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Alexander von Ungern-Sternberg's Buch "Die beliebtesten Märchen und Sagen für Groß und Klein" präsentiert eine eindrucksvolle Sammlung von zeitlosen Märchen und Seesagen. Der Autor verwendet eine poetische und nostalgische Schreibweise, die den Lesern erlaubt, in eine Welt voller Magie und Fantasie einzutauchen. Die Geschichten fesseln durch ihre lebendigen Beschreibungen und moralischen Lehren, die sowohl für Kinder als auch Erwachsene gleichermaßen inspirierend sind. Das Buch präsentiert eine exquisite Auswahl an klassischen Erzählungen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und bis heute beliebt sind. Alexander von Ungern-Sternberg, ein renommierter Schriftsteller und Experte für Folklore und Fantasyliteratur, hat mit diesem Buch eine Hommage an die traditionellen Geschichten geschaffen, die unsere Kultur prägen. Seine Leidenschaft für mündliche Überlieferungen und seine Liebe zur mystischen Welt spiegeln sich in seinen einfallsreichen Erzählungen wider. Durch seine profunde Kenntnis der Märchen und Sagen gelingt es Ungern-Sternberg, den Lesern eine faszinierende und magische Leseerfahrung zu bieten. Leser jeden Alters werden von "Die beliebtesten Märchen und Seesagen für Groß und Klein" begeistert sein. Dieses Buch ist eine wertvolle Schatztruhe voller zauberhafter Geschichten, die die Leser in eine Welt der Träume entführen. Mit seiner künstlerischen Sprache und zeitlosen Weisheit bietet das Buch eine willkommene Flucht aus dem Alltag und erinnert uns daran, die Wunder und Abenteuer in unserem eigenen Leben zu schätzen.
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Seitenzahl: 621
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Books
Es war einmal ein Bäcker, der hatte eine wunderschöne Tochter, die war sechs Jahre alt und hieß Fräulein Adeline Honigkuchen. Man konnte nichts Schöneres sehen, als dieses allerliebste Kind. Sie war so fein und zierlich gebaut, als hätte ein Künstler ihr kleine Glieder aus Elfenbein gedrechselt, und der Ausdruck ihres Gesichtes war die Unschuld und Fröhlichkeit selbst. Wenn der Bäcker buk, stand sie gewöhnlich am Troge, und wenn es grade recht feines Backwerk gab, so teilte der Vater der Tochter etwas von dem Teige mit, und sie fertigte ihrerseits was sie wollte, Brezeln, Sterne, Blumen, Körbchen, Vögel. Einstmals sagte sie: »Nun will ich aber mein Meisterstück machen, damit die ehrliche Bäckerzunft sieht, daß ich alle Tage, wenn es mir gefällt, in ihre Reihen treten kann.« »Nun, was wird's denn werden?« fragte der Vater begierig. »Ich will mir einen Mann backen«, entgegnete das kleine Mädchen. Und sogleich fing sie an, zog den Teigklumpen in die Länge, machte dann bis in die Hälfte, der Länge nach einen Einschnitt, so daß es zwei stattliche Beine gab, und die Brust machte sie hoch und breit, so wie sie es an ihrem Vater sah, und das Gesicht rund und voll. Als der Mann im Groben fertig dalag, ging sie mit besonderer Mühe an die Einzelheiten. Sie gab ihm Haare von dem feinsten Mandelkern in unbeschreiblich feine Streifchen geschnitten, in einen zierlichen Scheitel geteilt, so daß rechts etwas Locken und links ein ganzer Büschel sich zusammenfanden. Kleine getrocknete Weinbeeren machten die schwarzen Augen, ein Mantelschnitt die Nase, und eine rote Hagebuttenhälfte den Mund. Keine Schnittchen Mandelkern bildeten auf der Operlippe einen blonden Bart. Die Ohren setzte sie etwas leichtfertig an die Seiten des Kopfes an, denn für die Ohren interessierte sie sich nicht sehr, ebensowenig Sorge machte ihr der ganze übrige Körper. »Er muß ja doch Kleider anziehen,« sagte sie, »also wär's unnütz, wenn ich viel an dem Mühe verschwendete, was man doch nicht sieht. Eins, zwei, – drei! und mein Mann ist fertig.« Sie ging nun zum Vater und bat ihn, daß er ihren Mann in den Ofen schieben möchte, denn sie werde noch heute abend mit ihm irgendwo in Gesellschaft gehen, und da müßte er notwendig schon gar sein, und fix und fertig, und nicht mehr heiß, damit man sich nicht die Finger an ihm verbrenne. Der Vater nahm den Mann, betrachtete ihn mit Lächeln und sagte: »Du hast dir ja einen recht hübschen Jungen gemacht!« – »O, er ist nicht übel!« entgegnete das Kind – »und wie wird er erst schmecken! Ich werde Nachbars Tinchen auch ein Stück von ihm geben.« – »Ei, das würdest du nicht tun, wenn er lebte!« sagte der Bäcker. »Kein Weib teilt ihren Mann mit einem andern Weibe.« Und als der Bäcker dies sagte, streute er schönen, weißen Zucker auf den Mann und schob ihn in den Ofen. Adeline setzte sich an den Ofen und wartete ruhig, bis er fertig sein würde. Nebenbei dachte sie an die Worte ihres Vaters und rief schmerzlich: »Ja, wenn er lebte! Aber er lebt nicht! Wenn er lebte, würde ich ihn aufs innigste liebes und gewiß nicht das kleinste Stück von ihm weggeben.«
»Fräulein Adeline Honigkuchen!« rief hier plötzlich eine feine Stimme.
»Was ist's?« fragte sie erstaunt.
»Machen Sie gefälligst ein wenig die Ofentür auf. Es ist hier innen gar zu heiß, ich möchte etwas Luft schöpfen.«
Adeline sprang hinzu und riß die Tür auf, und heraus trat, etwas gebückt, damit er sich oben an der berußten Wand nicht den Kopf einstoße, ein junger schmucker Herr von etwa siebzehn Jähren. Er ergriff des Bäckers abgelegte Schürze, band sie sich vor und machte dann gegen das junge Mädchen eine sehr zierliche Verbeugung.
»Ei, wer sind Sie?« fragte diese.
»Das ist grausam«, entgegnete er, stockend und errötend. »Sie haben mich geschaffen und kennen mich jetzt nicht mehr.«
Als er dies sagte, wischte er sich mit der Schürze des Bäckers eine Träne aus den hübschen dunkeln Augen, und der purpurrote Mund verzog sich unter dem zierlich gekräuselten, blonden Schnurrbart zum Weinen.
Adeline weinte sogleich mit. Sie konnte niemand weinen sehen, ohne sogleich mitzuweinen.
»Aber was ist denn das alles?« fragte sie endlich. »Ich habe einen Mann aus Zuckerbrezelteig in den Ofen geschoben.« –
»Nun ja doch!« rief der junge Mann immer noch weinend. »Das bin ich ja! Der alte häßliche Ofen hier steht auf einem Platze, wo vor grauen Jahren einst der Palast einer sehr mächtigen Fee gestanden hat. Diese hat den Ausspruch getan: was an dieser Stelle gewünscht wird, soll in Erfüllung gehen; und Sie, mein wunderschönes Fräulein Honigkuchen, haben gewünscht, daß ich leben soll und – ich lebe und bete sie an!«
Hiermit sank er auf ein Knie und berührte mit seinen Lippen die Spitze des roten Pantöffelchens, das die kleine Bäckertochter an ihren kleinen Füßchen trug.
»O Herr!« – rief diese ganz beschämt – »aber wie – wie heißen Sie?« –
»Das haben Sie zu bestimmen, mein Fräulein«, entgegnete er voll Ehrerbietung und immer noch auf dem einen Knie liegend.
»Ach seien Sie still – wie soll ich das bestimmen? Mein Herr, Sie sind gar zu spaßhaft! I je! und da haben Sie ja die Schürze meines Vaters um den Leib! Hören Sie, Männchen, lassen Sie das bleiben. Der Papa ist sehr eigen mit seinen Sachen und liebt nicht, daß etwas von dem Orte, wo er es hingelegt, weggenommen wird. Ich will Ihnen hier mein seidnes Schürzchen geben. Da!«
Er legte mit Vergnügen das seidne Schürzchen um.
»Da ist noch etwas Zuckerstaub auf Ihrer Nase!« rief sie. »Kommen Sie her, ich puste es weg.«
Und er legte seinen Kopf in ihren Schoß, und sie blies ihm die Zuckerrestchen weg, die hier und da auf der Nase, den roten Wangen und den Hagebuttlippen zurückgeblieben waren.
»Können Sie mit diesen Lippen, die ich Ihnen gemacht, auch küssen?« fragte sie treuherzig.
»Warum nicht?« antwortete er lächelnd. »Probieren Sie's mal.«
Und sie gab ihm einen herzhaften Kuß, bei welcher Gelegenheit sie bemerkte, daß der hübsche, blonde Bart so weich wie Seide war, und gar nicht so stach wie des Vaters Bart, wenn der sie manchmal küßte.
»Jetzt gehen Sie, kaufen Sie sich Kleider«, hob sie an; »hier ist das Geld aus meiner Sparbüchse. Der Nachbar nebenan verkauft Kleider. Sie können sagen, Sie hätten im Flusse bei der Mühle gebadet, und man hätte Ihnen die Kleider gestohlen. Nun, haben Sie mich verstanden, Sie, Baron Mandelkern?«
»Erlauben Sie mir, mein engelschönes Fräulein,« fragte der junge Mensch verlegen, »daß ich diesen Namen behalte?«
»Welchen Namen?«
»Mandelkern.«
»Ei, meinethalben!« sagte das kleine Mädchen lachend. »Ich hab' ihn zwar so hingesprochen, ohne allen Grund, allein, gefällt er Ihnen, so behalten Sie ihn. Nun werde ich Sie wie unsern hübschen ersten Gesellen nennen, nämlich Fritz. Also Fritz Mandelkern – auf Wiedersehn!«
Und damit klatschte sie lustig in die Hände und hüpfte fort, indem sie vor sich hin rief: »Jetzt hab' ich einen hübschen Mann, der heißt Fritz Mandelkern, und ich hab' ihn mir selbst gemacht! Das können nicht alle Frauen von ihren Männern sagen. Wenn er mir einmal böse Streiche macht, werde ich ihm zurufen: Hör mal du! Du hast mir an Zuckerteig, Mandeln und Rosinen soundso viel gekostet – sei artig; oder ich sage es dem Vater, was für ein Patron du bist, und er wirft dich wieder in den Backtrog und backt dich um, so wie wir es mit den altgewordnen Brezeln tun, die niemand mehr haben mag.«
Aber Mandelkern machte keine bösen Streiche, er war der artigste, gefälligste junge Mann wohl zwanzig Meilen in der Runde. Auf den Wink gehorsam, und der kleinen Adeline wie ihr Schatten auf Tritt und Schritt nachfolgend. Das war aber der kleinen Bäckertochter nicht recht und sie sagte eines Tages: »Geh in die Fremde. Ich werde dir ein Stück Geld mitgeben, und du kannst dein Glück versuchen. Hier will es nicht recht passen, daß du mir immer so zur Hand bist. Die Leute fragen, wer du eigentlich seiest, und wo du hergekommen. Diese Fragen bin ich überdrüssig. Wenn ich ihnen auch hundertmal sage, es ist ein Vetter vom Lande, so kommen sie gleich mit der Frage: ja, von welchem Lande? Und warum hat er so schwarze Augen und dabei einen so blonden Bart? Und warum kann er keinen Backofen ansehen, ohne daß ihm schaudert, und warum ist dies, und warum ist das? – Kurz, es ist besser, du gehst. In der Fremde kannst du wie ein Prinz auftreten, denn ich gebe dir alles Geld, was ich erspart seit vielen Jahren. Vielleicht kannst du eine reiche Partie machen, was gar nicht so übel für dich wäre.«
Und so zog der junge Mensch in die Fremde.
Nach einer Weile kam er wieder und rief traurig: »Es geht nicht. Ich werde ewig nicht mein Glück machen!«
»Und weshalb nicht?« fragte sie.
Da stand er auf und rief zornig:
»Adeline Honigkuchen, Soll ich ewig etwas suchen? Adeline Honigkuchen! Soll erzählen ich mit Fluchen: Adeline Honigkuchen, Hat gemacht mich zum Eunuchen!«
»Was ist das, ein Eunuch?« fragte die kleine Bäckertochter ganz erstaunt.
»Ach, ich kann Ihnen das nicht erklären, mein liebstes Fräulein«, entgegnete er wehmütig. »Kurz gesagt, wie Sie mich schufen, haben Sie aus unbegreiflicher Nachlässigkeit etwas an mir vergessen.«
»Ei, was denn? Ich habe doch an alles gedacht.«
»Nicht an alles.«
»Und an was hätte ich nicht gedacht?« fragte sie.
»Gräßliches Schicksal!« rief er, die Hände ringend und außer sich fortstürzend. »Sie versteht mich nicht, und mir verbietet das Zartgefühl, mich deutlicher auszudrücken. Und wenn ich es ihr sagte, wer weiß, ob sie dann selbst mich verstände; sie ist so verzweifelt unschuldig.«
Und drei Nächte kam er und sang vor Adelinens Fenster, halb zornig, halb wehmütig:
»Adeline Honigkuchen
Soll ich ewig etwas suchen?«
»Ich weiß nicht, was du suchest,« rief sie ganz aufgebracht, und warf das Fenster zu. »Alberne Zuckerteigpuppe, geh mir aus den Augen und komm mir nie wieder in mein Haus.«
»Alberne Backtrogprinzeß!« schrie er dagegen. »Du selbst bist an deinem und meinem Unglück schuld. Einfältiges Naseweis! nimmt sich vor, Männer zu schaffen und vergißt an ihnen das Wichtigste. Hab ich jemals eine so dumme Gans gesehn! Pfui, zum Kuckuck! Ich hätte die Mädchen auf dem Lande verständiger mir gedacht.«
Damit gingen die beiden bitterbös voneinander und sahen sich nie wieder.
Zwei Jahre drauf lebte in der benachbarten Residenz ein sehr reicher, schöner Mann, der Herr Graf Mandel von Mandelkern, der freite um die jüngste Tochter des Königs, und erhielt sie auch. Alle Welt sagte: »Was für ein schönes Paar!«
Die Hochzeitnacht kam, da blieb der Herr Graf weg. Die Prinzessin Braut schickte nach ihm, und der Page brachte die Antwort: »Der Herr Graf haben unleidliches Zahnweh und lassen sich entschuldigen.«
Die Nacht drauf brachte der Page die Antwort: »Der Herr Graf haben ganz fürchterliches Nasenbluten und lassen sich entschuldigen.«
Die Prinzessin dachte: So soll es die dritte Nacht sein, wo ich endlich unter die Haube komme; aber auch in der dritten Nacht ließ der Graf sich entschuldigen, und der Page brachte die Antwort: »Daß er heftiges Leibschneiden bekommen, well er unvorsichtigerweise am Mittag einen Melonenkern verschluckt.«
Da wurde die Prinzessin böse, und der König wurde böse, und der ganze Hof wurde böse. Der Graf erfuhr unter der Hand, daß man beabsichtige, ihn mit Schimpf und Schande aus dem Lande zu jagen, wenn er fortführe, an Zahnweh, Nasenbluten und Leibschneiden zu leiden.
Der Graf Mandel von Mandelkern war in einer sehr üblen Lage. »Du dumme Bauerndirne! Du Kröte! Du Seifenschaumgesicht!« rief er und ballte die Faust nach dem Orte zu, wo der Bäcker wohnte. Aber sein Schimpfen half ihm zu nichts und machte nur, daß seine zarte Hautfarbe eine fleckige, unangenehme Röte annahm. Er setzte sich darum hin, beruhigte sich wieder und beschäftigte sich, seinen blonden Bart zu kräuseln und seine goldgelben Locken in gehörige Ordnung zu legen. Da trat sein Kammerdiener herein und meldete, »es sei draußen eine alte Bettlerin, die eine kleine Gabe fordere.«
»Ei,« rief der Graf unwillig, »sag ihr, ich gebe ihr, was ich nicht habe.«
Der Diener ging hinaus und kam mit der Antwort wieder, »die Alte bedanke sich, sie hätte es nicht nötig, allein sie wolle dem Herrn Grafen schenken, was sie nicht habe.«
Mandelkern sprang auf und rief: »Haltet sie fest. Bringt sie herein! Das ist eine kostbare Person! Ich werde sie bei ihrem Wort halten. Sie soll mir aus der Patsche helfen.«
Aber die Alte war fort. Niemand mußte sie zu finden. Der Graf Mandel von Mandelkern war außer sich, er ließ in die Zeitungen setzen: wer ihm diejenige Person brächte, die ihm schenken wolle, was sie selbst nicht habe, solle eine Tonne Goldes erhalten.
Jedermann war über diesen seltsamen Aufruf befremdet. Wie kann man schenken, was man nicht hat? fragten sich die Leute. Der Herr Graf muß verrückt sein. Wir begreifen es nicht.
Und die Prinzessin begriff es nicht, und der ganze Hof begriff es nicht.
Der Graf, da die Bettlerin nicht zu finden war, wurde schwermütig und trieb sich ganze Tage und Nächte lang in den Wäldern und in der Einöde herum. Eines Abends betrat er einen finstern Wald, von dem die Sage ging, daß es darin nicht geheuer sei, und daß Zauberer und Hexen daselbst hausten. Dem Grafen war es ganz gleichgültig. Das Leben war ihm zur Last; wenn er die Bettlerin nicht fände, wollte er sterben.
Mitten im Walde stand eine Hütte, daraus schimmerte ein Licht, und ein Gesang tönte hervor. Dieser Gesang lautete:
Ich bin die Frau von Lumpenstich Und lebe hier ganz königlich. Die Flöhe sind mir Hofmamsellen. Die Mäus' hab'n Kammerherrnstellen, Mein Kater Ist Intendant vom Hoftheater. Um acht Uhr abends tanzen nett Die Mücken mir ein Hofballett; Dann gibt's ein Feuerwerk, ein Kranz Irrlichter rings im Feuertanz, Mein maître de plaisir, Der grüne Frosch, bereitet's mir; Dann geh' beim Quinkelieren Der Unken ich am Teich spazieren. Zu Nacht gibt es Souper und Schmaus So ruh' ich von dem Tagwerk aus.
Als die Bewohnerin der Hütte dies gesungen hatte, trat sie heraus, um die Nachtkühle zu genießen, und da erkannte der Graf mit großer Freude, daß er die Bettlerin vor sich habe, denn der Diener hatte sie ihm so genau beschrieben, daß er unmöglich auch nur einen Augenblick zweifelhaft sein konnte. Die Frau von Lumpenstich ihrerseits erkannte ihren Gast ebenfalls, gab sich aber das Ansehen, als wäre er ihr wildfremd. Beide machten einander eine sehr anständige Verbeugung, und Frau von Lumpenstich nötigte den jungen Mann, in die Hütte zu treten.
»Mit wem hab' ich die Ehre?« – fragte der Graf.
»Frau von Lumpenstich ist mein Name.«
»Ach – Madame; Sie gehn manchmal betteln?«
»Ja, mein Herr Graf, zu meinem Vergnügen. Ich habe nun einmal diese Passion.«
»Genieren Sie sich nicht, meine Gnädigste«; entgegnete der Graf. »Jeder von uns hat seine Liebhabereien. Waren Sie nicht auch schon bei mir?«
»Es ist möglich!« bemerkte die Dame. »Wenn ich einmal auf meiner Wanderung bin, kehre ich bald in dieses, bald in jenes Haus ein.«
»Und boten mir etwas an, was Sie selbst nicht besaßen?«
»Ganz recht; ich bot Ihnen Reichtum, und den besitze ich selbst nicht; und Sie boten mir an, was Sie selbst nicht besitzen, nämlich Armut, und da bemerkte ich, daß ich die nicht brauchen könne.«
»So ist's nicht gemeint, alte Hexe!« rief der Graf Mandelkern, jetzt in hellen, lichten Zorn ausbrechend. »Entweder du gibst mir, was ich, wie du weißt, nicht habe, oder du hast deine letzte Stunde gelebt!«
Damit stürzte er sich auf sie, faßte sie an der Kehle und schüttelte sie so gewaltig, daß sie auf der Stelle des Todes zu sein vermeinte. »Laß los! laß los, Ungeheuer!« schrie sie. »Ich will sehen, was sich in meiner Rumpelkammer für dich findet.«
»Ah – nun sprechen Sie vernünftig, Frau von Lumpenstich«, sagte Mandelkern, die Kehle der Alten freilassend.
Sie nahm ihren Bund Schlüssel und schloß eine kleine Kammer auf, durch deren Tür sie und Mandelkern gebückt eintraten. In dieser Kammer lag eine Menge des seltsamsten Krams durcheinander. Alte Schränke, die auf drei Beinen standen, und deren Türen lose in den Angeln hingen, zeigten im Strahl der Lampe, die die Alte in der Hand hielt, ihre schwarze, von Würmern zerfressene Kruste. Morsche Koffer und halbzerfallene Kisten ließen einen wirren Wust von Lumpen aller Art blicken, die, wenn man sie anrührte, einen modrigen Dunst aushauchten. Auf dem Boden standen Spinnräder, die längst nicht mehr in Gang zu bringen waren, und neben diesen Gerüste und Maschinen, deren Zweck niemand erriet. Sie sahen alt und grau aus, wie alles, was in dieser Kammer stand, aber doch leuchtete noch hier und da ein Messingbeschlag oder ein kleines Stück eingelegten Glases. Auch Teller und Schüsseln standen da, von einer Form, wie man sie nirgends sah.
»Ei!« rief Mandelkern; »hier werd' ich doch nicht finden, was ich brauche.«
»Geduld, mein Sohn – Geduld!« entgegnete die Alte. »Man sieht oft einem Dinge nicht an, wozu es gut ist. Wie gefällt euch zum Exempel dieser Löffel? Aber nehmt ihn in acht, laßt ihn nicht fallen. Ihr seht, er ist von Glas.«
»Ich seh' es; und dabei ist er ziemlich plump gearbeitet, mit einem dicken Stiele«, antwortete Mandelkern.
»Hasch – hasch!« rief die Alte, indem sie einen Sprung tat. »Seht, da habt Ihr ihn fallen lassen.«
Mandelkern fing den Löffel im Schoße auf, und als er ihn fortnehmen wollte, war er dort angewachsen.
Die Alte schlug ein lautes Gelächter auf, nahm den Grafen am Arm, tanzte mit ihm in der Stube und sang dazu:
Herr Ritter sein aus Zuckerteig, Das nenn' ich einen lust'gen Streich! Nun endlich mal seid Ihr komplett, Braucht nicht zu scheun ein Jungfernbett. Die Suppe war wohl da, du Wicht, Doch hatt'st du keinen Löffel nicht. Jetzt hast du beid's, drum sätt'ge dich, Dies wünschet dir Frau Lumpenstich! Mandelkern sang dagegen: Es dankt der Frau von Lumpenstich Graf Mandelkern gar inniglich, Bei jeder Suppe, die er speist, Er künftig ihr den Dank erweist.
»Nun, mehr verlang' ich nicht,« sagte die Alte. »Nur eine Lehre muß ich hinzufügen. Nehmen Sie sich in acht, Herr Graf, wenn Sie in das Land des Glaskönigs kommen. Dort wird man den Betrug entdecken, und es könnte Ihnen das Leben kosten; denn die Glasprinzessin scherzt nicht. Also vorgesehen! und nun gute Nacht.«
Mandelkern ließ jetzt seiner Prinzessin Braut sagen, daß er nicht mehr an Zahnweh, Nasenbluten und Leibschneiden litte, und nun war alles in rechtem Gleise. Die beiden Eheleute lebten miteinander wie im Paradiese.
Nach und nach fing jedoch Mandelkern der Ehrgeiz an zu stacheln. Dieser rief ihm zu: »Du mußt dir ein Königreich erwerben, damit deine Frau nichts vor dir voraus hat.« Gesagt, getan; er zog aus, um sich ein Königreich zu erwerben.
Als er auf der Reise über einen Fluß setzte, sah er auf einem Strohhalm auf dem Wasser schwimmen eine Zikade, eine Schnecke und eine Mücke, der die Flügel versengt waren. Alle drei suchten sich aus Ufer zu retten, aber es wäre ihnen nicht gelungen, denn die Flut trieb zu heftig; Mandelkern zog den Strohhalm zu sich ins Boot, und so kamen die Bedrängten glücklich aus Land. Sie vereinigten sich alle drei vor Mandelkern und sangen:
Wir werden uns bedanken, Wir bleiben den Dank nicht schuldig. Sei nicht ungeduldig! Unsre Treu ist ohne Wanken, Unser Wort ist heilig, Jetzt sind wir eilig, Wir müssen fort, Wir sehn uns wieder – auf unser Wort!
Damit verschwanden die drei Wanderer. Die Schnecke war noch am längsten zu sehen, denn sie kam nicht so rasch vorwärts wie ihre Gefährten.
Mandelkern wünschte ihnen glückliche Reise, indem er ihnen lächelnd nachrief: »Ihr braucht mir nicht zu danken, es ist gern geschehen.« Allein sie hörten ihn nicht mehr.
Nun kam der Wanderer in das Reich des Glaskönigs. Hier waren der König und sämtliche Untertanen aus Glas gebildet; sie waren darum auch sehr zerbrechlich und gingen miteinander so höflich und vorsichtiglich um, daß sie die geringste Berührung vermieden. Tritte, Stöße oder gar Schlägereien fanden gar nicht statt, selbst die Küsse und Umarmungen der Liebenden wurden mit einer Zärtlichkeit und Vorsicht ausgeführt, die nichts zu wünschen übrigließ. Freilich gab es auch Leute, die von sehr grobem Glase, sogenannten Bouteillenglase, geformt waren, und die konnten schon einen Puff vertragen. Wenn es einen Krieg gab, so stellten sich die Parteien einander in langen Reihen gegenüber, nahmen einen Anlauf und rannten mit den Köpfen gegeneinander, von denen unzählige zerbrachen und wodurch das Schlachtfeld fußhoch mit Glasscherben bedeckt wurde. Zum Glück waren aber solche mörderischen Kriege selten. Der Glaskönig liebte den Frieden.
Der Glaskönig hatte eine wunderschöne Tochter, die noch Kind war. Aus dem feinsten, rosenroten Glase gebildet, und bekleidet mit einem aus goldgelben Glasfäden gesponnenen Gewande, erschien sie als das Vollkommenste, was man sehen konnte. Sie war so zierlich, daß der Vater, der sich ganz in sie verliebt hatte, sie immer auf dem Kaminsims in seiner Schreibstube stehen hatte, um sie in jeder Minute des Tages vor Augen zu haben. Um sie vor jedem Staubfäserchen zu schützen, und den Angriff einer unverschämten Fliege abzuhalten, hielt er sie unter einer Glasglocke, und jedes Mal, wenn die Prinzessin ihrem Vater ein Wort sagen wollte, schlug sie mit einem kleinen gläsernen Hammer an die Wand der Glocke, und das gab einen so himmlisch süßen Harmonikaton, daß alle Welt davon entzückt war. Mandelkern, der die Prinzessin sah, war ebenfalls bezaubert von ihrer Schönheit.
Es war ein Gesetz im Lande, daß jeder Fremde, der die Grenzen des Glaskönigreichs überschritten hatte, nichts bei sich führen durfte, was von Glas war. Nicht einmal einen Glasknopf durfte er am Kleide haben. Wenn es dennoch geschah, so war dies ein Kapitalverbrechen und wurde mit dem Tode bestraft. Das Glas war heilig, und nur im Lande selbst sah man es überall; ein Fremder durfte sich nicht anmaßen, das Landesprodukt irgendwie an seiner Person oder seiner Umgebung zu entheiligen. Man kann sich denken, wie Mandelkern einen gewissen Teil seines Körpers versteckte.
Es gelang ihm, die Gunst des Glaskönigs sich in so hohem Grade zu erwerben, daß dieser gar nicht mehr ohne ihn leben konnte. In jeder Stunde des Tages mußte Mandelkern um ihn sein, und in der Nacht, während alles im Palaste schlief, mußte er ihm Geschichten erzählen. Dies erweckte den Neid des ganzen Hofes. Aber seine Feinde wußten nicht, wie sie Mandelkern ankommen sollten, da er nichts tat, was irgendeinen Vorwurf ihm hätte zuziehen können. Allein der Zufall war ihnen behilflich.
Eines Tages badete Mandelkern im Meere, da hörte er am Ufer einen Vogel singen:
Er hat doch etwas von Glas! Ich seh' es klar. Er sprach nicht wahr. Er hat doch etwas von Glas!
Mandelkern sprang ans Ufer, fing den Vogel und tötete ihn. Allein den Gesang hatte noch jemand gehört, nämlich der Hofnarr des Königs, der in einiger Entfernung am Ufer spazierengegangen. Dieser war Mandelkerns erbittertster Feind, weil, seitdem jener am Hofe war, der König seine Märchen und Geschichten nicht mehr hören wollte. Der Hofnarr hatte eine schöne Frau, die war so klug und verschmitzt, als ihr Mann einfältig und albern. Zu der sagte der Narr: »Hör mal, der unverschämte Fremdling hat das Landesgebot überschritten und führt etwas von Glas bei sich. Was es ist, weiß ich nicht; allein ein Zaubervogel hat's mir verkündet. Such herauszukriegen, was es ist, damit wir ihn dem Gesetz übergeben können, und er zu unser aller Freude sein Leben verliere.«
»Gut«, sagte das schlaue Weibchen; »ich werde es schon herausbringen. Laß mich nur machen.«
Und nun schmeichelte sie Mandelkern, erzeigte ihm allerlei Gutes und nannte ihn öffentlich den schönsten Mann, den sie jemals gesehen. Sie ging noch weiter, sie lud ihn ein, in verschwiegener Stille eine Nachtstunde bei ihr zuzubringen. Mandelkern ging in die Falle. Als sie sein Geheimnis erraten hatte, überantwortete sie ihn ihrem Manne, dieser führte ihn vor den König, und der König, so leid es ihm tat, mußte seinen früheren Liebling zum Tode verurteilen. Fürs erste wurde der Arme in ein tiefes Gefängnis geworfen.
Während er so elend dem Tode entgegenschmachtete, geschah es, daß ein Riese, der sich an der Grenze des Glaskönigreichs gelagert hatte, dem Könige sein höchstes Gut, seinen kostbarsten Schatz, seine kleine wunderschöne Tochter stahl. Es war dem Bösewicht gelungen, heimlich seine Boten in den Palast dringen zu lassen und die Prinzessin vom Kaminsims zu rauben, ohne daß der Vater, der im Nebenzimmer schlief, auch nur das leiseste Geräusch vernahm.
Das ganze Königreich war in Verzweiflung. Es wurde verkündet, wer die Prinzessin wiederbrächte, sollte die Hälfte des Königreichs und dazu noch große Schätze erhalten; allein es fand sich niemand. Um in die Burg des Riesen zu gelangen, galt es fast unübersteigliche Hindernisse und Gefahren zu besiegen.
Als Mandelkern das Schicksal der Prinzessin erfuhr, erbot er sich mit kühnem Mute, sie zu befreien. Alle Welt war über diese Vermessenheit erstaunt, und niemand glaubte, daß das Unternehmen gelingen werde. Es war auch über alle Maßen schwierig. Denn erstlich mußte Mandelkern, um in die Burg des Riesen zu gelangen, einen Weg von anderthalb Stunden mit bloßen Füßen über eine Fläche machen, die ganz mit Glasscherben bedeckt war, zweitens hatte der Riese nur ein Auge, und war ganz von Eisen, und man konnte ihm nichts anhaben, und drittens war es gar nicht möglich, in die Riesenburg zu gelangen, denn sie war ringsum von Wachen umstellt.
Alle diese Schwierigkeiten überdachte Mandelkern uns war fast in Verzweiflung im Gedanken, daß er sein Unternehmen nicht werde ausführen können, als man ihm meldete, es seien im Gasthofe der Residenz drei vornehme Fremde angekommen, die ihn zu sprechen wünschten. Als er nach den Namen der Ankömmlinge fragte, sagte man ihm, es sei eine Dame, die sich Frau Schneck von Schneckendorf nenne und eine große Anzahl grau gekleideter Diener und Kammerfrauen bei sich habe; der Herr hieße Herr von Mückenstein und die andere Dame werde von ihrer Umgebung eine berühmte Sängerin genannt, mit Namen Pimpernille Zikada. Mandelkern wußte nicht, was er aus diesen drei Fremden machen sollte; als er sie aber sah und sprach, erkannte er gar wohl die drei Reisenden auf dem Strohhalm, die er einst vom Untergange gerettet, und die nun kamen, ihm ihren Dank abzustatten.
Frau Schneck trat auf ihn zu, machte ihm eine Verbeugung und sagte:
Ich bin Frau von Schneck; Beschreite nur keck Die gläsernen Scherben; Ich bin dabei – Du sollst nicht verderben. Er erwiderte die Verbeugung und sagte: Wohl denn! es sei!
Dann trat der Herr von Mückenstein auf ihn zu, und sprach mit feiner Stimme:
Mein Liebster mein, Ich heiß' Mückenstein, Steh' ganz zu Ihrer Verfügung, Sie sollen sehn, Mit des Riesen Besiegung Soll es trefflich gehn. Er gab den Gruß zurück und sagte sehr artig: Ich danke gar schön!
Und nun kam die Sängerin, machte eine tiefe Verbeugung und sang:
Hoff' auf die Gnade Der göttlichen Zikade, Die nie noch sang, Ohn' daß sie unsterbliche Lorbeern errang! Dieses verderbliche Spiel wird sie wenden Von deinem Haupte ab.
Worauf Mandelkern der Sängerin mit einem gefühlvollen Ausdruck in Stimme und Gebärde erwiderte:
Ich werd' ihr spenden, Dank bis ins Grab.
Und nun unternahm er das Wagstück, und es gelang. Die tausend und abertausend Diener der Frau Schneck überzogen die Glasscherbenstraße mit einem zähen Schleim, der an der Sonne trocknete, und auf diese Weise eine ebne Kunststraße bildete, auf der Mandelkern gemächlich dahinschritt. Als er zur Burg des Riesen kam, fand er sämtliche Dienerschaft in Schlaf gesunken, denn eine große Anzahl Zikaden hatten so süß und verführerisch gesungen, daß auch kein Auge wach geblieben, ausgenommen das eine Auge des Riesen, der in seiner Burg auf der Lauer lag, denn er hatte Mandelkern schon kommen sehen. Wütend raffte er sich auf, um den Eindringling mit einem Todesstreich zu empfangen, und wirklich wäre es um den armen Mandelkern geschehen gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick eine Mücke dem Riesen ins Auge geflogen wäre und ihn daher blind machte. So konnte denn Mandelkern ihn töten und die Prinzessin befreien.
Der König der Glasmonarchie war so entzückt über dieser wundersame Ereignis und über die Besiegung seines hartnäckigsten Feindes, daß er Mandelkern sogleich sein Königreich und die Hand seiner Tochter anbot, die zwar noch sehr jung war, dennoch aber sich gern in den Willen ihres Vaters zu fügen versprach. Mandelkern lehnte dies großmütige Anerbieten ab, indem er dem König mitteilte, daß er bereits vermählt sei. Allein die Hälfte des Königreichs nahm er an, machte daraus ein eigenes Reich und wählte sich selbst zu dessen König. So hatte er erreicht, was er wünschte, und kam unter Freude und Jubel heim. Die boshafte Frau des Hofnarren strafte er jedoch vorher noch, indem er sie in hunderttausend kleine Glasstücke zerschlug und diese ins Meer streute.
Bis in sein hundertachtzigstes Jahr regierte König Mandelkern mit dem gläsernen Löffel, da geschah es, daß er einst einem Backofen zu nahe kam, in welchem gerade Zuckerteig gor. Er konnte dem Zug nicht widerstehen und schlüpfte in den Ofen. Es blieb nichts von ihm übrig als der gläserne Löffel, der in die königliche Kunstkammer gebracht wurde. Der Hof legte auf drei Jahre und drei Monate Trauer an.
Dies ist die Geschichte von dem gläsernen Löffel.
Es waren einmal drei hübsche junge Feen, die saßen beisammen, lachten und plauderten, und die eine rief: »Ich habe doch den schönsten kleinen Fuß, den es auf der Welt gibt;« »und ich«, sagte die andere: »habe den wohlgeformtesten Busen«, und die dritte setzte hinzu: »und ich den allerreizendsten Hintern.« Wie sie das gesagt hatten, ging ein junger Bauer vorbei, der reife Kürbisse zu Markte trug, der lachte die drei übermütigen jungen Feen aus, indem er rief: »Mein Mädchen Fifine hat einen viel kleinern Fuß, einen weit wohlgeformtern Busen und einen tausendmal schönern Hintern. Das muß ich wissen, denn ich bin Mistifax, ihr Geliebter.«
Die Feen wurden über die Dreistigkeit des jungen Bauern wütend. Sie wollten ihn sogleich auf der Stelle umbringen oder verwandeln; allein die älteste und mithin klügste und besonnenste bemerkte: »Wir wollen ihn nicht töten, auch ihm kein Leid zufügen, sonst sähe es aus, als achteten wir uns überwunden, wir wollen ihn jedoch dazu zwingen, zu beweisen, was er gesagt. Er soll uns sagen, welch einen Fehler dein Fuß besitzt, und was deinem Busen und meinem Hintern abgeht, um vollkommen schön zu sein; kann er das nicht – und beim Lilienstab unserer großen Königin! –, er wird es nicht können, so wird er beim nächsten Mondwechsel hier am Baume aufgehängt, an jedem Beine ein großer Kürbis, der ihn niederzieht.«
»So sei es!« riefen die beiden andern Feen. »Wir wollen ihn lästern lehren! Und seine Braut Fifine verwandeln wir in eine häßliche, stinkende Kröte.«
»Und wenn ich nun meine Sach' gewinne?« fragte der junge Bauer, der den Mut nicht sinken ließ.
»So baue ich dir einen Palast,« rief die älteste, »in welchem alle Möbel aus Seide, Gold und Sammet bestehen sollen.«
»Und ich«, fügte die zweite hinzu, »erbaue dir ein Bett, dessen Decke ganz von Perlen gestickt sein soll.«
»Und ich«, nahm die dritte das Wort, »gebe dir ein Nachtgeschirr, auf dessen Boden ein ungeheurer Diamant eingefügt sein soll, von dem Werte eines Königsreichs.«
»Ich bin's zufrieden!« sagte der Bauer. »Wenn ich gewinne, werde ich also mit meiner Geliebten sehr hübsch wohnen, werde mit ihr unter einer Decke schlafen, wie sie kein Prinz und keine Prinzessin haben, und dann werde ich ein Nachtgeschirr besitzen, auf dessen Boden ein Königreich liegt. Und das alles soll kommen in der Zeit von einer vollen Mondscheibe zur andern. Nun ich danke euch – ihr hübschen Hexen!«
»Denke vielmehr daran, du Unverschämter, wie du dich ausnehmen wirst, am Baume hängend, mit einem Kürbis an jedem Beine, und wie übel deiner Fifine der ekelhafte Krötenpanzer passen wird.«
»Aber«, hub der Bauer wieder an: »die Gerechtigkeit fordert, daß ich vorher die Schönheiten sehe und genau betrachte, um deren Wert es sich hier handelt. Ihr werdet mir doch nicht zumuten, die Katze im Sack zu kaufen.«
Die Feen mußten sich, wohl oder übel, dazu verstehen, dem jungen Bauer die Füße, den Busen und den Hintern entblößt zu zeigen, und er fand diese Körperteile von einer so wunderbaren Schönheit, von einer solchen Zierlichkeit und einer so überirdischen Vollendung, daß ihm bange wurde um sein Versprechen. Er konnte sich an diesen Reizen nicht satt sehen und vergaß ganz den Markt und seine Kürbisse. Endlich erinnerten die Feen daran, daß es Zeit sei, sich auf den Weg zu machen. Sie ihrerseits schwangen sich auf Rosenblättern, die sie in drei Wolkenwagen verwandelten, in die Luft, nachdem sie vorher mit dem Bauer festgesetzt hatten, daß sie sich an diesem Orte nach Monatsfrist wieder treffen wollten.
Mistifax hätte nicht ein so kluger Bursche sein müssen, wie er war, wenn ihn nicht sein unvorsichtiges Versprechen im Kopfe hätte wurmen sollen. Er dachte hin und her, wie er sich aus dem Handel ziehen sollte, allein ihm wollte kein Rettungsmittel einfallen. »Sie haben wirklich keinen Makel!« rief er unzählige Male vor sich hin, und meinte damit den Fuß, den Busen und den Hintern; »wie soll ich es machen, daß sie einen Makel bekommen, den sie nicht haben? Es ist, beim Himmel, nichts natürlicher, als daß ich mein Spiel verliere und beim nächsten Mondwechsel mit meinen eignen Kürbissen an den Beinen am Baume hänge! O Fifine! Fifine! in welche Torheit hat mich die närrische Liebe zu dir gebracht! Mit vornehmen Damen ist nicht gut Kirschen essen, und mit Feen nun ganz besonders nicht!«
Diese Worte sprach er laut vor sich hin, als er schon auf dem Markte stand und eine Anzahl Leute um ihn her, die seine Kürbisse musterten. Unter der Menge befand sich auch ein Herr, der gleichsam aus nichts als aus einer ungeheuren Nase bestand. Das übrige an diesem Herrn war nicht der Rede wert. Seine Beine waren so sein und dünn, daß ein Spinnenfuß dagegen mehr an Schenkel und Wade vorweisen konnte, und seine Ärmchen waren so kurz geraten, daß sie mit den magern Händchen nicht bis zum Knie, geschweige denn bis zur Nase hinreichten. Neben der Nase hatte er zwei kleine funkelnde Augen, die wie Mäuseaugen glitzten und flimmerten. Sein Scheitel war ganz kahl, und nur ganz am Hinterhaupte hing ein Schopf dünner, grauer Haare hinab. Er war van Kopf bis zu Fuß in roten Sammet gekleidet mit Goldborten, und ein Heer von Dienern folgte ihm nach, wie er über den Marktplatz schritt. Diese Männer waren alle mit großen Fliegenwedeln bewaffnet und unablässig bemüht, von der Nase ihres Gebieters die lästigen Insekten fernzuhalten, welche eine boshafte Freude daran zu haben schienen, sich gerade an diesem verbotnen Platze zu versammeln. Mistifax bedauerte den armen kleinen Herrn von Herzen. »Es lohnt sich auch,« rief er, »eine so prächtige große Nase zu haben, wenn man dadurch das Geschmeiß veranlaßt, sie sich zum Tummelplatz seiner Lüste zu nehmen.«
Der kleine Herr hörte das und kam an Mistifax heran. Seine Nase warf einen solchen Schatten, daß alle Kürbisse davon bedeckt wurden.
»Mein Sohn«, hub der Herr an; »du scheinst einen magern Handel zu haben. Das Geschäft wirft sicherlich nicht viel ab.«
»Nicht gar zuviel, ehrwürdiger Herr!« entgegnete der junge Bauer, indem er seinen Strohhut lüftete und sich tief dabei verbeugte.
»Warum nennst du mich ehrwürdig?« fragte der Herr.
»Ei, wer im Besitz einer solchen Nase,« antwortete Mistifax ehrerbietig, »verdient wenigstens Papst zu sein.«
Der Kleine lächelte, allein man konnte davon wenig sehen, weil die Nase den Mund überschattete, wie ein Frachtwagen einen Strohhalm überragt, der am Wege liegt.
»Wärest du wohl geneigt, in meine Dienste zu treten?« fragte der Kleine weiter.
»Ei, warum nicht.«
»Du sollst guten Lohn haben.«
»Ich zweifle nicht.«
»Du gefällst mir.«
»O und Sie, mein Herr, gefallen mir ebenfalls.«
»Man sagt, daß ich nicht häßlich sei«, sagte der Kleine mit einer so eitlen und zuversichtlichen Miene, daß Mistifax, der sich soviel Eitelkeit bei soviel Mißgestalt nicht zusammenreimen konnte, nahe daran war, in ein Gelächter auszuplatzen. Es gelang ihm jedoch, sich zu bezwingen, sonst hätte er ohne Zweifel sein Glück verscherzt.
Er folgte nun dem Kleinen mit den andern Dienern, nachdem er seine Kürbisse einem vertrauten Freunde einstweilen zur Aufbewahrung gegeben hatte. Der Weg, den die kleine Gesellschaft nahm, war ziemlich beschwerlich; er führte entweder über langgedehnte Ebenen, über die die Sonne ihre brennenden Strahlen Wache halten ließ, oder durch undurchdringliche Wälder, wo oft umgeworfene Baumstämme den Pfad versperrten. Endlich kam man in einer Felsschlucht an, in deren Tiefe ein kleiner Palast gebaut war, auf das köstlichste eingerichtet, doch rund umher mit einem dichten Netz umsponnen, so daß es den Anschein hatte, als hätte eine Riesenspinne den Palast wie eine Fliege eingefangen und eingesponnen. Die Säulen und Wände des Palastes waren mit einem goldglänzenden, klebrigen Safte bestrichen, so daß ein Insekt, das dennoch Mittel und Wege gefunden, durch das Netz zu dringen, sicherlich an den klebrigen Säulen und Wänden hängenblieb. Mit großer Vorsicht ging der Zug über eine Art Zugbrücke, über die schöne Marmortreppe in den Palast. Mistifax wurde von den andern Dienern ausgelacht, weil er, noch nicht an die Vorsicht gewöhnt, hier und da mit seinen Kleidern hängen blieb.
Der Kleine machte sich's bequem, setzte sich auf ein purpurrotes Seidensofa und schien willens zu sein, ein Schläfchen zu halten. Allein dazu ließ ihn sein Mißgeschick nicht kommen. Er hatte kaum sein Haupt auf das Kissen gelegt, als sich ein feines Summen und Brummen in einem entfernten Winkel des Gemachs hören ließ. Das Summen und Brummen kam näher, und endlich ließ sich ein kleiner geflügelter Gast auf die Nase nieder, die wie ein großes weißes Gebirge auf dem roten Polstergrunde lag. Der Kleine fuhr auf, schrie, zappelte mit den Beinchen und Ärmchen und rief: »Da ist wieder ein vermaledeiter Satan! Ihr Hunde! wartet, ich werde euch prügeln lassen, daß eure Knochen zu Staub werden; warum gebt ihr nicht besser acht!«
Und damit ließ er die sechs Knechte, die grade mit den Fliegenwedeln am Bette den Dienst hatten, auf das kläglichste peinigen und schlagen. Mistifax dachte bei sich: Ei, der Dienst ist doch nicht so ganz leicht! –
Sechs andere Diener mußten nun eintreten, und die, bevor sie ihr Amt antraten, durchspähten jeden Winkel des Gemachs, durchstöberten jede Falte und klopften jedes Polster auf, um nach Fliegen zu spüren. Als sie keine fanden, setzten sie sich am Sofa nieder und begannen zu wedeln. Aber es nutzte ihre Vorsicht wenig; er fand sich auch hier wieder eine Fliege, uns dieselbe Strafe kam auch über diese sechs.
Der Kleine warf sich hin und her und heulte vor Schmerz und Verdruß. »Mistifax!« rief er; » sei du der erste treue Diener, den ich habe, und ich will dich mit Gold überschütten. Halte mir die Fliegen fern, und du sollst mein Sohn und Erbe sein! Mistifax! Mistifax! rette mich! O ich könnte so glücklich sein! ich besitze Schönheit, Reichtum, Macht! Nur die Fliegen, die verdammten Fliegen! Wenn die nicht wären! Ich komme um, ich gehe unter – ich tue mir ein Leid an – nur wegen der Fliegen!«
So jammerte der kleine Herr, und es fehlte wenig, daß er sich nicht die spärlichen grauen Haare ausriß, die er noch besaß.
Mistifax hatte so seine Gedanken über die ganze Sache. Erstlich kam es ihm schon ganz unerklärlich vor, wo die Fliegen immer wieder herkamen, da doch alle nur erdenklichen Mittel angewendet wurden, sie zu vertreiben, und dann zweitens erschienen ihm die Fliegen gar nicht wie gewöhnliche alltägliche Fliegen, sondern er dachte von ihnen, daß sie zu Zeiten etwas ganz anderes sein könnten wie Fliegen. Allein er behielt hübsch vorsichtig und klug seine Betrachtungen für sich und wartete nur auf die Zeit, wo er sein Amt antreten würde. Die Stunde kam, und in der Nacht vorher verkroch er sich im Zimmer in einen Winkel, um zu sehen, was aus der Gesellschaft würde, die alle Abende kam, um dem kleinen Herrn die Zeit zu vertreiben.
Diese Gesellschaft bestand aus einer Anzahl sehr hübscher junger Mädchen, die im Saal tanzten, sangen, spielten und eine große Portion Zucker vernaschten und dazu süßen Wein tranken. Eine von diesen hübschen leichtfertigen Dingern setzte sich dem kleinen Herrn auf den Schoß, streichelte ihm Kinn und Wangen und ließ die ungeheure Nase auf ihrem Busen ruhen. Dies gewährte dem kleinen Herrn ein unbeschreibliches Vergnügen. Dabei hatten die Mädchen ganz dünne Kleidchen an, von Flor und Schleiertüchelchen, wie von Spinnenweb gemacht, und wenn sie durch den Saal tanzten und flatterten, gab es ein feines Geknister und Gewisper, als summten Fliegen um eine Zuckerschale. Die Gesellschaft blieb gewöhnlich bis Mitternacht, bis der kleine Herr, ganz betrunken, in sein Kabinett gebracht wurde, dann dauerte es noch eine kleine Weile, wo die Mädchen in dem verschlossenen Saale allein blieben, und dann waren sie plötzlich alle fort, und niemand wußte, wohin.
Kaum befand sich also Mistifax mit den Mädchen im Saal eingeschlossen, als er gewahrte, daß sie in einen Kreis zusammentraten, sich an den Händen faßten, rundum tanzten und dazu folgendes sangen:
Wir sind Fliegen: Wir lieben zu naschen, Wir lieben zu haschen, An süßes Geschleck Zu rühren keck, In verschlossene Töpfe Zu stecken die Köpfe. Wir sind Fliegen: Wir tanzen gern Mit luftigem Leibe Auf der Fensterscheibe; In kristallner Schale Sitzen in Menge Wir im Gedränge, Wie in köstlichem Saale. Wir sind Fliegen: Wir lieben uns zu putzen, Uns zuzustutzen, Bei der Toilette die Zeit zu verlieren, Zu musizieren, Zu parlieren. Wir sind Fliegen: Wir lieben zu necken; Sind listig, gewandt, Mit tollkühnem Necken, Angriffen zu schrecken, Und wenn die Hand Zornig nach uns schnappt, Sind wir fort in alle Weite, Werden niemals ertappt. So machten's wir gestern, So machen's wir heute, Zum Werk denn! ihr Schwestern!
Und nun hielten sie inne, sahen sich lachend an und tanzten noch ein paarmal in der Runde.
»Ja,« rief die eine, die Mistifax für die hübscheste erklärte, »wir führen ein Leben, wie sich's lustige Fliegen nur wünschen können. Wir beschmausen einen alten, reichen Narren und trillen und schrauben und necken ihn noch dazu recht tüchtig für all das Gute, das er uns erzeigt.«
»Es geschieht ihm recht, der häßlichen Großnase!« sagte die zweite, die noch in einem Glase ein Restchen Likör fand, das sie ausnippte. »Ich habe in meinem Leben viele alte häßliche, verliebte Herren kennengelernt, aber keinen von einer so grauenvollen Widerlichkeit. Hat er mir doch heute, wie er mit seiner Nase auf meinem Busen herumschnüffelte, ordentlich Krämpfe verursacht.«
»Ei, desto ärger mußt du jetzt als Fliege diese Nase kitzeln!« rief eine dritte.
»Ja, das werde ich!« entgegnete die Klagende. »Ihr braucht nicht zu sorgen; schonen werde ich ihn wahrlich nicht. O, ich will mit wahrer Mordlust auf seiner Nase herumkrabbeln. Er soll nicht wissen, ob es eine Fliege oder ein Drache ist, der ihm plötzlich ins Gesicht gekommen.«
»Gut, gut!« riefen die andern. »Du bleibst also diesmal hier.«
»Ich bleibe. Macht nur, daß ihr fortkommt. Der Tag bricht an.« Damit öffnete sie ein Fenster, und in Fliegen verwandelt nahmen sämtliche Mädchen, bis auf die eine, die zurückblieb, ihren Weg durchs Fenster. Die hübsche Kleine sah den Schwestern lange nach, dann schloß sie den Fensterflügel und trat in den Saal zurück.
»Nun will ich auch meine Toilette machen«, rief sie.
Dabei setzte sie eine Schale mit Wasser hin, goß aus einer Kristallphiole etwas Jasminessenz hinein, setzte einen großen, in Silber gefaßten Toilettespiegel zurecht, zwei Kerzen an jede Seite, und nun streifte sie alle ihre seinen Florgewänder ab, und stand da, völlig so nackt, wie man nur nackt sein kann.
Da konnte Mistifax sich nicht halten, und rief: »Sapperment! das ist die hübscheste Fliege, die ich je gesehen.«
Den Schreck der armen Fliege, als sie diese Worte hörte, kann niemand beschreiben. Sie lief, was sie laufen konnte, zu ihrem Schleier, wickelte sich hinein, drehte sich im Kreise, schnell und immer schneller, wobei ein sonderbarer, summender Ton gehört wurde, und dann war sie plötzlich fort und verschwunden, ohne daß Mistifax, der aus seinem Verstecke hervorsprang, entdecken konnte, wo sie geblieben. Nur der Spiegel, das Waschbecken und die Lichter gaben ihm Zeugnis, daß er nicht geträumt, denn er mußte sich schon bequemen, selbst die Sacken fortzuräumen und den Saal in Ordnung zu bringen. Er tat es, denn er sagte bei sich selbst: »Ich will das Geheimnis der Fliegen nicht verraten, vielleicht kann ich's zu meinem Vorteil nutzen. Ein kluger Mann verwirft den Beistand selbst des geringsten Geschöpfes nicht, so ich auch nicht den einer Fliege.«
Der Tag, der auf diese Nacht folgte, verging ruhig. Zum ersten Male konnte der kleine Herr sein Nachmittagschläfchen vollkommen ungestört hinbringen. Er schob dieses erfreuliche Ereignis auf die Wachsamkeit seines neuen Dieners, und überhäufte diesen mit Liebkosungen und Danksagungen. Mistifax verbeugte sich und sagte, daß er nur seine Pflicht getan habe.
Als der Abend kam, erwartete der kleine Herr seine »Damen«, aber sie blieben aus. Es rührte sich kein Fußtritt im Saal, obgleich alle Kerzen angezündet, und die Tische mit Wein und Zuckerwerk zum Brechen belastet waren. Der Hausherr ging unruhig auf und ab und rief immer: »Wo bleiben meine Damen! Wo bleiben meine Damen?« Aber es kam niemand.
Mistifax allein wußte das Geheimnis dieses Ausbleibens. Zur gewohnten Stunde waren die neunzehn Fliegen angelangt und hatten zu ihrer Verwunderung das Fenster verschlossen gefunden, welches sonst immer die zurückgebliebene zu öffnen pflegte. Aber die Arme hatte sich nicht hinausgetraut: sie saß in einem tief versteckten Winkel, hoch oben an der Decke, und kam den ganzen Tag von dort nicht herab. Die Fliegen, als niemand öffnete, schöpften ihrerseits Verdacht und machten, daß sie fortkamen. So ging denn die Nacht höchst trübselig für den kleinen Herrn dahin, der nicht wußte, was er in der Einsamkeit und Stille machen sollte. Um ihn zu unterhalten, erzählte ihm Mistifax die Geschichte mit den drei Feen.
Der kleine Herr belustigte sich daran und sagte dann: »Wie töricht diese Weiber sind. Hat wohl eine von der Schönheit ihrer Nase gesprochen? Keine. Und doch ist und bleibt eine Nase der wichtigste und bedeutendste Teil am menschlichen Leibe. Ist die Nase schön – ist alles schön. Was soll das heißen – den schönsten Fuß haben! Kinderei! Was ist ein Fuß? und nun ein Busen? und gar einen Hintern! Wie kann ein irgend anständiges Frauenzimmer auf ihren Hintern sich etwas zugute tun. Aber diese Feen sind preisgegebene Geschöpfe, die in den Tag hineinleben ohne Sitte und Ordnung. Es lohnt sich nicht, daß ein Mann von guter Lebensart sich mit ihnen abgibt, und ich verarge es dir, Mistifax, daß du dich in einen so leichtfertigen und abgeschmackten Handel eingelassen hast.«
»Gleichwohl, gnädiger Herr, stecke ich doch nun einmal in der Verlegenheit,« erwiderte der junge Bauer bescheiden.
»Sieh zu, wie du dich herauswickelst,« sagte der Hausherr. »Mich geht übrigens, wie du wohl siehst, die ganze Sache nichts an.« Hiermit war die Unterhaltung zu Ende. Die Fliege aber in ihrem Winkel oben hatte alles mit angehört.
Als der kleine Herr zu Bette gegangen, und Mistifax sich allein im Saale befand und, das Haupt auf beide Arme gestützt, sich eben seinen traurigen Gedanken hingab die darin bestanden, zu untersuchen, wie es ihm wohl möglich sein werde, die Bedingungen der drei Feen zu lösen und sich und Fifine dabei reich und vornehm zu machen, und er dabei immer wieder fand, daß ihm dies unmöglich sein werde, besonders, da schon dreiviertel der Zeit vergangen war, die die Feen zur Entscheidung der Angelegenheit festgesetzt – da fühlte er plötzlich eine weiche, kleine Hand auf seiner Schulter. Er blickte auf, und die verwandelte Fliege stand vor ihm. »Guten Abend, mein liebes Fräulein«, sagte er.
»Guten Abend, Mistifax«, entgegnete sie.
»Ei, mein schönstes Fräulein, wie wissen Sie meinen Namen.«
»O, ich weiß noch mehr von dir,« sagte sie lächelnd. »Ich weiß, daß du eben jetzt nachdenkst, wie dir in einer mißlichen Lage geholfen werden soll.«
»Wahrhaftig, so ist es.«
»Nun, Mistifax, laß uns offen reden. Ich weiß, daß du es warest, der mich und meine Schwestern gestern belauscht hat. Unser Schicksal ist in deiner Hand. Verrätst du uns dem garstigen, alten Gebieter dieses Palastes, so läßt er uns alle zur Strafe, daß wir ihn betrogen, und weil er die Fliegen wie den Tod haßt, der großen Spinne ausliefern, die hier in der Nähe wohnt, und eine weitläufige Verwandte von ihm ist. Dieses Schicksal wäre schrecklich.«
»Aber wie könnt Ihr nur glauben, daß ich so etwas tun werde?« rief Mistifax?.
»O, ihr Menschen seid zu allem fähig;« rief die Fliege, »ihr bestreicht Weidenruten mit Leim, damit wir daran kleben bleiben und elend verschmachten mögen; ihr stellt unter allerlei lockenden Außenseiten Gift aus, damit unser argloses Geschlecht, das in eure Wohnungen als Gast kommt, auf das grausamste umkommt. Am ehrlichsten seid ihr noch, wenn ihr geradezu als Mörder auftretet und mit der Fliegenklappe nach uns schlagt.«
»Es liegt etwas Wahres in dieser Anklage,« sagte der junge Bauer nachdenklich. »Aber, mein Fräulein, seid Ihr hier in der Nacht zu mir gekommen, um mit mir über Leimruten und Fliegenklatschen zu sprechen?«
»Nicht doch; ich habe dir einen Vorschlag zu machen.«
»Und der ist?«
»Wenn du,« hub die Fliege an und stockte etwas vor innerer Angst und Beklommenheit, »die Kenntnis unseres Geheimnisses nicht zu unserem Untergang benutzen, sondern im Gegenteil uns hier unser Wesen nach wie vor treiben lassen willst, so sollst du eine Gabe von uns empfangen, die dir von großem Nutzen sein soll. Wir Fliegen halten Wort.«
»Einen Kuß darauf, liebes Fräulein!« rief Mistifax, und als er den Kuß erhalten, machte er die Bemerkung, daß er nimmer geglaubt, daß die Fliegen so gut küssen könnten.
»Aber der arme kleine Herr!« rief jetzt der Bauer, »seine Qual wird ewig dauern.«
»Glaub' das nicht,« entgegnete die Fliege, »wenn wir ihn vollkommen arm gespeist haben, so lassen wir ihn in Ruh und ziehen anderswohin. So lange er aber noch eine Flasche süßen Sekt im Keller und ein Brosamen Zuckerbrezel im Schranke hat, kommen wir und schmausen. Für soviel Lustigkeit in der Nacht ist das bißchen Gekrabbel am Tage eben auch keine so entsetzliche Sache. Mancher alte Lüstling hat ganz andere Pein und Nachweh seiner lustigen Stunden zu erdulden.«
»Im Grunde haben Sie ganz recht, mein Fräulein.«
»Nun denn, du schweigst?«
»Ich schweige, stumm wie das Grab.«
Die Fliege war damit zufrieden, und Mistifax und das hübsche Mädchen belustigten sich miteinander ganz wohl die Nacht hindurch. Der Bauer dachte: meine teure Fifine ist fern von mir; sie erfährt nichts – und überdies, mit einer Fliege kann man ja unmöglich sündigen.
Nun kamen in der nächsten Nacht die neunzehn Fliegen und wurden eingelassen. Die zwanzigste wußte sie zu beruhigen, ohne daß sie ihnen die Wahrheit mitteilte. Der kleine Herr war sehr erfreut, als er seine »Damen« wieder hatte. Er trank aus lauter Freude so unmäßig, daß er früher wie gewöhnlich zu Bette gebracht werden mußte.
Als er fort war, tanzten nun die hübschen Mädchen wie gewöhnlich und sangen:
Wir sind Fliegen: Wir lieben zu naschen, Wir lieben zu haschen, usw.
»Ach!« rief Mistifax bei sich, »wenn ich mich nur in eine Leimrute verwandeln könnte, daß alle diese lieben Geschöpfchen an mir kleben blieben! Mein Wort gebe ich, daß ich keine verschmachten lassen wollte.«
Aber sie verschwanden alle bis auf eine; und diesmal war es eine kleine Brünette mit großen schwarzen Augen; die summte noch ein paarmal im Saale herum und dann, hutsch, war sie oben an der Decke.
»Die scheint zu schläfrig zu sein, um noch Toilette zu machen,« murmelte Mistifax. »Schade darum, denn gerade die würde sich, ohne Schleier, ganz aller liebst ausgenommen haben.«
Er hütete sich wohl seine Gegenwart zu verraten.
So ging es denn noch ein paar Wochen – es waren gerade die letzten, die der Bauer noch übrig hatte, da trat der Haushofmeister zu dem kleinen Herrn und sagte mit betrübter Miene: »Gnädiger Herr, wir haben hier ausgewirtschaftet. Küch' und Keller sind leer. Die Juden, denen Sie den Palast verpfändet haben, wollen nicht länger warten und werden uns morgen früh hinauswerfen. Wir haben nicht, wohin wir unser Haupt hinlegen sollen.«
»Lege Er das seine meinethalben des Teufels Großmutter in den Schoß!« polterte der kleine Herr zu dem Haushofmeister. »Was mich betrifft, so bin ich ein schöner junger Kavalier und werde überall mein Glück machen, wo ich mich nur zeige. Darum ist mir nicht bange. Man packe mir meine Sachen; ich werde morgen früh mich auf die Reise begeben.«
Die Fliegen, wie sie es vorher gesagt, blieben weg, als sich zeigte, daß Küch' und Keller leer seien; die eine jedoch vergaß nicht ihr Versprechen zu erfüllen. Als alle fort waren, kehrte sie allein zurück und händigte Mistifax eine kleine Schachtel von Elfenbein und Gold ein. Sie sagte dabei: »Ein dienstbarer Geist ist in diesem Gehäuse verschlossen, dem du die gefahrvollsten Aufträge geben kannst, er wird sie pünktlich erfüllen. Lebe wohl, gedenke zuweilen deiner dankbaren Freundinnen, der Fliegen.«
Mistifax nahm die Schachtel, legte sie zu seinem übrigen spärlichen Reisegerät und wanderte aus. Er brauchte drei Tage und drei Nächte, ehe er wieder in seine Heimat kam. Als er seine Hütte erblickte, stand gerade der Mond darüber, und dieses helle Himmelsgesicht mahnte ihn an seine Schuld. »Morgen,« sagte er bei sich selbst, »morgen erwarten mich die Feen, und ich weiß noch kein Sterbenswörtchen von dem, was ich ihnen sagen soll. O Fifine, der Tod ist mir und dir gewiß!«
Bei diesem Seufzer kam die Bäuerin hervor, herzte und liebkosete ihren wiedergefundenen Schätz, tröstete ihn und brachte aus seinem Reisesacke all die Dinge hervor, die er bei sich trug. So kam sie auch an das Kästchen.
»Ei, was ist das?« fragte sie.
»Was wird es sein!« rief er verdrießlich. »Eine Fliege hat's mir gegeben. Es soll einen dienstbaren Geist enthalten, der alle meine Befehle vollziehen wird. Allein ich bin kein Narr, daß ich's glaube. Was kann ein armes Insekt, das selbst nichts hat, Großes verschenken!«
»Wollen wir's dennoch öffnen«, sagte die Bäuerin.
»Tu's!« entgegnete er.
Und sie schob den Deckel von der Schachtel, da kroch eine kleine rosenrote Fliege heraus, setzte sich auf den Deckel und fing an, sich Beinchen und Flügel zu putzen.
»Ach, wie niedlich! wie wunderhübsch!« rief das junge Weib und schlug in die Hände. »Wer hat wohl je eine so köstliche Fliege gesehn!«
»Ich wollte,« rief der Bauer, »sie machte sich sogleich auf den Weg und flöge zu den drei Feen und untersuchte, ob sich wirklich kein Fehler fände auf den drei angegebenen Körperteilen.«
Die Fliege, als diese Worte gesprochen wurden, setzte sich auf die Hinterbeine, gerade so, als wollte sie besser hören, und als Mistifax geendet, war die Fliege auf und davon.
Sie blieb die ganze Nacht weg und kehrte erst am andern Tage wieder. Als Mistifax aufwachte, saß sie auf seinem Kopfpfühl, und eine feine Stimme sprach:
»Die erste ist ein hübsches Schneckchen Doch auf dem Busen ist ein Fleckchen. Die zweite hat – o weh! – Ein Wärzchen an dem kleinen Zeh – Die dritte hat zur Stund' Ein Härchen auf dem linken Rund.«
»Potztausend!« rief der junge Bauer und sprang auf, »das ist mir sehr lieb zu erfahren. Aber, wie zum Teufel hast du das herausgebracht? Ich, meiner Treu, hab' davon nichts bemerkt.«
»Weil du nicht hundert Augen hast wie ich –«, sagte die Fliege.
»Es ist wahr, ich habe nur zwei Augen,« rief Mistifax, »und dazu, wenn ich gewisse Dinge so recht in der Nähe sehe, so flimmert es mir vor diesen zwei Augen, so bekommen diese zwei Augen eine gewisse Schwäche, eine gewisse Undeutlichkeit – in der Tat, ich kann es nicht erklären.«
»Gib dir auch keine Mühe,« sagte die Fliege, »sondern nutze die Mitteilungen, die ich dir eben gemacht. Schon versammelten sich die Feen, um dir das Todesurteil zu sprechen.«
»Gemach, gemach!« rief der Bauer, »soweit ist es doch noch nicht. Also wie war es?« Ich bitte noch einmal, damit ich's nicht verwechsle, und der einen, die die Warze hat, das Haar gebe und umgekehrt.
Die Fliege wiederholte ihren Spruch:
Die erste ist ein hübsches Schneckchen, Doch auf dem Busen ist ein Fleckchen. Die zweite hat – o weh! – Ein Wärzchen an dem kleinen Zeh! Die dritte hat zur Stund' Ein Härchen an dem linken Rund.
»Gut!« sagte der Bauer, »nun weiß ich's. Du mußt übrigens viel herumspaziert sein auf den besagten Teilen, daß du so genau Bescheid weißt.«
Und nun ging er, und sagte den drei hochmütigen jungen Feen die Wahrheit, die sie nicht ableugnen konnten, obgleich sie durchaus nicht begriffen, wie der Bauer das alles habe erfahren können. Sie hielten nun ihrerseits ihr Versprechen und gaben Mistifax die drei wertvollen Geschenke.
Er richtete sich im Palast herrlich ein, schlief ganz vortrefflich in dem prächtigen Bett mit seiner Fifine, und den Diamant auf dem Boden des Nachtgeschirrs verkaufte er, erhandelte sich dafür ein Königreich, in welchem er sehr weise herrschte und regierte. Die Fliege blieb bei ihm und besorgte für ihn allerlei kleine Geschäfte.
Eines Tages schickte er sie aus, um nach einem Manne zu suchen, der an einer ungeheuren Nase kenntlich sei. Sie sollte sich erkundigen, wie es ihm ginge, und ihn womöglich gleich mitbringen, damit er im Königreiche wohne und ein sorgenfreies Alter habe. Die Fliege fand den kleinen Herrn in einem ungeheuren Walde, in einer Höhle versteckt, wo er Wurzeln aß und reines klares Wasser dazu trank. So her unter war der kleine Herr gekommen. Er kam nun an den Hof des Mistifax, und dieser machte ihn zu seinem ersten Minister, gab ihm einen Palast, der wieder mit einem Netz umsponnen wurde, und einige »Damen« zur Gesellschaft, die diesmal keine Fliegen waren, und wo der kleine Herr keine unangenehmen Nachempfindungen seiner Freuden spürte.
Eine Königin hatte zur Freundin eine Ratte, mit der sie in vertraulichem Umgang lebte. Gewiß war auch diese Ratte die edelste ihres Geschlechts. Sie war zierlich gebaut, ihr Fell war glatt, und da sie sprechen und denken konnte, so dachte sie immer edel und sprach immer gut. Fünf Jahre hatte diese Freundschaftsverbindung zwischen der Königin und der Ratte gedauert, als plötzlich ein widriger Umstand die Einheit der Gemüter in einen heftigen und ärgerlichen Zwiespalt wandelte. Die Ratte kam eines Abends vor einem sehr langen, einsamen Spaziergang nach Hause, äußerst erhitzt, und mit Merkmalen überstandener großer Aufregung. Der Königin entging dieses nicht, und sie fragte ihre Freundin auf das zärtlichste über den Grund der Veränderung in ihrem Wesen. Die Ratte schwieg. Nach einiger Zeit offenbarten sich gewisse Anzeichen, die die Königin über den Zustand ihrer Freundin vollkommen ins klare setzten. Eines Morgens, als die Ratte wie gewöhnlich kam, der Königin die Hand zu küssen, sagte diese: »Ratte, auf ein Wort! Können Sie leugnen, daß Sie sich in anderen Umständen befinden?«
»Ich leugne es nicht, gnädige Frau«, antwortete die Ratte mit niedergeschlagenen Augen und mit einem höchst sittsamen Ausdrucke im Gesichte.
»Wie,« rief die Königin, »Ratte, hab' ich recht gehört? Ratte, Sie? Vergaßen Sie also unsere Gespräche, die wir oft über Tugend und eine ideale Lebensauffassung führten?«
»Ich habe sie nicht vergessen«, erwiderte die Ratte.
»Aus meinen Augen, Unverschämte!« rief die Königin zornig. »Ich kann mit einem Wesen, das sich tief erniedrigt hat, nicht länger unter einem Dache leben!«
Mit diesen Worten warf sie einen schweren silbernen Löffel nach ihrer ehemaligen Freundin und verwundete diese fast tödlich. Die Ratte nahm alle ihre Kräfte zusammen und sagte mit funkelnden Augen und einem edlen Stolze zur Königin: »Du selbst bist die Unverschämte, denn ohne Scham ergibst du dich einem niedern Zorn. Wer hat dich zu meiner Richterin bestellt? Wenn ich fehlte, so fehlte ich aus Liebe, und nur die Liebe darf mich richten!« – Diese letzten Worte sagte die Ratte mit einem so unnachahmlich schönen Ausdrucke von gekränkter Weiblichkeit, daß die Königin auf einen Augenblick an dem leichtfertigen Charakter ihrer ehemaligen Freundin irre wurde, allein ihr Abscheu kehrte sogleich wieder zurück, und sie hob einen zweiten silbernen Löffel auf.