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Dieses eBook: "Deutsche Kinder- und Hausmärchen: Das große Märchenbuch" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Wilhelm von Ploennies (1828-1871) war ein deutscher Militärschriftsteller und Übersetzer. Johann Wilhelm Wolf (1817-1855) war ein deutscher Germanist und Schriftsteller. Inhalt: Der Fischerssohn, der Rappe und der Schimmel Das Schneiderlein und die drei Hunde Die Prinzessin von Tiefenthal Von den achtzehen Soldaten Das goldne Königreich Die Königstochter im Berge Muntserrat Die schlechten Kameraden Der goldene Hirsch Der Metzgergesell Der graue Wackenstein Die getreue Frau Die Räuberhöhle im Walde Die zwölf Brüder Der Hasenhirt Das weiße Hemd, das schwere Schwert und der goldene Ring Die drei Königskinder Das Kind vom Grabe Die fünf Fragen Die eisernen Stiefel Von der schönen Schwanenjungfer Die Zwerchpfeife Der Vogel Phönix Des Todten Dank Der Kaiserssohn und sein Pathe Die Leichenfresserin Die Schlange im brennenden Wald Die erlöste Schlange Das treue Füllchen Grünus Kravalle Der Geiger und seine drei Gesellen Der Jüngling im Feuer und die drei goldnen Federn Die Mandelkörbchen Hans ohne Furcht Die dreizehn verwünschten Prinzessinnen Der Pfiffigste Das Schloß des Todes Der Hinkelhirt Das graue Männchen Der getreue Paul Der Schäferssohn und die zauberische Königstochter Vom Räuberhauptmann Hans Kühstock Das beste Essen von der Welt Fürchten lernen Des Gockels Hochzeit Der Traum des Wolfes Odenwälder Lügenmärchen Das Unglaubliche Vom Stiefelputzer Hinkelbrühe Von einem Pfarrer, der allzu kräftig predigte Das allzeit zufriedene Knäbchen Wie der Teufel auf der Flöte blies
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Seitenzahl: 556
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Wer mit rechtem Ernst suchen will der findet bald, das empfand ich, als ich vor einigen Jahren mit meinem Schwager Wilhelm von Ploennies diese Sammlung anlegte. In unserm Wohnort Darmstadt war natürlich für dieselbe nichts zu gewinnen, darum zogen wir in den Odenwald, um dort in der noch weniger von der sogenannten „Aufklärung“ und dem „Fortschritt“ angesteckten Bevölkerung die frisch duftenden Blüthen zu lesen. Unsere Streifereien lohnten sich über alle Erwartung, eine Sammlung wuchs neben der andern auf und wir sahen uns bald so reich, daß wir an eine Herausgabe denken konnten. Da öffnete sich uns plötzlich eine neue, viel näher liegende und unendlich reiche Quelle; wir erkannten, daß wir von Tausenden von Märchenerzählern umgeben waren, an die wir bisher gar nicht gedacht hatten. Wilhelm, welcher Lieutenant in Großherzoglich Hessischen Diensten ist, ließ die Soldaten Mann für Mann aufmarschiren und sagen und singen was sie wußten, Märchen, Sagen, Legenden, Beschwörungen, Aberglauben, Lieder. Da strömte der Segen so reichlich, daß an ein Ausarbeiten kaum mehr zu denken war, weil wir die Hände zum Einsammeln und vorläufigen Ordnen zu sehr gebrauchten. Mit unserm Reichthum wuchs unsere Freude an den verschiedenen Sammlungen. Wilhelm überließ mir die Soldaten; er zog während ich zu Hause sammelte, allein zu unsern alten Freunden im Odenwalde und seine Bemühungen wurden durch manchen kostbaren Fund gelohnt; so trug er u. a. eines Tages zwei der schönsten Märchen, das „von der schönen Schwanenjungfer“ und „die eisernen Stiefel“ heim.
Die Erzählungen, welche wir von unsern braven Soldaten gewannen, brachten diese theils frisch aus der Heimath mit, theils waren es auch solche, welche sich seit undenklichen Zeiten in dem Heere fortgepflanzt hatten, die an den Wachtfeuern früherer Campagnen bereits erzählt worden waren. Ihr Gebiet umfaßte darum nicht allein Hessen, wir erhielten Traditionen aus allen Gegenden Deutschlands, wo unsere Hessen gewesen waren, und aus denen einst Soldaten vereint mit ihnen gekämpft hatten.
Diese unsere Art hatte für die Sache selbst einen doppelten Nutzen. Unsere Sammlungen wuchsen nicht nur dadurch, auch in den Soldaten selbst wurde die Freude an den Traditionen lebendiger, als sie sich überzeugten, daß Leute der Stände, von denen sie sonst nur Spott über ihre schönen Erzählungen zu hören gewohnt waren, sie gerne hörten und „sogar aufschrieben.“ Anfangs scheu, drängten sie sich bald zutraulich zu uns heran und um uns herum, die Sänger und Erzähler meldeten sich von selbst, Wilhelms Stube und Nachbarschaft widerhallte von ihren Liedern, während in der meinigen der goldne Faden der Erzählungen sich reich und immer reicher abspann.
Die Revolution und die Feldzüge der letzten Jahre brachten einen Stillstand in diesen heitern Betrieb. Ich verließ Darmstadt und zog aufs Land, in die Bergstraße. Da fand ich nun keine Spinnstuben, in denen die Traditionen noch frisch blühten, wie im Odenwalde, vielweniger kernhafte Gemüther, welche ihrer zu Hause pflegten; die Bauern meiner Gegend lieben mehr schlechte Zoten und den Schnaps im Wirthshaus. Wenige ältere Leute wurden meine Quellen, so der brave ehemalige Müller Gans in Jugenheim, der zu Hause und auf Feldzügen einen reichen Schatz von Ueberlieferungen gesammelt hat und dieselben sehr schön und mit größter Treue wieder erzählt, der Schmied Schmidt in Balkhausen, der von seinen Wanderjahren her ihrer eine große Fülle bewahrt. Auch ein Zigeuner, Bletz heißt er, brachte sie mir zu Dutzenden ein und auch aus aller Herren Ländern, doch weiß er genau wo und wann er jedes einzelne Stück gehört hat. Besonders viele dankt er seiner Mutter, welche ihm ebenfalls stets dabei erzählte, bei welcher Gelegenheit sie dieselben gelernt und es ist höchst interessant, ihr und ihm auf die verschiedenen Streifzüge zu folgen, auf denen sie bald um das hochlodernde „Feuer in der vollen Scheune“ geschaart sich ruhig erzählen, während der Bauer eine Feuersbrunst fürchtend, ihnen gern die Thür weisen möchte und es doch nicht wagt aus Furcht vor ihrem Fluch; bald in ihren kleinen Karren, die von magern Thieren mühsam fortgezogen werden, Lieder singen, der aus dem Norden, jener aus dem Süden, der aus dem Osten, jener aus dem Westen; bald im Wirthshäuschen unheimlichen Aussehens, wohin sie durch Zeichen an Bäumen und Häusern eigne Wege geführt, sich zusammen finden und ob auch einander unbekannt, doch als gute Freunde sich grüßen und einander erzählen. Stockt oft der Faden, dann erzähle ich selbst und es bedarf höchstens einer oder zweier Sagen, oder eines Märchens, so spinnt er sich wieder weiter. Wiederholt sich dieß Stocken, dann bleibt Bletz weg und ich sehe ihn Monate lang nicht, bis er plötzlich wieder auftaucht und mir frische Sträußer bringt. Im Sommer ist Korbflicken seine Arbeit, im Winter aber thut er wenig oder gar nichts; dann zieht er als fahrender Erzähler in den Spinnstuben herum und ist überall froh begrüßt; gegen den geringen Lohn von 48 Kreuzern erzählt er einen ganzen Abend, die kleine Summe wird von den Burschen und Mädchen zusammen gelegt. Von ihm und den beiden andern vorhin Genannten ist fast ein Drittel der Sammlung nebst zahlreichen Varianten schon bekannterer Märchen. Alle drei sind lebendige Zeugnisse für das, was Wilhelm Grimm in der Vorrede zu den Kinder- und Hausmärchen sagt: „Die noch Märchen wissen, wissen gemeinlich auch recht viel, weil die Menschen ihnen absterben, sie nicht den Menschen.“
Noch eines andern Wortes des herrlichen Mannes möchte ich hier gedenken. Er will die von ihm und seinem Bruder Jacob Grimm gesammelten Märchen als Erziehungsbuch betrachtet wissen und sagt: „Wir suchen für ein solches nicht jene Reinheit, die durch ein ängstliches Ausscheiden dessen, was Bezug auf gewisse Zustände und Verhältnisse hat, wie sie täglich vorkommen und auf keine Weise verborgen bleiben können, erlangt wird, und wobei man zugleich in der Täuschung ist, daß was in einem gedruckten Buche ausführbar, es auch im wirklichen Leben sei. Wir suchen die Reinheit in der Wahrheit einer geraden nichts Unrechtes im Rückhalt bergenden Erzählung ... Der rechte Gebrauch (des Buches) findet nichts Böses heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugnis unseres Herzens.“ Daß er darin vollkommen recht hatte, beweist die Verbreitung, welche die Kinder- und Hausmärchen fanden und immer mehr finden, der Erfolg, welchen sie gerade als Erziehungsbuch hatten. Tausende von Romanen und Jugendschriften erstanden mit und nach ihnen und verschwanden wieder vom Schauplatz, ohne daß ihrer noch mit einer Sylbe gedacht würde, während sie in zwei verschiedenen Ausgaben immer wieder neu aufgelegt werden und Alt und Jung, Reich und Arm, Gebildete wie Ungebildete in stets wachsendem Maaße erfreuen.
Ueber den wissenschaftlichen Werth der Märchen hat sich Wilhelm Grimm in der Vorrede zur sechsten Auflage seiner Sammlung genugsam ausgesprochen; neuerdings kam auch ich ausführlich auf denselben zurück in der Vorrede zu meinen „Beiträgen zur deutschen Mythologie,“ wo ich in dem Märchenschatz den alten Mythenschatz unseres Volkes nachwies. Wie dort so möchte ich auch hier dringend bitten, daß jeder der das Glück und den Beruf hat, Märchen sammeln zu können, sich keine Gelegenheit dazu entgehen lasse, „da diejenigen die sie bewahren sollen, immer seltner werden,“ da „von den Verkehrtheiten des Lebens die Phantasie immer mehr ausgelöscht“ wird. Lasse man sich ja nicht einfallen, daß nichts mehr zu sammeln sei, es liegt noch viel mehr zu sammeln da, als bereits gesammelt worden und auch jede Variante eines Märchens hat ihre hohe Bedeutung. Der Pflanzenkundige forscht sorgfältig nach der Gestaltung jedes Blumenblattes, nach der Bildung jedes Kelches und der grünen Finger, welche den Kelch der Blume halten, ihm ist jede Spielart wichtig und er lernt an ihr die Familie mehr kennen, zu welcher die Blume gehört. Also ist es auch mit dem Märchen; auch es kennt ganze Familien und kein Zug ist so gering, daß der Kundige aus ihm nicht Belehrung schöpfen könnte. Und wir haben da noch so viel zu lernen! Die meisten Märchen sind uns noch Urkunden in Hieroglyphen, deren räthselhafte Züge zu erforschen wir kaum begonnen haben. Wenn irgendwo in der Wissenschaft, dann gilt hier das Wort: „Noch viel Verdienst ist übrig, hab es nur, die Welt wird's anerkennen.“
Sollte dieß Buch sich einer günstigen Aufnahme erfreuen, dann wird ihm bald ein zweiter Theil folgen, zu welchem sich von Tag zu Tage mehr und schönerer Stoff findet.
In einem großen Walde lag ein großer See, daran wohnte ein Fischer mit seiner Frau. Gott hatte ihnen fünf Söhne geschenkt, einer schöner als der andere. Jeden Tag, sobald der Morgen anbrach, zog der Fischer zu dem See und warf seine Netze aus und Abends zog er sie ein und stets hatte er sie voll guter, schöner Fische. Es war als ob ein besonderer Segen auf seiner Arbeit ruhe; der schien von einem kleinen grauen Männchen herzukommen, welches sich jeden Tag an dem See sehen ließ und in dem Kahne und an den Netzen herumsprang, als ob es den Fischen locke.
Als die Söhne größer wurden, mußten sie mit auf den Fischfang ausziehen und das ging der Reihe nach, jeden Tag ein andrer; die übrigen vier trugen derweil die Fische in die Stadt und verkauften sie um ein schön Stück Geld. Der Jüngste, welcher eben zwanzig Jahre alt war, zog auch eines Tages wieder mit zum See, aber das graue Männchen ließ sich an dem Morgen nicht blicken und Abends war kein Fisch im Netz. Schon wollten die Beiden heimgehn, da kam es daher gesprungen und frug: „Nun ihr Leutchen, ihr Leutchen, wie geht es heut?“ „Schlecht, sehr schlecht,“ sprach der Fischer, „wir haben nicht einen Fisch gefangen.“ „Fischer, willst du mir dort deinen jüngsten Sohn verkaufen?“ „Um keinen Preis verkaufe ich mein eigen Fleisch und Blut“ rief der Mann. „Ich fülle dir deinen Nachen mit purem gelbem Gold, so daß du ein reicher Mann bist auf ewige Zeit“ sprach das Männchen, „thust du es aber nicht, dann hast du keinen Vorsput mehr und hast gestern deinen letzten Fisch gefangen.“ Da fing der Fischer doch an sich die Sache zu überlegen und sprach: „Ja wenn ich wüßte, wo er bleibt und wie es ihm geht.“ „Es geschieht ihm gar nichts zu Leide, er hat mir nur zu folgen und zwei Pferde zu füttern, einen Schimmel und einen Rappen. Uebrigens mag er spazieren gehn oder reiten und kann thun was er will, darf dich auch alle drei Monate besuchen.“ „Dann bin ich es zufrieden“ sprach der Fischer, „wenn nur mein Sohn will.“ Der war aber ein herzensguter Mensch und sagte: „Vater, da ich euch glücklich machen kann, so gehe ich mit dem grauen Männchen.“ Der Fischer nahm Abschied von ihm und dem Männchen; als er wieder zu seinem Nachen kam, da glänzten ihm helle Haufen Gold entgegen, so daß er ein steinreicher Mann war.
Der Jüngling folgte dem Männchen, welches ihn immer weiter im Walde führte bis in ein schönes Schloß. Dort zeigte es ihm alle Zimmer und die waren so prächtig, daß es nicht zu sagen ist. In einem derselben stand eine Menge von Büchern: „die darfst du alle lesen,“ sprach das Männchen, „nur das eine dort in der Ecke nicht, es wäre dein Unglück.“ Zuletzt führte es ihn in den Stall, da standen zwei Pferde, ein Schimmel und ein Rappe: „Diese hast du zu füttern,“ sprach das Männchen, „und das ist deine einzige Arbeit. Den Schimmel darfst du nie reiten; du mußt ihm alle Tage zwei Maas Wein geben, viel gutes Brod, ihn hart striegeln und sauber putzen, denn ich halte große Stücke auf ihn. Der Rappe bekommt Hafer und Heu und Wasser; auf ihm darfst du nach Hause und in den Wald reiten, so viel du willst. Alle Arbeit muß aber bei Tage gethan sein und du darfst nie mit Licht in den Stall gehn. Thust du das treu und fleißig und befolgst nie die Rathschläge deiner Mutter, dann hast du es gut und dein Glück ist gemacht.“
Der Jüngling versprach es und hielt auch sein Wort. Wenn er mit seiner Arbeit fertig war, las er in den Büchern und lernte viele Dinge, die nicht grade jeder weiß. Aber es hatte doch eine eigene Bewandtniß mit dem Schloß und es ging dort nicht mit rechten Dingen zu. Gewöhnlich sah er nur das Männchen, welches jeden Tag kam und ihn oft wegen seines Fleißes lobte und ermunterte nur so fort zu fahren, es werde sein Glück sein. Wenn er aber oft Abends im Garten saß und so über allerhand nachdachte, dann sah er zwei Gestalten herumwebern, von denen er nicht recht zu sagen wußte, was sie eigentlich waren. Die eine schien groß und wie ein Riese und war doch keiner, die andre schien kleiner und wie ein Weib, aber sie war doch keins. Die fuhren da herum, erschienen und verschwanden und er konnte weiter nichts bemerken, als daß die zweite immer betrübt und zu weinen schien. Er zerbrach sich oft den Kopf über sie, wurde aber darum kein Haarbreit klüger als er gewesen war.
Nachdem ein Vierteljahr herum war, bat der Jüngling das Männchen um Urlaub, er wolle einmal seine Aeltern wiedersehn. Das Männchen bewilligte es ihm gern, nur rieth es ihm abermals, den Rathschlägen seiner Mutter kein Gehör zu geben. Der Jüngling ritt auf seinem Rappen weg und stand ehe er sich's versah am See. Als er aber nach seines Vaters Haus suchte, war davon nichts mehr zu sehn und an seiner Stelle stand ein prächtiges Schloß. Man kann sich denken mit welcher Freude seine Aeltern ihn empfingen. Seine Brüder waren alle verheirathet und reiche Kaufleute in großen Städten. Das hielt ihm seine Mutter vor und sprach: „Diese sind versorgt, du weißt aber noch nicht, was du hast; du mußt jetzt bald an deine Zukunft denken. Nachdem er ihr aber erst erzählt hatte, wie Alles im Schlosse war und zuging, da ließ sie ihm keine Ruhe mehr und sagte: Sei kein Thor und überzeuge dich von Allem. Das graue Männchen mißgönnt dir dein Glück. Ich an deiner Stelle müßte vor Allem wissen, was in dem Buche steht, eher könnte ich die Nacht kein Auge zuthun und schmeckte mir weder Essen noch Trinken. Das graue Männchen erfährt ja nichts davon, du mußt es nur recht heimlich thun.“ Also redete sie ihm so viel und so lange zu, bis er ihr versprach, er wolle das Buch lesen und ihr, wenn er wiederkomme sagen, was darin stehe.
Nach einigen Tagen nahm er Abschied von seinen Aeltern und ritt wieder nach dem Schloß zurück. Dort besiegte er wohl Anfangs die Versuchung nach dem Buche zu greifen; nach und nach aber, als sie immer wiederkehrte meinte er, es sei ihm ja nur verboten, darin zu lesen, sehen könne er es immer. Als er es eine Zeitlang gesehen und immer wieder gesehen hatte, meinte er, ein wenig könne er immerhin darin lesen, aber als er einmal am Lesen war, da ruhte er nicht, bis er es ganz ausgelesen hatte. Jetzt wußte er wohl, daß der Schimmel eine verwünschte Prinzessin und der Riese ihr Vater sei, daß das Schloß ihr gehöre und sie jede Nacht Menschengestalt annähmen, auch wußte er, wie sie erlöst werden konnten, aber im selben Augenblick stand auch das graue Männchen vor ihm und fragte zornig: „Was hast du gemacht?“ Läugnen half da nicht, das Männchen faßte ihn beim Kragen und warf ihn vor die Thür des Schlosses, indem es sprach: „Hättest du nur ein Jahr lang meinen Rathschlägen gefolgt, dann warst du glücklich auf Lebenszeit, jetzt magst du die Säue hüten. Das hast du davon“ und da flog das Thor hinter ihm zu.
Da stand er nun im wilden Walde und ganz mutterseelenallein. Er faßte aber bald Muth, dachte, es sei ja nicht Alles verloren und er wisse doch, wie er die Prinzessin erlösen könne, schnitt sich einen Stock und arbeitete sich durch das Gebüsch. Viele Tage ging er also weiter und nährte sich von Wurzeln und Kräutern. Endlich wurde es lichter und er kam an ein Dorf. Da frug er die Bauern, ob es keinen Dienst für ihn gebe? „Ja wohl,“ sprach einer von ihnen, „wenn du mir die Säue hüten willst, dann kannst du bei mir ankommen.“ Das war allerdings hart und besonders jetzt, nachdem er es lange Zeit so gut gehabt hatte, aber was wollte er machen? Er wurde mit dem Bauern um einen geringen Lohn einig, bekam ein Eckchen neben dem Schweinestall als Schlafstelle und trieb am folgenden Morgen mit seinen Schweinen aus. Wie er nun so auf dem Felde saß und über sein Schicksal nachdachte, rauschte es gewaltig über ihm in der Luft und da flog der Vogel Greif daher und ließ sich in der Ferne auf einen Berg nieder. Er rieb sich vergnügt die Hände und lachte so recht froh in sich hinein, denn von dem Vogel Greif hatte er in dem Buche gelesen. Als der Vogel am folgenden Tage wieder kam und desselben Weges flog, erzählte er Abends dem Bauern davon. „Ich kenne ihn nur allzuwohl,“ sprach der Bauer, „er hat mir mehr als ein Schwein gefressen, darum nimm dich nur in Acht, daß du dem Berge nicht zu nahe kommst.“ „Ei was, mir holt er kein Schwein“ rief der Jüngling „und jetzt treibe ich geraden Wegs nach dem Berge hin.“ „Das magst du thun,“ sprach der Bauer, „fehlt aber am Abend ein Schwein, dann bekommst du Prügel und ich jage dich weg.“
„Frisch gewagt ist halb gewonnen“ sprach der Jüngling, als er am folgenden Morgen die Heerde austrieb und fuhr auf den Berg zu, denn auch von dem Berge stand in dem Buche geschrieben. Gegen Mittag kam der Vogel Greif herangeflogen wie eine große dunkle Wolke. Als er nahe bei dem Berge die Schweineheerde erblickte, schoß er nieder und packte eins mit seinen großen grausigen Klauen, aber der Jüngling hatte nicht vergessen, was er weiter in dem Buch gelesen hatte; er riß ihm schnell drei Federn aus, steckte zwei hinter die Ohren und nahm eine in den Mund: da war er so stark und konnte fliegen trotz dem Vogel Greif. Jetzt riß er ihm das Schwein weg, griff ihn am Halse und drückte ihm die Kehle, bis der mächtige Vogel todt dahin sank. Alsdann schnitt er ihm mit seinem Messer den Leib auf und holte ein großes weißes Ei daraus: damit konnte er die Prinzessin erlösen. Heisa, jetzt war er wieder oben und hätte mit keinem König und Kaiser getauscht. Jubelnd und singend trieb er seine Heerde heim. Der Bauer erstaunte, daß er schon so frühe zurückkam, aber ehe er noch fragen konnte, was die Ursache davon sei, erhob sich der Jüngling durch die Kraft der Greifenfedern in die Luft und der Bauer hatte das Nachgucken.
Er flog aber hoch, hoch empor und schaute sich um bis er das Schloß erblickte; in der Nähe desselben ließ er sich auf einem Baume nieder und wartete den Abend ab. Dann flog er auf einen hohen Lindenbaum, welcher in dem Garten stand und worunter er die beiden Gestalten jeden Abend hatte sitzen sehen. In den Aesten verborgen hielt er sich ganz still. Als er eine Weile da gesessen hatte, öffnete sich die Stallthür: zuerst schlupfte das graue Männchen heraus, dann kam die weinende Frauengestalt und zuletzt die Riesengestalt. Das Männchen lief ins Schloß, die beiden andern aber kamen auf den Lindenbaum zu und setzten sich unter ihm nieder. Ach wie klopfte ihm jetzt das Herz! Er griff leise in den Sack, faßte das Ei, zielte gut und patsch! flog es gegen des Riesen Stirn. Zugleich aber that es einen Donnerschlag, als breche das ganze Schloß zusammen, so daß der Jüngling sich an den Aesten der Linde halten mußte und die Augen zudrückte. Als er wieder aufschaute, waren die beiden Gestalten verschwunden und stand da ein König mit goldner Krone auf dem Haupte und eine Prinzessin so wunderschön, daß es ihres Gleichen nicht mehr gibt. Aus dem Schloß kamen die Hofherrn und Diener gerannt, alle begrüßten und küßten sich und war da eine Freude sonder Gleichen. Der König wandte sich aber um und rief dem Jüngling, er möge niedersteigen und als er das gethan, legte er des Jünglings Hand und die der Prinzessin zusammen und sprach: „Du hast es um uns verdient, daß du mein Sohn wirst; wahre dir dein gutes Herz, dann wird das Glück dich auch bewahren.“ Also wurde der Fischerssohn zu einem königlichen Prinzen; wer weiß, was aus dir noch Alles werden kann? – Wo ist denn das graue Männchen geblieben? Das hatte der alte Taglöhner Hans vergessen, als er mir's erzählte, kommst du nach Jugenheim, so frage ihn, es wird ihm wieder eingefallen sein.
Ein armes Schneiderlein hatte zu Hause nichts zu verlieren und ging auf Reisen. Es war schon lange marschirt, da kam es eines Tags in einen großen dunkeln Tannenwald und es pfiff und sang und war von Herzen vergnügt. Als es eine kurze Strecke in dem Walde gegangen war, kam ein großer Hund dahergelaufen, der bot dem Schneiderlein die Zeit und frug, ob es ihn mitnehmen wolle? „Ich will dich schon mitnehmen, wenn du hinter mir herlaufen und mir unterthänig sein willst.“ „Das will ich“ sprach der Hund und lief hinter ihm drein.
Als das Schneiderlein ein Stück Wegs weiter gegangen war, kam ein zweiter Hund gelaufen, bot ihm die Zeit und frug, ob es ihn mitnehmen wolle? „Eigentlich habe ich mit einem Hunde schon zu viel“ sprach das Ritterlein von der Elle, „wenn du mir aber unterthänig sein willst und gehorsam, so magst du hinter mir herlaufen, dem andern zur Gesellschaft.“ „Das will ich“ sprach der Hund.
So gings weiter und weiter und als die drei Reisenden wieder ein Stück Wegs hinter sich hatten, kam ein dritter Hund, der frug auch, ob ihn das Schneiderlein mitnehmen wolle? Da stutzte es aber, denn es wußte schon nicht, woher es das Futter für die zwei andern Hunde hernehmen sollte, doch dachte es zuletzt: „Aller guten Dinge sind drei“ und sprach zu dem Hunde: „Wenn du mir treu und unterthänig sein willst, magst du in Gottes Namen hinter mir her laufen, wie die beiden andern.“
Gegen Abend kamen sie aus dem Walde und sahen ein Dorf vor sich und das erste Haus war ein Wirthshaus. Sprach das Schneiderlein: „Hunger haben wir alle vier, aber wie ein Sechskreuzerstück aussieht, habe ich seit lange vergessen.“ „Nichts weiter als das?“ sagte der erste Hund. „Geh du nur hinein und bestelle für vier Mann Essen und Trinken und kümmere dich nicht um das Bezahlen; dafür laß du uns sorgen.“ Dem Schneiderlein wuchs der Muth, als es das hörte, es schwang seine Elle dreimal lustig überm Kopf, ging in das Wirthshaus, schlug mit der Faust auf den Tisch und bestellte vier Gedecke und Essen, soviel das Haus vermöchte, Gesottenes und Gebratenes nebst Wein und Bier. Dann warf es sein Felleisen und seinen Hut auf die Bank, die Elle in die Ecke und sich selbst in einen bequemen Lehnstuhl.
Als nun das Essen aufgetragen war, ging die Thür auf und die drei Hunde stürzten herein, sprangen jeder auf einen Stuhl und fingen an zu essen und zu trinken, wie die Menschen, so daß die Wirthin über solchen Verstand die Hände überm Kopf zusammenschlug. Nach dem Essen sprach der eine Hund: „Nimm den Weg zwischen die Beine, laß aber Alles hier liegen, es kommt dir nichts fort.“ Da ging das Schneiderlein mir nichts, dir nichts weg und die Wirthin ließ ihn gehn, weil er sein Felleisen, seinen Hut und seine Elle zurückgelassen; er wird gleich wiederkommen, dachte sie, und will sich nur im Ort umsehn. Sobald die Wirthin aber den Rücken gewandt hatte, packte jeder der Hunde eins der drei Stücke, sprangen zur Thür hinaus und brachten sie ihrem Herrn; da hatte die Wirthin das Nachsehen.
Guten Muthes zog das Schneiderlein weiter; einer der Hunde lief voraus und zeigte den Weg. Bald kamen sie wieder in den Wald und nachdem sie schon manchen Schritt und Tritt darin gethan hatten, an einen freien Waldplatz, worauf ein großes Schloß stand. Da blieb der Hund stehen. „Hast du Muth?“ frug er das Schneiderlein. „Mehr als Geld,“ war die Antwort. „Dann binde uns an ein Seil, führe uns in das Schloß und verkaufe uns den Riesen, die da wohnen. Trau ihnen aber nicht, denn sie sind tückisch und arglistig. Damit du vor ihnen sicher bist wollen wir dir jeder etwas schenken, das wende wohl und klug an und dein Glück ist gemacht.“ Sprachs und gab ihm ein Salbentöpfchen. Wenn man mit der Salbe einen Stuhl bestrich, dann blieb jeder daran hängen, der sich drauf setzte. Der zweite Hund gab ihm ein Stöcklein, wen man damit aufs Haupt schlug, der that keinen Pieps mehr. Der dritte gab ihm ein Hörnlein: „Wenn du in Noth kommen solltest, blase nur darauf und wir werden dir helfen.“ „Ich muß erst versuchen ob ich auch blasen kann,“ sagte das Schneiderlein, „wenn man so harte Arbeit thut wie ich, dann wird einem der Athem kurz,“ setzte das Hörnlein an den Mund und blies hinein. Ach was das für einen Klang hatte! Es war aber nicht des Schneiderleins Athem, der ihm den Klang gab, denn der war so dünn, wie eine Nähnadel.
Es steckte jetzt getrost die drei Stücke ein, band die Hunde an und ging mit ihnen in das Schloß. Da kam es oben an der großen Treppe in einen weiten und hohen Saal, wo die Riesen an einer langen Tafel saßen und aus Bechern tranken, deren jeder wohl ein Viertelohm faßte. Das Schneiderlein zog höflich seinen Hut und frug, ob die Herren Riesen nicht drei schöne Hunde kaufen wollten? Sie beschauten die Hunde rechts und links, sprachen: „Wir behalten sie und wollen sie gleich in den Stall sperren, warte du derweil, bis wir wiederkommen, dann bekommst du dein Geld.“ Dabei lachten sie boshaft einander zu und warfen Blicke auf das Schneiderlein, von denen es sich nichts Gutes versprach. „Pfeift der Wind aus dem Loche“ dachte der Ritter von der Elle, „dann will ich euch schon den Spaß verderben,“ und er kletterte an allen Stühlen hinauf und schmierte sie mit seiner Salbe ein, oben und unten, vorn und hinten. Das war sein Glück, denn draußen hielten die Riesen Rath, wie sie das Schneiderlein mit Ehren todtmachen und fressen könnten; es sei zwar ein magerer Bissen, aber Menschenfleisch war ihnen etwas Neues und sie wollten vorlieb nehmen, bis sie etwas Besseres bekämen.
Als sie wieder herein kamen, sprachen sie das Schneiderlein habe sie im Handel betrogen, die Hunde seien nicht so viel werth und es müsse gefressen werden. Sprach das Schneiderlein: „Ich will gern sterben, wenn ich es verdient habe, aber nicht ohne Urtheil und Recht. Haltet zuvor ordentlich Gericht über mich, dann will ich mich vertheidigen.“ Die Riesen lachten, rückten die Stühle in einen Halbkreis und sprachen: „Nun fange an, du Erdwurm.“ „Setzt euch alle zuvor, wie es einem ordentlichen Gericht gebührt.“ Als sie dieß gethan hatten, nahm das Schneiderlein einen Schemel, setzte sich vor sie hin, stopfte sich eine Pfeife und blies die dicken Wolken so vor sich hin. „Wirds bald?“ frugen die Riesen. „Ei ich bin schon fertig, nun mögt ihr euch vertheidigen, denn ich verurtheile euch alle zum Tode.“ Die Riesen lachten Anfangs, als ihnen die Sache aber zu lange dauerte wollten sie aufstehn und das Schneiderlein fassen, da klebten sie alle fest und keiner konnte ein Glied rühren. „Nun wirds bald?“ frug das Schneiderlein und lachte, nahm sein Stöckchen und schlug sie alle auf die Köpfe, einen nach dem andern, da fielen sie hin und waren todt.
„Jetzt will ich von der Arbeit ausruhen“ sprach das Schneiderlein zu sich selbst, aber darin betrog es sich gewaltig. Im selben Augenblick hörte es, wie einer mit schweren Tritten die Treppe herauf kam, die Thür flog auf und herein schritt ein Riese, noch einmal so groß als die andern. Das war aber der Riesenkönig, der eben von der Jagd nach Hause kam. Als dieser sah, was vorgegangen war, frug er das Schneiderlein, wer die Riesen ermordet habe? „Das hab ich gethan.“ „Hast du das gethan dann bekommst du deine Strafe dafür. Zum Fressen bist du zu schlecht, aber als Spatzenscheuche kannst du allenfalls dienen, darum will ich dich in den Garten aufhängen.“ Sprachs, hob das Schneiderlein bei den Beinen auf und trug es in den Garten, wo ein hoher Galgen stand. Er setzte es oben drauf und fing an die Schlinge zu drehen. Da besann es sich kurz, zog sein Hörnlein aus dem Sack und blies aus Leibeskräften hinein, daß es zehn Meilen in die Runde scholl. Mit einemmal standen die drei Hunde da und hatten ihre zerrissenen Ketten am Halse. „Schneiderlein steig herab!“ sprach der Erste. „Ich darf nicht, der da will mich hängen.“ Da fielen die drei Hunde über den Riesenkönig her und zerrissen ihn in tausend Stücke.
Das Schneiderlein warf sich vor lauter Freude den Hunden an die Hälse und tanzte wie besessen auf einem Bein herum. Der erste von den Hunden aber sprach: „Jetzt ist das Schloß von den Riesen befreit und erlöst, nun mußt du uns dreien noch die Köpfe abhauen.“ „Das thue ich nun und nimmermehr“ sprach das Schneiderlein. „Dann zerreißen wir dich wie den Riesen.“ „Ja wenn ihr durchaus nicht anders wollt, dann thue ich euch den Gefallen.“ Er holte ein Schwert, faßte es mit beiden Händen und schlug den Hunden die Hälse ab, drehte sich dann aber schnell herum, denn er konnte kein Blut sehen. Da rief es hinter ihm seinen Namen, erschrocken fuhr das Schneiderlein auf und siehe da stand ein König vor ihm mit zwei wunderschönen Prinzessinnen. Der sprach: „Du bist unser Erlöser, denn wir waren die drei Hunde und waren verwünscht. Zum Danke dafür gebe ich dir eine von meinen Töchtern zur Frau.“ Da griff das Schneiderlein rasch nach der Aeltesten und sie gingen zum Schlosse. Aller Zauber, welchen die Riesen darüber gesprochen, war gelöst und die Zimmer wimmelten von Hofherren und Dienern. Als sie aber durch die Fenster schauten, war der ganze Wald zu einer prächtigen Stadt geworden, die kleinen Bäume zu Häusern, die großen zu Kirchen und Kirchthürmen, die Vögel zu allerlei fleißigen Menschen und Jubel und Freude war wohin man schaute. Am folgenden Tag wurde die Hochzeit gehalten und wären du und ich dazu gekommen, denk mal, was wäre das für Freude gewesen!
Zur Zeit als es noch schöner in der Welt war wie heutzutage, geschah es, daß ein Wachtmeister des Soldatenlebens müde wurde und desertirte. Im ersten Wirthshaus über der Gränze machte er Halt, denn er war scharf geritten und müde, das war sein Pferd auch. Er saß nicht lange im Zimmer, da trabte etwas über die Landstraße daher und hielt vor dem Wirthshaus: als er herausschaute, waren es zwei Husaren. Nun war guter Rath theuer, denn er glaubte, die kämen ihn einzufangen; er sagte rasch dem Wirth, daß er Deserteur sei und der gute Wirth versteckte ihn in die Nebenkammer. Die zwei Husaren traten herein und frugen: „Ist nicht ein Wachtmeister von den Husaren hier eingekehrt?“ „Daß ich nicht wüßte“ erwiederte der Wirth. „Hier hilft kein Läugnen,“ sprachen die Husaren, „wir haben sein Pferd im Stalle gesehn und er muß hier sein, aber er mag nur hervorkommen, denn wir sind auch desertirt.“ Als der Wachtmeister das hörte, sprang er aus der Kammer heraus und rief: „Dann seid willkommen, ihr Brüder“ und sie waren alle drei lustig und guter Dinge. Endlich sprach der Wachtmeister: „Es ist nicht gut, daß wir drei zusammen weiter reiten, geht ihr voraus, ich komme nach.“ Das geschah, die Husaren machten sich auf den Weg und eine Viertelstunde nachher folgte der Wachtmeister.
Er war schon eine Stunde weit geritten da traf er auf zwei Holzhacker und frug sie, ob nicht zwei Husaren vorbeigeritten wären? „Ja wohl vor einer Stunde“ war die Antwort. Der Wachtmeister ritt noch schärfer zu und als er wiederum eine gute Strecke weiter war, fand er ein paar Leute am Wege, welche Steine klopften. „Sind nicht zwei Husaren hier vorbeigeritten?“ frug er. „Ja wohl vor etwa zwei Stunden“ sprachen die Leute. Da ritt er noch besser zu und sah bald einen Dreiweg vor sich. Was nun machen? „Ich will mein Pferd gehen lassen“ dachte er, „vielleicht weiß das besser den rechten Weg wie ich.“ Das Pferd lenkte eben rechts in den Wald ein und ging immer und immer zu und es wurde immer dunkler und dunkler, so daß man keine Hand vor den Augen sah. Plötzlich stutzte das Pferd und wollte nicht weiter. Der Wachtmeister stieg ab und untersuchte den Boden, da fand er, daß er am Rande eines tiefen Grabens stand. Er ging zurück, band den Gaul an den nächsten Baum und legte sich nieder, um den Tag abzuwarten und dann zu sehn, was das sei. Nach einiger Zeit ging der Mond hinter den schweren schwarzen Wolken hervor und siehe, da lag ein großes schwarzes Schloß vor ihm und an einem Fenster brannte ein helles Licht. Er setzte sich wieder zu Roß und ritt um das Schloß herum. Als er an die Brücke kam, wurde dieselbe niedergelassen und er trabte in den Schloßhof hinein. Alsobald traten viele schwarze Diener auf ihn zu, nahmen sein Roß und führten es in den Stall, ihn aber führten sie in das Schloß und in einen Saal, der war ganz schwarz ausgeschlagen. Da war eine prächtige Tafel gedeckt und Speisen aller Art standen darauf, nur waren die Schüsseln und Teller, Gabeln und Messer alle schwarz. Das kümmerte den Wachtmeister nicht, denn er war müd und hatte argen Hunger und so ließ er es sich ganz vortrefflich schmecken.
Gegen elf Uhr ging die Thüre auf und herein trat eine schöne Jungfrau in königlichen Kleidern; sie war aber ganz schwarz und hatte zwei Kammerjungfern zu ihrer Seite, eine zur Rechten die andere zur Linken. Sie grüßte ihn freundlich und sprach: „Auf dich habe ich schon viele hundert Jahre gewartet, denn du sollst mein Erlöser sein. Willst du drei Nächte hier schlafen und schweigen und dich nicht fürchten, was auch um dich vorgehen mag, dann hast du das Schwerste vollbracht und wir werden glücklich sein auf ewige Zeit.“ „Ei das will ich schon“ sprach der Wachtmeister. „Wer so lange gedient und so viel Pulver gerochen hat, wie ich der hat verlernt was Fürchten heißt.“ „Rühme dich nicht zu früh“ sprach die Prinzessin, lächelte ihm holdselig zu und ging mit ihren Kammerjungfern fort. Der Wachtmeister war aber im neunten Himmel, denn die Prinzessin war gar zu schön und sein Herz in heller Liebe zu ihr entbrannt. Er warf sich ganz glückselig auf das schwarze Bett, welches nebenan in einer prächtigen schwarzen Schlafkammer stand; ans Schlafen aber dachte er nicht.
Als es zwölf Uhr schlug that es einen Schlag, als sollte die Welt untergehn. Zugleich flog die Thüre auf und drei schwarze Männer traten herein und setzten sich an den Tisch. Einer von ihnen zog Karten aus dem Sack mischte sie und sprach: „Drei sind wir, aber zum Spiel gehören vier.“ „Der vierte ist der Wachtmeister, der dort in der Kammer auf dem Bette liegt“ sprach der Andre. „Ich will ihn holen, er muß mit spielen“ sagte der Dritte, ging zu dem Bette und lud den Wachtmeister zum Spiele ein. Der stand auf, setzte sich zu ihnen und spielte mit, schlug kräftig mit der Faust auf den Tisch, wenn er auftrumpfte, gewann und verlor, aber er sprach kein Wort. Die Andern gaben sich zwar alle Mühe, ihn zum Sprechen zu bringen, sie frugen ihn allerhand, schimpften ihn, thaten als ob sie ihn schlagen wollten, er aber hielt sich ganz ruhig und schwieg. Da schlug es ein Uhr, die drei Männer rafften in aller Eil ihre Karten zusammen und fort waren sie. Der Wachtmeister legte sich aber zu Bett und schlief bis zum hellen Tage. Die Diener brachten ihm, sobald er aufstand, sein Frühstück; sie hatten jetzt alle Gesichter weiß und roth, wie andere Menschen, die Schüsseln und Tassen weiße Ränder und die Messer und Löffel weiße Stiele; auch die Decke seines Zimmers war weiß geworden und die Laken und Kissen auf seinem Bette. Da öffnete sich die Thür und die Prinzessin trat ein, grüßte ihn noch viel freundlicher als das Erstemal und er bemerkte, daß auch sie einen weißen Schleier trug, der wallte ihr bis auf die Brust herab. „Nun halte nur noch zwei Nächte aus, mein Erlöser,“ sprach sie, „und Alles ist gut. Laß dich nichts anfechten, was auch um dich herum vorgehen mag, es geschieht dir nichts zu Leide.“ Alsdann reichte sie ihm holdseelig lächelnd ihre Hand und verschwand wieder mit ihren beiden Kammerjungfern.
Dem Wachtmeister hüpfte das Herz im Leibe wie ein Eichhörnchen und er vergaß Himmel und Erde über der wunderschönen Prinzessin. „Wo mag die nur ihren Aufenthalt haben?“ dachte er und da ihm ohnedieß nichts als das Sprechen bei der Nacht verboten war, so ging er einmal im Schlosse herum, von einem Zimmer ins andre. Nein, was das eine Pracht und Herrlichkeit war! Gold und Silber und Sammt und Seide überall wohin man blickte, so daß man sich gar nicht satt genug daran sehen konnte. Wenn der Wachtmeister mit dem letzten Zimmer fertig war, fing er wieder mit dem ersten an und that nichts anderes als sehen und sehen. Mittags stand sein köstliches Mahl auf dem Tisch und Abends wiederum. Gegen zwölf Uhr that es wiederum einen Schlag, daß die Schindeln auf dem Dach rasselten und die Fenster und Thüren fast aus den Angeln flogen. Der Wachtmeister, welcher sich schon zu Bette gelegt hatte, richtete sich auf und schaute auf die Thüre hin. Da kam einer der Männer vom vorigen Abend und brachte eine lange blutrothe Tischplatte, die beiden andern hatten Messer, Hackmesser und Schlachtbeile und waren wie auch der erste über und über mit Blut bespritzt. Sie legten die Platte über ein paar Tische und fingen an ihre Messer zu wetzen und die Hackmesser und Beile zu schleifen. Dazwischen unterredeten sie sich, wie sie den Wachtmeister schlachten wollten. Der eine sollte ihn mit dem Beil vor die Stirn schlagen, wie einen Ochsen, der andre ihn mit dem Schlachtmesser zerschneiden und der dritte das Fleisch zerhacken. Da wurde es dem Wachtmeister zwar ein wenig schwül, aber er biß sich die Zunge und hielt aus, er gab auch keinen Laut von sich, als sie kamen ihn zu packen. Ehe sie aber noch an seinem Bette waren, schlug es eins und da liefen sie was gibst du, was hast du, packten ihre Siebensachen zusammen und waren weg, ehe man eine Hand umdreht. Der Wachtmeister athmete frisch auf und schlief auf den ausgestandenen Schrecken wie ein Prinz. Als er wieder aufwachte, da war es gar freundlich und hell um ihn her, das ganze Zimmer war weiß geworden und nur das Schloß an der Thür noch schwarz. Als die Diener ihm das Frühstück brachten, trugen sie weiße Kleider und hatten nur noch schwarze Krägen und Handschuhe. Ebenso die Prinzessin und ihre Kammerjungfern. Wie war die jetzt so schön und wie war sie erst jetzt so freundlich! Sie sprang ordentlich ins Zimmer herein vor lauter Freude und drückte dem Wachtmeister die Hand und sprach: „Jetzt halte nur noch eine Nacht aus, mein Erlöser, und fürchte dich nicht; dir kann nichts geschehen; dann ist das Schwerste überstanden und wir sind glücklich auf ewig.“ Der Wachtmeister war ganz außer sich vor Glück und schwur ihr hoch und theuer, er wolle sie erlösen und sollte er auch in Stücke zerhackt werden.
Nachdem die Prinzessin fort war, ging der Wachtmeister wiederum durch die Zimmer des Schlosses und betrachtete sie eins nach dem andern. Er wußte die Zeit nicht besser todt zu schlagen, als daß er sie alle abmalte, denn sein Vater war ein Kunstmaler gewesen und hatte ihn in der Malerei gehörig unterrichtet, so daß er Alles malen konnte, was er nur sah. Als es kaum zwölf Uhr in der Nacht geschlagen hatte, da krachte es wieder, daß ihm fast Hören und Sehen verging. Zugleich sprang die Thür auf und einer von den Männern kam herein und trug einen ungeheuren Kessel auf den Schultern, der andre rollte ein Faß Oel herein und der dritte trug eine schwere Last Holz. Sie hingen den Kessel in der Mitte des Zimmers auf, gossen das Oel hinein und machten Feuer darunter an. Während dessen sprachen sie zu einander, heute würden sie Ernst machen und den Wachtmeister lebendig in dem Oel sieden; bis jetzt hätten sie ihn nur schrecken wollen, und sie schürten das Feuer immer ärger, so daß es ihm in seinem Bette heiß wurde und er meinte, das ganze Schloß müsse in Flammen aufgehen. Er dachte aber bei sich: Bangemachen gilt nicht und lag ruhig da und schwieg, wie der Fuchs, wenn er den Geist aufgegeben hat. Als das Oel nun recht kochte und große Blasen warf, da streiften die drei Kerle die Hemdsärmel in die Höhe, rieben die Hände und riefen: Jetzt muß er hinein! Also liefen sie auf ihn zu, aber da schlug es ein Uhr und es that einen Donnerschlag, daß die Fenster und Thüren aus den Angeln fuhren. Die drei Kerle, das Feuer und der Oelkessel verschwanden in einem Augenblick, dagegen entzündeten sich tausend Lichter wie von selbst in dem Saal, und war da eine Pracht, daß es nicht zu sagen ist. Draußen erscholl eine fröhliche Musik, die Thür flog auf und eine ganze Reihe von hohen Herren und Damen kam herein, zuletzt die Prinzessin und alle waren schneeschloßenweiß und in Gold und Silber gekleidet. Sie aber flog auf den Wachtmeister zu, küßte ihn und schloß ihn in ihre Arme und rief: „Sei willkommen, mein herzliebster Erlöser und Gemahl!“ Und als sie das gesagt hatte, steckte sie ihm ihren goldnen Ring an den Finger und hing ihm ihre goldne Kette um den Hals; da neigten sich die hohen Herren und Damen dreimal vor ihm und Alles war Jubel und Freude.
Sprach die Prinzessin: „Jetzt bleibt uns nur noch eins übrig, wir müssen aus dem Schloß und in meines Vaters Königreich. Wir dürfen aber nicht zusammen herausgehn, auch mußt du es in deiner alten Kleidung verlassen. Reite voraus, ich folge dir mit meinem Hofgesinde nach, aber laß dich durch nichts aufhalten und laß Niemand dich mit Händen berühren, es würde uns Beiden großen Kummer bringen.“ „Hab ich bis jetzt Alles fertig gebracht, dann kann ich es auch ferner,“ sprach der Wachtmeister, schwang sich auf sein Roß und ritt weg. Als er über die Brücke kam, sah er am Wallende ein kleines Haus und unter der Thür saß ein altes Weibchen, welches spann. Es bot ihm die Zeit und sprach: „Ei ihr seit mir ein feiner Herr, daß ihr also euren Zopf hängen lasset und nicht aufsteckt, wie es einem ordentlichen Soldaten ziemt.“ Damals trugen nämlich die Soldaten noch Zöpfe. Als der Wachtmeister an den seinen griff, da hing der in der That herab und er gab sich vergebens alle Mühe, ihn wieder aufzustecken. Indem rollte es an der Brücke, als wenn viele Wagen kämen und das Weibchen sprach: „So eilt euch doch, da kommt die Prinzessin angefahren, was wird die von euch denken.“ Er konnte aber mit dem Zopfe nicht fertig werden, sprang vom Rosse und bat das Weibchen, es möge ihm den Zopf aufstecken. „Von Herzen gern“ sprach es, ließ sein Spinnrädchen stehn und schlich zu ihm. Kaum aber hatte es den Zopf berührt, da sank er zu Boden und lag in einem festen Zauberschlaf. Gleich nachher kam die Prinzessin mit ihrem Hofstaat angefahren. Ach wie war sie so untröstlich über ihr trauriges Schicksal, aber was war da zu machen? Sie schrieb auf ein Papier:
„Wenn du mich willst wiedersehen, Mußt du ins Königreich Tiefenthal gehen“
und gab es ihm in die Hand, steckte eine Wunschbörse, welche nie leer wurde in seinen Sack und fuhr weiter, denn hier war ihres Bleibens nicht mehr; weiter konnte sie nichts für ihn thun.
Also lag der Wachtmeister Jahr und Tag in tiefem Schlafe bis die Zeit herum war; da erwachte er, fand das Papier in seiner Hand und erkannte nun wohl, wie er von dem alten Weibchen betrogen worden war. Er zog alsbald seinen Säbel, lief ins Häuschen und griff die böse Hexe bei den Haaren, während er schrie: „Willst du mir jetzt den Weg nach dem Königreich Tiefenthal zeigen, oder soll ich dich in Fetzen hauen?“ Da jammerte die Alte und versprach ihm alles Mögliche, wenn er sie nur gehen ließe, heimlich aber sann sie wiederum auf schlimmen Verrath. Nachdem er sie losgelassen hatte, wies sie ihm einen Weg, den solle er gehen, und er würde unfehlbar nach Tiefenthal gelangen. Der Wachtmeister machte ihr noch ein paarmal mit der flachen Klinge auf dem Rücken das Maaß, dann schwang er sich zu Pferde und fort gings wie der Sturmwind.
Nach drei Tagen kam er in einen Wald; als er hindurch war, sah er Abends von fern ein Licht. Er ritt darauf zu und kam an ein Haus, das sah just wie ein Einsiedlerhäuschen aus. Als er eintrat, saß da eine alte Frau, die bat er um Nachtherberge. „Ach guter Freund, sprach sie, wer euch zu mir gewiesen hat, der hat euch nicht wohl gewollt, denn meine Söhne sind Menschenfresser und sie verschonen Niemanden. Euch aber sollen sie nichts zu Leide thun, denn ihr habt schon genug ausgestanden, ich weiß Alles. Versteckt euch nur vor der Hand, damit sie nicht so auf euch losfallen können.“ Das that der Wachtmeister und es war auch die höchste Zeit. Denn kaum war er in Sicherheit gebracht, da brauste es in der Luft, wie vom größten Sturm; dann fuhr die Thür auf und der älteste von den Söhnen polterte herein.
„Menschenfleisch riech ich, Menschenfleisch genieß ich!“
schrie er und tobte in der Kammer umher, aber die alte Frau packte ihn bei den Schultern und warf ihn auf eine Bank nieder, daß es krachte. „Da setz dich hin und rühre dich nicht, du bekommst schon satt“ sprach sie. Indem rauschte es abermals draußen, als wenn der Vogel Greif herangeflogen käme, die Thür fuhr auf und der zweite von den Söhnen stürzte herein, schnüffelte in der Kammer herum und schrie:
„Menschenfleisch riech ich, Menschenfleisch genieß ich!“
Da packte die alte Frau ihn und setzte ihn unsanft neben den ersten auf die Bank nieder. „Da bleibt ihr jetzt sitzen, ihr langen Schlingel,“ sprach sie, „und hört was ich euch sage.“ Anfangs brummten sie wohl noch, aber da hob die Alte ihren Finger und sie wurden mäuschenstill. Dann holte sie den Wachtmeister aus seinem Versteck hervor. Als der Aelteste von den Söhnen ihn sah, rief er: „Mutter, was ist das für ein fremdes Thier?“ „Das ist ein Wachtmeister, mein Sohn,“ sprach die Frau „und ihr sollt ihn in das Königreich Tiefenthal tragen.“ Da brummten sie wieder, sprachen, das wäre gar zu weit und er wäre ihnen zu schwer, aber die Alte gab ihnen gute Worte, erzählte ihnen seine Geschichte und plauderte ihnen so viel vor, daß sie endlich versprachen, ihn mit seinem Pferde nach Tiefenthal zu tragen; der jüngste wollte ihn nehmen und der Aelteste, welcher auch der stärkste war, das Pferd. Der Wachtmeister dankte ihnen und der Frau hunderttausendmal. Nachdem sie nun alle gegessen und getrunken hatten kam es wie ein tiefer Schlaf über ihn und als er wieder erwachte, lag er neben seinem Pferd im hohen Gras und vor ihm glänzte und leuchtete eine stolze Stadt mit hundert Thürmen. Er stieg zu Roß, ritt auf die Stadt zu und fragte die Leute, wie die Stadt heiße? Das sei die Hauptstadt vom Königreich Tiefenthal, sagten sie. Fröhlichen Muthes trabte er hinein und nahm noch am selben Tage Dienst unter den Soldaten als Rekrut. Als es am folgenden Morgen ans Exerciren ging, hei da verstand er das viel besser als die Corporale und Feldwebel, so daß der König ihn sogleich zum Hauptmann machte. Die Mannschaft, welche er kommandirte, sah aber schlecht aus, sie hatte Monturen aller Art und dazu noch zerrissene. Das konnte er nicht sehen und ließ sie sofort neu auskleiden und die alten Kleider den Armen geben. Was der König für Augen machte, als bei der Revue der neue Hauptmann heranmarschirt kam! Er kannte seine eignen Soldaten nicht mehr wieder und kurzum, er war so entzückt darüber, daß er den Hauptmann mit an seiner Tafel speisen ließ und drei Tage drauf ihn zum General der ganzen Cavallerie ernannte. Jetzt wurde die Wunschbörse noch ärger angezapft; alle Pferde vom ganzen Regiment wurden verkauft und neue stattliche Thiere dafür angeschafft. Hundert Schneider mußten herbei und Tag und Nacht nähen, bis das ganze Regiment neu ausgekleidet war. Dadurch kam der General so in Gnade bei dem König, daß dieser ihm ein Stück Land gerade neben dem Schloß schenkte und ihm erlaubte, sich daselbst ein Schloß zu bauen.
Nun setzt sich mein General hin und macht selbst den Plan von dem Schloß, und macht ihn genau so, wie das Schloß gewesen war, worin er die Prinzessin erlöst hatte. Dann ließ er, als Alles fertig dastand, ein Dutzend Maler kommen, die mußten das Schloß grade so malen, wie er es ihnen sagte und zeigte, denn er hatte die Abzeichnungen der Zimmer aus dem verwünschten Schloß mitgebracht. Endlich wurden Diener angeschafft und so gekleidet, wie die Diener der Prinzessin am Tage ihrer Erlösung gekleidet gewesen waren. Ach da war viel nicht genug und das Geld flog nur so weg. Eben war sein Schloß fertig, da kam eine Staffette an den König, die meldete, in Zeit von zwei Tagen würde die Prinzessin anlangen und gab einen Brief ab, worin stand, sie sei von einem Wachtmeister erlöst worden, aber ihr Erlöser liege im Zauberschlaf vor dem verwünschten Schloß. Sogleich ließ der König den General kommen und erzählte ihm Alles, befahl ihm auch, an der Spitze des Heeres der Prinzessin entgegen zu ziehen und sie feierlich zu empfangen. Der General sagte blos: „Ewer Majestät befehlen“ und ließ sich gar nichts merken.
An dem bestimmten Tage holte er die Prinzessin an der Grenze ab und führte sie unter großem Jubel des Volkes in die Hauptstadt. Sie erkannte ihn nicht; wie hätte sie auch drauf kommen sollen, daß der von Gold und Ordenszeichen strotzende General ihr Erlöser sei, von dem sie nicht anders wußte, als daß er noch am Wall des Schlosses im Zauberschlaf liege. Als sie aber an ihres Vaters Schloß kam und das des Generals daneben neu erbaut sah, da erstaunte sie nicht wenig und ihre erste Frage bei Tische war an ihren Vater, wem doch das prächtige, stolze Schloß gehöre? „Das gehört unserm General“ sagte der König und konnte ihr nicht genug von ihm erzählen. „Ei das Schloß muß ich sehen“ sprach sie und nach Tische führte der König sie dahin. Als ihr die Diener entgegen kamen, sprach sie: „Vater das wundert mich.“ „Was, mein Kind?“ „Ei die Bedienten, die hat der General nicht nach seinem Kopf also gekleidet.“ Als sie in das erste Zimmer trat, rief sie: „Vater das erstaunt mich!“ „Was, mein Kind?“ „Ei das Zimmer, das hat der General nicht nach seinem Kopf also gemalt.“ Als sie in das zweite Zimmer kam, sprach sie gar nichts mehr, in dem dritten wurde sie todtenblaß und im vierten wäre sie in Ohnmacht gefallen, wenn der General nicht in seiner Wachtmeisters-Uniform herbeigesprungen wäre und sie gehalten hätte. „Was ist das, mein Kind?“ rief der König erstaunt. Sie aber sprach: „Das ist mein Erlöser und euer General“ und da mußte er ihren Ring und ihre Kette zeigen. Jetzt war des Jubels kein Ende und eine solche Hochzeit wie die war, ist im ganzen Odenwald noch nie gehalten worden.
Achtzehen Soldaten, nämlich ein Feldwebel, ein Sergeant, ein Corporal, ein Tambour und vierzehen Gemeine waren zusammen auf einer einsamen Wacht.
Weil nun der Dienst sehr hart und das Traktement schlecht war, so that sich die ganze Wachtmannschaft zusammen und beschloß, zu desertiren, nur der Feldwebel, der ein alter Soldat war und zwei Feldzüge mitgemacht hatte, wollte Nichts von der Sache wissen.
Da er's nicht anders wollte, so banden sie ihm Hände und Füße zusammen, auf daß er nicht in Verantwortung und Strafe käme, legten ihn unter die Pritsche und gingen alle Siebenzehen mit Sack und Pack davon. Sie waren aber kaum ein paar hundert Schritt weit gegangen, so fiel dem Corporal ein, daß er seine Pfeife auf dem Tisch hatte liegen lassen, und er ging zurück, um sie zu holen. Unterdessen hatte sich der Feldwebel unter der Pritsche die Sache noch ein Mal überlegt und weil er dachte, er könnte doch vielleicht in harte Strafe kommen, so ward er anderen Sinnes und reute es ihn, daß er nicht mitgegangen war. Als nun der Corporal wieder hereintrat sprach er: „Bind mich los, Kamerad, es liegt sich unter der Pritsche noch schlechter, als oben darauf“ und als er los war, schloß er die Wachtstube zu steckte den Schlüssel ein und desertirte mit.
Eine schöne Zeit waren sie zusammen umher gezogen, – das Geld war alle, aber der Hunger und Durst noch nicht und sie dachten Mittags zuweilen an den großen Fleischkessel in der Kaserne – da kamen sie einmal an ein einsames Waldwirthshaus. Sie gingen hinein, der Feldwebel klapperte mit dem Schlüssel und ein paar Kamaschenknöpfen im Sack, und sie ließen sich einschenken und auftragen was in der Küche und im Keller war.
Als es darnach ans Bezahlen ging, griff der Feldwebel in den Sack, als wenn er ein Paar von seinen Kronenthalern wollte springen lassen, aber „das kann nicht sein, Herr Feldwebel“ rief der Sergeant, „an mir ist das Bezahlen!“ und griff dabei in seinen Hosensack; der Feldwebel aber ging einstweilen hinaus. „Haltet ein, Herr Sergeant!“ rief jetzt der Corporal „wollt Ihr immer die Zeche bezahlen?“ dabei fuhr er eilig in die Tasche, der Sergeant aber ging einstweilen hinaus. Da sprach der Tambour: „an mir ist heute die Reihe, soll ich mich immer von euch füttern lassen?“ – und der Corporal folgte den Andern. Von dem Tambour wollte sich aber der älteste Gemeine nicht lumpen lassen und so immer fort Keiner von dem Andern, bis herunter zu dem jüngsten Soldaten, der noch ein Rekrut war. Der aber sprach, er wollte die Anderen noch ein Mal alle hereinrufen, damit man genau nachrechnen könnte, was jeder gegessen und getrunken – fort war er und lief den anderen Siebenzehen nach.
Der Wirth hätte schwarz und blau vor Aerger werden mögen, als er sich so geprellt sah, doch weil er ein böser heimtückischer Mann war, machte er das Fenster auf und rief seinen Gästen mit freundlicher Stimme nach: „was lauft ihr also, ihr braven Bursche? Kommt zurück, euer Spaß gefällt mir also wohl, daß ich euch noch eine Zehrung mit auf den Weg geben will!“ –
Als sie nun wiederkamen, gab er noch einem Jeden einen halben Gulden, und sie sollten doch den Weg rechter Hand einschlagen und dann das zweite Pfädchen links gehen, so würden sie an einen Berg mit einer offnen Thür kommen, wenn sie dahineingingen, so möchten sie glücklich werden für all ihr Lebtag!
Das leuchtete den Soldaten ein, sie dankten für die Zehrung und den guten Rath, versprachen auch, nicht wiederzukommen und machten sich spornstreichs auf den Weg nach dem Berge; der Wirth aber freute sich, daß ihm sein schlimmer Anschlag so wohl gelungen war, denn in den Berg hinein war schon gar Mancher gegangen, aber Keiner wieder heraus.
Die Achtzehen gingen den Weg rechter Hand und an dem großen Baum das zweite Pfädchen links und dann durch die offne Thür in den Berg hinein. Dadrinnen war es ganz hell, wie draussen auch, und eine schöne breite Straße führte immer weiter hinein. Da sie ein gutes Stück darauf fortmarschirt waren, kamen sie vor eine aufgezogene Zugbrücke; die ließ sich aber von selber vor ihnen herab, daß sie darüber gehen konnten. Nun waren sie in einem großen Hof. Sie wanderten wieder eine Zeitlang weiter, dann kamen sie an eine zweite Zugbrücke, die sich niederließ wie die erste und über welche sie in einen andern Hof gelangten. Ebenso ging es noch ein Mal über eine dritte Brücke und in einen dritten Hof – da stand aber mitten darin ein wunderschönes Schloß.
„Rangirt euch!“ commandirte der Feldwebel, ließ die Mannschaft in Reihe und Glied herantreten und die Unterofficiere auf die Flügel; „Geschwindschritt Marsch!“ hieß es dann, der Tambour schlug ein, und die Achtzehen marschirten zum Schloßthor hinein, und als sie darinnen waren erklärten sie das Schloß für erobert. Sie hatten freilich gut erobern, denn es war ringsum nichts Lebendiges zu sehen und zu hören; wohl aber fanden sie einen großen Saal, wo für achtzehen Mann gedeckt und aufgetragen war, was ihnen gar wohl gefiel. Neben dem Saale waren achtzehen schöne Schlafkämmerchen, eines wie das andere, ein jedes mit einem prächtigen seidenen Bett, und das gefiel ihnen auch.
Nun setzten sie sich ohne weiteres zu Tisch, damit es nicht kalt werden sollte und lebten hoch in Freuden bis in die Nacht hinein; dann krochen sie in die weichen seidenen Betten und schliefen wie die Grafen. Der Feldwebel war der Erste, der des anderen Morgens wieder aufwachte. Er wollte sich anziehen und den Tambour wecken, daß er Reveille schlüge, doch seine Montur war fort und nirgends mehr zu sehen. Er hing sich das Bettuch um und rief seinen Kameraden – da kamen sie auch heraus, Einer nach dem Andern, aber Einer wie der Andere im Bettuch gleich dem Feldwebel, denn ihre Kleider waren auch verschwunden, als wären sie niemals dagewesen. Als sie sich im Saale umschauten, sahen sie mitten auf dem Tisch zwei große Kisten stehen; sie machten den Deckel auf, da fanden sie in dem einen Kasten eine Feldwebelsmontur, eine Sergeanten-, eine Corporals- und eine Tambours-Montur und vierzehen Stück gemeine Soldatenmonturen. Alles war funkelhagelneu, als wenn es eben vom Schneider käme, und paßte wie angegossen. –
In den anderen Kisten waren siebenzehen prächtige neue Gewehre, Säbel und Patrontaschen und eine nagelneue Trommel für den Tambour! Das war eine Herrlichkeit!
Als die erste Freude vorüber war, sagte der Feldwebel, weil sie jetzt wieder das Ansehen von ordentlichen Soldaten hätten, so wollten sie auch ihren Dienst thun wie es sich gehöre.
Darauf führte er einen Theil der Mannschaft in die Wachtstube am Schloßthor, theilte sie zum Schildwachtstehen in drei Nummern ab und von nun an mußten sie ordentlich auf Posten ziehen und alle zwei Stunden ablösen wie es sich gehörte.
Als sie es schon eine Zeit lang so getrieben hatten, da kam eines Tages eine prächtige sechsspännige Kutsche angefahren und hielt vor dem Schloßthor. Ein Bedienter in einem goldnen Rock machte den Schlag auf und eine wunderschöne Dame stieg heraus. Sie ließ sich von der Schildwache den Feldwebel herausrufen, ging mit ihm hinauf in seine Schlafkammer und sprach zu ihm: „Ich bin eine verwünschte Prinzessin, du aber sollst mich erlösen und mein Bräutigam sein. Von Morgen an wird jeden Tag eine andere Prinzessin kommen, die erste zum Sergeanten, die zweite zum Corporal und so immer fort, bis ein Jeder von euch die Seinige gesehen und mit ihr gesprochen hat. Also muß es geschehen, damit ihr uns erlösen könnt.“
Das und noch Anderes redete sie mit dem Feldwebel, ehe sie von dannen fuhr und wie sie gesagt, so kam es.