe ich noch nie erlebt! Was verstehen Sie nicht an Notfall?« Langsam, aber sicher bröckelt mein Pokerface.

»Wenn es ein Notfall ist, wird Ihnen ein Arzt im Krankenhaus sicherlich ein Rezept ausstellen. Alternativ können Sie aber auch den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der 116 117 anrufen. Die können Ihnen da ebenfalls ein Rezept ausstellen. Ohne Rezept kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, zumindest dann nicht, wenn Sie unbedingt etwas Verschreibungspflichtiges haben möchten. Ansonsten könnten Sie heute Nacht auch ein rezeptfreies Antihistaminikum einnehmen und morgen dann zum Arzt gehen und sich Zolpidem verordnen lassen«, schlage ich vor. Mehr zu Antihistaminika als Schlafmittel steht in Kapitel 13.

»Die habe ich früher wie Smarties geschluckt, die bringen bei mir gar nichts mehr. Die können Sie also getrost in die Tonne kloppen!«

»Dann, bei allem nötigen Respekt, fürchte ich, dass Ihnen nichts anderes übrig bleiben wird, als sich jetzt noch um ein Rezept zu kümmern«, erwidere ich ruhig und sachlich.

»Wissen Sie was? Sie können mich mal!« Wütend dampft er ab, während ich kopfschüttelnd die Notdienstklappe wieder verschließe, in der Hoffnung, gleich auch wieder meine Augen schließen zu können.

Zurück im Pausenraum. Ich hänge den Kittel schön säuberlich über den Stuhl des Esstisches und stelle die Schlappen so an mein Bett, dass ich nur hineinschlüpfen muss, wenn der Nächste mich aus dem Schlaf reißt, und schalte das Licht aus. Gute Nacht.

Kapitel 2

Wie man Trockensäfte richtig zubereitet und was man über Penicilline wissen sollte

Mein Schlaf wird erneut unterbrochen. Schuld daran ist dieses Mal das Telefon, das relativ laut »Für Elise« spielt. Auch wenn ich das Telefon zuvor auf maximale Lautstärke gestellt habe, damit ich im Tiefschlaf auch ja keinen Anruf verpasse, ist dessen Klingeln wesentlich angenehmer als das der vermaledeiten Notdienstklingel. Ich hebe ab: »Ninja Apotheke, #DerApotheker, guten Tag!« Es fühlt sich jedes Mal komisch an, nachts »Guten Tag« zu sagen, aber »Gute Nacht« wäre wohl auch nicht so ganz passend.

»Hallo, Müller hier. Haben Sie offen?«, meldet sich eine Frauenstimme.

»Hallo. Nein, ich habe nicht offen. Ich habe Notdienst«, antworte ich in einem freundlichen Ton.

»Meine ich ja!«, erwidert sie lachend. »Dann würde ich in einer halben Stunde vorbeikommen. Ich brauche ein Antibiotikum für meine Tochter.«

»Alles klar. Bis gleich.«

Ich lege das Telefon wieder auf den Stuhl, der direkt neben der Couch steht und im Notdienst mein Nachttischschränkchen spielt. Ich ärgere mich darüber, dass ich vergessen habe, sie zu fragen, welches Antibiotikum sie benötigt. Falls ich es dann doch nicht am Lager haben sollte, werde ich in wenigen Minuten nicht nur umsonst von ihr geweckt, sondern viel schlimmer: Sie hätte sich den Weg zu mir sparen und eine andere Notdienstapotheke aufsuchen können.

Ich werfe noch einen Blick auf meine Uhr, bevor ich versuche weiterzuschlafen. Kurz nach halb vier.

Dass Menschen im Notdienst anrufen, ist verständlich. Wir haben auch kein Problem damit, wenn man bei manchen Arzneimitteln nachfragt, ob wir sie da haben, da man nicht umsonst kommen möchte. Was wir in der Regel aber nicht so toll finden, ist, wenn man uns nur aus dem Schlaf reißt, um sich zu versichern, ob wir auch wirklich da sind. Ja, sind wir. Wir haben ja schließlich Notdienst. Zwinkersmiley

RIIIING, RIIIIIIING, RIIIIIIING.

Plop. Meine Augen öffnen sich schlagartig. Ich schalte das Licht an, schlüpfe in die Schlappen und greife nach dem Kittel. Die Frisur sitzt. Ich öffne die Tür und erkenne, dass ich vorhin vergessen habe, das Licht im Backoffice auszuschalten. Egal. Ich ziehe noch schnell meinen Kittel an und eile dann nach vorne zur Notdienstklappe.

»Hallo, ich hatte eben angerufen. Ich komme wegen des Antibiotikums.« Sie reicht mir ein Privatrezept herein.

»Hallo, ja. Ich gucke mal, ob es da ist. Ich habe vorhin im Halbschlaf leider vergessen zu fragen, um welches Antibiotikum es sich handelt. Ich hoffe, ich habe es da.« Sie antwortet nicht. Ich werfe einen Blick auf das Rezept und lese, dass ihrer fast zweijährigen Tochter ein »Phenoxymethylpenicillin-Trockensaft« verordnet wurde. Penicillin V.

Penicillin wurde 1928 durch Zufall von dem britischen Arzt und Forscher Alexander Fleming entdeckt. Er war damit zwar nicht der Erste, aber sein Fund gelang dafür an eine breitere Öffentlichkeit.

Kurz bevor Fleming 1928 in den Sommerurlaub ging, züchtete er in einer Petrischale Bakterien an. Sogenannte Staphylokokken. Nach seiner Rückkehr fiel ihm nicht nur auf, dass er wohl eine Platte nicht entsorgt hatte, sondern, dass sich darauf auch noch Schimmel (Penicillium notatum) gebildet hat.

Das Interessante daran war, dass sich die Bakterien um den Schimmel herum nicht mehr vermehrten. Der Schimmelpilz musste also irgendeine Substanz bilden, die bakterienabtötende Eigenschaften besitzt. Er nannte diese Substanz Penicillin. Wie sich später aber herausstellte, war es nicht nur eine einzige Substanz, sondern ein Gemisch mehrerer Substanzen.

Das erste Penicillin, das isoliert und eingesetzt wurde und auch heute noch eingesetzt wird, ist das Benzylpenicillin oder auch Penicillin G genannt. Allerdings hat es einen entscheidenden Nachteil: Es ist säurelabil. Das heißt, man kann Penicillin G nicht in Form von Tabletten einnehmen, weil die Magensäure es unwirksam machen würde. Es muss stattdessen gespritzt werden.

Das erste säurestabile Penicillin, das man deshalb nicht mehr spritzen musste, war das Phenoxymethylpenicillin oder auch Penicillin V genannt. Man kann es als Tabletten einnehmen oder, wie Frau Müllers zweijährige Tochter, in Form eines Trockensaftes.

Ein Trockensaft ist ganz allgemein ein Pulver, das durch das Zufügen von Wasser zu einem Saft wird. Löst sich das Pulver darin komplett, erhält man eine Lösung, löst es sich nur wenig bis gar nicht, erhält man eine Suspension. Bei einer Suspension kann sich das Pulver deshalb am Boden der Flasche absetzen, sodass man sie schütteln muss, bevor man den Saft verabreicht. Würde der Hersteller das Wasser bereits zugeben, wäre die Haltbarkeit reduziert und es bestünde die Gefahr, dass sich das abgesetzte Pulver schwer aufschütteln ließe.

Man ordnet die Penicilline G und V in die Gruppe der Betalaktam-Antibiotika ein. Ihre Wirkung besteht darin, dass sie in den Stoffwechsel sich teilender Bakterien eingreifen, indem sie die Bildung von Bakterienzellwänden blockieren, was zur Folge hat, dass die Bakterien absterben. Sie wirken also bakterizid, wobei die bakterizide Wirkung von Penicillin G doppelt bis vierfach so groß ist wie die von Penicillin V.

Beide Penicilline haben gemein, dass sie empfindlich gegenüber dem Enzym Penicillinase sind, welches von manchen Bakterien dafür eingesetzt wird, um sich gegen das Penicillin zur Wehr zu setzen und es zu zerstören, sodass es seine Wirkung verliert.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist ihr praktisch identisches Wirkspektrum, das sich vor allem gegen grampositive Bakterien richtet.

Wenn man Bakterien nach dem Aufbau ihrer Zellwände unterscheiden möchte, führt man eine sogenannte Gramfärbung durch – benannt nach dem dänischen Bakteriologen Hans Christian Gram. Dazu färbt man die Bakterien zunächst an und behandelt sie anschließend mit Alkohol, was bei den gramnegativen Bakterien wieder zu einer Entfärbung führt.

Der Grund dafür ist, dass die grampositiven Bakterien eine dicke, mehrschichtige und färbbare Hülle aus Murein, einer Zuckerverbindung, besitzen, während die gramnegativen Bakterien nur eine einfache Mureinschicht aufweisen. Dafür enthalten die gramnegativen Bakterien aber eine weitere, sie schützende Membran um diese einfache Mureinschicht herum, weshalb sie im Großen und Ganzen schwerer zu bekämpfen sind. Zu wissen, ob Bakterien grampositiv oder gramnegativ sind, hilft dementsprechend ein geeignetes Antibiotikum auszuwählen.

Um herauszufinden, ob ich einen Phenoxymethylpenicillin-Trockensaft da habe, lasse ich mir über die Wirkstoffsuche alle Trockensäfte mit diesem Wirkstoff anzeigen.

Jap, ich habe sowohl eine 100-Milliliter-Flasche als auch eine Doppelpackung mit insgesamt 200 Millilitern am Lager.

Leider hat mir der Arzt nicht aufs Rezept geschrieben, welche Packungsgröße ich nun abgeben soll. Stattdessen war er aber so freundlich, mir eine kleine Rechenaufgabe zu stellen. Auf dem Rezept steht: »720.000 I.E. pro Tag. Dreimal am Tag. Zehn Tage lang.«

Und genau das, meine Damen und Herren, bedeutet einer der nervigsten Sätze aus Schule und Studium: Das musst du im Schlaf können! Na gut.

Die Abkürzung I.E. steht für Internationale Einheiten und ist in dem Fall historisch bedingt.

Als man anfangs Penicillin mithilfe verschiedener Schimmelpilze herstellte, erhielt man immer unterschiedlich zusammengesetzte Mischungen verschiedener Penicilline. 1 Gramm der Penicillin-Mischung einer bestimmten Charge hatte dementsprechend nicht die gleiche Wirkung wie 1 Gramm einer anderen Charge.

Mit anderen Worten, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, benötigte man von der einen Charge vielleicht 1 Gramm, von der anderen vielleicht 1,5 Gramm.

Man konnte dementsprechend nicht jede Ampulle mit der gleichen Menge an Flüssigkeit füllen, da der Inhalt jeder Ampulle schließlich die gleiche Wirkstärke haben musste.

Also ordnete man einer bestimmten Wirkung eine bestimmte Anzahl an Einheiten zu und füllte die Ampullen fortan mit der gewünschten Anzahl an Einheiten. So konnte man sich immer sicher sein, dass der Inhalt jeder Ampulle gleich stark wirkte, egal, wie viel Flüssigkeit darin war.

Später vereinheitlichte man das auch länderübergreifend mit der Einführung der Internationalen Einheiten, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittels international vereinbarter Standards definiert wurden.

Während dieser Vorgang damals noch unumgänglich war, so ergibt das heute bei dem Einsatz reiner Substanzen wie Penicillin G oder Penicillin V keinen Sinn mehr.

1 Milligramm Penicillin V, welches der Arzt jetzt verordnet hat, entspricht immer genau 1695 Internationalen Einheiten.

Aber nicht nur bei den Penicillinen verwendet man noch die Angabe der Internationalen Einheiten, sondern zum Beispiel ebenfalls bei Vitamin D3, Heparin und Insulin.

Ich reibe meine müden Augen und beginne zu rechnen: 720.000 I.E. pro Tag bei drei Gaben bedeutet 240.000 I.E. als Einzeldosis.

Wurde der Trockensaft korrekt nach Packungsbeilage hergestellt, befinden sich in 5 Millilitern 300.000 I.E. und somit 60.000 I.E. in 1 Milliliter. (300.000 : 5 = 60.000).

60, 120, 180, 240. Es werden also 4 Milliliter als Einzeldosis benötigt. Dreimal am Tag 4 Milliliter für zehn Tage, ergibt 12 Milliliter pro Tag und 120 Milliliter insgesamt.

Auch wenn damit klar ist, dass sie mit einer Flasche nicht hinkommen wird und eigentlich die Doppelpackung mit zweimal 100 Millilitern benötigt, darf ich sie nicht abgeben, da der Arzt leider keine Packungsgröße angegeben hat.

Wird diese nämlich nicht explizit angegeben, hat das zur Folge, dass wir in Deutschland nur die kleinste im Handel befindliche Verpackung abgeben dürfen.

Dass darauf nicht geachtet wird, kommt bei Rezepten, die nachts im Krankenhaus verordnet werden, sehr häufig vor. Für die Kundin bedeutet das, dass sie nochmal zum Kinderarzt muss, um sich dort einen weiteren Saft verordnen zu lassen.

Ich tippe die PZN in den Computer ein. PZN steht, wie die Leser meines ersten Buches schon wissen, für Pharmazentralnummer. Durch diese Nummer wird so ziemlich alles, was man in der Apotheke kaufen kann, eindeutig gekennzeichnet. Auch dieser Trockensaft.

Da er auf einem Privatrezept verordnet wurde, muss ich auch nicht auf Rabattverträge achten, da es diese nur bei gesetzlichen Krankenversicherungen gibt. Außerdem gelten im Notdienst sowieso eigene Regeln, da ist das Wichtigste, dass die Menschen sofort mit ihren dringend benötigten Arzneimitteln versorgt werden.

Der Saft fällt nach einem kurzen Rumpeln ins Ausgabefach.

»Kennen Sie sich mit der Herstellung eines Trockensafts aus?«, frage ich die Mutter.

»Ich muss den Saft selbst herstellen?« Sie blickt mich schockiert an.

»Ja, aber das ist nicht allzu kompliziert. Zuerst befüllen Sie einen Messbecher mit kaltem Leitungswasser. Dann schütteln Sie das sich in der Flasche befindliche Pulver auf, damit es schön locker ist und gießen nun vorsichtig das Wasser aus dem Messbecher in die Flasche. Zuerst aber noch nicht ganz bis zur Markierung. Dann verschließen Sie die Flasche und schütteln, schütteln, schütteln. Das Ganze wird dann ein wenig schäumen. Sobald sich der Schaum abgesetzt hat, füllen Sie die Flasche genau bis zur Markierung auf und schütteln dann so lange, bis sich alles gelöst hat. Das war’s.«

»Okay, verstehe. Was ist, wenn ich versehentlich zu viel Wasser hinzugegeben habe?«, fragt sie mich mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

»Würden Sie zu viel Wasser in die Flasche füllen und damit den Saft zu stark verdünnen, würde die vom Arzt vorgegebene Konzentration nicht mehr stimmen. Somit wären in den 4 Millilitern keine 240.000 I.E., sondern weniger. Ihre Tochter bekommt dann eine zu geringe Dosis. Die Höhe der Dosis und wie oft Sie diese verabreichen müssen, richten sich unter anderem danach, wie schwer die Infektion ist. Obwohl Phenoxymethylpenicillin einen breiten Dosierungsspielraum hat, könnte es sein, dass das Antibiotikum möglicherweise nicht richtig wirkt.«

»Hmm. Okay. Und wie könnte ich das dann noch retten?«

»Im Prinzip müssten Sie ausrechnen, in welchem Volumen Wasser sich die 240.000 I.E. dann befinden. Also wie viel Milliliter Sie ihr stattdessen verabreichen müssten. Da Sie das zu Hause aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht genau bestimmen können, sollten Sie das Wasser wirklich einfach sehr vorsichtig hinzugeben.«

»Aber macht das denn so einen großen Unterschied, wenn ich über der Markierung bin?«

»Wir können das ja mal kurz rechnen«, sage ich und unterdrücke ein Gähnen. »Aus einer 100 Milliliter Flasche bekommt man 25 Portionen à 4 Milliliter heraus. Angenommen, Sie würden 5 Milliliter zu viel in die Flasche füllen …« Ich unterbreche und tippe »5 : 25« in meinen Taschenrechner ein, den ich jetzt doch noch extra rausgekramt habe. Als ich das Ergebnis sehe, ärgere ich mich ein wenig, dass ich das nicht im Kopf gerechnet habe. »… dann würden Sie pro Portion 0,2 Milliliter mehr Trockensaft benötigen, um die gleiche Menge Antibiotikum, also die 240.000 I.E., verabreichen zu können. Die Konzentration des Saftes beträgt im Normalfall 300.000 I.E. pro 5 Milliliter, das heißt, dass in 100 Millilitern zwanzigmal 300.000 I.E. drin wären, also insgesamt 6.000.000 I.E. Hätte man statt 100 Milliliter aber 105 Milliliter, weil man 5 Milliliter zu viel Wasser hineingegeben hat, wären die 6.000.000 I.E. nicht mehr in 100 Millilitern, sondern stattdessen in 105 Milliliter enthalten und dementsprechend, ähm …« Ich tippe erneut die Zahlen in den Taschenrechner ein. »… rund 228.500 I.E. statt den gewünschten 240.000 i.E. in 4 Millilitern. Für ein Kind in dem Alter beträgt die Dosierung 600.000 bis 900.000 I.E., Sie wären mit rund 690.000 Einheiten pro Tag zwar noch im Rahmen, aber der Arzt hat 720.000 Einheiten festgelegt.«

»Okay, das ist mir zu kompliziert, ich werde einfach aufpassen!« Sie lacht laut auf.

»Das ist eine ausgezeichnete Idee«, erwidere ich grinsend. »Worauf Sie ebenfalls achten müssen, ist, dass Sie ihr den Saft am besten ziemlich genau alle acht Stunden, jeweils eine Stunde vor einer Mahlzeit, verabreichen. So erreichen Sie eine möglichst hohe Aufnahme des Antibiotikums in den Körper. Falls das aber aus irgendeinem Grund nicht klappen sollte, wäre es auch in Ordnung, wenn Ihre Tochter ihn dann während der Mahlzeiten einnimmt.«

»Warum schmecken diese Säfte eigentlich so eklig?«

»Der ekelhafte Geschmack liegt am Eigengeschmack des Wirkstoffs Phenoxymethylpenicillin. Damit die Kinder den Saft aber trotzdem irgendwie runterbekommen, werden extra Aromastoffe hinzugegeben. Lecker ist er deswegen trotzdem nicht.«

Sie verzieht ihr Gesicht.

»Was, wenn sie ihn gleich wieder ausspuckt, weil sie ihn ekelig findet?«

»Dann können Sie den Saft mit einer Einmalspritze aufziehen und ihn ihr direkt, an den Geschmacksknospen vorbei, in die Backentasche spritzen. Danach sollte sie sofort etwas trinken. Natürlich wird sie ihn trotzdem eklig finden, aber mit Glück etwas weniger.«

»Kann ich ihr den antibiotischen Saft denn nicht in irgendeinen Fruchtsaft mischen?«

»Das geht auch, ja. Wichtig ist dabei nur, dass sie den Saft dann auch wirklich komplett trinkt.«

»Okay, wir werden das schon irgendwie schaffen.«

»Ja, auf jeden Fall. Ansonsten ist noch zu beachten, dass Sie den Saft nach der Anwendung in den Kühlschrank stellen, da er zwischen 2 und 8 Grad Celsius gelagert werden muss.«

»Alles klar. Das bekomme ich auch noch hin.«

Ich scanne den Saft gegen und stelle ihn auf die Notdienstklappe.

Am 9. Februar 2019 startete in Deutschland das securPharm-System, das verschreibungspflichtige Arzneimittel in Echtzeit daraufhin überprüft, ob sie gefälscht sind oder nicht. Beim Wareneingang werden die Arzneimittel in das System eingebucht und mit dem Gegenscannen bei der Abgabe wieder ausgebucht.

»14,86 Euro wären das dann bitte für den Saft und 2,50 Euro Notdienstgebühr.«

Sie kramt in ihrer Tasche und zieht einen 20-Euro-Schein heraus und legt ihn mir hin.

»Danke für die ausführliche Beratung. Stimmt so. Gute Nacht!«

»Gern und Danke! Ihnen auch eine gute Nacht.«

Ich verschließe die Notdienstklappe und mache mich auf den Weg zurück in mein Schlafzimmer. Dieses Mal schalte ich das Licht aus. Es ist mittlerweile vier Uhr. Ich will schlafen.

Kapitel 3

Was Ashwagandha ist und warum man lieber darauf verzichten sollte

Das Telefon reißt mich erneut aus dem Schlaf. Völlig übermüdet greife ich danach und nehme den Anruf entgegen.

»Ninja Apotheke, #DerApotheker, guten Tag!«

»Hallo, Aschmanda?«, ertönt eine Männerstimme.

»Nein, hier ist #DerApotheker!«

»Nein, nein! Ich will Aschmanda kaufen!«

»Aschmanda?«

»Aschmanda!«

»Meinen Sie vielleicht Ashwagandha?«

»Ja, sage ich doch! Ashwagandha!«

Ashwagandha ist der sanskritische Name für die Schlafbeere (Withania somnifera), die auch als Winterkirsche und manchmal sogar als indischer Ginseng bezeichnet wird. Übersetzt bedeutet Ashwagandha so viel wie »Geruch des Pferdes«. Wer’s mag.

Ashwagandha wird vor allem in der traditionellen indischen Heilkunst Ayurveda in über 200 verschiedenen Zubereitungen eingesetzt. Ayurveda existiert bereits seit über 3000 Jahren, ist aber im Großen und Ganzen nicht mit dem heutigen Stand der Wissenschaft zu vereinbaren.

Neben der Tollkirsche, dem Bilsenkraut, der Kartoffel und vielen weiteren Pflanzen gehört Ashwagandha zur Familie der Nachtschattengewächse, denen allen gemein ist, dass sie giftige Glykoalkaloide enthalten, wobei man nicht vergessen darf, dass letztendlich die Dosis das Gift macht. Mehr zu Alkaloiden steht in Kapitel 7.

Und ja, auch die Kartoffel enthält giftige Alkaloide, weshalb man von ihr nicht beliebig viel essen darf und sie 2022 sogar zur Giftpflanze des Jahres gekürt wurde. Herzlichen Glückwunsch.

Ashwagandha, das in Indien in etwa den Stellenwert von Ginseng in China hat, wird zahlreiche Wirkungen nachgesagt. Die Wurzel dieser Pflanze, die Withanolide, Withanolidglycoside und Alkaloide enthält, wird unter anderem bei innerer Unruhe, zur Stärkung der Leistungsfähigkeit, bei Schlafproblemen, bei Rheuma, Gedächtnisverlust, Altersgebrechen, bei Entzündungen, bei Bronchitis, bei Krätze, bei Geschwüren, zur Abtreibung, bei Impotenz und als Aphrodisiakum eingesetzt.

Außerdem soll sie lebensverlängernd, verjüngend und beruhigend wirken. Werden so viele verschiedene Wirkungen versprochen, die teilweise unterschiedlicher gar nicht sein können, ist immer eine gewisse Portion Skepsis geboten, denn behaupten kann man grundsätzlich erstmal alles. Das Ganze auch noch durch seriöse wissenschaftliche Studien zu beweisen ist oft das Problem.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ashwagandha therapeutischen Nutzen haben könnte, allerdings ist dieser nicht eindeutig nachgewiesen. Gerade bei Pflanzen kann entscheidend sein, welches Lösungsmittel beziehungsweise Lösungsmittelgemisch man verwendet. Wird die Pflanze als »Tee« aufgegossen, lösen sich nur die wasserlöslichen Verbindungen. Wäre die wirksame Verbindung aber nicht wasserlöslich, sondern zum Beispiel nur in Alkohol, würde ein wässriger Aufguss nicht viel bringen.

Die Verbraucherzentrale rät von Ashwagandha-Präparaten ab, da wissenschaftliche Daten fehlen und nicht klar ist, ob sie eine Gesundheitsgefahr darstellen oder nicht.

Aus diesem Grund wurde Ashwagandha in der EU laut Novel-Food-Katalog letztendlich nicht als neuartiges Lebensmittel eingeordnet, sondern eben nur als Lebensmittel.

Als neuartige Lebensmittel (Novel Foods) werden Lebensmittel definiert, die vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nicht in einem nennenswerten Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Sie unterliegen im Gegensatz zu (normalen) Lebensmitteln EU-weiten einheitlichen Regelungen und müssen, bevor sie auf den Markt gebracht werden, gesundheitlichen Bewertungen unterzogen werden, die vor allem dem Schutz der Gesundheit des Menschen dienen.

Letztendlich bedeutet das, dass die Ashwagandha-Präparate ganz ohne vorherige Zulassung in den Verkehr gebracht werden können und man somit als Verbraucher den Firmen vertrauen muss, dass deren Einnahme tatsächlich ungefährlich ist.

Auf der sicheren Seite ist man grundsätzlich immer dann, wenn das pflanzliche Präparat durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen wurde, denn dann muss dessen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachgewiesen werden. Ob das für Ashwagandha jemals passieren wird, wage ich zu bezweifeln.

Auch wenn er es am anderen Ende des Telefons nicht sehen kann, schüttle ich meinen Kopf.

»Nein, tut mir leid. Wir haben kein Ashwagandha«, sage ich und spare mir den Zusatz, dass das auch kein Fall für den Notdienst ist.

»Kann ich es bestellen und nachher abholen?«

»Okay. Moment, bitte! Ich gehe kurz vor an den Computer. Aber vor heute Mittag wird das so oder so nicht da sein!« Ich zögere noch einen Moment, bevor ich aufstehe.

»Heute Mittag erst? Nein, das ist mir zu spät!« Tut, tut, tut. Hmm. Okay. Dann halt nicht. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es kurz nach fünf Uhr ist. Knapp zwei Stunden lang kann ich noch schlafen. Falls man mich lässt.

Man lässt mich. Es ist Punkt sieben Uhr, als mein Smartphone-Wecker klingelt. Ich will schlafen, aber das Gerät kennt keine Gnade. Widerwillig erhebe ich mich und schalte das Licht an.

Nun das Wichtigste zuerst. Tee kochen. Ich kippe eiskaltes Leitungswasser in den Wasserkocher und stelle ihn an. Anschließend verbinde ich meinen Bluetooth-Lautsprecher mit meinem Smartphone und starte meine Playlist. J Balvin. »Amarillo«. Buenas Vibras.

Während die Musik läuft und der Wasserkocher langsam zu zischen beginnt, verziehe ich mich ins Bad, das sich direkt neben dem Pausenraum befindet, und hüpfe kurz unter die Dusche. Die Tür bleibt aus dem gleichen Grund offen, wie aus dem, warum ich nicht die Musik so laut aufdrehen kann, wie ich gern möchte: Es könnte jederzeit jemand klingeln. Schließlich habe ich immer noch Notdienst.

Nach ein paar Minuten gehe ich zurück in den Pausenraum. Es läuft gerade »Dákiti« von Bad Bunny und Jhay Cortez. Das Wasser im Wasserkocher dürfte jetzt ungefähr 80 Grad Celsius haben. Perfekt für meinen grünen Tee. Da ich diesen normalerweise nur zu Hause trinke, habe ich mir extra mein Teesieb und ausreichend losen Tee für eine Tasse mitgebracht.

Ich hole eine Tasse aus dem Schrank, gebe das Teesieb hinein und in dieses einen Teelöffel meines grünen, mit Zitronenschalen aromatisierten Tees und gieße ihn auf.

»Hey, Google. Timer drei Minuten.«

Während der Tee zieht, ziehe auch ich. Und zwar das Bett ab. Ich werfe die Bezüge in den Wäschekorb, verstaue die Bettwäsche im Flurschrank und klappe die Schlafcouch zusammen. Der Timer klingelt, und ich entferne das Sieb aus der Tasse. Meine Uhr verrät mir, dass meine Kollegin Anna jeden Moment kommen müsste. Da heute Samstag ist, sind wir den ganzen Tag nur zu zweit, haben dafür aber schon um 14 Uhr Feierabend.

Bevor wir dann gleich gemeinsam die Schütten und die Gehwegreiter mit unseren aktuellen Angeboten vor die Apotheke stellen, muss ich aber noch etwas extrem Wichtiges erledigen: Mir eine Kanne meines geliebten, schwarzen Earl Grey Tees kochen, der mich die nächsten Stunden erfrischen wird.

Seit vielen Jahren trinke ich morgens zuerst einen grünen Tee, ohne Zucker, und im Anschluss schwarzen Earl Grey, mit fünf Zuckerwürfel auf einen Liter. So schmecken sie mir am besten. Das darin enthaltene Koffein pusht mich schon lange nicht mehr auf, weshalb ich grundsätzlich auch abends vor dem Schlafengehen schwarzen Tee trinke.

Ich bereite meine beiden Kannen vor und hole die Teedose aus dem Schrank. In die erste Kanne kommen die Teeblätter. Nachdem der Tee gezogen ist, wird er über ein Sieb in die zweite Kanne gegeben, um den Tee von den Blättern zu befreien. Als ich die Teedose jedoch öffne, wird mir klar, warum sie sich so leicht anfühlt. Sie ist leer. Verdammt. Ich hätte schwören können, dass ich noch genug dagehabt habe. Tja Pech. Zur Strafe muss ich heute wohl den ganzen Tag lang Wasser trinken.