Detroit Driver - Lara Möller - E-Book
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Detroit Driver E-Book

Lara Möller

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Beschreibung

Ein Fluchtwagenfahrer mit einem tödlichen Geheimnis …
Der rasante Action-Thriller für Fans von Jack Reacher

Alec Boyd ist hinter dem Steuer seines hochtourigen Fluchtwagens unaufhaltsam. Als Fahrer für die mächtigste kriminelle Organisation Great Lakes Association in der Motor City Detroit setzt er täglich sein Leben aufs Spiel. Doch sein riskantester Job steht ihm noch bevor: Als Ramesh Dewari, einer der Lieutenants der GLA, einen Mann sucht, dem er vertrauen kann, fällt seine Wahl auf Alec. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gefährliche Freundschaft, denn Alec verbirgt ein Geheimnis, das tödlich sein kann. Als ein blutiger Bandenkrieg auszubrechen droht, muss sich Alec entscheiden auf welcher Seite er steht …

Erste Leser:innenstimmen
„Actiongeladen, spannend und kaum aus der Hand zu legen!“
„Ein mit vielen Wendungen gespickter Thriller, der jetzt schon zu meinen Jahreshighlights gehört.“
„Wer gerne Lee Child liest, muss hier zugreifen!“
„Fesselnder Krimi-Thriller mit coolem Protagonisten und origineller Story.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 489

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über dieses E-Book

Alec Boyd ist hinter dem Steuer seines hochtourigen Fluchtwagens unaufhaltsam. Als Fahrer für die mächtigste kriminelle Organisation Great Lakes Association in der Motor City Detroit setzt er täglich sein Leben aufs Spiel. Doch sein riskantester Job steht ihm noch bevor: Als Ramesh Dewari, einer der Lieutenants der GLA, einen Mann sucht, dem er vertrauen kann, fällt seine Wahl auf Alec. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gefährliche Freundschaft, denn Alec verbirgt ein Geheimnis, das tödlich sein kann. Als ein blutiger Bandenkrieg auszubrechen droht, muss sich Alec entscheiden auf welcher Seite er steht …

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juli 2022

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-479-2 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-761-8

Copyright © 2019, bookshouse Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei bookshouse erschienenen Titels Detroit Undercover (ISBN: 978-9-92533-146-8).

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Anton Violin, © brickrena stock.adobe.com: © yotrakbutda, © Michael depositphotos.com: © jankovoy neo-stock.com: © Tom Parsons Korrektorat: Birgit Förster

E-Book-Version 19.09.2024, 12:14:22.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Detroit Driver

SPERAMUS MELIORA; RESURGET CINERIBUS

Prolog

Detroit, Michigan

Auf der Uhr am Armaturenbrett verstrichen die Sekunden.

Vor fünf Minuten hatten seine Fahrgäste dunkle Skimasken übergestreift, ihre Sporttaschen genommen und waren auf das Gelände der Easy Self Storage Company gelaufen. Was immer die Männer in dem zweistöckigen Gebäude stehlen wollten, sie sollten sich besser beeilen.

Alec spreizte die Finger der linken Hand, die in einem dünnen Lederhandschuh steckte, und schloss sie wieder fest ums Lenkrad. Seine rechte Hand lag locker auf der Gangschaltung. Zeigefinger und Mittelfinger tippten einen stetigen langsamen Rhythmus. Durch das halb geöffnete Fahrerfenster wehte kühle Luft herein. Der Motor des dunkelblauen Ford Taurus vibrierte kaum merklich im Leerlauf.

Er ließ prüfend den Blick schweifen. Die Straße war schlecht beleuchtet und der Himmel wolkenverhangen. Ideale Deckung. Er rechnete nicht mit Publikum. Das Gebäude der Easy Self Storage Company lag in Ferndale, einem Vorort von Detroit. Eingeklemmt zwischen einem Friedhof und einer Reihe gewerblich genutzter Gebäude. Unter dem Schirm seiner Baseballkappe heraus blickte er hinüber zum Lagerhaus, einem quadratischen Klotz auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es gab weder Mauern noch einen Zaun, die das Gelände von der Straße trennten. Zwei Lampen erhellten den von Kameras überwachten Eingangsbereich. Der Parkplatz vor dem Eingang war leer.

Mit statischem Knacken und Rauschen erwachte der Polizeifunk zum Leben. Der Empfänger, kaum größer als ein Walkie-Talkie, klemmte zwischen Alecs rechtem Oberschenkel und der Mittelkonsole. Vor neugierigen Blicken geschützt und mit einem schnellen Handgriff abzuschalten.

Er lauschte der verzerrt klingenden Unterhaltung zwischen der Einsatzzentrale und einem Streifenwagen. Jemand hatte einen Überfall auf ein Juweliergeschäft in der Innenstadt gemeldet. Weit entfernt. Nichts, worüber er sich Sorgen machen musste.

Vor ihm bog ein Wagen in die Straße. Scheinwerferlicht durchschnitt die Dunkelheit. Alec erstarrte, jeder Muskel in seinem Körper schlagartig angespannt. Als das Fahrzeug näher kam, rutschte er trotz der getönten Scheiben weit im Fahrersitz nach unten. Er beobachtete den Wagen im Außenspiegel, bis dessen Heckscheinwerfer zu winzigen Quadraten zusammenschrumpften.

Er richtete sich wieder auf.

Plötzlich zerriss das schrille Jaulen einer Alarmanlage die Stille. Gleichzeitig begann eine rote Lampe über dem Eingang des Lagerhauses hektisch zu blinken. Alecs Hände schlossen sich reflexartig fester um Lenkrad und Gangschaltung. Rasch suchte er die Umgebung ab.

Niemand zu sehen. Von seinen Fahrgästen ebenfalls keine Spur. Er legte den ersten Gang ein. Der Polizeifunk schwieg. Noch.

Keine Minute später informierte eine emotionslose Frauenstimme alle Streifenwagen in der Umgebung der West Marshall Avenue über einen möglichen Einbruch bei der Easy Self Storage Company. Zwei Streifenwagen antworteten. Der Schnellere der beiden würde in zwei Minuten hier eintreffen. Alec atmete tief ein und ließ die Luft langsam ausströmen. Kein Grund zur Panik. In zwei Minuten konnte viel passieren.

Hörte er Sirenen?

Er senkte das Fahrerfenster weiter ab.

Nein. Bloß die Nerven behalten.

Endlich bewegte sich etwas beim Lagerhaus. Zwei Schatten kamen hinter dem Gebäude hervor und rannten zur Straße. Er schaltete die Scheinwerfer ein, damit die Männer ihn leichter fanden. Ihre Sporttaschen waren jetzt prall gefüllt.

Seine Passagiere hatten den Wagen fast erreicht, als eine männliche Stimme über den Polizeifunk zwei verdächtige Personen meldete, die zu Fuß vom Gelände der Storage Company flüchteten. Im Rückspiegel entdeckte er Scheinwerfer, die rasch näher kamen. Kurz stockte ihm der Atem. Dann wurde die linke Hintertür des Fords aufgerissen, und seine Passagiere drängten in den Wagen.

»Los, los, los!«, schrie einer von ihnen voller Panik.

Alec gab Gas. Über dreihundert PS ließen den Ford starten wie eine Rakete. Hinter ihnen blitzten blaue und rote Lichter in der Dunkelheit auf. Mit dem Aufheulen der Sirene nahm der Streifenwagen die Verfolgung auf.

Weit vor ihm kam der zweite Streifenwagen aus einer Querstraße geschossen. Der Fahrer vollführte einen gewagten Schlenker und hielt danach auf ihn zu. Sie wollten ihn in die Zange nehmen. Gleich würde sich der Streifenwagen vor ihm quer stellen, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. Alec verschaffte sich blitzschnell einen Überblick. Hier war die Straße frei von parkenden Autos. Er hatte ausreichend Platz. Er schätzte die Entfernung zu seinen Verfolgern ab und ging vom Gas. Während sich die Lücke zwischen ihren Fahrzeugen schloss, nahm er die Hand von der Gangschaltung und legte sie auf die Handbremse. Im nächsten Moment riss er das Steuer ruckartig nach links, zog die Handbremse an und trat gleichzeitig die Kupplung durch. Der Ford schleuderte mit quietschenden Reifen herum. Für einen Sekundenbruchteil sah es aus, als würden sie frontal in eine Hauswand rasen. Dann kam das Heck nach, und der Wagen beschrieb eine 180-Grad-Drehung wie aus dem Lehrbuch. Der verfolgende Streifenwagen schoss haarscharf an der Fahrerseite des Fords vorbei. Bremsen kreischten, als der Polizist in die Eisen stieg. Der Streifenwagen kam schräg auf der Straße zum Stehen. Da hatte Alec den Ford längst zurück in die Spur gebracht und raste in die entgegengesetzte Richtung davon. Im Rückspiegel sah er, wie der Fahrer den Streifenwagen zurücksetzte, um seine Kollegen vorbeizulassen. Die Jagd war noch nicht zu Ende.

Einer der Polizisten gab verärgert einen Lagebericht und eine Beschreibung des Fords an die Einsatzzentrale durch. Einschließlich des Kennzeichens.

Bei der nächsten Gelegenheit bog er rechts ab, das Heulen der Sirenen in den Ohren. Er hatte das Ende der Straße fast erreicht, als hinter ihm die blinkenden Lichter auftauchten. An der Kreuzung lenkte er den Ford nach links. Er fuhr jetzt durch ein Wohngebiet und musste die Geschwindigkeit den engeren Straßen anpassen. Die Sirenen und der Polizeifunk hielten ihn über die Position der Verfolger auf dem Laufenden. Mittlerweile war ein dritter Streifenwagen im Spiel, der sich von der Stadt her näherte. Nach dem, was er im Funk hörte, fuhren sie direkt aufeinander zu. In der Straße, in der er sich jetzt befand. Alec entdeckte keine Möglichkeit, abzubiegen. Er schaltete die Scheinwerfer aus und ging vom Gas. Er hörte weder Sirenen noch sah er Scheinwerfer oder blinkende Lichter auf sich zukommen. Versuchten die Polizisten, ihn auszutricksen? Kurz entschlossen trat er auf die Bremse, legte den Rückwärtsgang ein und schwenkte in die Einfahrt eines Grundstücks. Schemenhaft erkannte er die Umrisse einer Doppelgarage. Einer der beiden Stellplätze war frei. Alec parkte neben einem Kombi und stellte den Motor ab. Von der Rückbank kam kein Laut. Seine Fahrgäste waren wie erstarrt. Durch das offene Fenster drangen Motorengeräusche. Er hielt unwillkürlich den Atem an. Sekunden später rollte langsam ein Schatten am Grundstück vorbei.

Der Streifenwagen.

Unbeleuchtet.

Alec blickte dem Fahrzeug nach und konnte kaum fassen, wie knapp es gewesen war. Geschickter Schachzug, zollte er dem Fahrer stummen Respekt.

In den folgenden Minuten sprach niemand ein Wort. Die angespannte Stille wurde nur vom Knistern des Empfängers und kurzen Funksprüchen der Polizeibeamten unterbrochen. Sie konnten den Ford nicht finden. Schließlich meldete die Einsatzzentrale eine Schießerei im Twin Pines Trailerpark, in der 11 Mile Road. Nicht allzu weit entfernt. Zwei der Streifenwagen beantworteten die Anfrage. Kurz darauf brach auch der dritte Wagen die Suche nach den Flüchtigen ab und fuhr zum nächsten Einsatz.

Alec atmete auf. Von der Rückbank hörte er gelöstes Lachen. Seine Fahrgäste zogen sich die Skimasken vom Kopf. Darunter kamen zufriedene schwarze Gesichter zum Vorschein. Einer der Männer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, der andere reckte grinsend den Daumen in die Höhe.

Der schwierigste Teil war geschafft. Jetzt mussten sie unentdeckt zurück nach Detroit kommen. Es war ein weiter Weg dahin, der an zahlreichen Verkehrskameras vorbeiführte.

Alec zog sich die Baseballkappe tiefer ins Gesicht und stieg aus. Die kühle Nachtluft prickelte erfrischend auf der Haut. Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich, doch sein Körper vibrierte noch vom Adrenalinschub. Seine Finger zitterten, als er versuchte, die schwarze Folie zu lösen, die auf der Motorhaube klebte. Der Handschuh machte es unmöglich. Er zog ihn aus und benutzte die Fingernägel. Sobald eine Ecke hochstand, konnte er die Folie mit der anderen, behandschuhten Hand abziehen. Heller Lack kam zum Vorschein. Wenig später hatte er den gesamten Wagen von der Tarnung befreit und stand vor einem silbernen Taurus. Er zog den Handschuh wieder an und knüllte die Folienstücke zu einem Ball zusammen. Anschließend zog er das Nummernschild aus seiner Halterung am Heck. Darunter wurde ein zweites Schild sichtbar. Er versteckte Folie und Nummernschild unter einer Hecke und stieg wieder ein. Das zweistöckige Wohnhaus im Blick, startete er den Motor. Die Fenster zur Straße blieben dunkel. Die Bewohner verschliefen die Ereignisse vor ihrer Haustür. Alec legte den Vorwärtsgang ein und rollte vom Grundstück.

Auf der 8 Mile Road, Detroits wohl berühmtester Straße, kam ihnen ein Streifenwagen entgegen. Er spürte die Nervosität seiner Fahrgäste. Doch die Patrouille fuhr vorbei, und der Polizeifunk blieb ruhig. Wie erwartet.

Er nahm den Freeway, die kürzeste der drei Routen, die er für diese Nacht ausgearbeitet hatte, und erreichte bald die Innenstadt. An einer Straßenecke im Vergnügungsviertel hielt er an. Einer seiner Fahrgäste stieg wortlos aus.

Der andere reichte ihm die Hand und drückte sie kräftig. »Guter Job, Kumpel!«

Sobald der zweite Mann ausgestiegen war, fuhr Alec weiter.

Während er an einer roten Ampel wartete, schaltete er den Polizeiempfänger aus und verstaute ihn im Handschuhfach. Danach beobachtete er die Nachtschwärmer, die vor ihm die Straße überquerten. Auf dem Weg zur nächsten Party, auf der Suche nach einem Taxi, vielleicht unentschlossen, wie die Nacht weitergehen sollte.

Für diese Menschen war es ein normaler Abend.

Alec kam es vor, als würde er durch ein Fenster in eine fremde Welt schauen. Seine Normalität war eine vollkommen andere.

Wenig später bog er in eine ruhige Nebenstraße ab und lenkte den Ford in die Auffahrt eines Parkhauses. Er stellte den Wagen im zweiten Obergeschoss ab und platzierte das Parkticket gut sichtbar auf dem Armaturenbrett. Den Autoschlüssel legte er zum Polizeiempfänger ins Handschuhfach. Auf dem Weg zum Fahrstuhl zog er ein Handy aus der Jackentasche und schrieb eine kurze Textnachricht mit dem Standort des Wagens. Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, schaltete er das Handy aus und warf es in einen Mülleimer.

Wieder auf der Straße, wandte er sich nach rechts und ging einen Teil der Strecke zurück, die er eben gefahren war.

Hinter einer Kreuzung stand am Straßenrand ein betagter, dunkelblauer Dodge Daytona. Alec zog einen Autoschlüssel aus der Hosentasche, öffnete die Fahrertür und hielt inne. Auf der anderen Straßenseite lag ein Fitnessstudio, dessen Eingangsbereich selbst weit nach Mitternacht hell erleuchtet war. Hinter einer Milchglasscheibe zeichneten sich schemenhaft die Umrisse einer einzelnen Person ab, die auf einem Laufband trainierte.

Er gab der Fahrertür einen kräftigen Stoß, damit das Schloss einrastete, und holte eine Sporttasche aus dem Kofferraum. Sein Körper summte und brummte wie ein Bienenstock. Wenn er die überschüssige Energie nicht abbaute, würde er heute Nacht kein Auge zumachen.

Kapitel 1

An einem Montagmorgen um vier Uhr unterschied sich Detroit von keiner anderen amerikanischen Großstadt. Nach dem Wochenende herrschte eine Atmosphäre erschöpfter Stille. Die Straßen waren wie leer gefegt, und der gnädige Schleier der Dunkelheit bedeckte all die kleinen und großen Makel. Erst das Tageslicht würde sie gnadenlos zum Vorschein bringen. Doch bis dahin blieb noch Zeit.

Alec stand in Boxershorts und T-Shirt am offenen Küchenfenster und trank Wasser aus einem Glas. Kühle Nachtluft wehte herein. In der Ferne zeichneten vereinzelte Lichter die Skyline von Detroit nach. Ihr Anblick übte eine magische Anziehungskraft auf ihn aus.

Die Wohnung lag im fünften Stock einer sechsstöckigen Wohnanlage, die den optimistischen Namen Freedom Place Apartments trug. Vom Dach bot sich ein spektakulärer Blick auf die Hochhäuser der Innenstadt. An besonders warmen Tagen saß er manchmal bis spät abends auf der von der Sonne aufgeheizten Teerpappe, trank Bier und genoss die herrliche Aussicht. Kurz nach seinem Einzug hatte er herausgefunden, dass der Schlüssel für den Trockenraum im Keller auch für den Zugang zum Dach passte. Ob Zufall oder Absicht, konnte Alec nicht sagen. Den Hausmeister würde er jedenfalls nicht danach fragen.

Von unten drang leise Musik herauf. Vielleicht aus dem vierten Stock, vielleicht aus dem dritten. Die dünnen Wände isolierten schlecht, als wäre das Gebäude aus Pappmaschee gebaut.

Er schloss das Fenster, holte Butter, Käse und Schinken aus dem Kühlschrank und bereitete zwei Sandwiches zu. Danach füllte er das Wasserglas erneut aus einer großen Plastikflasche und ging ins Wohnzimmer. Im Fernsehen lief das vorletzte Inning eines Baseballspiels. Die Lautstärke war heruntergedreht und die Stimmen der Kommentatoren kaum zu hören. Er machte es sich auf dem Sofa bequem.

Am Tag zuvor hatte ein lokaler Radiosender von einem Einbruch in ein Self-Storage-Lagerhaus in Ferndale berichtet. Lediglich eine der kleineren Lagereinheiten war aufgebrochen worden. Bei der Spurensicherung fand die Polizei Hinweise auf ein Drogendepot. Es bestand der begründete Verdacht, dass die Täter die Lagereinheit gezielt aufgebrochen hatten, um an die Drogen zu gelangen. Nach dem Mieter der Einheit wurde ebenso gefahndet wie nach den drei oder vier unbekannten Personen, die an dem Raub beteiligt gewesen sein sollten. Kein Wort über die nächtliche Verfolgungsjagd oder das Entkommen der Täter. Diese unrühmlichen Details verschwieg das Detroit PD.

Während sich das Baseballspiel dem Ende näherte, aß Alec in aller Ruhe sein Frühstück. Es war sein erster Auftritt in den Nachrichten. Sorgen machte er sich deshalb nicht, solange es bei dem einen Mal blieb.

Um kurz nach fünf zog er die Wohnungstür hinter sich zu und ging durch den spärlich beleuchteten Korridor zum Fahrstuhl. Die Luft roch muffig und nach Schimmel. An der Decke zeichneten sich vereinzelt dunkle Flecken ab. Hier und da zierten mit Kreide oder Buntstiften gemalte Krakeleien die Wände und das hellgraue Linoleum. Die jüngeren Kinder benutzten das Haus als Malbuch, die älteren als Übungsfläche für Graffitis.

Im Fahrstuhl roch es nach einer Mischung von Urin, Schweiß und scharfen Reinigungsmitteln, die ihm fast dem Atem verschlug. In einer Ecke lag ein verloren gegangener Schnuller. Freedom Place war eine städtische Wohnanlage, in der überwiegend alleinerziehende Eltern mit niedrigem Einkommen wohnten. Bis auf wenige Stunden in der Nacht herrschte ständiger Lärm. Kindergeschrei, Getrampel, dröhnende Musik, laut gedrehte Fernseher, hitzige Debatten hinter verschlossenen Türen. Alec machte die Unruhe nichts aus, weil er selten zu Hause war. Und wenn er einmal schlief, konnte ihn kaum etwas wecken.

In der Tiefgarage blieb er einen Moment zwischen den geöffneten Fahrstuhltüren stehen und sah sich prüfend um. Freedom Place war kein Getto, trotzdem gab es Zeitgenossen und Situationen, die man besser meiden sollte. Heute bewegte sich nichts zwischen den Reihen der geparkten Fahrzeuge. Das einzige Geräusch kam von einer defekten Leuchtstoffröhre, die in unregelmäßigen Abständen flackerte und dabei brummte wie eine wütende Hornisse.

Sein Wagen stand weit entfernt von der Ausfahrt, auf dem Parkplatz, der ihm bei seinem Einzug vom Hausmeister zugeteilt worden war. Er stieg ein, rollte zur Ausfahrt und wartete, bis sich das Sicherheitstor quietschend und ratternd gehoben hatte. Das Gelände der Wohnanlage lag eingeklemmt zwischen einem der zahlreichen Freeways, die Detroit wie Lebensadern durchschnitten, und der Warren Avenue, einer Durchgangsstraße. Er fuhr die Rampe hoch, bog auf die Warren Avenue ein und lenkte den Wagen nach Westen. Es waren nur wenige Fahrzeuge unterwegs, doch allmählich erwachte die Stadt aus dem Schlaf.

Während er an Schrott- und Autohändlern, städtischen Wohnungsbauprojekten und One-Dollar-Shops vorbeifuhr, überkam ihn angesichts der geballten Hässlichkeit und Trostlosigkeit eine leichte Melancholie. Der Niedergang der Automobilindustrie hatte Detroit fast den Todesstoß versetzt. Die alte Dame stand noch im Ring, aber sie schwankte gefährlich. Der anbrechende Tag würde nach und nach die Wunden ihres Kampfes sichtbar machen. Die Schlaglöcher und Risse im Asphalt, die nicht ausgebessert wurden, weil finanzielle Mittel fehlten. Die brachliegenden Flächen, auf denen nicht gebaut wurde. Die unbewohnten Häuser, die allmählich verfielen. Seit den 1950er-Jahren hatte sich Detroits Bevölkerung mehr als halbiert. Von einst knapp unter zwei Millionen Einwohnern waren keine achthunderttausend übrig geblieben. Mehr als ein Fünftel der Gebäude stand leer. Tausende Ruinen verschandelten das Stadtbild. Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes und die folgende weltweite Wirtschaftskrise hatten ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen, der Motor City, dem einstigen Juwel des Nordens, ihr heutiges Gesicht zu verleihen.

Nach der nächsten Ampel tauchte Alecs Ziel in der Dunkelheit auf. Er hielt vor einem schweren Eisentor. Jenseits des Tores zeichneten sich zwei eingeschossige Gebäude ab. Das Kleinere, eine Doppelgarage, stand hinten auf dem Gelände und quer zur Straße. Das größere Gebäude blickte auf die Warren Avenue. Über den vier geschlossenen Rolltoren leuchtete grellrot eine Reklame: Mikelti’s Autoshop – Repairs & Parts.

Er zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnete das Eisentor. Er stellte den Daytona neben der Doppelgarage ab, schloss das Tor und ging zum Hauptgebäude. Eine Videokamera verfolgte, wie er ein massives Vorhängeschloss öffnete und einen schweren Riegel zurückzog. Er schloss die Eingangstür zum Büro auf, das gleichzeitig als Kassenraum, Beratungszimmer und Ausstellungsraum für verschiedene Felgen- und Reifenmodelle diente. In der Dunkelheit begann ein rotes Lämpchen zu blinken. Alec gab den Deaktivierungscode in die Alarmanlage ein, das Lämpchen erlosch. Nach dem Wochenende war die Luft im Büro stickig. Er öffnete zwei Fenster und setzte in der Küche die erste Kanne Kaffee auf. Sein Chef würde frühestens um halb sieben auftauchen. Bis dahin hatte er die Werkstatt für sich allein. Während die Kaffeemaschine geschäftig vor sich hin blubberte, schaltete er das Radio ein und wechselte den Sender. Seine Kollegen hörten Hip-Hop, R’n’B und eine gewöhnungsbedürftige Mischung aus Funk und House, die sich Detroit Techno nannte. Tagsüber schallte die Musik unaufhörlich durch die Werkstatt. Alec mochte Springsteen, Cash, Gary Moore und einen Haufen anderes altes Zeug. Abgesehen von vereinzelten Ausflügen in die Popcharts war sein Musikgeschmack ähnlich oldschool wie seine Vorliebe für Autos.

Er schenkte sich Kaffee ein – schwarz, ohne Zucker – und nippte vorsichtig an dem heißen, bitteren Getränk. Mit dem Becher in der Hand ging er in den Umkleideraum. Sein Spind war leicht zu finden. Die blanke Tür unterschied sich deutlich von den vier anderen, an denen Bilder von Sportlern, Autos, Comicfiguren oder Familienmitgliedern klebten. Er stellte den Kaffeebecher auf dem Spind ab und tauschte seine Kleidung gegen einen dunkelblauen, von Schmutz- und Ölflecken übersäten Overall. Auf dem Rücken und über der linken Brust prangte in Gelb und Rot der Name des Autoshops. Nachdem er sein Handy in einer der zahlreichen Hosentaschen verstaut hatte, nahm er den Kaffeebecher mit in die Werkstatt. Alle vier Stellplätze waren belegt. In diesen unsicheren Zeiten kaufte kaum jemand einen neuen Wagen. Stattdessen ließen die Leute ihre alten Karren so lange zusammenflicken, bis sie ihnen quasi unter dem Hintern zusammenbrachen.

Alec betrachtete skeptisch den weißen Viertürer in der zweiten Bucht. Der japanische Plastikbomber brauchte ein neues Getriebe und eine neue Kupplung. Damit würde er in den nächsten Stunden gut beschäftigt sein. Er hätte dem Besitzer gern geraten, die hässliche Möhre zu verschrotten und sich ein ordentliches Auto zu kaufen. Schließlich waren sie in Detroit. Doch er würde sich hüten, seine Gedanken laut auszusprechen. Es war sein persönliches Problem, dass er den Fahrzeugen gewisser Hersteller mehr Respekt entgegenbrachte als denen anderer.

Begleitet von einem pflegeleichten Popsong fuhr er die Hebebühne hoch und holte seinen Werkzeugwagen aus einem der Sicherheitsverschläge.

Als sein Chef um kurz nach sieben die Werkstatt betrat, hatte Alec den Motor längst ausgebaut und an vier starken Ketten aufgehängt, um leichter an die defekten Teile zu kommen.

Mikelti musterte ihn mürrisch. »Bist du ein verdammter Roboter, der keinen Schlaf braucht? Das ist ja nicht normal!«

Er legte schmunzelnd den Schraubenschlüssel beiseite. »Und auch dir einen wunderschönen guten Morgen!«

Der ältere Mann schüttelte den Kopf und wandte sich mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Irgendetwas hatte ihm gründlich die Laune verdorben. Alec wischte seine schmutzigen Hände mit einem feuchten Lappen ab und folgte seinem Chef ins Büro. Mikelti saß bereits hinter dem Schreibtisch. Er sah müde und abgespannt aus. Kein guter Start in die Woche.

Alec lehnte sich gegen den Türrahmen. »Alles klar?«

Mikelti seufzte. »Laurie ist letzte Nacht viermal aufgewacht und hat mit ihrem Geschrei das ganze Haus geweckt. Die Nacht davor war kaum besser. Sie hat Durst, sie hat Albträume, sie weint. Darnelle ist mit den Nerven am Ende. Sie will die Schule schmeißen, weil sie alles überfordert, und stattdessen halbtags im Supermarkt arbeiten.« Sein Chef warf ihm einen erschöpften Blick zu. »Wie war dein Wochenende?«

Alec verzog mitfühlend das Gesicht. »Kaffee?«

Als Antwort kam ein Nicken. Er füllte in der Küche einen Becher, gab Milch und Zucker dazu und brachte Mikelti den kleinen Seelentröster.

Sein Chef nahm einen Schluck und lehnte sich seufzend zurück. »Danke. Das habe ich gebraucht.«

Alec deutete einen Zweifingersalut an und ging zurück an die Arbeit.

Mikelti Mbame führte wahrlich kein stressfreies Leben. Er war siebenundfünfzig Jahre alt, besaß seit fünfzehn Jahren eine Werkstatt, die trotz guter Phasen immer wieder bedrohlich nahe an der Pleite entlangschrammte, und war nach zwei gescheiterten Ehen zum dritten Mal verheiratet. Er hatte einen Sohn aus zweiter Ehe und eine Tochter aus der dritten, die ihn mit zarten sechzehn Jahren zum Großvater gemacht hatte. Mittlerweile war die kleine Laurie zwei Jahre alt. Darnelle versuchte seit einiger Zeit, ihren Highschool-Abschluss nachzuholen. Allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen und schwankender Motivation. Lauries biologischer Vater, ein dreiundzwanzigjähriger Hohlkopf, war spurlos verschwunden, nachdem er von dem Braten in der Röhre erfahren hatte. Tagsüber kümmerte sich Mikeltis Frau um die Enkeltochter, damit Darnelle zur Schule gehen konnte. Abends übernahm häufig Mikelti die Babysitterrolle, um seiner Tochter Zeit für Hausaufgaben und ihre Freundinnen zu geben. Darnelle war trotz allem immer noch ein Teenager. Ein äußerst zickiger Teenager mit einem permanent beleidigten Gesichtsausdruck, der die Welt wissen ließ, dass ihr Leben nicht nach Plan verlief.

Seit Alec im Autoshop arbeitete, war Darnelle dreimal vorbeigekommen, um existenzielle Probleme mit ihrem Vater auszudiskutieren. Was bedeutete, dass sie keifte und Mikelti zuhörte. Jedes Mal hatte Darnelle die Kinderkarre samt ihrer Tochter in der Werkstatt geparkt und es Alec und den anderen Mechanikern überlassen, Babysitter zu spielen. Laurie war ein süßes Mädchen, keine Frage. Auf die Mutter konnte er getrost verzichten.

Nach und nach trafen seine Kollegen ein. Zuerst Sayed. Er begrüßte Alec mit einem fröhlichen Hallo und der Androhung, später ausführlich von seinem großartigen Wochenende mit Maria oder Mary oder Marianne zu erzählen. Jedenfalls irgendwas mit »M«. Der Einunddreißigjährige war keine geistige Leuchte, doch stets gut gelaunt und für jeden Spaß zu haben. Anders als Joseph. Der ältere Mann quittierte Alecs Anwesenheit mit einem sparsamen Nicken und machte sich wortlos an die Arbeit. Joseph ging auf die fünfzig zu und hatte offenbar genug Lebenszeit mit zwischenmenschlichem Geplänkel verschwendet.

Zuletzt gab sich Mikelti junior die Ehre. Oder Mick, wie ihn alle nannten, um Verwechslungen mit seinem Vater zu vermeiden. Wer es wagte, Mick ohne Erlaubnis Junior zu nennen, begab sich allerdings in Lebensgefahr.

Pünktlich um acht Uhr fuhren sie die Rolltore hoch und öffneten das Tor zur Straße. Sayed suchte im Radio den Hip-Hop-Sender, und das Arbeitstempo zog an. Trotzdem wurde viel gescherzt und gelacht. Der Umgangston war rau, aber freundschaftlich. Besonders Sayed und Mick nahmen kein Blatt vor den Mund. Als einziger Weißer im Team war er ein beliebtes Ziel für ihre flapsigen Sprüche und Sticheleien. Es störte ihn nicht. Er teilte genauso gut aus, wie er einsteckte. Wenn es ihm zu viel wurde, ignorierte er das Gequatsche und konzentrierte sich auf seine Patienten. Die Arbeit an den Fahrzeugen war wie Meditation für ihn. Weil er an nichts anderes denken musste als an die Lösung einer einzigen überschaubaren Aufgabe. Keine komplizierten Abwägungen, keine Vielschichtigkeit, keine unbekannten Variablen. Reine Mechanik, reine Technik. Häufig vergaß er darüber die Zeit und solch nebensächliche Dinge wie Essen oder Trinken.

So auch heute. Irgendwann stieß Mikelti ihn an und reichte ihm eine Flasche Wasser.

»Danke.« Alec lehnte sich gegen den Pick-up, bei dem er eben eine defekte Wasserpumpe ausgetauscht hatte, und trank durstig.

»Bist du fertig mit dem Baby?«

Er nickte.

»Draußen steht ein Beemer, der bei hoher Geschwindigkeit nach links zieht. Den kannst du dir als Nächstes vornehmen. Hinterher machst du Pause, klar?«

»Zu Befehl.«

Mikelti gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Oberarm und ging zu Mick, der mit einem störrischen Auspuff kämpfte. Eine Weile beobachtete Alec, wie Vater und Sohn gemeinsam unter der hochgefahrenen Hebebühne standen und versuchten, das verkantete Teil auszubauen.

Und plötzlich war das Heimweh da. Es kam aus dem Nichts, und die Wucht des Gefühls schnürte ihm die Kehle zu. Er vermisste seine Eltern und seinen Onkel. Er hatte sie ewig nicht gesehen, viel zu lange nicht mit ihnen gesprochen.

Ob es ihnen gut ging?

Er bemerkte, dass Joseph ihn beobachtete. Ihre Blicke trafen sich, und für einige Sekunden musterten sie einander stumm, bis sich der ältere Mann wieder der Arbeit zuwandte. Joseph war der Einzige, zu dem er keinen Zugang fand. Auch nach vier Monaten nicht. Er nahm es nicht persönlich. Sein Kollege war den anderen gegenüber ebenso sparsam mit Worten und Gesten. Allerdings hatte er den Verdacht, dass sein freundschaftliches Verhältnis zu Mikelti und alles, was damit verbunden war, bei Joseph keine Zustimmung fand. Er trank noch etwas Wasser und stellte die Flasche zurück auf den Werkstattwagen. Um den Pick-up nicht zu verschmutzen, legte er eine dünne Wolldecke auf den Fahrersitz und fuhr den Wagen rückwärts auf den Hof. Bei Tageslicht konnte man die Schrift auf dem grauen Schild lesen, das an einem schmalen Mauerstück zwischen zwei Rolltoren hing. In weißen Lettern stand dort: Best Care Anywhere.

Egal, wie schlecht gelaunt Alec war, diese drei Wörter brachten ihn jedes Mal zum Schmunzeln.

Kurz vor halb eins legte er letzte Hand an den BMW, oder Beemer, wie die Marke von vielen genannt wurde. Der Wagen würde nun nicht mehr nach links ziehen. Er streckte sich und unterdrückte ein Gähnen. Der Schlafmangel machte sich inzwischen deutlich bemerkbar. Seine Konzentration ließ nach, und er musste immer häufiger blinzeln, um den Blick zu fokussieren. Dagegen half kein Kaffee mehr. Er brauchte frische Luft und ein ordentliches Mittagessen, um seinen knurrenden Magen zu besänftigen. Vorher musste er allerdings noch etwas erledigen. Joseph war wie jeden Tag pünktlich um zwölf in der Küche verschwunden, um seine mitgebrachte Mahlzeit in der Mikrowelle aufzuwärmen. Sayed und Mick machten gewöhnlich später Pause. Der Zeitpunkt war günstig. Alec ging ins Büro, um sich bei Mikelti abzumelden, doch von seinem Chef war nichts zu sehen. In der Küche saß lediglich Joseph und aß etwas, das wie Nudeln in Tomatensoße aussah. Einer Eingebung folgend, sah Alec in dem kleinen Zimmer neben der Küche nach, das sie manchmal als Besprechungsraum nutzten. Dort fand er Mikelti. Sein Chef saß zurückgelehnt in einem der beiden Sessel. Er hatte die Schuhe ausgezogen, die Füße auf die Armlehne des Sofas gestützt und schlief. In einer Hand hielt er einen Kaffeebecher, der jede Sekunde umzukippen drohte. Er nahm Mikelti vorsichtig den Becher aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch. Danach zog er sich leise zurück und suchte Mick. Er fand den Juniorchef unter einem Wagen liegend.

Alec klopfte auf die Motorhaube. »Ich mache Pause.«

»Viel Spaß«, kam die gedämpfte Antwort.

Er zog sich um, nahm seine Umhängetasche aus dem Spind und ging auf den Hof. Er wollte gerade den Daytona aufschließen, als ihn ein Ruf innehalten ließ.

»Yo, Weißbrot!«

Er wandte sich um und entdeckte Sayed, der mit einer dunkelhäutigen Frau neben einem rostigen Zweitürer stand.

»Was is’?«, imitierte er Sayeds schnodderigen Tonfall.

»Bringst du mir was vom Chinesen mit?«

»Menü dreiundzwanzig und eine Cola?«

Sayed hob zur Bestätigung grinsend den Daumen.

Während Alec vom Hof rollte, sah er im Rückspiegel, wie Sayed sehr vertraulich den Arm um die junge Frau legte.

Sayed war ein notorischer Flirter. Er liebte die Frauen. Alle Frauen. Und die Frauen liebten Sayed. Er hatte ein freundliches, offenes Gesicht, und ihn umgab die Aura des kleinen Jungen, der ein bisschen verloren wirkte in der großen weiten Welt. Sayed fand stets die richtigen Worte, um zu schmeicheln und zu verführen. Wenn das nicht reichte, erlegte er seine Opfer mit einem schelmischen Grinsen und einem tiefen Blick aus dunklen Augen.

Beneidenswert.

Alec musste beim Dating andere Register ziehen. Er konnte sich weder auf sein Äußeres verlassen noch versprühte er irgendeine Art von unschuldigem Charme. Als Kind war er ein hübscher, engelsblonder Junge mit dunkelbraunen Augen gewesen. Ein Herzensbrecher, von Großmüttern, Lehrerinnen und Kaufhausverkäuferinnen gleichermaßen angehimmelt. Alle waren sich einig gewesen, dass er später die Frauen reihenweise um den kleinen Finger wickeln würde.

Leider hatte Alec die Pubertät einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihm das Gesicht seines Vaters beschert: das kantige Kinn, die etwas zu weit auseinanderstehenden Augen und die kräftige Stirnpartie. Dazu kamen diese beiden tiefen Furchen zwischen den Augen, die sich bildeten, wenn er sich konzentrierte, und die ihn grimmiger erscheinen ließen, als er war. Was unter gewissen Umständen von Vorteil sein konnte. Allerdings nicht, wenn es um die Eroberung von Frauenherzen ging. Das Engelsblond war über die Jahre zu einem langweiligen Farbton nachgedunkelt, der irgendwo zwischen dunkelblond und hellbraun lag. Straßenköterblond. Mit hundertachtundsiebzig Zentimetern gehörte er nicht zu den Riesen, doch sein breites Kreuz verstärkte den Eindruck, dass man sich nicht leichtfertig mit ihm anlegen sollte.

Die Lehrerinnen und Kaufhausverkäuferinnen von damals würden ihn heute sicherlich nicht mehr als hübsch bezeichnen. Höchstens als Charakterkopf.

Deshalb griff er im Clinch mit der holden Weiblichkeit auf Waffen zurück, die sich auch in anderen Lebenslagen bewährten: Schlagfertigkeit, eine gewisse Dreistigkeit und eine hohe Risikobereitschaft. Manchmal fiel er damit auf die Schnauze, doch er fand die Trefferquote ausreichend.

Sein letztes Date lag allerdings deprimierend weit zurück.

Kapitel 2

Punkt dreizehn Uhr parkte Alec den Daytona in Sichtweite eines heruntergekommenen Family-Dollar-Stores. Er holte eine Sonnenbrille und eine rote Schirmmütze mit dem weißen Schriftzug der Red Wings, Detroits Eishockeymannschaft, aus der Umhängetasche und setzte beides auf. Er wartete eine Lücke im dichten Verkehr ab, überquerte die Straße und betrat den dunklen, muffigen Laden. Der junge Mann an der Kasse blickte kurz von einer Zeitschrift auf, musterte ihn, musterte die Schirmmütze und las danach scheinbar gelangweilt weiter. Alec schlenderte durch die Regalreihen, auf der Suche nach nichts Bestimmtem. In Plastikbehältern und Körben lagen Haushaltsartikel, Schreibwaren und billiger Kram. Er nahm das eine oder andere in die Hand und legte es nach kurzer Betrachtung zurück. Die einzigen anderen Kunden waren ein älterer Herr, der sich beim Geschenkpapier herumdrückte, und eine übergewichtige, ungepflegt wirkende Frau, die zwei Packungen mit Zahnbürsten in den Händen hielt. Sie schien unentschlossen, welche sie nehmen sollte. Plötzlich ließ sie eine der Packungen unter ihrem Mantel verschwinden und watschelte mit der anderen zur Kasse. Er stellte sich hinter ihr an. Nachdem die Frau bezahlt hatte und mit ihrem Einkauf und dem Diebesgut verschwunden war, zog er ein Benzinfeuerzeug aus einem Ständer und legte es auf den Tresen. Mit viel gutem Willen konnte man das Ding für ein teures Zippo halten.

»Kann ich das als Geschenk verpackt bekommen?«

Der Kassierer schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, den Service bieten wir nicht an. Aber ich habe noch eins in der Originalverpackung.«

Er nickte.

Der ältere Herr schlurfte heran. Er schob eine Wolke von getrocknetem Schweiß und Alkohol vor sich her.

»Die Herstellergarantie liegt in der Verpackung.« Der Kassierer reichte ihm eine kleine schwarze Plastikbox.

Alec zog einen Fünfdollarschein aus der Hosentasche und bezahlte. Er ging zurück zum Wagen und fuhr los, ohne das Ziel zu kennen. An einer roten Ampel holte er die kleine Box aus der Jackentasche und öffnete sie. Ein silbernes Benzinfeuerzeug rutschte heraus. Darunter lag zusammengefaltet ein Zettel. Darauf standen eine Adresse und ein Wort: Japan.

Das war neu. Normalerweise arbeitete er bei diesen Botenfahrten nach einem festgelegten Code. Ziffern für die Abholorte, Buchstaben für die Abgabeorte. Keine Adressen. Keine Hinweise für neugierige Augen. Die rote Ampel im Blick, untersuchte er das Feuerzeug. Nichts deutete darauf hin, dass der Gegenstand in seiner Hand etwas anderes war als ein Feuerzeug. Es gab weder Geheimfächer noch Öffnungen für USB-Sticks oder Kabel. Kein Klappern im Inneren. Der einzige Geruch, den er wahrnahm, war der von Benzin. Er verzichtete darauf, das Feuerzeug auszuprobieren. Das Risiko, einen versteckten Mechanismus auszulösen oder auf andere Weise Spuren zu hinterlassen, erschien ihm zu groß. Er wischte das Feuerzeug sorgfältig ab, um die Fingerabdrücke zu beseitigen, und steckte es zusammen mit dem Zettel zurück in die Verpackung.

Die Adresse, zu der man ihn beordert hatte, war die eines Schuhgeschäfts am Rande des Rotlichtbezirks. Alec fuhr an dem Gebäude vorbei, parkte in einer Nebenstraße und ging zu Fuß zurück. Er betrat das Geschäft und sah sich um. Teenager, die zu dieser Zeit in die Schule gehörten, Mütter mit kleinen Kindern und drei Verkäufer in schwarzen Hosen und blütenweißen, kurzärmligen Hemden. Keine Japaner, keine japanischen Flaggen, niemand in japanischer Kleidung. Er beschloss, sich finden zu lassen. Er blieb bei den Laufschuhen stehen und untersuchte scheinbar interessiert eines der Ausstellungsstücke.

Es dauerte nicht lange, bis er eine männliche Stimme neben sich hörte. »Wir haben vorhin einige neue Modelle reinbekommen, die noch im Lager stehen. Falls es Sie interessiert, könnte ich sie Ihnen zeigen.« Es war einer der Verkäufer, der ihn ansprach, ein blonder Mann mit unruhigem Blick. Auf seinem rechten Unterarm prangte gut sichtbar eine Tätowierung von Godzilla. Das klassische Monster, nicht die Neuauflage.

Japan.

Der Verfasser der Nachricht besaß Sinn für Humor.

Er folgte dem Verkäufer an den Kassen vorbei, durch eine Tür, die als Privat gekennzeichnet war, weiter durch einen Korridor und zu einer zweiten Tür. Dahinter lag ein von Fahrzeugen zugeparkter Innenhof. Sein Begleiter deutete wortlos über den Hof und auf den Hintereingang eines Nachtclubs. Alec ging allein weiter.

Anspannung breitete sich in ihm aus. Sie vertrieb den letzten Rest von Müdigkeit und Hunger. Einige Schritte vor dem Hintereingang blieb er stehen und betrachtete die Leuchtreklame, die jetzt bei Tage ausgeschaltet war.

Arabian Nights. Was nach billigem Stripclub klang, war einer der teuersten Nachtclubs der Stadt. Er schielte hoch zu der Überwachungskamera, die auf die schwere Metalltür gerichtet war, und widerstand dem Drang, den Schirm seiner Mütze zu richten. Stattdessen drückte er auf die Klingel. Die Tür öffnete sich fast sofort. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit kurzen schwarzen Haaren erschien. Er trug einen schwarzen Anzug. Keine Krawatte. Das Jackett wölbte sich sichtbar unter der linken Achsel. Durchdringende blaue Augen musterten Alec von Kopf bis Fuß, versuchten, ihn einzuschätzen, suchten nach möglichen Anzeichen für eine Bedrohung. Der prüfende Blick eines Bodyguards. Schließlich trat der Mann zur Seite und ließ ihn hinein. Was folgte, erinnerte an die Sicherheitsüberprüfung am Flughafen. Der Bodyguard befahl ihm, sich mit gespreizten Armen und Beinen an die Wand zu stellen, und tastete ihn grob nach Waffen, Wanzen, Drähten, Sprengsätzen oder Ähnlichem ab. Anschließend holte er einen tragbaren Scanner hervor und fuhr damit über jeden Quadratzentimeter von Alecs Körper. Die Tatsache, dass kein Verdacht erregendes Piepsen ertönte, stimmte den Mann nicht fröhlicher. Nach einem letzten, beinahe enttäuscht wirkenden Blick auf das Gerät schaltete er den Scanner aus und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen.

Während sie durch einen langen Korridor gingen, versuchte Alec, seine Gedanken zu ordnen. Das hier hatte nichts mit einer gewöhnlichen Kurierfahrt zu tun. Der Bodyguard, der Nachtclub, alles deutete auf ein Treffen hin. Aber mit wem? Und warum? War das hier der Moment, auf den er seit Monaten hingearbeitet hatte? Der nächste Schritt? Als sie den dunklen Saal betraten, wurden seine Handflächen feucht. Er wischte sie unauffällig an der Hose ab. Cool bleiben. Die Sache ruhig und lässig durchziehen.

Sein Aufpasser führte ihn an einem kreisrunden Tresen vorbei, der wie eine Insel in der Mitte des Raumes aufragte, und weiter in den hinteren Teil des Nachtclubs. Dort saß im Licht eines einzelnen Scheinwerfers eine Person an einem Tisch. Es war ein Mann in Alecs Alter, der konzentriert auf den Bildschirm eines Laptops blickte und in ein Handy sprach. In seinem anderen Ohr steckte der Kopfhörer eines MP3-Players oder iPods.

Er erkannte den Mann. Sein Herz schlug schneller.

Kurz bevor sie den Tisch erreichten, blieb der Bodyguard stehen. Alec stoppte. Er überlegte, ob er zum Zeichen des Respekts die Sonnenbrille abnehmen sollte. Er entschied sich dagegen. Wenn er sein Gegenüber richtig einschätzte, würde eine Portion Dreistigkeit das Eis schneller brechen.

Während er auf den Beginn der Audienz wartete, musterte er den Mann am Tisch verstohlen über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg. Die kurz geschnittenen, tiefschwarzen Haare waren modisch zerzaust. Die Gesichtszüge und der bronzefarbene Teint verrieten die indische Herkunft. Die Körpersprache strahlte absolutes Selbstvertrauen aus. Sein Gegenüber wirkte wie einer dieser Selfmademillionäre, die in hippen Straßencafés saßen und zwischen zwei Espressi den nächsten großen Deal einfädelten.

Vom Telefonat waren lediglich Wortfetzen zu hören, die nichts über den Inhalt des Gesprächs preisgaben, denn der Inder sprach eine wilde Mischung aus Englisch und Hindi. Eine wirksame Methode gegen unerwünschte Mithörer.

Sein Blick fiel auf das grellrote Hemd mit den blau und weiß gesteppten Nähten, an dessen Kragen sein Gegenüber unentwegt herumzupfte. Plötzlich tanzten vor Alecs innerem Auge dickbäuchige Männer in Cowboyhemden Line-Dance-Figuren. Er brauchte einige Sekunden, um das Bild loszuwerden. Es sollte verboten werden, Hemden wie dieses zu verkaufen. Oder zu kaufen. Andererseits hatte jedermann ein Anrecht auf schlechten Geschmack. Selbst wenn er Ramesh Dewari hieß und für eine der mächtigsten Verbrecherorganisationen der USA arbeitete.

Zum Portfolio der Great Lakes Association gehörten Prostitution, illegales Glücksspiel und Drogen- sowie Zigarettenschmuggel. Die Nähe zur kanadischen Grenze bot lukrative Handelsmöglichkeiten mit dem nördlichen Nachbarn. Ramesh Dewaris Zuständigkeiten lagen bei Drogen und Zigaretten. Wer in Detroit in dieser Richtung Geschäfte machen wollte, kam an dem Inder nicht vorbei. Er repräsentierte eines der größten Räder im Detroiter Getriebe der Great Lakes Association. Smart genug, um die wirtschaftlichen und organisatorischen Aspekte zu überblicken, und sich trotzdem nicht zu schade, persönlich in Erscheinung zu treten, falls es der Anlass erforderte. Es kursierten Geschichten über unliebsame Konkurrenten, die nach einem Besuch von Ramesh Dewari überstürzt die Stadt verlassen hatten. Und es gab Gerüchte über zwei Drogendealer, die sich in Detroit breitmachen wollten und eines Nachts spurlos verschwanden. Wie vom Erdboden verschluckt.

Oder vom Detroit River …

Als könnte der Mann seine Gedanken lesen, hob Ramesh Dewari den Blick. Intelligente dunkle Augen musterten ihn und kehrten danach zum Bildschirm des Laptops zurück. Obwohl Ramesh zwei Jahre älter war als Alec, sah er aus wie Anfang dreißig. Er war einer dieser jugendlichen Typen, deren Äußeres sich zwischen Anfang zwanzig und Mitte vierzig kaum veränderte. Ein Umstand, der manche Menschen dazu verleiten mochte, ihn zu unterschätzen.

Eine Bewegung lenkte Alecs Aufmerksamkeit auf eine der plüschbezogenen Sitzecken. Außerhalb des Lichtkegels saß ein dunkelhäutiger Mann, der die Szene aufmerksam beobachtete. Anfang vierzig, die schwarzen Haare militärisch kurz rasiert, kein überschüssiges Gramm Fett am Leib, dafür zu viele Ringe an den Fingern.

Eric Deacon. Das zweite große Rad in Detroit.

Deacon gehörte der Geschäftszweig Prostitution, illegales Glücksspiel und Kreditgeschäfte. Er beaufsichtigte die Clubs und Bars, in denen getanzt, gespielt, gehurt und Rameshs Drogen konsumiert wurden.

Die Anwesenheit so viel unerwarteter Prominenz machte ihn nervös. Deshalb empfand er die Wartezeit, die ihm wohl seinen Platz in der Hierarchie zeigen sollte, nicht als lästig, sondern als Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen.

Er sah erneut zu Eric Deacon. Dieser Mann hatte ihn aus Buffalo abgeworben. Mit dem Versprechen besserer Konditionen und größerer Unabhängigkeit. Keine Agentur mehr, die sich an seinen Einkünften bereicherte und ihm immer wieder Kunden vermittelte, mit denen er eine Zusammenarbeit aus reinem Selbstschutz ablehnen musste. Alec hatte Aufträge abgelehnt. Mehrmals war er mit allzu sorglosen Fahrgästen aneinandergeraten. So machte man sich bei seinem Arbeitgeber nicht beliebt. Doch er ließ sich nicht reinreden, wenn es um seine Freiheit ging. Oder um sein Leben. Bei dieser Arbeit gab es keinen Spielraum für Experimente.

Deacons Angebot war verlockend gewesen: Ein einziger fester Arbeitgeber, der Alec ausschließlich eigene Mitarbeiter schickte, die regelmäßig streng überprüft wurden. Dazu die Kurierfahrten, bei denen er sich kaum überanstrengen würde. Er nahm das Angebot an und verlegte seinen Wohnsitz nach Detroit. Die Agentur in Buffalo war nicht traurig gewesen, ihn ziehen zu sehen.

Seit vier Monaten fuhr er für die Great Lakes Association und wartete auf den einen Auftrag, bei dem er seine Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte. Die Fahrt am Samstag war ein guter Anfang gewesen. Ramesh Dewari und Eric Deacon mussten ähnlicher Meinung sein, sonst stünde er jetzt nicht in einem Nachtclub herum und würde auf das Ende eines unverständlichen Telefonats warten.

Endlich beendete Ramesh Dewari sein Gespräch. Er steckte das Handy in die Brusttasche, zog den Kopfhörer aus dem Ohr und klappte den Laptop zu. Er lehnte sich im Stuhl zurück und betrachtete Alec mit einer süffisanten Überheblichkeit, die sich wohl nur jemand leisten konnte, der derartig hässliche Cowboyhemden trug.

»Du bist also der Fahrer.« Eine Feststellung, keine Frage.

Er nickte. Im nächsten Moment verpasste ihm sein Aufpasser einen Stoß gegen den Oberarm, der ihn fast zur Seite stolpern ließ.

»Nimm die Sonnenbrille ab!«, schnauzte ihn der Bodyguard an.

Er ignorierte ihn ebenso wie seinen schmerzenden Oberarm.

»Schon gut«, winkte Ramesh Dewari ab. »Lass ihn.«

Alec zog die Verpackung mit dem Feuerzeug aus der Jackentasche und legte sie auf den Tisch.

Der Inder würdigte sie keines Blickes. »Ich habe interessante Geschichten über dich gehört. Besonders die von dem kleinen Abenteuer am Samstag. Gute Arbeit.«

»Dafür werde ich bezahlt.«

»Hervorragend bezahlt, wenn ich mich recht erinnere.«

Was sollte er darauf erwidern? Qualität hat ihren Preis?

Ramesh legte einen Arm lässig über die Stuhllehne. »Als Deacon vorschlug, jemanden von außerhalb anzuheuern, war ich nicht begeistert. Das Risiko erschien mir zu groß. Doch die Bullen haben die meisten unserer Fahrer einkassiert, deshalb blieb uns keine andere Wahl. Schließlich kann ich mich nicht selbst hinters Steuer setzen.« Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Obwohl das bestimmt eine interessante Erfahrung wäre.« Ramesh Dewari sprach ausgezeichnetes Englisch mit einem leichten indischen Akzent. Dieser unverkennbare Singsang verlieh seinen Worten einen charmanten, fast unschuldigen Klang. Ob seine Konkurrenten ähnlich empfanden, wenn er ihnen kalt lächelnd mit dem Tod drohte? »In deinem Fall muss ich Deacon allerdings beglückwünschen.« Ramesh sah kurz zu dem Mann in der Sitzecke hinüber. »Er hat ein hervorragendes Gespür für Talent.« Es klingelte leise. Ramesh seufzte und griff nach seinem Handy. »Die Arbeit ruft«, erklärte er nach einem Blick auf das Display und nahm das Gespräch entgegen.

Alec blickte hinüber zu Eric Deacon. Der gab ihm mit einer knappen Kopfbewegung zu verstehen, dass er entlassen war. Er wechselte einen letzten Blick mit Ramesh Dewari und ging, den Bodyguard wie einen Schatten an seiner Seite. Am Tresen blickte er noch einmal zurück und sah, wie Ramesh Dewari beim Telefonieren das Feuerzeug aus der Verpackung holte und sich damit eine Zigarette anzündete. Er nahm einen tiefen Zug, blickte Alec über den Raum hinweg an und stieß dann langsam den Rauch aus.

Kapitel 3

Dieser Typ kann dir gefährlich werden.

Das war sein erster Gedanke, sobald er allein im Innenhof stand. Der zweite war, dass ihm diese kurze Begegnung einiges über die Machtverhältnisse zwischen Ramesh Dewari und Eric Deacon verraten hatte.

Auf dem Papier und in seiner Vorstellung mochte Deacon dem Inder ebenbürtig sein, doch Dewari war eindeutig der Mächtigere der beiden. Die Selbstverständlichkeit, mit der er seine Zweifel an Deacons Urteilsfähigkeit geäußert hatte, war ein Zeichen von Respektlosigkeit. Man kritisierte keine gleichgestellten Kollegen oder Geschäftspartner in Anwesenheit Untergebener. Es sei denn, man konnte es sich leisten. Oder man nahm sich das Recht heraus, es zu tun. Dewari hatte es geschickt angestellt: Kritik äußern, anschließend ein Lob einstreuen und das subtile Eingeständnis, sich geirrt zu haben. Deacon fühlte sich vermutlich geschmeichelt und in seiner Position bestätigt.

Alec rieb sich den schmerzenden Oberarm und ging zum Hofausgang. Die Sache mit dem Feuerzeug beschäftigte ihn. In den vergangenen Monaten hatte er sich häufig gefragt, ob er bei diesen Kurierfahrten überhaupt etwas von Wert transportierte. Oder ob es sich um eine sehr gründliche Prüfung seiner Zuverlässigkeit handelte. Hatte er heute die Antwort bekommen?

Er stieg in den Daytona und startete den Motor. Alles in allem war diese erste Begegnung mit Ramesh Dewari gut verlaufen. Hatte er den richtigen Eindruck hinterlassen, konnten sich zahlreiche Türen für ihn öffnen.

Doch hatte er?

Die alles entscheidende Frage.

Alec blickte auf die Uhr. Seine Pausenzeit betrug eine Stunde. Er war seit etwas mehr als einer halben Stunde unterwegs, und die Rückfahrt würde eine Viertelstunde dauern. Er lag gut im Rennen.

Kurz bevor er die Werkstatt erreichte, fiel ihm Sayeds Mittagessen ein. Sofort meldete sich sein eigener Magen mit unüberhörbarem Knurren. Er wendete, fuhr ein Stück auf der Warren Avenue zurück und lenkte den Wagen auf den Parkplatz eines Supermarkts. Dort stand ein bunt bemalter Bus, den ein chinesisches Restaurant zur mobilen Küche umgerüstet hatte. Neben dem Bus saßen an eine niedrige Mauer gelehnt dieselben vier abgerissenen Gestalten wie jeden Tag: drei Schwarze und ein Mexikaner, Alter unbestimmbar. Dürre Arme und Beine lugten aus ausgebeulter, fleckiger Kleidung hervor. Knochige Finger hielten selbst gedrehte Zigaretten. Trübe Augen in verlebten Gesichtern verfolgten das Kommen und Gehen. Manchmal bat einer der vier einen vorbeieilenden Supermarktkunden mit rauer Stimme um etwas Kleingeld. Ansonsten sprachen die Männer kaum ein Wort. Sie warteten. Sie hatten Zeit.

Er grüßte die vier, wie er es immer tat, und erhielt, wie gewohnt, keine Antwort. Am Bus bestellte er Menü 23, gebackene Ente mit Reis, eine große Portion Bratnudeln mit Gemüse und Huhn und Getränke. Cola für Sayed und eine Flasche Wasser für sich. Während das Essen eingepackt wurde, kaufte er im Supermarkt rasch ein Sandwich für später.

»Endlich!« Sayed riss ihm die heiße Styroporpackung förmlich aus den Händen. »Bist du unterwegs eingepennt, Mann?«

Bevor er beleidigt sein konnte, zwinkerte ihm sein Kollege gut gelaunt zu. Zusammen gingen sie in die Küche. Alec stellte die Getränke auf den Tisch und legte das Sandwich in der fest verknoteten Einkaufstüte in den Kühlschrank. Damit niemand auf die Idee kam, es wäre herrenlos. Sayed hatte bereits für Besteck gesorgt. Alec rutschte neben ihn auf die gepolsterte Bank, zog die Packung mit seinem Essen heran und klappte den Deckel auf. Eine Wolke von Essensgeruch schlug ihm entgegen. Für einen Moment wurde ihm schlecht vor Hunger. Er wünschte Sayed guten Appetit und schaufelte gierig Nudeln, Gemüse und Hühnerfleisch in sich hinein. Sayed hingegen war nicht in Eile. Er kaute langsam und blätterte in einer Sportzeitung. Hin und wieder gab er kommentierende Laute von sich. Manchmal zitierte er Textpassagen, die ihm besonders erwähnenswert erschienen. Bei dieser Alleinunterhaltung erwartete er gewöhnlich keine Antworten. Deshalb blendete Alec ohne schlechtes Gewissen die Geräusche seines Kollegen aus und hing den eigenen Gedanken nach. Der heutige Tag hatte ihn einen wichtigen Schritt nach vorn gebracht. Trotzdem wurde er ein mulmiges Gefühl nicht los. Bisher war alles bloßes Vorgeplänkel gewesen. Jetzt wurde es allmählich ernst.

Um kurz nach halb sieben arbeitete er noch immer an einem Fahrzeug. Die Werkstatt war bereits geschlossen, die Rolltore heruntergelassen. Bis auf Mikelti befanden sich alle auf dem Heimweg. Er hatte hingegen einen typischen Fehler begangen. Kurz vor Feierabend war Sayed mit dem Abschleppwagen losgefahren, um ein Auto mit defekter Elektrik einzusammeln. Und Alec war prompt in die Ich-schau-mir-das-nur-kurz-an-Falle getappt. Jetzt konnte er die Finger nicht mehr von dem Fahrzeug nehmen, obwohl längst klar war, dass sich das Problem nicht so schnell beheben ließ. Aber er konnte sich Zeit lassen. Zu Hause wartete nur seine leere Wohnung auf ihn.

»Schluss für heute!« Mikeltis Stimme ließ ihn aufblicken. Sein Chef stand einige Meter entfernt und musterte ihn streng. »Ernsthaft, Junge, such dir ein Hobby! Oder besser, eine Freundin. Ich komme mir allmählich vor wie ein verfluchter Ausbeuter!«

»Ich habe ein Hobby.« Er legte die ausgebaute Lichtmaschine demonstrativ auf den Werkzeugwagen.

»Das hier ist Arbeit. Hobbys beinhalten Dinge, die man in seiner Freizeit tut.«

»Ich habe frei. Seit einer halben Stunde.«

Für einen Moment guckte Mikelti, als würde er ihn am liebsten übers Knie legen.

Alec kam eine Idee. »Ich könnte diese Karre hier in Ruhe lassen und mich mit einem anderen Wagen beschäftigen.« Er lächelte vielsagend. »Falls du dich dann besser fühlst.«

Mikelti schüttelte den Kopf über den plumpen Manipulationsversuch. Dann lachte er leise. »Mach doch, was du willst, du sturer Bengel.«

Er nahm den Satz als Zustimmung. Er klappte die Motorhaube des Wagens zu und ging an Mikelti vorbei in den Umkleideraum. Nachdem er sich gewaschen und umgezogen hatte, füllte er in der Küche einen Rest Kaffee in eine Thermosflasche und holte das Sandwich aus dem Kühlschrank. Sein Chef wartete im Büro auf ihn. Vor der Tür trennten sich ihre Wege. Mikelti ging zu seinem Wagen und Alec zum Garagengebäude. Als er hinter sich einen Motor starten hörte, wandte er sich um und hob zum Abschied die Hand. Sein Chef blendete kurz die Scheinwerfer auf und rollte vom Hof.

Es war ein schöner Sommerabend. Die Luft angenehm mild und der blaue Himmel mit leichten Schleierwolken überzogen. Das Wetter lud dazu ein, den Abend bei einem kühlen Bier im Freien zu verbringen. Zum Beispiel auf dem Dach eines Wohnblocks, mit freiem Blick über die Stadt.

Vielleicht morgen. Falls sich das gute Wetter hielt.

Er öffnete zwei massive Vorhängeschlösser am rechten Garagentor, zog die schweren Riegel zurück und schob das gut geölte Tor auf. Dahinter lag die Traumwerkstatt eines jeden Hobbymechanikers. An der Rückwand stand eine Werkbank mit Schleifmaschine und Schraubstock. Darüber hing ein beeindruckendes Sortiment von Werkzeugen. Die rechte Wand dominierte ein schwerer, verschließbarer Metallschrank, hinter dessen Türen Kisten und Kartons mit Autoteilen lagerten. Daneben stand ein Regal mit Aktenordnern, Sortierkästen mit Schrauben, Muttern und Unterlegscheiben in unterschiedlichen Größen, Schutzbrillen und Schutzhandschuhen, Lötkolben und vielem mehr, was nützlich sein konnte. Links lagen auf zwei niedrigen Hebebühnen eine Vorderachse samt Motor und Getriebe und eine Hinterachse. Sie wurden durch Abdeckplanen vor Staub und Schmutz geschützt. Daneben, ebenfalls unter Planen verborgen, standen mehrere Autositze. An der Torwand gab es eine mobile Sandstrahlkabine, einen Tisch mit zwei Klappstühlen und einen Kühlschrank. Wo Wandfläche frei geblieben war, hingen großformatige Explosionszeichnungen von Autokomponenten und vergilbte Bau- und Schaltpläne.

Doch der Grund dafür, dass sich Alec wie ein Junge im schönsten Spielzeuggeschäft der Welt fühlte, stand in der Mitte des Raumes. Auf einen Untersatz mit Rillen montiert und unter einer grauen Schutzplane verborgen.

Er schaltete die Deckenbeleuchtung ein und betrat die Garage. Zwischen Metallschrank und Regal war ein kleiner grauer Kasten in die Wand eingelassen. Er öffnete die Schutzklappe und gab einen sechsstelligen Code in das darunterliegende Tastenfeld ein. Ein rotes Lämpchen, das bis dahin hektisch geblinkt hatte, erlosch. Er zog das Garagentor bis auf einen breiten Spalt zu, um ein wenig frische Luft hineinzulassen, und deponierte Thermosflasche, Sandwich und seine Umhängetasche auf der Werkbank. Er ergriff eine Ecke der grauen Schutzplane und zog daran. Obwohl es ihm in den Fingern juckte, es mit einem einzigen Ruck zu tun, zwang er sich zur Langsamkeit. Um den magischen Moment nicht durch Ungeduld zu ruinieren.

Zuerst wurde ein breites Heck sichtbar. Schwarz lackiert und auf Hochglanz poliert. Danach ein Kotflügel, unter dem eine Lücke klaffte, wo Hinterachse und Rad fehlten. Schließlich ein schräg abfallendes Dach, eine Fahrertür und eine Motorhaube. Nach einem letzten Ruck glitt die Plane zu Boden, und Alec blickte auf die Karosserie eines 67er Chevrolet Impala Super Sport. Eine Weile stand er reglos da, ein breites Grinsen im Gesicht. Schließlich trat er näher, bis er sich in der glänzenden Motorhaube spiegelte. Noch war der Impala lediglich eine leere Hülle. Seine Eingeweide lagerten in Kisten und Kartons, bereit für die Aufarbeitung, oder warteten zusammengebaut auf die Endmontage.

Mikelti hatte vor vier Jahren mit der Restaurierung des Impalas begonnen, voller Elan und mit der Leidenschaft des Autonarren. Er hatte den Wagen von einem Schrotthändler gekauft, leider ohne den Originalmotor, und komplett auseinandergebaut. Dabei war von Mikelti jeder Handgriff penibel dokumentiert worden. Die vier Aktenordner im Regal enthielten über sechshundert Fotos und detaillierte Beschreibungen jedes einzelnen Arbeitsschrittes. Den fehlenden Motor ersetzte Mikelti durch den Motor einer Corvette desselben Jahrgangs. Keine Matching Numbers, die den Wert des restaurierten Fahrzeugs um ein Vielfaches hätten steigern können. Dafür würde am Ende ein 427er Big Block unter der Haube des Impalas schlummern, ein vierhundertfünfundzwanzig PS starkes Monster. Damit war Mikelti in seiner Begeisterung etwas übers Ziel hinausgeschossen. Der schwere Motor würde das Fahrzeug behäbiger machen und den Vorteil gegenüber PS-schwächeren Motoren schmälern. Ein 327er mit zweihundertfünfundsiebzig PS hätte es auch getan. Was nicht bedeutete, dass Alec die Vorstellung, zum allerersten Mal den Zündschlüssel umzudrehen und vierhundertfünfundzwanzig PS blubbern zu hören, kaltließ.

Durch Darnelles ungeplante Schwangerschaft war das Restaurierungsprojekt ins Stocken geraten. Mikelti fehlten Zeit, Geld und Energie. Schließlich gab er die Arbeit am Impala auf, um sich ganz seiner Familie zu widmen. Mehr als ein Jahr stand der Wagen unberührt in der Garage. Bis Alec in der Werkstatt anfing und Mikelti von seiner Leidenschaft für amerikanische Muscle Cars und Classic Cars erzählte. Und von dem verbeulten Chevy Impala, mit dem er als Junge die ersten Fahrversuche unternommen hatte. Nachdem sich Mikelti wohl einige ernsthafte Gedanken hinsichtlich seiner Vertrauenswürdigkeit gemacht hatte, zeigte er ihm schließlich, welchen Schatz er auf dem Werkstattgelände versteckt hielt. Beim Anblick des Impalas standen Alec Tränen in den Augen. Er flehte Mikelti quasi auf den Knien an, an dem Projekt weiterarbeiten zu dürfen. In seiner Freizeit und ohne Bezahlung oder irgendwelche Verpflichtungen. Es wäre ein Verbrechen gewesen, den Wagen in diesem Zustand zu belassen! Schließlich stimmte Mikelti zu. In den ersten Wochen arbeiteten sie gemeinsam an dem Wagen, und für kurze Zeit entflammte Mikeltis Leidenschaft erneut. Doch er konnte sich seinen familiären Verpflichtungen nicht entziehen. Sobald er genug Vertrauen in Alec gefasst hatte, um ihm die Schlüssel zur Garage und Werkstatt zu überlassen, zog er sich zurück. Inzwischen schaute Mikelti nur selten vorbei, um sich ein Bild von den Fortschritten zu machen oder für eine Weile mitzuhelfen. Es schmerzte ihn, keine Zeit mehr für die Restaurierung zu haben.

Alec hatte jede Menge Zeit, während er darauf wartete, dass sich gewisse Dinge entwickelten. Und ihm fiel kein besserer Ort ein, an dem er sie verbringen könnte.

Er holte einen der Klappstühle heran und stellte ihn vor der Motorhaube des Impalas auf. Danach packte er das Sandwich aus, goss sich Kaffee aus der Thermosflasche ein und setzte sich. Während er aß, betrachtete er zufrieden das verchromte SS-Emblem in der Mitte des Kühlergrills.

Ein kleines Stück vom Paradies …

Kapitel 4

Ein rhythmisches Vibrieren in seiner Gesäßtasche störte Alecs konzentrierte Versunkenheit. Er zog eine Hand aus der laut brummenden Sandstrahlkabine, in der er gerade Teile der Trommelbremsen von Rost und Schmutz befreite, schüttelte winzige Glasperlen von seinem Arbeitshandschuh und holte das Handy hervor. Ein Blick durch die verkratzten Gläser der Schutzbrille zeigte ihm den Namen Katie auf dem Display. Mit einem Knopfdruck brachte er den Sandstrahler zum Schweigen und nahm das Gespräch entgegen.

»Hi, Baby«, flötete es ihm entgegen. »Hast du mich vermisst?«

»Natürlich.«

»Lügner.« Die Frau, die er Katie nannte, lachte kokett. »Hast du Freitag schon was vor?«

»Nein.«

»Wunderbar! Ein Freund von mir feiert Geburtstag. Nichts Aufregendes, bloß zwei Stündchen in gemütlicher Runde zusammensitzen.«

»Klingt gut. Wohin soll ich kommen?«

»Ich gebe dir am Mittwoch die Adresse und Uhrzeit. Dann können wir den Rest besprechen.«

»In Ordnung.«

»Ich freu mich! Schlaf schön, Baby.«

Alec blickte nachdenklich auf das Handy, bevor er es in der Hosentasche verschwinden ließ. Der nächste Auftrag. Offenbar hatte er heute den richtigen Eindruck hinterlassen. Nach Katies Wortwahl zu urteilen, sollte es ein ruhiger Job werden. Sonst hätte sie von einer wilden Party gesprochen und nicht von einer gemütlichen Runde. Sobald er mehr Details kannte, würde er mit der Planung der Fahrtrouten beginnen. Über die Wahl des Transportmittels entschieden der Stadtteil und die Anzahl der Passagiere. Katie würde seine Wünsche aufnehmen und ein geeignetes Fahrzeug organisieren. Ein weiterer Pluspunkt im Vergleich zu Buffalo, wo er selbst für die Beschaffung der Autos verantwortlich gewesen war.

Er unterdrückte ein Gähnen. Er fühlte sich schlagartig müde und abgespannt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, warum. Es war bereits kurz vor zehn. Ohne es gemerkt zu haben, bastelte er seit über drei Stunden an den Einzelteilen der Bremsanlage herum. Kein Wunder, dass seine Akkus allmählich auf Reserve liefen. Er holte die gereinigten Bremsbacken aus der Sandstrahlkabine. Er blies über das Metall, um die letzten Rückstände zu entfernen, nahm die Schutzbrille ab und begutachtete kritisch das Ergebnis seiner Arbeit. Erstklassig. Die Teile legte er zu den anderen in einen Plastikkasten und schloss den Deckel. Bis zum Ende der Woche würde er die restlichen Komponenten gesäubert haben. Dann konnte Mikelti seinen Kumpel anrufen, der für ihn die professionellen Galvanik- und Lackarbeiten ausführte. Sobald die verzinkten Teile zurück waren, stand der Montage der Bremsanlage nichts mehr im Weg. Alec blickte zu der Karosserie des Impalas, die er längst wieder abgedeckt hatte.

Ich bin gespannt, wie weit wir kommen.

Er stellte den Karton zurück in den Metallschrank, schloss ihn ab und ging zu den Autositzen, die an der linken Wand unter einer Plane lagen. Ohne einen der Sitze zu verschieben oder auch nur die Plane zu berühren, ließ er sich auf ein Knie nieder und löste einen der Backsteine aus der Wand. Es war nur ein halber Stein. Dahinter lagen in einem Hohlraum, separat in wiederverschließbare Plastiktüten verpackt, ein Handy und ein Ladegerät. Nach einem prüfenden Blick über die Schulter nahm er das Handy aus der Tüte. Er schaltete es ein und gab einen mehrstelligen Zahlencode ein, um die SIM-Karte zu entsperren. Den Stein setzte er zurück in die Öffnung. Während er aufstand, drückte er die Wahlwiederholung. Die Garagentür schob er vorsichtshalber vollständig zu.

Nach dem vierten Klingeln wurde abgenommen. Eine männliche Stimme meldete sich: »