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Wenn Gotthilf, das wasserscheue Zwergnilpferd, und die anhänglichen Kaiserpinguine nicht wären, hätte Tierpflegerin Rosi sicher schon längst gekündigt. Denn der neue Direktor scheint ein ganz harter Hund zu sein, der selbst davor nicht zurückschreckt, ihre Giraffen nach China zu verkaufen, um Geld zu machen. Zu allem Überfluss ist sie mit dem leider höllisch attraktiven Mann auch noch im Bett gelandet – das war allerdings, bevor sie wusste, dass er ihr Chef werden würde. Dabei ist Rosi wirklich keine Frau, die sich die Männer nimmt, wie sie kommen, auch wenn die Avancen des zwielichtigen René Weiner ihr durchaus schmeicheln. Dafür haben ihre Freundinnen stets einen guten Rat parat, besonders Polizistin Carla, die bis Ende des Jahres verheiratet sein will und zu diesem Zweck nicht einmal vor schwarzer Magie zurückschreckt. Vielleicht hilft die ja auch gegen den Bankrott des Zoos? Aber bald erkennt Rosi, dass man bestimmte Probleme nur mit realistischer Planung lösen kann, auch die privaten. Und so werden zwei ziemlich dicke Möpse zu zwei ziemlich dicken Glücksboten ...
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Seitenzahl: 325
Veröffentlichungsjahr: 2009
Ruth Moschner
Dicke Möpse
Roman
«Du hast was??!» Meine Mitbewohnerin Carla zieht ihre linke Augenbraue nach oben und blickt mir streng in die völlig übermüdeten Augen. In diesen Momenten erinnert sie mich immer an meine Mutter. Die beiden sehen sich nicht mal im Ansatz ähnlich. Aber Carla ist zur Hälfte Italienerin, und die haben bekanntermaßen eine mütterliche Ausstrahlung. Insbesondere, wenn man ihnen Grund zur Sorge gegeben hat. «Wo in aller Welt hast du gesteckt? Ich höre seit zwei Stunden den Polizeifunk ab!», ruft sie und wirft dabei dramatisch die Arme in die Höhe. Carla hat aus beruflichen Gründen hervorragende Verbindungen zur Exekutive. Sie sitzt quasi an der Quelle, wenn es um die Einhaltung der Vorschriften und das Verfolgen von Verbrechen jeglicher Art geht.
Das hier ist aber nun wirklich übertrieben. Als Polizistin hat sie keinen Grund, mich zu bestrafen. Als Freundin eventuell. Wobei mir an dieser Stelle einfällt, dass Freundinnen strenger sein können als Mütter und Polizisten zusammen. Insbesondere, wenn die beste Freundin gleichzeitig auch noch die Mitbewohnerin und ganze drei Jahre älter ist! Hier hilft nur dasselbe wie bei Glucken-Müttern, die nicht loslassen können: frühzeitige und entschlossene Emanzipation. Es ist doch so: Freundinnen und Mütter wollen immer nur unser Bestes. Und das ist genau das Problem.
«Carlina, ich bin seit über sechzehn Jahren volljährig, da ist es ja wohl völlig legitim, ausnahmsweise einmal morgens früh um neun nach Hause zu kommen», antworte ich trotzig und will so schnell wie möglich dem Ruf meines Bettchens folgen. Immerhin habe ich durch die vergangene Nacht ein Schlafdefizit auszugleichen.
«Rose-Maria Jakob!» Die linke Augenbraue meiner bezaubernden Aufseherin und Mitbewohnerin hat nun fast ihren dunkelbraunen Haaransatz erreicht.
«Ja, Frau Oberfeldwebel?» Leicht genervt drehe ich mich zu ihr um. Wir teilen uns seit vier Jahren eine wunderbare Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg, zweites Obergeschoss, Parkett, Wohnküche und Gästeklo, übrigens ein Muss, wenn drei Frauen auf einem Haufen wohnen. Man bekommt in einer WG ohnehin schon zu viel vom anderen mit. Deswegen wundert mich Carlas Verhör auch etwas. Eigentlich müsste sie doch schon längst wissen, womit ich mir bis vor einer halben Stunde die Zeit vertrieben habe, und ich hoffe inständig, dass sie mich nicht zwingt, ihr alles haarklein zu schildern. Carla wurde aus besagten verwandtschaftlichen Gründen streng katholisch erzogen und hat, was Männergeschichten angeht, ihre genauen Vorstellungen: Zuerst kommt der Traummann, dann die Ehe und dann ganz viele Bambini. Davon können sie selbst ihre 37Lenze nicht abbringen. Ich bewundere sie dafür. Immerhin hat sie ihren Mann, ihre erste Liebe, nach dreizehn Jahren Beziehung verlassen, weil sie plötzlich merkte, dass sie völlig unterschiedliche Vorstellungen vom Leben hatten. Man stelle sich das einmal vor: dreizehn Jahre und dann von heute auf morgen aus und vorbei. Da muss man erst einmal die Angst wegstecken: Was, wenn da nichts mehr kommt? Carla schafft das und bleibt seitdem ihrer Linie treu. Problemlos. Vielleicht leidet die Gute auch einfach nur an gnädiger Taubheit, was das Ticken ihrer biologischen Uhr angeht.
Apropos Ticken. Gerade sinkt mein Alkoholpegel in einem Affentempo gegen null, was nicht nur unerträgliche Kopfschmerzen auslöst, sondern auch ein klebrig-zähes Gefühl von Peinlichkeit und den bitteren Nachgeschmack hemmungsloser Genüsse hervorbringt. Was für eine Nacht! Was für ein Mann! Was habe ich da bloß getan? Leider kann ich mich an fast jedes noch so winzige schmutzige Detail erinnern, und davon gab es viele. Alkoholgenuss sorgt bei mir nur für den Abbau der Hemmschwelle, aber nicht für Demenz. Ist mir das peinlich! Aber wahrscheinlich ist so eine Reaktion ganz normal bei jemandem wie mir. Wie Muskelkater nach zu viel Fitness, wenn man zuvor nie was getan hat.
Ich bin nicht nur im Sport eine Niete, sondern auch auf dem gewissen anderen Gebiet völlig aus dem Training. Ansonsten bin ich 34Jahre alt und gehe einem geregelten Job als Tierpflegerin nach.
Normale Menschen meines Alters würden in diesem Fall sicher ihre Freiheit in vollen Zügen genießen. Schließlich kann ich, mal abgesehen von meinem Dienstplan, tun und lassen, was ich will. Ich habe keinerlei Verpflichtungen. Ich könnte splitterfasernackt in einer Diskothek auf den Boxen tanzen oder eine politische Botschaft auf die Mauer gegenüber unserem Kassenhäuschen sprühen. Könnte ich wirklich. Mache ich aber nicht, denn alle Entscheidungen gehen immer zuerst in die Analyseabteilung meines Gehirns. Dort sitzt ein leicht angegrauter Buchhalter mit dicker Hornbrille und rechnet mir bei meinen seltenen übermütigen Gedanken die statistische Wahrscheinlichkeit aus, nach der mein Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Und er rechnet sehr konservativ.
«Nun setz dich doch, Frollein, und erzähl endlich, was los war!» Carla mustert mich genau. Ihr strafender Blick kann eine gewisse Neugierde nicht verbergen. Sie gießt mir heißen Kaffee ein und bedeutet mir mit einem Wink, mich an unseren großen Küchentisch zu setzen. Dann schiebt sie mir mütterlich und fürsorglich die Tasse hinüber. Das ist dann doch der Vorteil, wenn man mit einer Südländerin befreundet ist. Die Schlechte-Laune-Wolken verziehen sich schneller, als man bis fünf zählen kann. Vielleicht lässt sie ja Gnade vor Recht ergehen, die gute Carla, wenn ich ihr jetzt doch alles erzähle. Ich seufze und fange an: «Ich habe gestern Abend jemanden kennengelernt.» Ich suche noch nach Worten, um den Verlauf der Geschichte in die richtige Reihenfolge zu bringen, da platzt es aus Carla bereits vorwurfsvoll heraus: «Ha! Du hattest Sex! Ich wusste es!»
Woran hat sie das denn jetzt erkannt? Trage ich meine Hose linksherum, oder liegt es an meiner Bettfrisur? Plötzlich fühle ich mich noch unwohler. Ich habe auf dem Gebiet der geschlechtlichen Begegnungen in den letzten Jahren auf angebotsbedingter Sparflamme gelebt. Ärztlich verordnete Massagetermine ausgenommen, hatte ich bis auf viereinhalb verzweifelte Versuche meines Exfreundes Ralph, unsere Beziehung wieder zum Leben zu erwecken, keinerlei Körperkontakt zum anderen Geschlecht. Viereinhalb deshalb, weil wir beim letzten Mal beide stockbesoffen waren, das Vorspiel wegließen und der Akt an sich fast keiner war. Um es konkret zu sagen: Nachdem Ralph zwei Minuten lang auf mir herumgerobbt war, brach er erschöpft zusammen und schlief auf der Stelle ein. Der Vorteil an Sex mit dem Ex ist ja eigentlich, dass man ohne Umschweife und Vorträge über weibliche Anatomie zum Zug kommt. Peinliche Baggersprüche, wie «Dein Vater muss ein Dieb sein, denn er hat die Sterne vom Himmel gestohlen und sie in deine Augen gepflanzt» bleiben einem erspart. Ein weiteres Plus ist, dass man den Partner schon vor Jahren in den eigenen Körper eingewiesen hat. Er weiß, wo sich die wichtigen Stellen befinden. Die Nachteile sind allerdings die Gründe, aus denen man sich bereits vor Jahren in gegenseitigem Einvernehmen getrennt hat. Aber darüber habe ich jene vier Komma fünf Male tolerant hinweggesehen, um dann vor knapp zehn Monaten endgültig ein Ei drüberzuschlagen. Seitdem herrscht bei mir absolute Funkstille zum Planeten Mars. Der Männermarkt ist derzeit aber auch völlig leergefegt. Die meisten sind vergeben und wollen nur ein Abenteuer. Oder sie sind komplett beziehungsunfähig, so wie mein Exfreund eben. Und One-Night-Stands sind eigentlich auch nicht mein Ding. Komischerweise kann man sich die sexuellen Bedürfnisse viel leichter abgewöhnen als Süßigkeiten. Je schlechter das Angebot, desto weniger Lust habe ich auf Sex. Bei Schokolade und Gummibärchen verhält sich das genau andersherum. Meiner Meinung nach müsste es Schokolade sowieso auf Rezept geben.
Aber gestern Abend habe ich doch tatsächlich Sex gehabt. Leider werde ich jetzt immer nüchterner, und desto nüchterner wird auch meine innere Einstellung zu «der Sache». Nicht, dass es schlecht war, aber Sex ohne Gefühl ist so, als würde man die Erdbeeren ohne Sahne essen. Das ist schön, aber nicht so phantastisch, dass man sich in schwachen Momenten gerne zurückerinnert. Dabei hatte der Abend so gut begonnen.
«Du weißt doch, dass ich gestern Abend mit Melanie aus war.» Melanie ist meine andere Mitbewohnerin. Sie wohnt erst seit ein paar Monaten bei uns und ist kesse neunundzwanzig Jahre alt. Als Stewardess ist sie so gut wie immer unterwegs. Das ist auch einer der Gründe, aus denen wir sie unter den Bewerberinnen für das leere Zimmer ausgewählt haben. Zuerst dachten wir ja, sie sei eine von der überheblichen Sorte, denn immerhin sieht sie toll aus, ich würde sagen, glatte 8,5 von 10Punkten. Mindestens. Dank ihres Aussehens und ihres Jobs als Flugbegleiterin muss sie sich über mangelnde Angebote von adäquaten Zielpersonen keine Sorgen machen. Von Dauerflirterinnen wie Mel kann unsereiner noch etwas lernen, dachte ich also bei mir und zog mit Mel um die Häuser.
«Da ist uns schon zu Beginn ein Typ aufgefallen, der ganz alleine an der Bar saß. Dunkelblonde Haare, strahlende Augen, sportliche Statur: Kurz, nach langer Zeit mal wieder jemand, den ich richtig niedlich fand. Von weitem zumindest.»
«Ja, und dann? Habt ihr ihn angequatscht?» Carla stoppt ihre Tasse kurz vorm Mund und vergisst vor lauter Spannung, einen Schluck zu nehmen. Sie guckt, als sei ich eine fleischgewordene Seifenoper. Ich koste den Spannungsmoment kurz aus und fahre dann fort.
«Wir sitzen also an unserem Tisch und trinken Zombies, da schießt Melanie plötzlich wie von der Tarantel gestochen nach oben und verabschiedet sich. Sie hatte ganz vergessen, dass sie den frühen Charterflug nach Gran Canaria aufgedrückt bekommen hatte. Ich hatte mir aber gerade noch einen Cocktail bestellt und wollte noch nicht nach Hause. Melanie schlug mir vor, ich könne mich doch zu dem Typen an die Bar setzen. Das war ein Scherz, Melanie weiß ja, dass ich keine Typen anquatsche, auch nicht mit Zombies im Bauch.»
Mein Schädel fängt bei dem Wort «Zombie» wieder an zu dröhnen, als ob eine Elefantenherde hindurchmarschiert.
«Jetzt sag bloß? Du hast doch nicht etwa…? Du hast dich getraut, den Typen anzuquatschen!!!?» Carla und ich vertreten im Gegensatz zu Melanie den strikten Glauben an die wahre Liebe und nicht an das schnelle Vergnügen. Immerhin wollen wir beide mal Kinder, und die brauchen eine solide harmonische Basis und keinen Vaterschaftstest bei Olli Geissen. Leider ist Carla mit ihrer Strategie genauso erfolglos wie ich. Sie klammert, lässt keinerlei Freiheiten und ist zu eifersüchtig, heißt es von der gegnerischen Seite. Es ist doch zum Heulen, aber die beste Methode, einen Kerl an sich zu binden, ist immer noch ein Tritt in seinen Allerwertesten. Auf Dauer ist mir das allerdings zu anstrengend.
«Du bist einfach nicht der Typ Frau, die sich die Kerle nimmt, wie sie kommen.»
Automatisch muss ich nicken, Carla hat recht, trotzdem sollten wir zugeben, dass der Erfolg unserer Strategie bisher leider ausgeblieben ist. Gestern Nacht habe ich deshalb meinen Kopf-Diktator ausgetrickst. Nach dem dritten Zombie war er ausgeknockt, und ich verwandelte mich in eine Flirtbiene.
«Ich bin einfach hin und hab ein Gespräch angefangen», sage ich und versuche, das ganz selbstverständlich klingen zu lassen. Was es natürlich nicht war. Um ehrlich zu sein, hatte ich eher Glück im Unglück. Ich hatte zwar tatsächlich vor, mein «Opfer» anzusprechen. Ich wollte mein Leben selbst in die Hand nehmen. Schluss mit der ewigen Passivität! Also stürzte ich den Rest meines Drinks auf Ex hinunter, um mir Mut anzutrinken. Doch leider bekam ich davon einen so fürchterlichen Schluckauf, dass ich mich erst einmal wieder hinsetzen musste. Eine gute Idee, schließlich hatte ich noch immer keinen Schlachtplan.
Ich bestellte noch einen Cocktail, um etwas in der Hand zu halten, dachte an zehn Glatzköpfe, um den Schluckauf loszuwerden, und steuerte dann so zielsicher, wie es mit geschätzten 1,6Promille eben geht, in Richtung Traummann. Ich war knapp hinter ihm und fixierte gerade seinen extrem niedlichen Haaransatz im Nacken, als er sich plötzlich mit Schwung umdrehte. Vor lauter Schreck goss ich mir den kompletten Inhalt meines Glases übers Kleid. Da stand ich nun, klitschnass und mit einer Cocktailkirsche garniert. In meinem Ausschnitt steckte ein grün-gelbes Papierschirmchen. Nach der ersten Schrecksekunde bekam ich einen minutenlangen Lachanfall, in den er mit einstimmte. Etwa eine Stunde später zeigte mir Andreas die Aussicht auf seine Zimmerdecke.
«Meine Güte, was für eine Nacht. Unglaublich! Sensationell! Mir vibrieren immer noch die Schenkel. Es war einfach nur großartig. Nicht wie die letzten Male mit Ralph, der nachher immer über die Zukunft diskutieren wollte. Carla, ich kann dir sagen: Ich fühle mich, als hätte ich nach monatelanger Diät einen kompletten Karton Vollmilch-Nuss-Schokolade verschlungen. Das Problem ist nur, je mehr Zeit vergeht, desto schlechter fühle ich mich.»
«Siehst du. Das kommt davon, wenn man sich gleich vom Nächstbesten flachlegen lässt. Wolltest du dich nicht eigentlich mal wieder verlieben? Du weißt doch, wie Männer sind. Wenn du ihnen gleich gibst, was sie wollen…» Carla macht eine eindeutige Geste, denn sie ist eigentlich nicht verklemmt. Aber Derartiges kann sie sich für sich selbst nicht vorstellen. Doch wenn ihr der Mann ihres Lebens den Antrag so macht, wie sie ihn sich bereits zu Schulzeiten ausgemalt hat, wäre sie sogar bereit, ihren Job aufzugeben. Man muss eben Opfer bringen im Leben.
«…jedenfalls, SO kriegst du nie einen Mann.»
«Ja, ich weiß doch, Carla. Es lag am Alkohol. Wenn ich ehrlich bin, würde ich am liebsten die Zeit zurückdrehen. Der Typ war süß, und ich habe ein schlechtes Gewissen», sage ich kleinlaut. Trotz der sensationellen Nacht: Diese Sache habe ich eindeutig verbockt. So viel ist sicher.
«Na ja, du musst deswegen ja nicht gleich ins Kloster. Eine Dusche und etwas Schlaf werden ausreichen. So schlimm ist es nun auch wieder nicht, es sei denn, du gehst jetzt jedes Wochenende auf Tour.» Carla gießt uns noch etwas Kaffee nach.
«Nein, das ist es nicht. Lass mich mal ausreden. Nach der dritten Nummer, ja, du hast richtig gehört, der Typ hatte echt Stehvermögen, sind wir dann weggedöst. Als ich ein paar Stunden später wieder aufwachte, lagen wir eng aneinandergekuschelt auf seinem Bett, und er streichelte mich im Halbschlaf zärtlich. Zuerst habe ich es genossen, aber dann bekam ich plötzlich Panik. Für so etwas bin ich anfällig.»
«Du hast dich still und heimlich aus dem Staub gemacht!», unterbricht mich Carla.
«Genau! Du hast ja selber gesagt, solchen Typen kann man nicht über den Weg trauen, insbesondere, wenn sie das, was sie wollen, schon bekommen haben», entgegne ich eifrig.
«Hast du ihm denn wenigstens deine Telefonnummer dagelassen?»
«Bist du wahnsinnig? Ich kenne den Typen doch kaum, wer weiß, vielleicht ist das einer von der nervigen Sorte. Ich sag dir, Carla, das war eine einmalige Erfahrung, und ich werde ihn nie wiedersehen. Ab sofort werde ich mich voll und ganz auf die Jagd nach dem Mann meiner Träume machen. Und zwar ohne Ausrutscher, auch wenn er noch so süße Grübchen überm Po hat!»
«Er hat Grübchen über dem Hintern?» Carla kichert und schaut mich irgendwie anerkennend an. So ganz konsequent ist sie eben auch nicht. Zumindest in der Phantasie gönnt sie sich den ein oder anderen Ausrutscher.
Ich stehe auf und stelle meine Tasse in die Spüle. «Ich muss erst um zwölf im Zoo sein, ich habe Spätdienst», sage ich und will mich gerade in mein Schlafzimmer begeben, als mein Telefon läutet. Ich melde mich mit etwas kratziger Stimme. Ich muss wirklich dringend ins Bett.
«Rosi, wo bleibste denn, es ist schon fast zehn!», quäkt es am anderen Ende der Leitung. Es ist Stefan Mutzenberg, einer meiner Kollegen im Zoo.
«Ich habe heute erst um zwölf Dienst, schau doch mal auf den Plan, bevor du hier einen Zwergenaufstand machst!», entgegne ich wütend. Stefan und ich können uns nicht leiden, weil er ein intriganter hinterhältiger Mistkerl ist. Außerdem näselt er wie Martin Semmelrogge. Ständig versucht er, mich auszubooten. Er hat genau wie ich an der FU Berlin Veterinärmedizin studiert. Wir haben sogar gleichzeitig unser Studium abgebrochen, im letzten Semester. Er, weil er ständig durch die Prüfungen gefallen ist, bei mir waren es finanzielle Gründe: Mein bester Freund Jens, BWLler aus Leidenschaft, rechnete mir damals den Kosten-Nutzen-Faktor einer eigenen Tierarztpraxis vor. Ohne Vitamin B und ein dickes Geldpolster stehen die Chancen dafür nämlich genauso schlecht, wie mit Cellulitecreme seine Orangenhaut loszuwerden: gleich null. Oder man landet in irgendeiner Praxis im tiefsten Brandenburg, wo man tagein, tagaus bis zur Schulter im Hinterteil von gebärenden Kühen steckt. Da man mir zu der Zeit eine Vollzeitstelle als Tierpflegerin im Zoo angeboten hatte, habe ich mich exmatrikuliert und bin seitdem Festangestellte im Willbert-Zoo, der einem privaten Investor aus Holland gehört. Ich liebe diesen Job und bereue meine Entscheidung, dort anzuheuern, keinen Tag. Ich arbeite mit Tieren und darf unserem Doktor zwischendurch assistieren. Nur Kollege Stefan nervt. Ständig versucht er, mich bei Doktor Nachtnebel schlechtzumachen. Wahrscheinlich träumt er immer noch den Traum, Tierdoktor zu werden. Das wird wohl immer ein Traum bleiben, denn die Tiere mögen ihn ebenso wenig wie ich und lassen ihn ungern an sich heran. Es sei denn, sie sind suizidgefährdet. So etwas gibt es nämlich auch bei Tieren.
«Stefan, wo brennt’s denn? Wollen die Tiere wieder kein Futter von dir nehmen?», feixe ich in den Telefonhörer.
«Sehr witzisch, Rosi. Ick wollt nur sagen, dett unsa Chef, unsa neua, in zwee Minuten da is und wir alle uns bereits versammelt haben, um ihn zu begrüßen.»
«Oh… so ein Mist! Das habe ich ja komplett vergessen!» Der «Neue» fängt heute bei uns an. Na super, Frau Jakob. Das haben Sie ja mal wieder prima hingekriegt. Gleich zu Beginn einen unzuverlässigen Eindruck hinterlassen. Ganz toll.
«K… k… kannst du mich bitte entschuldigen? Ich bin in zwanzig Minuten da», stammele ich hastig.
«Wieso icke?» Stefan, die Pestbeule, scheint die Situation zu genießen.
«Bitte, lass dir was einfallen. Ich flehe dich an. Ich beeile mich auch!» Während ich noch ins Telefon säusele, flitze ich bereits in mein Zimmer und krame meinen Overall heraus. Beigefarben mit unserem roten Logo auf dem Rücken. «Willbert-Zoo-Personal» steht in großen Lettern darauf. Praktisch, zweckmäßig und unwahrscheinlich kleidsam. Lehnt man sich damit an eine dreckige Hauswand, verschmelzen Anzug, Gesicht und Mauer zu einer einzigen Masse. Als hätte David Copperfield höchstpersönlich unsere Outfits entworfen.
«Und was hab ick davon?», bellt Stefan am Ende der Leitung, während ich meine Arbeitskleidung und frische Socken anziehe.
«Sag einfach, ich stecke im Stau und bin gleich da. Ich miste dafür auch zweimal bei Kurt, Dagmar und Gotthilf für dich aus!» Das wird er sich nicht entgehen lassen. Keiner putzt gerne bei unseren Zwerg-Nilpferden, seit Baby Gotthilf da ist. Unsere pummeligen Flussfreunde sind seitdem hysterisch und betreiben verstärkt Defäkation. Das bedeutet: Sie markieren ihr Revier mit großen Kothaufen, die andere davon abhalten sollen, in ihre Nähe zu kommen. Manchmal werfen sie auch damit. Da wir ein Zoo sind, der sich vorwiegend über die Eintrittsgelder unserer Besucher finanziert, ist das nicht unbedingt gewinnfördernd. Das Leben ist ungerecht. Schließlich habe auch ich mit einem großen Haufen Mist zu kämpfen, und trotzdem lässt man mich deswegen nicht in Ruhe.
«Dreimal, aber ick werd nich für dich lüjen. Ick sach einfach, du verspätest dir. Aber wennse nachfragen, biste jelackmeiert! Denn sach ick die Wahrheit, und zwar, dasste vapennt hast!»
«Wenn du nicht anders kannst, meinetwegen. Ich beeile mich.»
Wütend knalle ich den Hörer auf die Gabel und laufe in Windeseile ins Badezimmer. Fürs Duschen bleibt leider keine Zeit mehr, auch wenn ich den sündigen Geruch der letzten Nacht nur zu gerne abgespült hätte. Ich wasche schnell das Gesicht und fahre mir durch die langen blonden Haare. Mehr Aufwand würde meine Tiere sowieso nur verschrecken. Sie lieben mich so, wie ich bin: natürlich und immer mit einem Leckerbissen in der Tasche.
Fünfzehn Minuten später – absoluter neuer Spitzenrekord! – renne ich in einem Affenzahn den Kiesweg bis zum Verwaltungsgebäude hinunter, das grün und quadratisch am Rande unseres Geländes thront. Mit Schwung stoße ich die Tür zu unserem Konferenzraum auf, und noch im selben Moment pralle ich wie vom Nilpferd getreten zurück. Meine Kollegen sitzen brav in Reih und Glied nebeneinander und starren wie gebannt auf einen hochgewachsenen Mann, Mitte 30, mit dunkelblonden Haaren und strahlend grünen Augen namens Andreas. Andreas Tannenbach, um genau zu sein, aber so genau haben wir es gestern Nacht nicht genommen. Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrtmachen. Da aber alles in meine Richtung starrt, ist es wohl besser, etwas zu sagen. Ich möchte schließlich künftig nicht inkognito durch den Zoo laufen müssen.
«Bitte entschuldigt die Verspätung, das war vielleicht wieder ein Verkehrschaos heute Morgen…», murmele ich mit gesenktem Haupt und nehme auf einem der freien Stühle Platz.
Andreas lächelt mir zu und streckt mir seine Hand entgegen. Nur ein leichtes Zucken in seinen Mundwinkeln verrät, dass mein Auftritt ihn etwas aus seinem Konzept gebracht hat. Doch Andreas scheint sich schnell wieder zu fangen, denn er fährt mit seinem Vortrag fort.
«Nachdem nun auch Frau Jakob zu uns gefunden hat, fasse ich noch einmal kurz zusammen, was in nächster Zeit auf euch zukommt. Um den Umgang untereinander einfacher zu machen, bitte ich die Kollegen, mich mit du anzusprechen. Das schafft einen persönlicheren Ton, das kommt auch bei den Besuchern gut an. Im Übrigen liegt dem Willbert-Zoo durch meine guten Beziehungen nach China ein Angebot vor, das uns schnell aus unserem aktuellen finanziellen Engpass retten könnte: Die Chinesen haben großes Interesse an unserem Giraffen-Nachwuchs. Die Verträge liegen bereits vor, und ich bitte euch, mich umgehend zu informieren, wenn der Nachwuchs kommt.»
Auch das noch. Die Giraffen sind meine Aufgabe, weil Giraffen-Bulle Eric sein Herz an mich verloren hat. Ich bin die Einzige, von der er seine Karotten aus der Hand frisst. Alle anderen hält er auf Abstand, was bei einer Giraffe von vier Metern Höhe gemeinhin schnell akzeptiert wird. Zwar sind Giraffen recht friedliche Tiere, wer aber schon einmal gesehen hat, wie zwei Männchen aufeinander losgehen, während sie ihre langen Hälse herumschwingen, hält sich lieber ein bisschen fern. Zu mir ist Eric lammfromm, also im übertragenen Sinne natürlich. Schafe haben mit Giraffen etwa so viel gemeinsam wie mein Bankkonto mit dem von Donald Trump. Eric ist übrigens eine Thorncroft-Giraffe, die man in freier Wildbahn nur noch selten zu sehen bekommt, und einer der Gründe, warum ich nicht traurig bin, keine Tierärztin geworden zu sein. Jeder, der schon einmal eine Giraffe dabei erlebt hat, wie sie mit ihrer blauen Zunge behutsam die Möhren aus der Hand greift, weiß, wovon ich rede. Im letzten Jahr kauften uns die Holländer noch ein Weibchen dazu. Das Wunder war perfekt, als Eric und Lucinda, so haben wir die langhalsige Dame genannt, tatsächlich Gefühle füreinander entwickelten und sich schließlich paarten. Jetzt ist Lucinda hochschwanger und erwartet in wenigen Wochen Nachwuchs. Ich bin ja schon so aufgeregt! Natürlich hatte ich gehofft, wir könnten die kleine Giraffe erst einmal bei uns behalten.
«Wir können den Nachwuchs aber nicht gleich von der Mutter trennen. Kind und Mutter müssen mindestens eineinhalb Jahre zusammen verbringen, damit der Nachwuchs überlebensfähig bleibt», bemerke ich deshalb kritisch.
Andreas blickt mich ungläubig an, dann antwortet er mit arroganter Stimme:
«Liebe Rosi, es ist schön, dass du deinen Job ernst nimmst. Offenbar sorgst du dich um das Wohlergehen der Giraffen mehr als um deinen Arbeitsplatz. Nur zu deiner Beruhigung: Wir werden Mutter und Kind natürlich nicht voneinander trennen. Dass das nicht funktioniert, weiß ich auch. Die Chinesen haben sich bereit erklärt, beide Tiere, also Mutter und Kind, zu kaufen!»
«Aha. Das sind ja tolle Neuigkeiten. Und welche Tiere sollen sonst noch verscherbelt werden?», zische ich Erika Sonnebank zu, unserer Buchhalterin. Leider etwas zu laut, denn Andreas hat es offenbar gehört.
«Wenn der Deal glattgeht, wird der Zoo wirtschaftlich wesentlich besser dastehen, sodass ansonsten alles beim Alten bleiben kann. Vorerst», sagt Andreas in meine Richtung. Der Typ hat keinen blassen Schimmer, dass er es hier mit Lebewesen zu tun hat! Ich spüre, wie die Wut in meinem Bauch zu kochen beginnt. Man kann doch Tiere nicht verkaufen wie Pullover oder Apfelsinen!
«War es das?», frage ich ungeduldig, denn ich habe das dringende Bedürfnis, den Raum zu verlassen.
«Nein, wir sind noch nicht fertig. Ich würde gerne noch kurz unter vier Augen mit dir sprechen. Den anderen wünsche ich für die Zukunft eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wenn etwas anliegt, meldet euch bei mir. Ihr wisst ja, wo ich zu finden bin!»
Anerkennendes Klopfen ertönt. Während meine Kollegen, allen voran Stefan, mir vielsagende Blicke zuwerfen, weil sie annehmen, dass ich jetzt noch eine Standpauke wegen Zuspätkommens bekomme, verlassen sie nach und nach unser Besprechungszimmer, bis Andreas und ich allein sind. Er macht einen Schritt auf mich zu und rückt mir damit für meinen Geschmack etwas zu dicht auf die Pelle.
«Na, hat da jemand schlecht geschlafen die letzte Nacht? Um ehrlich zu sein, ich hätte dich ohne die ganze Kriegsbemalung fast nicht erkannt.» Er grinst mich herausfordernd an.
«Sehr witzig. Wenn ich gewusst hätte, welche Art von Typen sich in dieser Bar herumtreiben, wäre ich gar nicht erst reingegangen», entgegne ich trocken.
«Verstehe. Nun, wie ich aus deinem Verhalten unschwer erkennen kann, sind wir uns einig, dass wir den Vorfall von letzter Nacht für uns behalten. Ich werde das Ganze unter der Kategorie ‹nie passiert› in meinem Poesiealbum abheften.» Andreas klopft mir kumpelhaft auf die Schulter. Ich weiche reflexartig einen Schritt zurück.
«Danke, das sehe ich genauso. War es das? Ich hab noch einiges zu tun.»
«Das war es von meiner Seite. Ich hoffe, der kleine Zwischenfall wird unsere künftige Zusammenarbeit nicht unnötig belasten. Aber ich gehe davon aus, dass du das genauso professionell behandeln wirst wie ich», entgegnet er förmlich.
Wovon redet der? Professionell behandeln? Sex hat doch nichts mit Professionalität zu tun. Es sei denn, man geht ins Bordell. Ich hole tief Luft, um ihm erneut meine Meinung zu geigen, schlucke die Bemerkung aber dann doch besser runter. Wahrscheinlich leben wir einfach in zu unterschiedlichen Welten, und er würde meine Empörung sowieso nicht verstehen. Männer wie Andreas, eine Mischung aus gutem Aussehen und Arroganz, reißen sich doch jeden Abend was Neues zum Spielen auf. Frauen wie ich sollten um solche Typen besser einen großen Bogen machen. Sonst endet das Morgengrauen von heute nie. Mein bester Kumpel Jens sagt immer: «Kerle, die dich am ersten Abend ins Bett locken, kannst du getrost aus deiner Telefonliste streichen.» Nicht, dass Andreas mir seine Telefonnummer angeboten hätte, aber ich Idiot hatte doch kurzzeitig darüber nachgedacht, ihm meine zu hinterlassen. Was für ein Glück, dass ich es doch nicht getan habe. Ich nicke Andreas wortlos zu und verschwinde in Richtung Nilpferdgehege, schließlich muss ich vor meiner eigentlichen Arbeit auch noch Stefans Job erledigen.
Ich stapfe mit knirschenden Zähnen den breiten Kiesweg zu unserer Hippo-Familie hinauf und versuche krampfhaft, mich zu beruhigen. Was bildet sich dieser Schnösel eigentlich ein? Gerade angefangen und schon austeilen! Was denkt er eigentlich, wer er ist? Und außerdem, was soll das eigentlich heißen: Er hätte mich ohne die ganze Kriegsbemalung nicht erkannt? Gut, ich sehe heute etwas verschlafen aus, aber ich kann mich auch ungeschminkt durchaus auf die Straße wagen. Amateur. Wahrscheinlich war er völlig schockiert, dass er mal eine Frau außerhalb seines «50-5-null»-Beuteschemas aufgerissen hat: 50Kilogramm Körpergewicht, fünf Kilo Make-up und null Gehirn. Meinetwegen kann er künftig gerne wieder mit einer dauergewellten Frisöse mit Modelfigur ausgehen, die ihm jeden Abend die Horsd’œuvres auf ihrem nackten Körper serviert, nachdem sie vorher im Lexikon nachgeschlagen hat, was Horsd’œuvre bedeutet. Und den Schampus dazu können die beiden ja aus ihren hohlen Schädeln schlürfen.
Ich muss dringend mit dem Trinken aufhören, sonst falle ich womöglich noch einmal auf so einen aufgeblasenen Schnösel herein. Vielleicht ist er sogar verheiratet und wollte sich einfach mal mit einem wohlgeformten Vollweib vergnügen? Voller Elan schnappe ich mir die Mistgabel und beginne, das schmutzige Stroh aus dem Nilpferdhaus aufzuspießen und gegen frisches auszutauschen. Ein Knochenjob.
Vielleicht sollte ich doch reich heiraten und das Berufsleben an den Nagel hängen. Ich könnte mir meinen persönlichen Privatzoo zu Hause in meiner Villa halten und hätte den ganzen restlichen Tag nichts anderes zu tun, als mich zu hegen und zu pflegen, um meinem etwa 120-jährigen erfolgsverwöhnten und stinkreichen Ehegatten die letzten Lebenstage zu versüßen. Lieber nicht. Allein bei dem Gedanken, sich in eine Garnitur rosa Seide hüllen zu müssen, nur um einen Kerl von meiner perfekten Persönlichkeit zu überzeugen, wird mir übel. Nein, nein, nein! Ich komme auch ohne Mann zurecht. Carla, Melanie und ich sind ein prima Team. Vielleicht werden wir in unserer WG auch zusammen alt. Kinder können wir schließlich auch ohne Mann zur Welt bringen. Wir suchen uns einfach ein zeugungsfähiges Exemplar aus, prüfen es auf mögliche Erbkrankheiten und dann: Wham-bam-thank-you-man. Anders machen es die Männer doch auch nicht. Nur, dass sie sich aus der Verantwortung herausziehen. Wir kümmern uns immerhin um unsere Nachkommenschaft. Und dann ziehen wir unseren Nachwuchs in unserer Kommune auf. Gemeinsam. Ich werde das heute Abend bei unserem vierzehntäglichen Spaghetti-bolognese-Treffen vortragen. Carla macht nämlich die beste Bolognese der Welt. Deshalb haben wir sie dazu verpflichtet, alle zwei Wochen für uns zu kochen. Den dazugehörigen Rotwein werde ich heute aber stehenlassen, bestimmt. Mir ist nämlich immer noch etwas flau.
Ein erstauntes Knurren reißt mich aus meinen Gedanken, und ich blicke in sechs kugelrunde Nilpferdaugen. In meinem Eifer habe ich die Dicken die ganze Zeit über komplett ignoriert. Sensibel, wie sie sind, haben sie mich ebenfalls in Ruhe gelassen. Wenigstens das klappt heute wie am Schnürchen. Kurt wackelt mit den Ohren und trabt fröhlich in Richtung Wasserbecken, wo Dagmar bereits mit Gotthilf wartet. Heute steht also Schwimmunterricht auf dem Plan. Kurt lässt seinen Astralkörper ins Wasser gleiten und beweist mal wieder, dass man auch mit üppigen Formen über eine exzellente Körperbeherrschung verfügen kann. Er läuft elegant auf dem Boden entlang, während Dagmar mit zärtlichen Nasenstupsern versucht, Gotthilf von den Vorzügen des Badens zu überzeugen. Aber Baby Gotthilf widersteht den Verlockungen, stemmt seine dicken Vorderbeinchen in den Boden und stößt ein röhrendes Quieken aus. Kurt taucht vor ihm aus dem Wasser auf und grunzt seinen Sohn aufmunternd an. Aber Gotthilf kuschelt sich an Muttis warmen runden Leib. Wenn doch alles so einfach wäre wie bei Nilpferds zu Hause! Ich lasse das junge Glück allein und kümmere mich um den vegetarischen Küchendienst. Das bedeutet: tonnenweise Obst und Gemüse schneiden und für die Kollegen in Eimer verteilen. Normalerweise kümmert sich jeder Pfleger selbst um das Futter, aber bei den Pflanzenfressern haben wir festgestellt, dass wir enorm Zeit sparen, wenn das Zeug im Akkord gehobelt wird.
Gegen Nachmittag wird es nochmal unangenehm, denn dann sind unsere Wassertiere dran. Das heißt Fisch, Fisch und nochmals Fisch. Am Abend schmerzt mein Rücken, und am Ende meiner Arbeitsschicht bestraft mich jede Faser meines Körpers für die vergangene Nacht. Außerdem miefe ich mittlerweile wahrscheinlich wie das Seehundhaus. Also springe ich zu Hause erst einmal unter die Dusche.
«Na? Riechst du wieder wie ein Mensch?» Carla stellt einen großen dampfenden Kessel mit roter Fleischsoße auf den Tisch. Dann angelt sie eine Nudel aus dem Wasser und wirft sie an den Küchenschrank, wo sie in ihrer ganzen Pracht kleben bleibt.
«Al dente! Perfekt! Sagst du Mel bitte, sie soll auflegen? Wir essen gleich!» Sie gießt das Nudelwasser ab und füllt die Pasta in eine große Schüssel. Ich kann meine Augen kaum losreißen, so lecker sieht das alles aus. Mein Körper lechzt förmlich nach Kohlehydraten, schließlich leide ich nicht nur unter Schlafmangel und Katerstimmung, ich habe außerdem noch gegen alle Naturgesetze und Menschenrechte hart gearbeitet.
«Mel, Essen ist fertig!», brülle ich in den Flur hinaus, wo unsere Stewardess aus Leidenschaft wahrscheinlich mal wieder mit ihrem Lieblingspiloten telefoniert.
«Tibor, ich muss auflegen… ja, ich vermisse dich auch… klar, unser Wochenende ist nicht aufgehoben, nur verschoben… das verstehe ich doch… natürlich mag ich dich trotzdem… Tschüssi!», flötet sie in den Hörer, um kurz danach mit glasigen Augen in unserer Wohnküche zu erscheinen.
«Das ist aber schön, dass Madame doch noch zum Essen erscheinen!» Carla verteilt einen dicken Klacks Soße auf den Spaghetti und reicht sie zu Mel über den Tisch.
«Das war Tibor…», murmelt Melanie entschuldigend. «Er musste schon wieder unseren Wochenendtrip nach Barcelona verschieben. Irgendwas ist mit den Kindern.»
Melanie hat die Angewohnheit, sich grundsätzlich in Typen zu verlieben, die bereits besetzt sind. Diesmal ist sie aussichtslos in einen ihrer Piloten verknallt. Der hat allerdings aus familiären Gründen keinen Spielraum für Spontaneitäten. Vielleicht hat auch seine Ehefrau etwas dagegen, dass er eine Affäre mit seiner Stewardess hat. Eigentlich bin ich gegen solche Verbindungen. Man sollte nicht die Last einer zerstörten Beziehung tragen müssen. Andererseits: Wo die Liebe hinfällt, kann man nicht selbst bestimmen.
«Mel, ich sag es nicht noch einmal. Schieß den Typen in den Wind. Der wird seine Frau nie für dich verlassen.» Seit Wochen rede ich auf sie ein, aber sie begreift den Ernst der Lage einfach nicht. Heute scheint mein Reden aber endlich zu fruchten.
«Rosi, du hast recht. Ich muss Prioritäten setzen. Der Kerl nutzt mich wahrscheinlich wirklich nur aus.» Sie steht auf, entkorkt eine Flasche Rotwein und verteilt sie in drei Gläser.
«Um ehrlich zu sein, habe ich wirklich die Schnauze voll von solchen Männern. Die wollen doch alle nur ihren Spaß, aber keine Verpflichtung eingehen, während wir allzeit bereit zu Hause hocken und darauf warten, dass sie sich unser entsinnen.»
«Apropos Besinnung: Rosi hatte heute Nacht Sex!», plappert Carla zwischen ihren Spaghetti hervor.
«Echt? Mit dem Schnuckelchen von gestern Abend?» Melanies Stimmung erhellt sich in null Komma nichts.
«Ja», zische ich gequält hervor. Eigentlich wollte ich die Geschichte nicht mit leerem Magen durchkauen. Ich nehme schnell eine große Gabel voll Pasta, um nicht ausführlicher antworten zu müssen.
«Ja – und – was?», bohrt Melanie erbarmungslos weiter.
«Rosi möchte nicht darüber reden. Offenbar war der Typ ein Reinfall. Sie wird ihn nie wiedersehen», antwortet Carla für mich.
«Der Typ…», sage ich und hole noch einmal tief Luft. «Der Typ war eigentlich kein Reinfall. Zumindest was seine Fähigkeiten im Bett angeht. Menschlich betrachtet ist er wie alle anderen auch: indiskutabel. All das wäre ja noch zu ertragen. Schließlich ist ein One-Night-Stand ja ein One-Night-Stand. Aber die Geschichte hatte heute Vormittag ihre Fortsetzung.» Ich leere mein Rotweinglas in einem Zug. Mit dem Alkohol höre ich ab morgen auf.
«Ihr habt euch nochmal getroffen?», fragt Mel verwirrt.
«Nein», antworte ich, seufze und fange dann doch an: «Ich komme heute in den Zoo, und wer steht da vor mir als mein neuer Boss?»
«Nein, doch nicht etwa…?» Carla und Mel starren mich entgeistert an.
«Doch, genau der. Und das ist noch lange nicht alles!» Ich mache eine Kunstpause und beobachte Carla dabei, wie sie mein Glas erneut auffüllt.
«Was denn noch? Ich meine, peinlicher geht es doch nicht mehr. Hat er dich etwa vor den Kollegen bloßgestellt?»
«Nein, das nicht. Vor denen hat er Gott sei Dank dichtgehalten, mich aber nach der Vorstellungsarie zu sich zitiert. Er hat wohl nicht verkraftet, dass ich mich heute Morgen sang- und klanglos aus seiner Wohnung verabschiedet habe, ohne ihm einen Schmachtzettel zu hinterlassen. Und dann hat er noch gesagt, er hätte mich ohne die ganze Schminke im Gesicht gar nicht wiedererkannt. Geht’s noch? Der hat sie ja wohl nicht mehr alle!» Ich rede mich langsam in Rage, während Melanie und Carla mir gebannt an den Lippen hängen.
«So ein Mistkerl!», sprudelt es aus Mel heraus. «Ich sage euch, gekränkter Männerstolz… das ist das Schlimmste, die Hölle ist ein Kinderspielplatz dagegen!»
«Gibt es denn gar keine anständigen Kerle mehr auf dieser Erde?» Carla hat die Hoffnung auf einen potenziellen Ehepartner immer noch nicht aufgegeben. Dass sie drei Jahre vor ihrem 40. noch immer nicht Ehefrau und mehrfache Mutter ist, kann eigentlich keiner aus ihrem näheren Umfeld begreifen, allen voran Carla selbst.
«Ich bin rechts von Mitte 30, irgendwann ist es auch zu spät, eine Familie zu gründen!», lamentiert sie vor sich hin.
«Frag mich mal. Ich bin seit über vier Jahren Single. Schwer vermittelbarer Langzeitsingle, um genau zu sein. Weißt du, wie das klingt?»
«Nach Hartz IV für zwischenmenschliche Verhältnisse?» Melanie grinst. Sie hat ja auch gut reden. Immerhin ist sie von der 30 noch meilenweit entfernt.
«Nein, schlimmer noch. Single zu sein zwischen all den glücklichen Paaren und Familien ist menschliches Versagen, oder etwa nicht, Carla?», klage ich.
«Ich springe wenigstens nicht gleich mit jedem in die Kiste! Da kann man sich ja wer weiß was für Haustiere holen!» Carla schüttelt sich angeekelt. Sie kann es immer noch nicht fassen, dass ich, ihre einzige Verbündete in Sachen Anständigkeit, ans sündige Ufer geschwommen bin. So langsam geht mir ihr Gerede auf den Keks.
«Carla… es reicht! Du tust gerade so, als hätte ich mich tief in den Drogen- und Sexsumpf unserer Großstadt verstrickt. Einmal ist keinmal. Außerdem bin ich dafür heute schon genug bestraft worden», sage ich, um dem ganzen Gequatsche ein Ende zu bereiten.
«Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Es gibt doch tolle Männer. Vielleicht müsst ihr einfach zielgerichteter suchen!», wendet Mel ein.
«Du meinst, unter den bereits verheirateten Piloten?» Carla zieht ihre berühmte Augenbraue nach oben, während sie Melanie tief in die blauen Augen blickt.
«Ach du… Natürlich nicht. Ich kann doch nichts dafür, dass ich mich immer in die verliebe, die schon vorher ja gesagt haben.»
«Da könnte man ja zur Abwechslung auch mal nein sagen», gebe ich zu bedenken, während ich meinen Teller leerkratze.
«Noch etwas Pasta?» Aufmerksam, wie sie ist, schöpft mir Carla meinen Teller zum zweiten Mal voll. Ab und zu soll man sich schließlich auch etwas gönnen. Nudeln sollen ja bekanntlich glücklich machen.
«Wie kann man etwas finden, wenn man gar nicht weiß, wonach man genau sucht?» Melanie schaut uns herausfordernd an, als hätte sie gerade eine neue binomische Formel entdeckt. Davon ist sie weit entfernt, keine Frage, aber ein bisschen Wahrheit steckt doch in ihrer Frage. Was will ich eigentlich? Und wie weit bin ich bereit dafür zu gehen?
«Ich möchte heiraten. Und zwar am besten noch bis Ende des Jahres!» Carla hebt herausfordernd ihr Glas. Angesteckt von ihrer Entschlossenheit, erhebe ich ebenfalls meinen Wein.
«Ich möchte bis Ende des Jahres in festen Händen sein, glücklich verliebt natürlich!» Ich nicke den anderen zu und ergänze: «Er sollte groß sein und attraktiv. Konkrete Wünsche habe ich allerdings nicht. Wichtig ist nur, dass er charmant ist und zuvorkommend. Er muss mich mit Respekt behandeln, und wir müssen geistig auf einer Wellenlänge sein. Ihr wisst schon, was ich meine. Nichts Weltbewegendes, einfach einer, der sich um mich kümmert, wenn ich krank bin, und der trotzdem bewundernd zu mir aufblickt, wenn ich an seiner Seite stehe!»
Carla nickt zustimmend. Männer! Es gibt einfach keine beziehungsfähigen akzeptablen Exemplare, mit denen man, ohne nicht gleichzeitig mindestens zwanzig bis hundert Kompromisse eingehen zu müssen, eine erwachsene reife Beziehung führen könnte. Fakt ist nun mal, dass es nicht an mir liegt, dass ich Single bin. Ich würde mich wahnsinnig gerne verlieben. Wirklich! Aber es gibt niemanden in einem Umkreis von mindestens fünf angrenzenden Ländereien, der dafür geeignet wäre. Da zeigt ja die Topfpflanze auf dem Küchentisch mehr soziale Kompetenz.
«Das hast du schön gesagt, Rosi!» Carla schaut mich beeindruckt an.
«Und jetzt du, Mel. Was stellst du dir vor?», frage ich unsere Jüngste. Immerhin hat sie ja den Wünschelreigen in Bewegung gebracht.
«Um ehrlich zu sein, will ich in erster Linie beruflich weiterkommen. Bis Ende des Jahres möchte ich in der Business-Class fliegen. Adieu, Chartermaschine, hallo, Linienflug, das wäre mir wichtig! Einen tollen Mann finde ich dann sicher schneller, als ich denken kann.»
«Gut, dann ist ja alles klar, meine Lieben. Bis Ende des Jahres bin ich unter der Haube, Rosi schwebt im siebten Himmel und Melanie auch, allerdings nur als Stewardess. Darauf trinken wir! Prost, Mädels!»