14,99 €
Holt das Lachen aus dem Keller! Jakob Hein und Jürgen Witte reicht es: Ein flammendes Plädoyer dafür, Humor in Kunst und Literatur endlich ernst zu nehmen! Schämen sich die Deutschen für ihren Humor oder haben sie wirklich so wenig zu lachen?Ob Büchner-Preis oder Deutscher Buchpreis – kaum jemals wurde bisher komische Literatur mit ernstzunehmenden Preisen gewürdigt! Warum spricht man Werken, die die Menschen zum Lachen bringen, ab, dass sie sich den Rätseln unserer Existenz mindestens genauso wahrhaftig nähern wie die ernste Kunst? Und: War das schon immer so? Jakob Hein und Jürgen Witte gehen einem Phänomen nach, nämlich der konsequenten Geringschätzung der humorvollen Kunst in unserer Gesellschaft. Dazu durchstreifen sie die Literatur genauso wie die Kinos, das Fernsehen und die Kabaretts; sie befragen Philosophen, Literaten und Humorexperten.Und sie gehen in sich: Gibt es guten und schlechten Humor? Lacht man im Osten anders als im Westen? Worin unterscheidet sich der Humor von Männern und Frauen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 145
Jakob Hein / Jürgen Witte
Geschichte einer Feindschaft Eine Abhandlung in einleitenden Worten, sechzehn Kapiteln, zwei Zwischenrufen, einem Anhang und dreiundachtzig Fußnoten
Buch lesen
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Jakob Hein / Jürgen Witte
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
Widmung
Einleitende Worte
I. Eine kurze Begriffsklärung
II. Wo bleibt eigentlich der Humor?
III. Opus agnei
IV. Was ist Humor?
V. Ist das dein Ernst, oder soll das ein Witz sein?
VI. Ernst und Ernsthaftigkeit
VII. Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein?
VIII. Traktat zur Lage des deutschen Humors
IX. Standesgemäß schmunzeln
X. Das Auge des Betrachters
XI. Humor als Handelsware
ZWISCHENRUF 1: Kabarett ist, was betroffen macht
XII. Konsens gegen Komik
ZWISCHENRUF 2: Eine Pointe verschwindet
XIII. Das ewig Nicht-Weibliche?
XIV. Wer ist humorvoll?
XV. Vom Umgang mit komischen Menschen
XVI. Und was sollte jetzt der ganze Blödsinn?
Anhang
Das Lachen der Lauteren
Inhaltsverzeichnis
Für Ernest Scribbler
Inhaltsverzeichnis
Das Verhältnis der Deutschen zum Humor ist herzlich, inniglich und ungetrübt. Die erfolgreichsten Produktionen jeder massenfähigen Kunstrichtung, sei es nun Film, Literatur oder Bühnenkunst, sind seit Jahrzehnten vor allem humorvolle Werke. Man findet im ganzen Land wohl niemanden, der von sich behaupten würde, ungern zu lachen, es sei denn, der Befragte ist ein ausgemachter Spaßvogel. Auch wird der internationale Humor geschätzt: Mel Brooks, Monty Python und Louis de Funès sind weitaus bekannter als die ernsten Philip Roth, Julian Barnes oder Philippe Grimaud.
Aber ist das Verhältnis zum Humor tatsächlich so ungetrübt? In den immer noch umfangreichen Kulturteilen und -sendungen findet sich selten die Rezension humorvoller Werke, praktisch niemals die sachkundige Rezension eines Humorexperten. Wenn humorvolle Kunst im Feuilleton überhaupt wahrgenommen wird, verreißen dort Freunde des epischen Theaters die Bühnenauftritte von Komikern, Liebhaber lettischer Lyrik schlachten gelegentlich ein lustiges Buch, Anhänger des französischen Autorenkinos vernichten eine Filmkomödie. Nur in seltenen Ausnahmefällen werden humorvolle Künstler mit Preisen oder Ehrungen bedacht. In sechzig Jahren Georg-Büchner-Preis gibt es zwar zahlreiche Geehrte, die mit unfreiwilliger Komik in Erscheinung getreten sind, aber höchstens drei, die bewusst humorvoll zu nennen sind. Unter den fast hundert Nominierten für den Deutschen Buchpreis finden sich in acht Jahren ganze drei humorvolle Bücher, klar, dass keines den Preis gewonnen hat. Und auch der Deutsche Filmpreis ist in den vergangenen dreißig Jahren nur sechsmal an Komödien verliehen worden. Obwohl dieser Preis ausdrücklich auch kommerziellen Erfolg auszeichnen soll, gingen die zwei erfolgreichsten deutschen Nachkriegsfilme (Otto – Der Film und Der Schuh des Manitu) leer aus. Für Der Schuh des Manitu wurde immerhin ein »Sonderpreis der Jury« erfunden, um irgendwie dem Erfolg gerecht zu werden.[1] Und auch wenn das Theaterpublikum in Komödien strömt, sind weniger als fünf Prozent der Stücke, die zum wichtigen »Berliner Theatertreffen« eingeladen werden, absichtsvoll komisch. Die großen Robert Gernhardt, F. W. Bernstein und Max Goldt haben zusammen weniger Preise erhalten, als Martin Walser allein zugesprochen wurden.
Die Ehrung humorvoller Werke als Kunst scheint fast unmöglich. Wird in den einschlägigen Fragebögen oder Interviews ein Mensch in der Öffentlichkeit gefragt, welchen Film oder welches Buch er in den letzten Wochen denn so gesehen bzw. gelesen habe, wird er praktisch niemals einen komischen Film oder ein lustiges Buch benennen, sondern immer irgendetwas Ernstes, Schwerwiegendes anführen, was umso erstaunlicher ist, als die Verkaufszahlen darauf hindeuten, dass die tatsächlichen Verhältnisse praktisch genau umgekehrt sind.
Der Umgang der Deutschen mit dem Humor erinnert bisweilen an einen Mann mit Ehefrau und Geliebter: Zu offiziellen Anlässen wird er selbstverständlich nur in Begleitung der Ehefrau erscheinen, mit der ihn sowohl ein Ehegelöbnis als auch mehrere Kreditverträge verbinden. Im Privaten vergnügt er sich jedoch umso lieber mit der Geliebten, verbringt jede freie Minute mit ihr und wünscht sich insgeheim, immer mit ihr allein zu sein. Aber weil man sich nicht in der Lage sieht, die gesellschaftlichen Zwänge abzustreifen, bleibt das Verhältnis ein heimliches Laster. Vielleicht trägt deshalb ein Buch von Robert Gernhardt und F. W. Bernstein die Inschrift »Deiner Frau gewidmet«.
Woher kommt diese Gespaltenheit der Gesellschaft in Bezug auf den Humor? Das ist es, was uns interessiert. Wir wollen verstehen, was Humor ist, woher er seinen schlechten Ruf hat und wie es seinem großen Widerpart, dem Ernst, gelungen ist, als Maßstab aller Dinge aufzutreten, wenn es um die Frage geht, was denn nun echte und was falsche Kunst sei.
Doch was ist Humor? Eine allgemein anerkannte Definition sucht man vergebens. Henri Bergson sagt, Humor ist das, was Lachen hervorbringt[2], aber es gibt Spielarten des Humors wie Zynismus oder Sarkasmus, die keinesfalls ein Lachen hervorbringen müssen, außer bei Menschen, die auch über alles andere lachen.[3] Mittlerweile gibt es eine umfangreiche Forschung zum Thema Lachen bei Tieren. Es zeigt sich, dass Lachen eine Fähigkeit ist, über die viele Wirbeltiere verfügen. In einer Serie berühmter Experimente gelang es kürzlich sogar, Ratten zum Lachen zu bringen.[4] Während bei den Tieren das Lachen jedoch nur durch direkte Stimulation (Kitzeln) hervorgerufen wird, kann der Mensch die gleichen Hirnareale allein durch Gedanken stimulieren bzw. stimulieren lassen – was dann Humor zu nennen ist. Humor ist zweifelsohne etwas sehr Menschliches, denn auch wenn der Mensch mit den anderen Tierarten Hunger, Durst, Angst, Schmerz, Neugier und sexuelles Verlangen teilt, konnten lediglich bei unseren engsten biologischen Verwandten primitive Formen von Humor nachgewiesen werden. Hingegen sind alle menschlichen Kulturen auch von einer Vielzahl der Spielarten des Humors geprägt.
Marina Davila Ross hat die Evolution des Lachens vom Orang-Utan zum Menschen untersucht und nachgewiesen, dass das Lachen parallel zu der genetischen Evolution des Menschen verläuft.[5] Uns erscheint das sofort plausibel, wir empfinden das Lachen als etwas Naturgegebenes, als das Ausleben eines triebhaften, sehr befriedigenden Verhaltens. Nicht umsonst stehen Humor und Sexualität in einem engen Verhältnis zueinander. Sehr viele Menschen wünschen sich einen Partner, der humorvoll ist. Und wenn man alle Witze, Sketche und humorvollen Kunstwerke vernichten würde, die mehr oder weniger direkt auf Sexualität Bezug nehmen, würde man dem unter die Rubrik Humor fallenden Schaffen zumindest quantitativ einen nahezu vernichtenden Schlag zufügen.
Inhaltsverzeichnis
Die meisten Menschen verwechseln Humor, Witz, Fröhlichkeit und Spaß.[6] Aus unserer Sicht ist Humor das Übergeordnete, das, worüber hier zu reden ist. Sicher gehört auch der Witz unter das große Dach des Humors, macht aber dort nur eine kleine Teilmenge aus. Es gibt sogar einige Witze, die nicht mehr ganz unter das Dach passen: Ironie, die auf taube Ohren trifft, pointenfreie Witze, die eher ins Gebiet der Langeweile fallen[7] und die noch nicht mal so verdreht sind, dass sie schon wieder Unterschlupf unter dem gütigen Dach des Humors in der sympathisch verkorksten Ecke der unfreiwilligen Komik finden.
Spaß und Humor wiederum gehören zusammen wie Essen und Restaurants. Sicher kann man in ein Restaurant gehen, um gut zu essen. Man kann aber auch außerhalb von Restaurants vortreffliche Speisen genießen. Ebenso verhält es sich auch mit dem Spaß. Ein ernstes Essay, eine hervorragend gespielte Tragödie, ein gelungenes Liebesspiel, ein schönes Glas Saft, eine Reise nach Estland – all das kann uns Spaß machen, ohne dass es mit Humor zu tun hat. Es gibt im Übrigen auch den seltenen Humor ohne Spaß, wie man auch im Restaurant ausnahmsweise mal nur ein Glas Wein trinken kann. Verschiedene Formen der Selbstironie und des erwähnten Sarkasmus können weitgehend frei von Spaß, dennoch zweifelsfrei humorvoll sein.[8]
Die Beziehung von Spaß, Fröhlichkeit und Humor ist vergleichbar mit der Beziehung von Restaurants, Kellnern und Essen. In den meisten Restaurants bedient uns ein Kellner, und so haben Spaß und Fröhlichkeit viel miteinander zu tun. Fröhlichkeit kann ein guter Vermittler von Humor sein. So wie ein guter Kellner gekonnt Essen serviert, werden viele delikate Arten des Humors von der Fröhlichkeit serviert, obwohl es eben auch Essen jenseits von livrierten Kellnern gibt, ebenso wie Humor der Fröhlichkeit nicht unbedingt bedarf. Die Pointen schließlich sind die Speisen aus der Küche unseres Restaurants. Häufig passabel, nicht immer köstlich, mitunter ungenießbar.
Im Folgenden wollen wir den Versuch unternehmen, etwas über Humor zu sagen, ohne denselben dabei zu verlieren. Das wäre doch schon mal was.
Inhaltsverzeichnis
Was dem deutschen Tänzer der Samba, was dem deutschen Koch die Paella, was dem deutschen Musiker der Blues – das ist dem deutschen Schriftsteller der Humor. Ich bin mir sicher, praktisch alle deutschen Tanzliebhaber würden in einer Umfrage angeben, dass sie den Samba lieben, ebenso wie die deutschen Gourmets sich zur Paella bekennen würden und die Musikliebhaber zum Blues. Aber was sie verschweigen, ist, dass sie Freunde des sauberen Sambas sind, des Sambas, der bei den Wettbewerben lateinamerikanischer Standardtänze in der Aachener Stadthalle zu sehen ist. Nachmittagssamba steril lächelnder Paare in ordentlich gebügelten Kostümen, die nach ihrer Vorstellung gebannt auf die Punktwertung warten und nicht etwa die durch den Tanz entstandene Elektrizität durch ungestüme Liebesspiele im Nebenzimmer entladen. Paella ja, aber bitte nicht mit so vielen Krustentieren und lieber mit dem weißen, jeden Gabeltest bestehenden Langkornreis und nicht mit den kurzen, schleimigen Reiskörnern und, falls möglich, bitte nicht ganz so stark gewürzt. Und Blues, natürlich Blues, aber mit virtuos zelebriertem Gitarrenspiel, gefälligen Arrangements, schluchzenden Bläsersätzen und vielleicht auch mit einem kleinen Hauch von Optimismus. Schön wäre es, wenn man zu dem Song eine langsame Runde tanzen kann.
Niemand in Deutschland wird von sich sagen, dass er keinen Humor mag. Im Gegenteil, man liebt den Humor, er muss nur an der richtigen Stelle sein, zur richtigen Zeit, wenn die Gelegenheit passt, und der Humor muss geistreich und darf nicht verletzend sein. Wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sind – dann ist man ein großer Freund des Mutterwitzes, ein couragierter Fürsprecher des Spaßes an der Freud. Es ist nicht schlimm, dass es so ist – ein Meckern wider die Realität ist sicherlich auch kein Zeichen von Humor –, es muss nur konstatiert werden dürfen, dass es so ist. Woher diese Schwierigkeiten der Deutschen mit dem Humor kommen, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht, so könnte man denken, benötigt man für Humor eine gewisse Mindestanzahl von Sonnenstunden, da die äußere Sonne auch die innere Sonne bedingt? Doch wir verwerfen diese These rasch, weil dann Finnen und Briten, was den Humor betrifft, weit abgeschlagen hinter uns liegen müssten. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass unsere spätgeborene Nation inmitten Europas mit ihrem Weltmachtanspruch viele regional verortete Humortraditionen in den deutschen Ländern mit preußischer Gründlichkeit plattgewalzt hat? Sicher kommt als ein weiteres Problem des deutschen Humors dazu, dass man in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts die besten, die wesentlichsten Protagonisten des nunmehr erblühten deutschen Humors ermordet und verjagt hat.[10] Vielleicht liegt es auch daran, dass die deutsche Nation Adolf Hitler für einen begnadeten Komiker hielt und bis heute auf die Pointe seines groß angelegten Witzes wartet und daher zurzeit nicht lachen kann. (Vorsicht! An dieser Stelle darf nicht gelacht werden.)
Ein junger Schriftsteller schickte uns einmal ein paar seiner Geschichten. Die Texte gefielen außerordentlich, wir luden ihn zum Kaffeetrinken ein. Nach einer kurzen Fachsimpelei über unsere Trinkgewohnheiten – aus einem für uns nicht nachvollziehbaren Grund schätzte der Kollege Kakaopulver auf seinem Milchkaffeeschaum – fragten wir ihn schließlich, was er später einmal so machen wolle.
»Schriftsteller«, platzte es aus ihm heraus.
»Sind Sie nicht ganz bei Trost?«, wunderten wir uns. »Das ist doch kein Berufsziel. Das ist so, als würde man sich wünschen, vom Blitz getroffen zu werden. Beim richtigen Wetter und der richtigen Körpergröße ist selbiges zwar wahrscheinlicher als ein Lotteriegewinn, aber dennoch nichts, wofür man ein Leben lang über brache Felder laufen sollte.«
»Ich will aber Schriftsteller werden«, sagte er trotzig. Die Zeit, als energisches Stampfen mit den Füßen noch zu seinen täglichen Verhaltensmustern zählte, hatte offensichtlich Spuren hinterlassen.
»Und was für ein Schriftsteller?«, versuchten wir einzulenken. »Ein Sucher und Mahner? Eine zutiefst verletzte Seele, die, ewig scheiternd, dennoch stets aufs Neue gegen die eigene Vergänglichkeit anschreibt?«
»Nein, ein humorvoller Schriftsteller«, strahlte er uns nun an, augenscheinlich unsere Zustimmung heischend.
Im Gegensatz zu dieser Erwartung waren wir ehrlich entsetzt. »Um Himmels willen«, sagten wir zu ihm. »Wovon wollen Sie denn dann leben?«
»Von meinen Büchern?«, versuchte er.
»Vergessen Sie nicht, diesen Witz in Ihrem ersten Buch zu bringen«, empfahlen wir ihm. »Das ist auf jeden Fall ein guter. Die Kollegen werden herzlich lachen. Kein Schriftsteller lebt von seinen Büchern, aber wissen Sie, wovon ein humorvoller Schriftsteller lebt?«
»Nein.«
»So geht es dem humorvollen Schriftsteller auch: Er weiß nicht, wovon er lebt, denn: er lebt von überhaupt nichts«, triumphierten wir. »Sehen Sie, Humor ist in Deutschland verdächtig. Humor ist so etwas wie Sex. Die Engländer machen es gern in dunklen Kammern, jedoch stets korrekt gekleidet. Die Amerikaner machen es gern immer und überall. Die Italiener zelebrieren es, auch wenn es da wenig gibt. Und die Deutschen wollen an der richtigen Stelle zur richtigen Uhrzeit lachen, sie wollen vorher Bescheid gesagt bekommen, und sie wollen dafür richtig gekleidet sein. Deswegen lieben die Deutschen Comedy, Kalauer, Kabarett und Schenkelklopfer. Aber von einem Lachen, auf das sie nicht vorbereitet waren, fühlen sie sich missbraucht. Ja, sie hatten ihren Spaß, aber irgendwie ist es ihnen sofort peinlich.«
»Hören Sie«, fuhren wir fort, den jungen Kollegen zu bearbeiten. »Ein recht erfolgreicher Kollege von uns hat einmal bei einer Eröffnungsveranstaltung für die Buchmesse vor zweitausend Leuten gelesen. Das Publikum hat gelacht, geklatscht und getobt. Nach ihm las ein ernster, älterer Kollege aus dem Ausland mit schwer verständlicher Stimme, und das Publikum beklatschte zum Schluss höflich das wenige, was es davon verstanden hatte. Aber beim Sekt danach waren sich alle Anwesenden einig, dass nur die unverständliche, ernste Lesung vermutlich echte Kunst gewesen war.[11]
Max Goldt hat es einmal so ausgedrückt: »Die humorvollen Schriftsteller kommen in Deutschland nur ins Bistro der Literatur. Sie dürfen draußen an den Stehtischen bleiben, das Essen ist praktisch genauso gut und sie sind beliebt beim Personal, aber ins Restaurant mit den weißen Tischdecken, den livrierten Kellnern und der gedämpften Musik kommen sie niemals herein.«
»Sehen Sie«, wechselten wir in einen versöhnlicheren Tonfall. »Sie wollen doch als Schriftsteller auch von etwas leben. Dazu brauchen Sie Preise und Stipendien. Haben Sie mal nachgesehen, wie viele Preise und Stipendien humorvolle Autoren bekommen? Das Verhältnis ist eins zu zwanzig. Für jeden noch so wirren Tagebuchband über den Tod Ihres Großonkels bekommen Sie mehr Preise als für zehn humorvolle Bücher. Robert Gernhardt haben sie erst dann Preise gegeben, als er aufhörte, komische Gedichte zu schreiben. F. W. Bernstein hat weniger Preise als sein Hausmeister, der bei einem Frankfurter Kleinverlag todessehnsüchtige Sonette verlegt. Heinz Erhardt gilt hierzulande nicht einmal als Schriftsteller! Meine Güte, wenn Sie in Deutschland einen Literaturpreis bekommen wollen, dann ist eine SS-Mitgliedschaft weniger hinderlich als ein humorvolles Buch!«
Erschöpft lehnten wir uns zurück, vermutlich dampften wir leicht. Für eine Weile schwiegen wir.
»Und was wollen Sie machen?«, fragte er zaghaft.
»Ach, wir sind doch gar keine richtigen Schriftsteller«, krächzten wir, noch immer etwas um Atem ringend. »Wir werden so weitermachen wie immer.«
»Mit Humor?«, wollte er wissen.
»Ja«, gaben wir zu. »Vermutlich leider mit Humor. Unserer Meinung nach ist Humor wohl so etwas wie eine Krankheit, Sie können es uns glauben, wir haben beide mit diesem Zustand schon lange zu tun. Du fliegst aus den Klassenräumen, die Mädchen nehmen dich nicht ernst, die Polizei nimmt dich fest – und trotzdem kannst du es nicht lassen. Manche werden davon geheilt, andere sterben damit. Aber Ihnen, lieber Kollege, wünschen wir ein langes und gesundes Leben.«
Unser Kaffee war zur Neige gegangen wie die Dinge, über die wir sprechen wollten.
Ermattet verabschiedeten wir den jungen Kollegen, der uns noch von den Treppenstufen aus mit besorgtem Gesichtsausdruck ansah.
Kürzlich haben wir wieder von ihm gehört. Er hat eine Erzählung über den Schmerz veröffentlicht. Dieser »Roman« sei ein ganz großer, schreiben die Rezensenten. Wir haben uns sehr für ihn gefreut.[12]
Inhaltsverzeichnis
Zwei Fragen: Haben Sie in den letzten Jahren einmal jemanden mit einem höheren Bildungsabschluss ernsthaft schlecht über eine Putzfrau oder einen Hausmeister sprechen hören? Sicher nicht, oder? Respektvoll und freundlich spricht jeder über diese Mitarbeiter und betont den Wert ihrer Arbeit für das Unternehmen. Man spricht von Reinigungspersonal, Raumpflegern, Facility-Managern.
Aber: Haben Sie in der gleichen Zeit davon gehört, dass eine Putzfrau oder ein Hausmeister zu einer wichtigen betrieblichen Entscheidung befragt worden wäre?
Als humorvoller Künstler hast du im Kunstbetrieb automatisch die blauen Arbeitsklamotten an.[13] Klar bist auch du ein Angestellter wie jeder andere, wir schreiben das 21. Jahrhundert, und alle Angestellten werden mit Respekt behandelt. Man kann sich auch als »kleiner Angestellter« ausgesprochen beliebt bei Belegschaft und Kunden machen. Es ist klar, dass ohne deine Leistung der Betrieb nicht laufen würde und der betriebliche Erfolg mit auf deinen Schultern ruht. Denn wenn der Strom ausfällt und die Computer nicht laufen, können auch die Schlipsträger ihre Stärken nicht ausspielen, wird dir zu verstehen gegeben. Du bist wichtig! Wenn der ganze Laden verdreckt ist, kommt keine Kundschaft, besonders keine Laufkundschaft. Und wenn du dann in der Kantine dasselbe Essen wie der Vorstand bekommst, dann träumst du dich schon in eine klassenlose Gesellschaft. »Wir sind alle Brüder«, jubelst du innerlich, wenn dir und allen anderen in der Kantine das Leipziger Allerlei[14] serviert wird.