Deutschland peinlich Vaterland - Björn Lange - E-Book

Deutschland peinlich Vaterland E-Book

Björn Lange

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Beschreibung

"Wir leben für unsere Gärten, unsere Autos, unsere Einbauküchen und unsere Gewohnheiten. Wir stellen immer pünktlich den Müll raus, diskutieren über Spritpreise, kommen immer zeitig zur Arbeit, gehen gerne einkaufen, fliegen nach Mallorca, organisieren uns in Vereinen und lieben Helene Fischer." In seinem zweiten Buch nimmt der Autos Björn Lange die deutsche Spießergesellschaft humoristisch - teilweise zynisch - auf den Arm. Er hält uns den Spiegel vor. Uns, die wir alles so eng sehen, alles perfekt haben müssen und Banalitäten auf die Spitze treiben. Er beschreibt vortrefflich Dinge wie das deutsche Vereinsleben, die Abfallapostel, den Volkssport Einkaufen und die fanatischen Freunde der Gartenarbeit. Aller herrlich humorvoll, teilweise etwas überspitzt, aber immer nah an der Wahrheit.

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Seitenzahl: 179

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Epilog:

In jedem von uns steckt ein Spießer

Der alltägliche Wahnsinn

1.1 Haus und Garten

1.2 Die Dorfgemeinschaft

1.3 Mietshäuser: Der Wahnsinn geht weiter

1.4 Sauberkeit und Ordnung: Abfallapostel

1.5 Böses Kind!

1.6 Neue Nachbarn

1.7 Weihnachts-Wettrüsten

Volkssport Einkaufen

2.1 Die Einkaufstypen

2.2 Einkaufshysterie

2.3 Geschäftseröffnungen/-jubiläen

2.4 Der Kartenwahnsinn

2.5 Technik, die entgeistert

2.6 Das Tank-Roulette

2.7 Paradies Ein-Euro-Laden

2.8 Aktionen und Attraktionen

2.9 Wann kommt die Prayback-Karte?

Gesellschaftliche Highlights

3.1 Der Kirchgang

3.2 Geburtstage

3.3 Essen gehen

3.4 Verwandtenbesuche

3.5 Ein Fest zu jedem Anlass

3.6 Wir müssen leider draußen bleiben

Unsere Heiligtümer

4.1 Auto

4.2 Urlaub

4.3 Einbauküche

4.4 Die Werkstatt

Spießer bei der Arbeit

5.1 Der pünktliche Beginn

5.2 Der akkurate Arbeitsplatz

5.3 Immer mit der Ruhe!

Organisierte Peinlichkeit

6.1 Schützenvereine

6.2 Karneval

6.3 Oktoberfest

6.4 Mutantenstadl

6.5 Fußballfans

Typisch deutsch

7.1. Der Spießer im Urlaub

7.2 Der patriotische Spießer

7.3 Deutsche im Ausland

7.4 Immer wieder sonntags

7.5 Die Lotto-Deppen

7.6 Das Wetter

7.7 Schein und sein

Eine normale Spießer-Woche

8.1 Montag

8.2 Dienstag

8.3 Mittwoch

8.4 Donnerstag

8.5 Freitag

8.6 Samstag

8.7 Sonntag

Der Anti-Spießer-Crashkurs

9.1 Ich mähe heute nicht den Rasen

9.2 Ich ignoriere die Geschäftseröffnung

9.3 Ich komme zu spät zur Arbeit

9.4 Ich stelle die Mülltonne erst morgens raus

9.5 Ich helfe einem bedürftigen Menschen

9.6 Ich wasche mein Auto nicht

9.7 Ich halte im Parkverbot

9.8 Auswertung

Danksagung

Einleitung

Jeder kennt wohl das Lied der Düsseldorfer Punkband „Die Toten Hosen“ von den 1.000 guten Gründen, die es gibt, um auf dieses Land stolz zu sein. All die ganzen Gründe, die eigentlich da sein müssten, die uns aber leider nicht mehr einfallen. Dabei ist der Titel aktueller denn je und beschreibt vortrefflich die Lage, die Verfassung und das Leben unserer Nation.

Ein Land, in dem es alles gibt, aber in dem einen mindestens ebenso viel stört.

Ein Land, in dem man für jeden Müllsack ein Antragsformular benötigt und in dem nichts dem Zufall überlassen wird.

Ein Land voller Neid und Missgunst, in dem man seinem Gegenüber noch nicht einmal die kleinste Freude gönnt, ohne diese zuvor selbst erlebt zu haben.

Ein Land voller Peinlichkeiten des Alltags. Ein Land, voll von Bewohnern, die für ihren Eifer, ihre Zuverlässigkeit, ihren Ordnungswahn bewundert und gleichermaßen belächelt werden.

Was ist das für ein Land, in dem all diese Punkte zusammenfließen, in dem Spießer und Denunzianten den Alltag bestimmen, und in dem nichts unbeobachtet bleibt?

Wir sind schon ein komisches Volk, wir Deutschen, im Ausland belächelt und geführt von einer Bundeskanzlerin Angela „Teflon“ Merkel, die selbst von unseren großen Vorbildern in den Vereinigten Staaten - von denen wir fast jede Peinlichkeit kopieren - belächelt wird, ohne es zu merken und die sich noch nicht einmal von NSA-Bespitzelungen aus der Ruhe bringen lässt.

Aus dem Volk der Dichter und Denker ist ein Land der Spießer und Denunzianten geworden. Ein Land, das banale Dummschwätzer wie Mario Barth zu Multimillionären macht und Günther Jauch für den schlauesten Bundesbürger hält. Ein Land, in dem Schiller, Lessing, Kant oder Goethe nur noch Mythen sind, mit denen Niemand mehr etwas anfangen kann.

Wir leben für unsere Gärten, unsere Autos, unsere Einbauküchen und unsere Gewohnheiten. Wir stellen immer pünktlich den Müll raus, diskutieren über Spritpreise, kommen immer zeitig zur Arbeit, gehen gerne einkaufen, fliegen nach Mallorca, organisieren uns in Vereinen und lieben Helene Fischer.

All das wäre nicht so schlimm, wenn wir nicht bei allem was sie machen über ihr Ziel hinausschießen würden und darüber hinaus geradezu groteske Sozialeigenschaften an den Tag legen.

Fast alle alltäglichen Dinge werden auf die Spitze getrieben, nichts ist uns zu peinlich, um es nicht doch zu durchleben. Anstatt einfach mal die bekannten Fünfe gerade sein zu lassen, muss bei uns alles stimmen und generalstabsmäßig funktionieren.

Es ist wohl unsere Mentalität, die manchen von uns mit der Muttermilch eingetrichtert wird und die uns zu diesem Handeln treibt. Manchen gibt sie damit eine Existenzberechtigung, und andere möchten lieber heute als morgen die Flucht ergreifen.

Aber auch diese sind oft gefangen in dieser organisierten Spießigkeit und verkommen mehr und mehr darin.

Vielleicht gelingt es mir mit diesem Buch, manchen Leuten auf satirische Art den Spiegel vorzuhalten und sie dazu zu verleiten, das ganze Leben einfach mal etwas lockerer zu sehen.

Epilog: In jedem von uns steckt ein Spießer

„Als Spießbürger oder Spießer werden in abwertender Weise engstirnige Personen bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen, Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen.“

So treffend definiert das Online-Lexikon Wikipedia den Begriff Spießer, der seine Ursprünge im Mittelalter hat. Damals wurden so Leute bezeichnet, die ihre Stadt mit einem Spieß bewaffnet verteidigten. Manche Autoren oder Journalisten machen den modernen Spießer eher an seiner geschmacklosen Kleidung oder an übertrieben kitschigen Wohnungseinrichtungen fest. Manch einer verbindet Spießigkeit auch mit dem Alter. Sprich: Je älter man wird, desto spießiger wird man. Anti-Spießertum als Privileg der Jugend? Nein, das wäre definitiv zu einfach.

Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, aber letztendlich hat der Begriff für jeden von uns eine Bedeutung und die Identität des Spießers kommt nicht von ungefähr.

So ist das Spießertum von vielen Dingen abhängig. Von der Lebenseinstellung, den Familienverhältnissen, der Erziehung, den Erlebnissen und von vielen weiteren, trivialen Dingen. Natürlich ist der Weg zur wahren Spießigkeit bei Menschen, die nichts erlebt, im Leben nichts gesehen und sich für nichts Intelligentes interessieren, kürzer und zielgenauer als bei anderen Zeitgenossen.

Letztendlich steckt aber in jedem Menschen ein kleiner Spießer, davon bin ich überzeugt. Und sei er nur in einer Keimzelle, in einem Blutgefäß versteckt, irgendwann tritt er zu Tage und für einen kurzen Moment wird das rationale Denken außer Kraft gesetzt. Wie die fehlende Schwerkraft, die einem Astronauten den Boden unter den Füßen raubt, befördert dich dieses kleine Spießerchromosom in einen grenzdebilen Zustand geistiger Umnachtung, der dich mit einem Gros der Umwelt kurzerhand vereint.

Diesen Zustand hat sicherlich jeder schon einmal erlebt. Plötzlich echauffiert man sich, wenn Leute Glasflaschen neben den vollen Container stellen, wenn sich mal wieder Jemand in der Supermarktschlange vordrängelt, wenn ein LKW deine Zufahrt blockiert oder wenn der Sohnemann die Hauswand mit Wasserfarben bemalt hat.

Zum Glück wird der Normalzustand in den meisten Fällen schnell wiederhergestellt und das Gehirn wird wieder ausreichend durchblutet. „So etwas hat dich doch sonst nicht interessiert“, oder „das ist doch eigentlich eher zum Lachen“ denkt man sich. Puh, Glück gehabt! Man freut sich, noch einmal die Kurve bekommen zu haben, ohne bleibende Schäden erkennen zu können.

Gleichwohl ist das Leben danach nur bedingt unverändert. Man fragt sich zwangsläufig, ob sich solche Anwandlungen wiederholen oder - noch viel schlimmer - ob sie sogar im Alter chronisch werden!?

Letztendlich bleibt das Spießertum aber in erster Linie eine Einstellungssache, die sekundär von der eigenen Lebensqualität beeinflusst wird. Hat man ein erfülltes Leben, ist nicht voyeuristisch veranlagt, kann im Normalfall nichts passieren. Ausnahmen bestätigen diese Regel.

Es sind aber auch Zeitepochen, die man durchlebt und die nicht selten Spießerattribute enthalten. So erinnere auch ich mich natürlich an mein erstes komatöses Schützenfest, an peinliche Karnevalssitzungen, grenzwertige Kultur- und Sportevents oder schwachsinnige Freizeitausflüge.

Mit 20 Jahren saß man mit einem Literkrug Weißbier in einem Oktoberfestzelt unter dem Eindruck furchtbarer Marschmusik oder lag am Ballermann 6 mit einem Sixpack San Miguel sowie einem Becher Red Bull Wodka und ließ sich von komplett hirnlosen Party- und Saufliedern berieseln.

„Hast Du eigentlich n` Knall“? dachte man sich am nächsten Morgen, verfiel aber wieder in den gleichen Trott und besann sich erst nach dem Rückflug eines Besseren. Vielleicht muss man diese Dinge auch einfach erlebt haben, um sie analysieren zu können.

Aus Studienzwecken quasi, sagt man sich heute, auch wenn sie vielleicht damals aus Überzeugung entstanden. In diesem Fall ist man aber zumindest jetzt - mit dem nötigen Abstand - geheilt.

1 Der alltägliche Wahnsinn

Der Wahnsinn beginnt, und das unmittelbar vor unserer Haustür. Deutsche Spießer hegen und pflegen ihr Haus und ihren Garten wie ihren Augapfel, und das nimmt teilweise sehr skurrile Formen an.

Bei Mietwohnungen ist dieser Irrsinn ebenso verbreitet, und diesmal zum Leidwesen der Mitbewohner der Häuser, die nicht immer verstehen können, warum ihre Nachbarn einen derartigen Wert auf die Mülltonne, das Fegen und die Pflege der Grünanlagen legen.

Ganz gefährlich wird es dann für den gesunden Menschenverstand, wenn sich die Bewohner eines Dorfes gemeinschaftlich organisieren, wenn Kinder den Dorffrieden stören oder wenn gar neue Leute in die Nachbarschaft ziehen.

1.1 Haus und Garten

Es sind diese typisch deutschen Tugenden und Rituale, die uns so unverwechselbar und gleichzeitig so unausstehlich machen. Zum deutschen Heiligtum gehören zweifellos Haus und Garten. Das Prinzip dabei ist klar: Ich schaffe mir ein schönes Zuhause, um meine Freizeit in den eigenen vier Wänden und den daran angrenzenden Außenbereichen zu genießen. Soweit ist alles in Ordnung, aber die Deutschen wären nicht wirklich deutsch, wenn sie nicht auch in diesem Bereich weit über dieses Ziel hinausschießen würden.

Manchen Menschen ist es nun einmal wichtig, einen positiven Anschein zu erwecken. Es geht darum, besser zu sein als andere. Es geht um Neid, Missgunst und Konkurrenzkampf, der manchen Personen offensichtlich in die Wiege gelegt wurde. Wird den lieben Nachbarn ein neuer Kühlschrank geliefert, muss binnen der nächsten vier Wochen eine zumindest gleichwertige Ware her. Anschließend dreht man im schlimmsten und peinlichsten Fall noch eine Runde um den Block und wartet darauf, dass man neidisch beäugt oder im Idealfall sogar angesprochen wird.

Bestellt Erna Klosowski von Nebenan den Maler, muss man natürlich reagieren. Was ist zu tun, fragen sich die spießigen Frührentner? Der Plan ist schnell erarbeitet und wird kurzerhand umgesetzt. Das Szenario kennt wahrscheinlich jeder Handwerker. Kaum verlässt er kurz seinen Einsatzort und geht zum Auto, lauern die Nachbarn ihm bereits auf. „Entschuldigung. Sie sind doch vom Fach. Darf ich sie mal was fragen?“, schallt es ihm entgegen. Unter einem scheinheiligen Vorwand wird er angelockt und anschließend verhört.

Natürlich geht es nicht um den fachmännischen Rat, sondern darum, zu erfahren, was im Nachbarhaus vor sich geht. Erscheinen die Veränderungen bei den konkurrierenden Mitmenschen zu gravierend, wird prompt reagiert, und der Handwerker wird mit einem vergleichbaren Auftrag bedacht, wobei man selbstverständlich eine bessere, hochwertigere oder aufwändigere Bearbeitung verlangt.

Viel größer ist die Außenwirkung natürlich im Garten, denn den kann jeder sehen. Ein schöner und gepflegter Garten dient als Synonym für Wohlstand, Sauberkeit und Möchtegern-Aristokratie. Ist der Wohnraum noch so beengt und bescheiden, der Garten muss höchsten Anforderungen entsprechen, denn das sehen die Leute und darüber wird gesprochen. Folglich stellt der Winter die Paranoia der Bewohner vor die größte Geduldsprobe. In dieser Jahreszeit blüht nichts, und ob des vielen Schnees kann man auch nicht mit seinem englischen Rasen glänzen.

Das ist schon hart, wenn einem die Meinungen der Außenwelt derart wichtig sind. Immerhin bleibt einem ja noch die Vorweihnachtszeit. Das ist die Gelegenheit, durch peinliche Beleuchtungsattacken, kitschige Aufblas-Nikoläuse, Kunststoffrentiere oder andere visuelle Grausamkeiten auf sich aufmerksam zu machen. Die Hauptsache ist, dass es auffällt und möglichst teuer aussieht. Wo andere die besinnliche Adventszeit zur Ruhe und Familienpflege nutzen, dient diese anderen spießigen Ignoranten letztlich nur der persönlichen Genugtuung.

Kommt schließlich der Frühling, wird das Treiben immer hektischer. Kaum ist der Frost aus dem Boden, wird der Garten umgegraben, der Rasen vertikuliert, gemäht und gestriegelt. Bei der Gartenarbeit und beim Ankauf der Hilfsmittel vergessen die Langweiler alles, ihre Finanzen, ihre Familien, nur nicht ihre Umwelt. So schnell wie eben möglich, muss alles glänzen, blühen und sprießen. Es fällt einem schwer, eine rationale Erklärung für diese Aktivitäten zu finden. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass mittlerweile fast alle Gartencenter auch am Sonntagnachmittag ihre Pforten öffnen, und zwar das ganze Jahr über.

Es ist wohl eine Mischung aus Beschäftigungstherapie, Profilneurose und Armseligkeit, die unsere floristischen Psychopaten antreibt. Hinzu kommt natürlich der sportliche Ehrgeiz, immer der Beste sein zu müssen und zu triumphieren. Jeden Sonntag werden Bekannte, Verwandte, Kollegen oder andere Personen - völlig egal - eingeladen, um ihnen das mühselig erstellte Outdoor-Paradies zu präsentieren. Man investiert Kosten und Arbeitseinsatz nicht für sich - wie es normal wäre - sondern für andere und das alles aus bloßem Geltungsbedürfnis.

Im Herbst nähert sich dieser Frohsinn dann aber leider dem Ende. Die Blumen verwelken, das Gras wächst nicht mehr und die schönen, grünen Blätter verfärben sich. Das ist natürlich bitter für unseren heimischen Gartenapostel. Kaum hat der englische Rasen seinen letzten liebevollen Schnitt bekommen, beginnt die Langeweile. Was ist nun zu tun? Bis zum Schnee schippen kann es noch Wochen dauern, aber zum Glück gibt es auch für den Herbst beliebtes Heimwerkerspielzeug.

Da gibt es zum Beispiel die Laubsauger oder -bläser. Von unseren Gartenfreunden geliebt, von ihren Nachbarn verhasst. Kaum erfreut man sich seiner Ruhe nach dem lärmintensiven Sommer, geht der Radau wieder los. Kaum liegt ein Blatt auf dem Boden, wird mit lautem Getöse das benzinbetriebene Wunderwerk der Technik angeschmissen und der Angriff auf die bösen Blätter beginnt.

Besonders sinnlos sind die so genannten Laubbläser, die den Gartenunrat nur von links nach rechts oder von A nach B transportieren. Laubsauger machen ja noch Sinn, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht ja schließlich nicht um Arbeitserleichterung gegenüber dem Fegen oder ähnlichem, sondern um den Spaß an der Beschäftigung. Befördert der Laubbläser die Blätter nur an einen anderen Platz, hat man immerhin am nächsten Tag wieder einen neuen Arbeitsansatz und kann seine technischen Errungenschaften seinen Mitmenschen präsentieren.

Der Herbst ist natürlich auch eine schöne Jahreszeit, um endlich mal wieder die Hecken und Sträucher zu beschneiden. Rasen mähen geht ja bekanntlich aus Witterungsgründen nur noch bedingt. In diesem Zusammenhang ist die ordinäre Heckenschere natürlich zu langweilig und unspektakulär. Zum Glück gibt es auch eine elektrische Variante. Hauptsache es macht Lärm. Die Nachbarn sollen ja schließlich hören, was man da gerade macht.

Zuvor hat man natürlich auch noch dem geliebten Hochdruckreiniger die letzte Ölung des Jahres verpasst. Dabei handelt es sich gerade bei diesem Gerät um eine hochgradig sinnlose Gerätschaft, die gar nicht richtig sauber macht, hektoliterweise wertvolles Trinkwasser verbraucht und dazu noch die Natur schädigt. All dies hindert unseren Gartenpropheten natürlich in keinster Weise daran, die Plastikgartenmöbel stundenlang unter einem ohrenbetäubenden Lärm zu berieseln, um sie anschließend guten Gewissens bis zum nächsten Frühjahr einlagern zu können.

1.2 Die Dorfgemeinschaft

Teilweise wird diese grenzdebile Borniertheit sogar noch von der Öffentlichkeit forciert. „Unser Dorf soll schöner werden“, hieß dieser typisch deutsche und hochgradig peinliche Wettstreit früher, der die Kleinbürgerschar regelmäßig in helle Aufregung versetzt und von den Kommunen und Verbänden sogar noch gefördert wird. Während introvertierte Normalbürger beim Anblick der Wettkampfjuroren die Rolläden verschließen und die Extrovertierten unter ihnen am liebsten zum nachbarschaftlichen Amoklauf übergehen möchten, fallen unsere Außendarstellungspropheten vor der Delegation förmlich auf die Knie wie gläubige Katholiken vor dem Papst.

Ehrfürchtig nehmen sie die Verbesserungsvorschläge an und geloben Absolution und Besserung. Wer möchte schon bei der nächsten Versammlung der Dorfgemeinschaft die abfälligen Blicke auf sich ziehen? Das ultimative Horrorszenario wäre natürlich, wenn die Benennung deiner Wahlheimat als so genanntes Golddorf ausgerechnet an dem Misthaufen hinter deiner Hecke scheitern würde. Dein Leben wäre beendet, nutzlos, der Freitod unausweichlich. Er wäre die gerechte Strafe für deine Schlamperei, die ganze Landstriche in Verruf bringt. Um nichts auf der Welt möchtest du die Gemeinschaft weiter mit deinem Antlitz und deiner Existenz besudeln.

Womit wir beim Stichwort wären. Dorfgemeinschaften sind, wie der Name schon sagt, in erster Linie gemein, um nicht zu sagen gemeingefährlich. Es ist ihr Job, ihre Bewohner zu bevormunden und bei Nichtachtung abzustrafen. Es ist eine moderne Hexenjagd, die Abtrünnige ausschließt und ihnen das schlechte Gewissen am liebsten in die Venen injizieren würde. Manch einer zieht von der Stadt aufs Dorf, um seine Ruhe vor dem Großstadtlärm zu haben und erlebt ein böses Erwachen. Bereits nach wenigen Tagen nerven ihn seine neuen Nachbarn mit vermutlich sogar nett gemeinten Willkommensgeschenken in Verbindung mit den ersten Sondierungsgesprächen im Rahmen der Dorfgemeinschaft. Verweigert man sich der debilen Zweckgemeinschaft, wird man zunächst gemieden, anschließend verachtet und schließlich verflucht.

Spätestens nach der zweiten verpassten Teilnahme am jährlichen Grünflächenaufräumdienst bekommt man keine Einladung mehr und lebt fortan am Rande der Legalität. Warum verweigern sich diese Leute derart penetrant ihren ersten Bürgerpflichten? Mit denen stimmt doch etwas nicht. Das müssen Terroristen oder vergleichbare Untergrundkämpfer sein. Warum würden sie sonst in diese Einöde ziehen, ohne sich im unmittelbaren Anschluss auch gemeinnützig zu engagieren?

Auf diese Art entstehen Gerüchte und das schlechte Gewissen wird einem quasi eingeimpft und implantiert. Die Dorffanatiker strafen dich mit ihren Blicken, wenn du gerade erst mit verschlafenen Augen und Baseballkappe im Gesicht deine Brötchen holst, während sie bereits stundenlang das dörfliche Umland von Müll und Vandalismusschäden befreit haben. Sie grenzen dich aus, wissen dabei aber gar nicht, wie irrational ihr Handeln ist und wie dermaßen peripher dich ihre Einstellung tendiert. Die Hauptsache ist doch, sie haben etwas zu erzählen und fühlen sich selbst großartig und gemeinnützig.

Muss man denn wirklich alles organisieren, anstatt sich um seinen eigenen Kram zu kümmern? Muss man denn wirklich immer der Beste sein, im schönsten Dorf mit Auszeichnung wohnen und seinen Mitmenschen einen irrationalen Konkurrenzkampf aufzwingen, den diese gar nicht als solchen erachten? Kann man nicht einfach bei schönem Sonnenschein gemeinsam eine Tasse Kaffee oder eine kühle Flasche Bier trinken, ohne dabei sein Gegenüber aus egoistischen Motiven zu be- oder entwerten?

Man könnte schon, aber leider nicht in Deutschland.

1.3 Mietshäuser: Der Wahnsinn geht weiter

Wohnt man in einer Mietwohnung, etwa in der Vorstadt, ist die Lage allerdings auch nicht weniger fatal. Verrückte gibt es ja bekanntlich überall, und leider sind sie nicht beschriftet. Die alte Dame mit dem Gehwagen und dem gebückten Gang kann im Extremfall ganz schnell zur tyrannischen Märtyrerin werden, wenn es um die Verteidigung der heimischen Ordnung geht.

Natürlich gibt es auch jüngere Menschen, die ihre Spießigkeit zur Schau stellen, wenn es um ihr Heim geht. Dabei ist es gar nicht ihr Haus. Sie sind nur Mieter, so wie du, denkt man sich, aber leider verhalten sie sich nicht so. Ich habe mir früher immer bei den unsäglichen Zahnarztbesuchen gedacht: „Was länger als zwei Minuten in meinem Mund ist, gehört mir“, und habe damit dem Dentalartisten das Leben schwer gemacht.

Ähnlich verhält es sich bei den meist betätigungsarmen Mitmenschen, die längere Jahre in einer Wohnung hausen. Richtig. Irgendwann denken sie, das Haus gehört ihnen. Während der Vermieter bei seinen Routinebesuchen und dem Anblick dieser Personen bereits frühzeitig Reißaus nimmt, wirst du zwangsläufig mit diesen Individuen konfrontiert.

Egal, zu welcher Tageszeit du ihnen begegnest, es gibt immer was zu sagen. Verlässt du morgens das Haus in Richtung Büro, lauern sie dir bereits auf und erinnern dich an deine häuslichen Pflichten. Was für häusliche Pflichten denkst du dir, schließlich sind diese nirgendwo dokumentiert. Das interessiert deine tyrannischen Mitbewohner allerdings nicht. Sie kehren schließlich dreimal am Tag den Gehsteig, polieren ihren Briefkasten, mähen den Rasen mindestens einmal in der Woche und gießen ihre selbst gepflanzten Blumen stündlich. Und was ist der Dank? Nichtachtung ihrer Bemühungen und die gleichzeitige Vernachlässigung der Pflichten durch ihre skrupellosen Mitmenschen.

Investiert man derart viel Zeit und Mühe in sein Mietshaus, kann man natürlich auch ähnliche Aktivitäten von seinen Mitmenschen erwarten, denkt sich das Vorstädter-Kleinhirn. Dass es dir vielleicht egal ist, wie viele Blümchen vor dem Haus blühen, ob die Mülltonnen glänzen oder mal wieder drei Blätter vor der Haustür liegen, dringt allerdings nicht in ihre Synapsen.

Sie stellen Regeln auf, ihre eigenen Regeln. Diese zementieren sie in ihre Köpfe und fordern die Erfüllung ein. Warum mähen Sie Ihren Garten nicht? Warum grillen Sie so oft, anstatt ihren häuslichen Pflichten nachzukommen? Muss ich diese Fragen wirklich beantworten? Vielleicht gefällt mir die Blumenpracht auf meinem Rasen einfach, und ich bin darüber hinaus ein sehr geselliger Mensch?

Hat mich jemand gefragt, ob ich am Samstagmorgen um acht vom Lärm des Hochdruckreinigers geweckt werden möchte? Hat mich jemand gefragt, ob ich am Sonntagnachmittag von hysterischen Rentnerinnen im Doppelkopfrausch mit ihren geistlosen Gefühlsausbrüchen am Rande des Nervenzusammenbruchs beim Sonnenbad gestört werden möchte? Nein, natürlich hat mich Niemand gefragt.

Ein oft bemühtes Ritual ist natürlich auch das Hegen und Pflegen der Nachtruhe. Im Eigenheim hat man da weitestgehend freie Hand, aber nicht in einem Mietshaus. Kommt man einmal nach 22 Uhr nach Hause, sorgt das schon für Irritationen. „Was kommt der denn so spät nach Hause?“, fragt sich die alternde Mitbewohnerin, die sich nach einem hektischen Tag mit Wäsche waschen, Gartenpflege, Arztbesuchen und dummes Zeug reden natürlich nach ihrer wohl verdienten Ruhe sehnt.

Man hat schon fast ein schlechtes Gewissen, wenn die Holzdielen im Treppenhaus quietschen oder man sich erdreistet, nach dem Wohnungseintritt die Musik noch auf Zimmerlautstärke zu stellen. Man nimmt zwangsläufig übermäßig viel Rücksicht, ohne wirklich zu wissen, warum? Leise schleicht man sich abends in den Wäschekeller, als würde man die Leichenteile seiner Stieftante in Einmachgläsern transportieren.

Am nächsten Morgen um kurz nach sieben fragt man sich dann beim Abschreiten der Kellertreppe, warum der Trockner offensichtlich immer noch läuft. Natürlich haben die lieben Nachbarn diesen pünktlich um 22 Uhr aus Ruhegründen ausgesteckt, um ihn dann am nächsten Morgen um kurz vor sieben wieder einzustecken. Erfüllt von morgendlichem Hass, betritt man wieder die Wohnung, streift sich ein anderes Hemd über und verlässt wutentbrannt das Haus.