Die Auserwählten - In der Todeszone - James Dashner - E-Book
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Die Auserwählten - In der Todeszone E-Book

James Dashner

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Beschreibung

Thomas wird sich auf keinen Fall den Kopf aufschneiden lassen! Auch wenn er durch diese Operation sein Gedächtnis zurückbekommen soll. Denn den Wissenschaftlern von ANGST darf man nicht trauen. Nicht nach all den grausamen Prüfungen, die Thomas und seine Freunde durchstehen mussten. Nicht nach all den Versprechen, die gebrochen worden sind. Thomas muss endlich dafür sorgen, dass ANGST ihn nie wieder kontrollieren und manipulieren kann. Die Zeit der Abrechnung ist gekommen – Spannung pur! Die Erfolgsserie zum Kinofilm Alle Bände der weltweiten Bestseller-Serie »Maze Runner«: Die Auserwählten im Labyrinth (Band 1) Die Auserwählten in der Brandwüste (Band 2) Die Auserwählten in der Todeszone (Band 3) Die Auserwählten - Kill Order (Band 4, spielt 15 Jahre vor Band 1) Die Auserwählten - Phase Null (Band 5, spielt unmittelbar vor Band 1) Die Auserwählten – Crank Palace (exklusive digitale Bonusgeschichte)

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James Dashner: Die Auserwählten – In der Todeszone

Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger und Katharina Hinderer

Das nervenzerfetzende Finale – nichts für schwache Nerven!

Thomas wird sich auf keinen Fall den Kopf aufschneiden lassen! Auch wenn er durch diese Operation sein Gedächtnis zurückbekommen soll. Denn den Wissenschaftlern von ANGST darf man nicht trauen. Nicht nach all den grausamen Prüfungen, die Thomas und seine Freunde durchstehen mussten. Nicht nach all den Versprechen, die gebrochen worden sind. Thomas muss endlich dafür sorgen, dass ANGST ihn nie wieder kontrollieren und manipulieren kann.

Alle Bände der weltweiten Bestseller-Serie und Filmvorlage »Maze Runner«:

Die Auserwählten im Labyrinth (Band 1)

Die Auserwählten in der Brandwüste (Band 2)

Die Auserwählten in der Todeszone (Band 3)

Die Auserwählten – Kill Order (Band 4, spielt 15 Jahre vor Band 1)

Die Auserwählten – Phase Null (Band 5, spielt unmittelbar vor Band 1)

Die Auserwählten – Crank Palace (exklusive digitale Bonusgeschichte)

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Dieses Buch ist meiner Mutter gewidmet – dem besten Menschen der Welt.

1

Es war der Gestank, der Thomas langsam, aber sicher in den Wahnsinn trieb.

Nicht die Tatsache, dass er seit über drei Wochen allein war. Nicht die kahlen, weißen Wände, die weiße Decke oder der weiße Boden. Nicht etwa, dass es keine Fenster gab und das Licht nie ausgestellt wurde. Nichts von alledem machte ihn verrückt. Die Uhr hatten sie ihm weggenommen; zu essen bekam er dreimal am Tag dasselbe – eine Scheibe Fleisch, Kartoffelbrei, rohe Karotten, eine Scheibe Brot, Wasser. Niemand redete mit ihm, niemand betrat seine Zelle. Keine Bücher, keine Filme, keine Spiele.

Absolute Isolation. Seit über drei Wochen, auch wenn ihm mittlerweile Zweifel daran gekommen waren, wie gut er den Verlauf der Zeit überhaupt noch einschätzen konnte. Er versuchte zu erahnen, wann es dunkel wurde, und schlief nur zu normalen Zeiten, oder was er dafür hielt. Die Mahlzeiten gaben ihm einen gewissen Anhaltspunkt, auch wenn sie nicht regelmäßig serviert wurden. Es war, als sollte ihm jegliche Orientierung genommen werden.

Allein. In einer gepolsterten Zelle. Keine Farben – die einzigen Ausnahmen: eine kleine, in der Ecke versteckte Toilettenschüssel aus Edelstahl und ein alter Holztisch, mit dem Thomas nichts anfangen konnte. Allein in unerträglicher Stille mit unendlich viel Zeit, um über die Seuche nachzudenken, die sich in ihm festgekrallt hatte: Der Brand, dieser lautlos sich ausbreitende Virus, der das Gehirn langsam, aber sicher zerstörte. So weit, bis sein menschliches Wesen vollkommen vernichtet war.

Nichts von alledem machte ihn verrückt.

Aber er stank, und aus unerfindlichen Gründen brachte das seine Nerven fast zum Zerreißen. Es schien, als würde er jeden Augenblick durchdrehen. Er konnte sich nicht duschen oder waschen, hatte auch keine frische Kleidung zum Wechseln bekommen und nichts, womit er seinen Körper hätte säubern können. Ein einfacher Lappen hätte schon Wunder vollbracht, den hätte er ins Trinkwasser tauchen und sich wenigstens das Gesicht abwischen können. Aber er hatte nichts, nur die mittlerweile ranzigen Klamotten, die er schon am Leib trug, als er eingesperrt wurde. Nicht mal eine Bettdecke gab es – er schlief zusammengekrümmt, vor Kälte zitternd, den Hintern in eine Zimmerecke gedrückt, Arme dicht am Körper, um sich wenigstens so ein bisschen zu wärmen.

Warum der bestialische Gestank seines eigenen Körpers ihm trotz dieser Qualen von allem am meisten Angst einjagte, konnte er sich nicht erklären. Vielleicht war das ja der Beweis dafür, dass er verrückt wurde. Aus irgendeinem Grund ließ seine mangelnde Hygiene grausige Gedanken in seinem Kopf entstehen. Als würde er von innen heraus langsam verfaulen und verrotten, und sein Inneres würde sich in etwas so Ekliges verwandeln, wie er sich äußerlich fühlte.

So unvernünftig das scheinen mochte, aber der Gestank machte ihm die meisten Sorgen. Zu essen hatte er genug, das Wasser reichte auch gerade so, um seinen Durst zu stillen. Schlafen konnte er ausreichend, und er verschaffte sich so viel Bewegung, wie in dem kleinen, gepolsterten Raum möglich war. Oft rannte er stundenlang auf der Stelle. Sein Verstand sagte ihm, dass ein kräftiges Herz und eine gesunde Lunge nicht davon abhingen, ob man ungewaschen war oder nicht. Und dennoch fing Thomas an zu glauben, dass sein unerträglich werdender Gestank der Vorbote des Todes war, der ihn jeden Augenblick überwältigen konnte.

Diese düsteren Gedanken brachten ihn immer wieder zum Grübeln, ob Teresa vielleicht doch nicht gelogen hatte. Sie hatte gesagt, es sei zu spät für ihn, Der Brand hätte sich bei ihm schon beängstigend weit ausgebreitet, er sei verrückt und gewalttätig geworden. Dass er schon nicht mehr er selbst gewesen sei, bevor sie ihn in diese schreckliche Gummizelle steckten. Sogar Brenda hatte ihn gewarnt, es würde nicht gut für ihn aussehen. Vielleicht hatten sie ja Recht gehabt!

Zusätzlich nagte noch die ständige Sorge um seine Freunde an ihm. Was war mit ihnen geschehen? Wo waren sie? Welchen Schaden richtete Der Brand in ihren Köpfen an? War das jetzt das Ende, nach all den Torturen, die sie durchgemacht hatten?

Die Wut begann an ihm zu nagen wie ein hungriges Tier, das nach einem warmen Fleckchen, nach ein paar Krümeln sucht. Und mit jedem Tag, der verging, wurde sein Zorn größer und größer, bis Thomas manchmal nur so zitterte. Dann beruhigte er sich wieder; aber die Wut sollte nicht verschwinden, sondern nur schlummern. Er wartete bloß auf den Augenblick, in dem er die Furien loslassen konnte. ANGST hatte ihm all das angetan. ANGST hatte seinen Freunden und ihm das Leben gestohlen und sie für ihre Zwecke missbraucht. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Und dafür würden sie büßen. Das schwor sich Thomas tausendmal am Tag.

Das alles ging ihm mal wieder durch den Kopf, als er mit dem Rücken zur Wand dasaß und auf die Tür – und den hässlichen Schreibtisch davor – starrte. Seiner Schätzung nach war es später Vormittag am zweiundzwanzigsten Tag seiner Isolation im weißen Raum. Das machte er immer so – nach Frühstück und Frühsport hoffte er inständig, dass die Tür aufgehen würde – die ganze Tür, nicht nur der seelenlose Schlitz, durch den seine Mahlzeiten hereingeschoben wurden.

Zahllose Male hatte er versucht, die Tür aufzubekommen. Und die Schubladen des Schreibtischs waren leer, nichts als Holz- und Modergeruch. Jeden Morgen sah er darin nach, nur für den Fall, dass während seines Schlafs auf magische Weise etwas darin aufgetaucht war. Wenn man in der Gewalt von ANGST war, musste man mit allem rechnen.

Und so saß er da und starrte die Tür an. Wartete. Weiße Wände, Stille. Der nicht zu ignorierende Gestank seines Körpers. Immer wieder drehten sich seine Gedanken um seine Freunde – Minho, Newt, Bratpfanne, die wenigen anderen Lichter, die noch am Leben waren. Brenda und Jorge, von denen er seit der Rettung mit dem Riesenberk nichts mehr gesehen hatte. Harriet und Sonya, die anderen Mädchen aus Gruppe B, Aris. Und Brenda mit ihrer Warnung, als er in der weißen Zelle wieder zu sich gekommen war. Wie hatte sie telepathisch mit ihm reden können? Stand sie auf seiner Seite oder nicht?

Aber am häufigsten dachte er an Teresa. Sie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, auch wenn er sie mit jeder verstrichenen Minute ein bisschen mehr hasste. Ihre letzten Worte an ihn waren gewesen »ANGST ist gut«, und ob das nun stimmte oder nicht: Thomas sah in Teresa mittlerweile alles Schreckliche, das ihnen angetan worden war. Bei jedem Gedanken an sie kochte der Zorn ein wenig heißer in ihm hoch.

Vielleicht war diese alles verzehrende Wut das, was ihn davon abhielt, bei der ewigen Warterei den Verstand zu verlieren.

Essen. Schlafen. Sport. Rachedurst. Noch drei weitere Tage hielt er das durch. Allein.

Am sechsundzwanzigsten Tag ging die Tür auf.

2

Unzählige Male hatte Thomas es sich vorgestellt. Was er tun und sagen würde. Wie er sich auf jeden stürzen würde, der zur Tür hereinkam, rausrennen und flüchten würde. Dabei diente diese Vorstellung mehr der Unterhaltung als sonst etwas. Er wusste haargenau, dass ANGST so etwas nie zulassen würde. Nein, er musste jeden Schritt genau planen, bevor er etwas unternahm.

Und als es dann geschah – als die Tür mit einem leisen Klick aufsprang und sich öffnete –, war Thomas selbst erstaunt: Er tat nichts. Saß bloß da. Etwas sagte ihm, dass sich zwischen ihm und dem Schreibtisch wieder eine unsichtbare Wand aufgebaut hatte – wie damals in der Herberge, als sie dem Labyrinth entkommen waren. Noch war der Zeitpunkt zum Handeln nicht da. Noch nicht. Doch er würde kommen, er spürte es.

Als der Rattenmann hereinspaziert kam, war Thomas nur ganz leicht überrascht – derselbe Typ, der die Lichter über die Prüfungen in der Brandwüste informiert hatte. Dieselbe lange Nase, dieselben verschlagenen Wieselaugen, die fettigen, über eine kahle Stelle auf seinem Eierkopf gekämmten Haare. Derselbe absurde weiße Anzug. Er wirkte noch bleicher als beim letzten Mal und hatte eine dicke Aktenmappe mit verknickten, unordentlich zusammengeschobenen losen Blättern unter den Arm geklemmt. Mit der anderen Hand zog er einen Holzstuhl hinter sich her.

»Guten Morgen, Thomas«, sagte er mit einem reservierten Nicken. Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er die Tür hinter sich zu und setzte sich an den Tisch. Den Aktenordner klappte er vor sich auf und blätterte darin herum. Als er das Gesuchte gefunden hatte, legte er die Hände auf die Tischplatte. Er sah Thomas mit einem seltsamen Grinsen im Gesicht an.

Als Thomas endlich den Mund aufbekam, merkte er, dass er seit Wochen nicht mehr gesprochen hatte, seine Stimme war nur ein Krächzen. »Ein guter Morgen ist das nur, wenn Sie mich hier rauslassen.«

Das Gesicht des Mannes blieb völlig ausdruckslos. »Ja, ja, ich weiß. Keine Bange – du bekommst heute jede Menge gute Nachrichten zu hören. Glaub mir.«

Thomas schämte sich, dass er sich auch nur eine Sekunde lang Hoffnungen machte, als er das hörte. Mittlerweile müsste er ANGST eigentlich kennen. »Gute Nachrichten? Und ich dachte, Sie hätten uns ausgewählt, weil Sie uns für intelligent halten.«

Rattenmann schwieg mehrere Sekunden lang, bevor er Antwort gab. »Intelligent, ja. Das war aber nicht der wichtigste Grund.« Er fing an sich aufzuregen. »Glaubst du etwa, uns macht das alles Spaß? Glaubst du etwa, es macht uns Spaß, euch leiden zu sehen? Bald wirst du alles verstehen. Es hatte alles Sinn und Zweck!« Seine Stimme war immer lauter geworden, und das letzte Wort schrie er beinah heraus.

»Holla, alter Knabe«, erwiderte Thomas, der sich dadurch gleich besser fühlte. »Nun mal halblang. Wenn Sie so weitermachen, kriegen Sie noch ’n Herzkasper, bevor Sie uns weiterquälen können.« Es war ein wunderbares Gefühl, so zu reden.

Der Mann stand auf, stützte sich auf den Schreibtisch und lehnte sich vor. Die Adern an seinem Hals sahen aus, als würden sie gleich platzen. Langsam setzte er sich wieder hin und atmete ein paarmal tief durch. »Man sollte doch meinen, dass einem vier Wochen in der weißen Kiste etwas Demut beibringen. Aber du hast ein schamloseres Mundwerk als je zuvor.«

»Und, wollen Sie mir sagen, dass ich doch nicht verrückt bin? Dass ich Den Brand doch nicht habe und auch nie hatte?« Thomas konnte nichts dagegen tun. Der Zorn schwoll in ihm an, bis er das Gefühl hatte, gleich zu explodieren. Aber er zwang sich ruhig zu sprechen. »Das ist der Grund, warum ich hier drin nicht durchgedreht bin. Im Grunde weiß ich genau, dass Sie Teresa angelogen haben und das Ganze hier wieder nur ein Test ist. Und, wohin muss ich als Nächstes? Auf den beklonkten Mond? Oder muss ich in Unterhose durch die Arktis rennen? Hm?« Er setzte ein künstliches Lächeln auf.

Während Thomas sich aufregte, hatte Rattenmann mit leerem Blick durch ihn hindurchgestarrt. »Bist du fertig?«

»Oh nein, ich bin noch nicht fertig.« Seit Ewigkeiten wartete er auf die Gelegenheit zu reden, aber jetzt, wo sie da war, fiel ihm plötzlich nichts mehr ein. Alles, was er sich im Kopf zurechtgelegt hatte, war auf einmal wie weggeblasen. »Ich verlange … dass Sie mir alles erklären. Und zwar auf der Stelle.«

»Oh, Thomas«, sagte Rattenmann leise, als müsse er einem kleinen Kind etwas Trauriges mitteilen. »Wir haben dich nicht angelogen. Du hast Den Brand wirklich.«

Es war, als hätte Thomas einen Stoß vor den Kopf bekommen. Kalt wie Eis durchschnitten die Worte seinen lodernden Zorn. Ob Rattenmann ihn schon wieder anlog? Aber er zuckte cool mit den Achseln, als habe er damit gerechnet. »Tja, aber ich bin noch lange nicht verrückt.« Irgendwann – während all der Zeit in der Brandwüste, mit Brenda, umgeben von Cranks – hatte er sich damit abgefunden, dass er sich früher oder später auch mit dem Virus anstecken würde. Er tröstete sich damit, dass es ihm momentan noch gut ging. Er war noch normal im Kopf. Nur darauf kam es an.

Rattenmann seufzte. »Du verstehst mich nicht. Du verstehst einfach nicht, was ich dir sagen will.«

»Und warum sollte ich Ihnen wohl irgendwas abkaufen? Sie lügen doch, wenn Sie den Mund aufmachen!«

Thomas merkte, dass er aufgesprungen war. Er atmete schwer. Er musste sich zusammenreißen. Rattenmann starrte ihn kalt aus seinen dunklen Augenhöhlen an. Ob der Mann ihn nun anlog oder nicht: Thomas musste ihm zuhören, sonst würde er nie aus der weißen Hölle hier herauskommen. Er zwang sich ruhiger zu atmen. Und wartete ab.

Sein Besucher schwieg etliche Sekunden lang und fuhr dann fort. »Ich weiß, dass wir dich belogen haben. Mehr als einmal. Wir haben dir und deinen Freunden ziemlich schlimme Dinge angetan. Aber das war alles Teil eines Plans, dem du nicht nur zugestimmt, den du sogar selbst entwickelt hast. Zugegeben, wir mussten etwas weitergehen, als wir anfangs hofften, keine Frage. Aber das war alles im Sinne dessen, was die Schöpfer vorgesehen hatten – was du vorgesehen hattest, nachdem sie … abgelöst und von dir ersetzt wurden.«

Thomas schüttelte nur langsam den Kopf; er wusste zwar, dass er früher mit diesen Leuten zu tun hatte. Aber es war einfach unvorstellbar, dass man irgendjemandem absichtlich etwas so Brutales wie diese »Tests« antun konnte. »Sie haben mir nicht geantwortet. Wie können Sie erwarten, dass ich Ihnen auch nur ein Wort glaube?« Natürlich erinnerte Thomas sich an wesentlich mehr, als er zu erkennen gab. Das Fenster, durch das er hin und wieder in seine Vergangenheit blicken konnte, war zwar völlig verschmiert und bot ihm nur einen verschwommenen Ausblick; aber dass er tatsächlich für ANGST gearbeitet hatte, konnte er nicht leugnen. Mit Teresa zusammen hatte er an der Erschaffung des Labyrinths mitgewirkt. Auch andere Erinnerungen waren in Bruchstücken zurückgekommen.

»Es bringt uns nun nichts mehr, dich weiter im Dunkeln tappen zu lassen, Thomas«, meinte Rattenmann.

Thomas fühlte sich auf einmal schrecklich müde, als ob ihn alle Kraft mit einem Schlag verlassen hätte und nur seine leere Hülle übrig blieb. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich zu Boden sinken und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, was Sie damit meinen.« Welchen Sinn hatte eine Unterhaltung überhaupt, wenn man den Worten des anderen sowieso nicht trauen konnte?

Rattenmann redete weiter, aber in einem anderen Tonfall: Er sprach jetzt weniger kalt und abweisend, sondern als würde er einem Kleinkind etwas erklären. »Du weißt ja sehr gut, dass die Welt an einer fürchterlichen Krankheit leidet, die das Gehirn der Menschen zerstört. Alles, was wir bisher getan haben, hatte nur einen einzigen Zweck: eure Gehirnaktivitäten zu analysieren und auf dieser Grundlage einen Masterplan zu erstellen. Das Ziel des Masterplans ist es, eine Heilung für die Seuche zu finden. Eure Freunde, die leider dran glauben mussten, euer Leid und Elend – du wusstest von Anfang an, wie schlimm es werden würde. Wir alle wussten es. Doch jedes Detail diente dem Überleben der menschlichen Rasse. Und wir sind der Lösung nahe. Sehr, sehr nahe.«

Thomas hatte bisher nur Bruchstücke seines Gedächtnisses zurückbekommen. Bei der Verwandlung und in den Träumen, die er seitdem hatte, blitzten immer wieder Erinnerungen in seinem Kopf auf. Und während er jetzt dem Mann in Weiß zuhörte, hatte er plötzlich das Gefühl, als stände er an einem Abgrund und alle Antworten würden sich jeden Augenblick vor ihm auftun. Als würde gleich alles ganz klar vor ihm liegen. Der Wunsch, endlich Antworten zu bekommen, war überwältigend.

Dennoch war er misstrauisch. Er wusste zwar, dass er ein Teil der Organisation ANGST gewesen war, dass er geholfen hatte, das Labyrinth zu entwickeln, dass er nach dem Tod der ursprünglichen Schöpfer in deren Fußstapfen getreten und das Programm mit neuen Teilnehmern weitergeführt hatte. »Ich erinnere mich an genug, um mich dafür zu schämen«, gab Thomas zu. »Aber solche Misshandlungen selbst zu erleben ist etwas ganz anderes, als sie sich auszudenken. Das ist unmenschlich. Das wissen Sie genau.«

Rattenmann kratzte sich an der Nase und rutschte auf dem Stuhl hin und her. Irgendetwas von dem, was Thomas gesagt hatte, war ihm unangenehm. »Warten wir ab, wie du am Ende dieses Tages darüber denkst, Thomas. Warten wir’s ab. Aber verrat mir eins: Bist du wirklich überzeugt, dass es sich nicht lohnt, ein paar wenige Menschen zu verlieren, wenn man damit unzähligen anderen das Leben rettet?« Der Mann lehnte sich vor und fragte ihn geradezu beschwörend: »Die Frage ist alt – aber glaubst du nicht, dass der Zweck die Mittel heiligt? Wenn man keine andere Wahl hat?«

Thomas starrte ihn nur an. Auf diese Frage gab es keine richtige Antwort.

Vielleicht wollte Rattenmann lächeln, es sah aber eher wie ein Hohngrinsen aus. »Denk einfach dran, dass du früher mal davon überzeugt warst, Thomas.« Er schob seine Unterlagen zusammen, als wolle er gehen, rührte sich aber nicht vom Fleck. »Ich wollte dir mitteilen, dass alles bereit ist und unsere gesammelten Daten fast komplett sind. Etwas ganz Großes steht kurz bevor. Sobald wir den Masterplan haben, kannst du von mir aus mit deinen Freunden darüber jammern, wie schrecklich gemein wir euch behandelt haben.«

Thomas hätte den Mann am liebsten gewürgt, aber er hielt sich zurück. »Und wie soll es bitte schön zu diesem Masterplan beitragen, wenn Sie uns foltern? Wie um alles in der Welt soll es helfen, ein Heilmittel gegen eine tödliche Krankheit zu finden, wenn man unschuldige Jugendliche durch die Hölle gehen lässt?«

»Das hat alles mit dem Masterplan zu tun, glaub mir.« Rattenmann stieß einen Riesenseufzer aus. »Meine Güte, bald erinnerst du dich wieder an alles, und ich habe das dunkle Gefühl, dass du dann einiges hier bereuen wirst. Aber vorher muss ich dir noch etwas mitteilen – vielleicht kommst du dann endlich wieder zur Besinnung.«

»Und was soll das sein?« Thomas hatte keinen blassen Schimmer, was der Mann ihm sagen wollte.

Sein Besucher erhob sich, strich die Falten seiner weißen Hose glatt und zog sein Jackett zurecht. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Rücken. »Der Brand-Virus hat sich zwar überall in deinem Körper ausgebreitet. Aber er hat keine Wirkung auf dich. Du gehörst zu einer außerordentlich seltenen Personengruppe. Du bist immun gegen Den Brand.«

Thomas schluckte, sprachlos.

»Draußen, auf der Straße, da werden Leute wie du Munis genannt«, fuhr Rattenmann fort. »Und sie werden abgrundtief gehasst.«

3

Thomas fehlten die Worte. Ihm waren schon viele Lügen aufgetischt worden, aber er wusste, dass er eben gerade die Wahrheit gehört hatte. Es passte einfach zu gut zu seinen jüngsten Erfahrungen. Er war immun, und höchstwahrscheinlich die anderen Lichter und alle in Gruppe B ebenfalls. Deswegen waren sie für die Prüfungen auserwählt worden. Alles, was ihnen angetan worden war – jeder grausame Vorfall, jede Täuschung, jedes Monster, das sich ihnen in den Weg gestellt hatte –, es war alles Teil eines größenwahnsinnigen Experiments gewesen. Das ANGST den Weg zu einer Heilung aufzeigen sollte.

Es passte alles zusammen. Und außerdem – löste diese Offenbarung Erinnerungen bei ihm aus. Alles kam ihm irgendwie bekannt vor.

»Wie ich sehe, glaubst du mir«, sagte Rattenmann schließlich und brach das ausgedehnte Schweigen. »Als entdeckt wurde, dass es Menschen wie euch gibt – die zwar den Virus in sich tragen, aber keine Symptome entwickeln –, da haben wir die besten und intelligentesten unter euch herausgepickt. Daraus entwickelte sich dann ANGST. Natürlich sind nicht alle in eurer Gruppe immun, manche nehmen nur zur Kontrolle an den Experimenten teil. Wenn man einen Versuch durchführt, dann braucht man eine Kontrollgruppe, Thomas. Damit man die Daten zusammenbringen und besser miteinander vergleichen kann. Die Kontrollgruppe ist eine Art Kleber, um die Daten kohärent zu machen.«

Bei den letzten Sätzen wurde es Thomas eiskalt. »Und wer ist nicht …« Die Frage wollte ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Er hatte zu viel Angst vor der Antwort.

»Wer nicht immun ist?«, fragte Rattenmann mit hochgezogenen Augenbrauen. »Na, ich würde doch sagen, das sollten diejenigen als Erste erfahren. Aber immer schön der Reihe nach. Du stinkst wie eine halb verrottete Leiche – jetzt wird erst mal geduscht, dann kriegst du frische Kleidung.« Damit nahm er den Aktenordner in die Hand und wollte gehen. Als er schon fast an der Tür war, kam Thomas endlich wieder zu sich.

»Halt!«, schrie er.

Der Besucher drehte sich zu ihm um. »Ja?«

»Als wir in die Brandwüste geschickt wurden – warum haben Sie uns vorgemacht, dass im sicheren Hafen die Heilung auf uns warten würde?«

Rattenmann zuckte die Achseln. »Das war doch nicht gelogen. Dadurch, dass ihr die Prüfungen bestanden und es bis zum sicheren Hafen geschafft habt, konnten wir eine Menge Daten sammeln. Und die werden uns die Heilung bringen. Bald. Irgendwann. Uns allen.«

»Aber warum sagen Sie mir das alles jetzt? Warum haben Sie mich vier Wochen lang hier eingesperrt?« Thomas zeigte auf die Gummizelle, auf die gepolsterte Decke, die gepolsterten Wände, die armselige Toilette in der Ecke. Seine Erinnerungsfetzen waren nicht zusammenhängend genug, um die unglaublichen Dinge einordnen zu können, die er über sich hatte ergehen lassen. »Warum haben Sie Teresa vorgemacht, ich wäre verrückt und gewalttätig und müsste eingesperrt werden? Was soll das für einen Sinn haben?«

»Variablen«, antwortete Rattenmann nur. »Alles, was wir mit euch durchgeführt haben, wurde von unseren Psychologen und Ärzten sorgfältig geplant. Alles geschieht, um Reaktionen in der Todeszone zu stimulieren, wo Der Brand als Erstes wütet. Um die Muster verschiedener Emotionen und Reaktionen und Gedanken zu studieren. Herauszufinden, wie sie innerhalb der Virusinfektion, die in euch steckt, funktionieren. Wir versuchen zu verstehen, warum der Virus euch nicht außer Gefecht setzt. Alles dreht sich um die Muster der Todeszone, Thomas. Darum, eure kognitiven und physiologischen Reaktionen aufzuzeichnen und daraus einen Masterplan für die eventuelle Heilung zu erstellen. Es geht hier um die Heilung.«

»Aber was ist die Todeszone?«, fragte Thomas, der sich verzweifelt zu erinnern versuchte – aber nichts. »Wenn Sie mir das verraten, komme ich mit.«

»Aber, Thomas«, erwiderte der Mann hochmütig. »Ich bin erstaunt, dass der Griewerstich dir nicht wenigstens so viel von deinem Gedächtnis wiedergegeben hat. Die Todeszone ist dein Gehirn. Dort nistet sich der Virus ein und breitet sich aus. Je stärker die Todeszone betroffen ist, desto paranoider und gewalttätiger verhält sich der Infizierte. ANGST benutzt dein Gehirn und das einiger anderer Personen, um zu einer Lösung des Problems zu gelangen. Den Auftrag unserer Organisation kann man schon am Namen erkennen – wie du dich erinnern wirst, steht ANGST für ›ABTEILUNG NACHEPIDEMISCHE GRUNDLAGENFORSCHUNG, SONDEREXPERIMENTE TODESZONE‹.« Rattenmann wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. Fast glücklich. »Jetzt komm, du musst duschen. Und nur damit du’s weißt: Wir werden beobachtet. Eine falsche Bewegung und sie könnte deine letzte sein.«

Thomas rührte sich nicht vom Fleck, sondern versuchte das zu verarbeiten, was er gerade gehört hatte. Alles klang wahr und ergab einen Sinn. Passte zu seinen Erinnerungen, die in den letzten Wochen zurückgekommen waren. Und dennoch hatte er seine Zweifel – weil er Rattenmann und ANGST einfach nicht traute.

Schließlich stand er doch auf, während es in seinem Kopf ratterte und er versuchte die neu gewonnenen Erkenntnisse zu begreifen. Ohne ein weiteres Wort durchquerte er den Raum, folgte dem Rattenmann zur Tür hinaus und ließ seine weiß gepolsterte Zelle für immer hinter sich.

Das Gebäude, in dem er sich befand, hatte nichts Außergewöhnliches an sich. Ein langer Flur, gefliester Boden, beigegestrichene Wände mit gerahmten Naturbildern – Wellen, die sich an einem Strand überschlugen, ein Kolibri, der vor einer roten Blüte in der Luft stand, Regen und Nebel, die über einem Wald hingen. An der Decke sirrten Leuchtstoffröhren. Rattenmann führte ihn um mehrere Ecken und blieb schließlich vor einer Tür stehen, die er Thomas aufhielt. Es war ein großes Badezimmer mit Schränken und Duschen. Einer der Spinde stand offen, frische Klamotten und Schuhe waren darin zu sehen. Sogar eine Armbanduhr.

»Eine halbe Stunde hast du Zeit«, sagte Rattenmann. »Wenn du fertig bist, warte hier auf mich – ich hole dich ab. Und dann darfst du deine Freunde endlich wiedersehen.«

Aus irgendeinem Grund tauchte bei dem Wort Freunde Teresa in Thomas’ Kopf auf. Wieder versuchte er telepathisch mit ihr in Verbindung zu treten, aber da war einfach nur Leere. Trotz seiner ständig wachsenden Verachtung für sie erfüllte ihn ihre Abwesenheit immer noch wie eine Luftblase, die einfach nicht platzen wollte. Teresa war seine Verbindung zur Vergangenheit und sie war einst seine Freundin gewesen, das wusste er ohne jeden Zweifel. Das war eine der ganz wenigen Tatsachen in seiner Welt, deren er sich absolut sicher war, und Teresa ein für alle Mal loszulassen fiel ihm schwer.

Rattenmann nickte. »Bis in einer halben Stunde dann«, sagte er. Dann knallte er die Tür hinter sich zu und ließ Thomas wieder mit sich allein.

Thomas hatte immer noch keinen anderen Plan, als seine Freunde wiederzufinden. Dem war er wenigstens einen Schritt näher gekommen. Und auch wenn er keinen blassen Schimmer hatte, was ihn erwartete – zumindest war er nicht mehr isoliert. Endlich. Und jetzt eine heiße Dusche. Sich von Kopf bis Fuß waschen. Er konnte sich gerade nichts Schöneres vorstellen. Thomas vergaß seine Sorgen eine Weile, zog sich die ekligen Klamotten vom Leib, um sich wieder wie ein Mensch zu fühlen.

4

T-Shirt und Jeans. Laufschuhe – genau dieselben, die er damals im Labyrinth getragen hatte. Frische, weiche Socken. Nachdem er sich mindestens fünfmal von Kopf bis Fuß gewaschen hatte, fühlte er sich wie neugeboren und schöpfte Hoffnung. Wenn ihn bloß der Spiegel nicht an seine Tätowierung erinnert hätte – die vor der Brandwüste plötzlich an seinem Hals aufgetaucht war. Sie war ein Symbol für alles, was er durchgemacht hatte, etwas, das sich nicht ausradieren ließ. Dabei wollte er nur eins: das alles vergessen.

Mit verschränkten Armen lehnte er vor dem Badezimmer an der Wand und wartete. Er fragte sich, ob Rattenmann zurückkommen würde – oder musste er allein durch die Gänge irren und sich den nächsten Prüfungen stellen? Kaum fing Thomas an darüber nachzudenken, da hörte er schon Schritte und sah den wieseligen Mann in Weiß um die Ecke biegen.

»Na, du siehst ja aus wie geleckt«, gab Rattenmann zum Besten, wobei seine Mundwinkel zu einem schmierigen Lächeln nach oben rutschten.

Hundert sarkastische Antworten schossen Thomas durch den Kopf, aber er wusste, dass er sich korrekt benehmen musste. Im Augenblick musste er so viele Informationen sammeln, wie er konnte, und dann seine Freunde suchen. »Mir geht’s bestens. Danke.« Er klebte sich ein unechtes Lächeln ins Gesicht. »Wann bekomme ich die anderen zu sehen?«

»Jetzt. Sofort.« Rattenmann war die Geschäftsmäßigkeit in Person. Er nickte in die Richtung, aus der er gekommen war, Thomas solle ihm folgen. »In Phase drei der Prüfungen habt ihr alle verschiedene Experimente durchlaufen. Wir hatten gehofft, dass wir am Ende von Phase zwei sämtliche für die Todeszone relevanten Muster beisammenhätten. Allerdings mussten wir ein wenig improvisieren, um weiterzukommen. Doch wie ich bereits sagte: Der Erfolg ist in greifbarer Nähe. Ihr seid von nun an gleichberechtigte Partner in der Studie und werdet uns so lange helfen, bis wir diese Aufgabe endlich gelöst haben.«

Thomas kniff die Augen zusammen. Für ihn war Phase drei vermutlich die weiße Zelle gewesen – und für die anderen? So fürchterlich die Isolationshaft gewesen war – ANGST konnte noch wesentlich grausamer sein. Fast hoffte er, dass er nicht zu erfahren brauchte, was sie mit seinen Freunden angestellt hatten.

Schließlich kam Rattenmann an eine Tür, die er ohne Zögern öffnete. Sie betraten einen kleinen Hörsaal – und Erleichterung durchflutete Thomas. Über ungefähr ein Dutzend Sitzreihen verteilt hockten sie: seine unversehrt aussehenden Freunde, alle. Die Lichter und die Mädchen aus Gruppe B. Minho. Bratpfanne. Newt. Aris. Sonya. Harriet. Alle machten einen zufriedenen Eindruck, lachten, redeten, lächelten – auch wenn ein paar garantiert nur so taten als ob. Wahrscheinlich war auch ihnen gesagt worden, dass es fast ausgestanden war, obwohl das vermutlich kein Strunk glaubte. Thomas jedenfalls nicht. Noch nicht.

Er sah sich nach Jorge und Brenda um – er wollte Brenda unbedingt wiedersehen. Seit das Berk sie alle abgeholt hatte, war sie verschwunden, und er machte sich Sorgen um sie. Ob ANGST sie und Jorge wie angedroht zurück in die Brandwüste geschickt hatten? Doch bevor er Rattenmann fragen konnte, durchbrach ein Krakeelen das allgemeine Stimmengewirr. Ein fettes Grinsen breitete sich auf Thomas’ Gesicht aus.

»Ich werd nicht mehr! Thomas ist wieder da, halleluja!«, brüllte Minho. Es folgten Jubelgeschrei und Pfiffe von allen Seiten. Thomas blickte in ein Gesicht nach dem anderen. Zu bewegt, um etwas zu sagen, grinste er einfach nur übers ganze Gesicht – bis er Teresa erblickte.

Sie stand auf und drehte sich auf ihrem Platz am Ende einer Sitzreihe zu ihm um. Die schwarzen Haare rahmten ihr blasses Gesicht ein und fielen ihr frisch gewaschen und glänzend auf die Schultern. Ihre roten Lippen öffneten sich zu einem Lächeln, das ihr ganzes Gesicht erstrahlen und ihre blauen Augen leuchten ließ. Fast wäre Thomas auf sie zugerannt. Aber er konnte nicht vergessen, was sie ihm angetan hatte. Und auch nicht, dass sie selbst nach allem, was geschehen war, behauptet hatte, ANGST sei gut.

Kannst du mich hören?, rief er ihr im Geist zu, nur um herauszufinden, ob es wieder funktionierte.

Aber sie gab keine Antwort, und er spürte innerlich nach wie vor nichts von ihrer Gegenwart. Sie standen mehrere Meter voneinander entfernt da und starrten sich Ewigkeiten in die Augen, wie es ihm schien, dabei waren es wahrscheinlich nur ein paar Sekunden. Und dann stürzten Minho und Newt sich schon auf ihn, klopften ihm auf den Rücken, schüttelten ihm die Hand, zogen ihn in ihre Mitte.

»Na, Tommy? Schön, dass du nicht umzubringen bist, du alter Schrumpfkopf«, sagte Newt und drückte ihn ganz fest an sich. Er klang etwas schroffer, als Thomas erwartet hätte – sie hatten sich immerhin wochenlang nicht gesehen –, aber wenigstens war er noch in einem Stück. Das war ja schon mal ein Anfang.

Minho grinste, aber der harte Ausdruck in seinen Augen ließ erkennen, dass auch er fürchterliche Wochen hinter sich hatte. Dass er noch nicht wieder ganz der Alte war, sondern nur auf Teufel komm raus versuchte, so zu tun als ob. »Die Lichter in Glanz und Glorie, endlich wiedervereint. Schön, dass du noch senkrecht stehst, du Neppdepp – ich hab schon hundertmal gedacht, du hättest ins Gras gebissen. Ich wette, du hast jede Nacht geflennt, weil du mich so schrecklich vermisst hast.«

»Was sonst«, brummte Thomas, begeistert, alle vor sich zu haben, aber immer noch sprachlos. Er machte sich los und ging hinüber zu Teresa. Das Bedürfnis, auf irgendeine Art Frieden mit ihr zu schließen, bevor er die nächste Entscheidung treffen konnte, überwältigte ihn. »Hey.«

»Hey«, antwortete sie. »Alles in Ordnung?«

Thomas nickte. »Geht so. Schön war’s nicht. Hast du mich –« Er unterbrach sich. Um ein Haar hätte er sie gefragt, ob sie gemerkt hatte, dass er sie telepathisch zu erreichen versuchte, aber das wollte er auf keinen Fall zugeben.

»Ich hab’s versucht, Tom. Jeden Tag habe ich versucht mit dir in Kontakt zu treten. Sie haben uns wieder voneinander getrennt, aber ich glaube, es war die Sache wert.« Sie streckte den Arm aus und nahm seine Hand, was einen Chor fieser Bemerkungen von den Lichtern auslöste.

Thomas zog seine Hand schnell weg und merkte, dass er knallrot anlief. Aus irgendeinem Grund machten ihre Worte ihn wütend.

»Jau!«, heulte Minho. »Das ist fast so romantisch wie damals, als sie dir das Speerende ins Gesicht gerammt hat!«

»Ist wahre Liebe nicht schön?«, kam von Bratpfanne, gefolgt von seinem tiefen Blasebalglachen. »Ich möchte ja nicht wissen, wie die Fetzen fliegen, wenn die zwei sich zum ersten Mal richtig streiten.«

Was die anderen dachten, war Thomas egal, aber er war fest entschlossen, Teresa zu zeigen, dass er ihr nicht verziehen hatte. Das Vertrauen, das sie vor den Experimenten zueinander hatten – die Beziehung, die sie miteinander verband –, all das hatte keine Bedeutung mehr. Vielleicht könnte er irgendwann einen gewissen Frieden mit ihr schließen, aber nicht jetzt. Von nun an würde er nur noch Minho und Newt trauen. Niemand anderem.

Er wollte gerade etwas sagen, da kam Rattenmann den Mittelgang heruntermarschiert und klatschte in die Hände. »Alle hinsetzen! Wir haben ein paar Dinge zu besprechen, bevor die Gedächtnisblockade aufgehoben wird.«

Wie beiläufig er das hervorbrachte. Als Thomas kapierte, was er da gerade gesagt hatte – die Gedächtnisblockade wird aufgehoben –, erstarrte er.

Im Raum wurde es still, sehr still, und Rattenmann trat an ein Pult auf einem Podium vorn im Raum. Er umklammerte die Kanten, setzte dasselbe gezwungene Lächeln auf wie vorher und verkündete: »Sie haben richtig gehört, meine Damen und Herren. Sie bekommen gleich Ihre Erinnerungen zurück. Alle. Von A bis Z.«

5

Thomas war sprachlos. In seinem Kopf drehte sich alles, als er sich neben Minho auf einen Sitz fallen ließ.

Er hatte so lange darum gekämpft, sich wieder an sein Leben, seine Familie und seine Kindheit erinnern zu können – oder auch nur daran, was er an dem Tag gemacht hatte, bevor er im Labyrinth aufgewacht war. Sein Gedächtnis mit einem Schlag komplett wiederzuhaben war einfach unvorstellbar. Doch auf einmal wurde ihm klar, dass sich etwas ganz fundamental verändert hatte. Sich an alles zu erinnern klang nicht mehr verlockend. Und seit Rattenmann behauptet hatte, alles sei vorbei, ließ ihn ein Verdacht nicht los: Es schien zu einfach.

Rattenmann räusperte sich mit einem hochmütigen Lächeln. »Wie ihr in euren Einzelgesprächen bereits informiert wurdet, sind die Experimente vorbei. Sobald euer Gedächtnis wieder intakt ist, werdet ihr mir glauben, und dann können wir fortfahren. Der Masterplan für die Todeszone ist fast fertig. Für die letzten Details, die wir noch brauchen, wird eure volle Unterstützung und Entschlossenheit gebraucht. Meinen herzlichen Glückwunsch.«

»Ich würde am liebsten nach vorn kommen und Ihnen die Fresse einschlagen«, sagte Minho. Seine Stimme war erschreckend ruhig, gemessen an der Drohung in seinen Worten. »Es geht mir gewaltig auf den Sack, dass Sie so tun, als wäre alles ein Zuckerschlecken gewesen – mehr als die Hälfte unserer Freunde ist tot!«

»Ich würde auch gerne eine platt geschlagene Rattennase sehen!«, brummte Newt.

Der Zorn in seiner Stimme erschreckte Thomas, und er fragte sich, was für schreckliche Dinge Newt in Phase drei erlebt haben mochte.

Rattenmann verdrehte die Augen und seufzte. »Erstens wisst ihr ganz genau, dass es Konsequenzen hätte, wenn ihr versucht mir etwas anzutun. Schließlich werdet ihr beobachtet. Zweitens tut es mir leid, dass ihr einige eurer Freunde verloren habt – aber am Ende war es das alles doch wert, oder? Mir macht es ein wenig Sorgen, dass es einfach nicht in eure Köpfe rein will, um wie viel es hier geht. Es geht um das Überleben der menschlichen Rasse!«

Minho holte tief Luft, als wollte er einen Sturm von Flüchen loslassen, hielt sich dann aber zurück.

Thomas wusste innerlich, dass sie mal wieder hereingelegt wurden, auch wenn Rattenmann noch so überzeugend redete. Alles war ein Trick. Doch ihn jetzt einzuschüchtern, mit Fäusten oder Worten, brachte nichts. Was sie jetzt brauchten, war Geduld.

»Lassen wir das«, sagte Thomas beruhigend. »Hören wir ihn erst mal an.«

Doch als Rattenmann gerade fortfahren wollte, fiel ihm Bratpfanne ins Wort. »Warum sollten wir Ihnen wohl vertrauen? Wie nannte sich das? Die Gedächtnisblockade? Nach allem, was Sie uns und unseren Freunden angetan haben, wollen Sie jetzt die Blockade einfach so aufheben? Nicht mit mir. Ich glaube, ich verzichte gern auf meine Vergangenheit, schönen Dank auch.«

»ANGST ist gut«, sagte Teresa unvermittelt, als spräche sie mit sich selbst.

»Was ist das denn wieder für eine neppige Scheiße?!«, schrie Bratpfanne. Alle drehten sich zu Teresa um.

»ANGST ist gut«, wiederholte sie, diesmal viel lauter, und sah einem nach dem anderen direkt in die Augen. »Es waren diese drei Worte, die ich auf meinen Arm geschrieben habe, als ich im Labyrinth aus dem Koma aufgewacht bin. Das war es, was mir nicht aus dem Kopf ging, und dafür muss es doch einen Grund geben. Ich würde sagen, wir halten die Klappe und tun einfach, was der Mann sagt. Verstehen können wir das Ganze erst, wenn wir unsere Erinnerungen wiederhaben.«

»Ganz meine Meinung!«, rief Aris wesentlich lauter, als notwendig gewesen wäre.

Thomas schwieg, während im ganzen Raum Diskussionen ausbrachen. Die Argumente flogen zwischen den Lichtern, die auf Bratpfannes Seite waren, und den Mitgliedern von Gruppe B, die zu Teresa hielten, hin und her. Einen schlechteren Zeitpunkt für diese Auseinandersetzung hätten sie sich nicht aussuchen können.

»Ruhe!«, rief Rattenmann und donnerte mit der Faust auf das Rednerpult. Er wartete, bis sich alle beruhigt hatten, bevor er weiterredete. »Hört zu, niemand nimmt es euch übel, dass ihr ein gewisses Misstrauen empfindet. Ihr wurdet bis an eure körperlichen Grenzen gebracht, ihr habt Menschen sterben sehen, habt Terror in seiner reinsten Form erlebt. Aber wenn das hier alles vorbei ist – das verspreche ich euch –, wird keiner zurückblicken und –«

»Aber wenn wir das überhaupt nicht wollen?«, schrie Bratpfanne dazwischen. »Was ist, wenn wir unser Gedächtnis nicht wiederhaben wollen?«

Thomas drehte sich erleichtert zu seinem Freund um. Das war genau das, was er auch dachte.

Rattenmann seufzte. »Habt ihr wirklich kein Interesse an euren Erinnerungen, oder traut ihr uns einfach nicht?«

»Warum sollten wir Ihnen wohl vertrauen, hm?«, gab Bratpfanne zurück.

»Begreift ihr denn nicht, dass wir es einfach tun könnten, wenn wir wirklich etwas Schlimmes mit euch vorhätten?« Der Mann schaute hinunter aufs Rednerpult und dann wieder hoch. »Wenn du nicht willst, dass die Gedächtnisblockade aufgehoben wird, dann lass es. Du kannst daneben stehen und den anderen dabei zusehen.«

Eine echte Option oder reiner Bluff? Am Tonfall des Bürokraten konnte Thomas es nicht erkennen, aber erstaunt war er trotzdem.

Erneut wurde es ganz still im Raum, und bevor irgendjemand reagieren konnte, hatte Rattenmann sich vom Podium gestohlen und war auf die Hintertür zugeschlichen. Als er die Tür erreicht hatte, drehte er sich wieder zu den Jugendlichen um. »Wollt ihr ernsthaft den Rest eures Lebens ohne Erinnerungen an eure Eltern zubringen? An eure Verwandten und Freunde? Wollt ihr wirklich nicht wissen, ob es nicht wenigstens ein paar schöne Erinnerungen an die Zeit gibt, bevor das hier alles losging? Mir soll’s recht sein. Aber es ist gut möglich, dass diese Gelegenheit nie wiederkommt.«

Thomas überdachte seine Entscheidung noch einmal. Natürlich wünschte er sich sehnlichst, er könnte sich an seine Eltern erinnern. Wie oft dachte er an sie. Aber er kannte ANGST einfach zu gut. Er würde sich nicht benutzen lassen, nie wieder. Er würde sich mit aller Macht wehren, bevor er zuließ, dass sein Gehirn noch mal manipuliert wurde. Wie konnte er Erinnerungen trauen, die ihm ANGST ins Gehirn gepflanzt hatte?

Und noch etwas anderes machte ihm zu schaffen: das Gefühl, das ihn durchzuckte, als Rattenmann verkündet hatte, dass ANGST die Blockade aufheben würde. Abgesehen davon, dass er nicht einfach etwas akzeptieren durfte, nur weil ANGST es sein »Gedächtnis« nannte, bekam er Panik: Wenn tatsächlich alles stimmte, was sie behaupteten, dann wollte er nichts von seiner Vergangenheit wissen. Er verstand den Menschen nicht, der er angeblich früher gewesen war. Schlimmer noch: Er mochte ihn nicht.

Er sah Rattenmann hinterher. Sobald er weg war, beugte Thomas sich zu Minho und Newt vor, so dass ihn nur seine Freunde hören konnten. »Das machen wir auf gar keinen Fall. Ausgeschlossen.«

Minho drückte Thomas’ Schulter. »Amen. Selbst wenn ich den Typen vertrauen würde – warum sollte ich mein Gedächtnis wohl wiederhaben wollen? Denkt bloß dran, was danach mit Ben und Alby passiert ist.«

Newt nickte. »Wir müssen unsern Arsch sehr bald hochkriegen. Und wenn wir zuschlagen, dann rollen ein paar Köpfe, das versprech ich euch.«

Thomas war seiner Meinung. Trotzdem mussten sie vorsichtig sein. »Aber nicht zu bald«, wandte er ein. »Wir dürfen die Sache nicht in den Sand setzen – wir müssen auf die richtige Gelegenheit warten.« Thomas fühlte, wie auf einmal neue Kraft durch seinen Körper strömte – wie lange hatte er das nicht mehr gespürt? Er war wieder mit seinen Freunden zusammen, und die Experimente waren vorbei – ein für alle Mal. Jetzt war Schluss damit. Sie würden nie wieder das tun, was ANGST von ihnen verlangte.

Sie standen auf und gingen zusammen zur Tür. Doch als Thomas die Hand an den Türknauf legte, zögerte er. Ihm wurde schwer ums Herz, als er die anderen reden hörte: Die meisten hatten sich dafür entschieden – sie wollten ihr Gedächtnis wiederhaben.

***

Rattenmann erwartete sie vor dem Hörsaal. Er ging ihnen durch den fensterlosen Gang voraus, bis sie an eine große Stahltür kamen. Sie war schwer gesichert und luftdicht versiegelt. Der wieselige Mann in Weiß hielt einen Kartenschlüssel in eine viereckige Vertiefung; mehrere Klicks waren zu hören, dann bewegte sich die massive Metallschiebewand mit einem durchdringenden Knirschen zur Seite, das Thomas an die Tore auf der Lichtung erinnerte.

Vor ihnen war die nächste Tür; sobald die ganze Gruppe in dem kleinen Vorraum war, ließ Rattenmann die erste Tür wieder zugehen und entriegelte die zweite Tür mit derselben Karte. Dahinter lag ein großer, gewöhnlich wirkender Raum – dieselben Bodenfliesen und beigefarbenen Wände wie auf dem Gang. Es gab Schränke und Arbeitsflächen. Aufgereiht an der Rückwand standen Betten und über jedem Bett hing eine bedrohliche, außerirdisch wirkende Maske aus glänzendem Metall und Plastikschläuchen. Thomas erschauderte: Niemals würde er jemandem erlauben, ihm so ein Ding aufs Gesicht zu setzen.

Rattenmann zeigte auf die Betten. »Damit wird die Gedächtnisblockade aus eurem Gehirn entfernt«, verkündete er leichthin. »Ich weiß, ich weiß, die Geräte mögen ein wenig … angsteinflößend aussehen. Aber es wird lange nicht so wehtun, wie man befürchten könnte.«

»Lange nicht so weh!«, äffte Bratpfanne ihn nach. »Das ist doch zum Kotzen! Das soll heißen, es wird sehr wohl wehtun.«

»Natürlich wird es ein wenig unangenehm sein – es handelt sich immerhin um eine Gehirnoperation«, näselte Rattenmann, während er zu einem großen Gerät links neben den Betten trat, an dem sich Dutzende blinkender Lämpchen, Knöpfe und Displays befanden. »Aus dem Teil eures Gehirns, der für das Langzeitgedächtnis zuständig ist, entfernen wir ein kleines Implantat. Aber ich verspreche, das klingt schlimmer, als es ist.« Er drückte auf mehrere Knöpfe, und ein Summen erfüllte den Raum.

»Einen Augenblick«, sagte Teresa. »Wird dadurch auch das entfernt, womit Sie uns kontrollieren?«

Thomas hatte sofort wieder das Bild von Teresa in der kleinen Hütte in der Brandwüste vor Augen. Und von Alby, wie er sich vor Schmerzen im Bett wand, als sie noch auf der Lichtung waren. Und von Gally, wie er Chuck tötete. Alle waren von ANGST kontrolliert worden. Einen winzigen Augenblick zweifelte Thomas an seinem Entschluss – konnte er es wirklich zulassen, dass er ANGST weiterhin ausgeliefert war? Sollte er nicht einfach die Operation über sich ergehen lassen? Doch der Zweifel war sofort wieder verschwunden – er traute ANGST nicht über den Weg. Er würde nicht nachgeben.

Teresa fügte hinzu: »Und was ist mit …« Ihre Stimme brach ab, und sie sah Thomas in die Augen.

Er wusste, was sie meinte: ihre Fähigkeit zur telepathischen Verständigung. Und natürlich das, was damit einherging – das seltsam schöne Gefühl der Nähe, wenn alles gut lief, fast, als teilten sie ein Gehirn miteinander. Thomas dachte auf einmal, wie froh er wäre, wenn das für immer vorbei wäre. Vielleicht würde dann auch endlich das schreckliche Gefühl der Leere verschwinden, Teresa nicht in sich zu spüren.

Teresa riss sich zusammen und sprach weiter: »Wird alles aus unserem Gehirn entfernt? Alles?«

Rattenmann nickte. »Alles, mit Ausnahme des winzigen Bauteils, mit dem wir die Muster eurer Todeszone erfassen. Und du brauchst nicht auszusprechen, was du denkst, das kann ich dir an den Augen ablesen: Nein, du, Thomas und Aris beherrscht dann euren kleinen Trick nicht mehr. Momentan ist er vorübergehend ausgeschaltet, aber dann ist es für immer damit vorbei. Aber dafür habt ihr dann alle eure Erinnerungen wieder, und wir können euch nicht mehr manipulieren. Das gibt’s leider nur im Gesamtpaket. Die Entscheidung liegt ganz bei dir.«

Die anderen wurden unruhig und flüsterten hektisch miteinander. Jeder hatte tausend Fragen, es gab so viel zu bedenken und die Konsequenzen waren unklar. Es gab so viel Grund, zornig auf ANGST zu sein. Aber der Kampfgeist schien die Jugendlichen verlassen zu haben, und sie wollten es einfach nur noch hinter sich bringen.

»Mensch, jedem Hirnamputierten muss doch klar sein, dass man ANGST nicht trauen kann«, gab Bratpfanne zum Besten. »Kapiert? Jedem Hirnamputierten?« Ein genervtes Stöhnen hier und da war die einzige Antwort.

»Gut, dann sind wir ja fast so weit«, verkündete Rattenmann. »Aber da wäre noch eine Kleinigkeit. Etwas, das ich euch mitteilen muss, bevor ihr euer Gedächtnis wiederbekommt. Es ist besser, wenn ihr es von mir erfahrt, als … wenn ihr euch an den Test erinnert.«

»Was für einen Test?«, fragte Harriet verunsichert.

Rattenmann verschränkte die Hände hinter dem Rücken und machte auf einmal ein ernstes Gesicht. »Die meisten von euch sind immun gegen Den Brand. Aber … nicht alle. Ich lese jetzt die Liste vor – bitte versucht ruhig zu bleiben.«

6

Totenstille kehrte ein, die nur vom Brummen der Gerätschaften und einem leisen Piepsen unterbrochen wurde. Thomas wusste ja bereits, dass er immun war – jedenfalls hatte Rattenmann das behauptet –, aber bei den anderen hatte er keine Ahnung. Ihm wurde übel vor lauter Angst um seine Freunde.

»Damit man bei einem Experiment korrekte Ergebnisse erhält«, erläuterte Rattenmann arrogant, »ist eine Kontrollgruppe notwendig. Wir haben euch, solange es ging, vor dem Virus geschützt. Aber er wird durch die Luft übertragen und ist hoch ansteckend.«

Er legte eine dramatische Pause ein und blickte in die Runde.

»Mensch, nun spucken Sie’s verdammt noch mal aus«, fauchte Newt. »Wir haben sowieso alle geglaubt, wir hätten die verdammte Seuche. Es wird uns schon nicht das Herz brechen.«

»Genau«, pflichtete Sonya bei. »Schluss mit den Spielchen, raus mit der Sprache.«

Thomas merkte, wie Teresa neben ihm nervös zappelte. Hatte sie auch schon etwas erfahren? Er ging davon aus, dass sie immun sein musste, genau wie er – sonst hätte ANGST sie nie mit dieser Sonderrolle geehrt.

Rattenmann räusperte sich. »Na schön. Die meisten von euch sind immun; ihr habt uns geholfen, Daten von unschätzbarem Wert zu sammeln. Momentan werden nur zwei von euch als Auserwählte angesehen, aber dazu später. Kommen wir zur Liste. Die folgenden Personen sind nicht immun: Newt, …«

Es traf Thomas wie ein Schlag in die Magengrube. Er krümmte sich zusammen und starrte wie gelähmt zu Boden. Rattenmann nannte einige weitere Namen, die Thomas aber nicht einmal kannte – er hörte sie kaum noch über dem schwindelerregenden Summen, das seine Ohren erfüllte und seinen Kopf benebelte. So eine starke Reaktion hatte er nicht von sich erwartet – ihm war nicht bewusst gewesen, dass ihm Newt so viel bedeutete. Bis er dieses Todesurteil hörte. Ihm fiel wieder ein, wie Rattenmann die Kontrollgruppe genannt hatte: eine Art Kleber, der die gewonnenen Informationen zusammenhielt und relevant werden ließ.

Der Kleber. Das war der Beiname, der Newt eintätowiert worden war – das Tattoo, das noch immer wie eine schwarze Narbe an seinem Hals prangte.

»Krieg dich wieder ein, Tommy.«

Als Thomas den Blick hob, sah er Newt mit verschränkten Armen und einem gezwungen wirkenden Grinsen auf dem Gesicht vor sich stehen. Thomas richtete sich auf. »Ich soll mich wieder einkriegen? Das alte Ekel hat gerade gesagt, dass du allmählich von innen verrotten wirst, bis du ein unmenschliches Monstrum bist. Wie kannst du –?«

»Der kann mich mal mit seiner beschissenen Seuche! Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt so lange durchhalten würde, Mann. Und so toll ist unser Leben ja nun auch wieder nicht.«

Thomas konnte nicht sagen, ob sein Freund das ernst meinte oder ob er nur so hart tat. Aber das gruselige Grinsen verschwand nicht aus Newts Gesicht, weshalb Thomas sich auch zu einem Lächeln zwang. »Wenn es dir nichts ausmacht, langsam durchzudrehen und zum Kinderfresser zu mutieren, bitte. Mir soll’s recht sein.« Noch nie waren ihm Worte so leer vorgekommen.

»Gut, das«, erwiderte Newt, aber das Lächeln verschwand.

Thomas wandte seine Aufmerksamkeit den restlichen Leuten im Raum zu. Der Kopf schwirrte ihm wie verrückt. Einer der Lichter – ein Junge namens Jackson, den er nicht besonders gut kannte – starrte mit leerem Blick vor sich hin, ein anderer versuchte sich schnell die Tränen wegzuwischen. Ein Mädchen aus Gruppe B hatte rote, verheulte Augen – eine Gruppe ihrer Freundinnen hatte sich um sie geschart und versuchte sie zu trösten.

»So, das hätten wir dann auch erledigt«, meinte Rattenmann. »Ich wollte es euch gern selbst sagen, um euch eindringlich daran zu erinnern, dass dieses ganze Großprojekt das Ziel hat, eine Heilmethode zu finden. Die meisten von den Nicht-Immunen befinden sich im Frühstadium Des Brands, und ich habe vollstes Vertrauen, dass ihr Hilfe erhalten werdet, bevor die Krankheit zu weit fortschreitet. Eure Teilnahme war notwendig für die Durchführung der Experimente.«

»Und was ist, wenn ihr’s verkackt?«, fragte Minho.

Rattenmann schenkte ihm keine Beachtung. Er trat an das nächststehende Bett, langte nach oben und legte eine Hand an das grausig aussehende Metallding, das von der Decke hing. »Dieses Gerät ist eine große Errungenschaft der medizinischen Forschung – wir sind sehr stolz darauf. Es nennt sich Retraktor und führt die Operation aus. Der Apparat wird aufs Gesicht gesetzt – ich garantiere euch, dass ihr hinterher noch genauso hübsch aussehen werdet wie jetzt. Aus dem Apparat werden dünne Drähte ausgefahren und in den Gehörgang eingeführt. Das Implantat in eurem Gehirn wird dann über die Ohren entfernt. Von unseren Ärzten und Krankenschwestern erhaltet ihr ein Beruhigungsmittel und ein Mittel gegen eventuelle Schmerzen.«

Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Während eure Nerven sich selbst reparieren und eure Erinnerungen zurückkehren, fallt ihr in einen tranceartigen Zustand – es wird ein wenig so wie bei der Verwandlung damals im Labyrinth sein. Aber bei weitem nicht so unangenehm, das verspreche ich. Wir haben mehrere Operationsräume, und ein ganzes Team von Ärzten steht bereit. Ich bin mir sicher, dass ihr Tausende von Fragen habt. Die meisten werden sich allerdings erübrigen, wenn ihr euer Gedächtnis wiederhabt. Ich hebe mir die restlichen Antworten also für nach dem Eingriff auf.«

Rattenmann legte eine weitere Pause ein, dann meinte er: »Ach ja, ich muss nachsehen, ob die Mediziner so weit sind. In der Zwischenzeit könnt ihr eure Entscheidung treffen.«

Als er den Raum durchquerte, herrschte außer dem Swisch-swisch seiner weißen Synthetikhose Totenstille im Raum. Er verschwand durch die Stahltür und verschloss sie hinter sich. Ein Riesenlärm brach los, als alle durcheinanderredeten.

Teresa hetzte auf Thomas zu – Minho folgte ihr auf dem Fuß. Sie steckten die Köpfe zusammen, um sich in dem Stimmengewirr verständigen zu können. Minho sagte: »Ihr beiden Strünke wisst mehr und erinnert euch an mehr als alle anderen. Ich hab nie ein Geheimnis draus gemacht, Teresa – ich mag dich nicht. Aber deine Meinung will ich trotzdem hören.«

Thomas war genauso neugierig darauf, was Teresa zu sagen hatte. Er nickte seiner früheren Freundin zu und wartete darauf, dass sie redete. Ein kleiner Teil von ihm hegte immer noch die unsinnige Hoffnung, sie würde sich gegen das aussprechen, was ANGST von ihnen verlangte.

»Wir sollten es tun«, sagte Teresa. Und Thomas war nicht erstaunt darüber. »Ich habe das Gefühl, es ist das Richtige. Wenn wir uns intelligent verhalten wollen, brauchen wir unser Gedächtnis. Dann können wir uns entscheiden, was wir als Nächstes tun sollen.«

Thomas versuchte verzweifelt, sich einen Reim auf das Ganze zu machen. »Teresa, ich weiß, dass du nicht auf den Kopf gefallen bist. Aber ich weiß auch, dass du Feuer und Flamme für ANGST bist. Ich habe keine Ahnung, was du im Schilde führst. Aber ich glaube dir nicht.«

»Vergiss es«, sagte Minho. »Die manipulieren uns und spielen mit unserem Hirn, Mann! Und woher sollen wir bitte schön wissen, dass sie uns unsere eigenen Erinnerungen zurückgeben und uns nicht irgendwelchen Nepp ins Hirn pflanzen?«

Teresa seufzte. »Ihr kapiert ja wohl gar nichts. Wenn sie uns kontrollieren können, wenn sie mit uns machen können, was sie wollen, wenn sie uns zwingen können, wozu sie wollen, warum würden sie dann überhaupt dieses Affentheater hier veranstalten – von wegen wir haben die Wahl? Außerdem hat er gerade gesagt, dass das Teil, mit dem sie uns kontrollieren, rausoperiert wird. Ich glaube ihm.«

»Ich hab dir noch nie vertraut.« Minho schüttelte langsam den Kopf. »Und denen erst recht nicht. Ich bin für Thomas.«

»Und wie sieht’s bei Aris aus?« Newt war bisher so still gewesen, dass Thomas gar nicht bemerkt hatte, wie er mit Bratpfanne zu ihnen getreten war. »Hast du nicht irgendwas gesagt, der wäre mit euch beiden zusammen gewesen, bevor ihr auf die Lichtung gekommen seid? Was denkt er?«

Thomas sah sich suchend um, bis er Aris fand, der mit Mädchen aus Gruppe B redete. Man sah ihn meistens zusammen mit der Mädchengruppe. Verständlich, Aris hatte immerhin das Labyrinth mit ihnen durchlebt. Aber Thomas konnte ihm einfach nicht verzeihen, welche Rolle er in der Brandwüste an Teresas Seite gespielt hatte, als sie ihn in den Bergen verschleppt und in die Kammer gesperrt hatten.

»Ich geh ihn mal fragen«, sagte Teresa.

Thomas und seine Kompagnons sahen ihr hinterher, als sie zu ihrer Gruppe zurückging und aufgeregt mit ihnen zu flüstern anfing.

Inhalt

Cover

James Dashner: Die Auserwählten – In der Todeszone

Wohin soll es gehen?

Widmung

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Epilog

Danksagung

James Dashner

Anke Caroline Burger

Katharina Hinderer

Impressum