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Wussten Sie, dass Ibuprofen tödlich sein kann, wenn Sie gleichzeitig ASS100 einnehmen? Haben Sie schon mal gehört, dass Johanniskraut die Wirkung der Anti-Baby-Pille reduziert? Und dass in pflanzlichen Arzneimitteln mehr Chemie steckt als in synthetischen? Viele Menschen kennen oft nicht die wichtigsten Fakten über die Tabletten, Sprays und Tropfen, die sie regelmäßig einnehmen. Dieses Buch klärt auf, wie die Bestseller aus der Apotheke wirken, was Sie bei der Einnahme beachten müssen und welche Mittel rausgeschmissenes Geld sind.
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Seitenzahl: 339
Wussten Sie, dass Ibuprofen tödlich sein kann, wenn Sie gleichzeitig ASS100 einnehmen? Haben Sie schon mal gehört, dass Johanniskraut die Wirkung der Anti-Baby-Pille reduziert? Und dass in pflanzlichen Arzneimitteln mehr Chemie steckt als in synthetischen? Viele Menschen kennen oft nicht die wichtigsten Fakten über die Tabletten, Sprays und Tropfen, die sie regelmäßig einnehmen. Dieses Buch klärt auf, wie die Bestseller aus der Apotheke wirken, was Sie bei der Einnahme beachten müssen und welche Mittel rausgeschmissenes Geld sind.
#DerApotheker schreibt unter einem Pseudonym, denn er spricht immer Klartext und das mögen nicht alle. Er hat Pharmazie studiert und arbeitet seit etwa zehn Jahren als approbierter Apotheker. Der Autor bloggt unter https://publikum.net/author/derapotheker/. Außerdem verfasst er medizinische Artikel für DocCheck.com und ist als @ApothekerDer auf Twitter aktiv.
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Da Sachbücher ein besonders hohes Maß an Übersichtlichkeit und Lesbarkeit beanspruchen, wurde beim Verfassen des vorliegenden Buches weitgehend auf geschlechtsneutrale Formulierungen verzichtet. Sofern es aus dem Kontext nicht anders hervorgeht, sind stets Frauen wie Männer gleichermaßen gemeint und angesprochen.
Originalausgabe
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Stefan Lutterbüse, Wiesbaden
Einband-/Umschlagmotiv: © Shutterstock: New Africa
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0426-7
luebbe-life.de
luebbe.de
lesejury.de
Für meine Familie
Als 17-Jähriger besuchte ich mit meinen Freunden oft eine Apotheke in meiner Heimatstadt, die einem Mann mittleren Alters gehörte. Wir ließen uns von ihm zu allen möglichen Dingen beraten und stellten ihm unendlich viele Fragen. Ganz egal, was wir wissen wollten, dieser Apotheker schien auf jede Frage eine Antwort zu haben. Das beeindruckte mich. Fortan hatte ich großen Respekt vor Apothekern und ihrem scheinbar endlosen Wissen. Und damals dachte ich tatsächlich, alle Apotheker wären so wie er.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade meine Mittlere Reife abgeschlossen und mit einer naturwissenschaftlichen Ausbildung begonnen. Selbst Apotheker zu werden schien für mich ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Die Jahre vergingen. Ich lebte längst in einer anderen Stadt, als ich mal wieder eine Apotheke aufsuchen musste. Dem Apotheker erklärte ich, dass ich mich ständig müde und erschöpft fühlte und deshalb einen Eisenmangel vermutete. Nachdem er sich das angehört hatte, empfahl er mir Lactose. Verunreinigte Lactose, um genau zu sein. Ferrum Phosphoricum D12. Ein Schüßler-Salz. Zwar keine Homöopathie, aber ebenfalls ohne Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Weil ich das damals jedoch nicht besser wusste, kaufte ich es. Ich ging davon aus, dass, wenn Eisen draufstünde, auch tatsächlich Eisen drin wäre. Es gab für mich keinen Grund, der Empfehlung eines Fachmannes zu misstrauen, und ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er mir nur ein teures Placebo verkaufen würde. Geholfen hat es mir jedenfalls nicht.
Heute bin ich selbst Apotheker und kann mir das Verhalten meines Berufskollegen von damals nicht erklären. Warum empfahl er mir nicht, zum Arzt zu gehen und meine Eisenwerte überprüfen zu lassen? Er hätte mir auch erstmal niedrig dosierte Eisentabletten zur kurzfristigen Einnahme mitgeben können. Auf jeden Fall hätte eine ordentliche Beratung stattfinden müssen, da diese Symptome auch ganz andere Ursachen haben können.
Doch warum gab er mir nun ein Schüßler-Salz mit? Weil er mich nicht ernst nahm und still und heimlich entschied, dass ich kein Eisen bräuchte? Ich weiß es nicht.
Das Pharmaziestudium ist ein extrem naturwissenschaftliches Studium, dementsprechend sollte die Apotheke ein Ort der Naturwissenschaft und nicht des Glaubens sein. Wenn ich also dort Rat suche, gehe ich davon aus, dass das Arzneimittel, das mir empfohlen wird, auch eine nachgewiesene Wirkung hat. Denn der Rat eines Fachmanns sollte möglichst auf wissenschaftlichen Fakten basieren.
Deshalb gehört es für mich zu einer guten Beratung dazu, nur das zu empfehlen, was nachweislich besser als ein Placebo wirkt. Es steht uns einfach nicht zu, für unsere Kunden zu entscheiden, ob sie nun ein richtiges Arzneimittel mit nachgewiesener Wirkung benötigen oder nur eines mit Placeboeffekt. Das wiederum wirft die Frage auf, warum wir in den Apotheken überhaupt »Arzneimittel« verkaufen dürfen, deren Wirkung nicht wissenschaftlich belegt ist. Wenn ich es entscheiden könnte, wären Apotheken frei von solchen »Arzneimitteln« und man bekäme nur die angeboten, die auch wirklich besser als ein Placebo wirken. Da wir aber leider noch nicht so weit sind, bleibt mir in solchen Situationen nichts anderes übrig, als die Kunden darauf hinzuweisen, dass sie sich das Geld für das »Arzneimittel«, was sie sich gerade kaufen möchten, genauso gut sparen können, da es sich dabei lediglich um ein Scheinmedikament handelt.
Auch wenn es für Apotheken überlebenswichtig ist, Gewinn zu machen, bin ich der Meinung, dass sich eine ehrliche Beratung langfristig immer auszahlen wird. Hat der Kunde das Gefühl, dass es dem Apotheker nicht bloß um seinen Umsatz geht, schafft das Vertrauen. Und genau dieses Vertrauen und eine fachkundige Beratung sind letztendlich der Grund, warum sich der Kunde gut aufgehoben fühlt und wiederkommen wird. Das zählt am Ende mehr als der möglicherweise entgangene Umsatz, denn in erster Linie sind wir Fachleute für Arzneimittel und erst in zweiter Linie Verkäufer.
Genauso wie auf die Apothekerin oder den Apotheker sollte man sich aber auch auf die Ärztin oder den Arzt verlassen können. Je weniger man sich selbst mit der Medizin auskennt, desto mehr muss man als Patient seinem Arzt vertrauen können, dass er evidenzbasiert arbeitet. Eine Empfehlung seinerseits aus dem Bereich der Pseudomedizin kann das Vertrauen in ihn sehr schnell erschüttern, und unter Umständen lässt es sich danach nie wieder kitten.
Als ich vor vielen Jahren zu einem HNO-Arzt musste und ihm sagte, dass meine Nase oft verstopft wäre und ich deshalb schlecht Luft bekäme, empfahl er mir ein homöopathisches Nasenspray. Ich war darüber ziemlich erstaunt, ja, fast sogar ein Stück weit verärgert. Als ich wissen wollte, warum er mir nur ein Scheinmedikament empfahl, war seine Antwort, dass er damit immer gute Erfahrungen gemacht habe. Doch was nützen mir seine guten Erfahrungen, wenn korrekt durchgeführte Studien zu dem Ergebnis kommen, dass homöopathische »Arzneimittel« keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung haben? Da ich keine guten Erfahrungen mit ihm gemacht hatte, habe ich mir danach einen neuen HNO-Arzt gesucht.
Wie man unschwer herauslesen kann, bin ich jemand, für den es nicht nur sehr wichtig ist, dass Ärzte und Apotheker ihre Patienten überhaupt beraten, sondern, dass sie das auch evidenzbasiert tun. Es kommt immer mal wieder vor, dass Kunden, die direkt von ihrem Arzt zu mir in die Apotheke kommen, keine Ahnung haben, wie sie ihr Arzneimittel einnehmen müssen. Manche wissen noch nicht einmal, warum sie es eigentlich nehmen sollen.
Abhilfe möchte hier eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung schaffen. Denn seit dem 1. November 2020 sind Ärzte verpflichtet, für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel entweder die Dosierung auf dem Rezept zu notieren oder den Hinweis, dass eine Dosierungsanweisung mitgegeben wurde. Auch wenn das in der Praxis nicht immer klappt, so ist vielen Patienten dadurch zumindest klar, »wie« sie ihr Arzneimittel einnehmen müssen. Die Frage, »warum« sie es überhaupt verordnet bekommen haben, können wir dann meistens mit ihnen zusammen klären.
Dass Ärzte unter enormen Stress stehen, weil sie zu viele Patienten in zu kurzer Zeit behandeln müssen, ist kein Geheimnis. Wurde der Patient in der Arztpraxis aus Zeitmangel nicht über die richtige Einnahme seines Arzneimittels aufgeklärt, ist die letzte Instanz ja immer noch die Apotheke. Könnte man zumindest meinen. Aber leider funktioniert auch das aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer.
Hin und wieder berichten Kunden darüber, dass ihnen zuvor das verordnete Arzneimittel in der Apotheke lediglich auf den Handverkaufstisch (HV-Tisch) gelegt wurde, ohne dass man sie gefragt hätte, ob sie mit der Einnahme vertraut sind. Das Einzige, was man ihnen über das Arzneimittel mitteilte, war der Preis, den sie dafür zu bezahlen hatten.
Es ist schade, wenn eine Beratung in der Apotheke nicht einmal angeboten wird. Eigentlich dürfte das auch nicht passieren, denn wir sind zur Beratung verpflichtet. Zu Recht! Denn nicht zu wissen, wie man sein Arzneimittel einnehmen muss, kann gefährlich sein. Es handelt sich dabei schließlich nicht um Süßigkeiten, und eine unsachgemäße Einnahme kann im schlimmsten Fall sogar tödlich enden.
So negativ, wie das jetzt alles klingen mag, ist es meistens natürlich nicht. Die Mehrheit der Patienten gibt an, sowohl von ihrem Arzt als auch ihrer Apotheke gut über die Arzneimittel aufgeklärt worden zu sein. Dennoch wundere ich mich, dass immer mal wieder Kunden mit »Das hat mir noch nie jemand gesagt!« antworten, wenn ich ihnen wichtige Informationen zu ihren seit Jahren verordneten Arzneimitteln mitteile. Liegt das daran, dass sie weder beim Arzt noch in der Apotheke dazu beraten wurden, weil sie immer angegeben haben, die Arzneimittel schon jahrelang einzunehmen und deshalb bereits darüber Bescheid wissen?
Relativ häufig fällt dieser Satz zum Beispiel dann, wenn die Patienten ein Arzneimittel einnehmen müssen, das mit der Grapefruit Wechselwirkungen hat (siehe Kapitel 13). Aber genauso häufig auch bei Kunden, die seit Jahren das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin einnehmen, nachdem ich sie darüber aufgeklärt habe, dass sie ihre Tablette nur mit Leitungswasser einnehmen sollten und im Anschluss darauf für mindestens eine halbe Stunde nichts essen und nichts trinken dürfen. Vor allem keinen Kaffee mit Milch (siehe Kapitel 19).
Diese und viele andere Aha-Erlebnisse in der Apotheke brachten mich letztendlich auf die Idee, mit dem Twittern anzufangen. Ich wollte aufklären. Über die Homöopathie, über Pseudomedizin und natürlich auch über Arzneimittel im Allgemeinen.
Ende Mai 2018 meldete ich mich deshalb unter dem Pseudonym #DerApotheker (@ApothekerDer) bei Twitter an. Ein Jahr später erschien dann mein erster Blog-Artikel, in dem ich darüber aufklärte, warum die Wirkung der Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinausgeht. Da mir zu dem Zeitpunkt schon ein paar Tausend Menschen bei Twitter folgten, hatte ich das Glück, dass er auch wirklich gelesen wurde. Im selben Monat veröffentlichte ich noch einen Artikel, der diesmal die fünf häufigsten Fälle von »Das hat mir noch nie jemand gesagt!« zum Thema hatte. Da dieses Format gut ankam, folgten noch weitere Teile. Das meiste positive Feedback erhielt ich jedoch für einen Text über Ibuprofen, in dem ich versuchte, leicht verständlich alle wichtigen Informationen zu diesem Wirkstoff zusammenzufassen. Dank glücklicher Umstände ging der Artikel viral und wurde mittlerweile mehr als eine halbe Million Mal angeklickt. Ein paar Monate später folgte dann »Der L-Thyroxin-Artikel«, in dem ich ausführlich über das Schilddrüsenhormon aufklärte. Auch dafür bekam ich sehr viel positives Feedback.
Da es also offensichtlich den ein oder anderen Menschen gibt, der sich für diese Themen interessiert, folgt nun konsequenterweise ein ganzes Buch. Den Kern jedes Kapitels bilden Kundengeschichten, die aus naheliegenden Gründen zwar alle fiktionalisiert sind, aber durchweg auf wahren Begebenheiten basieren. Die meisten Dialoge habe ich so oder so ähnlich schon hunderte Male geführt. Das ist dann auch der Grund, warum manche Geschichten eher kein Happy End(ing) haben. Die Realität besteht eben nicht nur aus Friede, Freude, Eierkuchen.
Um es ein wenig spannender zu gestalten, habe ich mich dazu entschlossen, alles in einen Arbeitstag zu packen. Im wahren Leben besteht so ein Tag natürlich aus wesentlich mehr Kundenkontakten, und vieles wiederholt sich dabei auch immer und immer wieder, wie der Hinweis, dass man ein abschwellendes Nasenspray nicht länger als eine Woche anwenden sollte, was ich jeden Tag mindestens zwanzig Mal sage.
Ziel dieses Buches ist also nicht, meinen Alltag in der Apotheke möglichst korrekt nachzuerzählen, sondern die richtige Mischung aus Unterhaltung und Aufklärung zu bieten. Ich möchte möglichst viele Infos zu Arzneimitteln und anderen wichtigen Fakten aus der Apotheke liefern, sodass jeder bei der Lektüre dieses Buches das ein oder andere Aha-Erlebnis hat und in Zukunft besser über sich und seine Arzneimittel Bescheid weiß.
Viel Spaß beim Lesen!
Februar 2021
Der Wecker klingelt. Viel zu früh. Wie immer. Die Arbeit ruft. Draußen scheint die Sonne. Ich will schlafen. Doch es hilft ja alles nichts. Bevor ich mich aus meinem warmen kuscheligen Bett bequeme, checke ich schnell, was bei Twitter passiert. Haha, lustiger Tweet. Zack, Herzchen. Und hier noch ein dämlicher Kommentar unter meinem Tweet. Mir egal.
Blick auf den Wecker. Mist. Schon so spät. Aus Kurz-Mal-Twitter-Checken wurde mal wieder Viel-zu-lange-Twitter-Checken. Hektik. Ich stehe auf und eile in die Küche, um Wasser zu kochen. Morgens gibt es immer eine Tasse grünen Tee, bevor ich dann den Rest des Tages damit verbringe, schwarzen Earl Grey zu trinken.
Nachdem der Wasserkocher befüllt ist und nun so langsam zischend aufheizt, gehe ich ins Bad und mache mich fertig. Als ich in die Küche zurückkehre, hat das Wasser die perfekte Temperatur erreicht, rund 80 Grad Celsius, weshalb ich nun meinen grünen Tee aufgieße. In meiner Tasse befindet sich ein Sieb, in das ich einen Teelöffel aromatisierten grünen Tee gegeben habe. Drei Minuten später ist er fertig, und ich habe Zeit, mein Mittagessen vorzubereiten. Dafür hole ich den Mixer aus dem Schrank und befülle ihn mit Studentenfutter, Haferflocken, einer Banane, einem Apfel, einer Orange, Ceylon Zimt, Matcha und Joghurt. Ich nenne es Smoothiegurt und, sind wir ehrlich, es schmeckt zum Glück besser als es aussieht. Zum Foodblogger kann ich damit jedenfalls nicht werden. Glaubt mir, ich habe es versucht. Augenzwinkern.
Nachdem ich genüsslich meine Tasse Tee getrunken habe, packe ich alles, was ich so für den Tag brauche, in meine Tasche und renne zum Bus. Frühsport. Wichtig, um fit zu bleiben.
Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die während der Fahrt nicht einfach nur zum Fenster hinausgucken und die immer gleiche Aussicht genießen kann, nein, ich muss lesen und lernen. Schließlich lesen sich auch die Bücher nicht von allein, die sich ganz offensichtlich fast von allein kaufen. Meistens Sachbücher, kaum Belletristik. So viele Bücher, so wenig Zeit.
Beinahe hätte ich meine Haltestelle verpasst. Das wäre schlecht gewesen, denn ich bin heute der mit dem Apothekenschlüssel.
Aber alles geht gut. Ich komme gegen 7.40 Uhr entspannt an und begrüße meine Kollegin, die bereits vor der Tür auf mich wartet. Sie hat eine große Reisetasche dabei. Ich schließe die Apotheke auf, und während wir unser Essen in den Kühlschrank packen, trudeln nach und nach weitere Kolleginnen und Kollegen ein. Mein Chef kommt heute etwas später. Wir werfen uns unsere Kittel über und beginnen mit den Vorbereitungen. Zuerst schalten wir das Licht in der gesamten Apotheke ein, dann starten wir den Kommissionierautomaten, der dafür da ist, uns die Arzneimittel, die wir über den Computer anfordern, vorne im Verkaufsraum auszuspucken. Der nächste Schritt besteht darin, von HV-Tisch zu HV-Tisch zu gehen und das Wechselgeld in die Kassen zu packen. Ein sehr wichtiger Schritt, jedenfalls noch so lange es Bargeld gibt. HV steht für Handverkauf, und ein HV-Tisch ist der Ort, an dem ich die größte Zeit des Tages verbringe, denn dort steht mein Computer mitsamt der Kasse, und dort findet auch meine Kundenberatung statt. Hin und wieder bequeme ich mich sogar hervor und gehe in den Verkaufsraum, um die Kunden direkt am Regal zu beraten.
Inzwischen ist es kurz vor acht Uhr, und ich habe noch die Zeit, mir eine Kanne Earl-Grey-Tee aufzugießen. Kurz nachdem er fertig ist, ist es soweit.
Die Uhr schlägt acht. Ich öffne die Automatiktür und lasse die frische Luft herein, während meine Kollegin und ich nun gemeinsam mit unserer Reinigungskraft, die eben gekommen ist, hinausgehen und die Gehwegreiter mit unserer Werbung sowie die Schütten mit Bonbons und den kleinen Duschgels vor die Apotheke stellen.
Es stehen schon ein paar Menschen vor der Tür, die nur darauf warten, hereingelassen zu werden. Leider müssen sie sich noch gedulden, bis auch wirklich alles draußen steht.
»Haben Sie schon offen?«, höre ich eine Stimme hinter mir fragen. Ich drehe mich um.
»Theoretisch ja, praktisch müssten Sie sich bitte noch einen Moment gedulden, wir müssen erst noch die ganzen Sachen rausstellen.«
»Okay, dann rauche ich noch eine!«
Ich zucke nur mit den Schultern und setze meine Beschäftigung fort. Kaum bin ich auf dem Weg in die Apotheke, schiebt sich ein älterer Mann mit auffällig buntem T-Shirt, kurzer Hose und weißen Tennissocken, verpackt in Sandalen, an mir vorbei. Noch bevor ich hinter den HV-Tisch komme, steht er schon davor und wartet, bis ich Zeit für ihn habe.
»Guten Morgen«, sage ich freundlich, bereit den Tag zu beginnen.
»Guten Morgen. Zweimal das günstigste Nasenspray, bitte.«
Bittet mich jemand um das günstigste Nasenspray, schrillen bei mir sofort alle Alarmglocken: Achtung, Achtung, hier liegt ein Missbrauch vor.
Es vergeht kein Tag in der Apotheke, an dem ich nicht unzählige Nasensprays verkaufe. Sei es aufgrund des Erkältungsschnupfens in den kälteren Monaten oder wegen der Pollenallergie, wenn es draußen so langsam wärmer wird, Nasensprays haben quasi immer Saison.
Durch Viren oder Allergene kommt es zu vermehrter Sekretbildung und Entzündungen der Nasenschleimhaut, weshalb sie zur Abwehr von Erregern spezielle Zellen des Immunsystems aus dem Blut anfordert. Damit diese auch möglichst schnell an den Einsatzort gelangen, wird die Blutversorgung erhöht, und die Blutgefäße erweitern sich: Die Nasenschleimhaut schwillt an.
Man kann sich das ungefähr so wie auf einer Autobahn vorstellen, auf der die Sperrung zweier Fahrspuren nach einem Unfall wieder aufgehoben wird und wieder alle drei Spuren befahrbar sind. Es geht einfach schneller voran. So sinnvoll, wie das bei der Nasenschleimhaut auch sein mag, so sehr nervt es jedoch, wenn man dabei keine Luft bekommt. Hier kommen dann die schleimhautabschwellenden Nasensprays und -tropfen ins Spiel. Nasentropfen verkaufe ich an Erwachsene relativ selten. Bei Kindern ist das anders, je jünger das Kind ist, desto eher werden Nasentropfen statt eines Nasensprays gekauft. Für Säuglinge gibt es ohnehin nur Nasentropfen.
Am häufigsten verkaufe ich Nasensprays mit den Wirkstoffen Xylometazolin und Oxymetazolin. Vom Ersteren jedoch wesentlich mehr und das, obwohl Oxymetazolin im Vergleich zu Xylometazolin sogar noch zusätzlich antivirale Eigenschaften aufweist, was bei einem Erkältungsschnupfen durchaus sinnvoll sein kann, da dieser durch Viren ausgelöst wird.
Bei den Wirkstoffen, die in abschwellenden Nasensprays und -tropfen eingesetzt werden, handelt es sich um Alpha-Sympathomimetika. Das heißt, sie stimulieren die Alpha-Rezeptoren der Blutgefäße, woraufhin sich diese wieder verengen. Damit stellen sie zwar wieder weniger Platz für die Abwehr der Erreger zur Verfügung, aber immerhin mehr Platz für das Sekret, um abfließen zu können, und vor allem mehr Platz für die Luft zum Einatmen.
Doch so toll die Wirkung auch sein mag, wendet man ein Nasenspray oder Nasentropfen länger als rund eine Woche an, kommt es zum sogenannten Rebound-Effekt. Das bedeutet, dass es, sobald die Wirkung des Wirkstoffs nachlässt, zu einem erneuten, noch stärkeren Anschwellen der Nasenschleimhaut kommt. Da ist der wiederholte Griff zum erlösenden Nasenspray oder den Nasentropfen quasi vorbestimmt.
Macht man das über Jahre hinweg, könnte sich eine Arzneimittel-Rhinitis, auch Rhinitis medicamentosa genannt, entwickeln. Dabei handelt es sich um eine dauerhafte Anschwellung der Nasenschleimhaut, die zu einer nicht mehr umkehrbaren Schädigung führen kann.
Selbst der Verlust des Geruchssinns wäre bei dauerhafter Anwendung eines Nasensprays oder der -tropfen möglich.
Gehört man also zu den Menschen, die nach rund einer Woche nicht mit der Anwendung des Nasensprays oder der -tropfen aufgehört haben, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sich ein neues Fläschchen kaufen muss, wenn das alte leer ist, und wieder ein neues, wenn auch dieses leer ist. Und plötzlich sprüht man sich das Zeug tagtäglich über viele Jahre in die Nase, wodurch die Kosten für die »Nasenspraysucht« natürlich immer höher und höher werden.
Will man seine Ausgaben nun im Rahmen halten, ist es durchaus verständlich, dass man in der Apotheke nach der günstigsten Variante fragt.
Für das Portemonnaie mag das ja vielleicht eine gute Idee sein, für die Nase aber eher eine schlechte, da in den meisten Apotheken immer die Nasensprays am günstigsten sind, die das Konservierungsmittel Benzalkoniumchlorid enthalten.
Benzalkoniumchlorid wird benötigt, um die Keime in der Lösung abzutöten, die durch den Gebrauch des Nasensprays oder der -tropfen von der Nase in die Flasche gelangen und sich dort munter vermehren würden, bevor man sie sich dann bei der nächsten Anwendung in die Nase sprüht oder tropft.
Leider tötet Benzalkoniumchlorid aber nicht nur Keime ab, sondern schädigt auf Dauer auch die Nasenschleimhaut, indem es die Bewegung der Flimmerhärchen (Zilien) behindert oder sie gar lahmlegt.
Die Aufgabe der Flimmerhärchen besteht darin, den Schleim, an dem Keime, Schmutz und Staub haften, aus der Nase heraus in den Rachen abzutransportieren, wo er dann heruntergeschluckt und die anhaftenden Keime von der Magensäure abgetötet werden. Können die Flimmerhärchen diese Aufgabe nicht mehr wahrnehmen, wird die Selbstreinigungskraft der Nase reduziert, weshalb man anfälliger für Infektionen wird.
Einen Vorteil haben vorübergehend lahmgelegte Flimmerhärchen jedoch: Der abschwellende Wirkstoff kann besser wirken, da er länger mit der Schleimhaut in Kontakt bleibt, ohne relativ schnell von den Flimmerhärchen abtransportiert zu werden.
Da allerdings dieser Vorteil die Nachteile nicht überwiegt, sollten immer konservierungsmittelfreie Nasensprays beziehungsweise -tropfen bevorzugt verwendet werden. Diese sind mit einem speziellen Applikationssystem ausgestattet, bei dem die Keime nicht in die Flasche gelangen können, weshalb man dann auf Benzalkoniumchlorid verzichten und somit seine armen Flimmerhärchen schonen kann.
Die Lösung wird bei einem Nasenspray in Form eines feinen Sprühnebels abgegeben und die Nasentropfen in Form eines einzelnen Tropfens. Dazu wird der Kopf in den Nacken gelegt und die Flasche über Kopf gehalten. Die Wirkstoffmenge pro Dosis ist dieselbe.
Da dieses System jedoch aufwändiger in der Herstellung ist, kosten konservierungsmittelfreie Nasensprays und -tropfen in der Regel ein paar Cent mehr. Das erklärt möglicherweise, warum Krankenkassen auf Rezept verordnete Nasensprays und -tropfen nur dann bezahlen, wenn sie Benzalkoniumchlorid enthalten.
Wenn möglich, sollte man lieber selbst zwei bis drei Euro in ein Nasenspray oder Nasentropfen investieren, die ohne das Konservierungsmittel auskommen und sich somit gegen die von der Krankenkasse bezahlte Variante entscheiden.
Für Säuglinge gibt es ohnehin nur Nasentropfen. Hier kommt aber ein anderes Problem hinzu.
Bis November 2020 konnte man sich noch entscheiden, ob man die günstigen Nasentropfen für Säuglinge mit Pipette und Konservierungsmittel wählt oder die teurere Variante, die auf das Applikationssystem setzt, mit dem man auf den Tropfen genau dosieren kann, und die ohne Benzalkoniumchlorid auskommt.
Denn einem Säugling Nasentropfen zu verabreichen, stellt sich meistens als ziemlich schwierig heraus, da dieser darauf häufig mit einem wilden Zappeln reagiert. Versucht man die Nasentropfen dabei mit einer Pipette zu verabreichen, landet schnell mal mehr als nur ein Tropfen in jedem Nasenloch, was für den Säugling durchaus gefährlich sein kann. Denn bekommt er versehentlich eine zu hohe Dosis ab, kann es neben der lokalen Wirkung in der Nase auch zu einer systemischen Wirkung im ganzen Körper kommen, die im Extremfall sogar einen Atemstillstand auslösen kann. Um das Risiko zu senken, dürfen diese Nasentropfen nun endlich nicht mehr bei Säuglingen angewendet werden, sondern erst bei Kleinkindern ab einem Jahr.
Grundsätzlich gilt: Je höher die verabreichte Dosis, desto größer das Risiko systemischer Nebenwirkungen.
Möchte man ein Nasenspray oder Nasentropfen kaufen, empfiehlt es sich immer nach einer konservierungsmittelfreien Variante zu fragen, denn man kann leider nicht pauschal sagen, dass die günstigen Varianten alle ein Konservierungsmittel enthalten und die teuren nicht. Es gibt auch teure Nasensprays, bei denen Benzalkoniumchlorid zur Konservierung eingesetzt wurde und für die man nur aufgrund des bekannten Namens etwas mehr bezahlt. Irgendwie muss das Geld für die Werbung ja wieder reinkommen.
Nasensprays und Nasentropfen, sollten – wie erwähnt – nicht länger als etwa eine Woche angewendet werden, das gilt ganz besonders für die konservierte Variante. Für die ohne Benzalkoniumchlorid gibt es jedoch Hinweise darauf, dass diese Sprays und Tropfen sogar etwas länger verwendet werden können, bis es zum Rebound-Effekt kommt. Das soll vor allem dann gelten, wenn man als Erwachsener auf das Kindernasenspray oder die -tropfen zurückgreift, da diese nur die Hälfte der Konzentration an Wirkstoff im Vergleich zu den Varianten für Erwachsene enthalten.
Übrigens sind sowohl die Tropfen als auch das Spray in der Regel sechs Monate nach Anbruch haltbar – egal ob mit oder ohne Konservierungsmittel.
Wenn mich also ein Kunde um das günstigste Nasenspray bittet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er das schon viel zu lange anwendet und sich zusätzlich durch Konservierungsmittel schadet.
»Ihnen ist bewusst, dass Sie das Nasenspray nicht länger als eine Woche anwenden dürfen?«, frage ich ihn also vorsichtig. Als sich unsere Blicke treffen, zuckt sein linker Mundwinkel leicht nach oben, bevor er zur Antwort ansetzt.
»Ich benutze das Spray schon seit zwanzig Jahren!«
Obwohl ich weiß, dass meine Versuche, jemanden in so einer Situation von seinem Nasenspraymissbrauch abzubringen, meistens keine Wirkung zeigen, versuche ich es dennoch jedes Mal aufs Neue.
»Wenn Sie das Spray länger als eine Woche anwenden, führt das früher oder später dazu, dass Sie es nur noch deshalb anwenden müssen, WEIL Sie es die ganze Zeit anwenden. Denn nach ungefähr einer Woche kommt es zum gegenteiligen Effekt: Die Nasenschleimhaut schwillt an, und Sie bekommen keine Luft mehr, weswegen Sie automatisch wieder zum Nasenspray greifen. Und das wiederholt sich so lange, bis die Nasenschleimhaut abstirbt oder Sie sich wieder vom Nasenspray entwöhnen.« Ich sehe meinem Kunden an, dass er sich ertappt fühlt.
»Ich kann aber nicht einschlafen, wenn ich keine Luft bekomme!«
»Ich verstehe Sie vollkommen, aber Sie tun sich damit langfristig keinen Gefallen. Haben Sie schon mal ein Nasenpflaster ausprobiert? Man klebt sich die Dinger auf die Nase, dadurch wird sie ein wenig mehr geöffnet, sodass die Luftzufuhr spürbar verbessert wird.«
»Ja, die benutze ich schon zusätzlich. Die helfen mir auf jeden Fall, aber allein reichen die mir nicht«, erklärt er mir ein wenig frustriert.
Diese Pflaster sind immer einen Versuch wert, wenn man das Gefühl hat, nicht ausreichend Luft zu bekommen. Unabhängig davon, ob man nun ein Nasenspray verwendet oder nicht. Sie können aber auch Menschen helfen, die schnarchen. Oder besser gesagt, sie helfen dann dem Menschen, der neben einem im Bett liegt. Schleifchen um die Packung und man erhält das perfekte Geschenk.
»Ich verstehe«, erwidere ich. »Die Pflaster können Sie auf jeden Fall weiterhin verwenden, nur sollten Sie sich das Nasenspray dringend abgewöhnen.« Sein schuldbewusster Blick verrät mir, dass er das Problem durchaus erkannt hat.
»Was schlagen Sie denn vor?«, fragt er etwas resigniert. »Es ist ja nicht so, dass es mir Spaß macht, das Zeug immer benutzen zu müssen!«
»Wenn keine Ursache vorliegt, die eine OP nötig macht, haben Sie mehrere Möglichkeiten. Sie können zum Beispiel erst das eine Nasenloch entwöhnen und dann das andere. Dazu müssten Sie die Dosis an Wirkstoff immer weiter reduzieren, bis das Nasenloch praktisch ohne Nasenspray frei ist und Sie wieder Luft bekommen. Im Anschluss wiederholen Sie den Vorgang einfach auf der anderen Seite. Das heißt, während Sie zum Beispiel im rechten Nasenloch das Erwachsenennasenspray wie gewohnt anwenden, benutzen Sie für das linke Nasenloch erst einmal ein Kindernasenspray, das enthält nur die halbe Konzentration an Xylometazolin. Und nach ein paar Tagen steigen Sie dann auf die Nasentropfen für Säuglinge um, die nur ein Viertel der Dosis des Erwachsenennasensprays bzw. die Hälfte der Dosis des Kindernasensprays enthalten, dafür aber Benzalkoniumchlorid als Konservierungsmittel. Sie können stattdessen auch die Säuglingstropfen mit dem Wirkstoff Oxymetazolin verwenden, da dürfen Sie dann sogar zwei Tropfen in die Nase träufeln. Was Sie allerdings auf keinen Fall machen sollten, was aber leider oft empfohlen wird, ist ein Erwachsenennasenspray aufzuschrauben und es immer wieder mit 0,9-prozentiger Kochsalzlösung zu verdünnen, bis letztendlich nur noch Kochsalzlösung darin enthalten ist.«
Er zieht seine Augenbrauen skeptisch nach oben.
»Okay, ich habe tatsächlich mal gelesen, dass man das so machen soll. Warum ist das aus Ihrer Sicht nicht zu empfehlen?«
»Das hat mehrere Gründe«, erkläre ich geduldig. »Erstens enthält ein Nasenspray, das Sie aufschrauben können, immer ein Konservierungsmittel, das der Nasenschleimhaut schaden kann. Konservierungsmittelfreie Sprays lassen sich nicht einfach so öffnen. Und zweitens verdünnen Sie das Konservierungsmittel dann genauso wie den Wirkstoff. Sie stellen sich damit praktisch ein unkonserviertes Nasenspray her, in dem sich dann die Keime ungehindert vermehren können. Und bei der nächsten Anwendung verteilen Sie die dann in Ihrer Nase.«
Er nickt zustimmend. »Klingt einleuchtend! Was wären denn die anderen Möglichkeiten?«
»Eine andere Möglichkeit wäre, ein Cortison-Nasenspray zu verwenden, am besten eines mit dem Wirkstoff Mometason, das wirkt am effektivsten. Allerdings tritt die Wirkung frühestens nach einem halben Tag ein. Spätestens aber nach anderthalb Tagen.«
Mometason ist ein Glucocorticoid, umgangssprachlich »Cortison« genannt. Es wirkt antientzündlich sowie antiallergisch auf die Nasenschleimhaut und dadurch auch abschwellend, weshalb mometasonhaltige Nasensprays vor allem bei allergischem Schnupfen zum Einsatz kommen. Später mehr dazu.
Mein Kunde lacht laut auf.
»Anderthalb Tage?«
»Maximal. Und um die Zeit zu überbrücken, können Sie ja Ihr abschwellendes Spray weiterhin verwenden«, erkläre ich.
»Hmm, Okay. Waren das jetzt alle Möglichkeiten oder haben wir noch eine?«
»Eine Möglichkeit haben wir definitiv noch, und die kommt für Sie sogar am günstigsten: Den kalten Entzug!«, sage ich grinsend und sehe, wie seine Augen dabei groß werden.
»Komplett ohne? Von jetzt auf gleich? Einfach so?« Er schüttelt den Kopf, als wäre das für ihn ein Ding der Unmöglichkeit.
»Ganz genau. Das ist die beste und schnellste Methode. Wenn, wie gesagt, keine anderen Ursachen vorliegen, sollte nach ein paar Tagen alles wieder gut sein. Was Sie allerdings grundsätzlich zur Erleichterung machen könnten, wäre, ein Nasenspray mit hypertoner Meersalz- oder Kochsalzlösung zu verwenden. Das führt dann aufgrund von Osmose zu einer leichten Abschwellung der Nasenschleimhaut, die allerdings nicht mit der eines normalen Nasensprays vergleichbar ist. Der große Vorteil: Es macht nicht abhängig.«
Er schaut mich verwundert an. »Ich glaube, das müssten Sie mir genauer erklären. Osmose hab ich im Biounterricht mal gehört, aber das ist schon sehr lange her«, sagt er lachend.
»Wenn das Nasenspray im Vergleich zur Nasenschleimhaut hyperton ist, bedeutet das, dass der Salzgehalt im Nasenspray höher ist als in der Nasenschleimhaut, es hat also einen höheren osmotischen Druck. Wird das hypertone Spray in die Nase gesprüht, wandert die Flüssigkeit aus der Nasenschleimhaut nach außen, um die höhere Konzentration zu verdünnen, bis auf beiden Seiten die gleiche Konzentration vorliegt. Durch den Entzug an Flüssigkeit schwillt die Nasenschleimhaut ab. Würden Sie hingegen destilliertes Wasser in die Nase sprühen, wäre der Weg andersherum, und das Wasser würde in die Schleimhaut wandern, da dort die Salzkonzentration größer ist. Als Folge würde die Nasenschleimhaut anschwellen«, erkläre ich.
»Danke für die Information. Wissen Sie was? Geben Sie mir bitte so ein Meerwasserspray mit und zur Sicherheit noch ein Kindernasenspray. Ich versuche das mit dem kalten Entzug dann einfach mal.«
»Sehr gerne«, sage ich lächelnd, während ich mich umdrehe und von beiden Sprays je eines aus dem Regal nehme, abscanne und auf den Zahlteller stelle.
»Das wären dann die beiden Sprays. Zum Abschluss noch ein weiterer Tipp, der Ihnen helfen könnte, dass Sie nicht gleich wieder zum abschwellenden Nasenspray greifen müssen. Es empfiehlt sich grundsätzlich, die Nasenschleimhaut immer mal wieder zu befeuchten, da sich Viren in einer trockenen Nasenschleimhaut leichter festsetzen und man so die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schnupfens reduzieren kann. Dazu eignen sich normale Salzwasser- oder Meerwassernasensprays. Also isotone Sprays, die den gleichen osmotischen Druck wie die Nasenschleimhaut haben. Gerne welche mit Dexpanthenol, da Dexpanthenol zur Regeneration der Nasenschleimhaut beiträgt.
Am effektivsten wäre aber ein Nasenöl, das fühlt sich zwar nicht unbedingt angenehm an, befeuchtet die Nasenschleimhaut aber besser als ein Salzwasserspray. Das Öl ist ganz besonders empfehlenswert, wenn man schon eine längere Zeit auf ein abschwellendes Nasenspray zurückgreift.«
»Das habe ich noch nie gehört!«, erwidert er. »Das würde ich dann auch gerne noch ausprobieren.«
Ich nicke und fordere eines vom Automaten an.
»Sehr gerne. Dann versuchen Sie durchzuhalten, ja?«, sage ich lächelnd.
»Ja, auf jeden Fall. Sie haben mir jetzt erfolgreich ins Gewissen geredet!« Der Automat spuckt das Nasenöl aus, und ich lege es zu den beiden anderen Sprays.
»So, bitte schön.«
»Danke! Können Sie auf 100 Euro rausgeben?«, möchte er wissen.
»Nein. Tut mir leid. Um die Uhrzeit leider noch nicht.«
»Kein Problem.« Er zückt seine Kreditkarte und bezahlt bargeldlos. Ich packe ihm alles in eine Tüte und werfe noch eine Packung Taschentücher hinein.
»Vielen Dank! Bis zum nächsten Mal«, sagt er.
»Gerne. Bis zum nächsten Mal.«
Kaum ist er zur Tür raus, betritt ein junger Mann mit Baseballkappe und Skateboard unterm Arm die Apotheke und bleibt auf dem Weg zum HV-Tisch erstmal stehen. Er nimmt seinen Rucksack von den Schultern, öffnet ihn und holt einen DIN-A4-Ordner aus der Tasche, der mit Graffiti-Tags verziert ist. Er öffnet auch ihn und zieht ein rosa Rezept hervor. Anschließend setzt er in aller Seelenruhe seine Kopfhörer ab, guckt in meine Richtung und kommt auf mich zu.
Zwei Dinge an seinem Verhalten weiß ich zu schätzen. Erstens mag ich es, wenn man sein Rezept schon parat hat, bevor man zu mir an den HV-Tisch tritt. Und zweitens gefällt es mir sehr, wenn man ohne Kopfhörer im Ohr mit mir spricht. Das ist keine Frage von Spießigkeit, sondern von Höflichkeit.
Es gibt häufiger Kunden, die fünf Minuten lang wartend in der Schlange stehen und dabei auf ihren Smartphones herumspielen. Sobald sie dann an der Reihe sind, fällt ihnen ganz plötzlich ein, dass sie ja noch ihr Rezept brauchen, das sich in den unendlichen Tiefen ihrer Taschen versteckt hält, während hinter ihnen bereits die ungeduldige Meute mit den Zähnen fletscht.
Häufig sind das dann auch genau die Kunden, die sich darüber beschweren, dass es nicht vorangeht. Die Ironie daran werden sie wahrscheinlich nie verstehen.
Es kommt auch nicht gerade selten vor, dass mir Kunden ihr Rezept in die Hand drücken und dabei einfach weiter Musik hören, während ich dabei bin, die verordneten Arzneimittel herauszusuchen. Das Kundengespräch gestaltet sich dann in der Folge meist etwas schwierig. Das führt dann dazu, dass ich selbst zum Lautsprecher werden muss, woraufhin sie dann genervt ihre kleinen Lautsprecher aus den Ohren nehmen.
Als noch respektloser empfinde ich die, die telefonierend in die Apotheke kommen, mir lässig ihr Rezept auf den HV-Tisch werfen und weiterhin lautstark telefonieren, als wäre ich überhaupt nicht anwesend. Wenn ich sie dann pflichtbewusst zu ihren Arzneimitteln beraten will, entschuldigen sie sich dann meistens. Bei der Person, mit der sie gerade telefonieren.
Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass diese Menschen so ein Verhalten auch an den Tag legen, wenn sie gerade beim Arzt sitzen. (Ich höre jetzt zahlreiche Ärzte in meinem Kopf »Oh, doch!« schreien.)
Der junge Skater nickt mir höflich zu.
»Hey!«, begrüßt er mich.
»Hey!«, begrüße ich ihn der Situation entsprechend zurück.
»Ich war gerade beim Arzt und habe ein Rezept für Schmerztropfen bekommen.« Er überreicht mir das Rezept.
»Danke!« Novaminsulfontropfen. Eine kleine Flasche. Ich jage das Rezept durch den Scanner und fordere den passenden Rabattpartner vom Automaten an. Was Rabattpartner sind, erfährt man übrigens in Kapitel 6.
Metamizol, oder auch Novaminsulfon genannt, ist ein verschreibungspflichtiger Wirkstoff, der sowohl schmerzlindernd als auch fiebersenkend und krampflösend wirkt. Der Vorteil ist, dass Metamizol in einer normalen Dosierung nicht die Magenschleimhaut angreift, wie es beispielsweise Ibuprofen und ASS machen. Später mehr dazu.
Metamizol wird in Deutschland relativ häufig verordnet. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich den Wirkstoff nicht in Form von Tropfen oder Tabletten abgebe und das, obwohl Metamizol in der Kritik steht, da es eine zwar sehr seltene, aber dafür lebensgefährliche Agranulozytose auslösen kann.
Von einer Agranulozytose spricht man, wenn die Anzahl der Granulozyten, ein Bestandteil der weißen Blutkörperchen, stark vermindert ist.
Aufgrund dieses Risikos wurde Metamizol in vielen Ländern vom Markt genommen, darunter die USA, Großbritannien, Frankreich und Schweden.
Allerdings zeigen die Statistiken, dass auf 100 Millionen Patienten nur 25 Patienten kommen, die durch die Einnahme von Metamizol verstorben sind, dafür aber 600 Patienten durch die Einnahme von Diclofenac und 185 Patienten durch ASS.
Nach einem kurzen Rumpeln fällt die Novaminsulfonflasche in ihrer Verpackung in das Ausgabefach. Ich entnehme sie und scanne sie gegen.
Seit dem 9. Februar 2019 müssen wir alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel gegenscannen, denn zu diesem Zeitpunkt ging das securPharm-System an den Start, das in Echtzeit prüft, ob es sich bei dem vorliegenden Arzneimittel um eine Fälschung handelt oder nicht.
Zur gleichen Zeit wurden auch die pharmazeutischen Unternehmen dazu verpflichtet, auf ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel einen securPharm-konformen Data-Matrix-Code aufzubringen sowie die Packungen mit einem sogenannten Erstöffnungsschutz zu versiegeln.
Dass ich nicht extra nach hinten gehen muss, um das Arzneimittel zu holen, sondern mir ein Automat die Arbeit abnimmt, scheint ihn zu faszinieren.
»Krass! Ist da jemand drin, der die Arzneimittel aufs Band wirft?«, fragt er ungläubig.
Fragen wie diese, man glaubt es kaum, bekomme ich sehr häufig gestellt. Anfangs versucht man sie noch kreativ zu kontern, aber irgendwann bleibt man dann bei einer Version.
»Da sind kleine Äffchen drin«, sage ich ohne eine Miene zu verziehen, »die turnen durch die Regale und werfen dann die angeforderten Arzneimittel aufs Band.«
Er schaut mich skeptisch an.
»Und dann kommen die hier raus«, sage ich und deute dabei auf das Ausgabefach.
»Haha, so ein Quatsch!«, sagt er lachend. Mein Pokerface bröckelt, und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ja, das mit den Äffchen war natürlich Quatsch. Meine Kolleginnen und Kollegen müssen da leider selbst durch die Regale turnen!« Er guckt mich irritiert an und weiß nicht so genau, was er darauf erwidern soll.
»Kann ich mir das mal angucken?«, fragt er neugierig.
»Na ja, ähm, das geht leider nicht.«
»Ach, kommen Sie, Mann. Ist doch gerade nichts los in Ihrer Apotheke«, lässt er nicht locker.
»Ach, was soll’s! Man kann ja auch mal eine Ausnahme machen«, sage ich und winke ihn nach hinten.
Er legt Skateboard und Rucksack auf den Boden und kommt zu mir hinter den HV