Deutsche Humoristen (Band 6) Humoristische Erzählungen - Hoffmann, E. Th. A.; Urban, Henry F.; Fischer, Fr. Th.; Thoma, L.; Arnim, Bettina v.; Bayersdorfer, A. - kostenlos E-Book

Deutsche Humoristen (Band 6) Humoristische Erzählungen E-Book

Arnim, Hoffmann, E. Th. A., Urban, Henry F., Fischer, Fr. Th., Thoma, L., Bettina v., Bayersdorfer, A.

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The Project Gutenberg EBook of Deutsche Humoristen (Band 6), by E. Th. A. Hoffmann and A. Bayersdorfer and Bettina v. Arnim and Henry F. Urban and Fr. Th. Fischer and L. ThomaThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Deutsche Humoristen (Band 6)       Humoristische ErzählungenAuthor: E. Th. A. Hoffmann        A. Bayersdorfer        Bettina v. Arnim        Henry F. Urban        Fr. Th. Fischer        L. ThomaRelease Date: December 13, 2015 [EBook #50681]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHE HUMORISTEN (BAND 6) ***Produced by The Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription

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In Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.

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Hausbücherei 31

Hiervon erschien das

1.–10.Tausend 190811.–20.Tausend 191021.–30.Tausend 191431.–50.Tausend 191651.–60.Tausend 1919

Hausbücherei

der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

31. Band

Hamburg-Großborstel Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

Deutsche Humoristen6. Band

Humoristische Erzählungen

E. Th. A. Hoffmann A. Bayersdorfer Bettina v. Arnim ▣ Henry F. Urban Fr. Th. Vischer ▣ Ludwig Thoma

Hamburg-Großborstel Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

Deutsche Humoristen

Jeder Einzelband gebunden 3 Mark.

Band 1: Friedr. Theodor Vischer: Humorist. Gedicht. Peter Rosegger: Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß. Wie wir die Gürtelsprenge haben gehalten. Wilhelm Raabe: Der Marsch nach Hause. Fritz Reuter: Woans ick tau 'ne Fru kamm. Albert Roderich: Nemesis. 71.–90. Tausend.

Band 2: Clemens Brentano: Die mehreren Wehmüller oder ungarische Nationalgesichter. E. Th. A. Hoffmann: Die Königsbraut. Heinrich Zschokke: Die Nacht in Brczwezmcisl. 56.–65. Tausend.

Band 3: Hans Hoffmann: Eistrug. Otto Ernst: Die Gemeinschaft der Brüder vom geruhigen Leben. Max Eyth: Der blinde Passagier. Helene Böhlau: Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe. 56.–70. Tausend.

Band 4/5 (Doppelband): Humoristische Gedichte. Eine hervorragende Sammlung der schönsten heiteren Gedichte bis auf die neueste Zeit. 352 Seiten. 31.–40. Tausend.

Band 6: E. Th. A. Hoffmann: Aus »Klein Zaches genannt Zinnober«. Bettina von Arnim: Die Reise nach Darmstadt. Fr. Th. Vischer: Die Tücke des Objekts. Ad. Bayersdorfer: Die militärpflichtige Tante. Henry F. Urban: Der Eishund. Ludwig Thoma: Besserung. 51.–60. Tausend.

Band 7: Ottomar Enking: Das Kriegerfest in Wettorp. Anna Croissant-Rust: Der Herr Buchhalter. Wilhelm Schussen: Pilgrime. Rudolf Greinz: Das Hennendiandl. Sophus Bonde: Jochen Appelbaums Galion. Ludwig Thoma: Unser guater alter Herzog Karl is a Rindviech. Wilhelm Fischer-Graz: Die Rebenbäckerin. 31.–40. Tausend.

Band 8: Julius Bierbaum: Der mutige Revierförster. Gorch Fock: Schalotte. Rudolf Presber: Die 74. Nacht. Wilhelm Schäfer: Béarnaise. Karl Schönherr: Die erste Beicht'. Ludwig Thoma: Kabale und Liebe. 1.–20. Tausend.

Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorbemerkungen zum 6. Bande der »Deutschen Humoristen«

6

Vorwort

7–9

E. Th. A. Hoffmann

: Aus »Klein Zaches genannt Zinnober«

10–63

Bettina von Arnim

: Die Reise nach Darmstadt

64–93

Fr. Th. Vischer

: Die Tücke des Objekts

94–118

Ad. Bayersdorfer

: Die militärpflichtige Tante

119–136

Henry F. Urban

: Der Eishund

137–149

Ludwig Thoma

: Besserung

150–160

Vorbemerkungenzum 6. Bande der »Deutschen Humoristen«

Der Abschnitt »Die Tücke des Objekts« von Fr. Th. Vischer ist mit freundlicher Erlaubnis des Sohnes des Verfassers, Herrn Prof. Dr. R. Vischer, Göttingen, und der Verlagsbuchhandlung abgedruckt aus dem Roman »Auch Einer« (Stuttgart und Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt).

Die Abdruckserlaubnis der Humoreske »Die militärpflichtige Tante« aus dem Bande »Heitere Jugendzeit« von Adolph Bayersdorfer ist der Witwe des Verfassers und der G. Müller-Mannschen Verlagsbuchhandlung in Leipzig zu verdanken.

Die Erzählung »Der Eishund« aus dem Bande »Aus dem Dollarlande« von Henry F. Urban ist von dem Verfasser freundlichst zur Verfügung gestellt worden (erschienen in der Concordia, Deutsche Verlags-Anstalt Hermann Ehbock, Berlin).

»Besserung« von Ludwig Thoma ist mit gütiger Erlaubnis des Verfassers und der Verlagsbuchhandlung den »Lausbubengeschichten« entnommen (Albert Langen, Verlag, München).

Vorwort

Aus der reichen Fülle des Humors im deutschen Schrifttum greift dieser neue Band der »Hausbücherei« der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung wieder ein paar der freundlichsten Blüten heraus. Das behagliche Lachen, die heitere, wolkenlose Laune ist in unsern arbeitsschweren Tagen ein seltener Gast geworden. Da sollen diese Bände der »Hausbücherei« mit ihrem sonnenhellen Humor, der aus dem Herzen kommt und ins Gemüt hinein seinen Weg sucht, ein wenig helfen und im Leser etwas aufleuchten lassen, das ihn warm macht in der Kälte des Lebens und in ihm das Begehren weckt, immer mehr zu lesen von dem, was deutsches, gutes Schrifttum ihm bietet. Denn wenn uns ein schöner Humor und eine freundliche Laune mit gutem Lächeln ins Gesicht geschaut und uns die Last des Tages von den Schultern genommen haben, dann sind wir besser gerüstet und empfänglicher für den Genuß des Schönen und Tiefen, als wenn unsere Stirn vom Alltag her noch in Falten liegt.

Dieser 6. Band »Deutscher Humoristen« bringt zunächst die köstlichsten Stellen aus E. Th. A. Hoffmanns humorvoller Märchenerzählung »Klein Zaches genannt Zinnober«, mit der ergötzlichen Satire auf das Leben am Duodezhofe des Fürsten Barsanuph. Unsere moderne Zeit, in der die Freude an der Romantik wieder erwacht ist, bringt gerade diesem Dichter (1776–1822), in dem eine exzentrische Phantasie, ein Hang zum Dämonisch-Grausigen und ein kühner Humor sich vereinen, ein besonders lebhaftes Interesse entgegen.

Bettina von Arnim (1785–1859), Goethes junge Freundin, Clemens Brentanos Schwester und die Gattin Achim von Arnims, die das schönste Buch der Romantik »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde« veröffentlichte, gehört mit ihrem ganzen Wesen zu den Romantikern. In ihrer kleinen Schilderung »Die Reise nach Darmstadt«, in der sie Goethes Mutter, die Frau Rat, reden läßt, zeigt sich auf das glücklichste ihr sprudelndes Erzählertalent, ihre beneidenswerte Gabe, die humorvollen Seiten der Dinge und Begebenheiten aufzufinden und mit sprühendem Temperament zu schildern.

Friedrich Theodor Vischer (1807–1887), der hervorragende Ästhet und Kunstkritiker, besaß eine für einen Mann der Wissenschaft ganz eigenartige Begabung für Humor, die in vielen Aufzeichnungen und Einfällen, in zahlreichen humoristisch-satirischen Liedern, die er als Student unter dem Namen Philipp Ulrich Schartenmeyer herausgab, ganz besonders aber in seinem großen Roman »Auch Einer« zu lebendigem Ausdruck kommt. Diesem Buch ist der in sich abgeschlossene Abschnitt »Die Tücke des Objekts« entnommen, in dem in grimmig-lustiger Laune die zahlreichen kleinen täglichen Widerwärtigkeiten geschildert werden, die uns das Leben oft zur Qual und zur Plage machen können.

Die folgenden drei Stücke sind humoristische Arbeiten neuerer Schriftsteller. Die beiden Erzählungen »Die militärpflichtige Tante« von Bayersdorfer (1842–1901) und »Der Eishund« von Henry F. Urban, der als deutscher Schriftsteller von Ruf in New York lebt, werden denen willkommen sein, die an launiger Erfindung und gemütvollem Humor ohne satirische Schärfe ihre Freude haben. Mit spitzerer Lanze tritt der Bayer Ludwig Thoma (geboren 1867) in die Schranke. Geistvoller Witz, zielsichere, nicht selten soziale Satire und ein übermütiger, bajuvarisch-derber Humor, der über alles Philisterliche der Welt ein herzhaftes Lachen anstimmt, mischen sich in diesem Schriftsteller, der mit seinen »Lausbubengeschichten« überall ein vergnügtes Gelächter geweckt hat. Die letzte Erzählung »Besserung« ist diesen köstlichen Bubengeschichten entnommen.

Gr.-Flottbek bei Hamburg.

Kurt Küchler.

E. Th. A. Hoffmann: Aus »Klein Zaches genannt Zinnober«

Vorbemerkung des Herausgebers

Ein armes Bettel- und Bauernweib hat einen dreieinhalbjährigen Sohn, Klein Zaches genannt Zinnober, den häßlichsten Wechselbalg, den die Welt je geschaut und den man auf den ersten Blick für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz hätte ansehen können. Das Stiftsfräulein von Rosenschön, in Wirklichkeit die gütige Fee Rosabelverde, erblickt das kleine Ungetüm am Wege und über so viel Jammer und Elend entsetzt, will sie dem Wechselbalg helfen, soweit es in ihrer Macht steht. »Sie glaubt, alles, was die Natur dem Kleinen stiefmütterlich versagt, dadurch zu ersetzen, wenn sie ihn mit der seltsamen geheimnisvollen Gabe beschenkte, vermöge der alles, was in seiner Gegenwart irgend ein anderer Vortreffliches denkt, spricht oder tut, auf seine Rechnung kommen, ja, daß er in der Gesellschaft wohlgebildeter, verständiger, geistreicher Personen auch für wohlgebildet, verständig und geistreich geachtet werden und überhaupt allemal für den vollkommensten der Gattung, mit der er im Konflikt, gelten muss.« Diesen Zauber legt die Fee in drei feuerglänzende Haare, die sich über den Scheitel des Wechselbalges ziehen. Und zum Schutze dieser wertvollen Haare, deren Entfernung den Zusammenbruch des Zaubers herbeiführt, verwandelt sie das von Natur struppige Haar des Kleinen in dichte Locken. Zur Stärkung des Zaubers aber frisiert die Fee das Haar des Wechselbalges jeden neunten Tag mit einem goldenen magischen Kamm.

So ausgerüstet zieht Klein Zaches nun in die Welt und nutzt den Zauber aus. Er kommt in das Haus Professor Mosch Terpins und an den kleinen Hof des Fürsten Barsanuph und gelangt dort auf die ergötzlichste Weise von der Welt zu den höchsten Ehren, bis der Student Balthasar, dessen Liebesglück Zinnober kraft seiner wundersamen Gabe bedroht, den Zauber bricht, und zwar mit Hilfe des Gelehrten Prosper Alpanus, der mächtiger in der Kunst der Magie ist, als die gütige Fee Rosabelverde.

Die nachstehenden Abschnitte schildern Zinnobers Glück und Ende in der Residenz und am Hofe des Fürsten Barsanuph.

Professor Mosch Terpins literarischer Tee. – Der junge Prinz.

Daß Balthasar vor lauter Unruhe, vor unbeschreiblichem süßen Bangen die ganze Nacht hindurch nicht schlafen konnte: was war natürlicher als das. Ganz erfüllt von dem Bilde der Geliebten, setzte er sich hin an den Tisch und schrieb eine ziemliche Anzahl artiger wohlklingender Verse nieder, die in einer mystischen Erzählung von der Liebe der Nachtigall zur Purpurrose seinen Zustand schilderten. Die wollt' er mitnehmen in Mosch Terpins literarischen Tee und damit losfahren auf Candidas unbewehrtes Herz, wenn und wie es nur möglich.

Fabian lächelte ein wenig, als er der Verabredung gemäß zur bestimmten Stunde kam, um seinen Freund Balthasar abzuholen, und ihn zierlicher geputzt fand, als er ihn jemals gesehen. Er hatte einen gezackten Kragen von den feinsten Brüsseler Kanten umgetan, sein kurzes Kleid mit geschlitzten Ärmeln war von gerissenem Sammt. Und dazu trug er französische Stiefel mit hohen spitzen Absätzen und silbernen Fransen, einen englischen Hut von feinstem Castor und dänische Handschuhe. So war er ganz deutsch gekleidet, und der Anzug stand ihm über alle Maßen gut, zumal er sein Haar schön kräuseln lassen und das kleine Stutzbärtchen wohl aufgekämmt hatte.

Das Herz bebte dem Balthasar vor Entzücken, als in Mosch Terpins Hause Candida ihm entgegentrat, ganz in der Tracht der altdeutschen Jungfrau, freundlich, anmutig in Blick und Wort, im ganzen Wesen, wie man sie immer zu sehen gewohnt. »Mein holdseligstes Fräulein!« seufzte Balthasar aus dem Innersten auf, als Candida, die süße Candida selbst, eine Tasse dampfenden Tee ihm darbot. Candida schaute ihn aber an mit leuchtenden Augen und sprach: »Hier ist Rum und Maraschino, Zwieback und Pumpernickel, lieber Herr Balthasar! greifen Sie doch nur gefälligst zu nach Ihrem Belieben!« Statt aber auf Rum und Maraschino, Zwieback oder Pumpernickel zu schauen oder gar zuzugreifen, konnte der begeisterte Balthasar den Blick voll schmerzlicher Wehmut der innigsten Liebe nicht abwenden von der holden Jungfrau und rang nach Worten, die aus tiefster Seele aussprechen sollten, was er eben empfand. Da faßte ihn aber der Professor der Ästhetik, ein großer baumstarker Mann, mit gewaltiger Faust von hinten, drehte ihn herum, daß er mehr Teewasser auf den Boden verschüttete, als eben schicklich, und rief mit donnernder Stimme: »Bester Lukas Kranach, saufen Sie nicht das schnöde Wasser, Sie verderben sich den deutschen Magen total – dort im andern Zimmer hat unser tapferer Mosch eine Batterie der schönsten Flaschen mit edlem Rheinwein aufgepflanzt, die wollen wir sofort spielen lassen!« – Er schleppte den unglücklichen Jüngling fort.

Doch aus dem Nebenzimmer trat ihnen der Professor Mosch Terpin entgegen, ein kleines sehr seltsames Männlein an der Hand führend und laut rufend: »Hier, meine Damen und Herren, stelle ich Ihnen einen mit den seltensten Eigenschaften hochbegabten Jüngling vor, dem es nicht schwer fallen wird, sich Ihr Wohlwollen, Ihre Achtung zu erwerben. Es ist der junge Herr Zinnober, der erst gestern auf unsere Universität gekommen, und die Rechte zu studieren gedenkt!« – Fabian und Balthasar erkannten auf den ersten Blick den kleinen wunderlichen Knirps, der vor dem Tore ihnen entgegengesprengt und vom Pferde gestürzt war.

»Soll ich,« sprach Fabian leise zu Balthasar, »soll ich denn noch das Alräunchen herausfordern auf Blasrohr oder Schusterpfriem? Anderer Waffen kann ich mich doch nicht bedienen wider diesen furchtbaren Gegner.«

»Schäme dich,« erwiderte Balthasar, »schäme dich, daß du den verwahrlosten Mann verspottest, der wie du hörst, die seltensten Eigenschaften besitzt, und so durch geistigen Wert das ersetzt, was die Natur ihm an körperlichen Vorzügen versagte.« Dann wandte er sich zum Kleinen und sprach: »Ich hoffe nicht, bester Herr Zinnober, daß Ihr gestriger Fall vom Pferde etwa schlimme Folgen gehabt haben wird?« Zinnober hob sich aber, indem er einen kleinen Stock, den er in der Hand trug, hinten unterstemmte, auf den Fußspitzen in die Höhe, so daß er dem Balthasar beinahe bis an den Gürtel reichte, warf den Kopf in den Nacken, schaute mit wildfunkelnden Augen herauf und sprach in seltsam schnarrendem Baßton: »Ich weiß nicht, was Sie wollen, wovon Sie sprechen, mein Herr! – Vom Pferde gefallen? – ich vom Pferde gefallen? – Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß ich der beste Reiter bin, den es geben kann, daß ich niemals vom Pferde falle, daß ich als Freiwilliger unter den Kürassieren den Feldzug mitgemacht und Offizieren und Gemeinen Unterricht gab im Reiten auf der Manège! – hm hm – vom Pferde fallen – ich vom Pferde fallen!« – Damit wollte er sich rasch umwenden, der Stock, auf den er sich stützte, glitt aber aus, und der Kleine torkelte um und um, dem Balthasar vor die Füße. Balthasar griff hinab nach dem Kleinen, ihm aufzuhelfen, und berührte dabei unversehens sein Haupt. Da stieß der Kleine einen gellenden Schrei aus, daß es im ganzen Saale widerhallte und die Gäste erschrocken auffuhren von ihren Sitzen. Man umringte den Balthasar und fragte durcheinander, warum er denn um des Himmels willen so entsetzlich geschrieen. »Nehmen Sie es nicht übel, bester Herr Balthasar,« sprach der Professor Mosch Terpin, »aber das war ein etwas wunderlicher Spaß. Denn wahrscheinlich wollten Sie uns doch glauben machen, es trete hier jemand einer Katze auf den Schwanz!« »Katze – Katze – weg mit der Katze!« rief eine nervenschwache Dame und fiel sofort in Ohnmacht, und mit dem Geschrei: »Katze – Katze –« rannten ein paar alte Herren, die an derselben Idiosynkrasie litten, zur Türe hinaus.

Candida, die ihr ganzes Riechfläschchen auf die ohnmächtige Dame ausgegossen, sprach leise zu Balthasar: »Aber was richten Sie auch für Unheil an mit Ihrem häßlichen gellenden Miau, lieber Herr Balthasar!«

Dieser wußte gar nicht, wie ihm geschah. Glutrot im ganzen Gesicht vor Unwillen und Scham, vermochte er kein Wort herauszubringen, nicht zu sagen, daß es ja der kleine Herr Zinnober und nicht er gewesen, der so entsetzlich gemauzt.

Der Professor Mosch Terpin sah des Jünglings schlimme Verlegenheit. Er nahte sich ihm freundlich und sprach: »Nun, nun, lieber Herr Balthasar, seien Sie doch nur ruhig. Ich habe wohl alles bemerkt. Sich zur Erde bückend, auf allen Vieren hüpfend, ahmten Sie den gemißhandelten grimmigen Kater herrlich nach. Ich liebe sonst sehr dergleichen naturhistorische Spiele, doch hier im literarischen Tee –« »Aber,« platzte Balthasar heraus, »aber vortrefflichster Herr Professor, ich war es ja nicht –« »Schon gut – schon gut,« fiel ihm der Professor in die Rede. Candida trat zu ihnen. »Tröste mir,« sprach der Professor zu dieser, »tröste mir doch den guten Balthasar, der ganz betreten ist über alles Unheil, was geschehen.«

Der gutmütigen Candida tat der arme Balthasar, der ganz verwirrt mit niedergesenktem Blick vor ihr stand, herzlich leid. Sie reichte ihm die Hand und lispelte mit anmutigem Lächeln: »Es sind aber auch recht komische Leute, die sich so entsetzlich vor Katzen fürchten.«

Balthasar drückte Candidas Hand mit Inbrunst an die Lippen. Candida ließ den seelenvollen Blick ihrer Himmelsaugen auf ihm ruhen. Er war verzückt in den höchsten Himmel und dachte nicht mehr an Zinnober und Katzengeschrei. – Der Tumult war vorüber, die Ruhe wieder hergestellt. Am Teetisch saß die nervenschwache Dame und genoß mehreren Zwieback, den sie in Rum tunkte, versichernd, an dergleichen erlabe sich das von feindlicher Macht bedrohte Gemüt, und dem jähen Schreck folge sehnsüchtig Hoffen! –

Auch die beiden alten Herren, denen draußen wirklich ein flüchtiger Kater zwischen die Beine gelaufen, kehrten beruhigt zurück, und suchten, wie mehrere andere, den Spieltisch.

Balthasar, Fabian, der Professor der Ästhetik, mehrere junge Leute setzten sich zu den Frauen. Herr Zinnober hatte sich indessen eine Fußbank herangerückt und war mittelst derselben auf das Sofa gestiegen, wo er nun in der Mitte zwischen zwei Frauen saß und stolze funkelnde Blicke um sich warf.

Balthasar glaubte, daß der rechte Augenblick gekommen, mit seinem Gedicht von der Liebe der Nachtigall zur Purpurrose hervorzurücken. Er äußerte daher mit der gehörigen Verschämtheit, wie sie bei jungen Dichtern im Brauch ist, daß er, dürfe er nicht fürchten, Überdruß und Langeweile zu erregen, dürfe er auf gütige Nachsicht der verehrten Versammlung hoffen, es wagen wolle, ein Gedicht, das jüngste Erzeugnis seiner Muse, vorzulesen.

Da die Frauen schon hinlänglich über alles verhandelt, was sich neues in der Stadt zugetragen, da die Mädchen den letzten Ball bei dem Präsidenten gehörig durchgesprochen und sogar über die Normalform der neuesten Hüte einig wurden, da die Männer unter zwei Stunden nicht auf weitere Speis und Tränkung rechnen durften: so wurde Balthasar einstimmig aufgefordert, der Gesellschaft ja den herrlichen Genuß nicht vorzuenthalten.

Balthasar zog das sauber geschriebene Manuskript hervor und las.

Sein eigenes Werk, das in der Tat aus wahrhaftem Dichtergemüt mit voller Kraft, mit regem Leben hervorgeströmt, begeisterte ihn mehr und mehr. Sein Vortrag, immer leidenschaftlicher steigend, verriet die innere Glut des liebenden Herzens. Er bebte vor Entzücken, als leise Seufzer – manches leise »Ach« – der Frauen, mancher Ausruf der Männer: »Herrlich – vortrefflich – göttlich!« ihn überzeugten, daß sein Gedicht alle hinriß.

Endlich hatte er geendet. Da riefen alle: »Welch ein Gedicht! – welche Gedanken – welche Phantasie – was für schöne Verse – welcher Wohlklang – Dank – Dank Ihnen, bester Herr Zinnober für den göttlichen Genuß« –

»Was? wie?« rief Balthasar; aber niemand achtete auf ihn, sondern alle stürzten auf Zinnober zu, der sich auf dem Sofa blähte wie ein kleiner Puter und mit widriger Stimme schnarrte: »Bitte recht sehr – bitte recht sehr – müssen so vorlieb nehmen! – ist eine Kleinigkeit, die ich erst vorige Nacht aufschrieb in aller Eile!« – Aber der Professor der Ästhetik schrie: »Vortrefflicher – göttlicher Zinnober! – Herzensfreund, außer mir bist du der erste Dichter, den es jetzt gibt auf Erden! – Komm an meine Brust, schöne Seele!« – Damit riß er den Kleinen vom Sofa auf in die Höhe und herzte und küßte ihn. Zinnober betrug sich dabei sehr ungebärdig. Er arbeitete mit den kleinen Beinchen auf des Professors dickem Bauch herum und quäkte: »Laß mich los – laß mich los – es tut mir weh – weh – ich kratz' dir die Augen aus – ich beiß' dir die Nase entzwei!« – »Nein«, rief der Professor, indem er den Kleinen niedersetzte auf das Sofa, »nein, holder Freund, keine zu weit getriebene Bescheidenheit!« – Mosch Terpin war nun auch vom Spieltisch herangetreten, der nahm Zinnobers Händchen, drückte es und sprach sehr ernst: »Vortrefflich, junger Mann! – nicht zuviel, nein, nicht genug sprach man mir von dem hohen Genius, der Sie beseelt« – »Wer ist's«, rief nun wieder der Professor der Ästhetik in voller Begeisterung aus, »wer ist's von euch Jungfrauen, der dem herrlichen Zinnober sein Gedicht, das das innigste Gefühl der reinsten Liebe ausspricht, lohnt durch einen Kuß?«

Da stand Candida auf, nahete sich, voll Glut auf den Wangen, dem Kleinen, kniete nieder und küßte ihn auf den garstigen Mund mit blauen Lippen. »Ja«, schrie nun Balthasar wie vom Wahnsinn plötzlich erfaßt, »ja Zinnober – göttlicher Zinnober, du hast das tiefsinnige Gedicht gemacht von der Nachtigall und der Purpurrose, dir gebührt der herrliche Lohn, den du erhalten!« –

Und damit riß er den Fabian ins Nebenzimmer hinein und sprach: »Tu mir den Gefallen und schaue mich recht fest an und dann sage mir offen und ehrlich, ob ich der Student Balthasar bin oder nicht, ob du wirklich Fabian bist, ob wir in Mosch Terpins Hause sind, ob wir im Traume liegen – ob wir närrisch sind – zupfe mich an der Nase oder rüttle mich zusammen, damit ich nur erwache aus diesem verfluchten Spuk!« –