Dialog Octavius - Marcus Minucius Felix - E-Book

Dialog Octavius E-Book

Marcus Minucius Felix

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Beschreibung

Drei Freunde spazieren am Strand der malerischen antiken Hafenstadt Ostia. Es ist ein lauschiger Herbsttag zur Zeit der Weinlese. Das Meer untermalt die angeregten Gespräche. Doch dann, vor einer Götterstatue entbrennt plötzlich ein Disput zwischen dem Christ Octavius und dem philosophischen Atheisten Caecilius. Minucius Felix soll als Dritter in der Mitte zwischen beiden Schiedsrichter sein in einem Wettstreit der Argumente auf höchstem Niveau, wo es am Ende nur einen Sieger geben kann. Dieser Dialog ist ein literarisches und apologetisches Meisterwerk des frühen Christentums, als die Lehre der Apostel noch lebendig und frisch war, die Gesellschaft aber argwöhnisch gegenüber den Christen. Minucius Felix berichtet uns kurzweilig und eindrücklich, mit welchen Anschuldigungen die Christen seinerzeit konfrontiert wurden, wie sie sich dagegen wehrten, und gibt uns nebenbei einen Kurs in antiker Mythologie und Geschichte.

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Vorwort

Dieses Buch widme ich meinem Sohn, der in Alleinregie die Bibliothek der Kirchenväter zu lesen begann, auf diese Perle der frühchristlichen Literatur stieß, sie las, darüber recherchierte, und sie dann der Hausgemeinde empfahl.

Wir haben dieses uns bis dato unbekannte Werk darauf gemeinsam gelesen und waren von dessen Strahlkraft, Intelligenz, Schönheit und Vorbild berührt.

Gemeinsam brachten wir die Sprache und Schrift in eine heute lesbarere Form, wobei wir sie bewusst nicht in die modernste Rechtschreibung pressten, sondern ihren eigentümlichen Charakter zu wahren trachteten. Wir überarbeiteten und ergänzten die Fußnoten, und entschieden uns, ein Lexikon der Mythologie und Geschichte zusammenzustellen, damit der gesamte Dialog, der gespickt ist von historischen und mythologischen Namen und Begriffen, auch anderen Lesern verständlich werde. Erneut war es mein Sohn Emmanuel, der überaus viel Liebe und Zeit in das Lexikon steckte, dem er sogar seinen ganzen Urlaub widmete, um es möglichst informativ und ausführlich zu machen. Möge seine und unser aller Arbeit auch anderen dienen.

Somit widme ich dieses Buch am Ende allen Lesern, die sich davon inspirieren und anleiten lassen wollen auf ihrem Weg. Sie werden Antworten finden auf die wichtigen Fragen des Lebens.

Michael Eichhorn

Hermagor 2023

Inhaltsverzeichnis

Prolog

I

II

III

IV

Rede des Caecilius

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

Intermezzo

XIV

XV

Rede des Octavius

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

Finale

XXXIX

XL

Addendum

Briefwechsel des Kaisers Trajan mit Plinius

Buchempfehlungen

Mythologie- und Geschichtslexikon

Namensregister

Prolog

I.

Während ich meinen Gedanken nachging und dabei die Erinnerung an meinen guten, treuen Freund Octavius auffrischte, hat mich eine solch süße Zuneigung zu ihm ergriffen, daß es mir fast vorkam, ich kehrte selbst gleichsam in die Vergangenheit zurück, und nicht etwa ich riefe bereits verlebte und entschwundene Zeiten wieder ins Gedächtnis. So sehr hat sich sein Bild in dem Grade, wie es meinen Augen entrückt ward, meinem Herzen, ich möchte fast sagen, den tiefsten Fasern meiner Seele eingeprägt. Ganz natürlicherweise hat der vortreffliche edelgesinnte Mann uns bei seinem Hinscheiden1 eine starke Sehnsucht nach sich hinterlassen; war er ja auch seinerseits immer von solch inniger Liebe zu uns beseelt, daß er in Scherz und Ernst mit mir willenseins gewesen und alles wollte oder nicht wollte2 gleich mir. Man hätte glauben können, ein Herz hätte sich auf zwei Personen verteilt. So war er der einzige Vertraute meiner Lieblingsneigungen, er Genosse meiner Irrtümer. Nachdem die Dunsthülle gesunken und ich aus der tiefsten Finsternis zum Licht der Weisheit und Wahrheit mich empor gerungen, versagte er nicht das Geleite, ja er eilte – ganz besonders ruhmvoll für ihn – mir voran.

Wie nun meine Gedanken über die ganze Zeit unseres Beisammenseins und unseres Freundschaftslebens hinschweiften, blieb meine Aufmerksamkeit vorzugsweise auf jenem Gespräche haften, durch welches er den Q. Caecilius, damals noch im Wahne des Aberglaubens befangen, in einer hochbedeutsamen Unterredung zur wahren Religion bekehrt hat.

II.

Geschäftshalber und um mich zu besuchen war er nach Rom gereist, Haus, Frau und Kinder zurücklassend. Letztere standen dazu noch in den Jahren der Unschuld, wo die Kinder am liebenswürdigsten sind; eben erst versuchten sie halbe Worte, eine Sprache, die gerade durch die abgerissenen Laute der noch ungelenken Zunge ihre besondere Anmut besitzt. Ich kann es nicht mit Worten ausdrücken, welch große, unbändige Freude seine Ankunft mir gemacht, und die Freude war um so größer, weil mein lieber Freund unvermutet kam.

Bereits hatten wir nun einige Tage lang bei häufigem Zusammensein unsere heiße Sehnsucht befriedigt und gegenseitige Erfahrungen während unserer Trennung miteinander ausgetauscht, da faßten wir den Entschluß, die entzückende Stadt Ostia3 aufzusuchen. Die Seebäder gaben ein gutes und zuträgliches Kurmittel ab, um aus meinem Körper schädliche Säfte zu beseitigen. Zudem hatten auch die Weinleseferien meine gerichtlichen Arbeiten erleichtert; es war nämlich gerade die Zeit, wo Herbstwetter nach den heißen Tagen die Sommerhitze gemildert hatte.

Beim Morgengrauen wandelten wir dem Flußufer entlang zum Meere; der milde Lufthauch belebte unsere Glieder und es bereitete uns einen köstlichen Genuß, wie der sandige Boden unsern weichen Tritten nachgab. Da bemerkte Caecilius4 eine Serapis-Statue. Er führte nach der Sitte des abergläubischen Volkes seine Hand zum Munde und drückte mit den Lippen einen Kuß darauf.5

III.

Da sprach Octavius:

„Mein Bruder Marcus6, es ziemt sich nicht für einen edlen Mann, einen Menschen, der zu Hause und in der Öffentlichkeit deine Gesellschaft teilt, in der blöden Unwissenheit des gewöhnlichen Volkes zu lassen und zu dulden, daß er am hellen Tag sich an Steine hinwirft, welche freilich zu Bildern gemeißelt, gesalbt und bekränzt sind. Du weißt doch, daß solch schmachvolle Verirrung ebensogut dir wie ihm zur Last fällt.“

Während er so sprach, hatten wir die Mitte der Stadt erreicht und kamen bereits an die offene Küste. Sanfte Wellen spülten dort am äußersten Rand den Sand an und breiteten ihn am Ufer hin, als wollten sie ihn für einen Spaziergang zurechtlegen. Wohl schlug das Meer nicht mit weiß schäumenden Fluten ans Land; aber wir hatten doch unsere Freude an den gekräuselten, verworrenen Wechselbewegungen der Wellen – das Meer ist ja immer auch bei Windstille unruhig. Wir wanderten gerade am Rand des Meeres dahin; da spülte es abwechslungsweise bald heranwogend seine Wellen an unsere Füße, bald schlurfte es dieselben zurückweichend und zurücktretend wieder in sich hinein. Langsam und gemächlich schritten wir voran am Ufer der schwachgekrümmten Küste und verkürzten mit Plaudereien den Weg. Diese Plaudereien gingen von Octavius aus; er berichtete von seiner Seefahrt. Doch als wir bereits eine ordentliche Strecke Weges unter Gesprächen zurückgelegt, machten wir Kehrt und gingen den gleichen Weg rückwärts. Wir kamen zu dem Platz, wo Schiffe heraufgezogen und auf Eichenstämmen zum Schutz gegen den Einfluß des feuchten Bodens gelagert ruhten. Dort sahen wir Knaben eifrig ein Wettspiel mit Scherben treiben, die sie ins Meer schleuderten. Dieses Spiel besteht darin, daß man ein abgerundetes, von den Wellen geglättetes Steinchen in Form einer Scherbe am Ufer aufliest, dieses Steinchen in horizontaler Lage mit den Fingern faßt, sich selbst so tief als möglich bückt und es dann über die Wellen hinrollen lasst. Dieses Wurfgeschoß streifte nun den Rücken des Meeres und schwamm darüber hin, mit sanfter Gewalt darüber hingleitend oder es schimmerte und tauchte heraus über die höchsten Wogen dahinschnellend in fortlaufendem Sprung emporgehoben. Unter den Knaben hielt sich der für denSieger, dessen Steinchen am weitesten hinauslief und am öftesten emporsprang.7

IV.

Während alle dieses lustige Schauspiel fesselte, gab Caecilius in keiner Weise darauf acht und hatte keine Freude an dem Wettspiel. Schweigsam, bekümmert, in sich versunken, verriet er durch seine Miene, daß ihn etwas schmerzte. Da sprach ich zu ihm:

„Was ist denn? Caecilius, wo bleibt deine sonstige Lebhaftigkeit, warum muß ich deinen heiteren Blick vermissen, den du sonst selbst bei ernsten Dingen zeigst?“

Er entgegnete:

„Schon lange wurmt und quält mich heftig die Rede unseres Octavius, in welcher er sich gegen dich gekehrt und dich der Pflichtversäumnis bezichtigt hat, um desto schwerer auf diese verschleierte Weise mich der Unwissenheit zu beschuldigen. Nun ich will weiter ausholen: ich will über die volle und gesamte Angelegenheit mich mit Octavius aussprechen. Wenn es ihm recht ist, so will ich als Anhänger dieser Richtung mit ihm disputieren; er wird dann gewiß einsehen, daß es leichter ist, ein Wortgefecht unter Freunden zu führen als regelrecht wissenschaftlich miteinander zu kämpfen. Nur wollen wir uns auf jenen zum Schutz der Bäder aufgeworfenen und ins Meer vorspringenden Steindamm niederlassen, damit wir von unserem Marsche ausruhen und um so mehr unsere Gedanken auf das Gespräch richten können.“

Auf sein Wort hin nahmen wir Platz; die Gegner setzten sich zu beiden Seiten und nahmen mich als Dritten in die Mitte. Das geschah nicht etwa aus Höflichkeit noch mit Rücksicht auf Rang und Ehrenstellung – denn Freundschaft setzt Gleichheit der Personen voraus oder schafft sie – sondern ich sollte auf diese Weise als Schiedsrichter beiden gleich nahe zuhören können und in der Mitte sitzend das streitende Paar voneinander trennen.

1 Das ist also ein Nachruf auf den verstorbenen Freund.

2 „Eadem velle vel nolle“ war sprichwörtl.; vgl. Sallust. Cat. 20,4.

3 Diese Stadt, 21 km von Rom entfernt, war damals noch an der Mündung des Tiber, heute 7 km vom Meer weg. Sie bildete den Hafenplatz von Rom und war zugleich eine Villenstadt für vornehme Römer, mit Theater und bedeutenden Thermenanlagen.

4 Caecilius hatte als Dritter den Minucius und Octavius begleitet.

5 Der Isis- und Serapiskult war in der Kaiserzeit besonders in der vornehmen Welt von Rom sehr verbreitet. Das geheimnisvoll Düstere der ägyptischen Volksgottheiten übte großen Einfluss aus. Das Zuwerfen einer Kußhand war ein Zeichen der Anbetung.

6 Weiterer Vorname des Minucius Felix. „Bruder“ nicht im leiblichen sondern weiteren Sinne; übliche Anrede der Glaubensbrüder unter Christen, die von Römern missverstanden wurde. Siehe [IX].

7 Dieses sportliche Spiel ist heute noch beliebt, weit verbreitet, und unter verschiedensten Namen bekannt wie „platteln“, „flitschen“, „Steinchen springen lassen“, „Steinehüpfen“ uva.

Rede des Caecilius

V.

Nun begann Caecilius also:

„Bruder Marcus, du bist zwar über den Gegenstand unserer jetzigen Erörterung nicht im Zweifel; du hast dich ja in beiden Lebensrichtungen sorgfältig umgesehen und die eine verworfen, die andere für richtig erkannt. Dennoch mußt du für jetzt deine Seele so stimmen, daß du die Waage eines durchaus gerechten Schiedsrichters hältst und nicht nach einer Seite überwiegend hinneigst.8 Dann wird das Urteil als Resultat unserer Erörterungen, nicht etwa als Ausfluß deiner Sinnesrichtung erscheinen. Wenn du mir nun so zu Gericht sitzest wie ein Fremder und wie wenn du keine Partei kanntest, so ist es nicht schwer nachzuweisen: alles im menschlichen Leben ist zweifelhaft, unsicher, schwankend und besser bloß wahrscheinlich als wahr zu nennen.9 Um so mehr ist es deshalb sonderbar, daß manche einer gründlichen Erforschung der Wahrheit überdrüssig blindlings sich irgendeiner Meinung unterwerfen, anstatt mit unverdrossenem Fleiß bei der Forschung zu verharren. Darum muß man sich allgemein entrüsten und ärgern, daß manche und dazu noch Leute ohne viel Studium, ohne wissenschaftliche Bildung10, ja unerfahren selbst in den gewöhnlichsten Gewerben, etwas Bestimmtes über das gewaltige Weltall auszusprechen wagen. Und doch ist darüber seit so vielen, ja allen Jahrhunderten die Philosophie in ihren meisten Schulrichtungen im Unklaren. Ganz natürlich; denn so weit ist unsere menschliche Beschränktheit von der Erkenntnis des Göttlichen entfernt, daß uns weder das, was über uns am Himmel schwebt, noch was tief unter der Erde verborgen liegt, zu wissen vergönnt oder zu untersuchen gestattet ist. Wir dürfen uns mit Recht mehr als glücklich und weise dünken, wenn wir nach dem bekannten alten Weisheitsspruch11 uns selbst ein wenig besser kennen lernen. Aber weil wir nun einmal in wahnwitzigem und sinnlosem Bemühen über die Grenzen unserer Beschränktheit hinausschweifen und, wiewohl in den Erdenstaub gebannt, selbst den Himmel und die Sternenwelt mit keckem Verlangen übersteigen, so wollen wir wenigstens zu dieser Verirrung nicht noch törichte und grausige Vorstellungen fügen. Angenommen, von Anbeginn haben die Keime aller Dinge durch Selbstbefruchtung der Natur sich zusammengefunden, welcher Gott ist dann der Schöpfer? Oder wenn etwa die Teile des Weltganzen durch zufälliges Zusammenkommen aneinandergefügt, geordnet und gestaltet wurden,12 welcher Gott ist dann der Baumeister?

Vielleicht hat das Feuer die Gestirne in Brand gesetzt, hat der eigene Stoff den Luftraum in die Höhe gehoben und die Erde durch sein Gewicht in die Tiefe gezogen; vielleicht ist das Meer aus dem flüssigen Element zusammengeflossen. Aber woher dann diese religiöse Scheu, woher diese Angst? Was ist’s mit diesem Aberglauben? Der Mensch und jedes lebende Wesen, welches entsteht, Leben empfängt und heranwächst, ist gleichsam eine bewußte Zusammensetzung von Grundstoffen; in sie wird der Mensch und jedes lebende Wesen wieder zerteilt, aufgelöst und zerstreut. So strömen sie zu ihrer Quelle zurück und alles macht einen Kreislauf in sich selbst; man braucht da keinen Künstler, keinen Richter und keinen Schöpfer. So sehen wir durch Verdichtung der Feueratome immer wieder neue Sonnen erstrahlen, durch die Ausdünstung der Erddämpfe immer wieder Nebel aufsteigen, welche verdichtet und zusammengeballt als Wolken sich höher emporheben.

Wenn sie sich senken, strömt Regen herab, bläst der Wind, rauscht der Hagel oder, wenn die Dunstmassen zusammenstoßen, rollt der Donner, leuchtet der Blitz, zucken die Blitzstrahlen; sie fahren überall nieder, schlagen in Berge, treffen Bäume, treffen ohne Wahl heilige und unheilige Stätten, töten schuldbeladene und oft auch gottesfürchtige Menschen. Was soll ich erst sagen zu den wechselvollen und unsteten Stürmen, durch die ohne Ordnung und Plan alles ungestüm herumgeworfen wird?

Erleiden nicht bei Schiffbrüchen Gute und Böse in gleicher Weise ihr Schicksal ohne Rücksicht auf ihren Verdienst; finden nicht bei Bränden Unschuldige und Schuldige gleichzeitig ihren Untergang, und wenn die Luft mit verderblichem Krankheitsstoff geschwängert ist, gehen da nicht alle ohne Unterschied zugrunde? Wenn endlich die Kriegsfackel wütet, erliegen da nicht gerade die Besten? Auch in Friedenszeiten stehen die Bösen nicht bloß den Guten gleich, sondern sind sogar geehrt; bei vielen weiß man nicht, ob man ihre Schlechtigkeit verabscheuen oder ihr Glück sich wünschen soll. Wenn die Welt durch eine göttliche Vorsehung und durch eine göttliche Macht regiert würde, so würde einem Phalaris13 und einem Dionysius14 niemals ein Königtum, einem Rutilius15 und Camillus16 nie die Verbannung, einem Sokrates17 nie der Giftbecher zuteil werden. Sieh nur, die fruchtbeladenen Bäume, die bereits gebleichten Saaten und die vollsaftigen Reben werden vom Regen verdorben, vom Hagel zerschlagen! So sehr ist es wahr, daß uns die Wahrheit verschleiert und vorenthalten wird, so daß wir sie nicht fassen können; glaubhafter freilich ist: es herrscht in wechselnden und schwankenden Zufällen ohne Gesetzmäßigkeit das Schicksal.

VI.

Es ist also entweder der Zufall gewiß oder das Naturprinzip ungewiß. Um wieviel pietätvoller und besser ist es dann,18 die Lehre der Ahnen als Richtschnur der Wahrheit anzunehmen, die überlieferte Religion zu üben, die Götter anzubeten, welche dich die Eltern eher fürchten, als näher kennen gelehrt haben, und nicht über die Götter abzuurteilen, sondern den Vorfahren zu glauben. Sie haben in der noch urwüchsigen Zeit, als die Welt eben entstand, das Glück genossen, Götter als Freunde oder als Herrscher19 zu besitzen. So sehen wir denn auch in allen Reichen, Provinzen und Städten besondere volkstümliche Religionsgebräuche in Übung und Lokalgottheiten verehrt, Eleusis die Ceres20, bei den Phrygiern die Göttermutter21, bei den Epidauriern den Äskulap22, bei den Chaldäern den Bel23, bei den Syrern die Astarte24, bei den Tauriern die Diana25, bei den Galliern den Mercur26, bei den Römern alle Gottheiten insgesamt. Wenn ihre gewaltige Macht den ganzen Erdkreis in Besitz genommen und das beherrschte Gebiet über die Sonnenbahn und selbst über die Grenzen des Weltmeeres hinaus ausgedehnt hat, so kommt das daher: sie vereinen im Kampf Tapferkeit und Gottesfurcht; sie schirmen ihre Stadt mit Kultzeremonien, durch keusche Jungfrauen27, durch Priester mit Würden und verschiedenen Ehrentiteln; sie verehren belagert und mit Ausnahme des Kapitols in Gewalt der Feinde28 noch Götter, welche ein anderer schon längst wegen ihrer ungnädigen Gesinnung verschmäht hätte und dringen mitten durch die Reihen der Gallier, die ob solch kühner Ausübung der Religion erstaunten, hindurch ohne Waffen, nur mit einem gottesdienstlichen Gewand ausgerüstet; sie verehren in den Mauern der eroberten feindlichen Stadt, während noch der siegreiche Kampf tobt, die überwundenen Götter.29 Überall laden sie die Götter gastlich ein und machen sie zu den ihrigen; sie errichten Altäre selbst den unbekannten Gottheiten30 und den Manen31. So haben sie, weil sie die religiösen Einrichtungen aller Völker übernahmen, auch ihre Reiche gewonnen. In der Folgezeit ist dieser gottesfürchtige Sinn geblieben; er wird durch die Länge der Zeit nicht geschwächt, sondern gekräftigt. Das Altertum pflegte ja den heiligen Gebräuchen und Tempeln um so mehr Heiligkeit zuzuschreiben, je größeres Alter es ihnen zugeschrieben hat.

8 Caecilius ist sich also bewusst, dass beide seiner Freunde, sowohl Octavius (gegen den er nun zu streiten beginnt) als auch Marcus Minucius Felix (der eingesetzte Schiedsrichter) überzeugte Christen sind und will dennoch gegen das Christentum disputieren. Er ermahnt vorab den Schiedsrichter unparteiisch zu bleiben.

9 Das ist der Skeptizismus oder vielmehr Probabilismus der Neueren Akademie, welche Cicero De nat. deor. I 12 näher beschreibt.

10 Schon Petrus und Johannes erweckten das Staunen des jüdischen Hohen Rates, der doch wusste, „dass sie ungelehrte Leute und Laien seien“ (Apg 4,13). Gerade beim niederen Volk fand das Christentum zuerst am meisten Verbreitung, wenn es auch sehr früh in die höchsten Kreise drang.

11 „Erkenne dich selbst“ stand über dem Tempel zu Delphi geschrieben und wurde durch die Philosophie des Sokrates Praxis.

12 Diese Theorie der Atomisten ist durch Leukipp von Abdera (5. Jh. v. Chr.) erfunden, durch Demokrit und Epikur weiter entwickelt und durch Lucrez (De natura rerum) besungen worden. Nach ihr gab es zu Anfang zwei Dinge: das unendliche Chaos und die Atome (unteilbare Körperchen). Diese Atome hätten sich durch Zufall infolge von Bewegung zu den verschiedenen Körperwesen zusammengesetzt. Nach Epikur ist „Natur“ soviel wie „blinde Kraft“. Diese mechanische Weltanschauung erklärt weder den Ursprung der Atome noch des Lebens. Ovid (Metamorph. I 21ff) übernimmt diese Theorie, nimmer aber einen Gott als Ordner an.

13 Tyrann von Agrigent (um 550 v. Chr.) war berüchtigt für seine Grausamkeiten. Er warf seine Opfer in einen glühenden ehernen Stier. Ihr Schmerzensschrei glich dort dem Gebrüll eines Stieres.

14 Dionysius d. Ältere, Tyrann v. Syrakus, gest. 367 v. Chr., gilt als Typus eines argwöhnischen, grausamen und gottlosen Tyrannen.

15 P. Rutilius Rufus, Konsul 105 v. Chr., berühmt durch seine Unbescholtenheit. Als Legat des Prokonsuls C. Mucius Scaevola in Asien wollte er diese Provinz gegen die Räubereien der Zollbeamten schützen. Diese verklagten ihn und er musste 92 v. Chr. ins Exil.

16 M. Furius Camillus, der Diktator, welcher Veji eroberte und die Gallier schlug, zog sich den Volkshass zu und musste nach Ardea in die Verbannung gehen.

17 Der bekannte griechische Weise und Philosoph (469-399 v. Chr.)

18 Derselbe Skeptiker, der eben die Götter geleugnet, will doch die römische Religion als Staatseinrichtung achten.

19 So galt Saturn als König von Italien.

20 Man denke an die Mysterien von Eleusis.

21Cybele. Auch die Gnostiker zur Zeit der frühen Christen kannten eine Göttermutter: Ennoia, die sie auch Charis und Sige nennen. Sodann Zoe, Sophia, und die Enthymesis, die sie auch Achamoth nennen (Irenäus, Gegen die Häresien, Erstes Buch, 1.Kapitel).

22 Gott der Heilkunde.

23 Bel war ein Hauptgott von Babylon (Jes 46,1). Daniel kämpft gegen Bel im alttestamentlichen Buch „Bel kai Drakon“ (Bel und Drache), das die Juden und frühen Christen lasen und kannten.

24 Hauptgöttin von Tyrus, der Aphrodite oder Venus gleichgestellt.

25 Ihr sollte Iphigenie nach der Sage geopfert werden [XXV; XXX].

26 Handels- und Kriegsgott, dem die Gallier Menschenopfer darbrachten [XXX].

27 Die Vestalinnen, die Hüterinnen des heiligen Feuers, vgl. [XXV].

28 Im Jahr 390 v. Chr. hatten die Gallier Rom erobert und belagerten das Kapitol. Der Priester Fabius drang durch die Feinde, um auf dem Quirinal ein Opfer darzubringen (Liv. V 46, 3).

29 Die Römer verehrten in ihrem öffentlichen Kult viele fremde Götter. Vor der Einnahme von Veji lud der Diktator Camillus die Juno Regina, Beschützerin der Stadt, ein, Veji zu verlassen und nach Rom zu kommen (Liv. V 21, 1-3).

30 Siehe Apg. 17,28: Der Apostel Paulus fand in Athen einen Altar des unbekannten Gottes. Auch in Rom schloss man alle Götter in die Anrufungen ein.

31 Die Seelen der Verstorbenen; sie wurden göttlich verehrt. Darum hatten auch die Gräber vielfach die Form eines Altars.

VII.

Doch unsere Vorfahren – ich möchte mir erlauben, auf einen Augenblick für meine Person zurückzutreten und so einen etwaigen Irrtum entschuldbarer machen – haben sich nicht ohne Grund auf die Beobachtung der Augurien, Befragen der Eingeweide, Anordnungen religiöser Einrichtungen oder Einweihung von Tempeln verlegt. Prüfe nur die Geschichte, wie sie in den Büchern enthalten ist, und du wirst sofort finden, wie sie die heiligen Gebräuche aller Religionen eingeführt haben; es sollte damit entweder für göttliche Huld Dank abgestattet oder drohender Zorn abgewandt oder ein solcher, wenn er bereits anschwoll und wütete, beschwichtigt werden. Das bezeugt die Mutter vom Ida, welche bei ihrer Ankunft der Römerin ihre Keuschheit bestätigt und die Stadt von Feindeshand befreit hat.32 Zeugen sind die im Teich, so wie sich gezeigt, aufgestellten Statuen des berittenen Bruderpaares33, welches atemlos auf schäumenden und dampfenden Rossen noch am gleichen Tag den Sieg über Perseus gemeldet hat. Zeuge ist die Wiederholung der Spiele zu Ehren des erzürnten Jupiter auf den Traum des Plebejers hin.34 Ebenso zeugt dafür die wirksame religiöse Hinopferung der Decier35; Zeuge ist auch Curtius36, welcher durch die Körpermasse von Roß und Reiter oder durch die Ehrenspende37 die tiefe Erdspalte ausfüllte. Öfter sogar, als wir wollten, haben verschmähte Auspizien der Götter Gegenwart erwiesen. So ist Allia38 ein Unglücksname geworden, so erlebten Claudius und Junius statt einer Schlacht gegen die Punier einen mörderischen Schiffbruch. Um den Trasimenersee durch Römerblut zu schwellen und zu färben, verachtete Flaminius39 die Augurien und um von den Parthern die Feldzeichen zurückfordern zu müssen, verdiente und verspottete Crassus40 die Unheilsdrohungen.

Ich übergehe die vielen Beispiele aus alter Zeit und schweige über die Lieder der Dichter auf die Geburtsfeste, Gaben und Geschenke der Götter, eile auch weg über die Weissagungen der Orakel; sonst könnte euch das Altertum als allzu fabelreich erscheinen. Aber schaue nur auf die Tempel und Heiligtümer der Götter, welche die Stadt Rom schützen und schmücken: sie sind mehr noch erhaben durch die Gottheiten, welche dort wohnen und gegenwärtig sind, als reich an äußerem Schmuck, Zierraten und Weihegeschenken. Daher erhalten dort die Seher, von der Gottheit erfüllt und durchdrungen, Aufschluß über die Zukunft, bieten Vorsichtsmaßregeln für die Gefahren, Heilmittel für die Krankheiten, Hoffnung für die Bedrängten, Hilfe für die Unglücklichen, Trost für Leiden, Erleichterung in Mühseligkeiten. Sogar während der Nachtruhe sehen, hören, erkennen wir die Götter, welche wir am Tage gottlos leugnen, verschmähen und meineidig zu Zeugen anrufen.

VIII.

Unter allen Völkern herrscht also eine feste Übereinstimmung über das Dasein unsterblicher Götter, mag auch ihr Wesen oder ihr Ursprung noch so ungewiß sein. Daher kann ich es nicht billigen, wenn jemand mit so großer Vermessenheit und so gottloser Aufgeklärtheit auftritt, daß er diese so alte, so nützliche, so heilsame Religion aufzulösen oder zu schwächen trachtet. Mögen auch ein Theodorus von Cyrene41 oder schon vorher Diagoras von Melos42, welchem die Alten den Beinamen „Gottesleugner“ gegeben, durch die Leugnung der Götter alle religiöse Scheu, die vorher die Menschheit beherrschte, sowie die Gottesverehrung aufgehoben haben; nie werden sie mit dieser gottlosen Lehre ihrer falschen Philosophie einen Namen und Bedeutung gewinnen. Die Athener haben einen Protagoras von Abdera43, welcher mehr mit ruhiger Überlegung, als frivol über die Gottheit sich aussprach, aus ihrem Lande verbannt und seine Schriften in der Volksversammlung verbrannt.