Die Ahnfrau - Franz Grillparzer - E-Book

Die Ahnfrau E-Book

Franz Grillparzer

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Beschreibung

Grillparzers fesselndes Drama ist inspiriert von einer böhmischen Legende und verspricht Spannung bis zum Schluss.Der Graf Zdenko und seine Tochter Berta sind die letzten Nachkommen des Stammes der Borotiner. Eines Abends erzählt der Vater seiner Tochter eine Familienlegende, die besagt, dass ein Mitglied der Familie, die Ahnfrau, vor vielen Jahren aufgrund ihres Ehebruchs erdolcht wurde. Man erzählt sich, dass die Ahnfrau so lange ihr Unwesen treiben muss, bis die Familie der Borotiner ausgestorben ist. Als Berta einen zukünftigen Gemahl findet und dem Grafen plötzlich die Ahnfrau erscheint, verschwimmen die Grenzen zwischen Sage und Wirklichkeit. Wird die Prophezeiung wahr werden?-

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Franz Grillparzer

Die Ahnfrau

Trauerspiel in fünf Akten (1817)

Saga

Die Ahnfrau

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1817, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726997279

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Personen:

Graf Zdenko von Borotin Berta, seine TochterJaromir Boleslav Günther, KastellanEin Hauptmann Ein Soldat Mehrere Soldaten und Diener Die Ahnfrau des Hauses Borotin

Erster Aufzug

Gotische Halle. Im Hintergrunde zwei Türen. An beiden Seitenwänden, links und rechts, ebenfalls eine Türe. An einer Kulisse des Vorgrundes hängt ein verrosteter Dolch in seiner Scheide. Später Winterabend. Licht auf dem Tische.

Graf Borotin. Berta.

Der Graf(am Tische sitzend und auf einen Brief hinstarrend, den er in beiden Händen hält).

Nun Wohlan, was muß geschehe!

Fallen seh ich Zweig' auf Zweige,

Kaum noch hält der morsche Stamm.

Noch ein Schlag, so fällt auch dieser

Und im Staube liegt die Eiche,

Die die reichen Segensäste

Weit gebreitet rings umher.

Die Jahrhunderte gesehen

Werden, wachsen und vergehen,

Wird vergehen so wie sie;

Keine Spur wird übrigbleiben;

Was die Väter auch getan,

Wie gerungen, wie gestrebt,

Kaum daß fünfzig Jahr' verfließen

Wird kein Enkel mehr es wissen

Daß ein Borotin gelebt!

Berta(am Fenster).

Eine grause Nacht, mein Vater!

Kalt und dunkel wie das Grab.

Losgerißne Winde wimmern

Durch die Luft, gleich Nachtgespenstern;

Schnee soweit das Auge trägt,

Auf den Hügeln, auf den Bergen,

Auf den Bäumen, auf den Feldern,

Wie ein Toter liegt die Erde

In des Winters Leichentuch;

Und der Himmel, sternelos,

Starrt aus leeren Augenhöhlen

In das ungeheure Grab

Schwarz herab!

Graf.

Wie sich doch die Stunden dehnen!

Was ist wohl die Glocke, Berta?

Berta(vom Fenster zurückkommend, und sich, dem Vater gegenüber, zur Arbeit setzend).

Sieben Uhr hat's kaum geschlagen.

Graf.

Sieben? Und schon dunkle Nacht!

Ach, das Jahr ist alt geworden,

Kürzer werden seine Tage,

Starrend stocken seine Pulse

Und es wankt dem Grabe zu.

Berta.

Ei, kommt doch der holde Mai,

Wo das Feld sich kleidet neu,

Wo die Lüfte sanfter wehen

Und die Blumen auferstehen!

Graf.

Wohl wird sich das Jahr erneuen,

Diese Felder werden grünen,

Diese Bäche werden fließen,

Und die Blume, die jetzt welket,

Wird vom langen Schlaf erwachen

Und das Kinderhaupt erheben

Von dem weißen, weichen Kissen,

Öffnen ihre klaren Augen

Freundlich lächelnd wie zuvor.

Jeder Baum, der jetzt im Sturme

Seine nackten, dürren Arme

Hilfeflehend streckt zum Himmel,

Wird mit neuem Grün sich kleiden.

Alles was nur lebt und webt

In dem Hause der Natur,

Weit umher, in Wald und Flur,

Wird sich frischen Lebens freuen,

Wird im Lenze sich erneuen:

Nie erneut sich Borotin!

Berta.

Ihr seid traurig, lieber Vater!

Graf.

Glücklich, glücklich nenn ich den,

Dem des Daseins letzte Stunde

Schlägt in seiner Kinder Mitte.

Solches Scheiden heißt nicht Sterben;

Denn er lebt im Angedenken,

Lebt in seines Wirkens Früchten,

Lebt in seiner Kinder Taten,

Lebt in seiner Enkel Mund.

O es ist so schön, beim Scheiden

Seines Wirkens ausgestreuten Samen

Lieben Händen zu vertraun,

Die der Pflanze sorglich warten,

Und die späte Frucht genießen;

Im Genusse doppelt fühlend

Den Genuß und das Geschenk.

O es ist so süß, so labend,

Das was uns die Väter gaben

Seinen Kindern hinzugeben

Und sich selbst zu überleben!

Berta.

Über diesen bösen Brief!

Ihr wart erst so heiter, Vater,

Schienet seiner Euch zu freuen,

Und nun, da Ihr ihn gelesen,

Seid mit eins Ihr umgestimmt.

Graf.

Ach, es ist nicht dieses Schreiben,

Seinen Inhalt konnt' ich ahnen.

Nein es ist die Überzeugung,

Die sich immer mehr bewährt;

Daß das Schicksal hat beschlossen,

Von der Erde auszustoßen

Das Geschlecht der Borotin!

Sieh, man schreibt mir, daß ein Vetter,

Den ich kaum einmal gesehen,

Der der einz'ge außer mir

Von dem Namen unsers Hauses,

Kinderlos, ein welker Greis,

Gählings über Nacht gestorben.

Und so bin ich denn der Letzte

Von dem hochberühmten Stamme,

Der mit mir zugleich erlischt.

Ach, kein Sohn folgt meiner Bahre,

Trauernd wird der Leichenherold

Meines Hauses Wappenschild,

Oft gezeigt im Schlachtgefild,

Und den wohlgebrauchten Degen

Mir nach in die Grube legen.

Es geht eine alte Sage,

Fortgepflanzt von Mund zu Mund,

Daß die Ahnfrau unsers Hauses,

Ob begangner schwerer Taten,

Wandeln müsse ohne Ruh',

Bis der letzte Zweig des Stammes,

Den sie selber hat gegründet,

Ausgerottet von der Erde.

Nun wohlan, sie mag sich freuen,

Denn ihr Ziel ist nicht mehr fern!

Fast möcht' ich das Märchen glauben,

Denn fürwahr ein mächt'ger Finger

War bemüht bei unserm Fall.

Kräftig stand ich, herrlich blühend

In der Mitte dreier Brüder;

Alle raubte sie der Tod!

Und ein Weib führt' ich nach Hause,

Schön und gut und hold wie du.

Hochbeglückt war unsre Ehe

Und ein Knabe und ein Mädchen

Sproßten aus dem keuschen Bund.

Bald wart ihr mein einz'ger Trost,

Meine einz'ge Lebensfreude,

Denn mein Weib ging ein zu Gott.

Sorgsam, wie mein Augenlicht,

Wahrte ich die teuern Pfänder;

Doch umsonst! Vergeblich Streben!

Welche Klugheit, welche Macht,

Mag das Opfer wohl erhalten,

Das die finsteren Gewalten

Ziehen wollen in die Nacht!

Kaum drei Jahre war der Knabe,

Als er in dem Garten spielend

Von der Wärtrin sich verlief.

Offen stand die Gartentüre,

Die zum nahen Weiher führt.

Immer sonst war sie geschlossen,

Eben damals stand sie offen, (bitter)

Hätt' ihn sonst der Streich getroffen!

Ach, ich sehe deine Tränen

Treu sich schließen an die meinen.

Weißt du etwa schon den Ausgang?

Ach, ich armer, schwacher Mann,

Habe dir wohl oft erzählet

Die alltägliche Geschichte.

Was ist's weiter? – Er ertrank!

Sind doch manche schon ertrunken!

Daß es just mein Sohn gewesen,

Meine ganze, einz'ge Hoffnung,

Meines Alters letzter Stab;

Was kann's helfen! – Er ertrank –

Und ich sterbe kinderlos!

Berta.

Lieber Vater!

Graf.

Ich verstehe

Deiner Liebe sanften Vorwurf.

Kinderlos konnt' ich mich nennen,

Und ich habe dich, du Treue!

Ach, verzeih dem reichen Manne,

Der sein Habe halb verloren

In des Unglücks hartem Sturm,

Und nun mit der reichen Hälfte,

Lang an Überfluß gewöhnet,

Sich für einen Bettler hält.

Ach verzeih, wenn das Verlorne

In so hellem Lichte glüht,

Ist doch der Verlust ein Blitzstrahl,

Der verklärt was er entzieht!

Ja fürwahr, ich handle unrecht!

Ist mein Name denn das Höchste?

Leb ich nur für meinen Stamm?

Mag ich kalt das Opfer nehmen,

Das du mit der Jugend Freuden,

Mit des Lebens Glück mir bringst!

Meines Daseins letzte Tage

Seien deinem Glück geweiht.

Ja an eines Gatten Seite,

Der dich liebt, der dich verdient,

Werde dir ein andrer Name

Und mit ihm ein andres Glück!

Wähle von des Landes Söhnen,

Frei den künftigen Gemahl,

Denn dein Wert verbürgt mir deine Wahl!

Wie du seufzest! – Hast wohl schon gewählet?

Jener Jüngling? – Jaromir –

Jaromir von Eschen denk ich.

Ist's nicht also?

Berta.

Wag ich es? –

Graf.

Glaubtest du dem Vaterauge

Bleib' ein Wölkchen nur verborgen,

Das an deinem Himmel hängt?

Sollt' ich gleich wohl eher schelten,

Daß ich erst erraten muß

Was ich längst schon wissen sollte:

War ich je ein harter Vater,

Bist du nicht mein teures Kind?

Edel nennst du sein Geschlecht,

Edel nennt ihn seine Tat,

Bring ihn mir, ich will ihn kennen,

Und besteht er auf der Probe

So kann manches noch geschehn.

Fallen gleich die weiten Lehen

Als erloschen heim dem Thron,

Ein bescheidnes Los zu gründen

Hat noch Borotin genug.

Berta.

O wie soll ich –

Graf.

Mir nicht danke!

Zahl ich doch nur alte Schulden.

Hast nicht du's um mich verdient,

Hat nicht er's, der wackre Mann?

Denn er war's doch, der im Walde

Dir das Leben einst gerettet,

Und mit eigener Gefahr?

Ist's nicht also, liebe Tochter?

Berta.

Oh, mit augenscheinlicher Gefahr!

Hab ich's Euch doch schon erzählet,

Wie in einer Sommernacht

Ich dort in dem nahen Walde

Mich lustwandelnd einst erging,

Und vom Schmeichelhauch der Lüfte,

Von dem Duft der tausend Blüten

Eingelullt in süß Vergessen

Weiter ging als je zuvor.

Wie mit einmal durch die Nacht

Einer Laute Klang erwacht,

Klagend, stöhnend, Mitleid flehend

Mit der Tonkunst ganzer Macht;

Girrend bald gleich zarten Tauben

Durch die dichtverschlungnen Lauben,

Bald mit langgedehntem Schall

Lockend gleich der Nachtigall,

Daß die Lüfte schweigend horchten

Und das Laub der regen Espe

Seine Regsamkeit vergaß.

Wie ich so da steh und lausche,

Ganz in Wehmut aufgelöst,

Fühl ich mich mit eins ergriffen,

Und zwei Männer, angetan

Mit des Mordes blut'ger Farbe,

Mit dem Dolch, den Augen dräuend,

Seh ich gräßlich neben mir.

Schon erheben sie die Dolche,

Schon glaub ich die Todeswunde,

Schreiend, in der Brust zu fühlen:

Da teilt schnell sich das Gebüsche,

Reißend springt ein junger Mann,

Hoch den Degen in der Rechten,

In der Linken eine Laute

Auf die bleichen Mörder zu.

Wie er ihnen obgesieget,

Wie er, einzeln, sie bezwang,

Wie die kühne Tat gelang

Weiß ich nicht. In starre Ohnmacht

War ich zagend hingesunken.

Ich erwacht' in seinen Armen,

Und zum Leben neu geboren,

Unbehilflich, schwach und duldend

Wie ein Kind am Mutterbusen

Hing ich an des Teuren Lippen

Seine heißen Küsse trinkend.

Und mein Vater, für das alles

Was er erst für mich getan,

Konnt' ich wen'ger als ihn lieben?

Graf.

Und ihr saht euch öfter?

Berta.

Zufall

Ließ mich drauf ihn wieder finden.

Bald – nicht bloß der Zufall mehr.

Graf.

Warum flieht er deines Vaters,

Seines Freundes Angesicht.

Berta.

Obgleich edlem Stamm entsprossen,

Nur des Hauses edler Stolz,

Nicht sein Gut kam auf den Erben.

Arm und dürftig wie er ist,

Fürchtet er, hört' ich ihn sagen,

Daß der reiche Borotin

Andern Lohn für seine Tochter,

Als die Tochter selber zahle.

Graf.

Ich weiß Edelmut zu ehren,

Wenn er sich und andre ehrt.

Bring ihn mir, er soll erfahren,

Daß dem reichen Borotin

Er sein reichstes Gut erhalten,

Soll erfahren, daß dein Vater

Für das Gold der ganzen Welt

Dich nicht für bezahlet hält. –

Doch jetzt, Berta, nimm die Harfe

Und versuch es, meinen Kummer

Um ein Stündchen zu betrügen.

Spiel ein wenig, liebe Tochter!

(Berta nimmt die Harfe. Bald nach den ersten Akkorden nickt der Alte und schlummert ein. Sobald er schläft stellt Berta die Harfe weg.)

Berta.

Schlummre ruhig, guter Vater!

Daß doch all die süßen Blumen,

Die du streust auf meinen Pfad,

Dir zum Kranze werden möchten

Auf dein sorgenschweres Haupt. –

Ich soll also ihm gehören,

Mein ihn nennen, wirklich mein?

Und das Glück, das schon als Hoffnung

Mir der Güter größtes schien,

Gießt in freudiger Erfüllung

Mir sein schwellend Füllhorn hin!

Ich kann's nicht fassen,

Mich selber nicht fassen,

Alles zeigt mir und spricht mir nur ihn,

Den Wolken, den Winden

Möcht' ich's verkünden,

Daß sie's verbreiten so weit sie nur ziehn!

Mir wird's zu enge

In dem Gedränge

Fort auf den Söller, wie lastet das Haus;

Dort von den Stufen

Will ich es rufen

In die schweigende Nacht hinaus.

Und naht der Treue,

Dem ich mich weihe,

Künd ich ihm jubelnd das frohe Geschick

An seinem Munde

Preis ich die Stunde

Preis ich die Liebe, preis ich das Glück. (Ab.)

(Pause. – Die Ahnfrau, Bertan an Gestalt ganz ähnlich, und in der Kleidung nur durch einen wallenden Schleier unterschieden, erscheint neben dem Stuhle des Schlafenden und beugt sich schmerzlich über ihn.)

Graf(unruhig im Schlafe).

Fort von mir! – Fort! – Fort! (Er erwacht.)

Ah – bist du hier meine Berta?

Ei das war ein schwerer Traum,

Noch empört sich mir das Innre!

Geh doch nach der Harfe, Berta,

Mich verlangt's Musik zu hören!

(Die Gestalt hat sich aufgerichtet und starrt den Grafen mit weitgeöffneten toten Augen an.)

Graf(entsetzt).

Was starrst du so graß nach mir,

Daß das Herz im Männerbusen

Sich mit bangem Grausen wendet,

Und der Beine Mark gerinnt!

Weg den Blick! Von mir die Augen!

Also sah ich dich im Traume

Und noch siedet mein Gehirn.