Die Affäre Jürgen W. Möllemann - eine vergleichende Inhaltsanalyse von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeiner Zeitung - Elisabeth Falgner - E-Book

Die Affäre Jürgen W. Möllemann - eine vergleichende Inhaltsanalyse von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeiner Zeitung E-Book

Elisabeth Falgner

0,0
39,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Journalismus, Publizistik, Note: 1.7, Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprache: Deutsch, Abstract: Niemand konnte ahnen, dass der seit dem 4. April 2002 tobende publizistische Konflikt um Möllemann mit dessen Tod enden würde. Wer ist verantwortlich für Entstehung und Verlauf der Affäre Möllemann und, damit eventuell verbunden, für seinen möglichen Freitod? Möllemann selbst, wie Benedek suggeriert? Westerwelle, mit dem Möllemann zu dieser Zeit heftig um den Bundesparteivorsitz stritt? Die zahlreichen Feinde Möllemanns in der liberalen Partei oder andere gesellschaftliche Akteure? Oder nahmen die Medien Möllemanns politisches und vielleicht sein tatsächliches Ende nicht nur vorweg, sondern trugen durch die Publikationen solcher Aussagen entscheidend dazu bei?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum:

Copyright (c) 2015 GRIN Verlag / Open Publishing GmbH, alle Inhalte urheberrechtlich geschützt. Kopieren und verbreiten nur mit Genehmigung des Verlags.

Bei GRIN macht sich Ihr Wissen bezahlt! Wir veröffentlichen kostenlos Ihre Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten.

Jetzt bei www.grin.com

Inhaltsverzeichnis

 

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Zum Verhältnis von Medien, Politik und Realität

2.1 Wechselseitige Abhängigkeit von Medien und Politik

2.2 Funktionen massenmedialer Politikberichterstattung

2.3 Verzerrung der Realität durch die Medien

3 Publizistische Konflikte

3.1 Definition und Grundstruktur

3.2 Intensität und Verlauf

3.3 Themenverlauf und -darstellung

3.4 Akteure und Akteursverhalten

3.5 Skandalierung

4 Der publizistische Konflikt um Jürgen W. Möllemann

4.1 Vorgeschichte und Konfliktanlass

4.2 Gesellschaftliche und innerparteiliche Hintergründe

4.3 Die Konfliktereignisse im Überblick Stein des Anstoßes

4.4 Zusammenfassung und Ableitung der Forschungsfragen

5 Aufbau der Untersuchung

5.1 Untersuchungsmethode und -Zeitraum

5.2 Auswahl des Untersuchungsgegenstandes

5.3 Auswahl der Untersuchungseinheiten

5.4 Das Kategoriensystem

5.5 Reliabilitätstests

6 Ergebnisse

6.1 Intensität und Verlauf im Fall Möllemann

6.2 Themenverlauf und -darstellung im Fall Möllemann

6.3 Akteure und Akteursverhalten im Fall Möllemann

6.4 Skandalierung im Fall Möllemann

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

9 Anhang

 

Abbildungsverzeichnis

 

Abbildung 1: Das Grundmodell publizistischer Konflikte

Abbildung 2: Konfliktverlauf und wichtige Ereignisse (gesamt, Basis: N=382)

Abbildung 3: Konfliktverlauf bei SZ und FAZ im Vergleich

Abbildung 4: Die fünf wichtigsten Themen (alle Zeitungen, nach Hauptthemen in Prozent)

Abbildung 5: Verlauf der fünf wichtigsten Themen plus Konfliktanlass

Abbildung 6: Verlauf der fünf wichtigsten Themen plus Konfliktanlass in der SZ (nach Hauptthemen, absolute Häufigkeit je Konfliktwoche)

Abbildung 7: Verlauf der fünf wichtigsten Themen plus Konfliktanlass in der FAZ (nach Hauptthemen, absolute Häufigkeit je Konfliktwoche)

Abbildung 8: Die fünf wichtigsten Akteursgruppen (Hauptakteure zusammengefasst, in Prozent, alle Zeitungen)

Abbildung 9: Die fünf wichtigsten Akteursgruppen plus die direkt am Konfliktanlass beteiligte Akteursgruppe je Konfliktwoche (Haupt- und Nebenakteure zusammengefasst, in Prozent, alle Zeitungen)

Abbildung 10:Einmischung weiterer Akteursgruppen im Konfliktverlauf (Haupt- und Nebenakteure zusammengefasst, in Prozent je Konfliktwoche, alle Zeitungen)

Abbildung 11: Skandalierung im Verlauf (Vergleich SZ + FAZ, Indikatoren für Etikettierung und Verurteilung zusammengefasst, Mittelwerte je Konfliktwoche)

 

Tabellenverzeichnis

 

Tabelle 1: Strategien und Taktiken in publizistischen Konflikten

Tabelle 2: Unterscheidungskriterien zwischen Konflikt und Skandal

Tabelle 3: Das Stufenmodell der defensiven Abwehrtaktiken

Tabelle 4: Inter- und Intracoderreliabilität der Themenvariablen (nach unterschiedlichen Aggregationsniveaus)

Tabelle 5: Indikatoren für die absolute Berichterstattungsintensität

Tabelle 6: Mediale Koorientierung im Fall Möllemann (absolut, in Prozent, Vergleich SZ + FAZ, gesamt)

Tabelle 7: Perspektive der Artikel absolut und in Prozent (Vergleich SZ + FAZ, gesamt, Perspektive für Haupt- und Nebenthemen zusammengefasst)

Tabelle 8: Skandal-Etiketten absolut und in Prozent (Vergleich SZ + FAZ, gesamt)

Tabelle 9: Negative Konsequenzen absolut und in Prozent (Vergleich SZ + FAZ, gesamt)

Tabelle 10: Bewertung Möllemanns gruppiert absolut und in Prozent (Vergleich SZ + FAZ, gesamt)

Tabelle 11: Tenor der Artikel absolut und in Prozent (Vergleich SZ + FAZ, gesamt)

Tabelle 12: Lagerbildung absolut und in Prozent (negative bzw. positive Etikettierer, Konsequenzer, Möllemann-Bewerter zusammengefasst im negativen bzw. positiven Lager, Vergleich SZ + FAZ, gesamt)

Tabelle 13: Skandalierung bei SZ und FAZ absolut (Indikatoren für Etikettierung und Verurteilung zusammengefasst, Mittelwerte)

Tabelle 7: Positionierung im Detail absolut und in Prozent (gesamt, Vergleich SZ + FAZ)

Tabelle 11: Aufschlüsselung der fünf wichtigsten Hauptthemen nach Unterthemen absolut und in Prozent innerhalb des Hauptthemas (alle Zeitungen)

 

1 Einleitung

 

„Abschied“, so lautet der Titel der Karikatur auf dem Umschlag dieser Arbeit (Benedek, 2002). Auf den ersten Blick ist die Aussage klar. Der liberale Politiker Jürgen W. Möllemann ist erfolgreich dabei, sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Grund ist die Flugblatt-Affäre, Möllemann machte widersprüchliche Angaben zur Finanzierung der Aktion. Mal versicherte er, dass es die Spender mit dem Namen „Mustermann“ tatsächlich gäbe, mal, dass er die Flugblätter aus seinem privaten Vermögen finanziert habe. Deshalb ist der Grabstein ironisch mit dem Schriftzug „Jürgen W. Mustermann“ graviert. Der Dreck, den Möllemann schwungvoll aushebt, befleckt den hinter dem Grabstein stehenden Liberalen Guido Westerwelle. Der Bundesparteivorsitzende wartet darauf, dass Möllemann zu Ende schaufelt, um im Namen der Freiheitlich Demokratischen Partei (FDP) einen Beileidskranz auf das fertige Grab zu legen. (Benedek, 2002; Möllemann sieht sich als Mustermann, 2003).

 

Am 22. Oktober 2002, als diese Zeichnung in der Süddeutschen Zeitung publiziert wurde, konnte noch niemand ahnen, dass der seit dem 4. April 2002 tobende publizistische Konflikt um Möllemann mit dessen Tod enden würde. Rückblickend wirft diese geradezu prophetische Karikatur etliche Fragen auf. Wer ist verantwortlich für Entstehung und Verlauf der Affäre Möllemann und, damit eventuell verbunden, für seinen möglichen Freitod? Möllemann selbst, wie Benedek suggeriert? Westerwelle, mit dem Möllemann zu dieser Zeit heftig um den Bundesparteivorsitz stritt? Die zahlreichen Feinde Möllemanns in der liberalen Partei oder andere gesellschaftliche Akteure? Oder nahmen die Medien Möllemanns politisches und vielleicht sein tatsächliches Ende nicht nur vorweg, sondern trugen durch die Publikationen solcher Aussagen entscheidend dazu bei?

 

Wahl des Themas

 

Die Karikatur fasst somit treffend zusammen, warum gerade der publizistische Konflikt um Möllemann als Thema dieser Arbeit gewählt wurde. Ein wichtiger Grund ist die Aktualität und die Brisanz des Themas. Zu Beginn dieser Arbeit im März 2003 war die Auseinandersetzung um Möllemann in den Medien noch nicht einmal beendet. Die Affäre Möllemann war eines, wenn nicht das beherrschende innenpolitische Thema im Jahr 2002. Der lange Berichterstattungszeitraum von über 14 Monaten verdeutlicht, welch große Bedeutung Medien und Publikum dem Konflikt beimaßen. Dazu trugen nicht zuletzt die gravierenden Konsequenzen des Konfliktausganges bei. Möllemanns über 30 Jahre währende politische Karriere wurde zerstört, vermutlich stürzte sich der Liberale wegen der Affäre in den Tod.

 

Erst der tödliche Fallschirmsprung am 5. Juni 2003 provozierte zweierlei, erstens die Diskussion über die Todesursache. Die im Anschluss durchgeführten Untersuchungen legen einen Freitod des Politikers nahe. Ob die vorangegangenen realen Auseinandersetzungen oder die Medienberichterstattung darüber Möllemann zu dieser Entscheidung bewogen haben, lässt sich allerdings nur vermuten. (Kläsgen, 2003).

 

Zweitens begann die Selbstreflexion in der Öffentlichkeit, in Teilen der Medien und der eigenen Partei. Nicht zuletzt, weil Möllemann selbst bereits Teile der FDP bezichtigt hatte, eine „Vernichtungsstrategie“ (zit. nach Jürgen W. Möllemann. Chronik einer Polit-Affäre, 2003) gegen ihn zu führen, die er erfolglos abzuwehren versucht hatte.[1] Die Witwe Möllemanns, Carola Möllemann-Appelhoff, und engste Parteifreunde machen die FDP-Führung für dessen Tod mitverantwortlich (Vorwürfe an FDP-Spitze wegen Mitschuld, 2003). Gerüchte, Gerede und Gezänk um den FDP-Politiker verebbten auch nach seinem Tod nicht. Leyendecker (2003), Journalist bei der Süddeutschen Zeitung fragt deshalb selbstironisch: „Kommt es bei Möllemann nicht mehr darauf an, ob etwas wahr ist oder unwahr? Dürfen wir den Toten, noch ein bisschen zumindest, jagen?“

 

Forschungsinteresse

 

Empirisch zu untersuchen, ob dieser publizistische Konflikt gezielt dramatisiert und Möllemann an den Pranger gestellt wurde, wie Leyendecker andeutet, ist das Hauptziel dieser Arbeit. Falls ja, ist natürlich von besonderem Interesse, wer an dieser Jagd beteiligt war und wie sich die untersuchten Medien, Süddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), verhielten. Denn einzelne Journalisten wie ganze Medienunternehmen schlüpfen in publizistischen Konflikten häufig in eine Art Doppelrolle (Kepplinger, Hachenberg & Frühauf, 1977, S. 14-15). Sie berichten dann über das Geschehen und treiben es gleichzeitig aktiv durch ihre Berichterstattung an (Kepplinger, 1994, S.225-226). Diese Sonderrolle berücksichtigt sowohl der Theorieteil als auch der Ergebnisteil. Liegt ein solches aktives Verhalten der Medien in einem publizistischen Konflikt vor, wird die Berichterstattung selbst ein zentrales Element. Deswegen steht die mediale Berichterstattung über die Affäre Möllemann im Zentrum dieser Arbeit.

 

Aufbau der Untersuchung

 

Im Einzelnen ist die Untersuchung folgendermaßen aufgebaut. In Kapitel 2 wird das Verhältnis von Medien, Politik und Realität im Hinblick auf politische Konflikte beleuchtet. Es bildet den Hintergrund, vor dem sich der Fall Möllemann abspielt. Der erste Abschnitt zeigt, dass grundsätzlich ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medien und Politik besteht. In politischen Konflikten ist dieses aber zu Gunsten der Medien verschoben. Auf die massenmedialen Funktionen, die in der Konfliktberichterstattung zum Tragen kommen, geht Abschnitt 2.2 ein. Abschnitt 2.3 zeigt, dass die medialen Selektions- und Reduktionsprozesse notwendig sind, damit wir uns in unserer zunehmend komplexen Ereigniswelt zurecht finden können. Allerdings kann die Berichterstattung lediglich ein Abbild unserer realen Welt liefern, das mehr oder weniger starken Verzerrungen unterliegt. Dazu trägt neben den Medien auch das Verhalten der Akteure und des Publikums bei. In diesem Zusammenhang muss klar sein, dass ausschließlich die Berichterstattung über den Konfliktfall untersucht wird, nicht der Konflikt selbst. Das dritte Kapitel befasst sich ausführlich mit der Theorie publizistischer Konflikte. Zum besseren Verständnis veranschaulicht Abschnitt 3.1 einleitend die elementaren Strukturmerkmalepublizistischer Konflikte. Die anschließenden Abschnitte gehen vertiefend auf die wichtigsten Kernelemente publizistischer Konflikte mit Skandalierung ein. Unter 3.2 wird verdeutlicht, dass mediale Resonanz und damit Öffentlichkeit Grundvoraussetzung jedes publizistischen Konfliktes ist. Dabei schwankt die Intensität der Berichterstattung im zeitlichen Verlauf. Es ergibt sich ein für solche Auseinandersetzungen typischer Verlauf, der vom Publikum, entscheidend aber von Medien und Akteuren bestimmt wird. Wie sie ihre Ansichten und Ziele im Konflikt durchzusetzen versuchen, vermittelt Abschnitt 3.4. Nahezu alle besprochenen Charakteristika publizistischer Konflikte treffen ebenfalls auf skandalierte publizistische Konflikte zu. Deswegen wird in Abschnitt 3.5 dargelegt, welche weiteren Kriterien für einen skandalierten publizistischen Konflikt ausschlaggebend sind. Kapitel 4 vermittelt die fallspezifischen Informationen über den Konflikt um Möllemann. Dabei wird auf Vorgeschichte, Anlass und Hintergrund der Auseinandersetzung eingegangen. Abschnitt 4.3 beinhaltet eine chronologisch geordnete Übersicht über die wichtigsten Konfliktereignisse. Kapitel 5 legt die methodische Anlage der durchgeführten Inhaltsanalyse offen, deren Ergebnisse in Kapitel 6 diskutiert werden. Es wird geprüft, ob der Fall Möllemann grundsätzlich den unter Kapitel 3 vorgestellten Kriterien eines publizistischen Konfliktes entspricht. Auch seine fallspezifischen Eigenheiten und die daraus neu gewonnenen Erkenntnisse werden, soweit relevant, diskutiert.

 

2 Zum Verhältnis von Medien, Politik und Realität

 

Im folgenden Abschnitt wird zum einen auf die Beziehung zwischen massenmedialem System und politischem System eingegangen. Zum anderen wird das Verhältnis zwischen massenmedialer Darstellung und realem Ereignis kritisch reflektiert. Dies ist der Hintergrund, vor dem sich die Berichterstattung über politische Konflikte abspielt.

 

2.1 Wechselseitige Abhängigkeit von Medien und Politik

 

Beleuchtet man das Verhältnis von Medien und Politik stößt man im Wesentlichen auf zwei kommunikationswissenschaftliche Hauptansätze - das so genannte Instrumentalisierungsparadigma sowie den Ansatz der Interdependenz und Symbiose (Pürer, 2003, S.298-299; Saxer, 1989, S.64-65). Es existiert ein dritter Ansatz, der hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird - das so genannte Gewaltenteilungsparadigma. Vertreter dieses Ansatzes bezeichnen die Massenmedien gerne als unabhängige „Vierte Gewalt", eine Kritik- und Kontrollinstanz, die alle drei klassischen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative überwacht. Gegen diese Vorstellung spricht jedoch, dass die privaten Medien wirtschaftlichen Zwängen und die öffentlichrechtlichen Medien politischen Abhängigkeiten unterliegen. Ein von Autonomie und Distanz geprägtes Verhältnis zwischen Medien und Politik, die Vorstellung von zwei unabhängigen Systemen an sich, ist damit unrealistisch (Pürer, 2003, S.298).

 

Vertreter des Instrumentalisierungsparadigmas betonen das „Dependenz- Dominanz-Verhältnis zwischen Medien und Politik" (Pürer, 2003, S.298). Dabei lassen sich zwei Ausprägungen unterscheiden, die beide von einer einseitig abhängigen Beziehung ausgehen. Im ersten Fall wird angenommen, dass die Politik die Medien dominiert, die Berichterstattung wird durch Pressestellen und professionalisierte Public Relations-Arbeit (PR) im Sinne der Politiker gesteuert. Die Anhänger der zweiten Strömung wie Noelle-Neumann, Oberreuter und Kepplinger sind der gegenteiligen Auffassung. Demnach wird das Verhältnis zwischen Medien und Politik eindeutig von einer Übermacht der Medien beherrscht, wobei ein wachsender Einfluss der Medien auf das politische System erkennbar ist. Den Medien sind dabei oft Sensationen wichtiger als politische Relevanz (Brosius, 1998).

 

Der symbiotische Ansatz vereint beide Strömungen des Instrumentalisierungsparadigmas. Demnach verfügen die Medien ebenso wie die Politik über ausreichende Möglichkeiten, die Berichterstattung zu beeinflussen. Ihre Beziehung ist nicht durch Dominanz geprägt, sondern durch wechselseitige Abhängigkeiten und Anpassungsprozesse zwischen beiden Systemen.[2] Saxer konstatiert, dass eine solche symbiotische Beziehung „besonders problematische Züge" annimmt, wenn es, wie im Fall Möllemann, um die Skandalierung von Politikern geht (Saxer, 1989, S.65).

 

Ein solches symbiotisches Verhältnis steht eingeschränkt wohl auch hinter der politischen Konfliktberichterstattung (Schmitt-Beck & Pfetsch, 1994). Zwar ist das Abhängigkeitsverhältnis von Medien und Politik in publizistischen Konflikten wechselseitig, aber es ist nicht ausgewogen. Aufgrund ihrer Sonderrolle üben die Medien in publizistischen Konflikten den letztlich entscheidenden Einfluss auf die Berichterstattung aus (Kepplinger, Brosius, Staab & Linke, 1989). Dennoch bleibt ein „für beide Seiten existentielles Tauschverhältnis“ (Sarcinelli, 1987, S.218; vgl. auch Sarcinelli, 1994) bestehen. Die Journalisten sind weiterhin auf die Politiker angewiesen, „...weil sie diese als Informationsquelle benötigen, und die Politiker auf die Journalisten, weil diese für sie unverzichtbar sind für den Transport ihrer Absichten, Ideen und Beschlüsse.“ (Meyn, 1999, S.335).

 

2.2 Funktionen massenmedialer Politikberichterstattung

 

Die Vermittlung und Verbreitung politischer Information leisten, neben Hörfunk, Fernsehen und Online-Medien, die Printmedien. Ihre Hintergrundberichterstattung und Darstellung komplexer Sachverhalte können als wichtiger Beitrag in der Politikvermittlung gewertet werden (Meyn, 1999, S.357-361; Wilke, 1999; vgl. auch Koszyk, 1966). Durch den Austausch von Informationen stellen die Medien die notwendige Öffentlichkeit her. Die „Sachlichkeit der Information“ gilt dabei als Stärke seriöser Tageszeitungen wie SZ und FAZ (Wilke, 1998, S. 163). Den überregional verbreiteten Tageszeitungen, namentlich der in dieser Arbeit analysierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Süddeutschen Zeitung, kommt hierbei eine Vorbildfunktion zu (Wilke, 1999, S.310-315; Pürer, 2003, S.294).

 

Über diese grundlegende Vermittlungs- oder Informationsfunktion hinaus erfüllen die Massenmedien weitere spezifische Aufgaben gegenüber dem politischen System (vgl. weiterführend den Überblick bei Pürer, 2003, S.422- 430 sowie Burkhart, 1998). Unter anderem ermöglichen sie es gesellschaftlichen Gruppen oder Individuen, ihre Probleme sowohl gegenüber als auch mit dem politischen System zu artikulieren. Man spricht deshalb von der so genannten Artikulationsfunktion (Pürer, 2003, S.294). Des weiteren fungieren die Medien als Kritik- und Kontrollinstanz gegenüber Regierungen, Parteien und anderen Entscheidungsträgern (Meyn, 1999, S.345). Über alle drei Funktionen wirken sie an der politischen Meinungsbildung der Rezipienten mit (Rudzio, 2000, S.483-490 u. S.501-510; Aufermann, 1975; vgl. weiterführend Ronneberger, 1974).

 

Bei der Berichterstattung über politische Konflikte kommen alle diese Funktionen zum Tragen, wobei für die Journalisten aufgrund ihres Rollenverständnisses die Kritik- und Kontrollfunktion im Vordergrund stehen dürfte. Politischen Einfluss und Kritik an Missständen auszuüben gelten nach den Studien von Schneider, Schönbach und Stürzebecher (1993a; 1993b) sowie Donsbach (1993a) als dominierende, berufliche Motivation deutscher Journalisten. Sie wollen sich für ihre Werte und Ideale einsetzen und ihre Überzeugungen möglichst vielen über die Medien mitteilen. (Schneider et al., 1993a; Schneider et al., 1993b, S.20; Donsbach, 1993a, S.303).

 

2.3 Verzerrung der Realität durch die Medien

 

Häufig wird in Theorie und Praxis der Anspruch an die Medien herangetragen, die Bürger „möglichst umfassend und objektiv" (Pürer, 2003, S.293) sowie wahrheitsgetreu über politische Ereignisse zu informieren (Pöttker, 1999, S.221; Trägerverein des Deutschen Presserats, 1973).[3] Objektiv ist die Berichterstattung dann, wenn die Inhalte möglichst unverzerrt und faktengetreu aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt werden. Die Trennung von Nachricht und Meinung ist zur Erfüllung dieses journalistischen Qualitätskriteriums ebenfalls obligatorisch (Pürer, 2003, S.425). Einzelunternehmen wie ganze Medienbranchen haben sich diesen Grundsätzen selbst verpflichtet (Zerfaß, 1999, S.177-180).

 

Tatsächlich muss aber angezweifelt werden, ob die Berichterstattung dieser Objektivitäts- und Wahrheitsmaxime gerecht wird (Pürer, 2003, S.203-205). Nach Sarcinelli (1998, S.14) existieren zwei getrennte politische Wirklichkeiten, die Politikdarstellung in den Medien einerseits, die Politikherstellung in den Verhandlungs- und Entscheidungssystemen andererseits (vgl. auch Edelman, 1990). Wichtigen Nachrichten und kritischen Gedanken wird der Weg in die Öffentlichkeit versperrt, dem Publikum wird ein mehr oder minder verzerrtes Politikbild vermittelt (Brosius, 1998; Sarcinelli, 1998).

 

Die Ursachen für eine solche Verzerrung sind vielfältig und können einerseits auf Seiten der politischen Akteure, andererseits auf Seiten der Medien selbst gesehen werden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Mediatisierung der Politik. Dieser Trend schlägt sich in der Intensivierung politischer PR-Arbeit, in Form von Pressemitteilungen und Pressekonferenzen nieder. Des weiteren eignen sich Politiker zunehmend eine mediengemäße Rhetorik und Verhaltenweise an. Sie handeln mehr und mehr rein symbolisch, Pseudoereignisse werden absichtlich für die Medien konstruiert (Hoffmann & Sarcinelli, 1999, S.732-734; Rudzio, 2000, S.500-510). Oberreuter (1989) vertritt die - der Verfasserin verkürzt erscheinende - Ansicht, dass für dieses mediatisierte Verhalten nicht die Politiker selbst, sondern in erster Linie die Medien verantwortlich sind. Die Politik hätte demnach keine andere Wahl, als sich den medialen Eigengesetzlichkeiten zu unterwerfen (Oberreuter, 1989, S.31-41).

 

Der Einfluss der Medien auf die Berichterstattung gründet sich auf ihre Schlüsselstellung im Vermittlungsprozess (Gerhards & Neidhardt, 1991; Kepplinger, 1994; Kepplinger et al., 1989). Auf ihr Verhalten, das bei publizistischen Konflikten häufig zu einer realitätsfernen Berichterstattung führt, wird in Zusammenhang mit der Konflikttheorie in Kapitel 3 näher eingegangen. Die Verzerrungsskala kann grundsätzlich von einer nicht ausgewogenenBerichterstattung, Verkürzungen und Verdrehungen von Sinnzusammenhängen bis hin zu Fälschungen von Inhalten und der Erfindung von vollständigen Beiträgen reichen. Prominente Beispiele gibt es viele, unter anderem die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher im Stern 1997, die erfundenen Fernsehbeiträge von Michael Born in der RTL-Sendung „stern tv" oder jüngst die von Tom Kummer erfundenen Interviews im Magazin der Süddeutschen Zeitung (Gangloff, 2000; Reporter als Choreografen der Wirklichkeit, 2000; Trägerverein des Deutschen Presserats, 2003).

 

Das Verhalten des Publikums selbst trägt zu einem verzerrten Meinungsbild bei. Ursache ist die selektive Wahrnehmung des einzelnen Rezipienten (Eilders, 1999; Donsbach, 1993b, S. 141-145; vgl. auch Palmgreen, 1984). Üblicherweise nutzen sie diejenigen Massenmedien, die ihre eigenen Ansichten stützen. Dabei werden vorzugsweise die Argumente wahrgenommen und verinnerlicht, die die eigene Meinung bekräftigen (Donsbach, 1993b). Die Masse der Rezipienten orientiert sich häufig an der (tatsächlichen oder vermeintlichen) Mehrheitsmeinung (Noelle-Neumann, 1980; Donsbach, 1987; Scherer, 1990).

 

Folglich kann es nicht Ziel dieser Arbeit sein, herauszufinden, was sich objektiv und tatsächlich im Konflikt um Möllemann ereignet hat.

 

3 Publizistische Konflikte

 

Das folgende Kapitel stellt die gängigen Annahmen aus der Konflikttheorie vor, sofern sie für diese Arbeit relevant sind. Erkenntnisse aus bereits durchgeführten Analysen zu einzelnen Konfliktfällen wurden ebenfalls berücksichtigt. Abschnitt 3.1 definiert, was sich hinter dem Begriff „publizistischer Konflikt" verbirgt. Um einen ersten Überblick zu vermitteln, wird zuerst die Grundstruktur solcher Auseinandersetzungen dargelegt. Die anschließenden Abschnitte gehen vertiefend auf die wichtigsten Kernelemente ein, die einen publizistischen Konflikt, inklusive Skandalierung, konstituieren.

 

3.1 Definition und Grundstruktur

 

Publizistische Konflikte können grundsätzlich definiert werden als „...Kontroversen zwischen mindestens zwei Kontrahenten (K1, K2), mit Informationen (I) über einen Konflikt-Gegenstand (G) via Massenmedien (M) vor einem Publikum (P).‘‘ (Kepplinger et al., 1989, S.201; vgl. auch Kepplinger, 1994, S. 214). Publizistische Konflikte sind die am häufigsten auftretende Form massenmedial vermittelter Konflikte.[4] Der Informationsfluss verläuft folglich stets über die Medien zum Publikum. Neue Informationen über den Konfliktgegenstand können von den Kontrahenten, anderen gesellschaftlichen Akteuren und den Medien selbst stammen. Beispielsweise decken Journalisten auf eigene Faust neue Informationen auf, recherchieren in Archiven nach Hintergründen und Zusammenhängen oder greifen die Berichterstattung anderer Medien auf.

 

Handlungsträger des publizistischen Konfliktes sind typischerweise Akteure, Medien und Publikum . Die Beziehungen zwischen ihnen bilden eine für publizistische Konflikte charakteristische Grundstruktur. Kepplinger et al. veranschaulichten sie 1989 im Grundmodell publizistischer Konflikte.

 

Abbildung 1 auf der folgenden Seite zeigt die komplexen Kommunikationsbeziehungen zwischen den beiden Kontrahenten (K1, K2), zu den Massenmedien (M1, M2, Mu) sowie zwischen den Kontrahenten und dem Publikum (P1, P2, Pu). Die Darstellung erfolgt anhand des durchgezogenen schwarzen Liniengeflechts. Die Massenmedien unterscheiden sich in drei Kategorien: die Anhänger der beiden Kontrahenten (M1, M2) und die unentschiedenen oder uninteressierten Medien (Mu). Analog setzten sich die drei Teilpublika P1, P2 und Pu zusammen, die ebenfalls unterschiedliche Ansichten über den zentralen Konfliktgegenstand (G1 bzw. G2) vertreten. Üblicherweise sind die Anhänger des Kontrahenten K1 - im Modell die ihn unterstützenden Medien M1 sowie das Teilpublikum P1 - zugleich Gegner von Kontrahent K2 und umgekehrt.

 

Abbildung 1: Das Grundmodell publizistischer Konflikte

 

 

Quelle: Kepplinger et al., 1989, S. 203; Darstellung leicht modifiziert.

 

Sowohl Kontrahenten, Massenmedien als auch das Publikum sind im Modell als agierende Handlungsträger auf einer Handlungsebene oder einem Handlungsfeld angeordnet. Oberhalb dieser grau gezeichneten Ebene wurden die hinter dem publizistischen Konflikt stehenden, sich widersprechenden Sichtweisen und Interessen der beiden Kontrahenten bezüglich des Konfliktgegenstandes (G1, G2) als gestrichelte Linien dargestellt. Kepplinger bezeichnet diese divergierenden Interessen auch als instrumenter Gegebenheiten (Kepplinger, 1994, S.216; Kepplinger et al.,1989, S. 202). Die positiven, negativen oder neutralen Bewertungen von Massenmedien und Publikum zur jeweiligen Sichtweise werden ebenso symbolisiert.

 

Das Modell verdeutlicht, dass die Massenmedien zwischen Akteuren und Publikum stehen, und somit eine entscheidende Schlüsselstellung einnehmen. Diese Position nutzen Massenmedien oftmals, um ihre eigenen Ziele und Ansichten in publizistischen Konflikten durchzusetzen. (Kepplinger, 1994, S.216-217; Kepplinger et al., 1989, S. 201-206).

 

Tiefer liegende Ursache solcher Auseinandersetzungen sind ein Interessenoder Wertdissens innerhalb der Gesellschaft. Eine Mischung aus beidem ist ebenfalls möglich, wie sie im Fall Möllemann vorliegt (Aubert, 1972). Diese im Hintergrund schwelende Grundsatzdebatte bildet die eigentliche Superstruktur, sie ist wesentlich für das Verständnis eines publizistischen Konfliktes (Kepplinger, 1994, S.217-219.). Durch seine Austragung soll ein exemplarischer Konsens über den Geltungsbereich der diskutierten Werte und Normen gefunden werden, der im Rückschluss verallgemeinert wird und fortan für alle ähnlich gelagerten Debatten Gültigkeit erlangt (Kepplinger et al., 1977, S.32).

 

3.2 Intensität und Verlauf

 

Grundvoraussetzung für die Entstehung publizistischer Konflikte ist, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung überhaupt auf Resonanz in den Massenmedien stößt. Als „Gatekeeper"[5] (White, 1950; Joch-Robinson, 1973, S.344-355; vgl. auch Kepplinger, 1994) bestimmen allein die Medien, ob sie Informationen über einen Konflikt an die Öffentlichkeit weiterleiten, diese verändern oder sogar völlig unterdrücken. Erst durch ihre Berichterstattung kann das Publikum informiert, die notwendige Öffentlichkeit hergestellt werden, die für einen publizistischen Konflikt konstituierend ist. (Kepplinger et al., 1989; vgl. auch Kepplinger, 1994).

 

Das Ausmaß der medialen Resonanz ist abhängig davon, welche Wichtigkeit die Massenmedien der Auseinandersetzung im Hinblick auf das Publikum zuschreiben. Wird eine Auseinandersetzung als wenig bedeutend und damit nicht lösungsbedürftig eingestuft, kann sie die Berichterstattungsschwelle nur verzögert oder überhaupt nicht überschreiten. Wird ihr dagegen eine große Bedeutung zugemessen, ist die Berichterstattung besonders intensiv (Gerhards, 1992; Berens, 2001; vgl. auch Edelman, 1988). Durch das Ausmaß ihrer Berichterstattung entscheiden die Medien als „Agenda-Setter" mit welcher Wichtigkeit ein Konflikt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird (McCombs & Shaw, 1972; Lazarsfeld, Berelson & Gaudet, 1948; Brosius, 1994; vgl. auch Eichhorn, 1996, Rössler, 1997). An den Wünschen des Publikums orientieren sich wiederum die Medien, Medien- und Publikumsagenda beeinflussen sich letztlich gegenseitig (Hoffmann & Sarcinelli, 1999). Die Antizipierung von Publikumswünschen durch die Medien kann nach Hoffmann und Sarcinelli (1999, S.721) soweit reichen, dass die Medien selbst zum Objekt werden. Das klassische Stimulus-Response-Modell gilt deshalb als überholt.

 

Typischerweise beurteilen die einzelnen Publikationsorgane, durchaus über die verschiedenen Mediengattungen hinweg, den Wichtigkeitsgrad einer Auseinandersetzung meist ähnlich. Absolut betrachtet schlägt sich diese Einschätzung in einer ungefähr gleich hohen Anzahl veröffentlichter Artikel, einem ähnlich großen Umfang sowie einer ähnlich auffälligen Platzierung und visuellen Aufmachung nieder (Schulz, 1976, S.11-34).

 

Betrachtet man die Berichterstattungsintensität im zeitlichen Verlauf, sind ebenfalls kaum Unterschiede zwischen einzelnen Medien zu erwarten. Bei allen durchläuft der publizistische Konflikt einen typischen Zeitzyklus, den Mathes und Pfetsch 1991 in Anlehnung an Luhmann entwickelten (Luhmann, 1970; Luhmann, 1971; Luhmann, 1981). Aktuell existieren in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen für die einzelnen Phasen. Die zeitlichen Einteilungen sind aber nahezu identisch, weil sie auf dem Modell von Mathes und Pfetsch basieren (Kepplinger, 1994, S.229-231).

 

Es lassen sich vier charakteristische Zeitphasen unterscheiden: eine relativ lange Latenz- und Vorbereitungsphase, eine Aufschwungphase, eine Kulminierungsphase mit Höhepunkt sowie eine Abschwungphase. Von der Latenz- bis einschließlich zur Kulminierungsphase steigt die Berichterstattungsintensität ständig. Danach fällt sie rapide ab. Dieser typische Verlauf lässt sich folgendermaßen erklären.

 

In der Latenzphase berichten meist die so genannten Alternativmedien, deren Verbreitung sich häufig auf vereinzelte gesellschaftliche Zirkel und kleine Gebiete beschränkt (Holtz-Bacha, 1999; vgl. auch Starkulla, 1988, Eurich, 1980). Der Konflikt findet folglich nur eine geringe Beachtung in der Öffentlichkeit. Ausnahme ist das alternative, aber überregional verbreitete und von Journalisten häufig als Quelle genutzte Berliner Publikationsorgan „die tageszeitung", kurz taz (Wilke, 1999). Die Initialberichterstattung der alternativen Presse kann dazu führen, dass etablierte Medien den Konflikt aufgreifen. Erste, vereinzelte Beiträge wirken als Stimuli, so dass weitere Journalisten berichten.

 

Aufgrund solcher „Spill-over-Effects" (Mathes & Pfetsch, 1991) tritt der Konflikt in die Aufschwungphase ein. Mathes und Pfetsch weisen dies 1991 explizit für die taz nach, die im Konflikt um Möllemann als „Wegbereiter" (Wilke, 1999, S.315) fungierte. Mehr und mehr Medien greifen den Konflikt immer öfter auf. Er wird dadurch zunehmend zum Gegenstand allgemeiner öffentlicher Diskussion.

 

In der sich anschließenden Kulminierungsphase verstärkt sich die Berichterstattungsintensität und das Interesse der Öffentlichkeit am Konflikt „dramatisch" (Kepplinger, 1994, S.229) bis zum Höhepunkt. Kepplinger (1994, S.229-231) nennt die folgenden vier Gründe: Erstens befassen sich aufgrund von Koorientierungsprozessen und Rezipientenwünschen immer mehr Journalisten mit dem Konflikt. Galtung und Ruge (1973) sprechen diesbezüglich vom Nachrichtenfaktor der Konsonanz. Zweitens kann jede Äußerung oder Handlung der involvierten Akteure zum Gegenstand der Berichterstattung werden. Beides löst häufig Reaktionen seitens anderer Akteure aus, die dann von den Medien publiziert werden. Drittens gelangen aufgrund von Indiskretionen sowie journalistischen (Hintergrund)Recherchen stets neue Informationen in Umlauf, die bislang nur Eingeweihten bekannt waren. Und viertens meldet sich eine zunehmende Zahl von Trittbrettfahrern zu Wort, die die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Anliegen lenken wollen. Aufgrund dieser Rückkoppelungsprozesse entfernt sich die Berichterstattung zunehmend von den realen Ereignissen, es entsteht eine Eigendynamik. (Kepplinger, 1994, S. 229-231).

 

Nach einer erfolgten (Schein-)Lösung, verebbt die Berichterstattungsintensität und die öffentliche Aufmerksamkeit in der Abschwungphase relativ schnell (Mathes & Pfetsch, 1991). Bleibt die Problematik ungelöst, entzünden sich daran bald neue publizistische Konflikte (Wasmuht, 1992a; Kepplinger, 1992b, S. 36; vgl. auch Luhmann, 1971). Wasmuht (1992a) kommt zu dem Ergebnis, dass Konflikte meist nur auf aktueller, nicht aber auf struktureller Ebene gelöst werden. Die Zeitspanne, in der Konflikte diesen Zyklus durchlaufen, ist je nach Konfliktfall unterschiedlich lang (vgl. Böcking, 2002; Hormes, 2000; Donsbach & Gattwinkel, 1998; Kepplinger, Eps, Esser & Gattwinkel, 1993; Berens, 2001). Beispielsweise umfasste der publizistische Konflikt um den Fußballtrainer Christoph Daum zwölf Berichterstattungswochen, die Walser-Rede beherrschte 18 Wochen lang die Medien, der Konflikt um Möllemann erstreckt sich gar über 61 Wochen (vgl. Böcking, 2002; Hormes, 2000).

 

Ursache für die - absolut wie temporär betrachtete - ähnlich intensive Berichterstattung der Medien ist, dass sie sich in ihrer Konfliktberichterstattung aneinander orientieren und gegenseitig beeinflussen (Noelle-Neumann & Mathes, 1987; Mathes & Pfetsch, 1991). Dieses Verhalten bezeichnet man als Koorientierung, „Intermedia-Agenda-Setting“ oder als Selbstreferenzialität des massenmedialen Systems (Kepplinger, 2001, S.43-53; Berens, 2001; Marcinkowski, 1993). Die Selbstreferenzialität kann nach Marcinkowski (1993) solche Ausmaße annehmen, dass die Berichterstattung zum Gegenstand weiterer Berichterstattung wird, sich also selbst verstärkt (vgl. auch Schulz, 1993).

 

Eine besondere Vorbildfunktion nehmen dabei die so genannten Leit- oder Meinungsführermedien ein. Vornehmlich Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung fungieren als „sehr wichtige Quellen“ (Kepplinger, 1994, S.224) für Journalisten, insbesondere regionaler Medien. Die Schlüsselstellung dieser Medien innerhalb des Mediensystems belegt eine Befragung Kepplingers (1994) von 214 Redakteuren. Sie übernehmen Informationen, Bewertungen und ganze Berichte der überregionalen Meinungsführermedien (Wilke, 1999; Donsbach & Gattwinkel, 1998; Kepplinger, 1994, S.223).

 

Man bezeichnet diesen Meinungsführerprozess als „Top-down“-Prozess (Mathes & Czaplicki, 1993; vgl. auch Mathes, Gärtner & Czaplicki, 1991). Auch umgekehrte „Bottom-up“-Prozesse sind nach Mathes und Czaplicki (1993) möglich, dabei fungieren regionale Medien als Meinungsführer, die überregionalen Medien greifen ihre Inhalte auf.

 

Folglich beeinflussen Meinungsführermedien die Publikumsagenda in zweierlei Hinsicht: direkt durch ihre eigene Berichterstattung und indirekt durch die Berichterstattung der übrigen Publikationsorgane. Demgegenüber ist der Einfluss der jeweiligen redaktionellen Linie auf die Berichterstattungsintensität bei publizistischen Konflikten eher als gering einzuschätzen. Die politische Färbung des Mediums und des einzelnen Journalisten schlägt sich vornehmlich in der inhaltlichen Darstellung nieder (Schulz,1976, S.11; vgl. auch Wilke, 1989, S.154-155).

 

Der Verlauf eines publizistischen Konfliktes hängt damit ganz entscheidend vom Verhalten Dritter ab. Nicht die Aktionen und Reaktionen der beiden direkt beteiligten Kontrahenten, sondern das Verhalten der Medien und der übrigen Akteure ist ausschlaggebend (Kepplinger et al., 1977). Solche Konfliktverläufe beruhen auf der wechselseitigen Abhängigkeit, die zwischen Medien und Akteuren besteht. Faktisch handelt es sich um einen weitaus komplexeren, interaktiven Prozess als er hier darstellbar ist (Schmitt-Beck & Pfetsch, 1994). Letztendlich spielen die Medien eine entscheidende Rolle, da sie den Einfluss der Akteure auf den Konfliktverlauf mittels verschiedener Selektionsprozesse wie „Gatekeeping" und „Agenda-Setting" erheblich beeinflussen können (Kepplinger et al., 1977, S.23).

 

3.3 Themenverlauf und -darstellung

 

Typisch für publizistische Konflikte ist, dass sich im Verlauf verschiedene Teilkonflikte oder Teilthemen entwickeln. Häufig überschneiden oder überlagern sie sich zeitlich wie inhaltlich. Ursache sind Rückkoppelungen zwischen den einzelnen Teilthemen. Sogar eine vollständige Verdrängung des einen Teilthemas zu Gunsten eines anderen von der Medienagenda und damit von der Publikumsagenda ist möglich. (Kepplinger et al., 1977; Mathes & Pfetsch, 1991).

 

Auslöser sind meist durch Akteure inszenierte oder spektakuläre Geschehnisse, die sich durch einen hohen Nachrichtenwert auszeichnen. Solche Schlüsselereignisse bewirken eine intensive Berichterstattung über einzelne Aspekte oder ganze Themen, weniger wichtige Themen werden dadurch überlagert oder vollständig verdrängt. (Kepplinger & Habermeier, 1995; Brosius & Eps, 1993; vgl. auch Galtung & Ruge, 1973).