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Eine Frau, zwei Männer und ein italienischer Sommer voller Leidenschaft
Eleonora ist in einer Beziehung mit Emanuele, doch so sehr sie sich auch bemüht – sie kann seinen Bruder Alessandro nicht vergessen. Nur dass der gerade geheiratet hat, und zwar niemand anderen als Corinne, Eleonoras Kindheitsfreundin, die mit ihr zusammen aufgewachsen ist. Doch auch Alessandro scheint Eleonora nicht aus dem Kopf zu bekommen. Er hält Kontakt zu ihr und schürt ihre Zweifel im Hinblick auf Emanueles Treue. Als dann noch eine dritte Frau auftaucht, kochen die Gefühle hoch …
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Seitenzahl: 336
Veröffentlichungsjahr: 2016
Buch:
In einem entlegenen Schloss in der idyllischen Toskana muss Eleonora hilflos zusehen, wie Corinne und Alessandro vermählt werden. Sie ist eine Freundin aus Kindertagen, fast eine Schwester, er der Mann, den sie liebt, den sie Corinne aber nicht wegnehmen will. Eleonora beschließt, allen Liebeswirren zu entfliehen und fortan auf eigenen Füßen zu stehen. Doch wohin es sie auch zieht, Emanuele, Alessandros älterer Bruder, folgt ihr. Seine wilde, ungebändigte Leidenschaft überwältigt sie, aber irgendetwas hält sie davon ab, ihm ganz zu verfallen. Die Vergangenheit der beiden Brüder steckt voller Geheimnisse, und Eleonora ist entschlossen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen …
Autorin:
Sara Bilotti wurde 1971 in Neapel geboren, wo sie auch heute noch lebt. Sie hat klassischen Tanz studiert und arbeitet als Lehrerin und Autorin. Mit ihrer sinnlichen Trilogie um Eleonora, Alessandro und Emanuele hat sie die italienischen Leserherzen im Sturm erobert. Die Verführte ist nach Die Geliebte Sara Bilottis zweiter Roman.
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SARA BILOTTI
Die Verführte
Eleonoras geheime Nächte
Roman
Deutsch von Bettina Müller Renzoni
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
La colpa bei Giulio Einaudi Editore s.p.a., Turin
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1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 2015 by Sara Bilotti
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016 by Blanvalet
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Angela Troni
Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de
Umschlagmotiv: © www.buerosued.de
KW ∙ Herstellung: kw
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-18689-0V001
www.blanvalet.de
1
In der Menschenmenge erkannte Eleonora das Gesicht ihrer Mutter, das gefasst und ergriffen zugleich wirkte, die Augen tränennass. Rita, gerade erst angekommen, streifte zwischen den Gästen umher und starrte fassungslos auf den von dichten Ranken überwucherten Burgturm.
Obwohl sie sich seit Monaten nicht gesehen hatten, begrüßte Rita ihre Tochter nicht. Sie sagte lediglich: »Sieh nur, was die Engländer angerichtet haben mit ihrem absurden Fimmel, alles zu restaurieren. Was soll so schön daran sein, etwas zu erneuern, das die Zeit abgenutzt hat? Gar nichts, sag ich dir.«
Um zu verstehen, was ihre Mutter meinte, folgte Eleonora ihrem Blick und betrachtete den Turm, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts in gotischem Baustil restauriert worden war. Die vorstehende Galerie mit den Zinnen erinnerte entfernt an den Wachturm an der Burgmauer, ohne allerdings den Stil getreu wiederzugeben.
Eleonora wandte sich ihrer Mutter mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Wut zu, jenen beiden Gefühlen, die ihre Jugend am stärksten geprägt hatten.
»Hallo, Mama. Wo warst du denn? Du bist erst ganz am Schluss in die Kirche gekommen, und dann habe ich dich aus den Augen verloren.«
»Hallo, mein Schatz.« Rita nahm einem der Kellner in Livree ein Champagnerglas aus der Hand und ging nicht weiter auf die Frage ihrer Tochter ein. »Zum Glück haben sie uns mit historischen Kostümen verschont.«
Eleonora küsste ihre Mutter auf die Wangen. »Was trinkst du, Mama?«
»Champagner«, antwortete Rita mit einem angedeuteten Lächeln. Dann erblickte sie Corinne, und ein Strahlen überzog ihr Gesicht.
Die Braut sah in dem schlichten, bodenlangen weißen Kleid aus wie ein Engel. Ein Kranz aus Jasminblüten krönte ihre Stirn und umrahmte die hellen Augen. An diesem Tag verkörperte Corinne jene Verheißung, die ihre Kindheit bereits hatte erahnen lassen und die sich später verflüchtigt hatte.
»Rita!«
Corinne drückte sie fest an sich, während Rita in der Bewegung innehielt und die Arme ausgebreitet ließ.
»Du bist tatsächlich gekommen!«
»Natürlich bin ich gekommen, schließlich heiratet meine geliebte Corinne. Lass dich anschauen.« Sie ließ den Blick über Corinnes zarten Körper gleiten. Die Braut so glücklich zu sehen brachte Rita in Versuchung, sie vor der Vergänglichkeit aller schönen Dinge zu warnen. »Du bist wunderschön.«
Hinter Corinne erschien Alessandro, und alles Strahlen ging von der Braut auf den Bräutigam über, obschon er ein schwarzer Engel war.
»Sie müssen Eleonoras Mutter sein.«
»Ja, richtig. Ich bin Rita Sannino.«
Alessandros Miene blieb reglos, während Ritas Pupillen sich weiteten und sie das Bild des attraktiven Mannes in sich aufnahm.
»Alessandro Vannini. Es ist mir eine große Freude, Rita. Gefällt es Ihnen hier?«
Er breitete die Arme aus, als wäre er der Besitzer des Anwesens, das ihm in Wahrheit aufgezwungen worden war. Alessandro hätte die Hochzeit gern in den prächtigen Gärten der Villa Bruges gefeiert, statt die beeindruckende, aber düstere Burg von Vincigliata zu mieten. Es war ihm vorgekommen, als hätte er die legendäre Spukgestalt von Bianca gesehen, die ihn aus einem der Turmfenster beobachtete, während er Corinne das Jawort gab.
»Die Burg stammt aus dem Jahr eintausend und wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrmals zerstört und wieder aufgebaut, bis …«
»… bis man sie schließlich zu einer Kopie ihrer selbst gemacht hat«, fuhr Rita fort und leerte mit einem letzten Schluck das Champagnerglas. »Wenn der Mensch die Geschichte nicht beeinflussen kann, fühlt er sich machtlos.«
Alessandro machte ein verdutztes Gesicht. Beunruhigt über die effekthascherischen Bemerkungen, mit denen Rita gern herausplatzte, wandte Corinne sich mit einem angedeuteten Lächeln ab und zog ihren Ehemann mit sich fort.
Eleonora schaute den beiden nach, die Augen auf Alessandros breiten Rücken und Corinnes Schulterblätter geheftet, die wie abgebrochene, an den Rückenwirbeln befestigte Flügel aussahen. Sie stellte sich vor, wie Alessandro seine Frau in der Hochzeitsnacht gewaltsam nehmen würde, ungeachtet aller Wunden, auch seiner eigenen.
»Dann hat sie also ihren Traumprinzen gefunden«, sagte Rita und griff nach einer neuen Champagnerflöte.
»Wo ist eigentlich dein Mann?«
Herrje, mein Mann. Konnte man Emanuele ihren Mann nennen?
Eleonora hatte auf diese Auszeichnung verzichtet und Emanueles Vorschlag abgelehnt, auf seinem Hof mit ihm zusammenzuleben. Seither hatte ihre Beziehung Höhen und Tiefen erlebt. Es gab Zeiten, da dachte sie, es keinen einzigen Tag ohne Emanuele aushalten zu können. Dann wieder kam es ihr schäbig vor, dass sie sich mit der zweiten Wahl begnügt hatte, genau wie Denise und wer weiß wie viele andere Frauen vor ihr. Emanuele dagegen besuchte Eleonora zwar regelmäßig in ihrer kleinen Wohnung in Florenz und vögelte sie wie ein junger Gott, sah aber keine Notwendigkeit, mal ein romantisches Rendezvous zu organisieren oder etwas mit ihr zu unternehmen, wie Paare es üblicherweise tun. Möglicherweise ließ er ihr einfach Zeit herauszufinden, was sie wollte, oder es passte ihm ganz gut in den Kram. Selbst im weiteren Umkreis um die Villa Bruges herrschte Verwirrung.
Eleonora schaute sich um, bis sie Emanuele entdeckte. Er war allen Ernstes in abgenutzten Jeans und einem blauen Hemd auf der Hochzeit seines Bruders erschienen, ohne Rücksicht auf die Gäste. Als Corinne ihn deshalb vorwurfsvoll angefunkelt hatte, erwiderte er ihren Blick mit einem lässigen Augenzwinkern. Eleonora hätte ihn ohrfeigen können. Nun stand er da, einen Drink in der Hand, während wieder einmal eine Frau um ihn herumscharwenzelte. Sie sah ihm allerdings ziemlich ähnlich, vielleicht war es ja eine seiner Cousinen.
»Es gibt keinen Mann«, antwortete Eleonora gedankenverloren und beschloss, sich ebenfalls etwas zu trinken zu holen.
In dem von einem alten Gemäuer umschlossenen Burghof befand sich der Auslöser für ihre Verwirrung, und zwar in Gestalt des Brüderpaars Emanuele und Alessandro. Emanuele war ein unwiderstehlicher und energischer, aber von Schuldgefühlen gebeutelter Mann und unfähig, einer Frau Sicherheit zu bieten. Alessandro dagegen war sehr labil, traumatisiert von den Misshandlungen, die er als kleiner Junge erlitten hatte, und unfähig zu lieben. Die beiden Männer waren in ihr Leben getreten und hatten es völlig durcheinandergebracht.
»Wie kann das sein?«
Was sollte die Frage? Es war, als würde Rita die Drehbücher der Leben von Eleonora und Corinne sorgsam in einer Schublade aufbewahren, sie laufend miteinander vergleichen und dabei absurde Abweichungen feststellen.
»Entschuldige mich bitte, Mama«, sagte Eleonora. Während sie sich entfernte, dachte sie bei sich: Dich vertrage ich nur in homöopathischen Dosen.
Während sie auf Emanuele zuging, fühlte sie sich plötzlich unwohl in ihrem leuchtend roten Kleid und den goldfarbenen High-Heels-Sandaletten. Sie kam sich overdressed vor und fragte sich, warum sie ausgerechnet diese Farben und die hohen Absätze ausgewählt hatte, wo sie sich doch nichts weiter wünschte als trittsicheres Gelände, dank dem sie nicht weiter auffallen würde.
Emanuele blickte von seinem Glas auf. Zwei Grübchen bildeten sich in seinen Wangen, baten um einen Kuss, der jedoch ausblieb. Er stellte Eleonora die junge Frau vor, die tatsächlich seine Cousine war.
Im Gehen sagte sie: »Du bist also Eleonora.«
»Was erzählst du den anderen von mir?«, fragte Eleonora, als sie sich an dem langen Büfett etwas zu trinken holten.
Emanuele musterte ihre Sandaletten. »Schöne Schuhe. Damit spielen wir nachher ein bisschen.«
»Willst du sie anprobieren?«
Er stellte das leere Glas auf den Tisch. »Wo sind die Angehörigen von Corinne?«
»Die Angehörigen? Welche Angehörigen? Ihre Mutter ist vor ein paar Jahren an einer Überdosis Beruhigungsmitteln gestorben. Der Vater war bereits vorher verschwunden, wahrscheinlich hat er ebenfalls ein trauriges Ende genommen. Aber meine Mutter ist da, dort drüben. Die Frau mit dem Glas in der Hand, neben Raffaele.«
»Aha, wie ich sehe, hat unser Freund bereits eine Eroberung gemacht.«
In der Tat schien Rita sich bestens zu amüsieren, als Raffaele ihr etwas ins Ohr flüsterte. Innerhalb von zehn Sekunden hatte sie also bereits einen Kavalier gefunden.
»Komm, lass uns einen Spaziergang machen«, schlug Emanuele vor. »Hast du den Park schon gesehen? Dort gibt es einen künstlich angelegten See, der aus einem Wildbach gespeist wird. An den Ufern sind Felsenhöhlen. Es ist ein zauberhafter Ort.«
Gemeinsam verließen sie den Burghof und betraten das riesige, einem angelegten Schlosspark gleichende Gelände. Schon von weitem leuchteten ihnen die schlafenden Nymphen am See weiß entgegen, und die silberne Sichel des Monds teilte die Wasseroberfläche. Es war leicht, sich in solche Orte zu verlieben, und schwer, sich von ihnen zu trennen.
Als sie am Ufer standen, legte Emanuele eine Hand auf Eleonoras Nacken und zog sie an sich.
»Wollen wir gehen?«, fragte er ganz nah an ihrem Mund und leckte ihr keck über die Lippen.
Eleonora reagierte augenblicklich. Schon die kleinste Berührung von Emanuele versetzte sie in Erregung, löste ein wohliges Kribbeln in ihr aus. Aber …
»Ich kann nicht, Emanuele. Du weißt doch, wie es ist …«
»Nein, wie ist es denn?«
»Meine beste Freundin feiert gerade ihre Hochzeit.«
»Ach, tatsächlich?« Er ließ Eleonora los und tat, als bemerkte er nicht, dass sie dadurch ins Wanken geriet. »Was du nicht sagst. Ich gehe jedenfalls. Es wird niemandem auffallen, die anderen Gäste sind alle vollauf damit beschäftigt, so zu tun, als wollten sie an keinem anderen Ort der Welt sein.«
»Schon möglich.«
»Schläfst du heute Nacht bei mir?«
»Gerne, wenn du möchtest. Morgen ist zum Glück Samstag. Mama übernachtet in der Villa Bruges, und ich werde ganz früh zu ihr fahren, bevor sie auf die unglückselige Idee kommt, meine Wohnung in Florenz sehen zu wollen.«
»Dann erwarte ich dich auf dem Hof.«
Emanuele schaute an ihr vorbei. Eleonora folgte seinem Blick und sah auf der gegenüberliegenden Seite des Wildbaches Alessandro auf dem Gehweg stehen, der sich in der mediterranen Macchia verlor. Das Mondlicht erhellte die Statuen zweier mythologischer Ungeheuer und eine kleine Brücke am Rand des Wäldchens. Alessandro starrte auf die beiden Steinskulpturen, die typisch waren für die romantischen, von der englischen Aristokratie geliebten Gärten, und sah dabei selbst wie ein Standbild aus. Auf völlig natürliche Weise verschmolz er mit der Umgebung, ein tragischer, gequälter Held, unfähig, sich der Realität zu stellen.
»Was für ein erbärmlicher Mistkerl.«
Das idyllische Bild wurde durch Emanueles Bemerkung jäh mit ebenjener Realität konfrontiert.
»Im Ernst?«
»Oh ja. Die ganze Inszenierung ist eine einzige Verherrlichung seiner künstlerischen Karriere. Hoffentlich bekommen sie keine Kinder.«
Eleonora wandte sich zu Emanuele um. Boshafte Bemerkungen kamen ihm oft so ungezwungen über die Lippen, dass sie völlig plausibel klangen und somit jeden Einwand vorwegnahmen.
»Wir haben kein Recht, über die Entscheidungen anderer zu urteilen«, unternahm sie einen Versuch, klang jedoch nicht sonderlich überzeugend.
»Sieh nur, dort.«
Er deutete mit einem Nicken auf eine Sitzbank aus grauem Stein, auf der eine Frau saß. Die Glut ihrer Zigarette erhellte für einen Augenblick ihr schmales, regelmäßiges Gesicht und den vollen Mund. Die Frau starrte zu Alessandro hinüber und war sich der Anwesenheit von Eleonora und Emanuele nicht bewusst. Sie trug ein schwarz-weißes Kellnerinnenoutfit.
Ich kann dich gut verstehen, hätte Eleonora gerne zu ihr gesagt. Alessandro war schlicht unwiderstehlich. Vor allem wenn er in Gedanken vertieft war, versunken in eine Welt, zu der niemand außer ihm Zutritt hatte. Wenn man ihn so sah, wünschte man sich nichts sehnlicher, als diesen unerreichbaren Ort betreten zu dürfen, der hinter den Augen dieses einzigartigen Mannes verborgen lag.
Die Kellnerin stand auf und kehrte mit gesenktem Kopf zu den Feiernden zurück. Als sie an ihnen vorüberging, meinte Eleonora die Frau zu erkennen.
»Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte sie, während Emanuele ihre Hand nahm und sich auf den Rückweg zur Burg machte.
»Ja, sicher. Ich habe es sofort erkannt.«
»Was?«
»Emanuele, qu’est-ce que tu fais?«, rief ein Mädchen am Eingang, vermutlich eine französische Verwandte.
»Je vais me coucher, bébé. Je suis fatigué.«
Das Mädchen brach in ein glockenhelles Lachen aus, spöttisch wie nur Jugendliche sein können. »J’y crois pas! Grand-père.«
Das Mädchen rannte davon, als Emanuele so tat, als wollte er es fangen. Ihn so ausgelassen zu erleben erstaunte Eleonora und rief ihr in Erinnerung, dass dieser Mann zu allem fähig war, sogar zur Normalität. Allein die Last der Schuld, der schwerste Stein, den man im Herzen tragen kann, hinderte ihn daran, so zu leben wie alle anderen.
Bevor Eleonora den Burghof betrat, packte sie Emanuele am Handgelenk und küsste ihn auf den Mund.
»Lass nicht lange auf dich warten, Julia«, neckte er sie, und Eleonora gab die Beleidigte, weil er sie bei dem Spitznamen genannt hatte, den sie partout nicht ausstehen konnte.
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Das Beste ist nicht genug für mich, wie du weißt.«
»Wer war das? Die Kellnerin, meine ich.«
»Versuchst du das Thema zu wechseln?«
»Nein. Jetzt komm schon, sag’s mir.«
»Erinnerst du dich noch an die junge Frau, die wir bei dem Theaterfestival in Borgo San Lorenzo in die Notaufnahme gebracht haben? Sie hatte eine Schusswunde an der Schulter.«
»Aber ja, natürlich! Wieso habe ich sie bloß nicht sofort wiedererkannt? Ich habe sie später sogar noch einmal gesehen, im Auto vor deinem Hof.«
»Vor dem Hof?«
»Emanuele!«, ertönten Rufe aus dem Burghof, wo inzwischen in voller Lautstärke Musik lief.
»Ich verdrücke mich dann mal, ohne mich zu verabschieden.«
»Aber …«
»Wenn ich jetzt da reingehe, lassen sie mich nicht mehr raus. Was für ein Heidenlärm, das arme Gemäuer.«
Eleonora strich ihm zärtlich übers Gesicht.
»Wir sehen uns später.«
Sie sah Emanuele nach, als er sich entfernte, und das Mädchen von vorhin spähte enttäuscht aus dem Tor.
Nachdem Emanuele gegangen war, fühlte Eleonora sich irgendwie fehl am Platz. Sie rang nach Luft, und die anderen Gäste traten ihr ständig auf die Füße, als sie zu einer traurigen Polonaise entlang der Burghofmauer genötigt wurden.
Ohne Emanuele war das Schauspiel unerträglich.
Alessandro stand hinter dem Tisch mit der Hochzeitstorte, während Corinne und Rita mit den Gästen Selfies machten. Eigentlich hätte sich auch der Bräutigam mit ihnen fotografieren lassen sollen, aber er stand einfach nur da, reglos, verwirrt. Genau wie Eleonora.
Als er den Kopf hob, kreuzten sich ihre Blicke. Eleonora wandte sich blitzschnell ab. Da standen sie nun und warteten, Alessandro hinter dem Tisch und sie davor, und offenbar waren sie die Einzigen, die sich unwohl fühlten.
Endlich sprach jemand einen Toast auf das Hochzeitspaar, die beiden senkten das Tortenmesser in die Schlagsahne und verteilten die weiße, vom Saft der Erdbeeren entweihte Torte.
Alessandro war nun Corinnes Ehemann, und Eleonora hatte der Zeremonie beigewohnt. Zeit zu gehen.
2
Unermüdlich suchte Emanuele nach der Abstammungsurkunde des Stütchens. Das Fohlen seiner preisgekrönten Zuchtstute hatte nicht nur die mütterlichen Qualitäten geerbt, sondern war auch sonst sehr vielversprechend, und Emanuele hatte ein lukratives Angebot erhalten.
Eleonora verstand nichts von Pferden und Pedigrees, trotzdem verfolgte sie fasziniert seine beharrliche Suche. Selten hatte sie Emanuele derart von einer Sache eingenommen erlebt.
Schweigend schaute sie zu, wie er den hinter der Anrichte verborgenen Safe öffnete, in dem sich Dokumente und Zeitungen stapelten. Es lagen weder Geldscheine noch Schmuckschatullen darin, nur Papier.
Emanuele wühlte eine Weile in dem schmalen Fach, dann drückte er den Safe mit dem Fuß zu. Er bemerkte nicht, dass ein Papier herausgefallen war. Es war eine alte Zeitungsseite mit dem Foto eines kleinen Jungen.
»Scheiße.«
»Was?«, fragte Eleonora scheinbar unbeteiligt, sah aber aus den Augenwinkeln, dass der Junge eine beunruhigende Ähnlichkeit mit den Brüdern Vannini hatte. »Dir ist da ein Zeitungsausschnitt runtergefallen. Was ist das?«
Statt auf ihre Frage einzugehen, faltete Emanuele hastig das Papier und steckte es in die Tasche. »Ich war sicher, dass das Dokument bei den anderen Abstammungsurkunden ist. Ist es aber nicht. Und am Montagmorgen kommt der Typ mit dem Geld.«
Er klang ungehalten, als ginge Eleonora ihm mit ihrer Fragerei auf die Nerven. Aber irgendetwas an seinem Tonfall überzeugte sie nicht.
Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Instinkt ließ sämtliche Alarmglocken schrillen, und sie musste ihn dringend beruhigen. Sie würde erst weitere Fragen stellen, wenn sich ein günstiger Moment bot. Nur auf diese Weise konnte man in der Villa Bruges etwas herausfinden.
»Habe ich das richtig verstanden? Am Montag musst du den Preis für Fiamma verhandeln, und erst jetzt kommt es dir in den Sinn, nach der Abstammungsurkunde zu suchen?«
Er hielt inne und schaute sie genervt an. »Was ist, hat dich das Virus meines Bruders erwischt? Ich habe das Ding bisher nicht gesucht, weil ich davon überzeugt war, dass es bei den anderen liegt.«
Eleonora erwiderte lieber nichts, denn sie hatte keine Lust zu streiten. Sie hatte bereits die Vorwürfe von Corinne und ihrer Mutter ertragen müssen, weil sie an dem Abend nicht in der Villa Bruges übernachten wollte.
»Was?«, hatte Rita gefragt und dabei das A unerträglich in die Länge gezogen. »Ich komme extra aus Spanien her, und du gehst weg?«
»Ich gehe nicht weg, Mama. Morgen früh bin ich wieder hier.«
Corinne hatte nichts dazu gesagt, aber ihr trauriger Blick – nicht wütend oder enttäuscht, sondern tieftraurig – hatte gereicht, um Eleonora in Rage zu bringen.
»Komm mit, ich habe dir das Zimmer schon hergerichtet«, hatte Corinne zu Rita gesagt. »Ich habe dein Bett mit lavendelfarbenen Laken bezogen.«
Lavendelfarben? Was für eine Farbe war das denn? Und warum sollte sie Rita gefallen?
Vermutlich wusste Corinne, dass ihre Mutter solche Bettwäsche mochte, im Gegensatz zu Eleonora, die keine Ahnung hatte, weil sie ihrer Mutter nicht genügend oder zumindest deutlich weniger Beachtung schenkte als Corinne.
Emanuele hatte die Suche offenbar aufgegeben, denn er stellte sich nun hinter Eleonora und verband ihr die Augen mit einem seiner Bandanas. Zum ersten Mal ließ er nicht zu, dass sie ihn anschaute, dabei verlangte er für gewöhnlich ihre volle Aufmerksamkeit.
Das Blut strömte sogleich in ihre Beine, sammelte sich in der Leistengegend, drückte Eleonoras Herz zu Boden. Verblüffend, mit welchem Geschick Emanuele jedes Fühlen zu erden verstand, als ob die Seele, statt sich in einem Winkel des Herzens zu verbergen, durch die Blutbahnen zirkulierte und mit dem Körper eins würde.
»Was wirst du jetzt tun, am Montag?«, fragte sie leise im Dunkeln. Wenn man nichts sieht, gewinnt der Klang an Bedeutung, kann übertrieben, gar störend wirken.
»Ich kenne Fiammas Abstammung«, antwortete Emanuele, und Eleonora spürte seinen Atem erst an ihrem Ohr, dann auf ihrem Hals. »Der Typ wird nicht lange fackeln. Und die Urkunde taucht früher oder später wieder auf.«
Eleonora spürte seine Finger auf ihrer Wirbelsäule, er knöpfte ihr das Kleid auf. Sie war froh, das aufdringliche Rot loszuwerden. Ihr schien, als machte es ihre Schritte schwerer. Das Kleid fiel zu Boden, und sie kickte es weg.
Als Emanuele ihren Fuß festhielt, verlor Eleonora fast das Gleichgewicht. Der warme Druck zwischen dem Riemchen der Sandalette und dem Spann signalisierte ihr, dass Emanuele sich hingekniet hatte.
Sie ließ sich widerstandlos auf den Boden ziehen. Die Nacht war sommerlich warm, obwohl erst Mai war, doch der Fußboden war unangenehm kalt. Ihre Schulterblätter wurden hart gegen die Fliesen gepresst und schmerzten, aber Emanuele drückte ihre Beine weit auseinander und hielt sie an den Fußgelenken fest.
»Bring mich ins Bett«, sagte Eleonora und versuchte, ihre beunruhigte Stimme nicht befehlend klingen zu lassen. »Mir ist kalt.«
Emanuele hob ihren Fuß an und drückte den Pfennigabsatz gegen seinen flachen, harten Bauch. Dann strich er mit der Hand über die Innenseite ihrer Schenkel bis zum Slip, um ihn ihr mit einer geschickten Bewegung abzustreifen.
»Bring mich ins Bett, bitte.«
»Sei still. Lass dich vögeln. Nachher stecke ich dich unter die Bettdecke und mache den Kamin an, okay?«
»Nicht nötig«, sagte Eleonora. Sie hob den Arm, um das Bandana wegzuschieben, aber er packte sie am Handgelenk.
»Was soll das werden? Eine Meuterei?«
»Lass mich los.«
Emanuele hielt ihre Handgelenke auf Kopfhöhe fest, um sie auf den Mund zu küssen. Er hatte volle Macht über sie, was er ohne jede Rücksicht ausnutzte. Dies war einer der Gründe, weshalb Eleonora mit ihm so große Lust empfand. Sie wusste, dass sie nichts tun musste, und das gab ihr Sicherheit.
Mit den Knien drückte Emanuele ihr wieder die Beine auseinander, seine Jeans brannte auf ihrer Haut, als er sich einen Weg zu ihrer Körpermitte bahnte.
Begierig hob sie den Kopf, um ihn zu küssen. Selbst im Dunkeln fand sie alles Wichtige: seinen Mund, seine Hände, sein Herz. Es wäre ein Leichtes gewesen, mit ihm glücklich zu sein, aber vielleicht wollte sie dieses Glück gar nicht, weil zugleich Schuld und Strafe darin lagen. Die Verwirklichung ihrer Träume führte notwendigerweise über den Umweg der Sühne.
»Zieh mich aus«, befahl Emanuele.
Eleonora gehorchte, knöpfte die Jeans auf und umfasste sein Geschlecht mit beiden Händen, bevor sie es in sich einführte. Wonnig presste sie den Rücken auf den Fußboden, um zu spüren, wie er gegen ihre Bauchdecke stieß. Genauso wollte sie ihn, so tief in ihr drin, dass es kein Zurück mehr gab.
Ein zufriedenes, verlangendes Stöhnen entfuhr Eleonora, und gleich darauf noch eins, als er immer fester zustieß und sie versuchte, den Rücken so weit wie möglich aufzuwölben und so herauszufinden, wie aufnahmefähig ihr Körper war. Mit Emanuele entdeckte sie ständig neue Dinge.
»Gut so, nimm mich in dich auf.«
Der Fußboden gab unter seinen Stößen nicht nach, sondern hielt Eleonora mit Gewalt an Ort und Stelle und verhinderte so, dass sie versank. Hätte Emanuele beschlossen, sie mit sich hinabzuziehen, immer tiefer und tiefer, bis dorthin, wo sein wahres Wesen lag, hätte sie ihn nicht mehr aufhalten können.
Dem Orgasmus nah, murmelte Eleonora seinen Namen. Er kannte das Signal und bewegte sich umso heftiger in ihr, um gemeinsam mit ihr zum Höhepunkt zu kommen. Unmittelbar danach zog er ihr das Stofftuch vom Gesicht. Eleonora sah seine dunklen Augen, zunächst verschwommen, dann klar, die geweiteten Pupillen, die bebenden Nasenflügel. Sie hatte ihn in die Unterlippe gebissen, auf der nun drei rubinrote Punkte leuchteten.
Eleonora hätte gerne etwas gesagt, aber ihr Atem ging stoßweise, und sie konnte nicht reden.
»Sag’s mir, Eleonora«, forderte er, noch immer in ihr.
»Wieso?«
»Wieso was?«
»Wieso hast du mir die Augen verbunden?«
Ohne Eile zog er sich aus ihr zurück. Es machte Eleonora traurig, und ihr war plötzlich zum Weinen zumute, ohne dass sie wusste, warum.
»Wieso?«
»Da ist doch nichts weiter dabei«, lautete die banale Antwort, ehe er in die Dusche verschwand. Eleonora überlegte, ob sie womöglich einen verborgenen Sinn in einer bedeutungslosen Geste suchte. In diesen Tagen voller Verwirrungen und Veränderungen schien es ihr, als ob selbst kleine Dinge auf etwas Entscheidendes hindeuteten. Zumindest hoffte sie, dass es so wäre. Sie brauchte Sicherheit.
Langsam erhob sie sich, ihr Rücken schmerzte, die Beine ebenfalls. Eleonora wusste, dass sie Emanuele in wenigen Minuten von neuem begehren würde. Als hätte sie ihn nie besessen.
Am nächsten Morgen herrschte dicke Luft in der Villa Bruges. Die Brautleute hatten beschlossen, die Hochzeitsnacht in der Villa zu verbringen, wo sie seit Jahren mit Maurizio und Denise lebten, und zur Feier des Tages war Rita dazugekommen.
Rita hielt das für vulgär und hielt mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg.
Denise fand sie unausstehlich.
»Die beiden leben seit Jahren zusammen, es war ja nicht ihre erste gemeinsame Nacht«, sagte sie, schob sich eine Handvoll Frühstücksflocken in den Mund und spülte sie mit Milch hinunter, als wären es Tabletten.
Rita schob die von Alessandro zubereiteten Häppchen von sich und zündete sich eine Zigarette an, obwohl niemand sonst rauchte. Denise warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
»Rita, wir rauchen nicht im Haus«, klärte Corinne sie freundlich auf und zog den geblümten Morgenrock enger um sich.
»So was Bescheuertes.«
Emanueles Gelächter durchbrach das Schweigen, und Eleonora musste sich zusammenreißen, um nicht ebenfalls laut loszuprusten.
»Lass gut sein«, sagte Alessandro. »Sie ist unser Gast. Sie darf rauchen.«
Unsicher schaute Rita ihn an. Eleonora, die jede innere Regung ihrer Mutter kannte, wusste genau, was sie gerade dachte. Sie fragte sich, ob dieser Außerirdische sich etwa über sie lustig machte oder nicht.
»Komm, Mama, lass uns rausgehen«, schlug sie vor, und zusammen mit Emanuele traten sie in den Innenhof. Zum Rauchen setzten sie sich auf die neuen weißen Sofas, die Corinne gekauft hatte.
»Wann reist du wieder ab?«
»Mein Herzblatt, ich bin eben erst angekommen. Gib mir ein bisschen Zeit. Sag du mir vielmehr …« Sie warf Emanuele einen Seitenblick zu, ohne den Kopf zu drehen. »Hat meine Tochter bei dir übernachtet?«
»Mama!« Eleonora rückte schlagartig von der Lehne des Korbsessels ab, als ob sie sich verbrannt hätte.
»Ja«, antwortete Emanuele.
Rita machte große Augen. »Mich hat nur interessiert, was meine Tochter davon abgehalten hat, Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen, nachdem wir uns monatelang nicht gesehen haben. Jetzt weiß ich es.«
Emanuele lachte, und Eleonora blickte von einem zum anderen, als ob sie ein Tennisspiel verfolgen würde.
»Sie schmeicheln mir, Rita.«
»Ich hätte dasselbe getan, zu meiner Zeit.«
»Okay, ich gehe wieder rein.«
»Komm schon, Eleonora, jetzt hab dich nicht so«, rügte Emanuele sie, doch sie sprang aus dem Sessel auf und eilte ins Haus.
In der Küche räumten Denise und Maurizio gerade den Tisch ab, und Corinne las die Zeitung.
»Hast du das gelesen, Julia? In unserem Viertel ist eine Bombe hochgegangen.«
»In meinem oder in deinem?« Die Bemerkung war unnötig, aber Eleonora konnte sie nicht mehr herunterschlucken.
»Bei dir zu Hause. In Neapel. Weißt du noch?«
Corinne blickte auf, merkte, dass Eleonora nervös war, und legte besorgt die Zeitung weg. »Was ist los?«
»Nichts. Mama geht mir auf die Nerven.«
»Hab Geduld mit ihr, morgen fährt sie ja wieder.«
»Ach ja? Mir hat sie zu verstehen gegeben, dass sie vorerst nicht abzureisen beabsichtigt.«
»Das tut sie aus Trotz. Du kennst sie doch.«
»Eleonora, kommst du bitte mal kurz in den Garten?« Alessandros gelassene Stimme beruhigte sie sogleich. »Ich muss dir etwas zeigen.«
Er stand auf der Schwelle, und wie von Zauberhand war Eleonoras Wut verraucht. Dieser Mann war ein Heiliger. Der Dalai-Lama in Person.
»Ich komme.«
Sie gingen durch die Vorhalle in den Garten hinaus und schlenderten zum Swimmingpool. Mehrere kompliziert aussehende Maschinen, alles kleine, lautlose Roboter, reinigten das Wasser. Nicht ein Zwitschern durchbrach die Stille, kein Windhauch bewegte die schwüle Luft.
»Ich habe vor, dort hinten eine Laube aus Holz zu bauen«, erklärte Alessandro und zeigte auf eine kahle Stelle zwischen dem Swimmingpool und den Hecken, die das Anwesen umgaben. »Aus irgendeinem Grund wächst an der Stelle nichts. Wir könnten den Platz anderweitig nutzen.«
Eleonora verstand nicht, wieso Alessandro sie um ihre Meinung bat, falls dem überhaupt so war. Aber es hatte keine Bedeutung. Er war attraktiv und liebenswürdig, das weiße Hemd stand ihm perfekt, seine Haare waren inzwischen schulterlang. Er war der Sonnengott.
»Hast du mich deswegen hergeführt, Alessandro?«
In Gedanken versunken drehte er sich zu ihr um, die Hände in den Hosentaschen. »Na ja. Ich wollte dich daran teilhaben lassen. Mir gefällt die Idee, dass dieser Ort auch dir gehört.«
»Warum sollte er das?«
»Warum nicht?«
»Lassen wir das. Ich finde die Idee mit der Gartenlaube großartig.«
»Warum bist du so abweisend?«
»Bin ich nicht. Ehrlich.«
»Ich muss mit dir sprechen, Eleonora.«
Ich wusste es. Von den ständigen Richtungswechseln wurde ihr ganz schwindlig. »Jetzt machst du mir Angst.«
Er lächelte, und das entwaffnete sie vollends. Sein Lächeln war wie ein Gift, das sich in der Luft ausbreitete. Je sanfter und gelassener er war, desto rücksichtsloser räumte er mit seinem Umfeld auf.
»Dafür gibt es keinen Grund.«
»Hast du mich hierhergelockt, um zu reden?«
»Nein, nicht jetzt. Morgen Abend, was meinst du? Lass uns nach Florenz fahren.«
Oh Gott, das geht über meine Kräfte.
»Du könntest mir deine Wohnung zeigen. Du hast mich noch nie eingeladen.«
Stimmt, wie seltsam. »Ja, mal sehen. Wieso eigentlich nicht?«
»Bin ich dir unangenehm, Eleonora?«
Das spitze Lachen, das ihr entfuhr, sagte eigentlich alles. Er überhörte es großzügig.
»Nein, nein, wie kommst du darauf? Es ist nur …«
»Kein Problem. Wir können uns auch in Borgo San Lorenzo auf einen Kaffee treffen. Ist dir das lieber?«
Eleonora war erleichtert und verwirrt zugleich. Dass sie sich davor fürchtete, mit Alessandro allein an einem abgeschiedenen Ort zu sein, ließ tief blicken. Außerdem offenbarte es Dinge, die nicht leicht einzugestehen waren.
»Ja, okay.«
»He, ihr zwei!« Corinne kam atemlos angelaufen, Alessandros Mobiltelefon in der Hand. »Du hast es auf dem Küchentisch liegen lassen. Es gibt wohl Neuigkeiten.«
Er starrte auf den Namen »Michela«, der auf dem Display aufleuchtete. Dann griff er nach dem Handy und nahm den Anruf gerade noch rechtzeitig entgegen.
3
Eleonora übernachtete auch an diesem Abend nicht in der Villa Bruges, was ihr erlaubte, am nächsten Morgen etwas länger zu schlafen, bevor sie sich mit ihrer Mutter und Corinne am Flughafen von Florenz traf.
Sie frühstückte in aller Eile und beantwortete eine pikierte Mail der Rektorin, weil Eleonora einige außerschulische Aktivitäten für ihre Klassen organisierte.
»Die Subventionen reichen hinten und vorne nicht, wir können uns keine zusätzlichen Ausgaben leisten«, argumentierte die Schulleiterin.
So ein Blödsinn, die Schule brauchte gar keine Zuwendungen. Das Schulgeld war mehr als hoch, dafür waren die Lehrergehälter lächerlich gering, verglichen mit den Löhnen an staatlichen Schulen. Sogar das Reinigungspersonal war auf ein Minimum reduziert worden. Gier und Geiz, das waren die Gründe für die Verärgerung ihrer Chefin.
Eleonora schaltet das Handy ein, und zwei aufeinanderfolgende Klingeltöne kündigten gleich zwei Kurznachrichten von Emanuele an.
»Ich habe Fiammas Abstammungsurkunde gefunden, sie lag bei den anderen. Du und deine Angewohnheit, mir Drogen in den Kaffee zu schütten.«
Eleonora fand seine Ironie wundervoll. Anfangs war sie davon irritiert gewesen, dachte erst, er sei zynisch und boshaft, doch seit sie ihn besser kannte, war sie beinahe gerührt.
»Ich habe ein neues Bandana besorgt«, lautete die zweite SMS.
Eleonora antwortete umgehend. »Ich hoffe, es ist schwarz, dann passt es gut zu den Pumps, die ich mir extra für dich gekauft habe.«
Sie duschte kurz und stieg ins Auto. Nach einigem Überlegen hatte sie einen Gebrauchtwagen erstanden, der zwar alt war, aber ohne zu murren seinen Dienst tat. In Florenz brauchte sie kein Auto, sie ging nicht oft aus, und die Schule befand sich in der Nähe ihrer Wohnung. Aber wenn sie zur Villa Bruges fuhr, wollte sie von niemandem abhängig sein. Allein das Gefühl, den Brüdern Vannini über alles Rechenschaft ablegen zu müssen, war unerträglich.
Corinne weinte, während Rita eincheckte. Die Tränen weckten Schuldgefühle in Eleonora, eine Stimme in ihrem Kopf flüsterte: »Ich sollte ebenfalls traurig sein, eine jede Tochter hängt an ihrer Mutter. Ich bin ein Scheusal.«
»Willst du wohl aufhören? Sie liegt nicht im Sterben, sondern wird in Barcelona eine Menge Spaß haben.«