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Im Jahr 1633 wurde Galileo Galilei wegen schwerer Ketzerei verurteilt und seine, der Anklage zugrundeliegende Schrift, kurz darauf auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Über das tragische Schicksal des Autors hinaus ist der Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme sowohl für naturwissenschaftlich als auch kulturhistorisch Interessierte ein hochrelevantes Dokument. Darin erklärt Galilei nicht nur sein Relativitätsprinzip und diskutiert seinen Vorschlag zur Messung der Lichtgeschwindigkeit, sondern zeigt darüber hinaus die Konsequenzen des Aufeinanderprallens der modernen naturwissenschaftlichen Methode mit dem scholastischen Weltverständnis.
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Seitenzahl: 1403
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Galileo Galilei, vor viereinhalb Jahrhunderten, am 15. Februar 1564 in Pisa geboren, studierte zunächst in Florenz Mathematik und lehrte anschließend an den Universitäten in Pisa und Padua. Schon in dieser Zeit stellte er als einer der ersten naturwissenschaftliche Experimente an, beobachtete mit Hilfe eines weiterentwickelten Fernrohrs den christlichen Himmel und wurde so berühmt. Er wirkte dadurch bahnbrechend auf den Gebieten der Mathematik, Mechanik, Hydraulik und Astronomie. 1610 ernannte ihn Cosimo II. von Medici zum Hofmathematiker in Florenz. Dort veröffentlichte er seine Forschungen, mit dem Ergebnis eines heliozentrischen Weltsystems, im Unterschied zum traditionellen geozentrischen mit der Erde im Mittelpunkt des Alls. Seine Schrift Dialogo wurde von der katholischen Kirche verboten, er selbst unter Hausarrest gestellt. Galilei starb 1642 im Alter von 77 Jahren in seiner Villa bei Florenz. Seine Lehre siegte.
Der Herausgeber
Heinz-Joachim Fischer, geb. 1944, Dr. phil und lic. theol., ist Journalist, Publizist und Schriftsteller. Seit 1978 Auslandskorrespondent in Rom, lange Jahre für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In deren Auftrag begleitete er die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. auf ihren Reisen in alle Weltregionen und erlebte so die Globalisierung. Religion und Politik sind seine Lebensthemen. Für den marixverlag hat er bereits die Reihe der Bibliothek der verbotenen Bücher herausgegeben.
Der Übersetzer
Emil Strauss (1866–1960) war Romancier, Erzähler und Dramatiker. Er studierte Philosophie, Germanistik und Volkswirtschaftslehre in Freiburg im Breisgau, Lausanne und Berlin. Er brach sein Studium vorzeitig ab, um freier Schriftsteller zu werden.
»Ich, Galileo Galilei, […] schwöre ab […] besagte Irrtümer und Ketzereien: nämlich, für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege.«
Galileo Galilei
Mit den obigen Worten endete ein Prozess vor der Inquisition der Römischen Kirche, und es beginnt, grob gesagt, ein Krieg, zuerst unmerklich, später anschwellend. Ein intellektueller, ideologischer Kampf zwischen der forschenden Naturwissenschaft und der katholischen Kirche. Eine heftige Fehde, die noch immer, am Anfang des 21. Jahrhunderts, die einen sich empören lässt und in Gegnerschaft zur Kirche treibt, die anderen zu beschämten Entschuldigungen bringt und sie moderne Aufgeschlossenheit beteuern lässt. Ist beides auch heute noch zeitgemäß?
»Das Leitmotiv von Galileos Schaffen sehe ich in dem leidenschaftlichen Kampf gegen jeglichen auf Autorität sich stützenden Glauben.«
Albert Einstein
Mit seinen provozierend neuen Weltansichten und Theorien bringt Galilei seinerzeit die katholische Kirche gegen sich auf. Gipfel des Konflikts ist seine Verurteilung wegen schwerer Ketzerei im Jahre 1633 samt der Indexierung seines Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Die Schrift bringt die Macht der katholischen Kirche ins Wanken: Galilei verdeutlicht darin die drohenden Konsequenzen aus dem wachsenden Konflikt zwischen moderner Naturwissenschaft und dem das menschliche Denken eingrenzenden scholastischen Weltblid.
Galileo Galilei
Dialog über die beiden hauptsächlichstenWeltsysteme
Galileo Galilei
Herausgegeben von Emil StraussEingeleitet von Heinz-Joachim Fischer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014Der Text wurde behutsam revidiert nach der Ausgabe Leipzig 1891.Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbHHamburg BerlineBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0438-7
www.marixverlag.de
HINFÜHRUNGVON HEINZ-JOACHIM FISCHER
VORWORTVON EMIL STRAUSS
EINLEITUNGVON EMIL STRAUSS
DIALOG ÜBER DIE BEIDEN HAUPTSÄCHLICHSTEN WELTSYSTEME
Widmung
An den geneigten Leser
Erster Tag
Zweiter Tag
Dritter Tag
Vierter Tag
HANDSCHRIFTLICHE ZUSÄTZE GALILEIS ZU DEM EXEMPLAR DER PADUANISCHEN SEMINARBIBLIOTHEK
ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS
NAMEN- UND SACHREGISTER
»Io Galileo, fig.lodel q. Vinc.oGalileo di Fiorenza, dell’età mia d’anni 70 … Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz,
70 Jahre alt,
schwöre ab, verfluche und verwünsche
mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben
besagte Irrtümer und Ketzereien:
nämlich, für wahr gehalten und geglaubt zu haben,
dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich
und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege.«
(Übersetzung aus dem Italienischen von Emil Strauss, 1891)
So steht es in dem Dokument der Römischen Inquisition vom 22. Juni 1633 über das Ende des Prozesses gegen Galileo Galilei, der vor 450 Jahren, am 15. Februar 1564, in Pisa geboren wurde. Allerdings – um der Aussagekraft gemäß dem vorherrschenden Verständnis und der Kürze willen –, vom Autor dieser Hinführung redigiert, journalistisch zugespitzt. So erscheint es als Galileis bedingungsloser, erzwungener Widerruf des hier veröffentlichten Buches, »Dialogo sopra i due massimi sistemi«, »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme« von 1630/32.
Ich war tief bewegt, damals, als ich die Originalakten des Prozesses gegen Galileo Galilei vor mir sah. Josef Metzler, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs (von 1984 bis 1995, 2012 gestorben), ein freundlich-bescheidener Ordenspriester aus Hessen, als Wissenschaftler international hoch angesehen, hatte als Hausherr höchstpersönlich mich durch die langen, unterirdischen Korridore geführt, an teils vergitterten und abgeschlossenen Regalen vorbei. Da lagen sie, die Dokumente, die einen historischen Einschnitt bedeuten: das Unrecht gegen einen Großen der europäischen Naturwissenschaft und zugleich der Beweis für den gigantischen, schier unverzeihlichen Irrtum der Römischen Kirche.
Mit den obigen Worten endete ein Prozess vor der Inquisition der Römischen Kirche und es beginnt, grob gesagt, ein Krieg, zuerst unmerklich, später anschwellend. Ein intellektueller, ideologischer Kampf zwischen der forschenden Naturwissenschaft und der katholischen Kirche. Eine heftige Fehde, die noch immer, am Anfang des 21. Jahrhunderts, die einen sich empören lässt und in Gegnerschaft zur Kirche treibt, die anderen zu beschämten Entschuldigungen bringt und sie moderne Aufgeschlossenheit beteuern lässt. Ist beides 450 Jahre nach Galileis Geburt noch zeitgemäß? Das eine wie das andere? Der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit gegen die älteste Kultur-Institution der Welt? Die Beteuerung, so erst wieder im Juni 2013 durch den neuen Papst Franziskus in seiner ersten Enzyklika, »Lumen Fidei. Das Licht des Glaubens«, (zusammen mit Benedikt XVI.). Die hochheilige Versicherung, dass Glauben und Forschen sich nicht widersprächen? Glaubwürdig »nach Galilei«?
Galilei hat mich fasziniert. Und ich bin ihm oft begegnet. Als römischer Zeitungskorrespondent, zuständig für Italien und den Vatikan, fand ich häufig seine Spuren. In Pisa, seinem Geburtsort mit der Elite-Hochschule, dem Schiefen Turm, auf dem die Fallgesetze sofort einleuchten, und dem pendelnden Leuchter im Dom. Im Schiffs-Arsenal von Venedig, wo man damals neue Techniken zur Verbesserung der Navigation dringend brauchen konnte. In der Universität von Padua, wo er recht und schlecht die besten Jahre seines Lebens, zwischen 36 und 54, als Mathematiklehrer verbrachte und auf den wissenschaftlichen Durchbruch hinarbeitete. Und schließlich in Florenz, wo er seit 1610 das wohl dotierte Amt eines Hof-Mathematikers der herrschenden Medici ausübt; wo seine letzte Villa im Vorort Arcetri steht; wo schließlich in der erhabenen Groß-Kirche von Santa Croce ein prachtvolles Grabmal von seinem unbestrittenen Ruhm kündet. Überall in Italien gilt er als säkularer Nationalheiliger, einer der großen Weltberühmten, der dem Land zur Ehre gereicht, ungeachtet kirchlicher Belange.
Und natürlich stieß ich in Rom auf ihn. Da tritt der dramatische Moment noch näher, im Dominikanerkloster Santa Maria sopra Minerva neben der gleichnamigen Kirche in der Nähe des Pantheons. Hier war es – mit Schaudern lernte ich es –, dass Galilei auf den Knien seiner Überzeugung abschwören musste. Das Buch verleugnen, das er nach unzähligen Experimenten mit heißem Herzblut geschrieben hatte, damit eine neue Methode in der Physik begründend: »Dialogo sopra i due massimi sistemi. Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und Kopernikanische.« Dort im Kloster suchte der Dominikaner-Pater Ambrosius Eßer (1932–2010), Kirchenhistoriker und lange Jahre General-Relator für die vatikanischen Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Angehöriger jenes Ordens, der besonders eifrig die Inquisition betrieben hatte, mir den »Fall Galilei« mit den Zeitumständen und als Priester mit dem schwierigen Charakter Galileis zu erklären. Was alles zutrifft, doch den kirchlichen Grundirrtum nicht mindert.
Anders die Jesuiten, mit denen ich zu tun hatte. Ihre »Gesellschaft Jesu« war als Gemeinschaft von Ordenspriestern eine Generation vor Galilei, 1534, gegründet worden und schnell zur intellektuellen Avantgarde der Römischen Kirche aufgestiegen. Sie waren maßgeblich an den Prozessen gegen Galilei beteiligt, doch wussten es schon damals besser – dazu später mehr – und nahmen sich nun des Problems auf ihre, auf elegante Weise an. Sie ließen im »Germanicum«, dem Päpstlichen Kolleg für Theologiestudenten aus Mitteleuropa, im Dezember 1969 Bertolt Brechts »Leben des Galilei« aufführen; ich sah als Student den Wissenschaftshelden und die taumelnden Kirchendiener mit Staunen. Die Revision in der Kirche schritt nach dem Konzil (1962–1965) voran. Und so musste ich einige Jahre später als Vatikan-Korrespondent immer wieder über die Bemühungen der Römischen Kirche berichten, von Galilei und seinem Fluch loszukommen.
»Ich, Galileo Galilei schwöre ab, verfluche und verwünsche …« Dieser Widerruf steht auch am Anfang seines Weltruhms. Gleichgültig, ob er danach noch den nicht weniger bekannten Spruch gemurmelt oder sich nur gedacht hat, »Eppur si muove – Und sie bewegt sich doch!« Die Erde nämlich. Im Unterschied zur Sonne. Als ob er den beamteten Glaubenswächtern in Rom zum Trotz bedeuten wollte: »Ihr werdet schon sehen, wohin ihr kommt! Und ich bin euch mit dem Nachgeben des Klügeren für meine letzten Lebensjahre los. Denn ich muss noch so viel forschen.«
Darf man sich deshalb den knapp siebzigjährigen Galileo Galilei beim Verlassen des Inquisitionsklosters im Angesicht des Pantheon, bei der Abreise aus Rom als zufriedenen Mann vorstellen? Er hätte es, finde ich, zu Recht sein können. Darauf deutet auch ein bekanntes Porträt von 1636, drei Jahre später. Es stammt von keinem Geringeren als dem Flamen Justus Sustermans (1597–1681), dem Hofmaler der Medici, der Großherzöge der Toskana, einem der Besten seiner Zunft: Ein nun 72 Jahre alter Lebensweiser blickt uns aus wachen Augen an, kein geduckt Verfemter, sondern ein Sicherer, gewiss nicht ohne Alterskummer, doch mit sich im Reinen.
Papst Urban VIII. (1568, 1623–1644) im Vatikan, die Kardinäle in ihren neuen römischen Barockpalästen und die Inquisitoren im Kloster wären demnach zu Unrecht befriedigt gewesen. Ihr Irrtum, ihre versuchte Unterdrückung der Wahrheit sollte fürchterlich auf die Kirche zurückschlagen. Verraten dies nicht zwei Porträts des verantwortlichen Papstes, des Maffeo Barberini? Eines von Caravaggio, eines von Gianlorenzo Bernini. Ein hochintelligenter, ehrgeiziger Mann blickt an uns vorbei, hochmütig, sich stets überlegen dünkend, seiner Sache, selbst der theologischen, zu sicher; selbstzufrieden lässt er die Kirche auf ein Riff laufen.
So ist Galileo Galilei nicht als Philosoph oder Mathematiker, nicht als Physiker oder Astronom die leuchtende Symbolfigur des forschenden menschlichen Geistes geworden. Da steht er nur in einer Reihe mit anderen Bedeutenden. Der Fortschritt der Wissenschaft, so bemerkt Albert Einstein 1952 lakonisch, wäre »mit oder ohne Galileo« gekommen. Denn nicht nach ihm wird die »Kopernikanische Wende« vom geo- zum heliozentrischen Weltbild benannt, sondern nach einem Domherrn aus dem nördlichen Fürstbistum Ermland in Preußen, Nikolaus Kopernikus, der 100 Jahre vor ihm (1473–1543) lebte und als gläubiger Christ, im Frieden mit der Kirche, starb. Galilei ist auch nicht als politisch Verfolgter, als heldenhafter Widerstandskämpfer gegen die Obrigkeit in die Geschichte eingegangen; dafür gibt es in alten wie in neuen Zeiten zu viele, und ihm fehlt das Märtyrertum. Er taugt nicht einmal recht als Mahnmal, zu dem man ihn im 20. Jahrhundert, im Zeitalter der Atombombe, hat stilisieren wollen: gegen die Entfesselung von Wissenschaft und Technik gegen den Menschen.
Nein, Galileo Galilei ist die Freiheitsstatue der Menschheit gegen Kirche und Religion, gegen deren falsche Ansprüche. Was der Italiener als experimentierender Physiker, als beobachtender Astronom jahrelang gegen die Römische Inquisition durchfocht und mit seinem Widerruf nur scheinbar beendete, gereicht ihm zur unsterblichen Ehre, den geistlichen Herren einer jeden Religion zu unvergesslicher Schande und fortdauernder Mahnung.
Aber zur Ikone der wissenschaftlichen Freiheit gegen die Macht der Religiösen und Ideologen wurde er, wenn wir richtig urteilen, erst spät, viel später, im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, besonders im deutschen Sprachraum und im geistespolitischen Betrieb Italiens. Just zu jener Zeit, als es besonders im Deutschen Kaiser- und im italienischen Königreich, aber auch in Frankreich zu heftigen Spannungen zwischen Kirche und Staat, zwischen den Autoritäten des römisch-katholischen Glaubens und denen der Wissenschaften kam. Just zu jener Zeit, als die Franzosen aus der Alten Welt in die Neue nach New York die – symbolhaft hochpolitische – Freiheitsstatue schickten und die Amerikaner sie dort im Oktober 1886 einweihten. Als man im Hochgefühl des neuen Fortschrittsglaubens den alten christlichen Glauben ins Endlager der Geschichte entsorgen wollte und 1889 in Rom, dem Papst zu Trotz und zur Herausforderung, ein Denkmal für Giordano Bruno errichtete, einen Zeitgenossen Galileis, den, wie man seinen Schriften entnimmt, bösesten Schmäher des Juden Jesus und des Christentums. Diese – was zu zeigen sein wird – neue Erkenntnis, diese neue Sicht auf den »Fall« und »Skandal Galilei« fordert geradezu eine eingehende Beschäftigung mit dem »Dialog« und dem Widerruf.
Denn die Erhöhung Galileis zur mythischen, anti-kirchlichen Gestalt seitdem geschah nicht von selbst. Sie wird – das ist höchst spannend nachzuverfolgen – gefördert von einem höchst legitimen liberalen Zeitgeist und den daran Interessierten einerseits und der konträren Ausrichtung der römischen Kirchenführung mit den Päpsten an der Spitze andererseits. Es ist ein dramatischer Konkurrenzkampf um Meinungsmacht in Europa, um geistige Hegemonie in der Gesellschaft, Deutungshoheit für das Vergangene und Befugnisse für die Zukunft. So geht es dabei weniger um Parteinahme als vielmehr um die Beschreibung einer Mythologisierung. Ent-Mythologisierung, wenn gewünscht, kann dann nur aus dem Willen zur Aufklärung einsetzen.
Ein hessischer Mathematiker, Emil Strauss (1859–1892), Lehrer an der »Israelitischen Realschule Philanthropin« zu Frankfurt am Main, übersetzt gerade in jenen Jahren Galileis geistespolitisches Hauptwerk, »Dialogo sopra i due massimi sistemi« zum ersten Mal (!) ins Deutsche und veröffentlicht es als »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und Kopernikanische« 1891 in Leipzig. In den 90 Jahren danach (bis 1982) erschienen nach einer Zählung des englischen Übersetzers, Stillman Drake, rund 3.000 Bücher und Artikel zu Galilei. Das geschah wohl kaum wegen neuer astronomischer Erkenntnisse, sondern wegen des Groß-Konflikts kontroverser Geistesmächte über Galilei hinaus. »Keine andere Übersetzung des Dialogs hat größeren Einfluss auf die Wissenschaftsgeschichte«, so Drake.
Dem deutschen Eifer war im liberalen, antiklerikalen Italien eine innere Vergangenheitsbewältigung vorausgegangen. Ein Gelehrter aus Padua, Antonio Favaro (1847–1922), nahm sich geistesgeschichtlich – aus Lokalpatriotismus, weil an der dortigen Universität Kopernikus (zwei Jahre lang Medizin) studiert und Galilei (18 Jahre lang Mathematik) gelehrt hatte – des »Falles Galilei« an; seit 1878 mit Dutzenden von Veröffentlichungen, vor allem dann als »Direktor der National-Edition der Werke Galileo Galileis«. Papst Leo XIII. (1878–1903) gab die außergewöhnliche Erlaubnis zur Öffnung der Geheimarchive mit Galileischen Prozessakten; in der Hoffnung, den Streit zwischen Glauben und Forschung gütlich, weil in diesem Punkt nicht so erheblich, beilegen zu können. Ein Irrtum!
Denn in seiner Einleitung bemerkt Strauss, weit mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit blickend: »Von Seiten der katholischen Kirche ist vielleicht manche grausamere und schädlichere Maßregel getroffen worden als das Verbot der kopernikanischen Lehre; keine jedoch, die in so eklatanter Weise als verkehrt von den Gegnern der Kirche nachgewiesen werden kann, keine, deren Unrichtigkeit von ihr selbst so ohne Weiteres zugegeben werden muss und zugegeben wird.« Dieser »Dialog«, der hier nun neu vorgelegt wird, war eben jenes Werk, das Galilei verleugnen musste und zu dem es in der Abschwörung vor der Inquisition von 1633 heißt (Übersetzung von Emil Strauss, 1891):
»Da ich aber ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe, schwöre ich, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte.
Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben.
Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.
Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand.«
Die Sonne ging auch an jenen Tagen auf und unter, wie alle Menschen sagen. Aber die Erde bewegte sich. Und Galileo Galilei kehrte in seine toskanische Heimat zurück und konnte sein naturwissenschaftliches Hauptwerk, die »Discorsi e dimostrazioni matematiche«, nach geduldigen Forschungen, trotz eines Augenleidens bis zur Blindheit, vollenden und 1638 im holländischen Leiden veröffentlichen lassen. Der Hausarrest in Florenz, zu dem er verurteilt war, sei eher komfortabel ausgefallen, besagen Quellen. Aber darum geht es nicht.
Auch die ebenfalls in italienischer Sprache abgefassten »Discorsi« wurden erst 250 Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts, nun längst teilweise Allgemeingut der Wissenschaft, ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel »Unterredung und mathematische Demonstration über zwei neue Wissenszweige die Mechanik und die Fallgesetze betreffend« 1890 in Leipzig veröffentlicht. Wurde da erst, Ende des 19. Jahrhunderts und dann vehement im 20., der »Fall Galilei« zum »Skandal«? Mit endlosen historischen Kontroversen und einigen öffentlichkeitswirksamen Werken in Literatur, Filmen und Hörspielen. Deren berühmtestes Stück, »Leben des Galilei«, schrieb Bertolt Brecht 1938 im dänischen Exil. Damit rückte er, ganz aktuell, die kirchliche Inquisition in die Nähe des Nazi-Regimes mit Gestapo und Konzentrationslager, aber auch der stalinistischen Sowjet-Diktatur mit Schauprozessen und unmenschlichem Gulag. Beidem war zweifellos Galileis Villa-Arrest vorzuziehen, meinte Brecht. Ihm schwante, dass als Resultat wissenschaftlichen Bemühens nun auch die Atombombe drohe, ungebremster Forscherdrang werde die Selbstvernichtung der Menschheit ermöglichen.
Was es mit all dem auf sich hat, wollen wir zum 450. Geburtstag Galileis genauer wissen und klarer im Überblick durchschauen. So wie er in Physik und Astronomie ungeachtet der Vor-Urteile und Vor-Antworten alles gründlicher untersucht hat. Allerdings: Wir betreten hinreichend vermintes Gelände. Der Autor und die Leser. Alle, die sich Galileo Galilei nähern wollen. Einem – wir bekräftigen es noch einmal – wahrhaft Großen der europäischen Naturwissenschaft, einem Bedeutenden der abendländischen Geistesgeschichte. Der allerdings auch – das sei ebenfalls unumwunden festgestellt – ein Umstrittener ist, weil er selbst voll Ehrgeiz zu heftigem Streit und Konkurrenzkampf bereit war, im Bemühen um neue Erkenntnisse, im Kampf um die »richtige« Wahrheit, mit Kollegen und mit der damaligen »Obrigkeit«, der Kirche. Einer, der bis heute von anhimmelnden wie abschätzigen Urteilen umgeben ist. Der von Mythen und Legenden umschleiert ist, von demütigen Entschuldigungen mehrerer Päpste rehabilitiert, und immer noch ein Stachel des Ungeklärten im scheinbar längst Bekannten zu sein scheint. Der Publizist Ingo Langner etwa hat dies in einem Gespräch mit dem ehemaligen Chef-Historiker des Vatikans, Kardinal Walter Brandmüller, noch einmal herausgearbeitet (»Der Fall Galilei und andere Irrtümer. Macht, Glaube und Wissenschaft«, Augsburg 2006).
Galilei – ein Streitfall, auch nach Jahrhunderten. Und das ist gut so. Diesen Skandal wollen wir darstellen. Das ist spannend und ganz modern. Mit Entrüstung, Empörung, Verdammung und der umsichtigen Suche nach einem fairen Urteil. Dazu ist die Veröffentlichung des geistespolitischen Hauptwerks von 1630/32, des »Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme«, und des erzwungenen Widerrufs im Juni 1633 außerordentlich hilfreich.
Es lohnt sich dabei, den vollständigen schwierigen Text dieser Abschwörung aufmerksam zu lesen. Denn es fällt sofort auf, dass er für den kurzen Sachverhalt ungewöhnlich lang ist. Galilei (vorher): »Die Erde dreht sich.« Galilei (nachher): »Doch nicht.«
Stattdessen präsentiert das Dokument verschraubte überlange Sätze, in denen Galilei etwa sagt: »Wenn Ihr meint, dass das, was ich am Himmel gesehen habe, dem kirchlichen Glauben widerspricht, dann will ich Euch als gläubiger Christ und guter Katholik nicht widersprechen und mir in meinem Alter weitere Unannehmlichkeiten ersparen. Also unterschreibe ich.« Und sinngemäß murmelte er: »Ihr seid schlechte Theologen und ich bleibe ein guter Naturwissenschaftler.« Was beides richtig war.
Der vollständige Wortlaut des Dokuments (nach der Übersetzung von Emil Strauss, 1891, aus dem italienisch-lateinischen Original):
»Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Gericht gestellt und kniend vor Euren Eminenzen, den Hochwürdigsten Herren Kardinälen General-Inquisitoren gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt, vor meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre, schwöre, dass ich immer geglaubt habe, jetzt glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft glauben werde alles, was die heilige katholische und apostolische Römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt.
Da ich aber, – nachdem mir von diesem heiligen Officium der gerichtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die falsche Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, ganz aufgegeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, verteidigen, noch in irgendwelcher Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich, und nachdem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der Heiligen Schrift widerspreche, – ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe –, nämlich (verdächtig) für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege: – darum, da ich wünsche, Euren Eminenzen und jedem Christgläubigen diesen gegen mich mit Recht gefassten Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben besagte Irrtümer und Ketzereien und überhaupt allen und jeden anderen der besagten heiligen Kirche widersprechenden Irrtum und Sektiererglauben.
Und ich schwöre, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte, und dass ich, wenn ich irgendeinen Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennenlerne, denselben diesem heiligen Officium oder dem Inquisitor und Ordinarius des Ortes, wo ich mich befinde, denunzieren will.
Ich schwöre auch und verspreche, alle Bußen pünktlich zu erfüllen und zu beobachten, welche mir von diesem heiligen Officium sind aufgelegt worden oder werden aufgelegt werden. Und sollte ich, was Gott verhüten wolle, irgendeiner meiner besagten Versprechungen, Beteuerungen oder Schwüre zuwiderhandeln, so unterwerfe ich mich allen Strafen und Züchtigungen, welche durch die heiligen Canones und andere allgemeine und besondere Konstitutionen gegen solche, die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und promulgiert worden sind. So wahr mir Gott helfe und diese seine heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre.
Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben. Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.
Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand.«
Zuerst war es nur ein Gefühl: Da stimmt etwas nicht. Das stellt sich ein, wenn ein Sachverhalt befremdlich wirkt oder eine Person aus dem Gleichgewicht gerät, wenn die Proportionen von Ursache und Wirkung, von Missetat und Empörung, Heldentat und Begeisterung verrutschen. Alle Welt kennt, heute mehr denn je, den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und der öffentlichen Meinung darüber, einem Sachverhalt und dem Bericht davon, einer Person und ihrem äußeren Ansehen. Was in der modernen Gesellschaft auf die Schnelle Werbeagenturen, PR-Leute und auch Journalisten für Politiker, Schauspieler oder Unternehmen positiv besorgen, was negativ an Untaten und Übeltätern beschwichtigt wird, bewirken für die Vergangenheit lange Prozesse einer geschichtlichen Meinungsbildung. Viel spielt dabei mit, viele sind daran beteiligt, eine Gestalt der (Zeit-)Geschichte für das öffentliche Interesse darzustellen. So wächst das Image aus dem Historischen heraus. Historiker und Journalisten können sich dann auch bemühen, den Prozess in Rückabwicklung umzukehren, um vom (zeit-)geschichtlichen Schein zum Sein, zur Wahrheit (?) zu gelangen, kurz ein faires – überraschend positives oder negatives – Urteil fällen zu können.
So erging es mir. Die Merkwürdigkeiten, die sich bei langjährigen Studien und aktuellen journalistischen Arbeiten ergaben, konzentrierten sich – wie bereits angedeutet – zur Hauptfrage: Wie und wann wurde aus dem »Fall Galilei« des 17. Jahrhunderts, der – alles zusammengenommen – Kirchengeschichte, Wissenschaft, die Profanhistorie Europas mäßig bewegte, ein »Skandal Galilei«, der die Kirche bis in ihre Grundfesten erschütterte? Da war deutlich: Mit den bisherigen Urteilen konnte ich mich nicht mehr begnügen, nicht als Journalist, der multi-dimensional politisch wahrnimmt, nicht als Historiker, der sich nicht auf archivierte Dokumente beschränken, nicht als Theologe, der stets nach klügeren Argumenten ausschauen darf.
Das hat jedoch wenig mit dem historischen »Fall Galilei« zu tun. Der ist glasklar. Der ungerecht Behandelte ist Galileo Galilei, Opfer eines falschen Prozesses, einer verqueren Justiz. Die Schurken sind die römischen Kirchenführer, die Inquisitoren, Papst und Kardinäle dazu. In den kirchlichen Prozessen von 1616 und 1633 vertrat die Römische Inquisition, gedeckt von den Päpsten, Paul V. und Urban VIII., sowie den maßgeblichen Kardinälen die falsche Behauptung, die Erde stehe still und die Sonne bewege sich, und zwang Galilei zum Widerruf.
Wenn in strittigen Fällen und bei umstrittenen Personen gern Friedrich Schiller (1759–1805) zitiert wird – »von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte« –, so trifft das für Galilei gerade nicht zu. Schiller, nicht nur Dichter, sondern auch guter Historiker, münzt das Wort auf Wallenstein, den kaiserlichen Feldherrn im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) – der von 1583 bis 1634 lebte, also ein Zeitgenosse Galileis war. Mit der Warnung, bei geschichtlichen Wertungen »nicht betrüglich den Schein der Wahrheit zu unterschieben«. Doch was er über Wallenstein bemerkt, gilt gerade nicht für Galilei, weil dessen Charakter ganz gleichgültig ist. Doch umso mehr für die Kirche.
Kurz die Fakten: Galileo Galilei wird am 14. Februar 1564 in Pisa (Großherzogtum Toskana unter den Medici) geboren, in einer nicht wohlhabenden, doch auskömmlich lebenden, bildungsnahen Familie. Mit zehn Jahren kommt er nach Florenz, mit 17 wieder nach Pisa, an die Universität. Es zeigt sich seine Begabung für Mathematik, Geometrie und Physik, so sehr, dass er deren Lehre und Forschung aufnimmt, zuerst in Pisa, dann, ab 1592 (bis 1610) in Padua (Republik Venedig). Als Vater von Virginia (geb. 1600; später Ordensschwester Maria Celeste), Livia (geb. 1601; Schwester Arcangela) und Vincenzio (geb. 1606) und mäßig bezahlter Professor will er Erfolg, will alles verbessern, sein Einkommen, die Lebensverhältnisse, die Forschungsumstände und Ergebnisse, seine wissenschaftliche Anerkennung; das hing alles zusammen. 1610, mit nun schon 46 Jahren, veröffentlicht er das Werk, »Sidereus Nuncius« (»Nachricht von neuen Sternen«; herausgegeben und eingeleitet von Hans Blumenberg. 2. Auflage, 2002), das Ergebnis seiner genauen Beobachtungen der Himmelskörper mit einem (in Holland zuerst bekannten) Fernrohr. Der Durchbruch! Er ist nun berühmt und wird von Cosimo II. de’ Medici, seinem ehemaligen Schüler, zum Hofmathematiker, Philosophen und ersten Mathematikprofessor in Pisa ohne Lehrverpflichtung, mit der Freiheit zu forschen, ernannt und 1611 ehrenvoll in die wissenschaftlich renommierte römische »Accademia dei Lincei« aufgenommen. So weit, so gut.
Das findet auch Goethe. Knapp urteilt er, in der »Geschichte der Farbenlehre, 17. Jahrhundert« (1810): »Galilei bildete sich unter günstigen Umständen und genoss die erste Zeit seines Lebens des wünschenswertesten Glückes. Er kam wie ein tüchtiger Schnitter zur reichlichsten Ernte und säumte nicht bei seinem Tagewerk. Die Fernröhre hatte einen neuen Himmel aufgetan. Viele neue Eigenschaften der Naturwesen, die uns mehr oder weniger sichtbar und greifbar umgeben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konnte der heitere mächtige Geist Eroberungen machen. Und so ist der größte Teil seines Lebens eine Reihe von herrlichen glänzenden Wirkungen.«
Doch leider, so Goethe weiter: »Leider trübte sich der Himmel für ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Mensch seine Überzeugungen andern mitzuteilen gedrängt wird. Man pflegt zu sagen, des Menschen Wille sei sein Himmelreich; noch mehr aber findet er seine Seligkeit in seinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Kopernikanischen Systems durchdrungen, enthält sich Galilei nicht, diese von der Kirche, von der Schule verworfne Lehre, wenigstens indirekt, zu bestätigen und auszubreiten; und beschließt sein Leben in einem traurigen Halbmärtyrertum.« (Goethe, »Geschichte der Farbenlehre, 17. Jahrhundert«.)
Das ist, um 1810, mit olympischer Souveränität betrachtet. Und vom hohen vatikanischen Palast aus? Zwei Jahrhunderte früher? Nach 1610, als Päpste und Kardinäle schon Vieles über Erde und Sonne wussten oder ahnten, nur nicht, wie diese Mutmaßungen mit dem allgemeinen christlichen Glauben zu vereinbaren seien. Blöd und verbohrt war sie nicht, die römische Kirchenführung in Humanismus, Renaissance und nun im Barock. Aber was dachte sie, als sich der Wandel eines Weltbildes vollzog? Der vom geo- zum heliozentrischen System, der untrennbar mit Nikolaus Kopernikus verbunden ist. Als die Erde aus der Mitte des Universums herausflog, und die Sonne zum Zentrum wurde. Genau das hatte Kopernikus, 1473 geboren, eigentlich Arzt, nur in seiner Freizeit Mathematiker und Astronom, in seinem – Papst Paul III. gewidmeten und mit finanzieller Unterstützung katholischer Kirchenfürsten 1543 gedruckten – Werk »De Revolutionibus Orbium Coelestium« (»Über die Umschwünge der himmlischen Kreise«) als Theorie aufgestellt und war dann friedlich am 24. Mai 1543 gestorben.
Als Theorie aufgestellt. Für die Christenheit bestand deshalb offenbar kein dringender Handlungsbedarf. Bisher verließen sich die meisten Menschen auf ihre sinnliche Wahrnehmung vom Auf- und Niedergang der Sonne, von Ost und West, und Süd und Nord. Die Klugen verwiesen auf Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Ptolemäus (100–160 n. Chr.). Mit Ausnahmen, gewiss, wie dem genialen deutschen Universalgelehrten und Kardinal Nikolaus (Cusanus) (geb. 1401 in Kues an der Mosel, gestorben 1464) oder dem Astronom Regiomontanus (dem Unterfranken Hans Müller; 1436–1476).
Die neugierigen Seefahrer im Süden und Südwesten Europas warteten auch nicht eine höchste (päpstliche) Grundsatzentscheidung über Erde und Sonne ab, sondern fuhren von den Küsten Portugals und Spaniens aufs offene Meer hinaus, »über der Mütze nur die Sterne …« Ohne Furcht, von einer Scheibe zu fallen. Die Kugelgestalt der Erde war schon lange favorisiert; nur war dies schwierig, auf einer Karte darzustellen; leichter schien, sie platt zu zeichnen; mit Jerusalem, dem Ort Jesu Christi, in der Mitte.
Im 15./16. Jahrhundert drängen sich deshalb die kühnen (süd-katholischen) Entdecker.
• Heinrich der Seefahrer (1394–1460), ein portugiesischer Königssohn, der Infante Dom Henrique de Avis, organisiert in Konkurrenz zu den Arabern die Erkundung Westafrikas, u. a.
• Cristoforo Colombo (Kolumbus) aus Genua (um 1451–1506) stößt 1492 am anderen westlichen Ende des Atlantiks auf Inseln, sich in »West-Indien« wähnend.
• Amerigo Vespucci aus Florenz (um 1451–1512), auch Berichterstatter seiner Seefahrten (an der Ostküste Südamerikas, u. a.), erkennt in dieser Neuen Welt einen eigenen Kontinent und leiht ihm seinen Namen.
• Vasco da Gama (um 1469–1524), wird zum portugiesischen »Admiral des Indischen Meeres« ernannt, weil er den Seeweg um Afrika, um das Kap der Guten Hoffnung, nach Asien eröffnete.
• Ferdinand Magellan (1480–1521) beginnt als Portugiese in spanischen Diensten die erste Weltumseglung (1519–1522), die trotz seines Todes auf den Philippinen erfolgreich beendet wird, wenn auch nur mit 18 Männern (7,6 Prozent) der ursprünglichen Besatzung (237 Mann).
Das war alles vor Kopernikus. Auf das »System« – ob Erde oder Sonne im Mittelpunkt der Welt – kam es den Seefahrern nicht an, wenn nur nautisches Wissen und Mannesmut zu einem Ziel führten.
Währenddessen geschah im Abendland selbst Großes, Revolutionäres:
• Gutenberg (Johannes Gensfleisch aus Mainz; um 1400–1468), als »Mann des Jahrtausends« geehrt, stellt mit beweglichen Metalllettern und der Presse ein maschinelles Drucksystem zusammen und macht so den Massendruck von Büchern, zuerst der Bibel, dann auch polemischer Propaganda, möglich.
• Martin Luther (1483–1546) aus dem mitteldeutschen Eisleben treibt mit der Berufung auf die von ihm ins Deutsche übersetzten Heiligen Schriften die Reform der Kirche voran, löst den Glauben der Christen von der Bindung an den Papst und dessen Ablass-System und bewirkt in dieser Reformation die Spaltung der Christenheit im Abendland. (Kopernikus’ Werk nimmt er ablehnend zur Kenntnis; s. u.)
• Leonardo da Vinci (1452–1519) aus der Toskana tritt nicht nur als großartiger Künstler hervor, sondern sucht als Universalgelehrter, seiner Zeit weit voraus, in technischen Visionen das Leben der Menschen zu erleichtern.
• Michelangelo Buonarroti (1475–1564) aus der Toskana schafft als Maler, Bildhauer und Architekt unvergleichliche Werke, ein wahrer »Künstler des Jahrtausends«. In der Sixtinischen Kapelle im Vatikan malt er im wortwörtlichen Verständnis der Berichte der Bibel von der Schöpfung der Welt in sieben Tagen (1508–1511) bis zum Jüngsten Gericht mit der Wiederkunft Christi (1534–1541) grandiose Fresken, die seitdem als bildliche »Summa« des christlichen Glaubens bewundert werden. Ein Missverständnis?
Michelangelo stirbt am 18. Februar 1564, im Alter von fast 89 Jahren, in Rom. Vier Tage zuvor wird Galileo Galilei geboren, am 26. April desselben Jahres William Shakespeare getauft, der als Dichter christlich, doch unkirchlich war. 1564 sterben der Schweizer Reformator Johannes Calvin (geb. 1509) und Ferdinand I., Kaiser des deutschen Heiligen Römischen Reiches (geb. 1503), Bruder Karls V., des Kaisers und Königs zwischen 1516 und 1556, »in dessen Reich die Sonne nicht unterging«. Genug Personen, um eine Wende zu markieren.
Die nunmehr nur noch Römisch-Katholische Kirche unter dem Papst hatte ein Jahr zuvor, 1563, in Trient nach 18 Jahren ein Konzil abgeschlossen und das Programm einer »Gegenreformation« verabschiedet. Päpste und Bischöfe machten sich daran, die katholische Kirchenreform durchzusetzen. Dazu sollte auch das Dekret vom 8. April 1546 dienen, gerichtet gegen den deutschen Reformator, der am 18. Februar desselben Jahres gestorben war und gegen dessen Ideen, die sich auch in Italien ausbreiteten:
»Überdies beschließt ›das Konzil‹, zur Bezähmung mutwilliger Geister, dass niemand sich erkühnen soll, auf sein Verständnis gestützt, in Sachen des Glaubens und der zur Erbauung der christlichen Lehre gehörigen Sitten, die Heilige Schrift nach seinem Sinne zu missdeuten, wider denjenigen Sinn, den die heilige Mutter Kirche bewahrt hat und bewahrt, oder auch wider die einmütige Übereinstimmung der Väter, dieselbe Heilige Schrift auszulegen, auch wenn solche Auslegungen zu keiner Zeit jemals zur Veröffentlichung vorgesehen sein sollten. Der Kirche allein steht es zu, über den wahren Sinn und die Auslegung der Heiligen Schriften zu urteilen. Zuwiderhandelnde sollen durch die Ordinarien angezeigt und mit den vom Rechte verordneten Strafen bestraft werden.«
Da die Bibel, so überlegten die Konzilsväter, nicht immer aus sich selbst verständlich sei, so könne ihre Auslegung nicht dem Belieben der einzelnen überlassen werden; dafür bedürfe es einer Autorität. Das Lutherische, »Allein die Schrift«, so hieß es, sei trügerisch und werde bei solcher Freiheit von jedem Prediger missbraucht; deshalb müsse es durch die Tradition und die Vollmacht eines Lehramtes ergänzt, wenn notwendig, korrigiert und bestimmt werden. Dieses Dekret sollte Jahrzehnte später Galilei zu spüren bekommen.
Weil aber auch nach Auffassung der römischen Kirchenführer die Bibel nicht lehre, was am, sondern nur im Himmel geschehe, gründete Papst Gregor XIII. (1572–1585) eine Sternwarte im Vatikan und ließ dazu im Jahr 1578 über den Palästen, einem heutigen Museumstrakt, den »Turm der Winde« (Torre di Venti) errichten. Auch dorthin führte mich Pater Metzler, der Leiter des Geheimarchivs, auf steilen Treppen und erläuterte mir dann – nachdem wir die Aussicht ringsum auf den Vatikanstaat mit den Gärten und auf Rom mit einem grauen Himmel darüber bewundert hatten –, wie merkwürdig es zugeht in der Geschichte der Welt und der Kirche:
Papst Gregor XIII. (geb. 1502, 1572–1585) wollte den Kalender reformieren. An der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts. Der alte Julianische Kalender (von Cäsar, aus dem 1. Jh. v. Chr.) war aus dem Sonnentakt geraten und sorgte für fehlerhafte Datierung, zum Beispiel des christlichen Osterfestes, eigentlich am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. So verfügte der Papst, im Oktober 1582 zehn Datumstage ausfallen zu lassen. Daher folgte auf Donnerstag, den 4. Oktober, gleich Freitag, der 15. Oktober, doch nur in denjenigen katholischen Ländern, die diese Reform sofort annahmen. Länder der Reformation brauchten länger für den Fortschritt; die protestantischen deutschen Reichsstände passten sich 1700, England und die amerikanischen Kolonien 1752, Sowjetrussland 1918 und zuletzt die Volksrepublik China 1949 dem genaueren System des Papstes an. Konfession oder Ideologie waren ihnen offenbar wichtiger.
Gregor XIII. standen dabei die besten Astronomen zur Verfügung, zumeist Priester aus dem Jesuitenorden. Diese »Gesellschaft Jesu« wollte nach dem Beispiel ihres Gründers, des Basken Ignatius von Loyola (1491–1556), mit Macht, das heißt, mit Schulen und Universitäten, mit Wissen und noch mal Wissen die Bildung der Katholiken heben, in Treue zum Papst. Die bedeutendsten Jesuiten-Astronomen waren:
• Christophorus Clavius aus Bamberg (1537/8–1612) hat in Rom die wissenschaftliche Leitung der Kalenderreform inne.
• Matteo Ricci aus dem mittelitalienischen Macerata (1552–1610) überzeugt als Missionar den Kaiserhof in China von der Überlegenheit der römischen Astronomie.
• Christoph Scheiner, ein bayerischer Schwabe (1573–1650), wird in Rom (1624–1633) – etwa im Konflikt um die Entdeckung der Sonnenflecken – zum Konkurrenten Galileis. Deren persönliche Rivalität wird schon von berühmten Zeitgenossen, wie René Descartes und Pierre Gassendi (»Beide sind gut, streben nach Wahrheit, sind gleich ehrlich und rechtschaffen. Beide haben sich gegenseitig beleidigt.«), bedauert. Scheiner verlangt im Prozess von Galilei »Beweise«, vielleicht, weil er seine eigenen Zweifel (an der Geozentrik) besiegen wollte. Gleichviel. Es gilt das Fehl-Urteil der Inquisition.
• Athanasius Kircher aus Fulda (1602–1680 in Rom), universal gebildet, ein Forscher ersten Ranges auf vielen Gebieten, als »der erste Gelehrte mit weltweiter Reputation« (Findlen) bezeichnet, leitet als Professor am Collegium Romanum (seit 1634) eine Revision des römischen Weltbildes ein. Er beschreibt das geozentrische System von Tycho de Brahe (geb. 1546 in Dänemark, gest. 1601 in Prag) und das heliozentrische des kaiserlichen Hof-Astronomen Johannes Kepler (geb. 1571 in Württemberg, gest. 1630 in Regensburg) auch als Theologe so behutsam, dass beide mit der Heiligen Schrift vereinbar scheinen.
Eine Vorliebe der Offenbarungstheologen, jüdischer, christlicher und muslimischer, für das geozentrische System war wohl unvermeidbar. Dass die Erde im Mittelpunkt der Welt stehe, muss Religionen gefallen, deren Gott hier auf Erden sich die Juden als Volk erwählt, der »seinen eingeborenen Sohn« als Jesus von Nazareth hat Mensch werden lassen – der schließlich im Islam seine Worte einem Mohammed aus Mekka überantwortet hat. Die Einzigartigkeit Gottes im Judentum, der Erlösung durch Christus – auch der Offenbarung im Koran – schien mit der Einzigartigkeit der Erde im Universum verbunden zu sein und am schönsten zu harmonisieren. Vorausgesetzt, man denkt darüber nach – was die Frommen nicht taten – und sieht dann darin ein Problem – was heute wohl wegfällt.
Deshalb reagierte Martin Luther, wie berichtet wird, unwirsch auf die Kopernikanische Wende: »Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua (10,12-13) die Sonne stillstehen und nicht die Erde!« Damit spielt er auf Bibelstellen an, die ausdrücklich die Sonne als mobil voraussetzen. So auch der »Prediger« (Kohelet 1,5): »Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie dort wieder aufgehe.« Aber es besteht kein Zweifel, dass das gesamte Weltbild der jüdisch-christlichen Bibel das Geozentrische voraussetzt. Auserwählung und Erlösung auf Erden scheinen schlechthin zentral-religiös. Und astronomisch? Für das Weltbild?
Die Wissenschaftstheoretiker wie Hans Blumenberg (1920–1996) und Paul Karl Feyerabend (1924–1994) sind sich der Dramatik dieses Wandels gerade im »Fall Galilei« bewusst. Aber niemand hat wohl einfühlsamer als Goethe erfasst, was den Menschen zwischen 1450 und 1650 in Europa zugemutet wurde, und am dramatischsten beschrieben:
»In jedem Jahrhundert, ja in jedem Jahrzehnt werden tüchtige Entdeckungen gemacht, geschehen unerwartete Begebenheiten, treten vorzügliche Menschen auf, welche neue Ansichten verbreiten … Doch unter allen Entdeckungen und Überzeugungen möchte nichts eine größere Wirkung auf den menschlichen Geist hervorgebracht haben als die Lehre des Kopernikus. Kaum war die Welt als rund anerkannt und in sich abgeschlossen, so sollte sie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht tun, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein. Vielleicht ist noch nie eine größere Forderung an die Menschheit geschehen: denn was ging nicht alles durch diese Anerkennung in Dunst und Rauch auf: ein zweites Paradies, eine Welt der Unschuld, Dichtkunst und Frömmigkeit, das Zeugnis der Sinne, die Überzeugung eines poetisch-religiösen Glaubens; kein Wunder, dass man dies alles nicht wollte fahren lassen, dass man sich auf alle Weise einer solchen Lehre entgegensetzte, die denjenigen, der sie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahnten Denkfreiheit und Großheit der Gesinnungen berechtigte und aufforderte.« (»Geschichte der Farbenlehre, 16. Jh.«, Zwischenbetrachtung.)
Doch unvereinbar waren jüdisches Auserwählungsselbstbewusstsein und christlicher Erlösungsglaube mit dem heliozentrischen Weltbild nicht. Denn seit Jahrtausenden gab es in der jüdisch-christlichen Tradition nie nur eine allgemeine wortwörtliche Auslegung der Heiligen Schriften – im Unterschied etwa zum offiziell-amtlichen Islam, für den der Koran schlechthin das undiskutierbare »Wort Gottes« ist. Rabbiner lehrten in den Synagogen die fromme Unterscheidung und die orthodoxe Auslegung im Alltag. Die Kirchenväter, wie etwa Origines im 3. Jahrhundert, unterschieden einen dreifachen Sinn, den buchstäblichen, den moralischen und den pneumatischen. (So konnte etwa jemand einen anderen wirklich umbringen, ihn aber auch nur moralisch vernichten oder geistig erledigen.) Diese Unterscheidungsfähigkeit war wohl begründet. Die Kundigen wussten, dass die Heiligen Schriften der Bibel nicht plötzlich vom Himmel gefallen waren, sondern im Lauf von Jahrhunderten und Jahrzehnten (nach Christus) allmählich entstanden und zum Kanon zusammengefasst worden waren. Für Juden und Christen war die Bibel kein Physikbuch, sondern die Gewähr von Auserwählung und Erlösung. Eigentlich.
Aber im »Fall Galilei« platzt diese Revolution des Weltbildes auf. Zwischen einem Astronomen, der das Richtige sieht und der Kirche sagen will, wie sie die Bibel auszulegen hat. Die römischen Theologen der Inquisition besaßen nicht die Klugheit zu erwägen, was wäre, wenn Galilei richtig gesehen hätte. Stattdessen hielten sie in der Borniertheit der »Fundamentalisten« ihre Sicht für die einzig mögliche, allein seligmachende.
Als ich vor Jahren in Rom an der »Päpstlichen Universität Gregoriana« Philosophie und Theologie studierte, dazu verwandte Fächer wie Kirchenhistorie und Geschichte, war eine gewisse Distanz zur »Römischen Theologie« fast selbstverständlich. Die meisten Professoren, allesamt Jesuiten, hatten im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) diese, kurz gesagt »fundamentalistisch« geprägte Theologie, mit einer wortwörtlichen Bibelauslegung, hinter sich gelassen. Ziemlich geräuschlos, weil sie keine Revolution hatten ausrufen müssen, sondern an die große katholische Theologie der Vergangenheit, die Ursprünge des Christentums, die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte anknüpfen konnten. Sie nahmen eine in Rom etwas vergessene oder vernachlässigte Tradition wieder auf, wie es auch die Bischöfe und Theologen des Konzils taten. Darunter auch der deutsche Professor Joseph Ratzinger, später Erzbischof von München, Kardinals-Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, der Nachfolge-Institution jener Behörde, die einst Galilei zum Widerruf gezwungen hatte, und Papst Benedikt XVI. Er machte kein Hehl daraus, dass die »Römische Theologie«, wie sie im »Fall Galilei« zum Zuge kam, eine Verengung des Katholischen bedeutete.
Nach dem Ende des Prozesses vor dem römischen Tribunal im Juni 1633, nach der Abschwörung Galileis und dem Urteil der Inquisition zu Haft und Buße beginnen zwei neue Prozesse; die Mythologisierung des Astronomen und die Revision durch die Kirche. Beide unmerklich, sehr langsam. Galilei lebte ja noch. Im Unterschied zu dem anderen berühmten oder berüchtigten Kopernikaner, Giordano Bruno (geb. 1548), an dessen Scheiterhaufen am 17. Februar 1600 auf dem Campo de’ Fiori sich die Römer noch erinnern konnten. Dessen Verbrennung war – auch nach päpstlichem Urteil, so von Johannes Paul II. im März 2000 – ein »Unrecht«.
Aber dessen »Ketzerei« war von ganz anderer Art: Schmähungen, als ungeheuerlich empfunden, gegen Christus und das Christentum; provozierende Blasphemie, noch dazu mit schändlichem Antisemitismus, wenn Giordano schreibt:
»Wenn also … einer (Jesus Christus) aus dem unwürdigsten und schmutzigsten Geschlecht der Welt, ein Mensch von niedrigster und gemeinster Natur und Denkart als Zeus angebetet wird, so … erwerben sich, die ihn anbeten, dadurch Geringschätzung und Tadel. Niemals also wird ein Schurke deshalb ehrwürdiger erscheinen, weil er mit Hilfe feindlicher Genien zum Affen und zum Popanz dient für den blinden Pöbelglauben.« Bruno nennt Jesus »einen verächtlichen, gemeinen und unwissenden Menschen … durch welchen alles entwürdigt, geknechtet, in Verwirrung gebracht und das Unterste zuoberst verkehrt, die Unwissenheit an Stelle der Wissenschaft … der echte Adel zu Unehren und die Niederträchtigkeit zu Ehren gebracht« worden sei. Die Juden seien »eine so pestilenzialische, aussätzige und gemeingefährliche Rasse, dass sie schon vor ihrer Geburt ausgerottet zu werden verdienen«. (aus »Die Vertreibung der triumphierenden Bestie«.) Diese Worte rechtfertigen nicht ein Todesurteil, sind freilich auch nicht denkmalswürdig. Sie zeigen, dass Galilei ein ganz anderer war.
Knapp 70 Jahre alt, wird Galilei nach der Verurteilung »zu formaler Haft« – »Kerker« wird es nicht – in den Palazzo der toskanischen Gesandtschaft zu Rom gebracht, kommt im toskanischen Siena unter die gastfreundliche »Aufsicht« des Erzbischofs, einer seiner Bewunderer, und nimmt dann seine Wohnung in einer geräumigen Villa oberhalb von Florenz, in Arcetri. Er ist kein freier Mann, verurteilt und soll auch als Strafe die sieben Bußpsalmen beten – was er an seine Ordensschwester-Tochter delegiert. Keine Frage, »er hatte viel zu leiden durch Männer und Institutionen der Kirche« (Johannes Paul II., 1979). Aber er kann arbeiten, beobachten, forschen, schreiben, bis seine Augen schlechter werden; seinem Sekretär diktieren. Vor allem sein naturwissenschaftliches Hauptwerk, die »Discorsi, über zwei neue Wissenszweige«, die 1638 im holländischen Leiden veröffentlicht werden. Er stirbt zu Hause, in der Villa zu Arcetri, am 8. Januar 1642, im Alter von knapp 78 Jahren. Seine sterblichen Überreste finden zunächst eine provisorische Grablege.
War damit der »Fall Galilei« abgeschlossen? Zumindest war es wohl still geworden um den Italiener. Die Urteile der Römischen Inquisition beschwerten weiter nördlich ebenso wenig wie einige Jahre später der (missverständliche) Protest Papst Innozenz’ X. gegen den Westfälischen Frieden am Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648). Die Naturwissenschaften und neue, von den Kirchen emanzipierte Philosophien der europäischen Gelehrten nahmen ihren Lauf, einen immer schnelleren.
• Der Engländer Isaac Newton, ein Jahr nach Galilei, am 4. Januar 1643 geboren, 1727 gestorben, findet als Physiker und Mathematiker nicht den Willen Gottes, sondern die Gesetze der Natur.
• René Descartes (1596–1650) und Baruch de Spinoza (1632–1677) interessieren sich als erste von vielen modernen Denkern nicht für die in der Bibel berichteten Launen Gottes, sondern für klare Gedanken und schlüssige Ideen.
• Die Jesuiten als Erzieher der Eliten im katholischen Europa suchen Papsttreue und moderne Erkenntnisse zu verbinden.
• Die Anfang des 18. Jahrhunderts in Konkurrenz zum Christlichen sich erhebende Bewegung der Freimaurerei mit vielen prominenten Anhängern weist auf, dass die Kirchen die intellektuelle Führerschaft in Europa – von der mittelalterlichen Vormundschaft zu schweigen – einbüßt.
Nun war man auch in Rom und Florenz soweit. Benedikt XIV. aus Bologna (1675, 1740–1758), den Erfordernissen der Zeit aufgeschlossen, gestattete 1741 den Druck der ersten Gesamtausgabe der Werke Galileis und widerrief 1757 prinzipiell den Bann gegen das heliozentrische Weltbild. Schon zuvor, 1737, hatte man in der Florentiner Stadtkirche Santa Croce für Galilei ein prachtvolles Grabmal geschaffen, am Anfang des linken Seitenschiffs prominent gegenüber jenem für Michelangelo und Dante. Also hatte sich der Konflikt zwischen Galilei und der Römischen Kirche aufgelöst?
Die bekannte Enzyklopädie der Aufklärung, die »Encyclopédie« von Diderot und d’Alembert, hat in ihren 35 Bänden zwischen 1751 und 1780 kein eigenes Stichwort für Galilei (im Gegensatz zu »Copernic« und »Kepler«), erwähnt ihn unter »Astronomie« und nennt ihn »le grand Galilé«, aber macht kein Aufhebens von seinen Inquisitionsprozessen. Auch ein knappes Jahrhundert später berichtet ein deutsches »Conversations-Lexikon zum Handgebrauch« (Leipzig, 1846) ohne Aufregung: »Da diese (Galileis) Entdeckungen die Eifersucht u. den Unwillen der heftigen Aristoteliker erregten, (und) wegen der Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne, musste (G.) d. Strenge der Inquisition fühlen. Noch lauter erhob sich die Stimme der Ketzerei gegen ihn, als er 1632 seine ›Gespräche über die zwei größten Systeme, das Ptolomäische u. Kopernikanische‹ herausgab, worin er die Gründe beider Systeme vorträgt, ohne dass er sich für eins entscheidet, obschon seine Hinneigung zu dem Kopernikanischen nicht zu verkennen ist. Vor die Inquisition zu Rom gefordert, musste er seine Lehre abschwören …« Da geht es nur als Kuriosum durch, dass erst 1822 ein Kleriker, der Kanoniker Giuseppe Settele, die kirchliche Druckerlaubnis für ein Buch mit dem heliozentrischen System als bewiesen erhielt.
Man lebte gleichsam mit einem theologischen (populären, alltagstauglichen) Geozentrismus – der Fortschritt wurde dadurch nicht aufgehalten – und einem wissenschaftlichen (elitären) Heliozentrismus. Es war weniger die vielbeschworene Aufklärung, die nun im 18. Und 19. Jahrhundert den Widerruf Galileis im fernen Jahr 1633 der Kopernikanischen Wende – was war seitdem nicht alles gewendet worden! – als Skandal empfand. Vielmehr gerieten die jeweils moderne Gesellschaft und die dem Traditionellen verhafteten christlichen Gemeinschaften, doch vor allem die Römische Kirche, immer mehr in Gegnerschaft. Sie suchten ihre Stellung wechselseitig zu sichern, durch vielerlei Mittel, durch Propaganda und Macht, durch Bündnisse mit den Mächtigen, durch Angriffe auf den Gegner. In der Französischen Revolution (1789) brach das Ancien Regime zusammen, die enge Verbindung zwischen Thron und Altar verlor ihre Selbstverständlichkeit. Napoleon degradierte in großem Stil Kirche und Religion zu nützlichen politischen Herrschaftsmitteln. Im Rückpendel sahen die Päpste in den revolutionären modernen Parteien und ihren Anhängern Feinde. Die Römische Kirche suchte ihr Heil politisch in der Restauration mit konservativen Staaten und ideologisch im Bund mit reaktionären Kräften.
• Pius VII. (1742, 1800–1823) ist in den Napoleonischen Stürmen über Europa zu diplomatischer Klugheit gezwungen; das Papsttum wird für seine Festigkeit als moralische Autorität auf dem Wiener Kongress (1815) belohnt.
• Gregor XVI. jedoch (1765, 1831–1846) holt zum Rundumschlag gegen die Moderne aus. In seiner ersten Enzyklika, »Mirari vos« von 1832, klagt er über »die Verwirrungen in Kirche und Staat«, »schlimm ist die Zeit für den Glauben«, und verurteilt nicht nur religionsfeindliche neue Ideologien, sondern auch »unrechte, dreiste Wissenschaften und zügellose Freiheit«, verdammt mit der Buchdruckerkunst auch Presse- und Meinungsfreiheit. Eine Kriegserklärung an die vorwärtsdrängenden Kräfte Europas, verzweifelte Wehr gegen den gewaltigen Strom des Zeitgeistes.
• Pius IX. (1792, 1846–1878) setzt noch mehrere drauf. Mit dem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens (1854), mit dem »Syllabus« von 1864, einer Zusammenfassung aller – nach seinem Verständnis – Zeitirrtümer, mit der Erklärung des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) über die päpstliche Unfehlbarkeit, mit dem Verbot an die italienischen Katholiken, sich im neuen einigen Königreich politisch zu betätigen, ruft er den offenen »Kulturkampf« aus, den Großen Krieg zwischen Kulturen, der religiösen und der »liberalen«. Der kirchliche Kreuzzug fand seine Gegner.
Da war es ein probates Kriegsmittel, den »Fall Galilei«, der bekannt war und immer bekannter wurde, aus den Archiven zu holen und zum Skandal hochzutreiben. Hier war offensichtlich: Die Römische Kirche konnte als wissenschaftsfremd, fortschrittsfeindlich und bibel-töricht beiseitegeschoben werden. Am Nasenring der Inquisitionserklärung – sie dreht sich nicht, die Erde – konnte man die Kirche durch die Manege ziehen.
Mit dieser Alternative war der Kulturkampf kulturell für die Kirche verloren. Politisch fand man Kompromisse, weil die Katholiken Bürger der Staaten waren und immer noch eine »Volkskirche« bildeten. Diese suchte Pius X. (1835, 1903–1914) zu festigen. Mit Geschick. Auch indem er die Ambivalenz der Moderne aufwies und deren menschliche Verlierer, die mit dem Fortschritt Nicht-Mitgekommenen, umwarb. Er wandte sich gegen das Eindringen des »Modernismus« in die Kirche, zwar mit überholten Mitteln, doch nicht ohne Erfolg. Für die Bibelauslegung – mit einer eigenen vatikanischen Kommission – erließ er Bestimmungen, die hinter den historischen Erkenntnissen zurückblieben und den Ruf der Römischen Theologie weiter herabsetzten. Die Römische Kirche unter den Päpsten hielt durch und wuchs, weil in Europa die Moderne durch Kriege und Wahnsinnsideologien in Trümmer ging.
Der »Skandal Galilei« verschärfte sich, weil die Gegner nicht lockerließen. Pius XII. (1876, 1939–1958) beauftragte zum 300. Todestag Galileis, 1942, durch die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, den italienischen Kirchenhistoriker und Priester Pio Paschini, den »Fall Galilei« noch einmal gründlich zu erforschen. Als die Arbeit vorlag, erschien ihre Veröffentlichung dem Papst und führenden Kurialen peinlich, blamabel, bestenfalls unnötig; warum sollten sie sich in Rom selbst bloßstellen. Erst die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) waren dazu bereit. In der Pastoralkonstitution »Gaudium et Spes« (»Freude und Hoffnung«) schrieben sie: »Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft.« Damit jedermann wusste, dass vor allem der »Fall Galilei« gemeint war, ehrten sie Paschini und sein 1964 im Vatikan erschienenes zweibändiges Werk, »Vita e opere di Galileo Galilei«, durch eine Fußnote. Immerhin. Die Progressiven beklagten damals noch die Mentalität der Konservativen, die nicht die Schuld der Kirche eingestehen wollten und die Wahrheit scheuten.
Aber um die historischen Tatsachen ging es längst nicht mehr. Sondern darum, ob die Gegenkräfte der Kirche den »Skandal Galilei« wachhalten wollten. Auch noch in einer Zeit, die wissenschaftlich längst – spätestens seit der Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) – über die Heliozentrik hinausgewachsen ist, weil überhaupt kein Zentrum des Universums mehr angenommen werden kann. Johannes Paul II. (1920, 1978–2005) entschloss sich (1979, zum 100. Geburtstag von Einstein!), noch einmal eine noch gründlichere Untersuchung anzuordnen und 1992, zum 350. Todestag Galileis, höchstamtlich eine förmliche Rehabilitierung Galileis auszusprechen.
Darin heißt es zusammenfassend: »Ausgehend vom Zeitalter der Aufklärung bis in unsere Tage, hat der Fall Galilei eine Art Mythos gebildet, in dem das dargelegte Bild der Ereignisse von der Wirklichkeit weit entfernt war. In dieser Perspektive war dann der Fall Galilei zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche oder des dogmatischen ›Obskurantentums‹ gegen die freie Erforschung der Wahrheit geworden. Dieser Mythos hat in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt und dazu beigetragen, zahlreiche Männer der Wissenschaft in gutem Glauben denken zu lassen, der Geist der Wissenschaft und ihre Ethik der Forschung auf der einen Seite sei mit dem christlichen Glauben auf der anderen Seite unvereinbar. Ein tragisches gegenseitiges Unverständnis wurde als Folge eines grundsätzlichen Gegensatzes von Wissen und Glauben hingestellt. Die durch die jüngeren historischen Forschungen erbrachten Klärungen gestatten uns nun die Feststellung, dass dieses schmerzliche Missverständnis inzwischen der Vergangenheit angehört.«
Da kann man nicht so sicher sein. Gewiss, die Römische Kirche hat ihren Ur-Irrtum eingesehen, bereut und eingestanden. Wie schon Galilei 1613 in einem Brief (an Benedetto Castelli) schreibt: »Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren.« Da sind die christlichen Kirchen nun vorsichtig. Was der kundige Jesuiten-Kardinal Roberto Bellarmino (1542–1621) schon 1615 (Brief an R. A. Foscarini) wünschte. Was fundamentalistischen Religionsführern wohl noch bevorsteht. Was Kardinal Ratzinger, den Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation, im März 2000 zum feierlichen Schuldeingeständnis für seine Inquisitionsbehörde bewog, »dass auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen«.
Aber letztlich geht es im »Skandal Galilei« darum, wer die Erklärung der Welt und ihrer Daseinsgründe mit Autorität für sich beanspruchen darf. Das ging 1633 der Römischen Kirche daneben. Joseph Ratzinger versuchte verschiedentlich als Kardinalstheologe diesen Anspruch der Kirche sogar mit Berufung auf die Philosophen Ernst Bloch und Paul Feyerabend auch im »Fall Galilei« zu retten. Das wollten ihm als Papst jene nicht durchgehen lassen, die sich dem Anspruch der Kirche durch Skandalisierung widersetzen. So protestierten noch im Januar 2008 Professoren und Studenten der römischen Universität »Sapienza«, von Päpsten gegründet (1303), gegen eine geplante Vorlesung des Papstes.
Benedikt XVI. sagte seinen Besuch ab. Er schickte den Protestierern jedoch seine – nicht gehaltene – Rede. Darin erkennt er ein für allemal die Unabhängigkeit der Universität, von Wissenschaft und Forschung an, in jedem politischen Regime, von jedweder Obrigkeit: »In ihrer Freiheit von politischen und kirchlichen Autoritäten kommt der Universität ihre besondere Funktion gerade auch für die moderne Gesellschaft zu, die einer solchen Institution bedarf.« Er entschuldigt sich noch einmal, definitiv: »Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute.« Und er fordert einen »neuen Humanismus für das dritte Jahrtausend«, der jedoch »die Weisheit der großen religiösen Traditionen als Realität zur Geltung zu bringen« müsse; man dürfe sie nicht »im Namen einer säkularistisch verhärteten Rationalität« und werde sie »nicht ungestraft in den Papierkorb der Ideengeschichte werfen«.
So ist es wohl. Damit könnte auch der »Skandal Galilei« zu den Akten gelegt werden. Denn der »Fall« ist es längst. Doch Galileo Galilei bleibt auch 450 Jahre nach seiner Geburt die unverdrängbare Freiheitsstatue der Menschheit, als Mahnung an jede politische und religiöse Obrigkeit, dass die Wahrheit sich nie unterdrücken lässt.
Heinz-Joachim Fischer
Der Dialog Galileis über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme darf als eines der merkwürdigsten Bücher bezeichnet werden, die je geschrieben worden: einerseits um der tragischen Schicksale willen, die es über seinen Verfasser heraufbeschwor, andererseits und vornehmlich aber wegen seines in anziehendster Form gebotenen Inhalts. Das hauptsächliche, aber keineswegs einzige Interesse des Buches liegt darin, dass es in greifbarer Anschaulichkeit die Berührung moderner Wissenschaft mit scholastischer Naturphilosophie und die daraus sich ergebenden Reaktionen dem Leser enthüllt. Wie dem Geologen die Kontaktstellen verschiedenartiger Gesteine und die dort eintretenden Umwandlungen der Gesteinsnatur das Verständnis der Erdgeschichte ermöglichen, so ist Galileis Buch für den Kulturhistoriker ein Schlüssel zur Erfassung des Umschwungs in der Weltanschauung. Aus ihm kann er ermessen, was es heißt, eine neue Idee wie die kopernikanische für weite Kreise fasslich und mundgerecht zu machen. Es kommt aber in dem Buche keineswegs bloß die Frage der beiden Weltsysteme zur Sprache, es handelt sich mehr noch um die ganze Methode wissenschaftlicher Forschung. Diese sollte von nun ab anscheinend bescheidener, in Wahrheit aber mühevoller und fruchtbarer sein; sie glaubt nicht mehr, alles wissen zu können oder gar schon zu wissen, sie übernimmt vielmehr die schwere Aufgabe, in scheinbar geringfügigen Indizien, in alltäglichen und dennoch unbeachteten Erscheinungen die Spuren folgenschwerer Gesetze zu finden. Das Buch Galileis belehrte seine Zeitgenossen – und diese Belehrung dürfte auch heute für weite und einflussreiche Kreise noch nicht überflüssig geworden sein –, dass nicht in logisch geschultem Denken und in einer Anzahl von fertigen Formeln das Wesen der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Erziehung sich erschöpft, dass vielmehr die unendlich viel schwierigere Kunst, durch Beobachtung und Versuche den Tatsachen Rechnung zu tragen, das Hauptmittel der Erkenntnis ist.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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