Das Dinner – Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder? - Emily Rudolf - E-Book
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Das Dinner – Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder? E-Book

Emily Rudolf

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Beschreibung

»Wir sehen einander an und fragen uns insgeheim: Bist du zu einem Mord fähig? Wo bist du gewesen? Was hast du getan, als sie verschwunden ist?« Für ein Wiedersehen laden Jonathan und seine Verlobte Lotta die alte Freundesgruppe in ein abgelegenes Restaurant in der Eifel ein. Nur ein Platz bleibt leer: Vor fünf Jahren ist ihre Freundin Maria spurlos in der Nacht verschwunden. Um der alten Zeiten willen beginnen die Freunde ein Krimi-Dinner. Doch das Spiel verschmilzt rasch mit der Realität. Verstörende Erinnerungen kommen hoch und werfen Fragen auf: Wer lügt für seine Rolle, wer für sich selbst? Während draußen ein Sturm aufzieht, eskaliert das Spiel. Ist Maria noch am Leben? Oder sitzt ein Mörder mit am Tisch? Alte Freunde. Neue Lügen. Mörderische Wahrheit. Das perfide Krimi-Dinner: der abgründige Locked-Room-Thriller mit überraschenden Twists bis zum Schluss, um Freundschaft, Verrat und Tod. Von Emily Rudolf – Psycho-Spannung made in Germany. »Emily Rudolf schafft ein Meisterwerk an Spannung und deckt die verschiedensten Facetten und dunklen Seiten der Charaktere auf.« Freundin über »Die Auszeit«

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Seitenzahl: 601

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Emily Rudolf

Das Dinner

Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?

Thriller

 

 

Über dieses Buch

 

 

»Wir sehen einander an und fragen uns insgeheim: Bist du zu einem Mord fähig? Wo bist du gewesen? Was hast du getan, als sie verschwunden ist?«

 

Es ist eine atemberaubende Location, an der die Freunde sich wiedersehen: das abgelegene »The Ark« im Nationalpark Eifel. Hier arbeitet Jonathan als Restaurantchef und lädt mit seiner Verlobten Lotta die alte Truppe für einen Abend ein, an dem sie ganz unter sich sind. Es kommen Jonathans Schwester Hanna, deren Ex-Freund Tristan und der gemeinsame Kumpel Kiano.

Zusammen wollen sie ein Krimi-Dinner spielen, wie sie es früher immer getan haben. Früher, als sie noch unzertrennlich waren. Doch seit dem gemeinsamen Wochenende vor fünf Jahren auf einem Musikfestival ist alles anders: Damals verschwand die Sechste in ihrem Bunde, Maria, spurlos mitten in der Nacht. 

Nun kommen die Erinnerungen wieder hoch, und mit jeder Runde wird es schwerer, Realität und Fiktion zu unterscheiden. Was ist wahr, was erfunden? Wem kann man trauen? Und ist das Krimi-Dinner wirklich bloß ein Spiel – oder tödliche Wahrheit?

 

Alle spielen mit. Keiner kann gewinnen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Emily Rudolf kennt sich aus mit perfider Psychospannung an faszinierenden Orten: Ihr Debüt »Die Auszeit« brachte ihr direkt den Durchbruch als Thriller-Autorin. Auch in ihrem neuen Buch, »Das Dinner«, untersucht sie, welche Abgründe hinter Freundschaft lauern und wie menschliche Emotionen tödlich eskalieren können. Die Autorin, Jahrgang 1998, wuchs in der Nähe von Leipzig auf, veröffentlichte neben Studium und Job ihre ersten Bücher und machte dann ihre Leidenschaft zum Beruf. Emily Rudolf lebt und schreibt derzeit in Nürnberg; in ihrer Freizeit spielt sie gern Krimi-Dinner wie die Protagonisten ihres aktuellen Thrillers, setzt aber auf weniger mörderischen Ausgang.

Inhalt

[Motto]

[Widmung]

Die Figuren

Prolog

Der Aperitif

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Die Vorspeise

Vermisst-und-Verzweifelt-Podcast

7. Kapitel

8. Kapitel

Das Hauptgericht

Erster Zeitabschnitt

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Zweiter Zeitabschnitt

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Dritter Zeitabschnitt

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Vierter Zeitabschnitt

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

Fünfter Zeitabschnitt

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

Sechster Zeitabschnitt

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Siebter Zeitabschnitt

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

Damals,

64. Kapitel

Das Dessert

65. Kapitel

66. Kapitel

Epilog

Danksagung

Wer die Wahrheit nicht wahrhaben will, wird sie auch nicht wahrnehmen.

Monika Kühn-Görg

Für Moritz

Die Figuren

Jonathan Winterkamp (Rolle im Spiel: Nathan Cook)

Lottas Verlobter, Hannas Bruder, Restaurantleiter. Wäre beinahe auf die schiefe Bahn geraten. Wirklich nur beinahe?

 

Lotta Haas (Rolle im Spiel: Tati Fox)

Jonathans Verlobte, Psychologin. War immer das fünfte Rad am Wagen. Doch das soll nie wieder so sein.

 

Kiano Owusu (Rolle im Spiel: Ano Wolf)

Früher Jonathans bester Freund. Wollte die Vergangenheit ruhen lassen. Nur wieso ist er dann gekommen?

 

Hanna Winterkamp (Rolle im Spiel: Anabel Benson)

Jonathans Schwester, Künstlerin. War Marias beste Freundin. Vermisst sie sie wirklich noch immer?

 

Tristan König (Rolle im Spiel: Stanley Gray)

Hannas Ex-Freund. Treibt durchs Leben ohne Ziel. Wird seine Fassade heute Nacht fallen?

 

Maria Gabriela Suarez

Beste Freundin von Hanna und Lotta. Hielt die Gruppe zusammen. Wohin ist sie vor fünf Jahren verschwunden?

Prolog

Damals

»Du machst mir Angst.«

»Gut. Du solltest auch Angst vor mir haben«, sagte ich und ging noch einen Schritt auf sie zu. Beinahe konnte ich die Angst riechen, die ihr Gesicht entstellte und ihr Herz zum Rasen brachte.

»Hör auf damit. Das ist nicht witzig, okay?« Sie wich vor mir zurück, also machte ich noch einen weiteren Schritt auf sie zu. Es gab kein Entkommen.

»Sehe ich aus, als würde ich einen Witz machen? Ich frage mich nur, wann du mir eigentlich sagen wolltest, was du getan hast?«

Für einen Moment fühlte es sich so an, als bliebe die Zeit stehen, als hätten meine Worte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Regen verlangsamte sich, und mit einem Mal hörte ich überdeutlich, wie die Tropfen auf ihren Regenmantel aufschlugen.

Der Rucksack rutschte von ihrer Schulter, dann ging sie auf die Knie, versank im Schlamm, als hätten meine Worte sie niedergedrückt.

»Es tut mir so leid, so, so leid. Ich war nicht wirklich bei mir, ich …« Tränen flossen ihr über die Wangen, vermischten sich mit dem unablässigen Regen.

»Ach ja?«

»Es tut mir so leid, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bitte verzeih mir.« Sie griff nach meinen Hosenbeinen, hielt sie umklammert, als wolle sie verhindern, dass ich davonging und sie mit ihrer lahmen Entschuldigung zurückließ.

Es tut mir so leid. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bitte verzeih mir.

»Dir verzeihen?«, fragte ich, die Stimme fremd und weit entfernt in meinen Ohren.

Sie sah zu mir auf. Sah mich aus tränennassen Augen an. Flehend. Angsterfüllt. Hoffend.

Doch keine Entschuldigung der Welt konnte wieder geradebiegen, was sie uns angetan hatte. Es gab keine Hoffnung auf Vergebung, alles, was uns blieb, war der Schmerz, den sie uns zugefügt hatte. Der … und die Wut.

Ich entriss ihr mein Bein, beobachtete, wie ich es anhob und nach ihr trat. Sie sollte mit jeder Faser spüren, was mich von innen auffraß. Den Verlust. Den Schmerz. Das Ende.

Der Aperitif

Gereicht wird ein Gin Tonic mit bestem Hendrick’s Gin und einem Spritzer unerwünschter Erinnerungen.

1

Heute, 07:45 Uhr Jonathan

Ich schaue in den Spiegel. Der Teufel schaut zurück.

So ist es an den meisten Tagen. Als es seinen Anfang nahm und unsere Blicke einander zum ersten Mal begegneten, da wusste ich nicht, was, oder besser, wen ich da sah. Da war immer noch ich. Da waren die eingefallenen Wangen. Die dezente Kerbe in meinem Kinn. Die dunklen Bartstoppeln, die unter der sanften Berührung ihrer Fingerspitzen prickelten.

Es war mein Gesicht, das mir entgegenstarrte, und trotzdem erkannte ich mich nicht wieder.

Es lag an den Augen, begriff ich später. Nicht an der offensichtlichen Physiognomie. Auch nicht an den geweiteten Pupillen oder den roten Äderchen im Weiß. Es war der Ausdruck darin. Er hatte sich verändert.

Von heute auf morgen.

Von jetzt auf gleich.

Ein Augenblick hatte gereicht. Eine lächerliche Sekunde Unaufmerksamkeit. Eine falsche Entscheidung. Und mit einem Mal war man ein anderer.

Seit jener Nacht weiß ich, dass mir der Teufel auflauert. Ich glaube, er lauert in uns allen. Darauf wartend, dass wir etwas tun, das ihn vom Fluch des stillen Beobachters befreit und zu dieser bösartigen Stimme in unserem Kopf macht, die uns tagein, tagaus quält. Mit Selbsthass, Schuld, Scham und Selbstvorwürfen. Er ist die Stimme der hämisch geflüsterten Worte, die an manchen Tagen ganz leise und an anderen schrecklich laut ist.

Ich frage mich, ob sie ihn auch schon befreit hat oder ob ich allein mit seiner Stimme lebe. Ob es nur einen Teufel in diesem Haushalt gibt oder zwei.

Plötzlich lehnt sie sich gegen meinen Rücken, und ihre Haare kitzeln mir über die Schulterblätter. Sie schlingt die Arme von hinten um meine Hüfte, wandert mit ihren Händen über meine erhitzte Haut, bis sie meine finden.

Erst da bemerke ich, dass ich die Finger so fest um den Rand des Keramikbeckens kralle, dass die Knöchel weiß hervortreten. Ich stoße einen Schwall Luft aus, lasse die Anspannung aus meiner Brust entweichen und drehe mich zu ihr herum.

»Hi«, sagt sie. Die Stimme belegt vom Schlaf.

»Hi«, murmle ich und streiche ihr eine kupferrote Strähne aus der Stirn, lege weiße Haut und Sommersprossen frei. Dann hebe ich ihr Kinn an, um ihr einen Kuss zu geben. Ihre Lippen schmecken nach Kokos, sind noch cremig von dem Balsam, den sie mit zwanghafter Regelmäßigkeit jeden Abend aufträgt.

»Alles okay? Du bist früh wach.« Sie reibt sich mit der Hand übers Gesicht, ehe sie an mir vorbei nach der Zahnbürste greift.

Obwohl ich Schlaf dringend nötig gehabt hätte, habe ich kaum ein Auge zubekommen, bin schon vor Stunden im Haus umhergewandert wie ein Gespenst, habe die Küche mit Kühlschranklicht geflutet, Vorräte geplündert und in die Dunkelheit gestarrt.

»Ja, alles gut. Bin nur etwas nervös. Ist immerhin gut fünf Jahre her, dass wir uns in dieser Konstellation gesehen haben.«

Normalweise versuchen wir, einmal im Jahr zusammenzukommen. Zumindest die von uns, die noch übrig sind. Doch dann war die Coronapandemie ausgebrochen und hatte nicht nur meine Karriere beinahe beendet, sondern auch unsere Freundschaften in die Eiszeit befördert. Nach allem, was geschehen war, hatte ich nicht daran geglaubt, dass die losen Verbindungen innerhalb unserer verbliebenen Clique drei Jahre Kontaktbeschränkungen und Zoomdates überleben würden. Aber vielleicht überlebten sie genau deshalb, weil uns all das passiert war und Tragik nun mal mehr zusammenschweißt als Schulabschlüsse, Unidiplome oder Jobs.

Als wir uns dann bei der Eröffnung des Restaurants mit meiner Schwester unterhielten und sie uns erzählte, dass sie bald für ein Jahr nach Brasilien gehen würde, war klar, dass wir uns vorher unbedingt noch mal sehen müssten. Eins führte zum anderen, und schließlich entschieden wir, die alte Clique noch vor Hannas Abreise zusammenzutrommeln. Diesmal nicht wie die letzten Jahre digital, sondern in echt. Ein Wiedersehen und gewissermaßen ein Abschied. Erst hielt ich es für ein im Rausch entstandenes Hirngespinst, aber je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee. Lotta ebenso.

Und hier sind wir nun.

»Bist du nervös wegen der anderen oder wegen Kiano?« Sie drückt Zahnpasta auf die Borsten und schaut mich abwartend an, obwohl sie die Antwort bereits kennt.

Seufzend wende ich mich dem Waschbecken zu und drehe das Wasser auf, während das Vibrieren ihrer Zahnbürste die Stille erfüllt.

»Versteh mich nicht falsch, ich freue mich natürlich, dass er kommt, das weißt du ja, aber –« Ich lasse Wasser in meine Hände laufen, bevor ich mich über das Waschbecken beuge und mein Gesicht damit nass mache. »Ich frage mich nur immerzu, wieso? Er hat so lange nichts von uns wissen wollen. Ich meine, fünf Jahre sind eine lange Zeit, und nun plötzlich nimmt er meine Einladung an? Ich weiß auch nicht …«

Wir haben dieses Thema schon unzählige Male durchgekaut, und doch werde ich nicht müde, diese Frage immer wieder zu stellen. Ganz im Gegenteil – sie beschäftigt mich Tag und Nacht.

Ich greife nach dem Handtuch, das Lotta mir hinhält, und höre, wie sie ausspuckt. »Vielleicht ist genau das der Punkt. Es ist Jahre her, und wir sind alle älter und reifer geworden.«

»Denk einfach immer daran, er würde nicht kommen, wenn er noch sauer wäre. Ich glaube, er sieht die Dinge mittlerweile einfach mit anderen Augen.«

»Mhm.« Ich hänge das Handtuch zurück an den Haken. »Ich hab nur so ein komisches Gefühl. So, als würde irgendwas passieren.«

Lotta lächelt. »Das ist bloß die Aufregung, Schatz. Mach dir nicht so viele Sorgen. Es ist nur ein Treffen unter alten Freunden.«

Sie hat recht. Ich übertreibe.

Es ist nur ein Treffen unter alten Freunden.

2

Heute, 15:45 UhrKiano

Die abgehackten Worte des Radiomoderators dröhnen durch den Innenraum des Wagens, hallen über die ledernen Sitze hinweg, zwischen den regennassen Scheiben hin und her. Wabern mir durch den Kopf.

Schwere Unwetterwarnung.

Sturmböen.

Ziehen Sie sich warm an.

Was für ein Frühling!

Einen Moment starre ich noch auf die automatische Schiebetür, die sich in einem hektischen Rhythmus öffnet und schließt, beobachte einen geschäftig wirkenden Mann beim Bezahlen, eine Frau in dunkelgrünem Trenchcoat beim Stöbern im Ständer der Hörbuch-CDs, dann erst steige ich aus.

Die Zapfsäulen brummen aggressiv, während sich der Geruch von Benzin in meine Schleimhäute ätzt, bis ich niesen muss. Ich hasse diesen Geruch, bekomme immer Kopfschmerzen davon. Eilig ziehe ich ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und halte es mir vor die Nase, ehe ich mir einen der Plastik-Einweghandschuhe überziehe und den Wagen betanke. Die Zahl auf dem Display überschlägt sich beinahe.

Ich hätte zu Hause tanken sollen. So, wie man das eben tut, bevor man eine längere Autofahrt antritt. Doch ich habe nicht damit gerechnet, dass ich es wirklich bis hierher schaffen würde. Ich habe geglaubt, ich würde an einer der nächsten Ampeln links abbiegen, einen U-Turn hinlegen und zurück nach Hause fahren. Doch ich habe mich selbst überrascht. Statt umzudrehen, bin ich der Route gefolgt, die mir die penetrante Stimme des Navigationsgeräts immerzu ins Ohr geplärrt hat.

In 100 Metern rechts abbiegen.

Biegen Sie jetzt rechts ab.

Biegen Sie jetzt rechts ab.

Folgen Sie der Route für fünf Komma sieben Kilometer.

Ich konzentriere mich wieder auf die Anzeige. Auch wenn das hier eine dieser kleinen, inhabergeführten Tankstellen ist, kostet das Benzin nicht weniger als bei den großen, und die Zahl auf dem Display frustriert mich dermaßen, dass ich meinen Blick losreiße und in die Ferne schaue. Die Wolkenfront am Horizont kommt mir vor wie ein dunkles Omen. Eine stille Warnung, als wollte eine höhere Macht mir sagen: Dreh um und fahr nach Hause.

Der Weg bis hierher war mit solchen Vorzeichen gepflastert. Es war schon damit losgegangen, noch bevor ich mich in den Wagen gesetzt hatte. Erst hatte ich meinen Autoschlüssel nicht finden können, dann ließ sich das elektrische Rolltor nicht öffnen, und irgendwo auf halber Strecke fuhr ich mit viel zu hoher Geschwindigkeit in eine Baustelle, die meine Navigationsapp nicht auf dem Schirm hatte. Und nun die Unwetterwarnung.

Eigentlich bin ich niemand, der solchen Dingen eine Bedeutung beimisst – nicht mehr. Doch heute scheint alles anders zu sein. Vielleicht glaubt in der richtigen Situation jeder an Omen. Sie sind eine Möglichkeit, keine Verantwortung übernehmen oder nicht für sich selbst einstehen zu müssen.

Hallo. Einer meiner Reifen ist geplatzt, ich kann nicht kommen … Ja, ich weiß, ärgerlich, aber nichts zu machen. Tut mir leid. Beim nächsten Mal bin ich ganz sicher dabei!, hallt mir die Ausrede durch den Kopf, die ich seit Beginn der Fahrt immer weiter ausformuliert habe. Dabei bin ich sonst niemand, der sich rausredet. Aber diese Leute haben schon immer das Schlechteste aus mir herausgeholt – zumindest würde das meine Mutter sagen. Gott hab sie selig.

Mit einem Mal ist mir kotzübel. Ich könnte das auf die Serpentinen schieben. Die schlangenartigen Kurven und den ständigen Wechsel zwischen Bremsen und Gasgeben. Aber es sind nicht die Serpentinen. Es ist auch nicht der Geruch des Benzins, der mir noch immer in der Nase brennt. Es ist die Vorstellung, sie alle wiederzusehen, die mir wie ein Stück rohes Fleisch im Magen liegt.

Dabei hatte ich viel Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Doch vielleicht würde selbst alle Zeit der Welt nicht ausreichen, um für das hier bereit zu sein.

Das Klicken der Zapfpistole reißt mich aus meinen Gedanken. Blinzelnd ziehe ich sie aus der Tanköffnung und schiebe sie in die Halterung an der Säule, ehe ich die Einweghandschuhe entsorge und in den Tankstellenshop laufe.

Die Tür kündigt mein Eintreten mit einem Klingeln an. Innen riecht es nach Bockwurst und Kaffee, und die Hitze treibt mir augenblicklich den Schweiß auf die Stirn. Zielstrebig durchquere ich den Verkaufsraum und gehe zum Kühlregal, um mir ein Getränk zu holen. Während ich das Sortiment studiere, ertönt die Klingel erneut, die Schiebetür öffnet sich surrend, lässt Schritte und Stimmen herein.

»Und du bist sicher, dass ich nicht mitkommen kann? Ich würde sie so gerne einmal kennenlernen.«

»Ich weiß, Baby. Aber von den anderen bringt auch niemand seinen Partner mit, also wäre das nicht angemessen.«

Ich erkenne die Stimme sofort. Spüre den tiefen Bariton bis in die Knochen nachhallen. Am liebsten würde ich mich in das Kühlregal zwängen, mich hinter Energydrinkdosen, Eisteepackungen und Wasserflaschen verstecken. Dabei habe ich nichts Falsches getan, ganz im Gegenteil. Sie sind es, die sich vor mir verstecken sollten. Ihnen sollte die Scham den Hals hinaufkriechen. Sie sollten diejenigen sein, die bei meinem Anblick die Lider senken.

»Schade«, erwidert sie.

»Hey, aber dafür haben wir ein traumhaftes Hotel und machen uns ein schönes Wochenende, ja?«

O Gott. Hoffentlich haben wir uns nicht im selben Hotel eingebucht. Ihn und die anderen einen Abend lang zu sehen reicht mir fürs Erste. Ich will ungern auch noch am Frühstückstisch mit ihnen sitzen.

Schmatzende Geräusche erklingen, und ich wage es nicht, mich umzudrehen, konzentriere mich stattdessen weiter auf die Wasserflaschen vor mir, studiere die Etiketten.

»Die vier, bitte«, höre ich ihn sagen.

Gleich geschafft.

»Das wären dann vierundfünfzig achtundsiebzig«, nuschelt der Tankwart.

»Ah, Moment, ich hab noch was vergessen.«

Noch immer starre ich wie gebannt auf die Wasserflaschenetiketten, weiß jetzt, dass Gerolsteiner 297 mg mehr Kalzium und 103 mg mehr Natrium enthält als VIO – ob es deshalb so scheiße schmeckt?

»Was denn?«, fragt die weibliche Stimme.

»Ich wollte doch noch einen Energydrink.«

Ich schlucke, schiele in Richtung der bunten Dosen, die sich unweit der Wasserflaschen im Kühlfach aufreihen. Einen Moment schließe ich die Augen, dann atme ich tief durch und schnappe mir die nächstbeste Flasche.

Was jetzt noch peinlicher wäre, als mich der Situation einfach zu stellen, wäre, neben ihm zu stehen und zu hoffen, dass er mich nicht erkennt. Denn so, wie er tickt, würde er das wahrscheinlich kommentarlos hinnehmen und später erklären, dass er mich sofort durchschaut hat.

So ist Tristan. Er beobachtet still, um dann eine Anekdote parat zu haben, die er zum Besten geben kann, wenn die Leute allmählich beginnen, ihm ihre Aufmerksamkeit zu entziehen.

Ihr werdet es nicht glauben. Da gehe ich vorhin in die Tankstelle, und wen sehe ich da? Unseren Kiano. Starrt bestimmt zehn Minuten lang ins Kühlregal mit den Wasserflaschen und tut so, als würde er mich nicht erkennen. Witzig, oder?

Und natürlich würden alle lachen. Nicht weil seine unsensiblen Witze und Bloßstellungen lustig sind, sondern weil jeder seine Rolle kennt und weiß, wie er in bestimmten Situationen zu reagieren hat – zumindest war das früher so.

Ich schließe die Tür des Kühlregals und drehe mich um. Der Mann, der mir entgegenkommt, sieht aus wie Tristan und auch wieder nicht. Da sind die vertrauten hellbraunen Haare, die mittlerweile von ein paar grauen Strähnen durchzogen sind, die braunen Augen, die von deutlich mehr Lachfältchen umrandet werden als noch vor ein paar Jahren, und da ist dieser Bart, den er früher so penibel abrasiert hat, damit er aussah wie diese Typen im Internet, die Finanzprodukte verkaufen.

Ansonsten ist er derselbe wie vor fünf Jahren. Er hat noch immer diese Strahlkraft, die ihn umgibt wie andere eine Aftershave-Wolke. Er hat kein Gramm zugenommen. Sieht aus wie eine ältere, optimierte Version seiner selbst, und mir wird klar, dass er einer von diesen Menschen ist, die das Alter verschont, ja, deren Schönheit von Jahr zu Jahr nur noch manifester wird.

Er erkennt mich sofort. Seine Augen weiten sich, und er bleibt wie angewurzelt stehen.

»Kiano?«

Kurz spiele ich mit dem Gedanken, doch so zu tun, als liege eine Verwechslung vor. Ich könnte alles bestreiten, behaupten, ich kenne ihn nicht, dann müsste ich mich nur in den Mercedes schwingen und zurück nach Hause fahren. Es wäre nicht einmal ein Anruf nötig. Wahrscheinlich rechnet eh niemand damit, dass ich wirklich komme, bis ich auf der Türschwelle stehe. Und selbst wenn doch, kann es mir egal sein. Nach allem, was war, habe ich jedes Recht zu enttäuschen. Es würde keine Vorwürfe geben.

Doch stattdessen höre ich mich sagen: »Tristan.« Meine Stimme klingt komisch monoton, aber das scheint meinem ehemaligen Freund nicht aufzufallen. Vielleicht aber auch, weil es zu lange her ist, dass er sie zuletzt gehört hat.

»Ich fasse es nicht. Jonathan hat gar nicht erzählt, dass du auch kommst.« Er läuft mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

»Bin wohl der Überraschungsgast«, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln, das mir jedoch vergeht, als mir klarwird, dass es nun kein Zurück mehr gibt. Er zieht mich in eine Umarmung und klopft mir auf den Rücken. Als er mich loslässt, sieht er mich einen Moment an, dann lacht er.

»Du bist alt geworden!«

»Wenigstens habe ich noch keine grauen Haare.«

Für eine Millisekunde entgleist sein Gesicht, doch er hat sich schnell wieder im Griff.

»Da kommst du auch noch hin«, prophezeit er, als sich plötzlich jemand neben ihn schiebt.

»Hi, ich bin Alexandra.« Die Frau hält mir ihre Hand hin und lächelt freundlich. Sie ist schön, wie eigentlich alle Frauen, mit denen Tristan sich umgibt. Sieht aus wie ein neumodisches Schneewittchen in kurzen Jeansshorts und Tanktop. Sie ist bestimmt zehn Jahre jünger als wir.

Ich ergreife ihre Hand und schüttle sie. »Freut mich. Kiano«, sage ich, wobei ich Tristan einen Blick zuwerfe. Er erwidert ihn gelassen, lächelt vielleicht einen Hauch zu selbstgefällig.

»Ah, Kiano, ich habe schon viel von dir gehört!«, sagt sie, und mit ihren Worten kehrt die Übelkeit zurück. Es gibt nicht allzu viele Dinge, die man über mich hören könnte. Mein Leben ist nichts weiter als eine Aneinanderreihung tragischer Ereignisse.

»Ach wirklich?« Ich frage mich, ob mein Lächeln genauso gekünstelt aussieht, wie es sich anfühlt.

Tristan lacht. »Entspann dich. Natürlich nur Gutes.« Er schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter, und bevor Alexandra etwas erwidern kann, nimmt er sich einen Energydrink aus dem Kühlregal und dirigiert mich in Richtung Kasse.

»Wie kommt es, dass du hier bist?«, fragt er, während er im Vorbeigehen noch nach einer Packung Kondome greift, die er sich beiläufig in die Hosentasche schiebt.

»Jonathan hat mich eingeladen«, spreche ich das Offensichtliche aus und tue, als hätte ich es nicht bemerkt.

Tristan lacht, dann hebt er eine Braue und schaut mich an, als warte er darauf, dass ich ihm ein Geheimnis verrate. »Das ist mir klar. Aber das hat er letztes Jahr auch getan. Und die Jahre davor«, sagt er und stellt den Energydrink auf die Theke. »Und die vier.«

Unwillkürlich schaue ich auf seine Jeans, in deren Hosentasche sich die viereckige Packung abzeichnet. Als ich den Blick hebe, begegne ich Tristans. Er hat den Mundwinkel leicht angehoben und zwinkert mir zu.

»Willst du die nicht bezahlen?«, frage ich gerade laut genug, dass nur er mich hören kann.

Er lacht und fährt sich kopfschüttelnd durch die Haare. »Fast vergessen.« Er holt die Kondome heraus und wirft sie mit etwas zu viel Schwung auf die Theke, dann zückt er seine Kreditkarte.

»Also?«, fragt er noch einmal, während er seine PIN ins Gerät eingibt. »Wieso bist du hier?«

Ich unterdrücke ein Seufzen. Er hat ja recht. Jonathans Einladung war keinesfalls eine Überraschung. Man kann von ihm halten, was man will, aber man kann ihm nicht vorwerfen, er sei nicht hartnäckig gewesen. In all den Jahren, in denen ich ihn und die gemeinsamen Erinnerungen an unsere Freundschaft einfach nur hatte vergessen wollen, sind seine Einladungen mit sturer Regelmäßigkeit in mein E-Mail-Postfach geflattert. Er hat mich jedes Jahr zu den Treffen eingeladen. Erst zu sich nach Hause, irgendwann in einen digitalen Zoomraum. Und das, obwohl er nicht ein einziges Mal auch nur eine Absage von mir erhalten hat. Nein. Ich habe ihn mit Schweigen gestraft.

Mail für Mail. Jahr für Jahr.

Doch er hat geschrieben.

Mail für Mail. Jahr für Jahr.

In diesem Jahr ist es anders. Eigentlich hatte ich Jonathans Einladung löschen wollen, so wie alle anderen davor, aber irgendetwas hatte mich zurückgehalten.

Es vergingen ein paar Tage, in denen ich einen großen Bogen um meinen Laptop machte und die Mail ignorierte, als würde sie sich von allein in Luft auflösen. Doch das tat sie nicht, und irgendwann begann ich mir vorzustellen, wie es wäre, sie alle wiederzusehen. Mit ihnen zu reden. Mit ihm zu reden.

Eine absurde Vorstellung, wenn man bedenkt, was er mir angetan hat, und trotzdem war da dieser Teil in mir, der genau das wollte. Sie alle wiedersehen. Mit ihnen reden. Schließlich erkannte ich, dass es Neugierde war. Was war aus ihnen geworden? Wie hatten sie ihr Leben weitergelebt? Was hatte ich verpasst?

Ein paar Tage vergingen, bis ich schließlich die Bettdecke zurückschlug, über den kühlen Dielenboden zum Esstisch schlurfte und meinen Laptop aufklappte. Das grelle Monitorlicht blendete mich, doch nach einigen Sekunden hatte ich mich daran gewöhnt. Keine Ahnung, wie spät es war. Ich erinnere mich nur daran, dass irgendwann zaghafte Sonnenstrahlen durch die Rollläden fielen, während ich noch immer auf den Cursor blickte, als hoffte ich, meine Antwort würde sich von selbst tippen. Denn nach all den Jahren des Schweigens fühlte es sich an, als würde ich einem Zug hinterherrennen, der bereits vor langer Zeit abgefahren war.

Ich probierte Verschiedenes aus. Experimentierte mit Worten. Doch am Ende schrieb ich bloß:

Hey,

ich freue mich, dass du an mich gedacht hast. Ich komme gern.

Gruß, Kiano

Dann klappte ich den Laptop zu und ging ins Bett, wo ich meinen ersten Urlaubstag nach sieben Monaten verschlief.

»In diesem Jahr habe ich mich eben anders entschieden, es ist immerhin fünf Jahre her«, erkläre ich verspätet, ehe ich dem Tankwart ein kurzes Lächeln schenke. »Die eins.«

»Ja, umso besser. Das wird sicher ein super Abend. Und hey! Endlich wieder ein Krimidinner. Die letzten Jahre haben wir drauf verzichtet, also ist das sozusagen eine Premiere.«

Früher haben wir mindestens zweimal pro Jahr ein Krimidinner gemacht. Zum einen, weil wir es geliebt haben zu rätseln, zum anderen, weil wir es geliebt haben, uns von Jonathan bekochen zu lassen.

»Habt ihr die letzten Male keins gemacht?«, frage ich dämlich, obwohl die Antwort auf der Hand liegt.

»Nein. Nach Marias Verschwinden hatte das irgendwie einen komischen Beigeschmack. Aber es ist jetzt fünf Jahre her, und sie hat es ja auch sehr geliebt, also …« Fast klingt es wie eine Rechtfertigung.

»Schon klar«, sage ich bloß, ehe wir den Shop verlassen.

»Na gut, dann …«

»Wir sehen uns später.« Tristan zieht mich noch mal in eine Umarmung. »Bis nachher, ich freu mich, dass du dabei bist.«

»Danke, ich mich auch«, lüge ich, während ich schon nach Alexandras Hand greife.

»Hat mich gefreut.«

»Mich auch.«

Sie lächelt, dann lösen wir uns voneinander und gehen zu unseren Autos.

Ich steige ein und atme laut aus, als sich die Tür mit einem dumpfen Laut schließt. Einen Augenblick starre ich vor mich hin, muss dem Drang widerstehen, den Kopf gegen die Nackenstütze sinken zu lassen und die Augen zu schließen. Stattdessen öffne ich das Handschuhfach und suche nach dem Fläschchen Desinfektionsmittel, wobei mir die Einladung in die Hände fällt. Sie kam in einem schlichten schwarzen Umschlag mit geschwungener Schrift.

Lieber Kiano,

wir freuen uns, Dich in diesem Jahr zu einem Dinner voller Spannung, Intrigen und Rätselspaß ins Restaurant The Ark in die Eifel einladen zu dürfen. Von dort aus begeben wir uns gemeinsam nach New York zu einer exklusiven Bar-Eröffnung im berühmt berüchtigten Chrysler Club Hotel.

Erlebe einen Abend voller Geheimnisse, die den brisanten Mordfall der Ella Teresia umranken. Serviert werden ein fulminantes Drei-Gänge-Menü, ausgewählte Cocktails, eine Prise Nervenkitzel und zum Dessert ein Mörder.

Appetit bekommen? Du bist eingeladen, am 13. Mai um 17:30 Uhr ins Restaurant The Ark zu kommen. Aufgrund der außerordentlich exklusiven Lage findest Du auf der Rückseite eine Karte, auf der der Treffpunkt markiert ist, an dem Du Dich bitte um 17:00 Uhr einfindest. Dort wird ein Shuttle bereitstehen und Dich zur Location bringen.

 

Deine Rolle für den Abend ist Ano Wolf:

Ano Wolf erstickt in Arbeit, weshalb man ihn nur bei Abendveranstaltungen zu Gesicht bekommt. Dort merkt man ihm die Überarbeitung jedoch an, weshalb er Hilfe in Form von Muntermachern nötig hat. Seine Freunde sind gern bereit, ihm angesagte Trenddrogen ins Jackett zu stecken.

Kostümvorschlag: legerer Anzug, locker geknöpftes Hemd, lose Krawatte um den Hals.

 

Bitte gib uns bis zum 15. April Bescheid, ob Du am Dinner teilnimmst. Bei Teilnahme wird um passende Kleidung gebeten. Darüber hinaus bitten wir Dich, Hunger und Deine Spürnase mitzubringen – beides wirst Du brauchen.

Wir zählen auf Dich und freuen uns auf einen unvergesslichen Abend voller Nervenkitzel, hervorragendem Essen und mörderischem Rätselspaß.

 

Es grüßen

Jonathan Winterkamp und Lotta Haas

Ich lasse die Einladung sinken. Tristan rollt gerade mit Alexandra vom Tankstellengelände und winkt mir noch einmal zu – breit grinsend und voller Vorfreude. Unwillkürlich denke ich an den Tristan von früher. An den irren Ausdruck in seinen Augen, wann immer er getrunken hatte. Und an die giftigen Worte, die er durch Alkohol und Drogen in sich zu entfesseln schien, die durch die Luft schossen wie Patronenkugeln und einen immer dort trafen, wo es am meisten weh tat.

Einmal mehr an diesem Tag frage ich mich, weshalb ich zu diesen Leuten zurückkehre, weshalb ich sie nach allem, was sie getan haben, zurück in mein Leben lasse. Eins weiß ich jedoch mit Sicherheit – es geht mir dabei keineswegs um Vergebung.

3

Heute, 16:12 UhrTristan

Mit einer routinierten Bewegung streife ich mir das Kondom über, ehe ich sie umdrehe und mit einem Stoß in sie eindringe. Sie stöhnt, presst ihren perfekt geformten Po an meine Lenden.

Ich umfasse die weiche Haut fester, beginne, in sie zu stoßen. Ihr Stöhnen hallt von den Wänden wider, ist die Musik, zu deren Rhythmus ich mich bewege. Jede Zelle meines Körpers prickelt. Noch immer spüre ich ihre Zunge auf meiner Haut, fühle ihre Zähne, die mich vor wenigen Augenblicken sanft gebissen haben. Ich packe sie an den Handgelenken und ziehe sie zu mir hoch.

Sie beugt den Rücken, dann schmiegen sich ihre Kurven an mich, und ihr blumig süßer Duft steigt mir in die Nase.

Ich schließe die Augen, wandere mit den Fingern erst über ihre Hüften und von dort zu ihren Titten hinauf. Sie hängen schwer und voll herab, schmiegen sich perfekt in meine Hände. Ich umschließe sie, spüre die zarten Knospen gegen meine Handflächen drücken und presse ihren Körper fester an mich.

Als ich die Augen wieder öffne, begegne ich unserem Spiegelbild. Wir sind eng ineinander verschlungen. Ihre Titten wippen auf und ab, ihre Haut ist so dünn und gespannt, dass die Konturen ihrer Rippen hindurchschimmern. Sie hat die Augen geschlossen, stöhnt. In dieser Position sieht sie beinahe aus wie sie. Der Anblick turnt mich dermaßen an, dass ich mich kaum zügeln kann.

Ihr Stöhnen wird lauter, meine Stöße fester.

Das Bettgestell wackelt, knallt in gleichmäßigem Takt gegen die Wand.

Bum. Bum. Bum.

Ich ficke sie, bis ich komme, dann ziehe ich mich aus ihr zurück und gehe ins Bad, wo ich mir eine ausgiebige Dusche gönne. Normalerweise lasse ich mich nach dem Sex neben sie fallen und mache ein Nickerchen – eine Angewohnheit, die mit zunehmendem Alter zur Routine geworden ist –, aber dafür ist heute keine Zeit.

Ich steige aus der Dusche, wickle mir ein Handtuch um die Hüfte und nehme mein Rasiermesser zur Hand. Zwar habe ich meinen Bart gestern schon gestutzt, aber die Kanten sind noch unsauber. Meine dunklen Barthaare schimmern zu schnell durch die weiße Haut, als dass es am nächsten Tag noch gepflegt aussehen würde. Während das Rasiermesser über meine Haut gleitet, wandern meine Gedanken zurück zur Tankstelle. Ich habe Kiano sofort erkannt. Die langen, geradlinigen Schritte, die perfekt abgestimmten Designerklamotten, die aufrechte Haltung, die nur Menschen mit zu viel Geld oder Selbstbewusstsein haben – meistens beides.

Kurz hatte ich überlegt, nicht zu ihm zu gehen. Zu schauen, was er tun würde. Ob er sich zu mir umdrehen oder ob er vorgeben würde, mich nicht zu erkennen. Dabei war eines sicher – er musste meine Stimme bemerken. Man kann vielleicht die Menschen aus seinem Leben streichen, aber nicht die Erinnerungen an sie. Das bestätigte mir auch sein Körper, der sich zusehends verkrampfte, sobald ich den Mund aufmachte. Mit einem Mal war er steifer als so manche Latte auf Viagra. Aber dann überraschte er mich doch noch. Statt zu flüchten, wählte er die Konfrontation, ein Verhalten, das mich überrumpelte. Das und sein selbstgefälliger Blick, als er mich fragte, ob ich die Kondome nicht bezahlen wolle.

Dieser kleine Wichser.

Früher hatte er nie etwas gesagt. Hatte es absichtlich nicht bemerkt, wenn etwas in meiner Hosentasche verschwunden war. Weshalb auch? Ich habe nie etwas von Wert geklaut, immer nur Kleinigkeiten.

Doch scheinbar ist aus Kiano – einem meiner ehemals besten Freunde – in den letzten Jahren nicht nur ein Fremder, sondern auch noch ein Arschloch geworden. Äußerlich hingegen hat er sich kaum verändert. Klar, er hat ein paar Falten mehr, aber da ist noch immer dieser leidende Ausdruck in seinen dunklen Augen. Diese zusammengepressten Lippen mit den herabhängenden Mundwinkeln, mit denen er früher auf jeder Party der Stimmungskiller war.

Ich bemerke aus den Augenwinkeln eine Nachricht auf meinem Handy.

Alles vorbereitet? Sollen wir noch mal irgendwas durchgehen?

»Shit«, fluche ich, als ich spüre, wie die Klinge mir ins Fleisch schneidet. Blut quillt aus meiner Wange. Ich werfe das Rasiermesser ins Waschbecken, sehe zu, wie Blut und rosa Rasierschaum auf die Armaturen spritzen.

Es klopft. »Alles okay?«

Eilig wische ich über das Handydisplay, damit die Nachricht verschwindet.

»Ja, ich …« Die Tür öffnet sich, obwohl ich sie nicht hereingebeten habe.

Alex hat sich ein weißes Laken um den Körper geschlungen, als ob wir in einem dieser kitschigen Hollywoodstreifen wären, die sie sich immerzu reinzieht. Mit ihr wabert der Geruch von Schweiß und Sex ins Bad. Vermischt sich mit dem herben Duft des Duschgels.

»Du hast dich geschnitten«, murmelt sie.

Ach was, denke ich und kann die Worte gerade noch so zurückhalten. Stattdessen reiße ich etwas Klopapier ab, um das Blut wegzuwischen, das mir über die Wange läuft wie eine Träne.

»Lass mich mal«, sagt Alex und kommt zu mir herüber. Sie nimmt mir das Klopapier aus der Hand und beginnt, in ihrer Kosmetiktasche zu wühlen. Sie scheint zu finden, was sie sucht, denn als sie sich mir wieder zuwendet, hat sie einen Wattebausch in der Hand, den sie behutsam auf die Wunde drückt.

»Warum hast du das nicht gestern schon gemacht?«, fragt sie. Ihr Atem riecht nach mir,und ich beschließe, mir die Zähne zu putzen, bevor ich aufbreche.

»Weil ich dann heute wieder Stoppeln gehabt hätte. Du weißt doch, wie schnell mein Bart wächst.«

Sie lacht und drückt ein bisschen fester zu. »Für wen willst du denn so gut aussehen?« Obwohl sie sich alle Mühe gibt, es beiläufig klingen zu lassen, weiß ich genau, worauf sie hinauswill.

»Bitte, Alex, nicht schon wieder«, stöhne ich, obwohl ich ihr eigentlich keinen Vorwurf machen darf. Schließlich liegt es tatsächlich an Hanna, dass ich mich erst heute rasiere. Sicher, es hat einen Grund, dass sie meine Ex ist, aber wann immer wir uns sehen, ist da dieser unausgesprochene Wettkampf zwischen uns. Sie, die so tut, als würde sie mich nicht mit der Kneifzange anfassen. Ich, der ihr mit Blicken zu verstehen gibt, dass ich sie jederzeit wieder haben könnte. Doch am Ende ist es nur ein Spiel. Ein Spiel, das wir in unseren Köpfen austragen. Ein Spiel ohne Konsequenzen.

Alex zieht das Laken enger vor der Brust zusammen und schiebt die Unterlippe etwas vor. Sieht mit einem Mal aus wie ein kleines Kind. Einen Moment bleibt sie so stehen, beobachtet mich, als erwarte sie, dass ich noch irgendwas sage, aber schließlich dreht sie sich um und lässt mich zurück.

Ich warte, bis sie die Tür hinter sich zugezogen hat, dann schnappe ich mir mein Handy und antworte.

Nicht nötig, ich weiß, was ich zu tun habe.

Ich greife wieder zum Rasiermesser. Die Klinge glänzt im hellen Badezimmerlicht. Ich will es gerade ansetzen, als mein Blick auf die Einladung fällt. Ich hatte sie mit ins Bad genommen, um mir noch mal die Details durchzulesen. Auch wenn ich die Krimidinner-Tradition in den letzten Jahren nicht unbedingt vermisst habe und mich lieber unterhalte als zu spielen, so bin ich doch ein Fan davon zu gewinnen. Und egal, in welche Rolle ich heute werde schlüpfen müssen, egal, ob Zeuge oder Mörder, ich bin bereit, diese Rolle bis zur Perfektion zu spielen.

Deine Rolle: Stanley Gray

Stanley Gray hat sich von ganz unten nach ganz oben gearbeitet. Er ist Broker an der Wall Street und teilt sich ein Büro mit Nathan Cook.

Er genießt seine Erfolge und zieht regelmäßig mit seinen Freunden um die Häuser. Dabei bleibt er jedoch brav, schließlich wartet zu Hause jemand auf ihn.

Ich wische das Blut ab, das sich genau über brav ins Papier gefressen hat, dann setze ich das Rasiermesser wieder an.

4

Heute, 16:22 Uhr Hanna

Ich sollte nicht hier sein. Trotzdem bleibe ich sitzen. Zwinge mich dazu. In dem Versuch, mich von dem Gedanken abzulenken, was für eine dumme Idee das ist, greife ich in meine Jackentasche und hole die zerknüllte Packung Gauloises heraus. Ich sollte dringend mit dem Mist aufhören, aber immer kommt was dazwischen. Ein Streit hier, eine stressige Woche da … es scheint einfach nie der richtige Zeitpunkt dafür zu sein. Außerdem erwarten die Leute von einer Künstlerin fast schon, dass sie eine Fluppe im Mund hat – es ist Teil des Images, des Charmes. Entgegen meinem Vorsatz stecke ich mir also eine in den Mund. Ich muss runterkommen. Mich beruhigen.

Ich stoppe mit dem Fuß die Schaukel, ehe ich die Zigarette anzuzünden versuche. Meine Hände zittern so stark, dass ich mehrere Anläufe brauche. Sobald sich der Geruch von brennendem Tabak mit dem harzigen Duft des angrenzenden Waldes vermischt, beruhigen sich mein Herzschlag und meine Nerven.

Das hier ist nicht meine Welt. War es noch nie. Früher hat mein Bruder Jonathan sich um so was gekümmert. Er war derjenige, zu dem man ging, wenn man was brauchte – sicher und bequem. Aber nach jener Nacht im Juni vor fünf Jahren hat er mit dem Koksen aufgehört. Und wir anderen mit ihm.

Laut meiner Anti-Drogen-App ist das vier Jahre, elf Monate und sechs Tage her. Insofern bin ich auch nicht stolz, dass ich hier heute sitze. Zumal es nicht das erste Mal ist, dass ich was kaufe – die Anti-Drogen-App ahnt noch nichts.

In den letzten Monaten habe ich ständig von zwielichtigen Gestalten kleine Tütchen mit weißem Pulver entgegengenommen. Habe so viel gekokst, dass meine Nase brannte und ich Meerwasser-Nasenspray benutzte wie andere Labello.

Als dann die Einladung in meinen Briefkasten flatterte, war sofort klar, dass ich ein Wiedersehen – live und in Farbe, nicht nur digital wie die letzten Jahre – nur dann überstehen würde, wenn ich ein bisschen Unterstützung hätte. Ich überlegte fieberhaft, woher ich das Zeug bekommen könnte. In London kriegt man es über Freunde, von denen einer jemanden kennt, der jemanden kennt und so weiter. Aber wenn man durch die Sicherheitskontrolle muss, um in den Flieger zu steigen, nützt einem das überhaupt nichts.

Also bin ich extra einen Tag eher angereist und habe meine Eltern besucht, die in einem kleinen Kaff nahe der Stadt wohnen. In meinem alten Kinderzimmer mit der gelben Blümchentapete und dem Kurzflorteppich mit den unzähligen Farbklecksen habe ich überlegt, wie und wo ich am ehesten an Stoff komme.

Klein Hanna wäre entsetzt.

Schließlich habe ich mich auf das Elektrofahrrad meiner Mutter geschwungen und bin in eine dieser Dorfdiscos gefahren, in die man schon mit sechzehn reinkommt und wo das Bier nur eins fünfzig kostet. Auch das ist nicht mehr meine Welt, aber ich weiß noch immer, wie man sich dort bewegt.

Ich hatte Glück und bin schon am Eingang Kevin begegnet – einem schlaksigen, dauerbekifften Kerl, der im Kunstunterricht neben mir gesessen und seinen Ton gern mit Spucke anstatt mit Wasser verrieben hat. Wir haben ein wenig geplaudert, ich habe ihm ein Bier und einen Shot spendiert, und eine halbe Stunde später habe ich den Klub mit der Telefonnummer von einem Typen verlassen, den alle nur den Dealer nennen.

Ja, ich weiß, einfallsreich.

Plötzlich zuckt ein brennender Schmerz durch meine Lippen. Erschrocken lasse ich die Zigarette fallen – oder das, was davon übrig ist. Ich trete sie tiefer in den Sand hinein, dann schaue ich mich um. Ich bin noch immer allein auf der kleinen Lichtung, die auf der einen Seite von hohen Bäumen und auf der anderen von einer schmalen Straße eingerahmt wird. Seitdem ich hier bin, ist nicht ein Auto und kein einziger Wanderer vorbeigekommen, beinahe als wäre dieser Teil des Nationalparks verbotenes Terrain. Eigentlich sollte mich das nicht verwundern, der Dealer hat diesen Ort vermutlich genau deshalb vorgeschlagen.

Ich hatte mich mit ihm in einem Café treffen wollen, schließlich will ich nicht gemeuchelt werden, aber er hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sich nur hier mit mir treffen würde. Wahrscheinlich macht er jede Übergabe hier. Nicht sehr schlau, wenn man nicht erwischt werden will. Aber nicht mein Problem.

Mein Problem hingegen ist, dass ich nun hier auf diesem verlassenen Spielplatz hocke – wenn man das winzige Klettergerüst und den kleinen Sandkasten mit zwei Schaukeln wirklich so nennen will – und er nicht kommt.

Was, wenn er einen Rückzieher macht? Denkt, ich könnte eine verdeckte Ermittlerin sein oder so was? Aber ich habe extra Kevins Namen erwähnt – der wohl der beste Kunde des Dealers sein muss, wenn er das Marihuana mittlerweile nicht selbst im Keller anbaut.

Bevor ich mich hineinsteigern kann, höre ich in der Ferne – aber doch zu nah – das Knacken eines Astes.

Ich schaue mich um, scanne die Bäume und Büsche ab. Aber selbst wenn da jemand wäre, könnte ich ihn zwischen den dichten Blättern und Sträuchern kaum ausmachen. Einmal mehr wird mir klar, dass ich hier sitze wie auf dem Präsentierteller.

Hör auf damit! Wahrscheinlich war es nur ein Eichhörnchen, versuche ich mich zu beruhigen, aber die Anspannung bleibt.

Ich sollte mein Leben echt nicht für diesen Scheiß aufs Spiel setzen. Niemand weiß, dass ich hier bin. Nicht einmal mein Bruder. Was hätte ich ihm auch sagen sollen?

»Oh, übrigens, ich kokse wieder, deshalb treffe ich mich heut mit einem zwielichtigen Typen irgendwo im Wald. Nur dass du Bescheid weißt, falls ich nicht zum Dinner erscheine. Wahrscheinlich liege ich dann in Einzelteile zerhackt irgendwo unter der Erde und verwese vor mich hin.«

Darüber hinaus wollte ich ihm auch nicht sagen, dass ich schon hier bin, weil er sich dann verpflichtet gefühlt hätte, mir das Gästebett in der Puppenstube anzubieten, in der er aktuell mit meiner ehemaligen Freundin Lotta wohnt, und ich hätte mich verpflichtet gefühlt, die Einladung anzunehmen. Schließlich sind wir eine Familie. Aus einer Nacht in ihrem Puppenstubenhaus wären also zwei geworden, und das wollte ich nicht.

Es liegt nicht an ihm. Ich liebe meinen Bruder, das tue ich wirklich. Nur steht er für mich ebenso für die Vergangenheit wie Lotta, mein Ex-Freund Tristan und Kiano. Sie alle sind Teil eines Lebensabschnitts, den ich einfach nur vergessen will. Sind Teil des Davors, dessen Ende mein Leben in zwei Hälften schneidet.

Wenn ich sie ansehe, sehe ich Verlust. Ich sehe alles, was ich verloren habe, und alles, was ich niemals zurückbekommen werde – meine Unbeschwertheit, meine beste Freundin, meine Schwester.

Also versuche ich, sie so wenig wie möglich zu treffen, mich dem Schmerz zu entziehen. Das Gute ist, dass sich ihr Leben auch in ein Davor und ein Danach unterteilt. Denn wann immer wir zusammen sind, vermeiden wir so entschieden, über das Davor zu sprechen, dass wir damit enden, über Belangloses wie das Wetter, Lottas Patienten oder Sport zu reden – zum Glück. Ich weiß, sich zu unterhalten und dabei nicht wirklich miteinander zu sprechen mag erst mal traurig klingen, aber ich schätze, es ist besser so. Alles ist besser als dieser Schmerz. Einmal haben wir es doch versucht, aber es endete mit Wut und Tränen. Mit Lotta, die sagte, Maria sei tot, während ich darauf beharrte, dass man ihre Leiche nie gefunden habe und es keine Beweise für ihren Tod gäbe. Am Ende weinten wir beide, und wir haben das Thema seither gemieden. Eigentlich ist es auch egal – Maria ist fort, wohin auch immer sie gegangen ist. Nur dass wir uns ansonsten für eine Familie recht wenig zu sagen haben. Ihr Verlust hat uns zu Fremden gemacht, die sich trotzdem aneinander festklammern, weil ihnen nicht viel geblieben ist. Schon absurd, wie uns die Vergangenheit gleichermaßen entfremdet und aneinanderschweißt.

Wie auch immer, deshalb habe ich uns – oder mir – ein zusätzliches gemeinsames Abendessen erspart.

Ich erschrecke, als ich spüre, wie mir eine Träne die Wange hinunterrinnt. Eilig, fast schon aggressiv, wische ich sie fort, ehe ich mir noch eine Zigarette anzünde. Gierig nehme ich einen langen Zug, bis sich meine Lunge ausdehnt und mein Hals brennt.

Dann – endlich – höre ich das gleichmäßige Brummen eines Autos. Das muss er sein. Ich schiebe eine freie Hand in die Manteltasche, um das Pfefferspray zu greifen, das ich meiner Mutter aus einer ihrer zig Handtaschen geklaut habe.

Schließlich kommt ein BMW in Sicht – tiefergelegt und lila foliert. Der Wagen glitzert im Licht der Sonne und rast mit röhrendem Motor heran. Das Geräusch tut mir in den Ohren weh, und ich bin froh, als die Karre zum Stehen kommt.

Ein junger Mann steigt aus. Er ist groß. Sicher zwei Köpfe größer als ich. Die Hose hängt tief und gibt einen unangemessenen Blick auf seine karierten Boxershorts frei. Das Gesicht versteckt er unter einer Kapuze, die ihm tief in die Stirn hängt.

Mein Unbehagen wächst mit jedem Schritt, den er näherkommt.

Ich schließe meine Hand fester um das Spray, fahre mit dem Zeigefinger über die erhabenen Buchstaben, die die Worte Pfefferspray zur Tierabwehr bilden, während ich mich innerlich wappne.

Als er fast vor mir steht, entspanne ich mich etwas. Er ist jung. Zu jung für das hier. Für die Drogen. Fürs Dealen. Mit solchen Kids habe ich in meinem Job oft zu tun. Arm, wütend, vergessen. Genau sie brauchen die Kunst mehr als alle anderen, finden einen Sinn in ihrem Ausdruck und verstehen durch sie, wer sie sind. Die Kunst ist ihre Rettung.

So, wie sie auch meine Rettung gewesen ist.

Aber er ist keiner von deinen Kids, erinnert mich eine eindringliche Stimme, und ich reiße mich von meinen Gedanken los.

»Hi«, sage ich und will mich erheben, doch er lässt sich neben mir auf die zweite Schaukel sinken, während er sich umschaut. Es wirkt, als erwarte er, dass jeden Moment jemand kommt. Als würde er nach etwas oder jemandem Ausschau halten. Ich werde das Gefühl nicht los, mich geradewegs in einer Falle zu befinden.

Bitte nicht.

»Dreihundert, wie besprochen«, sagt er und hält mir seine Hand hin.

Ich betrachte sie. Die Hornhaut an den Handballen, den Dreck an den Fingerkuppen. Unwillkürlich muss ich an Jonathan denken. Daran, wie er mir vor fünfundzwanzig Jahren seine dreckige, blutige Hand hingehalten hat. Daran, wie ich sie ergriffen habe und er mich aus der Wohnung geführt hat, in der wir damals mit unseren Erzeugern wohnten und in die wir nie wieder zurückkehren sollten.

Es war das letzte Mal, dass wir sie gesehen haben. Danach hatte es nur noch uns beide gegeben. Mich und ihn. Bis wir adoptiert wurden und ich fortan eine andere Frau mit Mama ansprach.

»Äh, hallo? Alles okay mit dir?«, reißt mich der Typ aus meinen Gedanken. Noch immer streckt er mir die dreckige Hand entgegen.

»Ja, sicher«, sage ich und schüttle den Kopf, dann versenke ich meine Zigarette im Sand, greife in meine Manteltasche und ziehe die Scheine hervor. Ich will nachzählen, ob es auch genug sind, aber da reißt er sie mir schon aus den Fingern, steht auf und wirft mir ein lächerlich kleines Tütchen zu, ehe er sich abwendet.

Ich sollte auch aufbrechen, bin spät dran, wenn man bedenkt, dass ich mich noch fertig machen muss … aber ich bleibe sitzen, will, dass er zuerst von hier verschwindet.

Ich beobachte, wie er davonschlurft, und unterdrücke den Impuls, in den Wald zu fliehen, um möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen.

Erst als er in seinen BMW gestiegen und davongerauscht ist, öffne ich die Hand in der anderen Manteltasche, die das Pfefferspray noch immer umklammert hält, und greife nach meinem Handy. Beim Blick auf die Uhrzeit erschrecke ich.

Ich muss dringend los. Ich stoppe die Schaukel mit dem Fuß und gehe zum Mietwagen hinüber. Er hat gerade mal fünftausend Kilometer runter und riecht noch ganz neu.

Erst als ich einsteige, merke ich, wie kalt mir tatsächlich ist. Ich schalte die Sitzheizung ein. Der Mai ist wechselhaft, in diesem Jahr eher ein April. Heute ist es mit fünfzehn Grad und immer wieder bewölktem Himmel fast schon kalt, während ich mir gestern die Jacke vom Leib reißen musste, kaum dass ich den Kölner Flughafen verlassen und mich bei strahlendem Sonnenschein zu meinem Mietwagen aufgemacht hatte.

Nachdem ich die Route ins Navi eingegeben habe, fahre ich los. Das Restaurant meines Bruders mit dem angrenzenden Wohnhaus befindet sich im Nationalpark in der Eifel, irgendwo an einem Steilhang, von dem aus man einen atemberaubenden Blick über den See und die umliegenden Wälder hat.

Früher habe ich immer davon geträumt, ein Atelier an so einem Ort zu haben – mit direktem Blick auf den Wald durch riesige Fensterfronten. Aber mittlerweile wäre es mir da zu still. Ich bevorzuge den Lärm der Großstadt – meckernde Nachbarn, bellende Hunde, das Heulen von Sirenen.

Während ich unter dem immer dichter werdenden Blätterdach des Waldes hindurchfahre, komme ich hin und wieder an ein paar Wanderern vorbei, die sich abseits der üblichen Pfade an der Straße entlangkämpfen – wahrscheinlich auf direktem Weg zu ihren Autos.

Trotz der schützenden Bäume spüre ich, wie der Wind angezogen hat. Er drückt gegen den Wagen, peitscht Blätter über den Asphalt. Als ich schließlich den Parkplatz erreiche, überlege ich, Jonathan oder Lotta anzurufen.

Ich weiß, dass sie eine Sondergenehmigung und einen teuren Geländewagen besitzen, um Gäste zu shutteln. Andererseits kann ich ein bisschen frische Luft gut gebrauchen, um den Kopf freizukriegen und mich gedanklich auf sie alle vorzubereiten. Außerdem haben sie wahrscheinlich genug zu tun und sind froh, wenn sie mich nicht abholen müssen. Also steige ich aus, hänge mir die Reisetasche um die Schulter und laufe los.

Schon nach wenigen Schritten, bin ich nur noch von Wald umgeben. Dichte Gräser wachsen entlang des Weges, und massive Wurzeln ragen zu beiden Seiten aus den unebenen Hügeln hervor.

 

Gut zwanzig Minuten später kommt endlich das Restaurant in Sicht. Wie eine Burg thront es am Hang, hebt sich vor der malerischen Kulisse des Sees und des Waldes ab, der sich auf der anderen Seite des Ufers majestätisch dem Himmel entgegenstreckt. Ein dünner Sonnenstrahl hat sich durch die dichte Wolkendecke gekämpft und bringt das moderne Gebäude aus Holz und Glas zum Strahlen. Es wirkt wie ein übergroßer Diamant, der dort abgelegt und vergessen wurde. Kunst, die bewundert, aber nicht angefasst werden soll. Lediglich die hintere Seite des Hauses ist nicht verglast, fast als hätte es etwas gebraucht, das das Fundament im Boden verankert.

Mit letzter Kraft – die Reisetasche ist dermaßen schwer, dass ich mir einbilde, schon eine wunde Schulter zu haben – nähere ich mich dem modernen Flachbau. Dabei lasse ich den Blick über die gläserne Front gleiten, hinter der sich, meiner Erinnerung nach, die Bar befindet, suche nach einem bekannten Gesicht. Plötzlich bilde ich mir tatsächlich ein, eine Gestalt hinter der Scheibe auszumachen.

Erst glaube ich, es ist Lotta, aber als ich genauer hin-schaue –

Ich stolpere, lasse die Reisetasche fallen, blinzle, schaue erneut hin. Doch die Gestalt ist fort.

Ich stehe da, starre wie angewurzelt auf das Fenster, hinter dem ich sie eben noch gesehen habe und in dem sich jetzt nur noch meine eigene Silhouette spiegelt.

»Kann das sein?«, spreche ich meine Gedanken laut aus, nur um im selben Moment zu merken, wie bescheuert diese Frage ist.

Nein. Es kann nicht sein. Niemals. Maria kann nicht hier sein. Und doch … Ich habe sie gesehen.

Ich schüttle den Kopf, schließe die Augen, um mich zu sammeln.

Dein Kopf spielt dir Streiche, das ist alles. Lass los, Hanna.

Ich drehe mich um und laufe in die entgegengesetzte Richtung.

Ich hätte nicht herkommen sollen.

5

Heute, 16:59 Uhr Jonathan

Immer wenn ich an Kiano denke, denke ich an das Letzte, was er zu mir gesagt hat, bevor er aus meinem Leben verschwunden ist.

Ich hoffe, das Geld war die ganze Sache wert. Eines Tages wirst du deine gerechte Strafe dafür bekommen. Ich hoffe, dass du dann an das hier denkst.

Mit diesen Worten hatte er sich abgewandt, die Heckklappe zugeknallt und war in den Wagen gestiegen.

Als er jetzt mit seinem glänzenden Mercedes auf den Parkplatz rollt, hallen mir diese Worte erneut durch den Kopf.

Denk einfach immer daran – er würde nicht kommen, wenn er noch sauer wäre, hat Lotta heute Morgen gesagt, und ich versuche, in Gedanken Kianos Abschiedsworte mit diesen zu ersetzen.

Er lässt sich Zeit beim Aussteigen, streicht dann seinen Trenchcoat glatt und fährt sich über die schwarzen Afrohaare, ehe er die Tür zuwirft und ein dumpfer Knall über den Parkplatz hallt.

Ich hatte gehofft, dass Tristan bereits da wäre, wenn Kiano ankommt. Er hat mit unserem Streit nichts zu tun und wäre ein guter Puffer … Nur hätte mir wohl klar sein müssen, dass das nicht passieren wird.

Kiano war meistens zwei Minuten zu früh, Tristan eher zwanzig Minuten zu spät – und scheinbar ist das etwas, das sich nicht geändert hat. Allerdings wundert mich, dass auch meine Schwester noch nicht da ist. Sie ist immer pünktlich, dafür haben unsere Adoptiveltern gesorgt.

Aber wie man es auch dreht und wendet, weder Tristan noch Hanna sind hier, also muss ich die Begrüßung ohne sie hinter mich bringen. Unbeholfen wische ich mir die Hände an der Anzughose ab, die ich zuletzt am Eröffnungsabend des Restaurants vor gut acht Monaten anhatte. Sie sitzt mittlerweile etwas enger und zwickt mir unangenehm im Schritt. Ich unterdrücke den Drang, sie zurechtzurücken, straffe stattdessen die Schultern und laufe ihm entgegen.

»Kiano«, rufe ich winkend, als würde er mich nicht erkennen, und komme mir sogleich wie der letzte Trottel vor.

Mein ehemals bester Freund lächelt verhalten und schaut, ob außer uns noch jemand hier ist. Doch wie ich wenige Sekunden zuvor, muss auch er feststellen, dass wir allein sind. Schließlich treffen sich unsere Blicke.

»Jonathan.« Er zieht meinen Namen unnatürlich in die Länge, und es ist merkwürdig, nach all den Jahren seine Stimme zu hören. Erst da wird mir bewusst, dass ich ihren Klang vergessen hatte.

Als wir einander erreichen, streckt er die Hand aus. Ich will ihn umarmen. Am Ende wird es ein peinliches Zwischending, bei dem wir uns die Hand schütteln und uns trotzdem irgendwie auf die Schulter klopfen, die Gesichter unangenehm nah aneinander. Das Erste, was mir auffällt, ist, dass ihm noch immer dieser Duft von Reichtum anhaftet – auf eine unaufdringliche Art frisch und sauber.

»Ja, Mensch … lange nicht gesehen«, sage ich und knete mir die Hände.

Kiano schaut mich einen Moment an, dann lächelt er steif. »Kann man wohl so sagen.«

»Hast du gut hergefunden?«, frage ich, wobei ich ihn verstohlen mustere. Er hat sich kaum verändert, ist noch immer das Ergebnis von sportlicher Disziplin, wenig Alkohol und guter Körperpflege. Lediglich in seinem Gesicht haben sich die vergangenen Jahre in die Haut gegraben. Ein Beweis mehr, dass gegen die Zeit auch die besten Cremes nichts helfen.

»Ja. Mit dem Navi kommt man ja heutzutage überallhin.« An der Art, wie er die Brauen zusammenzieht, merke ich, dass er selbst nicht glücklich über diese Aussage ist, doch nun sind die Worte gesagt, und mir bleibt nichts, als peinlich berührt zu nicken.

Ich suche krampfhaft nach einem anderen Thema, aber mir will nichts einfallen. Es gibt wenig Schlimmeres, als wenn man sich nichts zu sagen weiß. Andererseits ist es nicht so, dass es nichts gibt, eher weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Manchmal ist zu viel eben gleichbedeutend mit nichts.

»Wie lange warst du unterwegs?«, frage ich schließlich und schiebe die Hände in die Taschen der Anzughose. Der Wind hat aufgefrischt, und die Kälte kriecht mir unter das dünne Hemd.

»Gute drei Stunden.«

»Oh, doch so lange. Hast du im Stau gestanden? Von Köln braucht man doch nur ungefähr ’ne Stunde hierher.«

»Ja, aber ich lebe mittlerweile in Frankfurt.«

»Ach, stimmt ja«, erinnere ich mich an die Adresse, die er mir zugemailt hatte, damit ich ihm die Einladung zukommen lassen konnte.

»Ja«, sagt er, und ich glaube, in diesem Moment wird uns beiden klar, wie bizarr unser Wiedersehen ist.

Ich weiß gerade mal, wo er wohnt, doch da hört es auch schon auf. Habe keine Ahnung, ob er eine Partnerin – oder einen Partner – hat, vielleicht sogar verheiratet ist und Familie hat. Weiß nicht, was er beruflich macht, geschweige denn, wie er seine Freizeit verbringt. Ich habe einen Fremden eingeladen, und er kommt zu einem Fremden zu Besuch.

Bevor ich in die Bedrängnis gerate, etwas zu antworten, biegt ein weiterer Wagen auf den Parkplatz ein, und ich atme erleichtert auf. »Das ist Tristan«, sage ich, und mir entgeht nicht, wie auch Kiano einen Schwall Luft entweichen lässt.

Wir wenden uns beide dem Wagen zu, und ich hebe grüßend die Hand, als wären wir ein Empfangskomitee. Ich erwarte, dass Tristan den Wagen irgendwo parkt, aber stattdessen hält er mitten auf dem Parkplatz an. Erst als ich ein zweites Mal hinschaue, realisiere ich, dass er gar nicht fährt.

Ich versuche zu erkennen, wer den Wagen steuert, kann aber nur braune, voluminöse Haare und Konturen ausmachen. Die beiden Gestalten beugen sich einander entgegen, ehe die Beifahrertür aufschwingt und Tristan herausspringt.

»Ganz schön pünktlich. Hat der die Uhr falsch gestellt?«, murmelt Kiano, und ich lache.

»Er hat seit neustem eine Apple Watch. Seitdem er die Uhrzeit nicht mehr an den Zeigern ablesen muss, ist er immer on time.« Nun ist es an Kiano zu lachen, und für einen winzigen Moment ist es wie früher.

»Was sagt ihr?«, fragt Tristan und deutet auf seinen nagelneuen Cupra. Seine Begrüßung erscheint mir unangemessen vertraut. Immerhin haben er und Kiano sich jahrelang nicht gesehen, und das Erste, was er wissen will, ist, wie wir seinen Wagen finden? Oder hat Kiano nur uns – Lotta und mich – gemieden? Nein, Tristan hätte uns gesagt, wenn er noch mit ihm zu tun gehabt hätte. Außerdem haben sie sich nie besonders nahegestanden, wieso also hätten sie in Kontakt bleiben sollen? »Hundertneunzig PS und hundertvierzig kW.« Er grinst wie ein kleiner Junge, ehe er die Tür zuwirft und sein Jackett zurechtzieht. Auch er trägt einen Anzug, hat sogar eine Fliege lose um den Hals baumeln. Das weiße Hemd ist aufgeknöpft und gibt den Blick auf braun gebrannte, glatt rasierte Haut frei.

»Schick, schick. Gab’s die Fahrerin kostenlos dazu?«, scherze ich.

Er klopft auf die Motorhaube, dann kommt er grinsend zu uns herüber.

»Was denkst du denn?« Grinsend zieht er mich in eine Umarmung und klopft mir freundschaftlich auf den Rücken. Der penetrante Geruch seines Aftershaves kitzelt mir in der Nase.

Ich deute auf den wendenden Wagen. »Wieso hast du nicht gesagt, dass du Alex mitbringst?«

Soweit ich weiß, sind die beiden seit ein paar Monaten liiert, bisher kenne ich sie jedoch nur von Erzählungen.

»Wie jetzt? Wir machen es doch heute Abend wie früher, oder?« Er hebt erwartungsvoll die Brauen und zeigt mit einer Geste an, dass er vorhat, sich volllaufen zu lassen. »Außerdem ist Alex sowieso nicht so der Fan von Spielen. Sie bevorzugt tiefsinnige Gespräche, wisst ihr«, legt er nach, bevor er zu Kiano geht. »So sieht man sich wieder«, sagt er und klopft ihm auf den Rücken.

Ich runzle die Stirn. »Habe ich was verpasst?«

»Ja, das große Wiedersehen an der Dorftankstelle vor dem Kühlregal«, erklärt Tristan und ringt mir damit ein Lachen ab.

»Fehlt nur noch Hanna«, sage ich und blicke zur Einfahrt des Parkplatzes. Ich hole mein Handy raus und wähle ihre Nummer. Es klingelt ganze vier Mal, bis ich ihre atemlose Stimme höre.

»Hi, Bruderherz, was ist los?« Irgendwas rauscht, und ihre Stimme verliert sich darin.

»Wo steckst du?«

Das Rauschen verklingt, und einen Moment herrscht Stille. Ich nehme das Telefon vom Ohr und schaue aufs Display, um mich zu vergewissern, dass sie noch dran ist.

»Ich bin bei euch«, sagt sie nach einigen Sekunden.

»Bei uns?«

»Na, in eurem Haus.«

Blinzelnd schaue ich zu Tristan und Kiano, die mich abwartend ansehen. Ich wende ihnen den Rücken zu und entferne mich einige Schritte.

»Wieso weiß ich davon nichts, Hanna?«, frage ich mit gesenkter Stimme.