12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 12,99 €
Ein Luxus-Retreat in den Alpen. Ein traumhaftes Wochenende. Ein grausamer Mord, der den schönen Schein zerfetzt. Es sollte die perfekte Auszeit werden: Viktoria Kaplan und ihre fünf engsten Vertrauten wollen in einem abgeschiedenen Retreat in den Alpen das Leben feiern. Sie sind jung, schön und erfolgreich, und die ganze Welt soll an ihrem Glück und Glamour teilhaben. Doch unter der Oberfläche brodeln Spannungen und Geheimnisse. Aus Freundschaft, Liebe und Sex wird Eifersucht, Neid und Hass. Jeder der Anwesenden macht sich verdächtig, auch der Hotelbesitzer Pierre mit seinem Team. Aber das Retreat liegt lange nicht so versteckt, wie alle dachten, und bald zieht ein mörderischer Sturm auf. Faszinierende Figuren, überraschende Twists und soghafte Atmosphäre: der packende Thriller von Emily Rudolf führt uns in einem unaufhaltsamen Countdown bis zum Mord und seiner Auflösung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 604
Emily Rudolf
Thriller
Es sollte ein einziges Fest werden: Die Influencerin Viktoria Kaplan und ihre fünf engsten Vertrauten wollen in einem abgeschiedenen Retreat in den Alpen das Leben feiern. Sie sind jung, schön und erfolgreich, und die ganze Welt soll an ihrem Glück und Glamour teilhaben. Doch unter der Oberfläche brodeln Spannungen und Geheimnisse. Aus Freundschaft, Liebe und Sex wird Eifersucht, Neid und Hass. Jeder der Anwesenden macht sich verdächtig, auch der Hotelbesitzer Pierre und seine kleine Crew. Und das Retreat liegt lange nicht so versteckt, wie alle dachten. Wer lauert zwischen den Bäumen? Wer muss sterben und warum?
Der Psycho-Thriller der sensationellen neuen Autorin Emily Rudolf: faszinierende Figuren, überraschende Wendungen bis zum Schluss, atemberaubend atmosphärisch und gegenwärtig. In einem mitreißenden Dreifach-Countdown nähern wir uns dem Mord und seiner Auflösung.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Emily Rudolf, geboren 1998, ist freie Autorin. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend auf dem Land. Gefangen in der Idylle der Natur und dem Unbehagen vor dem, was dort womöglich lauerte, versteckte sie sich zunächst hinter den Buchdeckeln ihrer liebsten Romane, bis sie irgendwann selbst zu schreiben begann. Neben Studium und Job veröffentlichte sie ihre ersten Bücher und entschied sich 2022, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Dem Unbekannten, vor dem sie sich als Kind so fürchtete, gibt sie in ihrem Thriller-Debüt erstmals ein Gesicht. Darin entführt sie die Leser:innen in die Berge, lässt sie tief in die menschliche Psyche eintauchen, beleuchtet Beziehungsdynamiken und stellt die Frage, ob nicht in jedem von uns ein finsterer Abgrund lauert – bereit, sich zu offenbaren, wenn wir nur bestimmten Menschen oder Umständen ausgesetzt sind. Bis sie eine Antwort darauf gefunden hat, können sich ihre Leser:innen auf viele weitere Thriller von Emily Rudolf freuen.
[Widmung]
Ein halbes Jahr vor der Tat
Prolog
Jetzt
1 Karla
37 Stunden vor der Tat
2 Pierre
36 Stunden vor der Tat
3 Josefine
Jetzt
4 Karla
36 Stunden vor der Tat
5 Viktoria
33 Stunden vor der Tat
6 Pierre
Jetzt
7 Karla
32 Stunden vor der Tat
8 Josefine
32 Stunden vor der Tat
9 Viktoria
Jetzt
10 Karla
32 Stunden vor der Tat
11 @torifandom4eva
32 Stunden vor der Tat
12 Pierre
32 Stunden vor der Tat
13 Josefine
Jetzt
14 Karla
31 Stunden vor der Tat
15 Viktoria
29 Stunden vor der Tat
16 Josefine
Jetzt
17 Karla
28 Stunden vor der Tat
18 Viktoria
27 Stunden vor der Tat
19 Pierre
Jetzt
20 Karla
24 Stunden vor der Tat
21 Viktoria
24 Stunden vor der Tat
22 @torifandom4eva
24 Stunden vor der Tat
23 Pierre
Jetzt
24 Karla
21 Stunden vor der Tat
25 Pierre
18 Stunden vor der Tat
26 Josefine
18 Stunden vor der Tat
27 Viktoria
Jetzt
28 Karla
15 Stunden vor der Tat
29 Josefine
15 Stunden vor der Tat
30 Pierre
15 Stunden vor der Tat
31 @torifandom4eva
Jetzt
32 Karla
14 Stunden vor der Tat
33 Viktoria
14 Stunden vor der Tat
34 Josefine
Jetzt
35 Karla
14 Stunden vor der Tat
36 Viktoria
Jetzt
37 Karla
Neun Stunden vor der Tat
38 Viktoria
Jetzt
39 Karla
Neun Stunden vor der Tat
40 Pierre
Acht Stunden vor der Tat
41 Josefine
Drei Stunden vor der Tat
42 Viktoria
Jetzt
43 Karla
Drei Stunden vor der Tat
44 Pierre
Jetzt
45 Karla
Zwei Stunden vor der Tat
46 Viktoria
Eine Stunde vor der Tat
47 Josefine
Jetzt
48 Karla
Acht Minuten vor der Tat
49 @torifandom4eva
Eine Minute vor der Tat
50 Viktoria
Zwei Minuten nach der Tat
51 @torifandom4eva
Jetzt
52 Karla
Jetzt
53 Karla
Epilog
Dank
Für Maren,
danke für alles.
viktoriakaplan.offical
Beiträge
⚫⚫⚪Gefällt torifandom4eva und 39.061 weiteren Personen
viktoriakaplan.offical [Anzeige]
TEAM WORK MAKES THE DREAM WORK🤍🌚
Dafür seid ihr der beste Beweis! 900 k Menschen folgen mir mittlerweile hier auf Instagram, und es werden jeden Tag mehr. 💃
Noch 100 k, dann sind wir eine Million. 🔥
Deshalb entführe ich meine Lieblingsmenschen und mein Team (#shoutout an @justkarla.rb, die heute extra ins Hanseviertel gefahren ist, um mir und @maximilian.kaplan Smoothie-Bowls von @db.bowls zu besorgen) im Sommer auf einen absolut verdienten Wochenendtrip.
Laut ersten Hochrechnungen von Max könnten wir an diesem Wochenende die Million knacken.
Deshalb geht es in ein luxuriöses Retreat (@glowingforestretreatandlodges) im Süden Deutschlands. Auf uns warten stundenlange Massagen, Yoga, gutes Essen und unzählige Cocktails am Infinity-Pool. 💃🔥🧉🧘
Im Gegensatz zu anderen Spa-Hotels oder Retreats kann das Glowing Forest Retreat & Lodges nur von ganzen Gruppen gebucht werden! Perfekt also für Meilenstein- und Silvesterpartys, Junggesellinnenabschiede und Familienurlaube.
Auch wenn ich dieses Event im engsten Kreis feiere, werde ich euch natürlich wie immer in meiner Story mitnehmen, denn ohne euch gäbe es diese Party schließlich gar nicht! #kannskaumerwarten #fühlteuchgedrückt
Auf welche Reise freut ihr euch schon? 💭
An diesem Morgen schmeckt die Luft nach Reue.
Noch bevor ich die Augen öffne, registriere ich ein dumpfes Pochen irgendwo in meinem Schädel und einen stechenden Schmerz, der hinter meiner Stirn pulsiert wie ein zweiter Herzschlag.
Vorsichtig massiere ich mir mit den Fingerspitzen die Schläfen. Aber der Schmerz bleibt. Konstant und intensiv.
Ich brauche eine Tablette.
Langsam schiebe ich eine Hand in Richtung Nachtschrank und taste auf der glatten, kühlen Oberfläche umher. Ich bekomme ein Stück Stoff zu fassen – wahrscheinlich ein gebrauchtes Taschentuch. Ansonsten ist die Ablage leer. Stirnrunzelnd fahre ich die abgeschliffenen Kanten entlang und suche nach dem Griff, mit dem sich die flache Schublade aufziehen lässt. Nichts.
Dann fällt mir plötzlich ein, dass ich gar nicht zu Hause bin. Abrupt öffne ich die Augen und starre in den Dachstuhl. Schatten tanzen zwischen den dunklen Holzbalken umher und scheinen sich im gleichmäßigen Rauschen des Regens zu wiegen.
Hastig setze ich mich auf und bereue es sofort, als der Schmerz hinter meiner Stirn explodiert. Ich lasse mich zurück in die weichen Kissen sinken und stöhne laut auf.
»Scheiße …« Starr liege ich da und mache eine gedankliche Bestandsaufnahme meines Körpers.
Meine Glieder fühlen sich schwer und träge an. Mein Magen krampft sich unangenehm zusammen. Mein Mund ist trocken. Auf den Zähnen fühle ich einen pelzigen Belag.
Meinen letzten Kater hatte ich vor rund drei Jahren. Max und ich hatten bei einer Pizza Margherita und einem Glas Rotwein entschieden, dass es an der Zeit wäre, ein Baby zu machen. Also hatte ich beschlossen, mich ein letztes Mal so richtig zu betrinken, bevor ich die nächsten Monate abstinent leben würde.
Bei dem Gedanken an diesen Abend setzt mein Herz einen Schlag aus, und mir dreht sich der Magen um. Als ich spüre, wie meine Zunge schwer wird, springe ich aus dem Bett und stürze mit vor den Mund gepresster Hand ins Bad.
In letzter Sekunde schaffe ich es zur Kloschüssel und übergebe mich.
Während ich mir mit der einen Hand notdürftig die Haare aus dem Gesicht halte, kralle ich mich mit der anderen an die Klobrille, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Nachdem sich mein Magen beruhigt hat, spucke ich noch einmal aus, betätige die Spülung und lasse mich auf den kühlen Boden des Badezimmers sinken. Mein Körper zittert vor Anstrengung und Kälte. Mit geschlossenen Augen taste ich nach den Kleidungsstücken auf dem Boden, die ich beim Reinrennen aus dem Augenwinkel gesehen habe, und ziehe sie ungelenk an. Als es geschafft ist, lege ich erschöpft den Kopf in den Nacken und verharre eine Weile reglos.
Es ist ein Donnergrollen, das mich zusammenzucken lässt. Verwirrt öffne ich die Augen, blinzle und schaue mich um. Es regnet noch immer, aber die Konturen der Wolken sind mittlerweile zu erkennen, und erste Lichtstrahlen fallen durch die bodentiefen Fenster ins Bad.
War es gerade eben schon so hell? Oder bin ich noch mal eingeschlafen?
Ich lausche dem lauten Prasseln des Regens, als mir einige merkwürdige Flecken auf den Fliesen auffallen. Irritiert kneife ich die Augen zusammen.
Was –
Überall auf dem hellen Steinboden sind dunkle, kreisrunde Flecken. Stirnrunzelnd fahre ich mit dem Zeigefinger über einen davon, doch er löst sich nicht. Ich befeuchte die Fingerspitze mit der Zunge, fahre erneut darüber und wende etwas mehr Druck auf. Der Fleck verschwindet.
Ich komme schwerfällig in die Hocke und sehe mich nach einer Ursache um – einer zerbrochenen Flasche, einem umgekippten Glas Wein … Aber ich sehe nichts dergleichen.
Mühsam richte ich mich an der Wand auf. In meinem Schädel dröhnt es noch immer, und der stechende Schmerz verbindet sich mit dem Pulsieren meines Herzens, als mein Blick auf das Waschbecken fällt. Dunkle Schlieren ziehen sich entlang der Marmorierung des Beckens. Vorsichtig öffne ich den Wasserhahn, doch erst als ich versuche, sie fortzuwischen, lösen sie sich und verschwinden im Abfluss.
Unwillkürlich muss ich daran zurückdenken, wie ich mir mit 15 Jahren heimlich die Haare schwarz gefärbt habe. Ich hatte vergessen, die dünnen Plastikhandschuhe anzuziehen, und als ich mir nach einer halben Stunde endlich die Hände wusch, sah unser Waschbecken genauso aus.
Nur dass das hier keine Haarfarbe ist.
Mein Atem rauscht in meinen Ohren, als ich mich zum Lichtschalter umdrehe. Ich betätige ihn, aber es bleibt dunkel. Auch nachdem ich ihn noch ein zweites Mal drücke. Wie zur Erklärung ertönt ein lauter Knall, als ob irgendwo in der Ferne ein Blitz eingeschlagen wäre.
Ich zucke zusammen, drehe mich wieder zum Waschbecken herum und erschrecke vor meinem eigenen Spiegelbild. Meine Augen starren mir klein und leer entgegen, dunkle Ringe zeichnen sich darunter ab, und meine Lippen sind trocken und aufgeplatzt.
Doch das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste sind die Flecken überall auf meiner Haut und meiner Kleidung.
Dunkle.
Rote.
Flecken.
Unwillkürlich mache ich einen Schritt zurück und starre an mir herunter. Sie sind überall. Auf meinem weißen Oberteil. Meinen Armen. Meiner Hose. Als mir der dezente Geruch von Eisen in die Nase steigt, wird mir klar, woraus die Flecken sind.
Blut.
Die Ankunft der Gäste stand unmittelbar bevor.
Bei dem Gedanken daran durchlief mich ein nervöser Schauer, und meine Kopfhaut prickelte unangenehm. Denn heute würden nicht irgendwelche Gäste anreisen, sondern die Gäste.
Mit dem Aufenthalt von Viktoria Kaplan und ihren Freunden stand für mich und das Retreat eine ganze Menge auf dem Spiel. Wenn es ihnen hier gefiel, würden wir uns vor Buchungen nicht mehr retten können. Wenn es ihnen nicht gefiel – nun, daran wollte ich jetzt nicht denken.
Die Aufenthalte aller bisherigen Gäste kamen mir jetzt wie ein riesiger Probelauf vor. Und dieses Mal … Dieses Mal kam es auf jedes noch so kleine Detail an.
Allerdings schien es eines dieser unumstößlichen Gesetze zu sein, dass nichts nach Plan lief, wenn es galt. Statt wie sonst bei einer Tasse grünen Tees noch einmal alle Punkte auf meiner gedanklichen To-do-Liste durchzugehen und abzuhaken, fuhr ich mit verkrampftem Magen über den Waldweg den Berg hinauf und versuchte, meinen wütenden Küchenchef am Telefon zu beruhigen.
»Ich bin gleich da«, sagte ich, als ich im Sitz auf- und abfederte und die Stelle passierte, wo der breite Weg schmaler wurde und der Regen der letzten Tage tiefe Schlaglöcher hinterlassen hatte.
»Was heißt gleich da? Drei Minuten? Zehn Minuten? Zwanzig Minuten?« Thomas’ Stimme wurde mit jedem Wort lauter, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Die Gäste würden in wenigen Stunden ankommen, und ich war schuld daran, dass er in der Küche stand und bis auf Kaffee nichts kochen konnte.
Dabei hatte er mich genau davor gewarnt.
»Es wird nicht reichen, die Lebensmittel am Freitag zu kaufen«, hatte er gesagt und einen tiefen Zug von seiner Zigarette genommen. »Wir machen das doch sonst auch nicht so knapp. Manches muss eingelegt werden. Und dann die ganzen Vorbereitungen. Wie soll ich das so kurzfristig alleine stemmen?«
Ich hatte ihn sehr gut verstanden. Nur wollte ich an diesem Wochenende einhundert Prozent sichergehen, dass nicht noch mal so was wie die Woche zuvor passierte, als ein Gast sich den Magen an schlechter Milch verdorben hatte und seinen Aufenthalt abbrechen musste.
Also war ich heute in aller Frühe aufgebrochen, um als Erster am Großmarkt zu sein. Nur hatte ich versäumt, die Wetterverhältnisse der letzten Tage einzukalkulieren. Durch den pausenlosen Regen war der Boden weich und schlammig geworden. Deshalb konnte die Fahrt ins Tal über unbefestigte Wege entlang steiler Abhänge eine beschwerliche Angelegenheit darstellen. Als ich es schließlich mit einer rund halbstündigen Verspätung runtergeschafft hatte, blieb mir zu meinem Entsetzen nichts anderes übrig, als mich in eine Kolonne von LKWs mit fremdländischen Kennzeichen einzureihen, die von der Schnellstraße abgefahren waren, weil – wie ich später im Radio erfuhr – ein betrunkener Familienvater von der Fahrbahn abgekommen war und eine Massenkarambolage mit anschließender Vollsperrung verursacht hatte.
Thomas stieß am anderen Ende der Leitung die Luft aus, und ich sah ihn bildlich vor mir. Die Zigarette im Mundwinkel, den Blick grimmig in die Ferne gerichtet, während er fortwährend wie eine dieser Wackelkopffiguren den Kopf schüttelte.
»Bis du fertig geraucht hast, bin ich oben.«
Sehr optimistisch, Pierre.
»Wer’s glaubt, wird selig.« Er lachte spöttisch, was jedoch in ein kehliges Husten überging. »Ach, und der Knirps aus dem Dorf. Du weißt schon, der Sohn vom Milchbauern, ist auch noch nicht da. Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich keine Küchenhilfe brauche. Normalerweise stimmt das auch, aber wenn du hier erst Freitag früh mit den ganzen Sachen aufschlägst, tja … Dann garantiere ich für nichts, hab schließlich auch nur zwei Hände.«
»Wenn der Junge nicht kommt, besorge ich Ersatz oder schneide selbst das Gemüse. Aber ich bin mir sicher, dass er gleich auftaucht. Sein Vater war sehr erpicht darauf, ihm hier einen Job zu besorgen.«
Nach dem Vorfall mit der Milch war ich gleich am Mittwoch zu unserem Bauern gefahren, um die Bestellung für dieses Wochenende persönlich aufzugeben und ihn zu bitten, darauf zu achten, uns nur absolut frische Milch zu verkaufen.
Er hatte genickt und statt sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen seinen schlaksigen Sohn Paul mit dem pickligen Gesicht und dem gelangweilten Blick herangewunken. Es hatte mich nicht sonderlich überrascht, als er mich fragte, ob ich nicht einen Job für den Jungen hätte. Noch weniger hatte es mich erstaunt, dass er sein Anliegen eher wie eine Aussage statt wie eine Frage formulierte.
»Vielleicht hat er sich verlaufen«, überlegte ich laut.
»Ach, Quatsch. Die aus dem Dorf wissen doch alle, wo das Retreat ist … sind ja früher immer alle hier raufgekommen, um in der Almhütte zu feiern.«
»Der Junge ist höchstens sechzehn. Und das ist doch eine Ewigkeit her mit der Almhütte. Als ich das Grundstück gekauft habe, war die ja schon seit mehreren Jahren geschlossen.«
»Na und? Soweit ich weiß, sind die Kids aber immer noch hochgekommen, um heimlich zu rauchen oder zu knutschen. Und selbst wenn der Junge noch nicht hier war, sein Alter wird ihm den Weg schon erklärt haben.«
Ich bog um eine steile Kurve, die sich hinter den Bäumen verbarg, und wollte gerade Gas geben, um die Steigung zu nehmen, als etwas oder eher jemand auf dem Weg auftauchte. Sofort trat ich auf die Bremse.
»Putain de merde!«, fluchte ich.
Aus dem Kofferraum kam ein lautes Poltern – wahrscheinlich die Kartoffeln.
»Was ’n los?«
»Hab den Jungen gerade fast umgefahren. Ich bring ihn mit. Bis gleich.« Ich unterbrach die Verbindung, bevor Thomas etwas erwidern konnte, und sprang aus dem Wagen. Der Junge war von seinem Rad abgestiegen und schob es unter sichtlicher Anstrengung den schlammigen Weg herauf. Er lief ungerührt weiter, und als ich die übergroßen Kopfhörer auf seinen Ohren entdeckte, wusste ich auch, wieso. Ich lief zu ihm und packte ihn an der Schulter.
Mit schreckgeweiteten Augen fuhr er zu mir herum.
»Sorry!« Ich hob beide Hände.
Er brauchte einen kurzen Moment, dann lachte er nervös. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er schob sich die Kopfhörer von den Ohren, aus denen laute Bässe hallten.
Ein Wunder, dass er überhaupt noch hören kann, so laut wie die Dinger sind.
»Hi, Herr Karthee. Ich bin ein bisschen spät dran. Hätte nicht gedacht, dass der Boden so beschissen ist. Man kommt ja kaum voran.«
»Schon gut. Spring rein, ich hab’s eilig.«
Wir hievten sein Rad in den Kofferraum des Land Rovers, stiegen ein, und ich drückte das Gaspedal durch.
Gute zehn Minuten später erreichten wir das Retreat. Die Sonne hatte mittlerweile sämtliche Wolken vom Himmel vertrieben und spiegelte sich in den unzähligen Glasflächen des Gebäudes sowie dem angrenzenden See.
Mit quietschenden Reifen brachte ich den Wagen zum Stehen und sah zu Paul hinüber, der den modernen Bau mit den bodentiefen Fenstern, dem Naturstein und der geradlinigen Architektur mit offenem Mund betrachtete.
Ich folgte seinem Blick und entdeckte Thomas, der mit großen Schritten auf den Wagen zueilte. Er gab ein komisches Bild ab, wie er da aus dem imposanten Gebäude stürmte, verschwitzt, mit dunkler Schürze und übergroßer schwarzer Kochmütze. Als er den Kopf hob, sah er mit grimmigem Gesichtsausdruck und tiefgefurchter Stirn zu uns in den Wagen. Sein ganzer Körper war gespannt und signalisierte, dass er bereit war, das Unmögliche möglich zu machen.
»Endlich!«, hörte ich seine Stimme dumpf durch die Scheiben. Noch bevor ich den Motor ausgeschaltet hatte, war er ums Auto herumgelaufen und hatte die Kofferraumklappe aufgerissen. Ich half beim Ausladen, dann ließ ich ihn mit dem Jungen allein – wohl wissend, dass Thomas ein Experte auf seinem Gebiet war – und spritzte den Wagen kurz ab, während ich im Kopf die anstehenden To-dos durchging. Jetzt musste ich nur noch einmal alle Räume inklusive der Gästehäuser checken und dann die Aufgabenverteilung final durchgehen.
Magdalena, unsere Teamassistenz und gute Seele, war, wie Thomas, fest angestellt. Zu Beginn hatte ich noch weiteres Servicepersonal über eine externe Agentur dazugebucht, weil ich davon ausgegangen war, dass es professioneller wirkte, wenn es mehr Mitarbeiter gab und wir so unmittelbarer auf die Bedürfnisse der Gäste würden reagieren können. Allerdings hatte ich schnell festgestellt, dass das überhaupt nicht notwendig war, da zum einen zehn Gäste – das war die maximale Belegung – keine derart intensive Betreuung brauchten und es zum anderen nicht die persönliche Atmosphäre schuf, die ich haben wollte. Für meine Gäste sollte das Retreat ein Wohlfühlort sein, der ihnen maximal Privatsphäre und Entspannung versprach. Mit weniger Personal wirkte ein Aufenthalt gleich intimer, und durch den engen Kontakt war es leichter, den Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, ohne dass sie das Gefühl hatten, permanent von ungeduldigem Personal umgeben zu sein, das nur darauf wartete, dass jemand sein Glas leerte.
Seither kümmerten Magdalena und ich uns allein um die Bewirtung unserer Gäste, und es klappte wunderbar. Das Personal für Massagen oder für die Meditations- und Yogapraxis wählte ich je nach Verfügbarkeit aus einem Pool freier Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus.
Als ich die Lobby des Retreats betrat, stieg mir der intensive Geruch von Salbei in die Nase.
»Hi, Chef!« Magdalena kam die breite Wendeltreppe vom Spa-Bereich herauf. Sie hatte die lockigen kupferroten Haare zu einem strengen Dutt zurückgebunden und trug ihre dunkelgrüne Uniform. Ihre rechte Hand schwang sie grazil durch die Luft und verteilte so den intensiven Duft eines Räucherbündels in der Lobby.
Ich lächelte. »Hi, Magdalena. Alles klar?«
»Natürlich. Und bei dir? Irgendwie spüre ich gestresste Schwingungen. Schon den ganzen Morgen. Das gefällt mir gar nicht.« Sie kam zu mir herüber und begann mit dem Räucherbündel vor mir herumzuwedeln, als wollte sie mich von einem Dämonen befreien.
Wir kannten uns seit nunmehr fünf Jahren. Bei der gemeinsamen Arbeit in einigen der Chalets auf der Zugspitze drüben hatten wir uns kennengelernt und genug Zeit gehabt, mit den Eigenarten des anderen vertraut zu werden.
»Bisher liefen ein paar Dinge nicht ganz nach Plan, aber ich bin mir sicher, jetzt, wo die Lebensmittel da sind, wird alles klappen. Wenn du deinen Job gut gemacht hast – und davon gehe ich aus –, sollten sich diese Schwingungen jede Minute verflüchtigen.«
Magdalena trat in den Sonnenstrahl, der durch das Fenster fiel, und ihr Haar leuchtete mit einem Mal golden. In diesem Augenblick sah sie sehr jung aus, obwohl sie mit ihren dreißig Jahren nur zwei Jahre jünger war als ich.
»Na, dann. Auf geht’s. Womit willst du starten? Den Lodges?«, fragte sie.
»Bist du denn schon damit fertig?«
»Ja. Die Betten sind bezogen, und alles ist hergerichtet. Du hattest übrigens recht, die Bettwäsche riecht deutlich frischer, wenn man sie erst einen Tag, bevor man sie aufzieht, wäscht …« Sie lief vor mir durch die offene Terrassentür nach draußen. »Die Minibars sind mit alkoholfreien Getränken bestückt, die Handtücher gefaltet und drapiert. Außerdem habe ich die Klimaanlagen eingeschaltet, so dass angenehme vierundzwanzig Grad herrschen. Dreck oder Ungeziefer konnte ich nicht finden, die Putzkolonne gestern hat gute Arbeit geleistet. Und die Räucherstäbchen habe ich angezündet. Bis die Gäste kommen, sollten sie vollständig abgebrannt sein.«
»Prima, dann lass uns das kurz checken, damit ich es von der Liste streichen kann.«
Sie nickte, und wir machten uns auf den Weg. Als wir an der Küche vorbeikamen, hörte ich Thomas irgendwelche Befehle bellen und hoffte inständig, dass uns der Junge nicht schreiend davonlief.
Wir überquerten die hintere Terrasse und folgten dem steinernen Weg bergab zu den Lodges. Diese befanden sich etwa dreihundert Meter abseits des Haupthauses, dem eigentlichen Retreat. Mit ihren dunkelgrünen Holzfassaden und den bodentiefen Fenstern passten sie sich der Umgebung perfekt an und bestachen durch Schlichtheit und Minimalismus.
Magdalena zückte einen Schlüssel sowie Einwegüberschuhe, und ich folgte ihr in die erste der insgesamt fünf Lodges am Rande des Sees.
Wie erwartet, hatte Magdalena einen hervorragenden Job gemacht. Die Zimmer waren eins a, und ich konnte mich den übrigen Punkten meiner To-do-Liste widmen.
Für einige Stunden kehrte beinahe so etwas wie Ruhe ein, doch kurz vor eins vibrierte das Retreat erneut vor Anspannung – oder es kam mir nur so vor, weil ich kurz davor war, endgültig die Nerven zu verlieren. Das Telefon hatte geklingelt.
»Manuel, du bist der Einzige, der die Route kennt. Wenn ich ein Taxiunternehmen anrufe, kann ich denen keine Adresse geben, die sie mit ihren Navis finden können. Und der Weg ist in einem Zustand, dass man keinen Ortsfremden hier raufschicken kann.«
»Ich weiß, aber ich pack’s heute nicht. Ich habe vierzig Grad Fieber und kann mich kaum bewegen. Hatte wirklich gehofft, dass es bis zum Nachmittag besser wird, aber so kann ich niemanden fahren. Am Ende stecke ich noch wen an oder so.«
Bevor ich ihm antworten konnte, klingelte es am Festnetzanschluss erneut.
»Warte mal kurz, da versucht gerade noch jemand anzurufen«, sagte ich. »Glowing Forest Retreat and Lodges. Sie sprechen mit Pierre Karthee. Hallo?«
»Hallo, hier ist Josefine Fiebig. Ich gehöre zur Reisegruppe von Viktoria Kaplan, und mir wurde gesagt, dass ich eine Stunde vor unserer Ankunft bei Ihnen anrufen soll.«
Das darf doch nicht wahr sein.
»Ah, Frau Fiebig, hallo! Ganz genau. Wann kommen Sie denn genau an?«
»Wenn alles planmäßig läuft, um vierzehn Uhr.«
»In Ordnung. Wie viele Personen reisen denn noch mit Ihnen an?«
»Ich bin allein. Viktoria und die anderen kommen aus Innsbruck, insofern …«
»Ich verstehe. Danke für die Auskunft. Dann bis gleich. Damit Sie mich erkennen, ich komme mit einem schwarzen Land Rover.«
»Alles klar, danke. Bis gleich.«
Ich beendete das Gespräch und nahm ein paar tiefe Atemzüge, ehe ich wieder zu Manuel wechselte, ihm gute Besserung wünschte, mich verabschiedete und versuchte, Kontrolle über meine Gedanken zu erlangen.
Alles ist gut.
Es wird alles gut gehen.
Du schaffst das.
Du bist nicht wie dein Vater.
Du bist bereit.
Ich betete diese Affirmationen bereits seit Tagen herunter. Jede meiner Meditationen hatte mit ihnen begonnen und mit ihnen geendet.
Wann immer ein Hindernis mich aus der Fassung zu bringen drohte, hatte ich tief Luft geholt und mich mit diesen Worten beruhigt. Gewissermaßen hatte ich sie mir eingebläut, als wären sie die Zugangsdaten zu einem Tresor voller Glück, und in gewisser Hinsicht war das auch tatsächlich so. Denn es war nicht übertrieben, wenn ich sagte, dass meine gesamte Zukunft von diesem Wochenende abhing. In den nächsten zwei Tagen würde sich alles beweisen müssen, was ich mir erschaffen hatte. Die Vorarbeit der letzten Jahre würde sich entweder auszahlen oder umsonst gewesen sein. Es würde meine Feuertaufe sein, und ich hatte nicht vor, in Flammen aufzugehen.
Dann würde ich eben selbst fahren. Ich schnappte mir die Schlüssel für den Land Rover, gab Magdalena Bescheid und machte mich auf den Weg zum Bahnhof.
Showtime.
Mein Spiegelbild starrte mir ausdruckslos entgegen. Unter meinen Augen waren dunkle Ringe zu erkennen. Die Foundation, die ich heute in aller Herrgottsfrüh sorgsam aufgetragen hatte, hatte sich um Nase und Mundwinkel abgesetzt, und als ich mir in die Hand hauchte und meinen Atem roch, verzog ich mein Gesicht. »Igitt.«
Ich wandte mich der kleinen Handtasche von Love Moschino zu, die ich extra für diesen Wochenendtrip gekauft hatte, und zog erst einen Mint-Kaugummi und dann ein Kosmetiktäschchen heraus. Als ich mich zurück zum Spiegel drehte, stieß ich mir den Ellenbogen an der Kabinenwand. Ein stechend scharfer Schmerz schoss mir den Oberarm herauf. »Mist.«
So eine Zugtoilette war kein besonders großer, geschweige denn komfortabler Ort. Ich griff nach meinem Concealer und tupfte mir etwas davon unter die Augen, um die Nase und um den Mund.
Nur noch eine Haltestelle, dann wäre ich endlich da. Die Fahrt von Hamburg bis hierher hatte acht lange Stunden gedauert. Ich sah nicht nur aus wie ein Schlossgespenst, sondern fühlte mich auch so. Trotzdem war meine Vorfreude ungebrochen. Bereits seit Wochen musste ich jedes Mal grinsen, wenn ich an diesen Trip dachte.
Als Max mich gefragt hatte, ob ich nicht Lust hätte, ihn, seine Schwester und einige ihrer gemeinsamen Freunde zu einem Luxus-Retreat in den Bergen zu begleiten, hatte ich erst gedacht, er mache einen Witz. Mein zweiter Gedanke war gewesen, dass ich keinen Schimmer hatte, wie ich das finanzieren sollte. Zwar hatte ich einen gutbezahlten Job, aber um im Glowing Forest Retreat & Lodges Urlaub zu machen, reichte gut bezahlt nicht. Immerhin kosteten drei Nächte so viel, wie ich in einem Monat verdiente – brutto.
Doch bevor ich mir deswegen hatte den Kopf zerbrechen können, hatte mir Max über die Wange gestreichelt, und als ob er meine Gedanken lesen könnte, gesagt: »Keine Sorge. Der Trip ist eine Kooperation mit dem Inhaber. Unseren Aufenthalt bezahlen wir mit den Bildern und Videos, die Viktoria dort aufnehmen und posten wird. Also, hast du Lust?«
Statt einer Antwort war ich ihm um den Hals gefallen und hatte mich später an diesem Tag noch ausgiebig bei ihm dafür bedankt.
Tja, und hier war ich nun. Müde. Glücklich. Und tierisch nervös.
Max und ich waren erst seit rund drei Monaten zusammen, und bisher kannte ich nur seine Schwester Viktoria und ihren Freund Julian – zwei der erfolgreichsten, schönsten und herzlichsten Menschen, die ich je getroffen hatte. Trotz der kurzen Zeit, die ich Teil von Max’ Leben war, waren wir nun schon ein paarmal alle zusammen essen gewesen, und ich verstand mich wirklich gut mit ihnen.
Obwohl ich mich sehr freute, heute auch seine übrigen Freunde kennenzulernen, war da dieser Knoten in meinem Bauch. Denn die ganze Sache hatte – wie alle guten Dinge im Leben – einen Haken. Karla.
»Sehr geehrte Fahrgäste, wir erreichen in wenigen Minuten unseren nächsten Halt Garmisch-Partenkirchen.«
Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ich mattierte mein Gesicht rasch mit transparentem Puder, dann warf ich alle Utensilien zurück in das Kosmetiktäschchen und stopfte es in meine Tasche. Anschließend verließ ich die Toilettenkabine und lief zurück in das Abteil, wo mir die letzten Stunden beinahe der Hintern festgewachsen war. Ich steuerte auf die Gepäckablage zu.
Bitte sei noch da. Bitte sei noch da. Bitte sei noch da.
Als mir der pinkfarbene Koffer ins Auge stach, atmete ich erleichtert auf, ehe ich danach griff, ihn herunterhievte und hinter mir her in den Türbereich zog.
Während der Zug sein Tempo drosselte, hielt ich mich an einer der Metallstangen fest und versuchte, nicht wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen.
Ach, scheiß drauf!
Es gab keinen Grund, mich zurückzuhalten. Wir Menschen waren viel zu selten glücklich, und an diesem Wochenende würde ich es mir einfach selbst erlauben, jede Sekunde zu genießen. Ich setzte mir den Vierhundert-Euro-Lamé-Hut von Gucci auf – ebenfalls eine Anschaffung, die ich mir vor dem Trip gegönnt hatte, um mich vor den heißen Sonnenstrahlen zu schützen – und lächelte vor mich hin.
Irgendwo neben mir klingelte ein Telefon. Ein Mann – groß, trainiert, mit blonden Haaren, ungefähr in meinem Alter und einem Gesicht, das aussah wie aus einem dieser Modemagazine – zog sein Handy aus der Hosentasche und nahm den Anruf entgegen.
Ich wandte mich diskret von ihm ab und griff nach meinem eigenen. Mein Blick fiel auf die Uhrzeit. Wir würden pünktlich ankommen.
Ob der Fahrer schon da ist?
Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Nein, das wollte ich mit der Nachricht nicht sagen. Es war wirklich sehr schön. Ich glaube nur nicht, dass das mit uns was Festes werden kann.«
Unwillkürlich huschte mein Blick zurück in Richtung des Magazinmannes, und wie ich ihn mir so ansah, war ich mir sicher, dass das bestimmt nicht die erste Frau war, die er so abfertigte.
Er trug ein weißes Leinenhemd, eine teuer aussehende Uhr und Bootsschuhe. Über seiner Schulter hing ein lederner Weekender. Alles an ihm strotzte förmlich vor Geld, und für meinen Geschmack auch vor Arschloch, wobei Letzteres wohl von dem selbstgefälligen Lächeln auf seinen Lippen herrührte.
Unsere Blicke begegneten sich. Einen Moment hielt ich seinem stand – er konnte ruhig wissen, dass ich mitbekam, wie er mit dieser armen Person am anderen Ende der Leitung umsprang, so als versuchte er, einen Kundenberater von der Sparkasse abzuwimmeln –, dann wandte ich mich wieder meinem eigenen Handydisplay zu. In diesem Augenblick hielt zum Glück der Zug.
Der Magazinmann drückte den Knopf, um die Schiebetüren zu öffnen, und frische, warme Luft strömte herein. Er eilte nach draußen – machte nicht einmal Anstalten, mir den Vortritt zu lassen – und zündete sich sofort eine Zigarette an, obwohl er nicht mal in der Nähe einer Raucherinsel war.
Ich griff nach meinem Koffer, stieg aus dem Zug und zerrte ihn hinter mir her über den Bahnsteig. Der Bahnhof war nicht groß, und es hatte etwas Surreales, wie sich hinter den tristen stahlgrauen Säulen der Regenüberdachung die Berge majestätisch in die Höhe erhoben.
Einen feierlichen Moment lang blieb ich stehen und nahm den Anblick in mich auf, dann lief ich weiter.
Ich hatte keine Ahnung, wohin genau ich gehen musste, also folgte ich einfach dem Magazinmann und der weißen Wolke, die er kontinuierlich in die Luft blies. Seinem Stechschritt nach zu urteilen, war er nicht zum ersten Mal hier.
»Das habe ich dir ganz sicher nicht versprochen. Hör mal«, er senkte die Stimme, als ob er genau wüsste, dass es besser war, wenn seine nächsten Worte von der Öffentlichkeit ungehört blieben. »Es war wirklich schön mit dir. Das meine ich ernst. Aber ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung, und ich denke, dass du mehr verdienst als das, was ich dir geben kann.« Er begann, ihr zu versichern, wie toll und besonders sie sei und dass es nicht an ihr liege, sondern an ihm.
Ich atmete die Wut aus, die bei seinen Worten in mir aufstieg. Man musste schon ein ziemlicher Mistkerl sein, um jemanden so nebenbei am Telefon abzuservieren.
Ich folgte ihm durch eine Unterführung, in der seine Stimme noch lauter von den Wänden hallte. »Es reicht. Das ist nichts, worüber wir diskutieren müssen. Das mit uns war ein One-Night-Stand. Mehr nicht«, zischte er in den Hörer.
Mit gesenktem Kopf lief ich weiter und versuchte, ein bisschen mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Wir erreichten den Treppenaufgang zum Bahnhofsgebäude, und ich atmete erleichtert aus, als wir oben ankamen und die Gesichter anderer Menschen in mein Blickfeld gerieten.
Der Magazinmann bog ab und folgte dem penetranten Geruch von Bratfett Richtung Burger King, während ich meinen Weg nach draußen fortsetzte.
Sobald ich das Bahnhofsgebäude hinter mir gelassen hatte, umfing mich heiße, drückende Luft. Die Sonne knallte vom Himmel, als wären wir hier am Mittelmeer und nicht an einem Ort, wo die Bergkuppen noch von Schnee überzogen waren.
Ich kniff die Augen zusammen und sah mich suchend um, musste jedoch nicht lange nach dem schwarzen Geländewagen Ausschau halten. Er war deutlich größer als die übrigen Autos hier.
Mit schwitzigen Händen und vorfreudig klopfendem Herzen näherte ich mich dem Land Rover, während die Rollen meines Koffers hinter mir über den Boden ratterten. Dreck klebte am Lack und den Felgen des Autos – nicht ganz das, was ich erwartet hatte, wenn man ein Luxus-Retreat besuchte, aber wer war ich, so voreingenommen zu denken?
Als ich nur noch wenige Meter von dem Auto entfernt war, stieg ein großer Mann mit kurzen schwarzen Afrolocken, gestutztem Bart und Haremshose aus. Einen Moment lang hielt ich ihn für eine Fata Morgana. Er sah Mahershala Ali so ähnlich, dass ich mich ernsthaft fragte, ob er als Wayne Hays in True Detective mitgewirkt hatte – Max’ absolute Lieblingsserie, auch wenn sie schon älter war. Kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, hatte mich Max genötigt, alle Folgen mit ihm zu schauen.
»Das ist wie Pulp Fiction«, hatte er gesagt. »Man muss es einfach gesehen haben.« Natürlich verkniff ich mir, ihm zu gestehen, dass ich auch Pulp Fiction nicht gesehen hatte.
»Hallo, mein Name ist Pierre Karthee. Sind Sie Josefine Fiebig?«, riss mich seine tiefe, ruhige Stimme aus meinen Erinnerungen.
Meine Brauen schossen in die Höhe. Ich hatte nicht erwartet, dass mich der Inhaber des Retreats höchstpersönlich abholen würde.
»Ja, ganz genau!«
Er reichte mir die Hand, und ich zwang mich, sie zu schütteln.
Hoffentlich ekelt er sich jetzt nicht, weil ich so verschwitzt bin.
»Kommen Sie, den nehme ich Ihnen ab.« Ohne meine Reaktion abzuwarten, griff er nach meinem Koffer und lief um das Auto herum.
Keine Minute später waren wir eingestiegen, und der Motor heulte leise auf, als der Besitzer ihn startete.
Im Wagen roch es intensiv nach Erdbeeren und Minze. Unwillkürlich beugte ich mich vor und ließ meinen Blick über den Beifahrersitz gleiten, in der Erwartung, dort eine Tasche mit Einkäufen zu entdecken. So verschwitzt, wie ich war, hatte ich mich lieber hinten hingesetzt.
Pierre manövrierte das Auto aus der Parklücke und fuhr los. Irgendwie hatte ich mir den großen Pierre Karthee anders vorgestellt. Businessmäßiger, mit Hemd und Chinohosen und einer von diesen rechteckigen Smartwatches, wie Max eine trug.
Die Haremshose und das beigefarbene Leinenhemd ließen ihn dagegen eher wie einen Hippie wirken und gar nicht wie den Mann, über den ich schon so viel gelesen hatte. Die Kristalle, die am Rückspiegel baumelten und leise klimpernd aneinanderschlugen, passten ebenfalls nicht zu meinem Bild von ihm. Andererseits war ein Retreat ein Ort der Erholung und Entspannung. Yoga und Meditation gehörten da selbstverständlich dazu. Und gingen die mit Spiritualität nicht irgendwie Hand in Hand?
»Sind Sie das erste Mal in Garmisch-Partenkirchen?«
Ich begegnete seinem Blick im Rückspiegel und lächelte. »Ja. Ich kann kein Ski fahren oder so was. Normalerweise kommt man wohl deswegen her.« Das war zumindest das, was ich bei Wikipedia über Garmisch-Partenkirchen herausgefunden hatte.
»Oh, ja, definitiv. Im Winter ist hier jede Menge los. Aber das spielt für uns eigentlich gar keine Rolle, denn das Retreat liegt fernab von jeglichem Trubel.« Er schenkte mir ein freundliches Lächeln und lenkte den Wagen auf einen schmalen, asphaltierten Waldweg.
»Wie lange fährt man denn bis zum Retreat?« Zwar hatte ich mir die Website angesehen, bevor ich hergekommen war, doch den genauen Standort erfuhr man, wie es da hieß, nur auf Anfrage. Die Wahrung der Privatsphäre sowie höchste Diskretion schienen Teil der Firmenpolitik zu sein.
»Eine knappe Dreiviertelstunde. Das letzte Stück, wo der Weg nicht mehr asphaltiert ist, ist im Moment etwas beschwerlich zu befahren, weil es in den vergangenen Tagen stark geregnet hat. Das wird da schnell richtig schlammig.«
Ich stieß ein kurzes Lachen aus. »Das hat den Bau sicherlich nicht besonders einfach gemacht.«
Wenn man das Retreat googelte, fand man allerhand Artikel und Blogposts auf Architektenwebsites. So hatte ich erfahren, dass Pierre nicht nur der Inhaber, sondern auch der Architekt des Retreats war. Gemeinsam mit einem befreundeten Ingenieur und Statiker hatte er sich mit dessen Bau einen Traum erfüllt. Das Potenzial seiner Idee, meisterhafte Architektur, Luxus und Exklusivität mit der malerischen Kulisse der Berge zu verbinden, hatte einige Investoren so begeistert, dass sie bereit gewesen waren, das Projekt trotz siebenstelliger Kosten zu finanzieren. Als der Bau abgeschlossen gewesen war, hatte Pierre sogar zwei Architektenpreise dafür abgeräumt.
Ob die Trophäen wohl im Retreat ausgestellt werden?
»Um Himmels willen, erinnern Sie mich nicht daran.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das Retreat liegt zwar noch relativ weit unten am Berg, aber da keine asphaltierten Straßen bis dorthin führen, konnten wir keine normalen Lkws nutzen. Sagen wir so, es war eine Herausforderung, aber es war wert, sie anzunehmen.«
»Wie kamen Sie denn auf diesen Standort?«
»Ich wollte mein Retreat irgendwo bauen, wo die Energie stimmt. Als ich zum ersten Mal hier oben war, habe ich schon nach wenigen Minuten diese wahnsinnige Kraft in mir gespürt, fast so, als hätte der Ort mich aufgeladen. Da habe ich gewusst, dass ich genau hier bauen muss.«
Ich stellte ihm noch ein paar Fragen, die er geduldig beantwortete, ehe sich der Wald lichtete und wir einen traumhaft schönen See erreichten. Gerahmt von Bäumen, spiegelten sich die Strahlen der Sonne darin. Unweit des Sees standen unscheinbare Gebäude, die aus der Ferne beinahe aussahen wie einfache Hütten – klare Linien, kein Schnickschnack. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich jedoch große Fensterfronten und hölzerne Terrassen mit gemütlich aussehenden Loungemöbeln.
Wir umrundeten den See, und als ich den Blick wieder nach vorne richtete, blieb mir beinahe der Mund offen stehen.
Auf einer Anhöhe erhob sich ein eindrucksvolles Gebäude. Obwohl es mit den quadratischen Säulen aus Naturstein, den Wänden, die praktisch aus Glas bestanden, und den dunklen Holzelementen mit allen Regeln des Einklangs brach, harmonierte trotzdem alles miteinander. Es wirkte modern und zugleich ursprünglich. Durch seine Farbgebung der Natur angepasst und durch die vielen Glaselemente zugleich darin versteckt.
Ich öffnete die Autotür und rutschte vom Sitz. Eine Hand auf den übergroßen Hut gepresst, sah ich mich staunend um.
»Wow.«
Eine schwebende Treppe aus Granitstein führte durch einen Vorgarten mit penibel geschnittenen Sträuchern, Bonsaibäumen und Buddhaskulpturen zu einer riesigen massiven Holztür, hinter der ich nichts Geringeres als das Paradies vermutete.
Der Geruch von frischgemähtem Gras und klarer Luft kitzelte meine Nase, und ich atmete tief ein. Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals so reine Luft geatmet hatte. Es war, als bestünde sie ausschließlich aus Sauerstoff. Ob das die Energie war, von der Pierre vorhin gesprochen hatte? So oder so, dieser Ort war einfach magisch.
Mit großen Augen folgte ich Pierre in einem Nebel des Staunens die Treppe hinauf. Drinnen sorgten dunkle Farben für Eleganz, und saftig grüne Pflanzen vermittelten den Eindruck, die Natur würde sich das Haus zu eigen machen und mit ihm verschmelzen. Ich ließ meinen Blick durch die Lobby wandern und blieb am anderen Ende des Raumes hängen. Dort gab eine gigantische Glasfront die Aussicht über den See und den dahinterliegenden Berg frei.
Als eine rothaarige, freundlich lächelnde Frau mir ein Glas mit grünem Saft in die Hand drückte, war ich mir sicher, an einem Ort der absoluten Erholung gelandet zu sein. Die Nervosität in meinem Bauch verpuffte, und alles, was zurückblieb, war bedingungslose Freude.
Das wird ganz sicher das beste Wochenende meines Lebens.
Starr vor Schreck stehe ich da und schaue zu der Frau im Spiegel. Betrachte im Licht des hereinbrechenden Morgens die blutigen Kleider an ihrem Leib.
An meinem Leib.
Was zur Hölle ist passiert?
Mein Magen rumort heftig, und bevor ich einen weiteren Gedanken fassen kann, höre ich einen dumpfen Knall, als ich mit den Knien auf dem harten Steinboden aufkomme und mich erneut übergebe.
Als mein Magen komplett leer ist und ich nur noch würge, fahre ich mir mit dem Handrücken über den Mund, betätige die Spülung und richte mich stöhnend auf.
Schau hin!, schreit mir eine Stimme ins Ohr, obwohl niemand neben mir steht.
Schau. Genau. Hin.
Durch einen Schleier aus Tränen beobachte ich im Spiegel, wie meine Hände den Saum des Tops hochschieben und die Haut meines Bauchs entblößen.
Ich zwinge mich hinzuschauen und meine Haut zu berühren. Doch bis auf das Blut, das durch das Top gesickert ist, kann ich an mir weder etwas sehen noch spüren.
Sofort drehe ich mich herum, suche im Spiegel hektisch erst den Rücken, dann mit den Händen meinen restlichen Körper ab, als befürchtete ich, mir wäre entgangen, dass mich jemand verletzt hat …
Doch da ist nichts.
Kein geronnenes Blut. Kein Kratzer. Geschweige denn eine Wunde in der Größe, wie sie nötig wäre, um meine Kleidung derart mit Blut zu durchtränken.
Die Bedeutung dieser Erkenntnis sickert nur langsam zu mir durch. Irgendwann formt sich in meinem Kopf eine Frage:
Wenn es nicht mein Blut ist, von wem ist es dann?
Ich schlucke und trete vom Spiegel zurück. Mit zittrigen Beinen versuche ich, das Gleichgewicht zu halten, während ich langsam die Badezimmertür öffne. Es muss doch irgendeinen Hinweis darauf geben, was passiert ist?
Im Türrahmen bleibe ich stehen und kralle meine Finger in das robuste Holz, um gleichermaßen gegen Schwindel und Schwäche anzukämpfen, die mich mit einer unerwarteten Intensität zum Wanken bringen.
Suchend schaue ich mich im Zimmer um, ohne zu wissen, was ich zu finden hoffe. Dabei bleibt mein Blick am Wohnbereich hängen. Im schwebenden Kamin züngeln Flammen wild in alle Richtungen. Dahinter steht die Terrassentür weit offen, und ein scharfer Wind bläst ins Zimmer. Presst Kälte und Nässe gleichermaßen durch die geschlossenen Holzschiebeläden, an denen das Wasser heruntertropft und sich in kleinen Pfützen sammelt.
Mir stellen sich die Nackenhaare auf, und ich bekomme am ganzen Körper Gänsehaut.
Wie in Trance laufe ich in Richtung Terrasse, wobei mir die Kälte der Holzdielen in die Fußsohlen zwickt und mir die Waden hinaufwandert. Ich greife im Vorbeigehen nach meinem Sommermantel, streife ihn über und binde ihn fest zu, doch die Gänsehaut bleibt.
Ich erreiche das Sofa, lasse mich darauf sinken und starre in Richtung der Flammen. Wirre Gedanken rasen durch meinen Kopf, als ich kleine dunkle Löcher im Boden bemerke. Mit zusammengezogenen Brauen beuge ich mich vor und fahre mit den Fingern über den Holzboden.
Brandlöcher.
Wieso zur Hölle ist der Kamin eigentlich an? Im Juni? Habe ich ihn angemacht?
Doch so angestrengt ich auch darüber nachdenke, was mein betrunkenes Ich bewogen haben mag, mich in eine derart lebensbedrohliche Situation zu bringen –, mein Gedächtnis bleibt mir eine Antwort schuldig. In meinem Schädel ist nichts als dieser pulsierende Schmerz und eine allumfassende Finsternis, die die vergangene Nacht umhüllt wie ein Kokon.
Scheiße, verdammt nochmal. Wie viel habe ich getrunken?
Ich schließe die Augen und suche nach der letzten greifbaren Erinnerung. Ich sehe die anderen vor mir. Wir sitzen in einem Kreis um die Feuerschale herum, die Flammen erhellen unsere Gesichter. Viktorias weiches Lachen hallt durch den Wald. Der Mond steht mit einigen Sternen hoch oben am Himmel. Grillen zirpen in der Nähe des Sees, und die Dunkelheit senkt sich langsam über uns herab. Von da an gibt es nur noch Erinnerungsfetzen. Josefine, die ein schwarzes Jerseykleid trägt, in dem sie so unfassbar gut aussieht, dass mein Herz sich mit jedem Blick, den ich ihr zuwerfe, unwillkürlich verkrampft. Eine Hand mit blutroten Fingernägeln, die mir ein Schnapsglas unter die Nase hält. Danach ist nichts mehr in meinem Hirn außer Finsternis.
Aber … Kann ich denn nicht ausschließen, dass etwas Schlimmes passiert ist? Die anderen hätten mich doch nicht hier zurückgelassen, wenn einer von uns verletzt oder –
Ein Schrei reißt mich aus meinen Gedanken. Er schrillt grell durch den hereinbrechenden Morgen. Zerreißt das gleichmäßige Prasseln des Regens und trifft mich wie ein Pfeil ins Herz.
Nein.
Binnen eines Wimpernschlags springe ich vom Sofa auf, stoße den Fensterladen zur Seite und stürme nach draußen.
Der Regen ist kalt und hart. Unerbittlich peitscht er auf mich nieder und durchweicht mich innerhalb weniger Sekunden bis auf die Knochen.
Panisch sehe ich mich um, versuche jemanden auszumachen, der geschrien haben könnte. Ich tue mich schwer damit, etwas zu erkennen, die Wolken hängen tief und verbergen viel unter ihrem weißgrauen Schleier. Erst als mein Blick den Strandabschnitt streift, nehme ich etwas wahr, das dort nicht hingehört. Einen schwarzen Schatten.
Sofort rutscht mir das Herz in die Kniekehlen und schlägt dort weiter, während sich mein Körper wie von selbst in Bewegung setzt. Ich merke, wie ich den Atem anhalte.
Dort, im strömenden Regen, steht eine Gestalt. Sie wirkt gekrümmt, scheint sich von etwas abgewendet zu haben.
Von etwas, das auf dem Boden liegt.
Von etwas, das sich nicht bewegt.
Von etwas, das aussieht, als könnte es ein Körper sein.
Nein. Nein. Nein.
Das Blut rauscht in meinen Ohren, während meine nackten Füße in der durchweichten Erde versinken. Mit jedem Schritt, den ich mich dem Strand nähere, mit jedem Schritt, der die Konturen deutlicher werden lässt, scheint mein Geist sich weiter von meinem Körper zu entfernen.
Eine Frau schaut mich aus schreckgeweiteten Augen an. Das Gesicht bleich vor Entsetzen.
»Ich habe sie einfach dort gefunden, ich –«
Ihre Worte verschmelzen mit dem Prasseln des Regens, werden zu einem Dauerrauschen irgendwo weit von mir entfernt.
Ich sacke auf die Knie, spüre, wie sich harte Sandkörner in meine Haut pressen. Reflexartig schiebe ich das Kleid, das den wachsbleichen Körper umhüllt, hoch, bis ein schwarzer BH sichtbar wird, beuge mich vor und presse meine Handballen auf den Brustkorb. Ich verlagere mein Gewicht nach vorn und drücke.
Eins.
Zwei.
Drei.
Ich höre nicht auf, mache weiter, bis meine Arme schmerzen und ich meine, ein sanftes Heben zu spüren. Erst da lasse ich von ihr ab, beuge mich weiter vor und lege Daumen und Zeigefinger um ihre Nase, drücke sie zu und presse meine Lippen auf ihre, atme in sie hinein, als würde ich sie aufblasen wollen wie einen Luftballon.
Eins.
Zwei.
Ich schnelle hoch, platziere meine Hände wieder auf ihrem Brustkorb. Und drücke. Immer und immer wieder.
Wieso atmet sie nicht?
Tränen steigen in mir auf, als ich erneut versuche, meine Luft mit ihr zu teilen, um sie zurück ins Leben zu holen.
Plötzlich werden Stimmen laut, schallen in meinen Ohren. Sie formen Worte, klingen hoch und schrill. Aber ich habe keine Zeit, ihren Sinn zu verstehen.
Ich. Muss. Sie. Retten.
Doch da packen mich bereits Hände an den Armen und zerren mich von ihr weg.
Ich schreie, schlage um mich, weine, doch so sehr ich auch versuche, mich zu wehren, die Hände lockern ihren Griff nicht. Stattdessen spüre ich warmen Atem an meinem Ohr, vernehme geflüsterte Worte, die sich erst nach einer ganzen Weile in meinem Kopf zu einem Sinn zusammensetzen.
»Sie ist tot.«
»Nein«, wimmere ich und versuche, mich ein letztes Mal loszumachen, drücke mich gegen den Arm, der mich festhält.
Etwas reißt, und endlich komme ich aus der Umklammerung frei, winde mich heraus und taumle zu ihr zurück.
»Bitte nicht«, flehe ich. Darum, dass es nicht wahr ist. Darum, dass ich nicht diejenige bin, die es getan hat.
Jemand packt mich an den Handgelenken und zieht mich hoch und von ihr weg. Meine Beine geben nach. Erneut sacke ich in den Sand, spüre jedes einzelne Korn wie Nadelstiche in meiner Haut.
Sie ist tot.
Ich vergrabe die Hände im Sand, um Halt zu finden, wo keiner ist. Schließe die Augen, um nicht zu sehen, was mich von jetzt an bis in den tiefsten Schlaf verfolgen wird.
Nasses Haar. Wirr und glanzlos.
Haut blass wie Kerzenwachs.
Weitaufklaffende, blutleere Schnitte. In ihrer Brust. Ihrem Bauch. Ihrem Hals.
Überall.
viktoriakaplan.offical
Beiträge
⚫⚫⚪Gefällt pierre_karthee_ und 29.152 weiteren Personen
viktoriakaplan.offical [Anzeige]
Wenn @julianjaster_photography hinter der Linse ist und versucht, einen zum Lachen zu bringen, kann man nicht anders … Selbst dann nicht, wenn man seinen Flug verpasst hat. 🥲
Ja, wir sitzen immer noch auf Malta. Aber immerhin schon auf der Startbahn, denn dank @justkarla.rb haben wir Plätze gleich für den nächsten Flug bekommen. In ein paar Minuten heben wir auch schon ab. 💃
Dann heißt es für uns: Bye bye Malta, hello paradise. Dieses Wochenende geht es für uns nämlich hoch hinaus in die Berge, auf unserem Wochenendtrip ins @glowingforestretreatandlodges. Dort erwarten uns Sonne, Spaß, Erholung und eine wilde Party! Denn es fehlen nur noch 1 k, bis wir eine Million sind. 😍
Ich nehme euch natürlich das ganze Wochenende über mit, und falls ihr Wünsche habt und irgendwas Besonderes sehen wollt, schaut in meiner Story vorbei – dort findet ihr einen Fragesticker. 💭 Wenn wir dann wieder festen Boden unter den Füßen haben, werde ich mir eure Wünsche anschauen und sehen, was sich davon umsetzen lässt. ☺️
Und was habt ihr so fürs Wochenende geplant?
Swipet einmal nach links, wenn ihr sehen wollt, wie Julian am Gate rumlungert und meine Fotos bearbeitet. 📸 #bestboyfriendintheworld #couplegoals
Julian, mein #bestboyfriendintheworld, saß neben mir auf einem der engen Flugzeugsitze und gab sich alle Mühe, meinen bohrenden Blick zu ignorieren. Der Computerbildschirm spiegelte sich blau in seiner dunkel gerahmten Brille, und die Art, wie sich sein Kiefermuskel anspannte, bewies mir, dass er sehr wohl merkte, dass ich ihn ansah. Doch er gab weiterhin vor, mit der Konzentration eines Bombenentschärfers in seine Arbeit vertieft zu sein.
So war er immer am Tag danach. Abweisend.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, meinen Kopf auf seine Schulter zu legen. Ich wollte ihm nah sein, den herben Duft seiner Rasierseife riechen und seine Wärme spüren. Ihn spüren.
So war ich immer am Tag danach. Bedürftig.
Ein unüberwindbarer Konflikt. Deshalb trafen wir uns meist irgendwo dazwischen. So wie heute. Räumlich nah beieinander, emotional Welten voneinander entfernt. Die Stille schweigsamer Zeuge unserer Übereinkunft, bis er irgendwann etwas sagte und wir wieder zur Normalität zurückkehrten.
Unwillkürlich dachte ich an den Hinflug. Da hatte die Distanz nur zur Erde bestanden. Julians Hand hatte auf meinem nackten Oberschenkel geruht, wo sein Daumen sanft über die empfindliche Haut gestrichen hatte. Ein intensives Kribbeln war mir in den Bauch geschossen, und für einen Moment hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihn in die Toilettenkabine zu locken. Dort wollte ich meine Hände in seinem schwarzen Haar vergraben und mich von ihm nehmen lassen, bis ich kam. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Aber es gab vielerlei Gründe, warum Orte wie diese sich tatsächlich nur in Filmen dazu eigneten, es miteinander zu treiben. Also hatten wir uns geduldet, bis wir im Zimmer angekommen waren, wo Julian sogleich die Vorhänge zugezogen, mich aufs Bett geworfen und von hinten gefickt hatte, bis ich nur noch zitterte.
Gedankenverloren bewegte ich den Kiefer nach links und rechts. Machte den Mund auf und wieder zu. Der Druck auf meinen Ohren wollte sich nicht lösen.
Julian hielt mir eine Packung Kaugummis hin, sah jedoch nicht von seinem Laptop auf. Wie gesagt – nah beieinander und trotzdem Welten entfernt.
Ich nahm mir ein Kaugummi und drückte liebevoll seinen Arm, bevor ich ihm ein zaghaftes Lächeln schenkte. Nun löste er seinen Blick doch noch von dem Computer, auf dem er gerade einige meiner Hautunreinheiten auf einem Foto wegretuschierte.
Hab ich dich.
Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, aber es erreichte seine Augen nicht. Das tat es in letzter Zeit nie. Julian lächelte eher so, wie Menschen es taten, die sich auf einer Beerdigung trafen. War es das, was mit uns passierte? Starb ich für ihn mit jedem Mal ein bisschen mehr, wenn ich es tat?
Er schob die Brille hoch und wandte sich wieder seinem Laptop zu. Ich seufzte und beobachtete, wie er das Foto weiterbearbeitete.
Wenn er das heute noch fertigbekommt, könnte es Karla noch an byaphrodite rausschicken.
Ich sah zu Karla hinüber, die gemeinsam mit Max, meinem Bruder und Manager, in derselben Reihe auf der anderen Seite des Ganges saß. Wir kannten uns seit mittlerweile fünfzehn Jahren, und sie war nicht nur meine beste Freundin, sondern auch meine persönliche Assistentin. Sie hatte den Oberkörper nach vorn gebeugt und die Hände um die Lehne des Vordersitzes gekrallt.
Ich formte ein stummes »Oh«, als ich ihrem Blick aus glasig braunen Augen begegnete.
»Was ist los, hast du deine Reisetabletten nicht dabei?« Durch den Druck auf meinen Ohren klangen meine Worte dumpf und unnatürlich leise.
Statt einer Antwort schüttelte sie nur den Kopf und ließ die Stirn wieder gegen den Sitz sinken.
Ich drehte mich zu Julian – er war noch immer mit demselben Pickel beschäftigt – und zog ihm behutsam einen der Kopfhörer aus dem Ohr. Irritiert sah er von seinem Bildschirm auf. Er war es nicht gewöhnt, dass ich das Schweigen zwischen uns als Erste brach.
»Hast du Reisetabletten dabei? Karla geht’s nicht so gut.« Ich deutete mit dem Kopf in ihre Richtung.
Julian zog die dichten Brauen zusammen und blickte über den Rand seiner Brille zu ihr hinüber. »Puh, ich glaube nicht. Höchstens eine, die hundert Jahre alt ist. Nehme die Dinger ja nur, wenn ich ’nen Kater hab.« Er beugte sich zu seinem Rucksack hinunter.
Wenn das so ist, müsstest du ja eine ganze Packung dabeihaben.
Er trank in letzter Zeit mehr als üblich. Deutlich mehr. Als hätten die Schicksale anderer Menschen nicht eindrucksvoll genug gezeigt, dass Alkoholmissbrauch zu nichts führte außer zu Sucht und Zerfall.
Er kramte in den Fächern des Rucksacks herum, schüttelte nach einer Weile den Kopf.
»Hast du denn keine? Du schleppst doch dieses Medizintäschchen mit dir rum.«
»Ja, aber da sind keine drin, mir wird ja so gut wie nie schlecht.«
»Verstehe. Tja, also, ich habe leider auch keine.« Er nahm mir seinen Kopfhörer wieder aus der Hand.
»Wie sieht’s aus, meinst du, Karla kann die Fotos nachher noch zur Freigabe an den Kunden schicken?« Ich legte jetzt doch mein Kinn auf seiner Schulter ab.
Er zoomte aus dem Bild und drehte den Laptop zu mir, wobei er mir seine Schulter entzog.
Das Foto zeigte mich auf einem großen Stein, umgeben von türkisfarbenen, glasklaren Wellen mit weißen Schaumkronen. Ich trug einen quietschgelben Badeanzug, und mein Hals und meine Finger waren voll von hochkarätigem Goldschmuck.
»Was meinst du? Also, was den Filter betrifft? Hier und da muss ich noch ein paar Kleinigkeiten anpassen, du weißt ja, wie anspruchsvoll sie sind. Sobald das erledigt ist, kann’s meiner Meinung nach aber raus.« Er sah weiterhin auf das Bild, was wohl den Eindruck erwecken sollte, er würde nachdenken, aber ich wusste es besser. Er wollte mir nicht in die Augen sehen, weil meine Augen schon immer das waren, was er an mir am schönsten fand. In meine Augen hatte er sich damals zuerst verliebt.
»Es geht nicht um die Farbe, Tori. Es ist der Ausdruck darin. So ehrlich und intensiv. Ich habe mich noch nie so gesehen gefühlt. Es ist, als würdest du direkt in meine Seele blicken. Man will dir sofort alles offenbaren, was man zu bieten hat«, hatte er mir Monate nach unserem Kennenlernen verraten. Damals, als ich ihn fragte, wann er sich in mich verliebt hatte, und als wir uns bis zum Morgengrauen immer und immer wieder geliebt hatten, high vor Endorphinen und Schmetterlingen im Bauch.
»Tori?« Noch immer sah er nicht auf.
Weil er weiß, dass er nicht länger abweisend zu mir sein kann, wenn er mir in die Augen sieht.
»Sorry.« Ich blinzelte die Gedanken fort. »Kannst du die Orangetöne etwas abdunkeln? Ich sehe ein bisschen blass aus. Ansonsten find ich’s super.« Unsere Campaign Managerin bei byaphrodite war wirklich anspruchsvoll. Da das Unternehmen mich und mein komplettes dreiköpfiges Team für mehrere Tage in eine private Villa mitten am Strand einquartiert und nur so mit Geschenken und Geld überhäuft hatte, durften sie das allerdings auch sein.
Julian drehte den Laptop zu sich herum. »Klar.«
Ich wandte mich wieder Karla zu, begegnete stattdessen jedoch Max’ Blick. Er saß neben ihr am Fenster und formte mit seinen Lippen ein stummes »Und?« Offenbar hatte er das Gespräch zwischen mir und Julian beobachtet.
Sein Laptop stand vor ihm auf dem Klapptischchen und warf grelles Licht auf sein Gesicht.
Ich hob den Daumen in die Höhe, und er machte sich direkt daran, die Mail für den Kunden zu tippen. Eigentlich übernahm Karla solche Aufgaben, aber anscheinend hatte er beschlossen, ihr unter die Arme zu greifen.
Ein eingespieltes Team.
Vorsichtig löste ich den Gurt und verließ den Sitz. Es tat gut, die Beine lang machen zu können. Normalerweise flogen wir nicht Economy, sondern Business. Wenn man viel flog, war das das einzig Vernünftige – mehr Platz, mehr Ruhe … Oder um es mit den Worten meines Bruders zu sagen: Mehr Komfort zum Arbeiten. Doch da wir den ersten Flug verpasst hatten, waren wir froh gewesen, überhaupt alle zusammen mit dem nächsten Flugzeug wegzukommen.
Ich streckte mich kurz, dann bahnte ich mir einen Weg durch den Mittelgang – vorbei an herumzappelnden Kleinkindern und über ausgestreckte Füße hinweg –, um zu den Flugbegleiterinnen zu gelangen.
Als ich das Ende des Flugzeugs erreichte, lächelte mich eine uniformierte Dame mit roten Lippen an.
»Hi, entschuldigen Sie. Haben Sie vielleicht eine Reisetablette? Meiner Freundin ist schlecht.« Mit dem Zeigefinger deutete ich in Karlas Richtung, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob die Flugbegleiterin sie hinter den ganzen Köpfen der anderen Passagiere überhaupt ausmachen konnte.
»Natürlich.« Sie zog einige Schubladen an der Wand auf, ehe sie die richtige erwischte, einen Blister mit Tabletten herausnahm und eine rosafarbene Pille in meine Hand drückte.
»Danke.« Lächelnd wandte ich mich um und wankte zurück zu Karla, die noch immer genauso dasaß, wie ich sie zurückgelassen hatte. Behutsam strich ich ihr über den Rücken.
»Hey, schau mal.«
Karlas Blick wanderte erst über mein Gesicht und verharrte dann auf meiner Handfläche, wo sie die Pille entdeckte. »Du bist ein Schatz. Ich hätte die Landung sonst echt nicht überlebt.«
Ich lächelte gequält, als ich an unseren ersten gemeinsamen Flug zurückdenken musste. Wir waren gerade mal vierzehn gewesen und hatten mit einer Gruppe von Jugendlichen einen geführten Fünf-Tages-Trip nach New York gemacht. Es war ein Geschenk zur Jugendweihe gewesen und unsere erste Reise ohne Eltern. Direkt nachdem das Flugzeug abgehoben hatte, war Karla die Farbe aus dem Gesicht gewichen, und ich erinnerte mich noch daran, wie ich für einen Moment dachte, sie würde draufgehen. Aber als sich ihr Gesicht dann grünlich verfärbte und sie später in eine Papiertüte kotzte, war ich zumindest diese Sorge los. Für ein paar Sekunden bildete ich mir ein, den säuerlichen Geruch von damals wahrzunehmen.
»Nicht der Rede wert.«
Langsam richtete ich mich auf und wollte mich gerade zurück auf meinen Sitz setzen, da spürte ich eine sanfte Berührung am Arm.
Ich drehte mich um und begegnete dem freundlichen Gesicht der Flugbegleiterin, von der ich die Tablette bekommen hatte.
»Da hinten sitzt eine junge Dame, die ähm …«, sie strich sich eine nicht vorhandene Strähne aus der Stirn, »Ihnen auf Social Media folgt und gerne ein Foto mit Ihnen machen würde. Wäre das okay für Sie?«
Das war noch ein Grund, weshalb ich nicht gerne Economy flog. Niemand wollte mit fahlem Gesicht, trockenen Augen und angeklatschten Haaren für Selfies posieren. Natürlich hätte ich ablehnen können, aber ich verdankte diesen Menschen, meinen Fans, alles. Ein Nein kam also nicht in Frage.
»Klar.« Ich lächelte und ließ mich von der Stewardess zu dem kleinen Mädchen bringen. Sie war vielleicht zwölf, und als sie mich sah, begann sie derart heftig nach Luft zu schnappen, dass ich mir sicher war, sie würde jede Sekunde in Tränen ausbrechen. Was sie dann auch tat. Gerade bei jüngeren Mädchen hatte ich das schon sehr oft erlebt. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, tat ich so, als würde ich es nicht bemerken, und unterhielt mich einfach noch ein paar Minuten mit ihr.
Als ich kurz darauf meinen Platz wieder erreichte, erklang auch schon das Anschnallsignal, gefolgt von einem Knacken der Lautsprecher.
»Sehr geehrte Damen und Herren, wir befinden uns nun im Landeanflug.«