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- Ein Meisterwerk der antiken Redekunst und Beweisführung - Marcus Minucius Felix' Octavius ist eine der ältesten erhaltenen Apologien des Christentums gegen das römische Heidentum. Im 2. Jahrhundert nach Christus verfasst, präsentiert sich das Werk in Form eines Dialogs zwischen zwei gebildeten Männern: einem Heiden und einem Christen. In Dialogform entkräftet und widerlegt der Autor in prägnanter Weise die heidnischen Vorwürfe und Vorurteile gegenüber dem Christentum, welche damals als Vorwand dienten, die christliche Gemeinde innerhalb des Römischen Reiches massiv zu verfolgen.
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Schätze der christlichen Literatur
Band 10
Einleitung.
WENN das Evangelium in der ersten Zeit verhältnismäßig mehr unter der niederen als unter der höheren Volksklasse der heidnischen Welt Verbreitung fand, so hatte das vornehmlich in zwei Umständen seinen Grund. Einmal ist das Christentum seinem Wesen nach recht eigentlich eine Religion für die Mühseligen und Beladenen, und dann erschien dasselbe ursprünglich nicht in einer äußeren Gestalt, welche den Vornehmen damaliger Zeit leicht gefallen konnte. Die Apostel und Apostelschüler konnten sich, wenn sie auch teilweise nicht unbewandert in der griechischen Literatur waren, keiner feinen klassischen Bildung rühmen. Ihre Reden und Schriften wirkten nicht durch die Anmut der Form und weltliche Gelehrsamkeit, sondern durch die Kraft der göttlichen Wahrheit, die dem innersten Bedürfnis des Menschenherzens entgegenkam.1 Nun standen aber die Vornehmen und Gebildeten jener Zeit unter dem bezaubernden Bann, in welchem die hohe Formvollendung der griechischen und römischen Literatur die Geister gefangenhielt. Es ist also nicht zu verwundern, wenn ihr verwöhnter Geschmack an dem allerdings nicht anziehenden Gewand, in welchem sich ihnen das Christentum darstellte, Anstoß nahm und sie häufig schon dadurch von dem genaueren Eingehen auf seine Lehren zurückgeschreckt wurden.2
Doch die Unschönheit der Form bildet keine wesentliche Eigenschaft der christlichen Religion; dieselbe verträgt sich gar wohl mit allem wahrhaft Schönen, was je der Menschengeist gefunden und geschaffen hat. So kam auch die Zeit, wo hochgebildete Geister, die sich dem Evangelium zugewendet hatten, mit Erfolg eine Vermählung christlichen Wesens mit klassischer Form versuchten und damit zum siegreichen Vordringen des Christentums auch in den höheren Schichten der Gesellschaft nicht unerheblich beitrugen. Eine Schrift, in welcher man eine Verbindung der bezeichneten Art vollzogen sieht, ist der „Octavius“ des Minucius Felix, in welchem in kunstvoll gestalteter Rede und mit Hilfe weltlicher Gelehrsamkeit teils das Heidentum bekämpft, teils das Christentum gegen die allgemein verbreiteten Verleumdungen verteidigt wird. Es ist dies aller Wahrscheinlichkeit nach die älteste Apologie des Christentums in lateinischer Sprache, deren Abfassungszeit nicht ganz genau bestimmt werden kann, aber jedenfalls in die letzten Jahrzehnte des zweiten Jahrhunderts fällt. Leider wissen wir von dem Verfasser aus anderen Quellen kaum mehr, als wir aus der Schrift selbst erfahren oder erraten.
Marcus Minucius Felix scheint eine sorgfältige Jugendbildung genossen zu haben; wenigstens zeigt er sich in seiner Schrift als einen genauen Kenner der klassischen Literatur und besonders als einen gelehrigen Schüler Ciceros. Zu seinem Beruf wählte er die praktische Jurisprudenz. Seine Jugend war, wie er selbst andeutet, nicht frei von Verirrungen. Noch in reiferem Alter war er dem Heidentum zugetan; ja er nahm, wie sein Jugendfreund Octavius, sogar tätigen Anteil an der gerichtlichen Verfolgung der Christen. Möglich, daß die Erfahrungen, die sie damals an den von ihnen gefolterten Christen machten, erschütternd auf beide einwirkten und sie dem verfolgten Glauben zuführten. Octavius ging im Übertritt zum Christentum seinem Freund voran. Während sie die Jugend und die früheren Mannesjahre gemeinsam verlebt zu haben scheinen, trennten sich später wenigstens äußerlich ihre Lebenswege. Octavius lebte in einem überseeischen Land, Minucius zu Rom. Er blieb auch als Christ seinem weltlichen Beruf treu und genoß großes Ansehen als Rechtsanwalt. Die dem Andenken seines verewigten Freundes gewidmete Apologie des Christentums verfaßte Minucius, wie es scheint, in seinen späteren Jahren. Er wählte zur Einkleidung nach dem Vorgang hervorragender klassischer Schriftsteller die dialogische Form. Besonders hatte er dabei das ciceronianische Gespräch „de natura deorum“ vor Augen, das ihm nicht nur bei der Anlage des Ganzen zum Muster diente, sondern auch im einzelnen von ihm vielfach benutzt wurde. Die in der Einleitung erwähnten persönlichen Verhältnisse und Vorgänge tragen zu sehr das Gepräge des Tatsächlichen, als daß man den Dialog für eine bloße poetische Fiktion halten dürfte. Ohne Zweifel hat einmal ein dem vorliegenden mehr oder weniger ähnliches Gespräch zwischen den drei Freunden Octavius Januarius, Cæcilius Natalis und Minucius Felix stattgefunden; doch versteht es sich von selbst, daß dasselbe später von dem letzteren nach eigenem Ermessen vervollständigt und künstlerisch ausgearbeitet wurde. So dürfen wir also den Inhalt und mehr noch die Form des Gespräches vorwiegend auf die Rechnung des Minucius schreiben. Derselbe erscheint uns darin als ein Mann, der mit der begeisterten Frömmigkeit und der asketischen Sittenstrenge, wie sie den Christen der ersten Jahrhunderte eigen waren, die gediegenste wissenschaftliche und formale Bildung vereinigte. Wenn aber die christliche Gesinnung und die klassische Bildung des Verfassers die Hauptfaktoren waren, welche in der vorliegenden Schrift zusammenwirkten, so macht sich bei genauerer Betrachtung noch ein drittes Moment bemerklich, das auf die Gestaltung des Ganzen nicht ohne Einfluß war. Es ist dies der weltliche Beruf des Minucius. Abgesehen von der den Juristen kennzeichnenden Klarheit und Objektivität, die unverkennbar in der Schrift zutage treten, läßt sich aus dem Einfluß seines praktischen Berufes noch mancher Umstand erklären, der für die Beurteilung des Werkes von Bedeutung ist.
Es muß jedem Leser auffallen, daß in der Schrift, die doch eine Apologie des Christentums sein soll, so wenig von Christus und eigentlich christlichen Verhältnissen gesprochen wird. Die neue Lehre stellt sich uns fast durchweg als ein moralphilosophischer Monotheismus dar. Man würde aber irren, wollte man daraus schließen, Minucius oder gar die damalige Christenheit habe wirklich nur solch einem abstrakten Monotheismus gehuldigt. Daß er selbst über Christus wesentlich dieselben Vorstellungen hatte wie die Apostel und wie noch heute die gläubige Christenheit, läßt sich unschwer aus einer kurzen Bemerkung abnehmen, welche indirekt seine und seiner Genossen Glauben an die göttliche Natur Christi bezeugt. Wie entwickelt aber überhaupt unter der damaligen Christenheit bereits das Dogma über die Person Christi und speziell die Logosidee war, erkennt man aus den griechischen Vorgängern3 des Minucius, aus den griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts, welche von der Person Christi mehr oder weniger ausführlich handeln. Wie kommt es nun, daß Minucius, der doch sonst in Gedanken und Wendungen eine nahe Verwandtschaft mit den griechischen Apologeten zeigt, in einem so wesentlichen Punkt ihnen nicht folgt? Aber es kommt noch mehr hinzu, was seine Zurückhaltung in dieser Beziehung noch auffallender macht.
Je mehr in jener Zeit die Christen die Person des Heilands in den Vordergrund rückten, um so mehr richteten sich die Angriffe der Heiden gerade gegen ihn. Wir finden auch in unserem Dialog Spuren davon. Recht klar aber zeigt uns diese Erscheinung des Celsus „Wahres Wort“, eine gegen das Christentum gerichtete Schrift eines heidnischen Gelehrten aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, welche uns in der Gegenschrift des Origenes teilweise erhalten ist. Dort wird Christi Person, seine Abkunft, sein Charakter und sein Wirken schwer verlästert. Minucius war ein Zeitgenosse dieses Celsus und kannte allem Anschein nach dessen Pamphlet. Sein „Octavius“ nimmt, wie mir Theodor Keim überzeugend nachgewiesen zu haben scheint4, vielfach Bezug auf dasselbe und legt die meisten der Vorwürfe, die Celsus dem Christentum macht, dem Heiden Cæcilius in den Mund, um sie durch den Christen Octavius widerlegen zu lassen. Warum weist er aber nicht die gegen Christus selbst gerichteten Angriffe zurück, zumal da er auch sie teilweise durch Cæcilius vorführt? Zufall oder Gleichgültigkeit kann hier unmöglich vorliegen. Den Gegenstand heiligster Verehrung derartiger Lästerung ausgesetzt zu sehen, mußte für Minucius wie für jeden Christen höchst schmerzhaft sein; es mußte ihm eine Widerlegung notwendig sehr am Herzen liegen – trotzdem widmet er ihr nur ein paar dürre Worte, welche für einen Heiden nichts überzeugendes hatten, ja nicht einmal verständlich genug sein konnten.
Hier kann nur Plan und Überlegung vorliegen. Minucius hielt offenbar den Angriffen auf die Person Christi gegenüber Zurückhaltung und Schweigen vorläufig für das Zweckmäßigste.5 Ein streng wissenschaftlicher Nachweis für die lautere Wahrheit der christlichen Überlieferung über die Person des Heilands, deren Wesen und Bedeutung nur durch eingehende und vorurteilslose Forschung in den alttestamentlichen und apostolischen Schriften und durch innere Erfahrung erfaßt werden kann, war damals schon so wenig möglich als jetzt; ohne eine solche Möglichkeit aber konnte einer übelwollenden und vorurteilsvollen Heidenwelt gegenüber die Erörterung dieser Spezialfragen nur zu weiterer Profanierung des Heiligsten führen. Zunächst mußte erst eine feste Grundlage vorhanden sein, auf der man weiter bauen konnte.
Eine solche war für die Juden das Alte Testament, für die Heiden aber galt es erst eine solche zu schaffen, und dies ist offenbar der Hauptzweck, welchen Minucius in seiner Schrift verfolgt. Ohne bei seinen Lesern etwas anderes vorauszusetzen als Vernunft, Wahrheitsliebe und Kenntnis der heidnischen Literatur, sucht er vor allem drei Dinge sicherzustellen: Die Existenz eines Gottes, die Regierung der Welt durch dessen allwaltende Fürsorge und die sittliche Reinheit der christlichen Glaubensgenossenschaft. Die ersten beiden Punkte belegt er durch historische und philosophische Gründe, für deren Würdigung er sein Publikum, die gebildete Heidenwelt, genügend vorbereitet wußte, und von der Wahrheit seines Zeugnisses für den reinen Wandel der Christen konnte sich jeder seiner Leser bei redlichem Willen durch den Augenschein überzeugen.
Weiterzugehen und sich näher auf spezifisch christliche Lehren und Verhältnisse einzulassen, vermied Minucius offenbar deshalb, weil es zur richtigen Erfassung derselben anderer Grundlagen bedurfte, als er sie bei seinen heidnischen Lesern voraussetzen konnte.
Ähnliche Rücksichten mögen ihn bestimmt haben, wörtliche Bibelzitate zu vermeiden, die für seine heidnischen Leser keine Beweiskraft hatten und durch ihre unklassische Form besonders in der etwas barbarischen lateinischen Übersetzung bei gebildeten Heiden leicht Anstoß erregen konnten. Daß er das Zitieren aus biblischen Schriften nicht etwa aus Unkenntnis unterließ, zeigen mancherlei biblische Anklänge.
Merkwürdig ist es, daß Minucius sich nicht auf die „Sibyllen“ beruft. Eine solche Berufung würde sich ganz gut in sein System gefügt haben, nach welchem er sich in seiner Beweisführung nur heidnischer Schriftwerke bedient. Die griechischen Apologeten vor ihm (mit Ausnahme Tatians) und einige lateinische nach ihm machen mehr oder weniger ausgiebigen Gebrauch von jenen Orakeln, welche sonnenklare Hindeutungen auf christliche Dinge enthielten. Mußten ihm diese prophetischen Stimmen aus der Heidenwelt nicht einen überaus erwünschten Ersatz bieten für die alttestamentlichen Prophetien? Kenntnis hatte er von ihnen ohne Zweifel. Es finden sich bei ihm Stellen, in welchen er fast wörtlich mit ihnen überstimmt, aber niemals beruft er sich ausdrücklich auf sie. Wenn er so, wie wir sehen, auf ein sehr wirksames Mittel, das seinen Zwecken dienen konnte, verzichtet, so läßt sich das schwerlich anders erklären, als daß er die Echtheit jener Prophetien, an welche jetzt niemand mehr glaubt, selbst bereits anzweifelte oder von den Heiden angefochten sah6, sodaß er dieselben ihnen gegenüber nicht als Beweismittel brauchen wollte oder konnte.
Die Selbstbeschränkung, welche sich Minucius auflegte und in welcher er den praktischen Sinn eines weltkundigen Mannes zeigt, der gewohnt ist mit tatsächlichen Verhältnissen zu rechnen, war von unverkennbarem Einfluß auf die Schicksale seines Werkes. Dasselbe stand in den ersten Jahrhunderten, solange die Heidenbekehrung im Bereich der griechisch-römischen Kulturwelt noch ein Hauptarbeitsfeld für die christlichen Lehrer bildete, in hohem Ansehen. Es wurde von den bedeutendsten lateinischen Kirchenvätern nicht nur in anerkennender Weise besprochen, sondern auch vielfach benutzt. Als sich aber nach dem Sieg des Christentums über das Heidentum das Interesse der Theologen fast ausschließlich der Ausbildung der Dogmen und der kirchlichen Gestaltung des Christentums zuwendete, da geriet die Schrift des Minucius wegen des geringen Materials, das sie für diese Gebiete enthielt, allmählich in Vergessenheit.
Während von den meisten Kirchenvätern eine Menge Handschriften erhalten sind, existiert der „Octavius“ in einer einzigen7 und zwar dort nicht unter dem Namen des Verfassers, sondern als „liber octavus“8 des Arnobius „adversus nationes.“ Unter gleichem Titel bringt das Werk noch die „editio princeps.“9 Erst im Jahre 1560 wurde durch Franciscus Balduinus dem Minucius Felix sein Eigentum wieder zurückerstattet. Seitdem nahm das Büchlein teils wegen seines wichtigen Inhalts teils wegen seiner gefälligen Form das Interesse der Theologen und mehr noch der Philologen fortwährend in Anspruch. Neuerdings aber hat es eine erhöhte Bedeutung dadurch gewonnen, daß durch Adolf Eberts gründliche Untersuchung über „Tertullians Verhältnis zu Minucius Felix“10 die zeitliche Priorität des letzteren in überzeugender Weise dargetan und derselbe dadurch an die Spitze der lateinischen Kirchenväter gestellt ist.
1 1. Kor. 1, 17-2,5; 4, 20.
2 Lactantius: Instit. 5,1. „Das vornehmlich ist der Grund, warum bei den Weisen und Gelehrten und den Fürsten dieser Welt die Heilige Schrift keinen Glauben findet, weil die Propheten in gewöhnlicher und einfacher Sprache redeten, wie sie dem Volk verständlich war. Sie werden also von denen mißachtet, welche nichts hören oder lesen wollen, als was fein und geglättet und gut stilisiert ist.“
3 Als solche sind vornehmlich Justin, Athenagoras und Theophilus zu bezeichnen, wenn die Zeitbestimmung richtig ist, wonach die Abfassung des „Octavius“ in den Anfang oder die Mitte der achtziger Jahre des zweiten Jahrhunderts fällt.
4 Celsus’ wahres Wort, Zürich 1873 s. 157.
5 Origenes weist in der Einleitung zu seiner Schrift gegen Celsus darauf bin, daß Christus selbst auf die falschen Anklagen der Priester mit Schweigen antwortete. Matth. 27, 12.
6 In der Tat geschah dies von Celsus. S. Origens. Gegen Celsus 7, 53.
7 Codex Parisinus Nr. 1661; eine andere, Brüsseler Handschrift ist nur eine Kopie davon.
8 Verwechslung von Octavus und Octavius.
9 1543.
10 Leipzig 1868.
Marcus Minucius Felix
Octavius
W