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Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 1,5, Universität Hamburg (Erziehungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Titel meiner Arbeit „Diagnostische Tätigkeit als sonderpädagogische Kompetenz - Eine Betrachtung zum Erwerb und zur Transformation von Handlungswissen in Handlungskompetenz auf der Grundlage eines subjektorientierten Ansatzes“ deutet bereits auf eine weit verzweigte Anlage des Themas hin. Ich werde mich bei der Bearbeitung deshalb auf die Aspekte Kompetenzerwerb in der Lehrerbildung, theoretischer Aspekte diagnostischer Tätigkeit und der aktuell praktizierten Diagnostik in ausgewählten Schulen konzentrieren. Einzeln betrachtet handelt es sich um Aspekte, die nicht sofort ihre Korrelation erkennen lassen. Synoptisch betrachtet geben sie jedoch Antwort auf die zentrale Frage dieser Untersuchung, nämlich wie und ob das in der universitären Lehrerbildung erworbene Wissen in Handlungskompetenz transformiert werden kann. Exemplifiziert wird das an einem Ansatz verstehensorientierter diagnostischer Tätigkeit. Dieses Vorgehen orientiert sich an dem zunehmenden Diskussionskonsens in der behindertenpädagogischen Diagnostik, die sich mehr denn je verstehenden, qualitativen und an biografischen Hintergründen orientierten Aspekten ihrer Klienten orientiert. Trotzdem: Auch wenn die einst dominierenden normorientierten Ansätze gegenüber subjektorientierten Diagnosen in jüngerer Zeit an Einfluss verloren haben und sich damit ein Wertewandel abzuzeichnen begann, bleibt die Frage, wie weit dieser Paradigmenwechsel bereits fortgeschritten ist. Der in dieser Arbeit vorgestellte Ansatz rehistorisierender Diagnostik zeichnet sich speziell durch seine konsequente Subjektorientierung aus, versteht sich aber in Tradition mit anderen Modellen gleicher Orientierung. Von besonderer Aktualität wird die Kompetenzfrage im Kontext schulischen Alltags – erlebt doch die medial gesteuerte Diskussion um die Förderung und Entwicklung von beruflichen Kompetenzen in der Lehrerbildung zurzeit eine Hochkonjunktur. Die Projekte zur Erfassung beruflicher Kompetenz von angehenden Lehrkräften sind dadurch nicht zuletzt durch umfangreiche Evaluationsauflagen der Schulen umfangreicher und mehrperspektivischer geworden. Die rege öffentliche Diskussion um Professionalisierung im Lehrerberuf verweist dabei auf eine in der Wissenschaft noch längst nicht ausreichend beantwortete, aber höchst virulente Frage, wie es nämlich grundsätzlich um das Verhältnis von universitärer Lehre und schulpraktischem Alltag bestellt ist.
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4. Qualitative Expertenbefragung zum Thema: Was macht gute pädagogische Diagnostik aus und welche Bedeutung hat sie für den Alltag?............................ 50
4.1 Forschungsfrage ....................................................................................................... 50
5. Interpretation und Diskussion.................................................................................. 65
6. Rehistorisierende Diagnostik - Eine kritische Betrachtung................................... 70
7. Schlussbetrachtung:................................................................................................... 72
8. Literaturliste............................................................................................................... 74
Anhang:
A 1 Leitfragen A 2 Probeinterview A 3 Interview A A3.1. Paraphrasierung Interview A A3.2. Generalisierung Interview A A4 Interview B A4.1. Paraphrasierung Interview B A4.2. Generalisierung Interview B A5 Interview C A5.1. Paraphrasierung Interview C A5.2. Generalisierung Interview C A6 Interview D A6.1. Paraphrasierung Interview D A6.2. Generalisierung Interview D
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Der Titel meiner Arbeit „Diagnostische Tätigkeit als sonderpädagogische Kompetenz - Eine Betrachtung zum Erwerb und zur Transformation von Handlungswissen in Handlungskompetenz auf der Grundlage eines subjektorientierten Ansatzes“ deutet bereits auf eine weit verzweigte Anlage des Themas hin. Ich werde mich bei der Bearbeitung deshalb auf die Aspekte Kompetenzerwerb in der Lehrerbildung, theoretischer Aspekte diagnostischer Tätigkeit und der aktuell praktizierten Diagnostik in ausgewählten Schulen konzentrieren. Einzeln betrachtet handelt es sich um Aspekte, die nicht sofort ihre Korrelation erkennen lassen. Synoptisch betrachtet geben sie jedoch Antwort auf die zentrale Frage dieser Untersuchung, nämlich wie und ob das in der universitären Lehrerbildung erworbene Wissen in Handlungskompetenz transformiert werden kann.
Exemplifiziert wird das an einem Ansatz verstehensorientierter diagnostischer Tätigkeit. Dieses Vorgehen orientiert sich an dem zunehmenden Diskussionskonsens in der behindertenpädagogischen Diagnostik, die sich mehr denn je verstehenden, qualitativen und an biografischen Hintergründen orientierten Aspekten ihrer Klienten orientiert. Trotzdem: Auch wenn die einst dominierenden normorientierten Ansätze gegenüber subjektorientierten Diagnosen in jüngerer Zeit an Einfluss verloren haben und sich damit ein Wertewandel abzuzeichnen begann, bleibt die Frage, wie weit dieser Paradigmenwechsel bereits fortgeschritten ist. Der in dieser Arbeit vorgestellte Ansatz rehistorisierender Diagnostik zeichnet sich speziell durch seine konsequente Subjektorientierung aus, versteht sich aber in Tradition mit anderen Modellen gleicher Orientierung.1
Von besonderer Aktualität wird die Kompetenzfrage im Kontext schulischen Alltags - erlebt doch die medial gesteuerte Diskussion um die Förderung und Entwicklung von beruflichen Kompetenzen in der Lehrerbildung zurzeit eine Hochkonjunktur. Die Projekte zur Erfassung beruflicher Kompetenz von angehenden Lehrkräften sind dadurch nicht zuletzt durch umfang-reiche Evaluationsauflagen der Schulen umfangreicher und mehrperspektivischer geworden.2
Die rege öffentliche Diskussion um Professionalisierung im Lehrerberuf verweist dabei auf eine in der Wissenschaft noch längst nicht ausreichend beantwortete, aber höchst virulente Frage, wie es nämlich grundsätzlich um das Verhältnis von universitärer Lehre und schulpraktischem Alltag bestellt ist. Umfangreich und vor allem kritisch müsste die Nachhaltigkeit des universitären Erwerbs professioneller Kompetenzen hinterfragt und bewertet werden.
1vgl. Schuck 2000, ohne Seite
2vgl. Allemann-Ghionda/Terhart 2006, S. 30
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Ebensolche Aufmerksamkeit müsste auf der pädagogischen Bewährung dieser Kompetenzen innerhalb der alltäglichen Schulherausforderungen liegen. Im Rahmen dieser Forschungen kann hierzu nur ein erster Impuls gegeben werden. Auf der luziden Folie des theoretischen Modell-Diskurses werden Ergebnisse eigener empirischer Untersuchungen formuliert und zu der Problemstellung als Antwortversuche in Beziehung gesetzt.
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„Gesellschaft ist das Ergebnis menschlicher Tätigkeit“.3„Sie ist aber nicht nur Konstruktion von Wirklichkeit, sondern Verwendung von Mitteln der Konstruktion unter historisch vorgefundenen Umständen“. […]4
„Insofern müssen wir über die gemeinschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit mittels Theoriebildung hinaus den historisch-gesellschaftlichen Standort vor Augen haben, an dem unsere Wirklichkeit sich ereignet, also jenes Theorie-Praxis-Verhältnis, in welchem wir wirksam werden wollen“.5
Der philosophische Begriff „Praxis“ versteht sich als immanente Wahrheit gesellschaftlichen Lebens, quasi als Prüfstein der Wahrheit. Also als etwas, was immer schon da war, ist und sein wird; etwas was sich aber auch immer in irgendeiner Weise ausdrückt, bevor Erklärungswissen diese Realität beschreiben kann. Gegenständliches Handeln ist demnach immer abhängig von den agierenden Personen. Es ist relational und unterliegt der Methodik mensch-
lichen Handelns in der Realität.6
Theoretisches Wissen muss diesen Aspekt berücksichtigen, wenn es Anwendung finden will. Die Aufgabe behindertenpädagogischer Theoriebildungsprozesse kann demzufolge nicht darin bestehen, in naturalistischer Form Wesenseigenschaften in vorgefundene Dinge einzuschreiben. Vielmehr kommt es darauf an, Subjektivität als ein tragendes Element einzubeziehen. Es ist also von grundlegender Bedeutung, die, wie auch immer an einem Theoriebil-
dungsprozess beteiligten Personen, zum Bezugspunkt dieser Arbeit zu machen7, denn schließlich verifizieren oder falsifizieren sich an ihnen doch alle Theorien. Deshalb kommt es darauf an, dass unseren Worten auch Taten folgen und wir eine Perspektive einnehmen, in der Menschlichkeit, Akzeptanz und Loyalität zu Eckpfeilern deklariert werden.
Diese Arbeit „ … die da dürstet nach Gerechtigkeit - Deinstitutionalisierung in einer Großein-richtung der Behindertenhilfe“8von Wolfgang Jantzen gab den Impuls, das Verhältnis von universitärer Lehre und angewandter Wissenschaft empirisch zu untersuchen. Sowohl die eigenen Erfahrungen als auch die Sekundärliteratur (z.B. Beck/Degenhardt 2005) lassen erkennen, dass sich zwischen theoretischen Ansprüchen und ihrer Praktikabilität eine
3Fengler und Fengler 1994 S. 84
4n. Bourdieu 1998, S. 116
5Jantzen 2003, S. 83
6Vgl. Jantzen 2003, S. 82
7vgl. Jantzen 2003, S. 82 f
8Vgl. Jantzen 2003, S. 76-96
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Lücke auftut, die durch eine bloße Übertragung theoretischer Konzepte in die praktische Situation nicht zu schließen ist. Überdies lässt sich auch theoretisches Handlungswissen nicht 1:1 in Handlungskompetenz übertragen9. Wenn nun auch die Einheit von Theorie und Praxis als nichts mechanisch-faktisch Gegebenes angesehen werden kann, sondern als ein geschichtliches Werden betrachtet werden muss10, dann stellt sich die Frage, auf welchem Weg es möglich ist, kompetentes Handeln aus universitärer Lehre erwachsen zu lassen. Meiner Meinung nach ist die Gelenkstelle dieser beiden, dem Wesen nach konvergierenden, dennoch zusammenwirkenden Aspekte, die Transformation.
Geeignet erscheinen mir hierbei Konzepte, mit einer konsequent subjektorientierten Ausrichtung. Mögen diese mir selbst zunächst durch einschlägige Alltagserfahrungen in unterschiedlichen behindertenpädagogischen Bereichen eher illusorisch erscheinen, so überzeugen sie schließlich dennoch durch ein ungeschminktes Plädoyer zugunsten des Individuums. Denkt man sie konsequent zu Ende, kann es eben nicht darum gehen, Menschen unter den Bedingungen von Isolation an scheinbar „normale“ Lebensbedingungen anzupassen und sie demzufolge gesellschaftsfähig machen. Sondern wir, die wir nicht unter diesen Bedingungen leben, müssen uns ändern. Mit Jantzen gesprochen, beginnt die „Entmonsterung“ im eigenen Kopf.11Das also ist der Ort, an dem es anzusetzen gilt, um Veränderung einzuleiten.
Professionelles Handeln im Lehrberuf beschreibt die Kompetenz„eine Handlung und ihre Wirkung unter vielfältigen Gesichtspunkten zuverlässig und nachhaltig in komplexen Situationen so ausführen zu können, dass zugleich eine nichtprofessionelle Person die Hintergründe
eines solchen Tuns nicht unmittelbar durchschauen kann“12, so zum Beispiel die Sicht des schweizerischen Professors für Pädagogik und Psychologie Fritz Oser. Das bedeutet nun nicht, dass die Frage nach der Herausbildung professioneller Kompetenzen in der Lehrerbildung eindeutig geklärt ist. Schon in der Festlegung solcher Kompetenzen zeichnen sich strittige Diskussionen ab. Was sind überhaupt Kompetenzen, die ausschließlich von Lehrpersonen erwartet werden und wie werden sie ausgebildet? Fragen, die in der jüngeren Vergangenheit die Diskussion um Standards und Kompetenzen in der Lehrerausbildung verstärkt in den Blickpunkt gezogen haben . Doch auch die möglichst umfangreiche Vorbereitung von Studierenden mit unterschiedlichen Wissensarten als Antwort auf diese Problematik, kann nicht die professionellen Handlungen
9vgl. u. a. Beck/Degenhardt 2005, Jantzen 2003
10vgl. Gramsci 1993, S. 1036
11vgl. Jantzen 2005, S. 221
12Oser 2002, S. 9
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ersetzen, da Wissensarten nicht direkt in Handlungskompetenz überführt werden können und trotzdem miteinander verbunden sein müssen. Die Frage drängt sich auf, auf welchem Weg sich theoretisches Handlungswissen in Handlungskompetenz transformieren lässt. Ist doch
dieser‚Wissens-Handlungs-Hiatus’13im Feld der Professionalität noch kaum gelöst. Eine Diskrepanz zwischen theoretischen Modellen und deren Anforderungen an Erziehung und Schule einerseits und fehlender Einigkeit in der Frage nach verbindlichen Fähigkeiten eines kompetenzorientierten Lehrerhandelns andererseits, die Zweifel daran aufdrängt, ob durchgreifende praktische Veränderungen letztendlich in den Schulen spürbar sein werden und mehr bewirken als der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein.
Die nachfolgende Arbeit besteht aus vier jeweils für sich stehenden Blöcken:
1. Kompetenzausbildung
2. relationales Theorieverständnis in der diagnostischen Tätigkeit 3. qualitative Befragung von Experten zum Thema: Was macht gute pädagogische Diagnostik aus und welche Bedeutung hat sie für den Alltag? 4. Zusammenführung relationaler Theorie und schulischem Alltag
Durch die Zusammenschau aller Blöcke wird ein Weg aufgezeigt, wie ein an der Universität vermitteltes theoretisches Wissen in Handlungskompetenz umgewandelt werden kann, damit es in der zukünftigen Tätigkeit als Lehrkraft möglichst effektiv Anwendung finden kann. Die in dieser Arbeit angestellten Überlegungen zur Transformation des subjektorientierten Ansatzes der diagnostischen Tätigkeit nach Wolfgang Jantzen in Handlungskompetenz sollen exemplarisch verdeutlichen, wie dieser Prozess von der Wissensvermittlung, dessen Konservierung, bis hin zur praktischen Anwendung sich im Alltag darstellen kann. Ausgangspunkt sind vier an unterschiedlichen Schulen mit dem Förderschwerpunkt ‚Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung’ durchgeführten qualitativen Experteninterviews. Sie liegen in der Anlage als Transkription vor und werden in Punkt 4.6. unter qualitativ inhaltsanalytischen Gesichtspunkten paraphrasiert zusammengefasst.
Geführt wurden diese Interviews unter dem Gesichtspunkt was die Praktikerinnen und Praktiker der Schulen mit dem Förderschwerpunkt ‚Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung’
13Oser 2002, S. 9 f
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unter Kompetenz verstehen und was für sie gute pädagogische Diagnostik ausmacht. Diese Arbeit führt also an den Ort in dessen Rahmen sich Handlungswissen zu erweisen hat.
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Professionelle Lehrerhandlungen zeichnen sich im schulischen Alltag durch ihre Mehrdeutigkeit aus. Sie sind als direkte Einwirkung und Zielorientierung des Schülers oder der Schülerin14intentioneller Art zu verstehen. Darüber hinaus können Handlungen von Lehrpersonen die Bedingungen eines Lernens ermöglichen. Handlungen von Lehrpersonen sind demnach einerseits Willenskundgebungen zur direkten Veränderung und andererseits sind sie kontaminiert durch Situiertheit und durch die innere Befindlichkeit und die bisherigen Fähigkeiten der zu Unterrichtenden15.
In diesem Sinne haben Lehrkräfte auch immer gleichsam vorahnend eine Vorstellung davon, was notwendig ist, um Wissen zu vermitteln.
Das birgt eine Gefahr in sich: Es lassen sich keine verbindlichen Festlegungen finden, was an sicheren Fähigkeiten für den Unterricht nötig ist, um effektiver intervenieren und unterrichtlich handeln zu können.
Lässt sich professionelle Kompetenz im Lehrberuf dennoch charakterisieren oder gar kodifizieren lässt?
Der Begriff Kompetenz leitet sich ab aus dem lateinischen Substantiv „competentia“und meint soviel wie Zusammentreffen oder Zuständigkeit. Im juristischen Kontext wird das Adjektiv „competens“ als maßgebend oder befugt verwendet. Kompetenz lässt sich dementsprechend im Sinne von „Verantwortung tragen können“ verstehen. So kann einer handelnden Person nur dann Kompetenz zugesprochen werden, wenn sie einerseits mit sich selbst und der Umwelt verantwortlich umgeht und darüber hinaus berufsspezifische Fähigkeiten besitzt. Das lateinische Adjektiv „competere“ wird in diesem Zusammenhang verstanden als „zusammenlangen, zusammentreffen, stimmen, entsprechen, zutreffen“. Es gibt somit einen Hinweis auf die konstitutiven Faktoren des Begriffs Kompetenz. Eine Person ist folglich dann im Besitz von Kompetenz, wenn die Erfordernisse einer Situation mit dem individuellen Konglomerat zur Bewältigung einer Aufgabe oder eines Problems vorhanden ist. Weitere Definitionen zum Begriff „Kompetenz“ machen deutlich, in welch vielschichtiger Weise der Begriff aktuell Verwendung findet. Zusammenfassend lässt sich somit formulieren,
14im weiteren Verlauf benutze ich die einheitliche Form „Schüler“ statt der Teilung in „Schüler und Schülerinnen
15vgl. Oser/Oelkers 2001, S. 215
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dass sich Kompetenz durch Können, Handlungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein für sich und andere auszeichnet. Eine Person besitzt dann die Kompetenz tätig zu werden, wenn sie eine Absicht, ein Ziel oder einen Zweck unter Beachtung von Handlungsprinzipien, Werten, Normen und Regeln, mit Bezug auf konkrete, die jeweilige Handlungssituation bestimmende Bedingungen, zu erreichen vermag.16
Kompetenz kann somit als ein Bündel von körperlichen und geistigen Fähigkeiten bezeichnet werden, die benötigt werden, um anstehende Aufgaben und Probleme zielorientiert und ver-antwortungsvoll zu lösen, Lösungen zu reflektieren und zu bewerten und das Repertoire an individuellen Handlungsmustern zu vergrößern.
Die Unterrichtstätigkeit einer Lehrperson zeichnet sich durch einen Reichtum an Handlungsvarianten aus. Über die vielfältigen Möglichkeiten, wie Lehrkräfte in der Situation ihres Schulalltags zu handeln haben, ist noch keine Einigkeit erzielt. Dies erweist sich dann als problematisch, wenn der Diskurs, der zu sicherem Wissen führt, dadurch erschwert oder verhindert wird, dass jedermann gleichsam vorahnend zu wissen glaubt, was zur Aneignung dieses Wissens notwendig ist.
Praktisches Handeln ereignet sich demnach fast immer im Rahmen erträglicher Unübersichtlichkeiten. Die Praxisartikulation hat mit Handeln im Kontext zu tun. Handeln, das stets die Bedingung der Möglichkeit herstellt, damit Schüler und Schülerinnen sich in einer gewünschten Richtung inhaltsspezifisch oder erziehungsspezifisch verändern. Und so ist das, was an sicheren Fähigkeiten notwendig ist, um effektiver intervenieren und unterrichtlich handeln zu können, eher unklar. Für Oser/Oelkers bleibt deshalb auch das, was in der aktuellen Diskussion häufig als professionelle Kompetenzen gehandelt wird, ein un-
scharfer Begriff, dessen Kodifizierung noch nicht abgeschlossen ist.17
Im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitungen verstehe ich den Begriff „Kompetenz“ in zweierlei Hinsicht: Kompetenz als theoretische Komponente, als Handlungswissen einerseits und andererseits als eine in der Situation verfügbare Handlungsfähigkeit praktischer Natur. Somit impliziert die weitere Verwendung des Kompetenzbegriffes immer auch dieses angedeutete
16vgl. Allemann-Ghionda/Terhardt 2006, S. 31ff
17vgl. Oser/Oelkers 2001, S. 215
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Spannungsfeld zwischen theoretischem Wissen und der Fähigkeit in der Situation Handeln zu können.
Ein Blick in den schulischen Alltag einer Schule mit dem Förderschwerpunkt der geistigen Entwicklung verrät, dass kompetenzorientiertes Handeln mit Nichten eine Selbstverständlichkeit ist. Das zumindest bringen Interviewanalysen zum Ausdruck.
Professionelles Handeln hängt demnach „…vomGrad der Kompetenz der Ausbildung und auch vom Engagement der jeweiligen Kollegen ab. Da braucht man gar nicht drum herum zu
reden. Wenn wir uns jetzt mal ausschließlich auf den Bereich mit Mehrfachbehinderten18konzentrieren, dann muss man wirklich sagen, dass wir etliche Kollegen haben, die mehr oder weniger durch Zufall in dieses Arbeitsgebiet geraten sind, Erzieherinnen, die keinerlei universitäre oder ähnlich vergleichbare Ausbildung im Bereich der Sonderpädagogik haben. Die haben natürliche `ne gute Qualifikation im Bereich der Erzieherausbildung, aber haben möglicherweise auch vorher, vor ihrer Tätigkeit hier, noch nie irgendwie großen Kontakt zum Bereich der geistig Behinderten oder Schwerstmerfachbehinderung gehabt. Die stolpern darein, lernen von den Kollegen, die schon da sind und machen Fortbildungen und orientieren sich natürlich an den Vorgaben, die dann in einer Schule auch als Standard irgendwann mal formuliert werden, […] aber manchmal da reicht es nicht an Kompetenz in der Klasse,
manchmal reicht es auch nicht an Kompetenz in der Schule“.19
An anderer Stelle wird mit dem Begriff der Kompetenz ein Konglomerat von Verbindlichkeit, Organisation, Kommunikationsbereitschaft, Flexibilität, Verantwortungsbereitschaft, Teamfähigkeit, Selbstkritikfähigkeit, Reflexionsfähigkeit, Kompromissfähigkeit, konzeptioneller Orientierung und anderem mehr angesehen20.
„Berufliche Kompetenzen stellen somit also keine inhaltlich voneinander und methodisch unabhängigen Klassen dar. Vielmehr sind sie miteinander vernetzt und konstruieren zusammen
die Handlungskompetenz einer Person21. Der Aufbau und die Synthese dieser Handlungs-
18gemeintsind hier separate Klassen, die speziell für Schüler mit so genannten Mehrfachbehinderungen konzipiert sind. Der Begriff „Mehrfachbehinderung“ muss kritisch bewertet werden, da er im Alltagsverständnis als Kumulierung verschiedener Behinderungsformen verwendet wird und so eine Differenzierung nicht möglich ist. Im Kontext der Interviews wird er in dieser Distanziertheit verwendet.
19Interview B, S.1, Z. 46 ff
20vgl. Interview A, S.6 Z. 21 ff
21vgl. Frey 2002; Frey/Balzer/Renold 2002
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kompetenzen führen über die Zeit und über unterschiedliche Aktivitäten oder Tätigkeiten zur
umfassenden Handlungskompetenz.“22
Schon Piaget (1972), Oerter (1991), Gruber (1997) und andere gehen davon aus, „dass durch ontologische, psychologisch organisierte Anpassungsprozesse eine universelle Folge von Entwicklungsstadien erzeugt werden, die zu flexiblem, abstraktem und vernetztem Wissen, schließlich zu Handlungskompetenz führen. In jedem Alter werden zur Bewältigung von Aufgaben oder Problemen Wissens- und Könnensbasen benötigt, die es zu entwickeln gilt“.23
Dabei lassen sich drei Entwicklungsebenen unterschieden:
•Kompetenz als Gruppierung von hoch entwickelten Fähigkeiten auf der oberen Ebene
•auf der mittleren Ebene Fähigkeit als Gruppierung von hoch entwickelten Fertigkeiten
•auf der unteren Ebene die Tätigkeit als organisierende zentrale Aktivität
Um kompetent handeln zu können, werden von einer Person unterschiedlich hoch entwickelte Fähigkeiten gebraucht24.
Ein besonderes Augenmerk wird deshalb der systematischen Erfassung unterschiedlicher Dimensionen von Kompetenz gegeben, um die es im nächsten Teil gehen soll.
22vgl. Kauffeld 2003
23vgl. Allemann-Ghionda 2006, S. 32
24nach Weinert 2000, 2001
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Was genau ist gemeint, wenn über die Zuschreibung von Kompetenz nachgedacht wird?
Arbeitshypothetisch lässt sich davon ausgehen25, dass sich der Begriff Kompetenz als die Beobachtung einer Fähigkeit zum Handeln, im Sinne eines wirksamen Tätigseins, beschreiben lässt. Eine Beobachtung, die dem Handeln Merkmale wie Angemessenheit, Tauglichkeit oder Erfolgswahrscheinlichkeit verleiht. Kompetenz als wirksame Tätigkeit erscheint immer innerhalb eines Handlungsgefüges in Relation zu einer Umwelt und ist immer dann gegeben, wenn jemand die gemeinten Funktionen von Tätigkeiten für das Lösen von Aufgaben in der
Welt aktiv berücksichtigt26. Insofern bietet es sich hier auch an, Lehrkompetenz als ein Gefüge von Einzelkompetenzen in einem aufeinander bezogenen Handlungssystem zu betrachten. Die Strategie zur Bestimmung eines solchen Begriffs ist dann die Kompetenzdimensionierung.
Lehren kann in einem solchen Fall als eine Handlung betrachtet werden, aus der verschiedene funktional relevante Tätigkeiten von Lehrenden hervorgehen, wie beispielsweise27:
•die Handlungssituation und die Lernmöglichkeiten der adressierten Lerner angemessen wahrzunehmen und ggf. spezifischen Handlungsbedarf zu kommunizieren.
•ein Curriculum zu konzipieren und es in Aufgaben zu übersetzen
•es methodisch geeignet zu präsentieren
•es in ein angemessen gestaltetes, organisatorisches Gefüge und in eine Lernumgebung einzubinden
•bei all diesen Tätigkeiten eine diesen angemessen korrespondierende Rolle einzunehmen
•sich auf alle Tätigkeiten und deren Wirkungen evaluativ und reflexiv zurückzuwenden, um daraus für das weitere Agieren zu neuen Einschätzungen im Sinne der Diagnose und Evaluation und ggf. zu eigenen Lernprozessen zu kommen
Das Gelingen der Einzelaktivitäten und die Abgestimmtheit auf Schülerinnen und Schüler korreliert mit dem funktionalen Zusammenhalt der Tätigkeiten und ihrer produktiven Wirksamkeit. „DieseAbstimmung verschiedener kompetenter Tätigkeiten anzustreben und zu er-
25vgl.Girmes 1997 S. 112 ff., 2004a, S. 60 ff
26vgl. Allemann-Ghionda 2006, S. 23
27Allemann-Ghionda /Terhardt 2006 S. 21
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reichen, ist eine Kompetenz. Als spontane, situativ stimmige und doch überlegte, d.h. auch funktional passende Vermittlung von Teilaktivitäten in einer sozialen Handlungspraxis stützt sie sich gleichermaßen auf situative Wachheit und auf belehrend gemachte Reflexion voran-
gegangener Praxis“.28Sie ist deshalb als Basis einer kompetenten Lehr- Praxis, eines professionellen lehrenden Tuns und Könnens, ihrer situativen Artikulation vorgelagert. Die Basis bestimmt sich durch den möglichen Grad an Kompetenz.
Will man also die einzelnen Tätigkeiten als Subsysteme von professionell Lehrenden qualifizieren, stellt sich die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass die innere Struktur, der das Agieren folgt, so ist und genutzt wird, dass Kompetenz entsteht und als solche wahrgenommen werden kann. Es ist eine Frage nach der Struktur der menschlichen Tätigkeit. Kompetentes Agieren im menschlichen Miteinander drückt sich darin aus, dass vier
Dimensionen zusammentreffen29:
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•Aktionen nutzen ein Tätigkeitsrepertoire in Form des verfügbaren Wis-
•Aktionen orientieren sich an einer Zielsetzung, einer Vorstellung vom
Kompetenz bedeutet dann in diesem Zusammenhang eine Stimmigkeit in der Zusammenschau der obigen Dimensionen anzustreben, in dem Sinne, dass Qualitätsvorstellungen zur Ausübung der Aktivität passen, das Repertoire zureichend ist, Bedingungen gesehen und beachtet werden etc..
Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Entwicklung genereller Qualitätsmerkmale im Zuge des Kompetenzerwerbs. Es kommt in diesem Zusammenhang darauf an Antworten zu finden
28Allemann-Ghionda/Terhardt 2006, S. 21
29Allemann-Ghionda/Terhardt 2006, S. 22
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stimmig und situationsgerecht miteinander verbunden werden sollen, damit kompetentes Handeln möglich ist.
Ein Mangel an Kompetenz liegt immer dann vor, wenn im jeweils als anstrebenswert formulierten Gefüge der fünf Dimensionen Unstimmigkeit herrscht und die Qualitätsvorstellungen nicht zur jeweiligen Ausübung der Qualität passen, das Repertoire unzureichend ist, Bedingungen übersehen oder missachtet werden. Die auf diese Weise erwartbaren und erfahrbaren Unstimmigkeiten sind bei denen, die diese Kompetenz aufbauen wollen, als „Lücken“ erleb-bar.30
Die Kodifizierung von Kompetenzen erfährt in der aktuellen Diskussion um einheitliche Standards von Lehrpersonen eine hohe Prägnanz (vgl. Oser/Oelkers 2001, S. 215). Es geht im Kern darum, dass berufsspezifische Fähigkeiten in unterschiedlichen schulischen Institutionen einen ähnlichen hohen Wert in der Ausbildung bekommen.
Indem viele ähnliche schulische Institutionen ein hohes Gewicht auf die Ausbildung derselben komplexen und berufsspezifischen Kompetenzen legen, erfährt sie Anerkennung. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass diese Fähigkeiten ebenso in der Praxis wie auch in Laborsituationen mit hoher Priorität vorhanden sein müssen.
Die Festlegung einer minimalen Zahl dieser Kompetenzen, die im Diskurs der Fachleute Akzeptanz finden, versteht sich als Normierung im Bezugssystem. Diese werden nach ganz bestimmten Kriterien festgelegt (Problemlage, Zielorientierung und Handlungswirkung in Kontexten). Intervention und Therapie geben sich in diesem Kontext fortlaufend die Hand, muss doch immer zugleich mit dem Neuen im Unterricht Bestehendes korrigiert, verbessert und ausgemerzt werden. Um eine einzelne Kompetenz im Bezugssystem zu normieren, bedarf es deshalb zunächst einmal Plausibilität für alle und gleichzeitige Erhellung der Praxis in ihrer ganzen Problemlage.
30Allemann-Ghionda/Terhardt 2006, S. 22
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Die Validität und Reliabilität, mit der eine Kompetenz im Feld gezeigt werden können muss, damit man von Kompetenzbeherrschung sprechen kann, wird mit dem Aspekt der Qualitätssicherung umschrieben. Allerdings deuten sich hier Schwierigkeiten an, die dieses Kriterium gefährden:
Kompetenz ist nur über sichtbare Handlungsformen festzuhalten, also nur über eine „unvoll-
ständigePerformance“31, die den Kontext, die zur Verfügung stehende Zeit oder die persönliche Disposition die volle Entfaltung einer Kompetenz nicht zulassen. In der Lehrerbildung zu erwerbende Kompetenzen, so lässt sich an dieser Stelle festhalten, sind also als Grundlage des professionellen Lehrerhandelns zu verstehen. Professionelles Handeln im Schulalltag setzt aber den Erwerb dieses Wissens im Lehramtsstudiengang voraus. Verbunden ist hiermit aktuell eine vielschichtige Diskussion über Formen der Aneignung entsprechender Wissensbestände. Im Blickpunkt steht eine verbindliche Standardisierung der Lehrerausbildung, um professionelle Lehrkompetenzen zu gewährleisten.
Ziel der Lehrerbildung soll es sein, dass sie wirksam ist. Diese Forderung an die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte wurde in der Vergangenheit auch insbesondere im Zusammenhang mit
den PISA-Ergebnissen32diskutiert. Sie soll zum Beispiel Handlungsweisen antrainieren, Haltungen entwickeln, subjektive Theorien modifizieren oder Lehrerwissen sichern. Konzepte zur qualitativen Verbesserung waren dementsprechend mit großen Hoffnungen überfrachtet. In der aktuellen Diskussion gelten Standards als Hoffnungsträger und werden entsprechend mit hohen Erwartungen konfrontiert.
Gemeint sind Qualitätsmerkmale des Ausbildungsangebots, Charakteristika des Lernens in der Lehrerbildung und daraus resultierende Kompetenzen der Lehrpersonen, die diese Ausbildung durchlaufen haben.
Terminologisch wird der Begriff „Standard“ in dieser Arbeit weitgehend gleichgesetzt mit Kompetenzen. Er wird sowohl für eine professionelle Kompetenz als auch für deren optimale Erreichung verwendet. In der wissenschaftlichen Literatur selbst wird der Begriff Standards
31Oser/Oelkers 2001, S. 216
32pogramms for International Student Assessment der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development)
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als„Wissensbestände, die in absolut notwendiger Weise angeeignet werden müssen“33definiert.
Standards haben stets zwei sich bedingende Definitionseinheiten:
•
•
Die Beschreibung von Standards drückt einerseits eine besondere Qualität aus; andererseits sind Standards immer mehr oder weniger gut zu erreichen.
Dazu ein Beispiel:
Wenn sich alle Experten der Lehrerbildung einig darüber wären, dass eine Lehrperson z. B. die Kompetenz haben muss Schülerleistungen reliabel, valide und objektiv zu beurteilen, und sie zugleich vielfältig variiert, fördernd und motivierend rückzumelden, wäre das ein Standard, wenn die Anerkennung, die Bestätigung absoluter Notwendigkeit als Norm und die Qualitätssicherung gegeben sind34.
Doch zur Erreichung eines Standards sind weitere Unterscheidungskriterien notwendig, damit sich Standards von bloßem pädagogischem, psychologischem oder didaktischem Wissen unterscheiden. Ein solches Wissen allein führt jedoch selten zu Handlungen. Lehrpersonen sind in diesem Zusammenhang insbesondere angesprochen, da sich ihr Handeln auf unterschiedlichste Persönlichkeiten in den Klassen richtet und situativ meistens komplex und selten linear ist.
33z. B. Oser 2002, S. 11
34vgl. Oser/Oelkers 2001, S.217
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Standards verbinden in vielfältiger Weise Wissen und Handeln miteinander. Wissen darf allerdings nicht bloßes Handlungswissen sein, sondern muss von komplexen übergreifenden
Wissensstrukturen mitgestaltet werden.35
Alle Handlungen einer Lehrperson, ob reflektiert oder automatisiert, finden in einer stets vor-handenen komplexen Praxis statt. D. h., dass die Herausforderung von Lehrpersonen darin besteht zu planen, zu arrangieren, zu handeln oder zu evaluieren, und das jeweils mit Vorstellungen und vagen Hypothesen darüber, was auf welche Weise erreichbar ist. Wie kompliziert eine reflexive Praxis ist, zeigt sich, wenn das handlungsbedeutsame Wissen von Lehrenden, das sich bewährt hat oder das sogar neu sein kann, mit allen Nebenwirkungen sichtbar gemacht wird, wenn die Ziele und Kontexte auch den Beitrag der Lernenden herausfordern. Standards entstehen in diesem Zusammenhang aus bestimmten Handlungszwängen von Lehrpersonen. Der Unterrichtsrahmen als ständiger„Emergency room“,fordert zur spontanen Handlung heraus. Standards sind dementsprechend erkenntnismäßig in der Realität verwurzelt und müssen den nicht planbaren Zufällen des Unterrichts, dem spontanen Darbieten, Beraten oder begleiten gerecht werden, dass überhaupt von professionellem Handeln gesprochen werden kann.36Ein Experte muss somit immer unter dem Zwang des Handeln- Müssens anders handeln als ein Nichtexperte. Professionelle Kompetenzen müssen somit in einer Weise aufgebaut werden, die diesem Beruf gerecht werden und für diesen einen Beruf sinnvoll sind. Es stellt sich an dieser Stelle jedoch die Frage, auf welchem Wege Handlungskompetenzen intentional herausgebildet werden, dass sie im alltäglichen Unterricht unmittelbar zum Einsatz kommen können?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage versuchen Oser und Oelkers zu geben, indem sie ihre systematische Analyse von Standards mit der Prüfung ihrer Realisierung im Feld beginnen.
35vgl. Oser 1997, S. 28
36vgl. Oser 2002, S. 11
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„Eine Leistung bewerten und rückzumelden (obiger Standard) kann in vielfältiger Weise geschehen und als Ereignis vielfach beschrieben werden. Das Ereignis muss deshalb in das Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis hineingelegt und aus diesem Spannungsfeld unter „Koinzidenzbedingungen“[den Bedingungen des Zusammentreffens von Absicht und Hand-
lung]komplex beschrieben werden.37
Für eine Beschreibung dieser Standards müssen vier Gegebenheiten vorhanden sein:
a. Theoretische Fundierung:
Theorien, die über Wenn-dann-Sätze diagnostisch und prognostisch Zusammenhänge zwischen Anwendung und Wirkung hinsichtlich dieses Standards ermöglichen b. Empirisches Wissen:
Ergebnisse, die direkt oder indirekt diese Theorien falsifizieren oder verifizieren c. Evaluative Kriterien:
Qualitätsmerkmale, die sich von den Theorien und den empirischen Befunden einerseits, aber auch lebensweltlich andererseits speisen und begründen lassen d. Handlungstradition:
Eine Handlungstradition im Feld, abgeleitet aus den Ressourcen Theorien und Expertentum bzw. eine, die durch die Kultur der Praxis bestimmt wird. In ein Bild gebracht lassen sich diese Gegebenheiten wie folgt darstellen:
Abbildung 1 zeigt die Entwicklung von Kompetenz, Fähigkeiten, Fertigkeiten durch Tätigkeit.38
37Oser/Oelkers 2001, S. 217
38Oser/Oelkers 2001, S. 218
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Alle vier Ebenen stehen so im Zusammenhang, dass die jeweils neue Ebene eine bestehende integriert, aber ein neues Ressourcenmoment hinzukommt. Sie beziehen sich zwar aufeinander und sind gleichwertig, aber durch die neue Ebene wird je ein breiteres Spektrum von Kriteriumsressourcen mobilisiert. Jedes Niveau hat einen Überschuss an Funktionen. Und so kann beispielsweise die Praxis nie vollständig durch viele Theorien abgebildet werden, weil„Handeln mehr ist als eine erfolgsorientierte Wenn-dann-Operation, mehr ist als das, was Forschung überhaupt sagen kann. Es ist auch mehr als operationalisiertes Expertenwissen. Handeln ist eingebettet in lebensweltliche Handlungszusammenhänge, in menschliche Begegnung und ähnliches“.39
Bei der Formulierung eines Standards„muss also dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es eine professionelle Lehrpersonenwelt gibt, die nicht durch allgemeine Fähigkeiten ersetzt werden kann, weil
a) diese allgemeinen Fähigkeiten nicht berufs- und bereichsspezifisch ermittelt und entwickelt werden, weil sie
b) für eine bestimmte Gruppe von Professionen immer und überall legitime Voraussetzung für
deren Funktionieren überhaupt darstellt“.40
Von professionellen Standards wird dann gesprochen, „wennLehrpersonen in komplexen Situationen des Unterrichts ein abgrenzbares, zieladäquates, effektives und ethisch gerechtfertigtes Einflusshandeln zeigen, das das Lernen von Schülerinnen und Schülern differenziell fördert. […] Standards sind mehr als Wissen, und es sind auch keine automatisierten skills. Um Standards festlegen zu können, sind je entsprechende Theorien, empirische Befunde, Qualitätsmaße und eine Handlungstradition erforderlich“.41
Ohne Qualitätsbegriff ist es nicht möglich eine Aussage über Standards im Lehrberuf zu treffen. Der Zusammenhang von Qualität und Handeln lässt sich vermutlich nur darin ausdrücken, ob eine Handlung gelingt bzw. ob sie zu dem gewünschten Ergebnis führt oder nicht. Untersuchungen etwa bei Lehrpersonen sind darauf ausgerichtet, solche Dimensionen unterschiedlicher Qualität von gleichen Handlungen in ähnlichen Situationen zu erfassen und sie mit Novizenhandeln und mit Novizenurteilen zu kontrastieren.
39Oser/Oelkers 2001, S. 219
40Oser/Oelkers 2001, S. 219
41Oser 2002, S. 8
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„Qualität ist somit ein normativer Aspekt und stellt ‚das Resultat einer Bewertung der Beschaffenheit eines Prozesses dar’; sie ist mit dem Gelingen eines Prozesses, mit der Erfüllung oder Vernachlässigung bestimmter Interessen gekoppelt und entspricht einem unscharfen, a-
ber abgearbeiteten Konsens von Experten“.42
Qualität und technische Souveränität gehen in diesem Zusammenhang aber nicht einher, sondern sie unterscheiden sich in dem Wissen um das was getan werden soll. Dadurch zeichnet sich Qualität letztlich aus. Die Qualität einer Handlungsform, wenn sie diskursiv von Experten in einem hergestellten Konsens festgestellt werden soll, „muss denn auch mithilfe methodischer abgesicherter Messverfahren dem Kriterium dessen, was im Einzelfall als erfolgreich oder ablaufadäquat bezeichnet wird, standhalten“.
Auch in der behindertenpädagogischen Diskussion hat sich in den zurückliegenden Jahren die Frage gestellt, wie sich eine wissenschaftliche Ausbildung und pädagogische Berufstätigkeit konzeptionell aufeinander beziehen lassen. Lassen sich Kompetenzen überhaupt einheitlich definieren?
Ein möglicher Ansatz versteht Kompetenzen als Wissensbereiche, als Fähigkeiten, wie etwa Reflexions-, Kommunikations- oder Urteilsfähigkeit. Ebenso lassen sich auch fertigkeitsorientierte Analyseansätze finden, beispielsweise mit der Frage nach der Erstellung eines Förderplans oder dergleichen.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass entsprechende operationalisierte Listen mit möglichst detaillierten Fertigkeiten das Bild der Herstellbarkeit der Berufsqualifikation vermitteln, besteht dann die Gefahr, wenn unterschlagen wird, dass pädagogische Situationen nur eingeschränkt planbar und Effekte nur selten linear-kausal und einseitig zu bewirken sind. Vorgeschlagen werden beispielsweise, Ansätze zur Bestimmung von Kompetenzen an der Praxis zu orientieren und Kompetenzen daraus abzuleiten.43
Das Problem besteht allerdings darin, dass diese Profile in der Praxis ganz unterschiedliche Relevanz in Abhängigkeit vom Förderschwerpunkt haben. Viel mehr kommt es darauf an, die Kompetenz zu erwerben, sich im Rahmen unterschiedlichster Institutionen flexibel auf neue Situationen einstellen zu können.
42Heid 1999, S. 41
43Vgl. Beck/Degenhardt 2005, ohne Seite
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Professionelles Handeln kann als Gleichzeitigkeit von Theorieverstehen und Fallverstehen angesehen werden: der Professionelle kann auf ein wissenschaftliches Wissen als notwendiges Element seines Handelns zurückgreifen. Jedoch kann er es allerdings nicht in dem Maße verwenden, dass es ihm konkrete Handlungsvorschläge unterbreitet. Da sich theoretische Konstrukte nicht nahtlos auf die Alltagssituation herunterbrechen lassen, sind es Transformationsprozesse, auf die es in diesem Zusammenhang ankommt.„Das Wissen muss in jedem Fall und jedem Kontext neu transformiert werden zu einer Problemdeutung, die die Problem-
lösung oder Lernfähigkeit des anderen unterstützt…“.44
Es gilt demnach das Spannungsfeld zwischen Einzelfall und Theorie auszuhalten. Aufgabe ist es nunmehr nach geeigneten Transformationsprozessen zu suchen, die diesem Spannungsfeld gerecht werden können.
An dieser Stelle wird deutlich, dass jede Anwendung theoretischen Handlungswissens einer erneuten Situationsanalyse bedarf, da jede Klasse, jede Schule, also jeder Rahmen, in dem dieses Wissen angewendet wird, anders ist. Eine theorielose Anwendung bleibt bestenfalls rezepthaft.
In den Expertenbefragungen wird genau dieser Aspekt hervorgehoben. „Kompetentes Handeln impliziert eine umfassende Auseinandersetzung mit theoretischen Hintergründen, idealerweise als laufenden Prozess organisiert. Eine Verbindung praktischen Alltagshandelns mit aktuellen sonderpädagogischen Konzepten ist als Grundlage des Erwerbs von Handlungskompetenz erforderlich, damit qualitativ wertvolle diagnostische Tätigkeit gewährleistet werden kann.“45
In einem weiteren Interview wird die Frage der Kompetenzausbildung so aufgegriffen, dass die Einstellungen gegenüber dem Beruf zur Grundkompetenz professionellen Handelns erhoben werden.
„…letztendlich ist es schon so, dass man sagen muss, man muss eine Einstellung, […] zu diesen Kindern habe, egal wie skurril die sich benehmen, egal was die für ein bemitleidenswertes Erscheinungsbild oder sonst wie etwas haben, es beeindruckt mich überhaupt nicht, sondern für mich sind das Kinder, wie jedes andere Kind auch. Wenn ich mit dieser Einstellung da ran gehen kann, dann bin ich hier richtig. Es gibt relativ viele gut ausgebildete Leute, die aber beispielsweise sagen, ich möchte aber nicht im MF- Bereich arbeiten [gemeintsind gesonderte Klassen für Schüler mit so genannten Mehrfachbehinderungen].Also [..] das kann ich ja gar nicht, und das mag ich auch gar nicht so sehen. Und ich weiß nicht, so ganz naive Dinge,
44Beck/Degenhardt 2005, ohne Seite
45vgl. Interview C, S. 5, Z.48 ff
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die sie dann hervorbringen, die wirklich zwar Sonderpädagogen sind, und das auch noch für geistig behinderte Schüler, aber die letztlich in der Einstellung genauso ein Problem mit Behinderung haben, wie jeder andere Mensch in der Regel auch, oder wie viele andere Menschen. Dass sie nämlich wirklich meinen, ‚oh Gott, wenn aber einer so armselig dran ist, oh Gott das ist aber auch furchtbar‘. Und in dem Moment, wo ich diese Einstellung hab ‚Oh
Gott, das ist aber auch furchtbar‘, bin ich hier eigentlich falsch.“46
Zwar kann die Diskussion über persönliche Einstellungen gegenüber dem sonderpädagogischen Arbeitsfeld an dieser Stelle nicht aufgegriffen werden, aber dieser Beitrag verdeutlicht, dass auch diagnostische Tätigkeit von individuellen Sichtweisen, Einstellungen und Menschenbildern geleitet wird.
In den Kompetenzbereichen für die erste Phase der „Lehrerbildung/alle Lehrämter“ finden wir als allgemeine Kompetenz im Hinblick auf die Ausbildung einer diagnostischen Kompetenz für alle Studierenden der Behindertenpädagogik unter Punkt 9 folgende Formulierungen47:
9. Verständnis der Diagnostik, Planung, Evaluation von BildungsprozessenUnterschiedliche Veranstaltungsformen (…) tragen dazu bei,
9.1. allgemeine und spezielle diagnostische Verfahren kennen zu lernen und für die Lernförderung der Schüler anwenden zu können
9.2. Bildungs- und Assistenzangebote planen und evaluieren zu können, 9.3. auf das materielle und soziale Umfeld bezogene Unterstützungsangebote planen und evaluieren zu können
Aus dem schulischen Alltag der Interviewpartnerinnen kommt einheitlich die Rückmeldung, dass ihr Studium zu wenige Möglichkeiten des Kompetenzaufbaus, insbesondere der Ausbildung von Handlungskompetenzen, geboten hat und der Wunsch nach mehr Praxisnähe zu vernehmen war. Eine Interviewpartnerin auf die Frage, ob ihr etwas in ihrem Studium bei der Ausbildung handlungsorientierter Kompetenz geholfen hat, antwortete:
„ … ich hätte mir das viel mehr gewünscht. […] was mir wirklich sehr geholfen hat war die Form von Projektstudium […] wo es darum ging, so früh wie möglich in die Schulen zu kom-
46vgl.Interview B, S. 11 Z. 42 ff
47Beck/Krauthausen 2005, ohne Seite