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Zwei rätselhafte Männer – einer ungezähmt und wild, der andere kultiviert und charmant. Wer wird Eleonoras Herz erobern?
Vier Jahre lang hat Eleonora ihre Kindheitsfreundin nicht gesehen, als sie von ihr auf ein idyllisches Landgut in der Toskana eingeladen wird. Dort lebt Corinne mit Alessandro, einem brillantem Geschäftsmann, gutaussehend, höflich und kultiviert, zu dem sich Eleonora auf Anhieb hingezogen fühlt. Doch auch seinem Bruder Emanuele, dem etwas Dunkles, Unberechenbares anhaftet, kann sie kaum widerstehen. Die Männer wissen um ihre Anziehungskraft und beginnen ein undurchsichtiges Spiel mit ihr. Dabei spürt sie, dass die beiden ein Geheimnis hüten, dem sie nach und nach auf die Spur kommt …
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Seitenzahl: 377
Veröffentlichungsjahr: 2016
Buch:
Jahrelang hat Eleonora ihre Kindheitsfreundin nicht gesehen, als sie von ihr auf ein wunderschönes Landgut in der Toskana eingeladen wird, wo Corinne mit Alessandro lebt, einem galanten, feinfühligen, kultivierten Geschäftsmann. Daneben gibt es noch seinen Bruder Emanuele, wild, ungestüm und von einer geheimnisvollen Anziehungskraft. Die beiden Männer wissen um ihre Wirkung und beginnen ein undurchsichtiges Spiel mit Eleonora, die sich zwar insgeheim nach Alessandro sehnt, Corinne aber auf keinen Fall hintergehen will. Emanuele ist es schließlich, der ihr zeigt, wie aufregend es sein kann, ab und an die Kontrolle zu verlieren – doch Eleonora merkt schnell, dass sich ein dunkles Geheimnis hinter seiner ungebremsten Leidenschaft verbirgt …
Autorin:
Sara Bilotti wurde 1971 in Neapel geboren, wo sie auch heute noch lebt. Sie hat klassischen Tanz studiert und arbeitet heute als Lehrerin und Autorin. Die Begehrte ist ihr erster Roman.
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SARA BILOTTI
Die Begehrte
Eleonoras geheime Nächte
Roman
Deutsch von Bettina Müller Renzoni
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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
L’oltraggio bei Giulio Einaudi Editore s.p.a., Turin
1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 2015 by Sara Bilotti
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016 by Blanvalet
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Angela Troni
Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de
Umschlagmotiv: © Getty Images/Westend 61
KW · Herstellung: kw
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-18688-3V001
www.blanvalet.de
An meinen Kapitän
1
Der Koffer wog schier das Doppelte, als Eleonora die lange weiße Landstraße entlangging, die zur Villa führte. Das lag nicht etwa an den Kleidungsstücken, die kaum Platz beanspruchten, sondern an der enormen Last der Niederlage, die sie ebenfalls im Gepäck hatte. Jetzt, da Eleonora jeden Moment Corinnes Lächeln, der heiteren Gelassenheit ihres Lebens und den festen Mauern ihres Zuhauses gegenübertreten würde, war die Last besonders schwer.
Sie wunderte sich nicht über ihre unterschiedlichen Lebensläufe. Seit Corinne zu ihrer Familie gestoßen war, hatte sie immer den besten Platz eingenommen. Sie verhielt sich wie eine Tochter, die sie aber nicht war, und musste daher mit besonderer Umsicht behandelt werden. Vielleicht war es die Melancholie in ihrem Blick oder die freundliche Zuneigung in ihren Augen, jedenfalls löste Corinne bei jedermann eine tiefe, entwaffnende Zärtlichkeit aus, die augenblicklich den Beschützerinstinkt wachrief.
Eleonora blieb auf der gepflasterten Allee stehen, um neben dem weißen Tor, dessen feine Verzierungen an einen barocken Vorhang erinnerten, an der Gegensprechanlage zu läuten. Sie steckte den Kopf zwischen zwei Eisenstangen hindurch und spähte über den frisch gemähten Rasen, den runden Swimmingpool und die Terrakottafliesen unter den Duschen. Dann ließ sie den Blick bis zur Haustür schweifen, die sich über drei weißen Marmorstufen erhob. Nichts regte sich, kein Vogelgesang, kein Hundegebell war zu hören. Sogar die Olivenhaine, die die Villa umgaben, wirkten wie gemalt, wie am Hügel befestigte Schablonen aus Karton.
Sie seufzte, stellte den Koffer ab und drückte auf die Klingel. Für einen Augenblick erwog sie umzukehren. Kein normaler Mensch konnte diese Vollkommenheit ertragen. Sie schon gar nicht, nachdem sie unzählige Male gescheitert war, den x-ten Job verloren hatte und nun hier stand und um einen Schlafplatz bettelte.
Weder Corinne noch dieser Ort, der ihr einfaches Leben wie ein Nest umschloss, würde die Unvollkommenheit von Eleonoras Leben, dessen kantige Ecken und die holprigen Pfade lange erdulden können.
Doch sie hatte keine Wahl. Ihr Vermieter hatte ihr freundlicherweise sechs Monate gewährt, um die Wohnung zu räumen, und davon waren zwei verstrichen, ohne dass sie die Miete bezahlt hatte. Sie konnte weder auf Eltern noch auf reiche Verwandte zurückgreifen, ihr blieb nur Corinne, ihre älteste Freundin, die so etwas wie ihre Adoptivschwester war.
»Ja?«
Was so barsch und kurz angebunden aus der Sprechanlage kam, konnte unmöglich Corinnes Stimme sein. Kein Vorwurf, nichts Unwilliges war in ihrer sanften Stimme gewesen, als sie wenige Tage zuvor beteuert hatte, sie wolle Eleonora gern bei sich aufnehmen und ihr helfen, in Florenz einen Job zu finden. Dieses wie ein Geschoss aus dem glänzenden Mund der Sprechanlage gefeuerte »Ja?« nahm ihr hingegen das letzte bisschen Würde. Der Ton war so schroff, dass er unmöglich beabsichtigt sein konnte, und bewirkte, dass Eleonora mit ebenso knapper Härte antwortete.
»Ich bin’s, Eleonora.«
Kein »Hallo!«, kein Durchatmen, kein fröhlicher Unterton in der Stimme. Das Tor öffnete sich, sie musste ihren Koffer wieder aufnehmen und die lange Auffahrt bis zur Villa hinter sich bringen. Eine weiße Zunge, die das Grün teilte, den Swimmingpool von der Gartenlaube trennte, die Azaleen von den Rosen, die orangefarbene Wasserpumpe vom Brunnen und dazwischen sie, unpassend und verschwitzt.
Eleonora hatte etwa den halben Weg zurückgelegt, als ein Mann aus der Vorhalle trat, dem eine über die drei Eingangsstufen purzelnde Pfirsichlawine vorausging. Dieser ungewollte Empfangsteppich bildete den Rahmen für ihren Auftritt, ein Pfirsich rollte sogar bis vor die Spitze ihrer blauen Sandalen und berührte sie ganz leicht.
»Die Pfirsiche von Bruges heißen dich willkommen«, sagte das lächelnde Gesicht mit strahlend weißen Zähnen und regelmäßigen Zügen, darüber schwarze Augen ohne erkennbare Pupillen, umspielt von ungezähmten, etwas zu langen Haarsträhnen. Wie viele Dinge um dieses Lächeln über dem kraftvollen und zugleich eleganten Körper herumtanzten.
Eleonora hob eine Augenbraue und ergriff die ausgestreckte Hand.
»Bruges?«
»Die Villa heißt so. Es ist der Name der Stadt, in der meine Mutter geboren ist, in Frankreich. Hallo, ich bin Alessandro.«
Eleonora hatte immer schon gedacht, dass Corinnes Freund ein Prachtexemplar von einem Mann sein musste, aber die Wirklichkeit übertraf ihre Vorstellungen bei Weitem. Eine derart unverschämte Attraktivität war ein Schlag ins Gesicht für all ihre Versuche, innere Sicherheit zu gewinnen, seit ihre Wege sich getrennt hatten.
Sie hätte hinter dieser wunderschönen Fassade gern ein verwöhntes Muttersöhnchen entdeckt, damit die Vollkommenheit, mit der Corinne sich umgab, einen Riss bekäme, doch das Leben hatte sie gelehrt, sich nicht allzu viele Illusionen zu machen. Also verscheuchte sie den Gedanken wieder und ließ sich in die Höhle der Löwin führen.
Aus der gegenüberliegenden Ecke der Eingangshalle trat Corinne mit ausgebreiteten Armen aus einer Tür, durch die Chromstahlmobiliar zu sehen war. Eleonora konnte sich nicht erklären, was Corinne in einer Küche tat, da sie noch nie auch nur ein Ei aufgeschlagen hatte. Aufgaben wie Brathähnchen zu füllen oder Fische auszunehmen waren immer ihr zugefallen, wenn ihre Freundin zum Essen kam, da Corinne »viel zu sensibel« war, wie es immer hieß.
»Julia, mein Schatz!«
Für Corinne war sie noch immer »Julia«, jene Julia, mit der sie im Garten gespielt hatte, als sie elf waren. Corinne hatte Eleonoras Zuhause in der sechsten Klasse betreten und es seither nicht mehr verlassen, außer wenn sie bei Anbruch der Dunkelheit davonrannte, weil ihr Stiefvater, wenn er nüchtern war, nicht erlaubte, dass sie außer Haus übernachtete.
Bei ihren Mädchenspielen damals ließ Eleonora sich Julia nennen. Julia wie in Romeo und Julia, wie der Alfa Romeo des Gärtners, der schön wie ein Märchenprinz war, so wunderschön, dass sie sich ausmalte, Sitz und Lenkrad, Dach und Schaltknüppel für ihn zu sein.
Eleonora-Julia ließ sich umarmen und spähte dabei über Corinne hinweg, neugierig, aus welchem Blickwinkel Alessandro sie wohl betrachtete. Doch niemand beachtete sie. Alessandro war längst hinausgegangen, vermutlich um die Pfirsiche an einen sicheren Ort zu bringen, wo sie nicht herunterpurzeln konnten.
Corinne packte sie mit ihren schmalen, aber unglaublich kräftigen Händen bei den Schultern und richtete den Blick auf Eleonoras Gesicht. Ihre Augen waren glänzend, von einem leuchtenden und satten Grün, wie ein ruhiger See. Dahinter waren immer stille Wasser gewesen, trotz allem.
»Komm, ich zeige dir dein Zimmer«, sagte Corinne mit einem kindlichen Ton, der schon leichter zu ertragen war.
Die Architektur toskanischer Villen folgt fast immer demselben Schema, und so stiegen sie eine großspurige Treppe hoch, die vom Eingang auf eine barocke Galerie führte, sozusagen als Auftakt zum Ruhebereich. Der dunkle Flur lud nicht zum Verweilen ein, und sie erreichten raschen Schrittes das letzte Zimmer auf der linken Seite. Es war das einzige mit einer schlichten Tür, die Kammer des Zimmermädchens.
»Hier wirst du dich sicher wohlfühlen, du wirst gar nicht mehr ausziehen wollen, wenn du dann eine Wohnung gefunden hast«, plapperte Corinne drauflos. Es klang, als wollte sie vorsorglich daran erinnern, dass sie Eleonora früher oder später hinauswerfen würde, auch wenn sie den genauen Zeitpunkt noch nicht kannte.
Das schlichte Zimmer war ein ganz eigener Ort. Draußen war alles rot, dunkel und kompliziert, hier drinnen dagegen herrschten gerade Linien und helle Möbel vor. Eleonora wunderte sich nicht über die Schlafkammer, die man ihr zugewiesen hatte. Wenn sie zusammen waren, schmälerte sich ihr eigener Raum zunehmend, während Corinne sich immer mehr ausbreitete.
»Wo schläft das Zimmermädchen?«, fragte sie in einem Ton, der klarmachte, dass sie die Situation durchschaute.
Corinne drehte sich um und sah ihr in die Augen. Dann fiel ihr Blick auf Eleonoras Tattoo auf dem Handgelenk, eine Rosenknospe an einem Stiel, der sich fast bis zur Handfläche zog. Ihr Handgelenk zitterte kaum merklich. Corinnes Miene verdüsterte sich.
»Das Zimmermädchen?«
»Ja. Wohnt es denn nicht hier?«
»Nein. Die Frau, die sich um unseren Haushalt kümmert, kommt am Morgen und geht nach dem Abendessen wieder nach Hause. Alessandro mag nicht, dass sie hierbleibt.«
»Ach so, er mag es nicht.« Eleonora nickte verständnisheischend. Dann stellte sie den Koffer auf einen antiken Stuhl, das einzige dunkle Möbelstück im Raum. »Er ist bildschön. Du hattest schon immer eine Schwäche für attraktive Männer. Erinnerst du dich noch an Mattia im Abiturjahrgang? Er war ein Idiot, aber du warst ihm sklavisch ergeben. Nur weil er so ein Beau war.«
»Ich war niemandem sklavisch ergeben. Und ich verstehe nicht, was für dich daran so toll ist, solche Dinge zu behaupten.«
Es war amüsant, Corinne zu ärgern, aber allzu einfach. Letztlich bescherte es ihr nur einen flüchtigen Genuss.
»Ach, komm schon. Ich bin bloß müde von der Reise. Kann ich duschen?« Sie steckte den Kopf durch eine winzige Tür und musterte das spartanische Bad. In einer Ecke war ein kalkverkrustetes Duschbecken.
»Ja, klar. Wir sehen uns dann später unten.«
Corinne machte einen Schritt zur Tür, dann drehte sie sich noch mal um. Eleonora war sich sicher, dass sie etwas über Alessandro sagen wollte. So war es auch.
»Er ist nicht nur attraktiv, weißt du?«, sagte sie in einem beruhigenden, singenden Tonfall. »Er hat einen Studienabschluss in Wirtschaftswissenschaften, mit Bestnote. Er verwaltet ein immenses Vermögen, das er von seinem Vater geerbt und in nur fünf Jahren verdoppelt hat. Außerdem leitet er ein Laienensemble, das sehr erfolgreich ist.«
»Was macht dieses Ensemble? Theater spielen?«
»Ja.«
»Was führen sie auf?«
»Vor allem Klassiker. Ein Sommernachtstraum,Hamlet, solche Dinge.«
»Fantastisch.«
»Ja. Fantastisch.«
»Wenn du erlaubst, gehe ich jetzt duschen.«
Corinne nickte, obwohl sie nicht ganz sicher war, ob sie einen Pluspunkt zugunsten ihrer Partnerwahl erzielt hatte. Sie ließ Eleonora allein, für den Moment hatte sie nichts mehr zu sagen.
Als Eleonora nach unten kam, war der Tisch bereits gedeckt, obwohl es erst sechs Uhr abends war. Im Salon breitete sich Bratduft aus, der nicht recht zu dem strengen Wohndesign passte, doch Alessandro machte diesen Stilbruch wett, indem er jede Menge Zauberstaub um sich herum verstreute. Er lehnte an einer Anrichte aus dem neunzehnten Jahrhundert, das Gesäß auf die Kante aus schwarzem Mahagoniholz gestützt, die die Schranktüren von der Glasvitrine darüber trennte. Darin wurden bemalte Teller und silberne Krüge aufbewahrt. Er hatte eine Hand aufs Herz gelegt, als wollte er damit die Aufrichtigkeit seines Lächelns bezeugen, mit der anderen drückte er einen schwarzen Hörer ans Ohr, als könnte er unter der hohlen Handfläche besser hören.
»Klar spielt Denise die Julia«, sagte er in einem wohlwollenden Tonfall, wie man ihn Kindern gegenüber anschlägt. »Nein, das musst du falsch verstanden haben. Jetzt mal im Ernst! Eine Frau wie die soll sich auf den Balkon stellen und Romeo anflehen? Nein, ich sage dir, sie täuscht sich. Du kannst sie beruhigen, okay? Kommst du denn nicht zum Abendessen? Ach so, gut. Das hätten wir auch hier besprechen können. Ja, gut. Ciao.«
Er legte das Headset behutsam auf die Anrichte, und sein breites Lächeln umfing Eleonora mit einem Optimismus, den sie nicht verdiente.
»Eva gegen Eva«, sagte er, und dann: »Julia.«
Ob er das sagte, weil es ihm gefiel, Zusammenhänge zwischen den Dingen aufzudecken, weil er sich über sie lustig machte oder weil er Julia als Namen viel interessanter fand als Eleonora, es verstimmte sie jedenfalls maßlos. Sie hatte die Chance verpasst, die klangvollen Silben ihres wahren Namens aus dem Munde dieses so außergewöhnlichen Mannes zu hören, und womöglich würde sich die Gelegenheit nie mehr ergeben.
Alessandro löste sich von der Anrichte, ging zum Sofa neben dem langen Esstisch und begann in einem Skript zu blättern. Manche Männer bewegten sich mit Anmut im Raum, in jedem Raum, selbst wenn sie von zwei forschenden, hungrigen Augen verfolgt wurden. Doch Eleonora hatte noch nie einen solchen Mann aus der Nähe gesehen, und es machte sie verlegen.
»Nenn mich nicht so«, sagte sie, zehn Minuten oder vielleicht auch nur eine Minute später.
Er hob den Kopf von dem Skript und schaute sie an, mit einem verblüfften Ausdruck, der sich jedoch sogleich in einen offenen Blick verwandelte, der alles verstand – die Sache mit dem Namen, aber auch die ganze Welt.
»Ich dachte, es sei dein Spitzname.«
»Nein. Nur Corinne nennt mich so. Und meine Mutter manchmal.«
»Eine seltsame Angewohnheit.«
»Als ich klein war, hatte ich eine romantische Seele.«
»Und heute?«
»Nicht mehr.«
Alessandro machte eine leichte Bewegung mit dem Kopf, als würde er nicht nur verstehen, sondern auch zustimmen.
»Ihr führt Romeo und Julia auf?«, fragte Eleonora dann und dachte, dass dies vielleicht der geeignete Moment war, um seine Sympathie zu gewinnen. Sie hatte in den vergangenen Jahren mindestens ein Dutzend Beziehungen mit mehr oder weniger interessanten Männern geführt, die alle eines gemeinsam hatten: Sie redeten am liebsten über sich selbst.
Die Antwort kam allerdings von Corinne, die den Raum in einem langen weißen Kleid betrat wie eine Braut.
»Ja. Bevor du entschieden hattest, mit Anglistik aufzuhören, hast du Shakespeare studiert, weißt du noch? Du hast Romeo und Julia in der Hand gehalten und gesagt: ›Warum soll ich mich an diesem Zeug abrackern? Ich wechsele die Fakultät, sattele um auf Italianistik, auf Dantes Hölle. In der Hölle geht’s mir besser.‹«
Eleonora schaute sie ein paar Sekunden lang sprachlos an, wie betäubt von dieser erstaunlichen Gedächtnisleistung. »Das habe ich gesagt?«
»Ja.«
»Das hast du gerade erfunden.«
»Nein, ich schwöre es.«
»Ich liebe Shakespeare.«
Alessandro erhob sich, um die Tür zu öffnen. Eleonora hatte das Klopfen gar nicht gehört, sie war so vereinnahmt gewesen von dem Ping-Pong-Dialog, bei dem der Ball verrückt zu spielen schien.
»Dieser Gestank nach ranzigem Öl ist widerlich«, sagte eine tiefe Stimme, die jede Silbe einzeln betonte, abfällig. Die Stimme einer Schauspielerin. »Es ist absurd, dass dieses Haus am einzigen Abend in der Woche, an dem die Köchin frei hat, also jeden verdammten Samstagabend, nach ranzigem Öl stinken muss. Was kostet es euch, eine Pizza in den Ofen zu schieben?«
»Du kannst gerne kochen, Denise«, erwiderte Corinne, wirkte jedoch nicht verärgert. In ihrem gelassenen Tonfall konnte sie sagen, was sie wollte, ohne dass es zu Unstimmigkeiten kam.
Hinter Denise, einer mageren jungen Frau mit feinen Gesichtszügen, die im Widerspruch standen zu ihrer Art zu sprechen und sich zu bewegen, erschien ein blonder Mann mit einem freundlichen Lächeln. Er sah Alessandro ähnlich, hatte aber nicht dessen Charisma. Allerdings umgab ihn jener Hauch von Unwirklichkeit, der gewissen Frauen, die gern verführen, ungemein gefällt.
»Eleonora, ich möchte dir meinen kleinen Bruder Maurizio vorstellen«, sagte Alessandro, während Denise in den Feinkosttüten kramte und dabei die Nase rümpfte. »Und das hier ist Denise, unsere Hauptdarstellerin und seine Frau. Sie spielt gern die Diva, aber keine Sorge, das ist alles nur Schall und Rauch.«
»Apropos Rauch«, erwiderte Denise und wühlte in ihren Taschen. »Wo zum Teufel habe ich das Hasch hingetan?«
Eleonora blickte ihr nach, als sie aus dem Haus rannte, vermutlich zum Auto, um nachzusehen, wo ihr das wertvolle Tütchen heruntergefallen sein könnte. Sie hatte Eleonora weder begrüßt noch beachtet. Denise war zweifellos eine Diva. Und unhöflich.
»Mach dir nichts draus, sie ist nervös«, sagte Maurizio mit sanfter Stimme.
Eleonora nickte, sie fühlte sich unbehaglich.
»Wir haben eine neue Schauspielerin im Ensemble. Denise fürchtet, sie könnte ihr die Hauptrolle streitig machen.«
»Als würden wir im Teatro Verdi auftreten«, mischte Alessandro sich ein und griff nach einer Fritte.
Seine Art zu essen war bezaubernd, er schien sich überhaupt nicht schmutzig zu machen. Eleonora zwang sich, ihn nicht anzustarren. Was gibt es Erregenderes als einen Mann, der sich nicht schmutzig macht? Keine Speichelspuren, eine Anmut und Schönheit sondergleichen, keine markante Geste, kein Geruch. Nichts ist faszinierender als die Geschlechtlichkeit eines Engels.
Denise kam wieder herein, ignorierte Eleonora jedoch weiterhin, sogar als sie am Tisch saßen. Es war ein tristes Abendessen unter Menschen, die sich nichts zu sagen hatten. Oder aber sie hatten zu viele Dinge zu bereden, über die sie jedoch nicht vor Eleonora sprechen wollten. Das war nichts Neues: Ihre Mutter und ihre beste Freundin hatten ständig Geheimnisse gehabt, während sie, die leibliche Tochter, von den meisten Gesprächen ausgeschlossen war. Die ablehnende Atmosphäre kränkte sie.
»Ich bin müde«, sagte Alessandro irgendwann und brach das Schweigen.
Corinne stand abrupt auf und folgte ihm die Treppe hinauf. Plötzlich wirkten alle wütend.
»Das Abräumen bleibt wieder mal an mir hängen«, maulte Denise und steckte sich eine Zigarette in den Mund, die nach feuchtem Gras roch.
»Ich helfe dir.«
Denise schaute sie geradezu mitleidig an. »Mach dir keinen Kopf, Eleonora. Bei uns herrscht im Moment keine berauschende Stimmung. Aber das geht vorbei.«
Sie brach in Lachen aus, ein Gelächter, das nichts bedeutete, und fing an, die Plastikteller zu stapeln. Eleonora kümmerte sich um den Rest. Alles auf diesem Tisch war künstlich, das Plastikbesteck verbog sich bei der geringsten Berührung, und in den Bechern bildeten sich scharfe Ritzen, wenn man sie zusammendrückte, damit sie weniger Platz beanspruchten.
Nachdem sie fertig abgeräumt hatten, ließen Maurizio und Denise sich auf das Sofa fallen, erschöpft von Gott weiß was, und Eleonora blieb nichts anderes übrig, als ganz allein auf dem halbrunden Zimmermädchenbalkon in der abgelegensten Kammer der Villa eine Zigarette zu rauchen.
2
Eleonoras Träume waren verworren und nur schwer in Erinnerung zu rufen.
Zu viele Einzelheiten, zu viele Gesichter.
Sie hatte häufig wiederkehrende Träume: grauenvolle, klaustrophobische, beängstigende, aber auch fleischliche, sinnliche, erregende.
Nur manchmal träumte sie von ihrer Mutter, wie in dieser Nacht. Die langen mütterlichen Arme streckten sich ihr entgegen, und sie verharrte in Erwartung der Berührung, während die offenen Hände die Luft durchschnitten, die mit Corinnes Abwesenheit erfüllt war.
Eleonora war unruhig. Ihre Ankunft in der Villa Bruges glich einem Traum. Es kam ihr vor, als wäre sie schon immer hier gewesen und gleichzeitig nie angekommen.
Als Corinne ihr Zuhause zum ersten Mal betreten hatte, war sie wie eine Königin empfangen worden. Dies hatte Eleonora zunächst mit Stolz erfüllt. Ihre Mutter fand Corinne entzückend, und es war Eleonora vorgekommen, als schenkte sie ihr einen ganz neuen, anerkennenden Blick.
Es gab keinen Grund, warum jetzt umgekehrt dasselbe geschehen sollte. Dennoch hatte sie es tief in ihrem Innern gehofft, und ihr Gerechtigkeitssinn rebellierte.
Die Bewohner der Villa Bruges hatten sich in den ersten zehn Minuten gastfreundlich gezeigt, danach waren sie zur Tagesordnung übergegangen, als wäre Eleonora gar nicht da. Ihr Schweigen war der beste Beweis. Wenn in Beziehungen Vertrautheit herrscht, macht einem eine bestimmte Art von Leere keine Angst, sie muss nicht zwingend mit unnützem Smalltalk gefüllt werden.
Jemand klopfte am nächsten Morgen an die Zimmertür, als Eleonora noch mit geschlossenen Augen im Bett lag und dachte, wie sehr sie sich von den Leuten hier unterschied. Sie hätte nie eine Runde verlassen, solange noch Gäste am Tisch saßen. Nie.
»Herein«, sagte sie, in der Überzeugung, dass es Corinne war.
Aber Alessandro trat ein, mit einem randvoll gefüllten Tablett.
»Guten Morgen. Na, gut geschlafen?«
Eleonora schlug die Hände vors Gesicht. Ungeschminkt, mit Augenringen und Kopfkissenfalten – so durfte er sie nicht sehen. Einen bestimmten Grund gab es nicht, sie wollte sich ihm einfach nicht in diesem Zustand präsentieren.
»Was ist, hast du Kopfschmerzen?«
»Ja. Ganz fürchterliche.«
»Warte, ich hole dir ein Schmerzmittel.«
»Nein, nein.«
Alessandro öffnete die Fensterläden, und ein weiches, schweres Licht fiel herein. Es war bereits brütend heiß draußen.
»Wie spät ist es?«
»Halb zehn.«
»Machst du Witze?«
Er gab keine Antwort, sondern ließ sich einfach nur von der Sonne das Gesicht streicheln. Er war wunderschön, sogar in dem unbarmherzigen Licht.
»Komm, iss was und zieh dich an. Ich möchte dir Borgo San Lorenzo zeigen und dich meinem Bruder vorstellen.«
»Noch einer?« Sie stand auf und ging zu dem Tablett, auf dem sorgfältig angeordnet eine Tasse Milch und Kaffee standen, dazu ein Stück Obstkuchen, ein Glas Orangensaft und Zuckertütchen, wie in einer Bar. »Um Gottes willen, das ist viel zu viel.«
»Ich möchte wiedergutmachen, dass ich gestern nicht sehr freundlich zu dir war. Weißt du, in letzter Zeit streiten wir dauernd, und ich wollte nicht, dass es vor dir passiert.«
Er drehte sich um und verließ das Zimmer. Die Bewegung hätte bei jedem anderen brüsk gewirkt, aber an diesem Magier war nichts Unhöfliches, und ihn in seiner grauen Jeans von hinten zu betrachten, war fast genauso angenehm, wie ihm auf den Mund zu starren.
»Ich erwarte dich unten, in«, er schaute auf die Uhr, »einer halben Stunde?«
Sie würde es nie schaffen, in einer halben Stunde zu frühstücken, zu duschen und sich zu schminken, dennoch antwortete sie ohne zu zögern: »Ja.«
Corinne war zum Glück in der Arbeit, daher würde sie sich hübsch herrichten können, ohne den kritischen Blick ihrer Freundin auf sich zu spüren. Nur zu gern hätte sie es in Rom zurückgelassen, dieses Gefühl, ständig taxiert zu werden, das ihre Beziehung mit Roberto geprägt hatte. Eleonora hatte sich in einen müden, versnobten Professor verliebt und ihm erlaubt, ihr bei jeder Gelegenheit zu beweisen, dass sie unzulänglich war. Sie hatte ihm die dankbare Rolle ihres Lehrers und Mentors zugewiesen, die er jedoch missbraucht und sie wiederholt der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.
An dem Tag, als sie ihn verlassen hatte, waren sie mit Freunden in einem Restaurant am Strand von Ostia essen gegangen. Alle waren in Jeans oder kurzen Hosen gekommen, nur sie trug ein schwarzes Etuikleid und hochhackige Schuhe. Während ihr das Make-up in der Hitze übers Gesicht lief, unterstrich das angedeutete Lächeln der ungeschminkten Partnerinnen von Robertos Freunden die tiefe Kluft zwischen Intellektuellen, die niemandem etwas beweisen müssen, und einer Aushilfslehrerin, die sich herausputzen muss, um Anerkennung zu finden.
Einzig Robertos beste Freundin Sonia hatte immer eine tröstende Geste für sie übrig gehabt. Eleonora hatte sich an sie geklammert wie an ein Floß auf stürmischer See, bei ihr hatte sie Trost gefunden und sich überzeugen lassen, dass sie trotz allem ein Mindestmaß an Würde besaß.
»Sie geht nachher noch auf einen Ball«, hatte Roberto, genervt von den Blicken der anderen Frauen, bei dem Essen unvermittelt gesagt. »Achtet nicht auf sie.«
Daraufhin war Eleonora von dem trendigen rustikalen Tisch aufgestanden und gegangen. Der Professor hatte sie eingeholt, als sie gerade ins Taxi einsteigen wollte, aber nur um ihr eine weitere Bosheit hinzuwerfen, in der Überzeugung, dass sie ohnehin jedes Wort vergessen würde.
»Du bist wie ein Ölfleck auf einer Jacke«, hatte er gezischt und dem Taxifahrer einen Geldschein hingestreckt.
Eleonora hatte ihm hart auf den Handrücken geschlagen, und der Fünfziger war zu Boden gefallen. Dann war sie ins Taxi gestiegen und davongefahren.
Ihre Freundinnen konnten ihr in solchen Fällen nicht helfen. Sie sprachen von Neid, aber das überzeugte Eleonora nie wirklich. Der springende Punkt war ihrer Meinung nach ein anderer: Wenn du attraktiv bist, musst du so tun, als wärst du dir dessen nicht bewusst.
Entgegen jeder Vorhersage stand Eleonora nach fünfunddreißig Minuten unten in der Eingangshalle. Sie hatte die schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug ein einfaches knielanges Kleid. Es war sehr warm, aber der leichte Stoff umspielte ihre Beine, ohne daran zu kleben. Ein einziges Mal hatte sie vielleicht die richtige Wahl getroffen.
Alessandro telefonierte und redete über Themen, die schlecht zu ihm passten: Aktien, Wertpapiere, Wechselkurse. Er war dabei allerdings nicht weniger attraktiv, und er stand nie still, sondern marschierte beim Sprechen vom Fenster zur Eingangstür, dann zur Küche und wieder zum Fenster.
Als er sie bemerkte, bedeutete er ihr mit einem Handzeichen, aus dem Haus zu gehen, und zusammen stiegen sie kurz darauf in einen schwarzen SUV. Im Wageninneren prallte seine Stimme gegen die Autofenster, drang ohne Streuverluste an ihre Ohren, und es war schwierig, dem verführerischen Klang zu widerstehen.
Die Frau, die Eleonora in ihren Träumen war, hätte ihm einfach eine Hand aufs Bein gelegt, während er die schwere Geländelimousine anließ. Sie hätte ihm zu verstehen gegeben: Hier bin ich. Doch Eleonora war nie, was sie sein wollte. Abgesehen davon war Alessandro, selbst wenn er Interesse an ihr gezeigt hätte, immer noch Corinnes Freund.
»Wie du siehst, ist die Villa Bruges von Weinbergen und Olivenhainen umgeben«, sagte er, nachdem er das Telefongespräch beendet hatte.
Sie fuhren auf einem Feldweg, die Sonne prallte von den weißen Steinen zurück und zwang sie, die Sonnenbrillen aufzusetzen. Die dunklen Schatten unter den dichten Weinbergen wichen unvermittelt dem Sonnenlicht auf den Straßen, in einer unwirklichen Folge von Dunkelheit und Helligkeit, Nacht und Tag, Frische und Schwüle.
»Zehn Minuten von hier entfernt liegt der Hof meines Bruders Emanuele, und unweit davon ist Borgo San Lorenzo. Dort findet jedes Jahr ab dem zwanzigsten Juli ein Theaterfestival statt, bei dem wir zusammen mit anderen Straßenkünstlern auftreten werden. In einer mittelalterlichen Altstadt Shakespeare aufzuführen ist unglaublich stimmungsvoll. Es gibt mir das Gefühl, etwas Wahres zu tun. Ich glaube an die Literatur und daran, dass sie eine universelle Sprache schafft, unabhängig von Raum und Zeit. Eine Literatur, die auf die Realität einwirkt, Schönheit, die uns verändern kann.«
Alessandro schaute Eleonora einen Moment lang an. Er wartete auf eine Antwort. Er konnte nicht wissen, dass sie nach einem passenden Satz suchte, einem Satz, bei dem er die Augen aufreißen, der ihn betroffen machen würde wie eine Offenbarung.
»Entschuldige. Manchmal geht die Begeisterung mit mir durch.«
»Aber nein, es ist schön dir zuzuhören.«
Er achtete nicht weiter auf ihren Versuch, Bewunderung zu zeigen, die nur wenig glaubhaft wirkte, gerade weil sie ehrlich gemeint war.
Neben einer Koppel hielt er an und öffnete die Wagentür, woraufhin der kühle Fahrgastraum mit drückend heißer Luft erfüllt wurde. Eleonora rang nach Atem. Sie war ohnehin schon nervös, und die Hitze machte es nur noch schlimmer. Trotz Alessandros Freundlichkeit fühlte sie sich wie ein unerwünschter Gast, und was immer sie sagte, konnte nicht annähernd wettmachen, was dieser Mann ihr bot. Ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, eine intelligente Unterhaltung.
»Komm da runter, bevor du dir den Hals brichst!«, brüllte Alessandro, und sein Geschrei überraschte Eleonora. Sie hätte sich nie vorgestellt, dass aus seinem Mund ein so scharfer Befehl kommen könnte.
Seine Worte galten einem Mann auf einem Pferd, das jäh gestiegen war. Der Mann gehorchte, obwohl er nicht den Eindruck machte, sonderlich fügsam zu sein. Er war hochgewachsen und schmutzig, und seine Augen glichen zwei dunklen Höhlen.
»Spiel nicht den großen Bruder«, entgegnete er, öffnete das Holztor der Koppel und schloss es hinter sich wieder. »Und achte auf deinen Ton.«
Ob er wohl scherzte? Er wischte sich die Finger ab und streckte Eleonora eine Hand entgegen. Sie war verblüfft über die Ähnlichkeit der beiden Brüder. Beide waren überaus attraktiv. Emanuele war weniger elegant, aber körperlicher. Seine Gesichtszüge waren markanter, die Hände größer, die Schultern breiter, der Mund war voller. Seine Augen standen nicht wie bei Alessandro leicht schräg, sondern zogen sich länglich zu den Schläfen hin, sie wirkten orientalisch.
»Freut mich. Emanuele.«
»Eleonora. Ein schönes Pferd.«
»Eine Schlampe.«
Eleonora fuhr zusammen, und er lachte überrascht auf.
»Benutzt du keine unanständigen Wörter?«
»Doch, natürlich.«
»Ich wollte sagen, die Stute macht, was sie will. Gehen wir rein.«
Auf der Schwelle des einfachen Bauernhauses erschien eine Frau, die Stirn gerunzelt. Sie trug Jeans-Shorts und ein militärgrünes Achselshirt, auf das nackte Brustwarzen aufgedruckt waren.
Sie musterte Eleonora von Kopf bis Fuß und stellte sich dann mit einem breiten amerikanischen Akzent vor. »Hi, ich bin June. Du musst Julia sein.«
»Nein, Eleonora«, antwortete Alessandro und ging ihnen voraus in die Küche.
»Corinne hat aber Julia gesagt«, widersprach June und fuchtelte mit den Fäusten in der Luft, als wollte sie mit schroffen Gesten auf ihrer Position beharren.
»Hol Wasser«, befahl Emanuele und setzte sich an den rechteckigen Tisch in der Mitte der Küche. Der Tisch war zu groß für den Raum, was auf eine Gastfreundlichkeit hindeutete, die Eleonora erstaunte. Wer unter Tieren lebt, schätzt Menschen normalerweise nicht allzu sehr. »Entschuldige, Eleonora, ich trinke nur einen Schluck frisches Wasser, dann gehe ich duschen. Du kannst dir sicher vorstellen, wieso.«
Sie nickte gelassen. Hier fühlte sie sich wohler als in der Villa. Nicht weil ihr der Luxus unbehaglich gewesen wäre, sondern weil Emanuele etwas an sich hatte, durch das sie sich nicht fehl am Platz vorkam. Vielleicht eine gewisse Leichtigkeit, freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen, oder einfach eine Neigung zur Gastfreundschaft. Tatsache war, dass Eleonora sich entspannte, zum ersten Mal, seit sie in der Villa Bruges angekommen war.
»Hier gefällt es mir«, sagte sie.
Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen, dann merkte sie, dass Emanuele sie musterte. Aber selbst das bereitete ihr kein Unbehagen. Sie spürte nur ein Brennen im Hals, einen Kitzel unmittelbar unter der Hautoberfläche.
»Mir nicht«, sagte June und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich bin aus Texas nach Italien gekommen, in der Hoffnung, keine Farm und keine Pferde mehr sehen zu müssen.«
»Offenbar ist es dein Schicksal«, warf Alessandro ein, in der vergeblichen Hoffnung, sie zum Lachen zu bringen.
»Warum stehst du, June? Setz dich doch«, sagte Eleonora, als wäre sie die Hausherrin.
Doch June setzte sich nicht an den Tisch. Sie verschränkte nur die Arme und hob den rechten Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen, das wohl ein Lächeln sein sollte.
»Okay, ich gehe jetzt duschen«, sagte Emanuele, stützte sich mit seinen großen Handflächen auf den Holztisch und erhob sich. »Was ist mit euch, bleibt ihr solange, oder geht ihr gleich wieder?«
»Ich muss noch zum Probenraum. Dort wartet der Dirigent der Musikkappelle, der sich für Riccardo Muti hält. Ich muss ihm ein paar Dinge erklären.«
Emanuele verließ die Küche, gefolgt von Alessandro. Eleonora trippelte hinter ihrem Begleiter her, neugierig und misstrauisch zugleich. Es herrschte eine seltsame Atmosphäre, und die beiden Brüder und ihre Partnerinnen verhielten sich ihr gegenüber eher unklar. Es war, als ob sie einem Drehbuch folgten, wobei hin und wieder die Realität in die Dialoge einfiel, sich in das Gelächter oder einen messerscharfen Blick einschlich.
Dennoch sah Eleonora keine Notwendigkeit, sich eine andere Unterkunft zu suchen. Sie war erst seit einem Tag hier, doch sie hatte bereits einen kleinen Raum für sich erobert, gegen alle Vorhersagen und jedem seltsamen Verhalten zum Trotz.
Der Dirigent der örtlichen Musikkappelle hatte eine lustige Art zu reden. Jedes Mal, wenn er einen Doppelkonsonanten aussprach, hob er den rechten Arm und nickte, das Kinn fast auf die Brust gedrückt, um seine Aussage zu unterstreichen. Und er benutzte viele Doppelkonsonanten, sehr viele sogar.
Eleonora hatte schon immer eine ausgeprägte Begabung, Anomalien zu erfassen. In einer Menschenmenge erkannte sie stets denjenigen, der anders war oder in die entgegengesetzte Richtung ging, und selbst wenn es der Kleinste von allen war, sie entdeckte ihn stets. Sie erinnerte sich an jede Einzelheit eines Gesichts, merkte sich Ticks, die Intonation der Stimme, falsche Gesten, verborgene Lügen.
Während der Dirigent gestikulierte, stand Alessandro an eine kahle Mauer gelehnt da, den Kopf geneigt und den Blick zu Boden gerichtet, als ergebe er sich bedingungslos. Er war total ruhig, während sein Gegenüber im Feuer seiner unverstandenen Kunst zu verbrennen schien.
Alessandro ließ ihn ausreden, dann hob er den Blick und schaute ihn an. »Maestro, es handelt sich um Theater«, sagte er mit leiser Stimme, wobei er jede Silbe betonte. »Es ist kein Konzert, verstehen Sie?«
ENDE DER LESEPROBE