Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers - Franziska Kamberger - E-Book

Die Andoria Chroniken - Im Schatten des Panthers E-Book

Franziska Kamberger

5,0

Beschreibung

Shadows Antwort war ein leises Knurren. >Sie suchen dich.< Der große Reinheitskrieg, die düstere Vergangenheit des Landes Andoria, war erst der Anfang einer gnadenlosen Jagd. Einer Jagd auf alles Magische. Magisches, wie Malenia es in sich trägt und mit Hilfe ihrer treuen Freundin, der Pantherdame Shadow, zu verbergen versucht. Als sie eines Nachts aus ihrem Dorf in die Hauptstadt eskortiert wird, legt sich der Schatten der Angst auch über ihr Herz. Denn sie kennt die Gesetze des Königs ebenso wie alle Untertanen. Die Strafe für Magie ist der Tod.

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Copyright 2022 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Umschlagdesign: Jaqueline Kropmanns

Alle Rechte vorbehalten

Für Ferris,

der meine Leidenschaft teilt

und diese Geschichte zuerst lesen durfte.

Für Nick,

der mir immer helfen wird,

ohne Fragen zu stellen.

Danke, dass ich eure Schwester sein darf.

Inhalt

Teil 1 - Die Adlerundder Drache 6

1. Malenia 7

2. Malenia 19

3. Aiden 32

4. Malenia 38

5. Malenia 50

6. Aiden 60

7. Malenia 64

8.Malenia 75

9. Aiden 80

10. Malenia 89

11. Malenia 98

12. Aiden 104

13. Aiden 109

14. Malenia 118

15. Aiden 128

16.Malenia 133

Teil 2 - FlammenundVertrauen 138

17. Malenia 139

18. Aiden 148

19. Malenia 153

20. Aiden 160

21. Malenia 167

22. Malenia 180

23. Aiden 187

24. Malenia 199

25. Aiden 204

26. Malenia 212

27. Aiden 220

28. Malenia 223

29. Aiden 233

30. Malenia 238

31. Aiden 244

32. Malenia 249

33. Malenia 253

34. Aiden 263

35. Malenia 267

36. Aiden 271

37. Malenia 277

38. Aiden 282

39. Malenia 290

40. Aiden 304

41. Malenia 309

42. Aiden 314

43. Malenia 320

44. Aiden 325

Teil 3 - MagieundBlut 330

45. Malenia 331

46. Aiden 344

47. Malenia 349

48. Aiden 357

49. Malenia 363

50. Aiden 369

51. Malenia 374

52. Aiden 388

53. Malenia 391

54. Malenia 395

55. Malenia 408

56. Aiden 417

57. Malenia 425

58. Aiden 431

59. Malenia 444

60. Aiden 454

61. Malenia 456

Danksagung 463

Teil 1

Die Adler

und

der Drache

1. Malenia

»Ein Unwetter kommt nie allein.

Es scheint immer die Vorhut eines großen Unglücks zu sein.«

Aus dem Tagebuch von König Robert Nordis

Warmer Atem traf auf ihr Gesicht. Irritiert zuckte Nia mit der Nase und schlug die Lider auf. Ein Paar stechend blauer Augen schwebte über ihr. Helle Fäden zogen sich wie feine Goldadern durch ihre Iriden. Ein schwarzer Panther blickte auf sie hinab. Den Mund leicht geöffnet offenbarte er spitze, lange Zähne. Ein einziger Biss konnte tödlich enden. Sie stieß den Atem aus.

»Shadow! Ich habe so gut geschlafen!«

Sie schubste das Gesicht der Pantherdame zur Seite und drehte sich auf den Bauch.

Shadow stieß ein leises Schnauben aus. Ihr Schwanz peitschte unruhig durchs hohe Gras.

Wir sollten langsam zurückgehen, Nia.

Warm und tief erklang ihre Stimme in ihrem Kopf und hob sich klar von ihren eigenen verschlafenen Gedanken ab.

Sie schüttelte träge den Kopf und legte ihn auf ihren verschränkten Armen ab.

In den letzten Tagen hatte der Sommer sich noch einmal aufgebäumt und eine feuchte Hitze über das Land gebracht. Drei Nächte lang hatte Nia schwitzend im Bett gelegen, alle Decken ans Fußende gestrampelt, das rote Haar zu einem Knoten hochgesteckt, und dennoch nicht schlafen können.

Erst an diesem Nachmittag, im Schatten eines mächtigen Apfelbaums, hatte sie endlich etwas Ruhe gefunden. Eine frische Brise war aufgekommen, die sanft über ihre Haut strich und sie einlud, noch länger unter den ausgestreckten, knotigen Ästen des alten Baums zu schlafen. Bereits nach wenigen Minuten hörte sie erneut die tiefe Stimme der Pantherdame in ihrem Kopf.

Es wird gleich gewittern.

Genervt stöhnte sie auf und wälzte sich zurück auf den Rücken. Müde blinzelte sie durch die Zweige des Baums, die sie gerade erst leer gepflückt hatte. Die Äpfel, die am Morgen noch schwer daran gehangen hatten, lagen jetzt in einem von vielen Körben, die sie im Laufe des Tages mit Obst gefüllt hatte.

Tatsächlich waren tiefgraue Wolken aufgezogen, während sie geschlafen hatte. Nur an wenigen Stellen kämpften sich noch Strahlen des warmen Sonnenlichts zur Erde.

»Wird auch Zeit«, sagte Nia zu Shadow. »Die Luft ist seit Tagen so schwül, dass ich das Gefühl habe, Wasser zu atmen. Und Liz hat die ganze Zeit Kopfschmerzen.«

Sie sorgt sich, erwiderte Shadow, während Nia aufstand und lose Grashalme von ihrem leichten Baumwollkleid klopfte. Für die Arbeit war es eigentlich völlig ungeeignet, aber es war das Leichteste an Kleidung, das sie besaß. Schon bei dem Gedanken an die steife Arbeitshose und das langärmelige Hemd, das sie sonst auf der Plantage trug, brach ihr der Schweiß aus.

Hoffentlich hatte der Rasen keine Flecken in dem hellen Stoff des Kleides hinterlassen. Das würde Liz gar nicht gefallen, bei solchen Dingen war sie ziemlich streng.

»Wie kommst du darauf?«, fragte sie und streckte sich.

Beinahe lautlos glitt Shadow neben ihr durchs Gras, während sie die Obstplantage durchquerten. Grashüpfer sirrten durch die Luft und Hummeln stiegen von vertrockneten weißen Blüten auf, aufgeschreckt durch ihre Schritte.

Ich spüre es. Ich denke, es hat mit diesem Brief zu tun.

Da runzelte sie die Stirn. In den letzten Tagen hatte sie Liz mehrfach erwischt, wie sie hastig ein Stück Papier verschwinden ließ, wenn Nia nach Hause kam. Aber sie sah darin keinen Grund zur Sorge. Was konnte dort drinstehen, was schlimmer war als die Dinge, die bereits geschehen waren? Nichts, was Liz ihr verheimlichen würde.

»Das ist sicher nur wieder ein Brief von einem der alleinstehenden Männer aus dem Dorf.« Sie ging zu ihrer Schimmelstute Glory, die sie unter einem nahen Baum zum Grasen stehen gelassen hatte, und strich ihr sanft über den hellen Hals.

»Du weißt, wie sie hinter ihr her sind, trotz der Schande, seit Bram …«

Sie verstummte und schüttelte den Kopf. Schmerz begleitete diesen Namen, wann immer sie ihn aussprach. Glory stieß ihre Hand an, auf der Suche nach etwas Obst oder einem Stück Zucker. Sie war das einzige Pferd im Dorf, das vor Shadow nicht zurückschreckte. Ein ledernes Geschirr lag eng um ihren Rumpf. Daran war der hölzerne Karren befestigt, auf dem sich körbeweise Obst stapelte. Nia griff sich einen frisch gepflückten Apfel aus dem obersten Korb und hielt ihn Glory hin. Sanft streichelte sie über den Hals der Stute. Mit laut schmatzenden Geräuschen verschwand der Apfel in ihrem Mund.

Ich glaube nicht, dass es solch ein Brief ist. Etwas beunruhigt sie. Shadow streckte sich und entblößte dabei einige lange Krallen an ihren Vorderpfoten. Dann sprang sie auf den Karren und machte es sich zwischen den Obstkörben bequem.

Du solltest sie danach fragen. Sowas tut ihr Menschen doch, oder? Sie blinzelte fragend. Ihr erzählt euch all eure Probleme und teilt euer Leid.

»Das nennt man Empathie«, erwiderte Nia schnaubend. »Und ohne diese wärst du heute kaum hier.«

Wohl wahr.

Sie schwang sich in den Sattel, fasste die Zügel, schnalzte einmal mit der Zunge und Glory lief gemächlich los. Die hölzernen Räder des Karrens knarzten leise, als sie sich in Bewegung setzten. Schweigend ritt sie zwischen den verschiedenen, in sauberen Reihen stehenden Bäumen entlang. Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Maronen, Haselnüsse, Walnüsse - diese Plantage versorgte das ganze Dorf mit frischen Lebensmitteln. Alles, was an Bäumen wuchs, hatte Liz versucht anzupflanzen. Viele Versuche waren geglückt. Sie hatte es sogar geschafft, ein paar Zitronenbäumchen gedeihen zu lassen und am schattigen Rand der Plantage, direkt am Wald, hatte Nia im letzten Jahr eine Reihe Himbeerbüsche gepflanzt. .

Die Plantage war Liz ganzer Stolz.

Als sie damals mit ihrem Mann Bram, dem gemeinsamen Sohn Gideon und Nia in dieses Dorf zog, hatten sie kaum mehr als das, was sie am Leib trugen. Nach ihrer Ankunft in Karstons River klopften sie an Türen, auf der Suche nach Arbeit. Die ersten Nächte, so hatte Bram es immer erzählt, schliefen sie auf ein paar Decken auf einer Wiese direkt am Fluss. Von den letzten Münzen kaufte Liz auf dem Markt das Nötigste ein, während ihr Mann den anderen Dorfbewohnern seine Dienste als Schreiner anbot. Niemand gab ihm Arbeit. Die Bewohner von Karstons Riverwaren eine eingeschworene Gemeinschaft, vor allem damals, zu der Zeit um den Reinheitskrieg. Sie misstrauten jedem Fremden.

Nia selbst erinnerte sich nicht daran. Sie war erst wenige Monate alt gewesen. Für sie klang diese Geschichte immer nach Ungewissheit und Einsamkeit. Noch mehr, wenn sie daran dachte, dass ihre eigene Mutter kurz zuvor gestorben war. Brams Augen jedoch hatten jedes Mal geleuchtet, wenn er sie erzählt hatte.

Weil er keine Arbeit gefunden hatte, waren sie kurz davor gewesen, aufzugeben und mit den Kindern weiterzuziehen, als ein alter, gebeugter Mann am Fluss aufgetaucht war.

Er erzählte ihnen von seiner Obstplantage am Dorfrand, für die er aufgrund seines Alters helfende Hände brauchte, und von seinem kleinen Haus, in dem ein Zimmer frei war.

Er nahm die Familie bei sich auf und sicherte so ihre Zukunft. Vor seinem Tod überschrieb er ihnen sein Haus, die Plantage und all seinen Besitz.

Seitdem ging Liz jeden Tag, egal wie viel sie zu tun hatte, einmal über die Plantage und kontrollierte den Zustand sämtlicher Bäume. Mehr noch. Sie päppelte geschädigte Bäume wieder auf, pflanzte neue Samen ein und vergrößerte die Plantage.

Shadow und Nia erreichten den Rand der Plantage. Hinter ein paar Bäumen und Sträuchern konnte sie die steinerne Fassade des kleinen Bauernhauses erkennen, in dem sie lebte.

»Hallo, Nia!«

Sie wandte sich um und sah Phil mit schnellen Schritten auf sich zu laufen. Er war einer der Jungen, die ihr und Liz in der Hochsaison bei der Ernte halfen.

Ah, da ist er ja wieder. Ein Kichern schwang in Shadows Stimme mit.

»Benimm dich!«, zischte Nia und glitt aus dem Sattel.

Phil kam schnaufend zum Stehen. Das Hemd klebte ihm schweißnass an seinem schmächtigen Körper und er wischte sich das dunkle Haar aus der Stirn, bevor er mit einem Blick auf Shadow einen Schritt zurücktrat.

Nia spürte die Belustigung der Pantherdame deutlich in ihrer Brust. Sie legte den Kopf leicht schief.

Feigling. Wie reagiert er wohl, wenn ich herzhaft gähne?

Unauffällig verpasste Nia ihr einen Tritt gegen die Hinterpfote. Shadow stieß geräuschvoll den Atem aus, woraufhin Phil zusammenzuckte. Beim Anblick ihrer spitzen Zähen würde er wahrscheinlich in Ohnmacht fallen.

»Hallo, Phil. Was gibt´s?«

»Hast du es noch nicht gehört?« Aufregung blitzte in seinen hellen Augen auf.

»Was gehört?«

»Angeblich sind Soldaten des Königs auf dem Weg zu uns.«

Erwartungsvoll blickte er sie an. Sicher glaubte er, sie mit dieser Nachricht zu beeindrucken. Schließlich waren Soldaten des Königs so ziemlich das Spannendste, das es in diesem kleinen Dorf je geben würde. Doch Nia runzelte nur skeptisch die Stirn.

»Wer behauptet das?«

»Ein fahrender Händler hat sie gesehen. Er meinte, sie hätten Rast gemacht, keine fünf Wegstunden von hier entfernt. Der Kerl verkauft seine Waren auf dem Markt und erzählt es jedem, der vorbeikommt.«

Da verdrehte sie die Augen. »Natürlich tut er das. Er lügt, um die Leute anzulocken, genau wie all die anderen vor ihm.«

Langsam ging sie weiter auf das Haus zu. Phil folgte ihr. Sie bemerkte, wie er immer wieder einen Seitenblick auf Shadow warf, und hätte beinahe erneut die Augen verdreht. Man sollte meinen, nach zehn Jahren hätten die Dorfbewohner sich endlich an ihre dunkle Begleiterin gewöhnt. Aber nichts hatte sich in all den Jahren geändert. Sie fürchteten sich. Viele mieden sie sogar.

»Sicher sagt er die Wahrheit.«

Nia seufzte. »Wenn sie wirklich hierher unterwegs sind, dann wahrscheinlich zum Wachwechsel. Wir hatten schon länger keinen mehr.«

Der Gedanke machte sie tatsächlich etwas nervös. Denn man wusste vorher nie, wie die neuen Wachen sich verhalten würden. Vor einigen Jahren hatte es zwei Männer gegeben, die die Suche nach Magie wie einen persönlichen Rachefeldzug betrieben.

»Nein, nein. Richtige Soldaten sagte er.« Phil wirkte mittlerweile leicht frustriert, weil sie seinen Worten keinen Glauben schenkte. »Er klang ziemlich überzeugend. Konnte sogar ihr Aussehen beschreiben. Einer von ihnen soll ziemlich wild aussehen. Und ein anderer wie ein halber Riese.«

Er musterte Nia von der Seite her. Als würde er darauf warten, dass sie sich zum Aussehen der Soldaten äußerte. Woher sollte sie wissen, was wild bei einem von ihnen bedeutete? Von den einfachen Wachen abgesehen, hatte sie noch nie einen echten Soldaten gesehen. Karstons River war zu klein und zu unbedeutend, um für sie relevant zu sein.

In jedem Ort gab es ein paar Wachen, die vor allem die Einhaltung der Reinheitsgesetze überwachten. Hierstanden sie am Rand des Marktplatzes und an den beiden Enden der Hauptstraße, die ins Dorf führte. Man konnte sie leicht in ein Gespräch verwickeln oder zu einem Kartenspiel überreden, denn sie langweilten sich. Dennoch waren sie da. Für den Fall eines Verbrechens. Um jedes Anzeichen von Magie zu registrieren und dementsprechend zu handeln. Die letzte Hinrichtung eines Magischen, die es hier je gegeben hatte, war jetzt Jahre her. Nias Kehle verengte sich, als sie daran dachte. Sie schluckte.

Es war lächerlich. Hier hielten alle zusammen, es sei denn, es gab ein Anzeichen für ein Verbrechen. Dann griff die Angst um sich und verbreitete sich schneller als ein Virus. Die Angst, als mitwissend bestraft zu werden. Oder selbst dem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Die Wachen erfuhren schneller von einem Diebstahl, als er ausgeübt wurde. Bemerkte jemand nur einen Funken von Magie, löschten die Wachen ihn, bevor er zur Flamme werden konnte. Dachten sie. Aber sie waren so blind.

Trotzdem regte sich leichtes Unbehagen in ihr. Sie räusperte sich und schüttelte es ab.

»Wenn sie nur noch fünf Wegstunden entfernt waren, wieso machen sie dann noch Rast?«, gab sie betont sorglos zu bedenken. »Das ist Unsinn.«

Phil sackte ein bisschen in sich zusammen und steckte die Hände in die Taschen seiner Hose. Sie war übersät mit Grasflecken und kleinen Löchern.

»Wir werden sehen«, murmelte er.

Ein leises Grollen rollte heran und er sah auf. Als sie den Kopf in den Nacken legte, hatten die Wolken sich noch weiter verdichtet. Dunkel hingen sie über ihnen und so schwer, als würde sie jeden Moment herabfallen.

»Du solltest gehen«, sagte sie zu Phil und griff die Zügel fester, da Glory bei Gewittern immer nervös wurde. Sie beschleunigte ihre Schritte. »Da kommt ein Unwetter.«

»Warte noch kurz.« Er griff nach ihrem Arm. Sie spürte seinen klebrigen Schweiß. Wie ihre eigene Haut war seine Hand mit einer leichten Bräune überzogen, von der langen Arbeit in der Sonne.

Puh, der stinkt ja förmlich nach Hormonen.

Fast glaubte sie, Phil hätte Shadows Worte auch gehört. Seine Augen zuckten kurz zu ihr und er zog unsicher die Hand zurück.

»Nächste Woche ist das Sternenfest.« Er zupfte an seinem feuchten Hemd und wich Nias Blick aus. »Ich habe mich gefragt, ob du auch hingehst?«

Überrascht blieb sie stehen. »Oh.«

Das Sternenfest fand jedes Jahr in der Nacht des achten Neumonds statt. In dieser Nacht konnte man besonders viele Sterne und insbesondere Sternschnuppen sehen. Das ganze Dorf kam zusammen, es gab jede Menge Leckereien, Musik, Wein und alle lachten und tanzten. Bis Mitternacht. Dann wurden alle Feuer gelöscht. Mit jeder sterbenden Flamme tauchten mehr Sterne am Firmament auf. Mit jedem der funkelnden Punkte wurde den Verstorbenen gedacht. An diesem Tag wurden sie nicht betrauert, sondern gefeiert.

Es war ein wunderschöner Anblick, den Nia aber meist nicht vom Festplatz, sondern von ihrem Lieblingsplatz am Fluss aus genoss. Manchmal begleitete Liz sie, aber meist war sie mit Shadow allein. Das war ihr lieber als den Blicken ausgesetzt zu sein, dem Gemurmel hinter vorgehaltener Hand. Weil man auf den ersten Blick sah, dass sie mit den feuerroten Haaren und den grünen Augen nicht Liz‘ und Brams Tochter war. Weil sie immer ein wildes Tier an ihrer Seite hatte und viel Zeit im Wald verbrachte, vor dem sich sonst alle fürchteten. Natürlich gab es nur wenige, die ihr Misstrauen offen zeigten. Doch Nia wusste, dass es da war, und manchmal fiel es ihr schwer, es einfach zu ignorieren. Nicht zum ersten Mal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie eigentlich nicht an diesen Ort gehörte. Eines Tages würde sie ihn verlassen und sich die Welt ansehen.

Phil konnte sie von all diesen Gedanken nichts sagen. Wie sollte er sie verstehen? Außerdem war es mutig von ihm, überhaupt mit ihr über das Fest zu sprechen, wo doch alle anderen einen großen Bogen um sie machten.

»Ich weiß nicht«, antwortete sie deshalb ausweichend.

»Wir könnten zusammen tanzen.« Seine Augen glänzten. »Und die Sternschnuppen zählen.«

Ich sag es ja. Hormone. Totaler Überschuss.

Shadow vermutete schon länger, dass Phil an Nia interessiert war. Er sprach sie an, wann immer er auf sie traf. Meist musste Nia sich eine Ausrede ausdenken, um ihn wieder loszuwerden. Allerdings war er immer schon gesprächig gewesen, deshalb hatte sie sich nichts weiter dabei gedacht. Bis Shadow ihr diesen Gedanken in den Kopf gesetzt hatte. Seitdem fiel es ihr schwer, nicht darüber nachzudenken und jede Begegnung mit ihm war unangenehm, weil sie dieses Interesse niemals erwidern konnte.

Als sie Phil ansah, wirkte er so hoffnungsvoll und gleichzeitig nervös, dass Nia nicht einfach ablehnen konnte. »Ich überlege es mir, okay?«

Er biss sich auf die Lippe. Bestimmt hatte er auf eine andere Antwort gehofft. Trotzdem nickte er und lächelte breit. »In Ordnung. Wir sehen uns morgen, bei der Arbeit.«

Ein kalter Regentropfen landete auf ihrer Wange. »Bis dann, Phil.«

Wie nennt ihr empathischen Menschen sowas doch gleich? Achja, peinlich. Ein Kichern schwang in Shadows Stimme mit.

»Hättest du doch bloß gegähnt«, seufzte Nia, als Phil außer Hörweite war.

Shadows Lachen hallte in ihrem Kopf nach.

Sie überquerten die provisorische Brücke, die Bram vor Jahren aus ein paar Holzbalken am Bach errichtet hatte. Er verlief direkt zwischen der Plantage und dem Haus. Ein stetiges Plätschern umgab sie rund um die Uhr. Manchmal stand Nia in den Morgenstunden einfach nur am Fenster. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dann diesem Geräusch und fragte sich, wie es wäre, das Dorf zu verlassen und dem Bach bis zu seinem Ursprung zu folgen. Was würde sie dort finden? Vielleicht einen Ort, an dem sie und Shadow willkommen waren? An dem Magische nicht getötet, sondern geschätzt wurden? Das verheißene Freie Land, das fester Bestandteil von Brams letzten Geschichten war?

Die Brücke nach der Ernte zu überqueren, war immer wieder schwierig. Sie war gerade so breit wie der Karren. Wenn Nia nicht aufpasste, während sie Glory über die Holzplanken führte, konnte schnell eins der Räder auf einer Seite ins Leere laufen und der ganze Karren umkippen. Bram hatte die Brücke durch eine breitere und stabilere ersetzen wollen. Doch dann …

Ein lauter Donnerschlag erklang und sie zuckte zusammen. Graue Dunkelheit hatte sich auf das Land gelegt.

Das dumpfe Geräusch von Regen, der auf umliegendes Laub fiel, mischte sich unter den gewohnten Klang des Baches. Shadow schüttelte sich. Sie war kein Freund von Regen. Nia dagegen genoss das kühle Nass auf ihrer Haut, die den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt gewesen war.

Sie wandten sich nach links und der Weg führte sie hinters Haus. Regentropfen perlten von den dünnen Blättern der Buschwindröschen ab, die an den unregelmäßig geformten, grauen Steinen emporkletterten. Durch eins der kleinen Fenster konnte sie Liz in der schmalen Kochnische stehen sehen. Zwischen Eichen und Kastanien stand der schmale Stall, den Bram einst gebaut hatte, um Glory und Pip, den schwarzen Hengst, vor dem Wetter zu schützen.

Mit einem leisen »Brr«, brachte sie Glory zum Stehen. Die Stute schnaubte kurz und suchte in ihrer Hand nach einem weiteren Apfel.

»Du bist viel zu gefräßig, Süße.« Glory schnaubte erneut.

Routiniert schnallte sie die Stute vom Karren. Der Regen hatte deutlich zugenommen. Wenn sie das Obst noch abladen wollte, ohne völlig durchnässt zu enden, musste sie sich beeilen.

Shadow hob prüfend den Kopf. Schnupperte.

»Gehst du noch auf die Jagd?«

Mmh.Riecht, als wäre ein Fuchs in der Nähe.

Angeekelt verzog sie das Gesicht. »Du sollst mir doch nicht sagen, was du jagst.«

Okay. Riecht nach einem Rosenbusch.

Nia lachte. Dann spürte sie Shadows kalte Nase an ihrer Hand und einen Moment später verschwand die Pantherdame lautlos im angrenzenden Wald.

»Komm, Glory. Rein ins Trockene.«

Die meisten Dorfbewohner fürchteten den Wald. Insbesondere den auf der anderen Seite des Dorfes, hinter dem Fluss. Schon viele waren beim Sammeln von Pilzen und Kräutern von einem Bären oder Wolf überrascht worden und nicht zurückgekehrt. Nur wenige erfahrene Jäger trauten sich in das Dickicht, in dem es nie richtig hell zu werden schien.

Doch Nia war dankbar für ihr Zuhause, das etwas abseits am Waldrand lag. Ein einzelner Trampelpfad führte einen leichten Abhang hinab, an Getreidefeldern und Weiden vorbei, direkt zum Marktplatz.

Sie liebte den Wald und seine ganz eigene Stille. Den Geruch von Rinde und Laub, der sie umgab. Außerdem musste sie sich hier keine Sorgen machen, dass jemand sah, wie sie sich mit Shadow unterhielt. Wie sollte sie den anderen erklären, dass Shadow nicht nur ungefährlich war, sondern sie auch ihre Gedanken wie eine Stimme in ihrem Kopf hören konnte, ohne dass dies zu gefährlichen Gerüchten führte?

Nia wusste, was ihre Verbindung bedeutete. Shadow war ein Purnox. Ein magisches Tier und somit zum Tode verurteilt, sobald es jemand herausfand. Sie bemühte sich, nicht darüber nachzudenken. Nicht nur Shadow würde unter der Wahrheit leiden, sollte sie je enthüllt werden. Die Soldaten konnten auch Nia und wahrscheinlich sogar Liz zur Rechenschaft ziehen. Das Verbergen von Magie war eines der schlimmsten Verbrechen, die man im Land Andoria begehen konnte.

Die Tatsache, dass sie Shadow als kleines Kätzchen vor dem Tod gerettet hatte, als sie erst ein paar Wochen alt gewesen war, machte die Geschichte vom einfachen zahmen Panther zum Glück sehr glaubhaft. Solange niemand begann, näher hinzusehen und darüber nachzudenken.

Nia seufzte und führte Glory in den Stall. Pip war schon da und tat sich an frischem Heu gütlich, das den festgestampften, erdigen Boden bedeckte. Er hob kurz den Kopf, als Glory sich zu ihm gesellte und sie fraßen in stiller Eintracht. Ein lautes Donnern ertönte. Das Licht eines hellen Blitzes kroch zwischen den Holzlatten hindurch und tauchte den Stall in grellen Schein. Pip wieherte nervös und sie tätschelte ihm kurz den Hals. Laut trommelte der Regen auf das hölzerne Dach. Bevor sie den Stall verließ, ging sie in die hinterste Ecke, wo - Sattel, Zaumzeug und Decken gelagert wurden. Dort stand auch eine Holztruhe, in der sich einige von Brams Dingen befanden, von denen sie sich nicht hatten trennen können.

Nia ging in die Knie. Sanft glitten ihre Finger über das dunkle Holz, aus dem die Truhe gefertigt war. Sie hatte sie nicht mehr geöffnet, seit sie die Sachen darin verstaut hatte. Erinnerungen stiegen in ihr auf, an Emily, zu klein, um wirklich zu verstehen, was geschah. Tagelang starrte sie aus dem Fenster und wartete. An Liz, wie sie weinend in ihrem Bett lag und Nia ihr den mit Traumkraut versetzten Tee einflößen musste, damit sie wenigstens für ein paar Stunden zur Ruhe kam. Es war das einzige Mal gewesen, dass sie Schwäche bei ihr gesehen hatte.

Jeden Tag kam Nia einmal hierher. Nicht, um die Kiste zu öffnen. Diesen Schmerz konnte sie kaum ertragen. Sondern, um sie ein kleines Stück anzuheben, sodass ihre Hand darunter passte.

So auch jetzt. Ihre Hand glitt über raue Erde und dann ins Nichts. Zufrieden stellte Nia fest, dass das von ihr gegrabene Loch noch da war. Genauso wie Brams letzte Geschenke, die sie darin versteckte.

2. Malenia

»Manchmal haben wir nur diesen einen Moment.

Den letzten, in dem alles perfekt ist.

Doch wissen wir es nicht.

Ist das nicht tragisch?«

Aus dem Tagebuch von König Robert Nordis.

Als Nia, beladen mit einem Korb Pflaumen, endlich das Haus betrat, stürzte der Regen draußen auf die Erde wie ein Wasserfall. Es lagen nur ein paar Meter zwischen Stall und Haus, dennoch klebte ihr das Kleid jetzt nass auf der Haut.

Liz blickte vom Tisch auf, der die Mitte des großen Wohnraums einnahm. Nia sah gerade noch, wie sie ein Stück Papier in den Taschen ihrer schlichten Schürze verschwinden ließ. Besorgt biss sie sich auf die Unterlippe. Vielleicht hatte Shadow recht. War es möglich, dass Liz ihr etwas verheimlichte? Etwas Schlimmes? Fahrig strich Liz sich eine blonde Locke aus dem Gesicht. Ein köstlicher Duft strömte aus dem Topf über der Kochstelle. Nias hungriger Magen knurrte.

»Da bist du ja endlich«, sagte Liz eine Spur zu laut. »Das Essen ist gleich fertig.«

»Sehr gut.« Sie ging durch den Raum in den kleinen angrenzenden Flur. Hier gingen drei weitere Räume ab. Nia wandte sich zur rechten Tür, hinter der sich der kleine Lagerraum verbarg, in denen sie Obst, selbstgemachte Marmelade und Kräuter lagerten.

»Hilfst du mir abladen?«, rief sie über die Schulter und stellte den Korb ab.

Der Lagerraum hatte nur ein kleines Fenster, nicht groß genug, um den süßen Geruch zu vertreiben, der durch all das Obst dick wie Sirup in der Luft hing.

»Sicher!«

Während sie ein Dutzend mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen gefüllte Körbe schleppten, gingen ihr Shadows Worte nicht aus dem Kopf. War Liz wirklich besorgt? Sie musterte ihre Ziehmutter unauffällig, während sie die letzten Körbe hineintrugen. Die vergangenen Tage wirkte sie immer etwas müde und vielleicht hatte ihr kurviger Körper an gesunder Fülle verloren. Aber sie hatte auch viel zu tun gehabt. Den ganzen Tag stand sie auf dem Markt um Obst, Marmelade und Kräutermischungen zu verkaufen. An einem Abend hatte sie dann noch geholfen, das fünfte Kind von Angelika, der Bäckerin, auf die Welt zu bringen. Denn eigentlich war Liz Hebamme. In einem kleinen Dorf wie diesem reichte das jedoch nicht, um die Familie das ganze Jahr durchzubringen. Sie wollte Nia schon länger zu ihrer Assistentin ausbilden. Bisher hatte sie sich davor drücken können. Sie mochte die Arbeit auf der Plantage und in der Natur.

Mittlerweile hing das Kleid schwer vor Nässe auf ihren Schultern. Auf dem Weg ins Haus überlegte sie, wie sie Liz unauffällig aushorchen konnte. Denn von sich aus berichtete sie nie von ihren Sorgen. Tatsächlich konnte Nia sich nicht darin erinnern, Liz je von ernsthaften Problemen sprechen gehört zu haben. Sie war immer stark, zuversichtlich und fand für alles eine Lösung. Meist hatte sie ein Problem beseitigt, bevor Nia überhaupt wahrgenommen hatte, dass es eins gab.

Als sie den Lagerraum betrat, kam ihr eine Idee.

»Ich habe Phil getroffen«, erzählte sie möglichst beiläufig.

Liz nahm ihr den letzten Korb ab und stellte ihn zu den anderen.

»Achja?«

Schon war sie auf dem Weg zurück in den Wohnraum. Sie nahm ein paar Teller aus dem Schrank neben der Feuerstelle.

»Ja. Er meinte, einer der Händler auf dem Markt erzählt, dass Soldaten auf dem Weg hierher sind.«

Zum Glück war das Geschirr aus Holz, denn Liz zuckte so heftig zusammen, dass sie einen der Teller fallen ließ.

»Ach Mist! Ich bin schon den ganzen Tag so ungeschickt!«, schimpfte sie.

Erschrocken sah Nia sie an. Ihr entging nicht, wie ihre Hand zitterte, als sie den Teller aufhob. Wie blass Liz plötzlich aussah im Licht der brennenden Öllampen, die tapfer gegen die frühzeitige Dunkelheit ankämpften.

»Liz?« Unsicher suchte Nia ihren Blick.

Liz pustete sich die regenfeuchten Haare aus dem Gesicht. Ihre blauen Augen wirkten gehetzt.

»Du weißt doch, wie das ist mit diesen Gerüchten«, antwortete sie schulterzuckend. »Sie kommen immer wieder und nie ist etwas Wahres daran. Wir sind nicht interessant genug für die königlichen Soldaten.«

Dasselbe hatte Nia zu Phil gesagt. Liz hielt den Blick abgewandt und konzentrierte sich krampfhaft auf das Verteilen der Teller, während sie sprach. Nia kam der Gedanke, dass sie möglicherweise mehr wusste. Vielleicht waren die Gerüchte zum ersten Mal wahr.

Sie tauschte ihr nasses Kleid gegen ein langärmliges aus grüner Wolle. Wind pfiff unter der Tür hindurch und zwängte sich durch die kleinsten Ritzen in der Wand. Sie holte Emily aus ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, wo das kleine Mädchen frisch gepflückte Blumen auf dem Holzboden verteilte, bis sie einen bunten Teppich bildeten. Sie lagen vor Emilys schmalem Bett an der linken Wand unter dem Fenster, vor der schmalen Leiter, die zu Nias erhöhtem Schlafplatz führte. Mit ihren blonden Locken und den ewig lächelnden Lippen war Emily unverkennbar Liz Tochter. Nur die braunen Augen hatte sie von ihrem Vater geerbt. Immer wenn Nia sie ansah, konnte sie Bram darin entdecken.

Als Emily sie in der Tür stehen sah, begann sie sofort zu plappern und von ihrem Tag auf dem Markt zu erzählen, wo sie zum ersten Mal selbst Ware angepriesen und verkauft hatte. Sie erzählte mit solch schillernden Worten, dass sich der simple Obstverkauf wie ein richtiges Abenteuer anhörte.

»Sie hat zu viel von ihrem Vater«, meinte Liz lächelnd, als Nia mit Emily zurückkam.

Emily runzelte die Stirn. In ihrer schmalen Hand hielt sie immer noch ein paar bunte Blümchen.

»Ist das denn schlecht?«, fragte sie mit heller Stimme und legte die Blumen neben ihren Teller.

»Nein, mein Schatz.« Liz strich ihrer Tochter mit einem Lächeln über das Haar. »Im Gegenteil. Das ist ganz wunderbar.«

Da nickte sie zufrieden.

Der Duft des Kartoffeleintopfs zog durch den Raum. Eine Weile hörte man nur das Unwetter und das Klappern ihrer Löffel auf den Tellern. Während sie aßen, ertappte Nia sich immer wieder dabei, wie sie Liz beobachtete.

Ihr Blick wanderte zu der kleinen Tasche, die oben an Liz Schürze eingenäht war. Dort hatte sie vorhin den Brief verstaut. Liz dachte bestimmt nicht sofort daran, ihn aus der Tasche zu nehmen, wenn sie die Schürze nachher über den Haken neben der Kochstelle warf. Vielleicht konnte Nia ihn sich unbemerkt greifen. Bis Liz auffiel, dass der Brief noch darin war, könnte sie ihn längst gelesen haben.

Nachdenklich kaute sie auf einem Kartoffelstück herum. Es fühlte sich falsch an, so in ihrer Privatsphäre rumzuschnüffeln. Vielleicht sollte sie einfach direkt danach fragen. Aber wenn Liz ihr erzählen wollte, was sie beschäftigte, hätte sie es dann nicht längst getan? Die Angst belogen zu werden war größer als die Angst vor dem Inhalt des Briefs.

Sie angelte ein Apfelstück aus dem Eintopf und genoss den süßsauren Geschmack, der die besondere Note des Rezepts ausmachte.

Ein Scharren erklang an der Tür. Sie stand auf und ließ ihre Schultern kreisen, die von dem Arbeitstag ganz verspannt waren. Regen traf sie im Gesicht, als sie die Tür öffnete und ein schlanker, schwarzer Körper durch den Spalt glitt.

Shadow hob nacheinander ihre Pfoten an und schüttelte sie angeekelt aus. Kleine Schlammspritzer landeten auf dem Fußboden.

Widerliches Wetter.Hoffentlich ist es bald vorbei.

»Bestimmt«, murmelte Nia. »Bist du wenigstens erfolgreich gewesen?«

Bei dem Wetter verkriecht sich jedes kluge Tier. Aber ich habe trotzdem eins gefunden. Sie tapste durch den Raum, hinterließ eine Reihe feuchter Pfotenabdrücke und hielt auf die gepolsterte Sitzbank zu, die neben zwei Sesseln vor dem Kamin stand.

An der gegenüberliegenden Wand, neben einem kleinen Tisch mit einer Öllampe, stand das große Bücherregal, das Bram über Jahre mit Wissen und Geschichten gefüllt hatte.

»Wehe du legst dich mit deinem nassen Fell auf die Polster, Shadow!«, mahnte Liz.

Shadow hielt inne und blickte am Esstisch vorbei zur anderen Seite des Raums.

»Und von meinen Stoffen hältst du dich auch fern, solange du nicht trocken bist!« Sie deutete auf die Körbe mit Stoffen, Bändern, Garn und Wolle in verschiedenen Farben, die am anderen Zimmerende neben einem Schaukelstuhl und einem Webrahmen standen.

Die Handarbeit war ihre große Leidenschaft. Wann immer sie nicht arbeitete, nähte sie neue Kleider, webte Ponchos und Decken oder fertigte neue Bezüge für Polster und Kissen an. Nia erinnerte sich noch gut, wie Liz früher Abend für Abend in ihrem Schaukelstuhl gesessen und genäht hatte, während Emily neben ihr im Stubenwagen schlief. Bram saß in einem der Sessel am Kamin, mit Gideon auf der einen und Nia auf der anderen Lehne und las ihnen Geschichten vor. Seit seinem Tod und Gideons Weggang hatte Liz kaum noch Gelegenheit für ihre Handarbeit. Meist reichte die Zeit gerade so, um ein paar Löcher zu stopfen.

Shadow schnaubte leise. Ich kann ja wieder in den Regen gehen. Dann legte sie sich einfach neben den Esstisch und begann dort ihr Fell zu lecken.

Nia setzte sich wieder und nahm ihren Löffel.

Vielleicht hat Phil nicht gelogen.

Shadow sah von der Pfote auf, die sie gerade putzt.

Ich habe eine Runde ums Dorf gedreht. Durch den Regen war kaum etwas wahrzunehmen, dennoch habe ich fremde Gerüche bemerkt. Von mehreren Menschen. Sie sind auf dem Weg hierher.

Nias Löffel fiel zurück in die Schale. Brühe spritzte auf den Tisch »Bist du sicher?«

Es sind mindestens vier.

»Was ist los?«, fragte Liz, die nur eine Seite der Unterhaltung hören konnte.

Nia warf einen Blick auf Emily. Das kleine Mädchen schob mit ihrem Löffel ein letztes Kartoffelstück durch die Brühe.

»Shadow hat fremde Gerüche wahrgenommen. Sie meint, das Gerücht stimmt vielleicht doch.«

An Liz starr werdendem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass sie sich an ihr Gespräch von vorhin erinnerte. Sie bemerkte, wie ihre Hand zu der kleinen Tasche an ihrer Schürze zuckte. Dann versuchte sie es zu kaschieren, in dem sie sich das Haar zurückstrich.

Unbehagen überfiel sie. Ebenso spürte sie Shadows Unruhe in ihrer Brust.

Da stimmt was nicht, Nia. Hast du sie gefragt, was los ist?

»Nein«, antwortete sie leise.

Liz blickte sie an. »Vielleicht solltet ihr heute nicht mehr raus gehen, Schatz.«

Es klang wie ein Vorschlag. Jedoch mit einem dringlichen Unterton.

Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Seit sie mit Phil gesprochen hatte, regte sich eine schlimme Befürchtung in ihr. Jetzt mehr denn je.

Zögernd fragte Nia: »Glaubst du, sie wissen -«

»Nein«, antwortete Liz eilig. »Aber du solltest jetzt besonders vorsichtig sein.«

Nia öffnete den Mund. Entschlossen, Liz nach dem Brief zu fragen. Es musste eine Verbindung geben. Aber es drang kein Laut aus ihrem Mund. Denn plötzlich war da die Angst, dass die Antwort alles verändern würde.

Sie schlafen alle.

Nia schob ihre Decke beiseite und glitt aus dem Bett. Schon seit einigen Minuten hatte sie Emilys tiefen Atemzügen gelauscht, während Shadow vor Liz Tür ausgeharrt hatte.

Jetzt schlüpfte sie schnell in eine ihrer älteren Hosen, deren Leder mittlerweile weich und geschmeidig war. Ihr Nachthemd tauschte sie gegen eine lockere Tunika und

schlüpfte dann barfuß aus dem geöffneten Fenster.

Shadow blieb dicht an ihrer Seite, während sie den Wald betrat. Zunächst gingen sie am Rand, mit den Bäumen der Plantage zu ihrer Linken. Doch schon bald folgte sie dem schmalen, ausgetretenen Pfad tiefer in den Wald hinein.

Nia spürte, wie eine Last von ihr abfiel. Die Bürde, sich verbergen und verstellen zu müssen.

Hier im Wald, wo niemand außer Shadow an ihrer Seite war, konnte sie ganz sie selbst sein. Ihre Barrieren fallen lassen. Zumindest ein Stück weit. Nur ein wenig. Um die Kontrolle nicht zu verlieren. Insofern sie überhaupt von Kontrolle sprechen konnte, denn die hatte sie nie erlernt. Nur das Verbergen. Verstecken. Unterdrücken.

Die Blätter wirbelten um ihre Füße, als sie ihre inneren Mauern losließ und einen kleinen Magieschwall entließ. Das Gewitter war einem feinen Nieselregen und leise wisperndem Wind gewichen. Shadow bewegte sich neben ihr lautlos, wie ein Schatten.

Mit der Magie war es ein wenig wie mit Gefühlen. Man musste sie irgendwie rauslassen, sonst fraß sie einen von innen heraus auf. Sie machte einen verrückt und verursachte körperliche Schmerzen. Bram hatte ihr oft Geschichten erzählt von Magischen, die aufgrund unterdrückter Magie wahnsinnig geworden waren. So oft, dass Nia Albträume davon bekam und fürchtete, selbst so zu enden. Sie ließ ihre Magie heraus; in kleinen, stillen Momenten. Doch sie kontrollierte sie nicht. Sie wusste nicht, was für eine Art Magie sie besaß oder was sie damit tun konnte. Das war einer der Gründe, warum unter ihrer Trauer um Bram auch Wut schwelte. Weil er ihr in dieser Sache nicht vertraut hatte. Er hatte seine eigene Magie vor allen, sogar vor Liz, geheim gehalten. Dabei hätte er ihr Lehrer sein müssen.

Liz dachte, sie würde nachts immer wieder zum Fluss gehen, um dort ungesehen ihre Magie rauszulassen. Doch das tat sie schon lange nicht mehr. Sie hatte einen anderen Ort gefunden, an dem ihre Magie sogar willkommen war.

Für welches Symbol hast du dich entschieden?

Die kleine, hölzerne Hütte tauchte zwischen den Bäumen auf, als Shadow diese Frage stellte. Von innen drangen leise Stimmen nach außen. Kerzenschein flackerte im Fenster. Nias Puls beschleunigte sich ein wenig und ein Lächeln erschien in ihrem Gesicht.

»Wirst schon sehen«, erwiderte sie geheimnisvoll und hielt auf die Hütte zu.

Die Stimmen verklangen für einen Moment, als sie die leise knarrende Tür öffnete. Dreizehn Männer und Frauen unterschiedlichen Alters blickten sie an.

Sie saßen auf Kissen und kleinen, zerschlissenen Teppichen auf dem Boden, umgeben von zahlreichen bunten Kerzen.

»Nia!« Eine kleine Frau mittleren Alters kam auf sie zu. Sie trug ein strahlendes Lächeln im Gesicht und duftete nach Zimt, als sie Nia in eine Umarmung schloss.

»Hallo Gene.«

Gene löste sich von ihr und blickte auf die Pantherdame hinab. Shadow verpasste der Tür einen vorsichtigen Schubs mit der Pfote, sodass sie ins Schloss fiel.

»Ich hab dir deinen Platz frei gehalten«, sagte Gene zu ihr und deutete auf eine kleine Ansammlung von Kissen in einer hinteren Ecke des Raums.

Shadow streckte sich und trottete dann zu ihrem Lieblingsplatz. Nia spürte, wie ihre Gefährtin sich entspannte. Ihr ging es genauso. Hier in dieser kleinen Hütte, die im Wald verborgen lag, befanden sich die einzigen Menschen, von ihrer Familie abgesehen, die sie vollständig akzeptierten.

»Komm«, sagte Gene und nahm sie an der Hand. Sie führte sie zu einem freien Platz in der Mitte des Raums, wo sie neben Evie Platz nahm. Diese strich ihr kurzes Haar zurück, sodass Nia die kleine, violette Blüte auf ihrem Hals sehen konnte.

»Hi.« Evie lächelte. »Was macht das Obst?«

Sie musste grinsen. Evie war in ihrem Alter und half ihrer Mutter oft auf dem Markt, wo sie Kleidung verkauften. Immer, wenn sie auf den Markt ging, brachte Nia ihr ein Korb frisches Obst mit. Sie wusste, dass sie nicht genug davon bekam.

Die Stimmen in der Hütte schwollen wieder an. Es war ein ausgelassenes Miteinander und sie fühlte sich so wohl, wie den ganzen Tag nicht. Plötzlich stoben ein paar Funken in die Luft, die Flammen der umstehenden Kerzen schossen in die Höhe und kitzelten das Dach, bis Gene plötzlich »Bryson!«, schrie und das Feuer wieder in sich zusammenfiel.

Alle blickten sich zu dem kleinen, dunkelhäutigen Jungen um, der nahe der Tür neben zwei anderen Kindern saß und jetzt schuldbewusst dreinblickte.

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass wir hier drin nicht mit dem Feuer spielen!« Gene wedelte mit dem Zeigefinger in der Luft.

»Entschuldige«, murmelte Bryson beinahe schuldbewusst. Nia entging nicht, wie er kichernd mit seinen Freunden tuschelte, sobald Gene sich abwandte.

»Alles okay?«, fragte Evie und suchte ihren Blick.

»Klar«, log sie und zwang sich zu lächeln. In Wirklichkeit schlug ihr Herz schmerzhaft schnell. Sie meinte, verbranntes Fleisch zu riechen. In ihrer Erinnerung gellten Schreie. Sie atmete einmal tief durch und versuchte sie abzuschütteln.

»So! Alle mal herhören!« Gene war auf einen Hocker gestiegen, überragte sie aber dennoch nur wenige Zentimeter. »Schön, dass ihr alle hier seid. Heute nehmen wir eine Initiation vor. Nia hat letzte Woche ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert und ist damit bereit.«

Applaus erklang, leise und verhalten, denn auch an diesem abgelegenen Ort mussten sie vorsichtig sein. Niemand, der nicht eingeweiht war, durfte sie bemerken.

»Tritt vor, Nia.«

Sie stand auf und ging in die Mitte des Raumes. Die Blicke der anderen lagen erwartungsvoll auf ihr. Leichte Nervosität kribbelte in ihren Gliedern, als sie sich im Schneidersitz niederließ. Die anderen saßen im Kreis um sie herum. Vor ihr lagen verschiedene Dinge auf einem geflochtenen Tablett. Ein feines Messer, Pinsel, Stößel und Mörser.

Es fehlte nur noch die Blume. Das wichtigste Utensil für das ganze Ritual.

Da erhob sich ein Mann von seinem Platz. Er war groß, schlank und besaß ein von Sorgenfalten durchzogenes Gesicht. Gendry sah immer so aus, als müsste er eine schlechte Nachricht überbringen. Vielleicht, weil er in seinem Leben selbst schon so viele gehört hatte.

»Hallo Nia«, sagte er leise. »Ist es in Ordnung, wenn ich das Ritual durchführe?«

Ein trauriges Lächeln umspielt seine Lippen.

Sie erwiderte es und nickte. »Sicher. Du musst sogar. Er würde es mir sonst nie verzeihen.«

Er blickte sie einen Moment an und Nia sah ihre eigene Trauer in seinen Augen, als sie beide an Bram dachten. Gendry war sein bester Freund gewesen. Bei Brams Hinrichtung hatte er in der ersten Reihe gestanden. Als Nia es nicht mehr ertragen hatte hinzusehen, entdeckte sie Gendry. Starr hielt er den Blick auf Bram gerichtet. Bis zum Schluss.

»Welches Symbol hast du dir ausgesucht?«, fragte er, während er eine Hand voll Blütenblätter aus seiner Tasche zog. Sie waren von einem leuchtenden Violett und fein wie Spinnenweben.

Um sie herum war es still geworden, weshalb Nia unbewusst ihre Stimme senkte, als sie antwortete. Gendry erstarrte kurz. Dann nickte er.

»So soll es sein«, murmelte er und begann, die Blüten mit dem Mörser zu zerdrücken. Als er fertig war, griff er nach dem schmalen Messer. Nia schluckte. Für einen Moment fürchtete sie den Schmerz, dann trat Evie vor und setzte sich neben sie. »Wo soll es hin?«, fragte sie.

»Auf den Unterarm«, erwiderte Nia und zog den linken Ärmel ihrer Tunika hoch. Evie nickte. Sie legte ihre Hände auf Nias Arm und ihr Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. Im nächsten Moment spürte Nia die Kälte, die unter ihrer Haut entlang kroch, als würde Eiswasser an ihrem Arm hinablaufen. Nia erschauderte.

Gendry setzte das Messer an ihrem Unterarm an, knapp unter dem Handgelenk. Blut quoll hervor, als er zu schneiden begann. Sie biss automatisch die Zähne zusammen, in Erwartung des Schmerzes, doch er blieb aus. Sie spürte lediglich einen leichten Druck. Gendry arbeitete konzentriert und langsam. Nia wusste, dass sie sich keine Sorgen wegen des Ergebnisses machen musste. Er besaß ein großes künstlerisches Talent. Jede Illustration in Brams Büchern stammte von ihm.

Während des Rituals nahmen die anderen leise ihre Gespräche wieder auf. Nia verfolgte die Bewegungen des Messers und sah, wie das Bild unter dem ganzen Blut langsam Form annahm.

Schneller als erwartet ließ Gendry das Messer sinken und wischte über ihren Unterarm. Dann tauchte er den Pinsel in die violette Masse, die aus den Blüten entstanden war und verteilte sie über den frischen Schnitten.

Die Blutung ließ langsam nach, während Gendry die Blütenpaste weiter in die Wunden einrieb.

Als er fertig war, strich er vorsichtig mit dem Finger die Konturen nach.

»Das hätte ihm gefallen«, murmelte er. »Bram wäre stolz auf dich.«

Nia schluckte gegen den Kloß an, der sich plötzlich in ihrem Hals bildete.

Ihre Augen brannten ein wenig, als sie auf ihren Arm hinabblickte, der in Zukunft von einem beinahe unsichtbaren Tattoo verziert wurde. Nur jemand mit Magie im Blut konnte die Farbe der Mahjahoo-Blume sehen, deren Blüten sie für das Tattoo nutzten. So konnten die Magischen sich jederzeit untereinander erkennen. Es war eine brillante Idee und nur wegen dieser war sie jetzt hier. Hätte sie damals auf dem Markt Gene nicht gefragt, was das für ein violetter Vogel war, der ihren Nacken zierte, hätte sie nie erfahren, dass es noch andere Magische in der Umgebung gab.

Jetzt blickte sie hinab auf das Abbild eines aufgeschlagenen Buchs, über dessen Seiten sich eine Spur von Pfotenabdrücken zog. Es würde sie immer mit Bram und Shadow verbinden. Was auchgeschah.

»Shadow.« Ihre Stimme war rau, als sie nach ihrer Freundin rief. Sie räusperte sich. »Sieh es dir an.«

Während Shadow mit geschmeidigen Bewegungen aufstand und näherkam, erhoben sich auch alle anderen um sie herum. Aufgeregt sah Nia zu, denn was jetzt kam, war der ihr liebste Teil des Rituals.

Shadow betrachtete das Tattoo und ließ ein leises Schnurren hören. Vorsichtig stupste sie ihren Unterarm an.

Es ist wirklich schön.

In diesem Moment ließ die Wirkung von Evies Magie nach und der Schmerz kam. Scharf und brennend breitete er sich in ihrem Arm aus und Nia verzog kurz das Gesicht. Doch diesen Schmerz nahm sie gerne hin. Denn jetzt hatte sie das Gefühl, wirklich dazuzugehören. Zumindest zu einem kleinen Kreis von Menschen.

»Herzlich willkommen in unserer kleinen Familie, Nia«, sagte Gene freudig und hob die Arme.

Sie spürte den warmen, knisternden Hauch, als alle anderen es ihr gleichtaten und ihre Magie freiließen. Die Flammen begannen wieder zu tanzen. Die bunten Kissen erhoben sich einige Zentimeter in die Luft und wirbelten durch den Raum. Gendry malte mit den Fingern Zeichen und Symbole in die Luft und plötzlich zog ein Strom von Farben durch den Raum. Leise Musik erklang und mit einem Mal fielen helle Blütenblätter von der Decke, nur um sich kurz vor dem Boden in Luft aufzulösen. Der ganze Raum war erfüllt von Magie.

Begeistert drehte Nia sich im Kreis und betrachtete die Auswirkungen der verschiedenen Gaben. Sie wünschte sich, auch sie könnte ihre Magie so kontrollieren. Wieso hatte Bram es ihr nicht gezeigt? Wieso hatte er dieses Geheimnis so lange für sich behalten? Dummerweise weigerten alle anderen in diesem Raum sich standhaft, ihr den Umgang mit der Magie beizubringen. Es war ein langwieriger Prozess und es könnte gefährliche Aufmerksamkeit erregen, wenn sie sich auf einmal so häufig miteinander trafen. Gründe, die ihr geradezu lächerlich vorkamen.

Kälte erfasste ihren Arm und sie sah, wie die Schnitte unter Evies Blick heilten und nur das violette Bild des Buchs zurückblieb.

Lächelnd fuhr sie mit dem Finger darüber.

Da riss jemand die Tür auf. Kühle Luft wurde in den Raum geweht. Alle fuhren herum, die meisten Flammen erloschen, die Kissen fielen dumpf zu Boden und die Musik verstummte.

Sie starrten Liz an, die schwer atmend und völlig aufgelöst in der geöffneten Tür stand.

»Rebellen!«, stieß sie hervor. »Es sind Rebellen im Dorf!«

3. Aiden

»Woher soll ich wissen, welcher Vision der Zukunft ich trauen kann?

Auf welches Ereignis soll ich mich vorbereiten,

wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings alles verändern kann?

Es ist wohl das Beste, wir erwarten das Schlimmste und hoffen auf das Gegenteil.«

Aus dem Tagebuch von König Robert Nordis

Sie waren ganz in der Nähe des Dorfs, als er an den Zügeln seines Pferdes zog, damit es anhielt. Links von ihm rauschte der Fluss. Der feine Regen hatte sich einen Weg durch seine Kleidung gebahnt und ließ ihn frösteln.

Will schloss zu ihm auf. Aiden erkannte ihn trotz der Dunkelheit. Er war der Kleinste von ihnen. Der Jüngste. Der einzige, der sich so lautlos bewegen konnte.

»Was passiert wohl, wenn wir unseren Weg fortsetzen?«, fragte er leise. »Welche Konsequenzen wird das haben?«

Ein leises Brummen war die Antwort. Viel zu tief, um von einem Kind wie Will kommen zu können.

»Du denkst zu viel, Junge«, erklang Duncans tiefe Stimme.

Aiden warf einen Blick über die Schulter und erkannte die Schemen dreier weiterer Reiter hinter sich.

»Fragst du dich das etwa nicht?«

»Nein.« Die Antwort kam zu schnell. »Es steht uns nicht zu, die Entscheidungen des Königs in Frage zu stellen. So funktioniert unsere Arbeit nicht.«

Aiden schnaubte unwirsch. »Blinde Gefolgschaft macht keinen guten Soldaten.«

Er war überzeugt von seinen Worten, auch wenn er kürzlich noch anders gedacht hatte. Bis er das Geheimnis des Königs entdeckt hatte. Ein Geheimnis, das allem widersprach, woran er glaubte. Woran Aiden glaubte. Er spürte, wie Duncan ihn nachdenklich musterte.

Fragen zu stellen würde ihm in dieser Sache nicht weiterhelfen. Jetzt, nach der langen Reise, war es dazu auch zu spät. Doch die Fragen quälten ihn schon, seit sie aufgebrochen waren. Was würde passieren? Was würde sich ändern? Was verschwieg der König ihm noch alles?

»Hat irgendjemand mein Halstuch gesehen?«

Ungläubig drehte Aiden sich um und sah zu, wie Leif ratlos seine Taschen abklopfte.

»Ist das jetzt wichtig?«

Leif verzog das Gesicht. »Ihr wisst doch, dass es -«

»Glück bringt«, unterbrach Luan ihn augenverdrehend. »Weißt du, dafür, dass dieses dämliche Tuch dir angeblich schon dreimal das Leben gerettet hat, verlierst du es ziemlich häufig.«

»Ich hab es nicht verloren, ich finde es nur nicht. Bedeutender Unterschied.«

Aiden wandte sich wieder nach vorne, während die beiden leise diskutierten.

Will rutschte unruhig im Sattel hin und her.

Er warf ihm einen Blick zu. »Was ist los?«

Die Antwort war ein Fingerzeig in östliche Richtung. In Richtung des Dorfs.

Dann tippte er sich ans Ohr. Ohne den Schein der einzelnen Fackel, die Aiden trug, hätte er es nicht bemerkt.

Konzentriert lauschte er. Er vernahm das leise Rauschen des Windes, das Tröpfeln des Regens und Tosen des nahen Flusses. Doch nichts, was ungewöhnlich wäre. Verwirrt öffnete er den Mund, da packte Will ihn am Arm. In dieser Sekunde hörte Aiden die Schreie.

»Das kommt aus dem Dorf«, stellte Leif hinter ihm beunruhigt fest.

»Ja.« Aiden schnalzte mit der Zunge und Onyx preschte vor. Die Stute galoppierte zielsicher zwischen den Bäumen entlang und er konnte hören, wie die anderen ihm folgten.

Je näher sie dem Dorf kamen desto lauter und vielfältiger wurden die Schreie. Schnell war eindeutig, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

Der Eindruck bestätigte sich, als sie das Flackern der hohen Flammen zwischen den Bäumen sahen.

Aiden brach aus den Bäumen hervor und brachte Onyx zum Stehen. Beim Anblick des Dorfes wurden ihm zwei Dinge klar: Jemand griff es in diesem Moment an; und ihre Mission war gerade um einiges schwieriger geworden.

»Was tun wir?«, fragte Duncan laut über das Tosen der Flammen und die panischen Schreie hinweg.

Aiden ließ seinen Blick über die Menschen wandern, die angsterfüllt ihren Weg kreuzten und Schutz suchten. Über die Flammen, die ein nahe gelegenes Haus verschlangen und deren Rauch in seinem Hals biss. Das Feuer loderte in Weiß, Orange und stechendem Grün. Sein Magen zog sich zusammen. Magisches Feuer. Da entdeckte er eine Gruppe Männer in zerschlissener Kleidung. Mit raubtierhaftem Blick sahen sie sich um. Klingen blitzten in ihren Händen. Auf der Brust trugen sie das unverkennbare Abbild eines kettensprengenden Drachen.

»Rebellen«, rief Aiden den anderen zu. »Wir müssen sie überwältigen, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichten.«

»Aber das Mädchen-«

»Ist im Moment genauso in Gefahr wie alle anderen hier!«, schnitt er Luan das Wort ab. »Wir teilen uns auf. Luan, du bleibst hier am Waldrand. Duncan reitet Richtung Süden, Leif in den Norden. Will und ich knüpfen uns den Osten vor. Los jetzt. Wir treffen uns hier, wenn alles vorbei ist.«

Er wartete die Antwort der anderen nicht ab, sondern sprang von seinem Pferd und lief los. Mit Onyx wäre er schneller gewesen, doch sollte es zu einem Kampf kommen, wovon er im Moment ausging, konnte er sich auf seinen eigenen Füßen flinker bewegen. Außerdem war die Gefahr, in diesem Chaos Unschuldige niederzureiten, zu groß.

Will blieb ihm dicht auf den Fersen, als er den Marktplatz erreichte. Verletzte duckten sich in Hauseingänge, Fensterscheiben waren zerborsten und das Dach einer Bäckerei brannte lichterloh. Die bronzene Statue eines Mannes in der Mitte des Platzes wirkte riesig und bedrohlich im Flammenschein. Sein Schatten erstreckte sich wie eine verzerrte Fratze bis vor Aidens Füße.

Ein Rebell stand daneben und trat auf eine am Boden liegende Frau ein. Frisches Blut glänzte auf dem zerschlissenen Lederharnisch, den er sicher irgendeiner Wache gestohlen hatte. Bevor Aiden auch nur sein Schwert ziehen konnte hatte Will sich von hinten an den Mann herangepirscht, sprang wie ein wildes Tier an seinem Rücken hoch und zog ihm die Klinge seines Messers über die Kehle. Blut spritzte auf den Rock der Frau hinab, als der Mann röchelnd zu Boden fiel. Will wischte das blutige Messer an der Hose des sterbenden Mannes ab und eilte weiter. Die Frau ließ er weinend am Boden liegend zurück. Kämpfen konnte der Junge wie kein Zweiter, doch seine sozialen Fähigkeiten machten Aiden immer wieder Sorgen.

Er wandte den Blick ab und setzte seinen Weg fort. Er musste das Haus des Mädchens finden, bevor einer der Rebellen ihr etwas antun konnte. Der König hatte es ihm beschrieben. Es war das einzige Haus an der großen Obstplantage, die sich am nordwestlichen Dorfrand befand.

Ein Weg aus unförmigen Steinen führte ihn durch eine schmale Gasse an der brennenden Bäckerei vorbei. Der Rauch stach in Hals und Augen. Umherfliegende Funken brannten auf seiner Haut. Hustend lief er weiter und stand plötzlich im Dunkeln. Er hatte den Kern des Dorfs hinter sich gelassen und damit auch die Flammen und das Chaos. Ungeduldig blinzelte er und wartete darauf, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Seine Hand schwitzte, als er den Knauf seines Schwertes umklammerte. Langsam wurden die Konturen seiner Umwelt sichtbar. Er stand zwischen zwei Feldern und dahinter sah er einen sich erhebenden Wald.

Die Schreie und das Knistern des Feuers waren bloß noch ein vages Hintergrundgeräusch und plötzlich hatte er ein ungutes Gefühl. Die Dunkelheit wurde nur vom Zucken der fernen Flammen und dem Mondlicht durchbrochen. Verschüttete Erinnerungen wollten an die Oberfläche kommen.

Aidens Herzschlag beschleunigte sich. Mit einem Mal fühlte er sich beobachtet. Er zog sein Schwert aus der Scheide und das metallische Klirren hallte durch die Dunkelheit. Unsicher, wogegen er sich wappnete, drehte er sich im Kreis, die Augen in der Dunkelheit weit aufgerissen.

Er erstarrte, als er das Knurren hörte.

Mit Bedacht bewegte er sich weiter und hielt erst wieder inne, als er ein Paar blitzender Augen entdeckte, die golden das wenige Licht reflektierten. Sie schienen zwischen zwei Bäumen zu schweben, gehörten aber sicherlich zu einem Tier. Einem Tier, das ihn ins Visier genommen hatte. Wieder grollte es in dessen Kehle. Möglicherweise war es ein Wolf. Was es auch war, es kam langsam näher. Der schwarze Körper schälte sich mit geschmeidigen Bewegungen aus der Nacht. Aiden schluckte. Es war ein Panther. Reflexartig hob er das Schwert, bereit sich zu verteidigen. Er spürte förmlich, wie das Tier zum Sprung ansetzte. Automatisch ging er ebenfalls etwas in die Knie.

»Nicht!«

Der Schrei kam aus dem Nichts. Genauso wie die schmale Gestalt, die zwischen den Bäumen hervorbrach und erst vor dem Panther zum Stehen kam.

Aiden wollte eine Warnung rufen – dann stutzte er. Es war ein Mädchen, das vor dem Tier stand. Er erkannte es an der Statur und dem langen Haar. Und er sah, wie sie eine Hand an den Hals des Tiers legte.

»Nicht, Shadow.«

Aidens Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt. Seine Finger um den Schwertgriff schmerzten, während er versuchte, aus der Situation schlau zu werden.

Das Mädchen tat einen Schritt auf ihn zu. Ihre nackten Füße stachen im Mondlicht hervor.

»Du bist kein Rebell.«

Es war eine Feststellung, keine Frage.

Aiden räusperte sich und ließ sein Schwert minimal sinken. »Nein.«

»Du bist ein Adler.« Ihre Stimme troff so sehr vor Verachtung, dass er innerlich zusammenzuckte.

»Ich bin Soldat«, bestätigte er. »Wir sind hier, um euch gegen die Rebellen zu verteidigen.«

Das Mädchen schnaubte – sie schnaubte tatsächlich unwirsch – und wandte sich ab. Verdattert starrte er sie an. Dankte man so seinem Retter?

»Hier gibt es keine Magie«, sagte sie, bevor sie mit dem Tier im Dunkeln verschwand. »Ihr solltet verschwinden. Sofort.«

Aiden stand noch immer da, wachsam und mit gezogenem Schwert. Er hatte keine Ahnung, wer dieses Mädchen mit dem seltsamen Haustier war, doch ein Teil von ihm wollte es gerne herausfinden.

4. Malenia

»Ich kann nur hoffen, dass es Trugbilder sind,

die mich nachts heimsuchen.

Andernfalls stehen wir schon am Abgrund

und blicken in den Schlund eines Monsters hinab.«

Aus dem Tagebuch von König Robert Nordis.

Möglicherweise hatten die Soldaten sie wirklich beschützt, denn kurz nach ihrer Begegnung bei den Feldern verklangen die panischen Schreie. Das Flackern der Flammen erstarb. Nia war erleichtert, dass ihr Zuhause ein Stück vom Herzen des Dorfs entfernt lag und somit vom Feuer verschont geblieben war.

Liz wurde fuchsteufelswild, als sie mit Shadow das Haus betrat. Nia wusste, dass sie krank vor Sorge gewesen sein musste, doch sie hatte einfach ins Dorf laufen müssen. Sie konnte nicht tatenlos zusehen, wenn der Zorn der Rebellen sich gegen Unschuldige richtete. Die Menschen hier waren feige. Sie fürchteten Magie, sie verrieten Magische an den König, aber dies taten sie nur aus Angst. Nicht weil sie schlechte Menschen waren. Sie waren nicht schuld an dieser Situation.

Wie konnte sie nach Hause gehen, wenn andere Dorfbewohner schrien und vor den Klingen der Rebellen und den Flammen flohen? Es war magisches Feuer gewesen. Sie hatte es erst einmal gesehen, aber den stechend grünen Schein würde sie jederzeit wiedererkennen.

Als sie am Marktplatz angekommen war, hatte sie einen Mann mit durchgeschnittener Kehle erblickt. Die Bäckerei hatte lichterloh gebrannt und die Flammen hatten sie vor Panik erstarren lassen. Shadow hatte ein Loch in ihre Tunika gerissen, als sie Nia von dort weggezerrt hatte. Sie hatte noch immer gezittert, als der Adler aufgetaucht war.

In dieser Nacht schlief sie nicht. Ihr Herz raste, als sie schon längst im Bett lag und die Schreie in der Ferne verklungen waren. Shadow hielt vor dem Haus Wache. Für alle Fälle. Vielleicht hatten die Adler nicht alle erwischt. Oder vielleicht waren die Adler selbst das Problem.

Sie wusste nicht, woher sie die Kühnheit genommen hatte, auf diese unerschrockene Art mit einem von ihnen zu sprechen. Vielleicht rührte der Mut daher, dass er sich eindeutig vor Shadow fürchtete. Oder es war die tief in ihr liegende Wut, die sie alle Vorsicht vergessen ließ.

Noch eine andere Frage hielt sie wach: Woher hatte Liz von dem geheimen Treffen und der Hütte im Wald gewusst? Und wer wusste noch davon?

Sie verlor sich in ihren wirren Gedanken, bis sie Shadows vertraute Stimme hörte.

Nia. Eine kalte Nase stupste gegen ihre Wange.

Träge schlug sie die Augen auf. Sie brannten vor Müdigkeit.

»Was´n los?«, nuschelte sie und drehte sich auf die Seite.

Die Adler. Sie sind hier.

Sofort saß sie aufrecht im Bett.

»Was?« Ihr Puls hämmerte. Soldaten.

Leise.

Sie stehen vor der Tür.

Ihre Gedanken rasten. Wussten sie Bescheid? Hatten sie beobachtet, was am Abend im Wald geschehen war? Wollten sie zu ihr? Kosteten ihre kühnen Worte sie jetzt Kopf und Kragen?

Ihr Magen zog sich zusammen. Ihre Hände bebten, als sie nach der Leiter griff, die an der Plattform lehnte, auf der sie schlief. Lautlos kamen ihre Füße auf dem kalten Boden auf. Shadow stand an der Zimmertür und blickte hinaus. In der Dunkelheit war sie kaum zu erkennen. Nur ihre Augen schienen zu leuchten. Nia blickte zu Emily und stellte beruhigt fest, dass diese noch schlief. Vorsichtig ging sie neben Shadow in die Hocke und lauschte. Ihre Muskeln waren schmerzhaft angespannt. Bereit, jederzeit aufzuspringen und wegzurennen. Oder Liz zur Hilfe zu eilen.

Die Stimmen, die aus dem schwach beleuchteten Wohnraum zu ihr drangen, waren kaum zu verstehen. Sie erkannte Liz aufgeregtes Flüstern. Die zweite Stimme war dunkel und unverkennbar die eines Mannes.

»Verstehst du, was sie sagen?«

Shadows Antwort war ein leises Knurren.

Sie suchen dich.

Nias Nackenhaare stellten sich auf. Der Schreck ließ sie taumeln. Ihre Knie schlugen hart auf dem Boden auf, als sie das Gleichgewicht verlor. Alarmiert blickte Shadow sie an. Nia unterdrückte einen Fluch. Stumm flehend schloss sie die Augen.

»Was war das?«

Jetzt klang die Stimme des Mannes klar und laut durch den Flur.

»Sie sagten doch, sie wäre nicht da.« Das war eine andere Stimme. Heller, aber wieder ein Mann.

»Ist sie auch nicht.« Liz Stimme klang schrill vor Angst. »Das war sicher meine andere Tochter. Emily. Sie ist erst zehn.«

»Sie wissen, was die Verweigerung eines königlichen Befehls zur Folge hat, oder?«

Es klang nicht wie eine Drohung. Sondern genervt. Als wüsste der Sprecher, dass er ohnehin seinen Willen bekam und hätte keine Lust darauf, unnötige Klippen zu umschiffen.

Trotzdem war Nia im Nu auf den Beinen. Ihre angeschlagenen Knie protestierten schmerzhaft.

Nicht, Nia. Shadow versperrte ihr die Tür.

»Sie werden ihr etwas antun«, zischte sie und verpasste ihr einen heftigen Stoß. Shadow fauchte, ließ sie aber vorbei.

Nia schlich durch den Flur und presste sich dabei eng an die Wand. Ihre Brust schmerzte von der Anstrengung, möglichst lautlos zu atmen, obwohl ihr Herz laut galoppierte. Kühle Luft kroch über den Boden und ihre Beine hinauf. Sie trug nur ein Nachthemd, das gerade so bis zu ihren Knien reichte, und fröstelte. Ihre Hände glitten über die Wand, während sie sich langsam dem Wohnraum näherte. Einen Moment blieb sie stehen, kurz bevor der Lichtschein, der aus dem Wohnraum drang, sie erreichte.

Nia sah, dass die Haustür einen Spalt aufstand. Doch die Eindringlinge, die durch sie hineingekommen waren, konnte sie nicht erkennen.

Dafür aber Liz, die in ihrem geblümten Nachthemd neben der Tür stand. Ihre Locken hatten sich zu einem wirren Nest verknotet, als hätte sie sich die ganze bisherige Nacht im Bett hin und her gewälzt. Im Licht der Öllampe, die sie hielt, wirkte sie schrecklich bleich. Die Lampe zitterte in ihrer Hand.

Shadows warmer Körper drückte sich an Nias Beine.

»Wir werden sie mitnehmen«, sagte einer der Männer drängend. »Notfalls mit Gewalt.«

Das war genug. Ehe Shadow sie davon abhalten konnte, trat Nia aus dem Flur.

»Ich bin hier! Sie suchen doch mich, oder?«

Das Licht der Öllampe enthüllte eine Szenerie, die sie aus ihren Albträumen kannte.

Ihr gegenüber, neben dem Esstisch, an dem sie einige Stunden zuvor noch friedlich gegessen hatten, standen zwei Soldaten. Richtige Soldaten der königlichen Garde. Keine einfachen Wächter wie die, die den Marktplatz bewachten. Das erkannte sie sofort an der Kleidung und der hochwertigen Schwertscheide, die beide trugen. Nias Angst registrierte jedes Detail an ihnen. Beide trugen sie das Wappen des Königs von Andoria auf ihrer linken Brust: Ein schwarzer Adler auf rotem Grund. In seinen Klauen hielt er ein Schwert.

Weil Stahl die Magie immer besiegen wird