Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich - Tessa Randau - E-Book
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Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich E-Book

Tessa Randau

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  • Herausgeber: dtv
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Dieses Buch hat die Kraft, Ihre Beziehung zu bereichern Was als große Liebe begann, fühlt sich heute, für die Frau Anfang 40, meist nur noch wie eine große Leere an. In der Hoffnung, die Nähe, die sie und ihren Mann früher einmal verband, wieder spüren zu können, bucht sie ein Wochenende auf einer einsamen Hütte in den Bergen. Doch der Plan geht nicht auf: Es kommt zum Streit und die Frau zieht enttäuscht und verletzt alleine los. An einen Steinkreis begegnet sie einem alten Mann. Mit ihm begibt sie sich auf eine Wanderung, die ihren Blick auf die Liebe für immer verändern wird. Der neue inspirierende Ratgeber von Bestsellerautorin Tessa Randau – verpackt in eine zauberhafte Geschichte über das Geheimnis der Liebe.  

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Seitenzahl: 129

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Cover for EPUB

Eine Frau hat das Gefühl, von ihrem Mann kaum noch gesehen und wahrgenommen zu werden. Sie sehnt sich nach mehr Zweisamkeit, nach offenen Gesprächen und Zärtlichkeit. In der Hoffnung, wieder zueinander zu finden, hat sie eine Reise in die Berge gebucht. Doch von Anfang an steht das gemeinsame Wochenende unter keinem guten Stern: Sie will wandern, er mountainbiken, es kommt zum Eklat. So macht sich die Frau alleine auf den Weg und entdeckt einen Steinkreis mit einer geheimnisvollen Inschrift. Dort begegnet ihr ein alter Mann, der vor vielen Jahren ebenfalls in einer tiefen Ehekrise steckte. Und der ihr offenbart, genau an diesem Ort den Schlüssel zur Liebe gefunden zu haben.

Für meine drei Herzensmenschen Mirko, Linn und Magnus

Angekommen?

Es gibt Orte, die sind mit einer Sehnsucht verbunden. Andere mit einer Erwartung. Und manche mit einer Hoffnung. Für mich umfasste dieser Ort all das zusammen und noch viel mehr. Er war der Strohhalm, an den ich mich klammerte. Begierig sog ich die kühle Nachtluft ein, und meine Lungen weiteten sich fast schmerzvoll, so als hätten sie schon viel zu lange nicht mehr genug Sauerstoff bekommen. Es roch nach feuchtem Gras und etwas Süßem. Vielleicht waren es die filigranen rosafarbenen Blüten des Klees, den ich zu Hause immer sofort ausrupfte, sobald sich die ersten Blättchen durch die Ritzen unserer Pflastersteine kämpften. Hier wuchs er üppig zu meinen Füßen und präsentierte mir stolz seine volle Schönheit – ein Anblick, der mich aus einem unerklärlichen Grund traurig stimmte.

Der Nachthimmel über mir zeigte grauschwarze Wolken, die rastlos dahinhasteten, als hätten sie es eilig, und dabei alles Leuchten verschluckten. Nur ab und zu ließen sie eine silberfarbene Sichel erahnen, die matt hinter dem Grau hervorschimmerte. Angetrieben wurden sie von einem ruppigen Wind, der mein feines Haar zerzauste.

Fröstelnd zog ich die Pferdedecke, die ich vorhin aus unserer Hütte geholt hatte, fester um meine Schultern. Ich war leise hineingeschlichen, um Chris nicht zu wecken, hatte mir Rotwein nachgeschenkt und war dann vorsichtig über die knarzenden Dielen zu dem alten Bauernschrank gehuscht. Ich erschrak, als die Schranktür ein spitzes Quietschen von sich gab, und hielt kurz inne. Doch ich vernahm immer noch Chris’ regelmäßige Atemzüge, in die sich in kurzen Abständen ein lauteres Röcheln mischte. Früher, in den ersten Jahren unserer Beziehung, hatte er noch völlig geräuschlos geschlafen, und ich fragte mich, ob wir vielleicht schon bald eines der Paare sein würden, die in getrennten Schlafzimmern schliefen, weil sie sein Schnarchen zu sehr störte. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um die Decke aus dem obersten Fach zu holen, dann schlich ich zu dem Doppelbett, in dem Chris lag und das wir früher maximal zur Hälfte ausgefüllt hätten, weil wir immer eng ineinander verschlungen schliefen. Doch als Chris das Bett heute Nachmittag zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er es abschätzig mit den Worten »Wie sollen wir in der engen Kiste denn gut schlafen?« kommentiert.

Ich betrachtete meinen Mann, dessen Brustkorb sich hob und senkte, mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Bedauern. Seine Wangen waren schlaffer als noch vor ein paar Jahren, und sein dunkelbraunes Haar, das ich immer so geliebt und gerne durcheinandergewuschelt hatte, wurde oben am Hinterkopf langsam licht. Und dennoch erinnerte er mich, wenn er schlief, an den jungen Kerl, den ich vor 22 Jahren kennengelernt hatte. Ein Gefühl tiefer Zuneigung durchströmte mich, und ich beugte mich hinab und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Dann schlich ich mich mit der Decke unter dem Arm und meinem Glas Rotwein in der Hand wieder hinaus.

Nun saß ich vor unserer Blockhütte auf der alten Bank, die nicht mehr war als ein quer durchgesägter Balken mit zwei Kanthölzern darunter, hatte die Beine hochgezogen und betrachtete den Nachthimmel. Ich spürte, wie die kleinen, rauen Fasern der Pferdedecke auf meiner Haut pikten. Doch auch wenn sie kein Vergleich war zu der weichen Teddyfleecedecke, in die ich mich an kalten Winterabenden zu Hause auf unserem Sofa kuschelte, so fühlte ich mich dennoch wohl und geborgen.

Wie gerne hätte ich jetzt neben Chris gesessen, seinen schweren Arm auf meinen Schultern gespürt und meinen Kopf an seine Brust gelehnt. Doch er war direkt nach dem Abendbrot aufgestanden und mit den Worten »Ich bin total platt« Richtung Bad verschwunden. Kurz darauf hatte ich seine Zahnbürste gehört.

»Kommst du nicht mit ins Bett?«, fragte er, als er wenige Minuten später in Shorts und T-Shirt wieder vor mir stand. Ich versuchte, nicht enttäuscht zu sein – schließlich war Chris fünf Stunden lang Auto gefahren, und es war nachvollziehbar, dass er nun müde war. Deshalb schüttelte ich nur kurz den Kopf. »Ich will mich noch ein bisschen raussetzen.«

»Wenn du meinst.« Er gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann murmelte er noch »Gute Nacht«, bevor er sich in dem leise ächzenden Bett auf die Seite rollte.

Am Nachmittag, auf dem Beifahrersitz neben Chris, hatte ich die Augen geschlossen und mir unseren ersten Abend vorgestellt: wie wir gemeinsam vor dieser Hütte sitzen, Rotwein trinken und endlich einmal wieder in Ruhe miteinander reden würden. Nicht über die üblichen organisatorischen Dinge wie den tropfenden Wasserhahn in der Küche, der dringend ersetzt werden musste, oder darüber, dass Chris noch die Anmeldung für die Klassenfahrt unserer mittleren Tochter unterschreiben musste, sondern über Dinge, die uns beide berührten und die wir kaum noch miteinander teilten, weil in unserem Alltag zu wenig Raum dafür war. Ich hatte mir ausgemalt, wie wir lachen und rumalbern würden, so wie früher bei unseren Hüttenwochenenden. Und wie er mich schließlich küssen und berühren würde und wir vielleicht nicht mehr den Weg bis ins Bett finden würden …

Doch nichts von dem war eingetroffen. Stattdessen war ich alleine, wie so oft in den letzten Jahren. Seufzend schloss ich die Augen und versuchte, mir seine Lippen auf meinen vorzustellen. Die weiche Berührung, verbunden mit dem leichten Kratzen der Bartstoppeln, die abends bereits der morgendlichen Rasur trotzten. Seinen Atem, der nach Beeren und Rotwein duftete. Seine warme Hand, die sich unter mein T-Shirt schob. Plötzlich spürte ich etwas Nasses auf meiner Stirn. Dann auf meiner Nasenspitze. Ich öffnete die Augen und sah, wie vereinzelte Tropfen aus dem grauen Nachthimmel auf mich herabfielen.

»Hoffentlich«, dachte ich, während ich nach meinem Glas griff und den Rest in einem Zug leerte, »hoffentlich sind wir hier richtig.«

Der rechte Pfad

»Dann geh ich eben ohne dich!«, murmelte ich, immer noch enttäuscht, schulterte meinen braunen Rucksack und trat vor die Tür. Leider half das Bild, das sich mir bot, nicht dabei, meine Stimmung wieder aufzuhellen. Im Gegenteil: Wie sehr hatte ich mich auf das Alpenpanorama gefreut. Und was sah ich? Eine undurchdringliche, trübe Suppe aus grauen Wolken und dichtem Nebel, die nicht mal erahnen ließ, dass ich in den Bergen war.

»Egal, du machst jetzt das Beste draus«, versuchte ich, mich zu motivieren. Dann nahm ich den schmalen Schotterpfad, der von unserer kleinen Blockhütte in den Wald führte.

Beim Frühstück hatte ich noch voller Begeisterung eine Wanderung ausgearbeitet: Sie führte zunächst über kleine Waldpfade bergauf, dann quer über eine große Wiese und von dort aus zu einem breiteren Wanderweg. Die letzten hundert Meter würden wir über einen steilen Hang hinaufkraxeln, um schließlich nach etwa vier Stunden oben auf dem Gipfel bei einem leckeren Picknick hoffentlich den Ausblick genießen zu können. Für den Rückweg hatte ich, etwa auf halber Strecke, noch eine kleine Verschnaufpause auf einer gemütlichen Alm eingeplant.

»Ich habe eine tolle Tour für uns rausgesucht«, hatte ich zu Chris gesagt, der neben mir an dem kleinen runden Holztisch in unserer Blockhütte saß, ebenfalls in verschiedene Karten vertieft war und zwischendurch an seinem Kaffee nippte.

Keine Reaktion.

»Schau mal, Chris, wäre das nicht eine schöne Wanderung für heute?«, fragte ich und berührte ihn am Oberarm.

Immer noch keine Reaktion.

»Erde an Christian!« Ich wedelte mit meiner Karte direkt vor seinen Augen.

»Mhm?«, brummelte er, hob den Blick und sah mich an, als hätte er vergessen, dass ich neben ihm saß.

Ich musste lachen. »Wo warst du denn gerade mit deinen Gedanken?«

»Der Bike-Park hier ist echt genial.« Chris’ Augen glänzten. »Schau mal, diese Abfahrt hier zum Beispiel: fünf Kilometer Downhill mit unterschiedlichen Hindernissen. Oder diese hier, mit der Sprungschanze. Oder die schwarze Piste. Die sieht echt heftig aus.« Dann zeigte er auf das blaue Geschlängel auf der Karte vor sich. »Ich denke, ich fange heute erst mal ganz entspannt mit der hier an.«

»Wie, du willst Fahrrad fahren? Wir wollten doch wandern«, entgegnete ich vollkommen überrumpelt.

»Können wir ja auch«, murmelte Chris, wieder in die Karte vertieft. »Aber heute ist erst mal Biken angesagt.«

»Du hast doch gar kein Rad dabei«, erwiderte ich, immer noch irritiert von dem, was ich da gerade hörte.

»Brauch ich auch nicht. Im Bikepark kann man super Räder leihen, neuester Standard, top gewartet. Hatte ich in den Rezensionen im Internet gelesen. Deshalb hab ich mein Bike zu Hause gelassen und nur den Helm und die Fahrradklamotten eingepackt.«

»Du willst heute ernsthaft Fahrradfahren gehen?«, fragte ich fassungslos und spürte, wie sich all meine Vorfreude wie aufsteigender Rauch verflüchtigte. Enttäuscht biss ich mir auf die Unterlippe.

»Ja, warum denn nicht?« Chris hob fragend die Augenbrauen.

Ich fühlte, dass mein Hals rau wurde. Bemerkte Chris denn gar nicht, wie sehr seine Idee mich gerade verletzte? »Aber Radfahren kannst du doch auch zu Hause …«, versuchte ich, ihn umzustimmen.

»Eben nicht!« Über seiner Nase bildeten sich zwei Steilfalten. »Wann hab ich da denn schon mal Zeit für mich und meine Hobbys? Außerdem gibt es hier viel bessere Abfahrten.«

»Hier geht es gerade nicht um dich und deine Hobbys, hier geht es um uns«, hätte ich ihm am liebsten an den Kopf geknallt. Aber ein Streit war das Letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten. »Hier gibt es aber auch traumhafte Wanderwege«, hielt ich deshalb dagegen und rang mir mühsam ein Lächeln ab.

»Morgen haben wir doch auch noch Zeit zum Wandern.« Das Strahlen, das eben noch sein Gesicht aufgehellt hatte, war verschwunden.

Ich spürte, wie es in mir zu brodeln begann. »Das war aber nicht der Plan«, antwortete ich schriller und aggressiver, als ich es beabsichtigt hatte.

»Nicht dein Plan vielleicht«, konterte mein Mann. Auch seine Stimme klang jetzt gereizt.

»Mist, er meint das wirklich ernst«, dachte ich mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Dann sagte ich an ihn gewandt: »Komm schon, Chris, wir haben uns doch beide so sehr auf dieses Wochenende gefreut«, und legte besänftigend meine Hand auf seine, um die kippende Stimmung wieder einzufangen.

»Ja, und genau deshalb verstehe ich auch nicht, wo das Problem liegt.«

Verdammt noch mal, war das denn so schwer zu begreifen? Ich raffte meinen letzten Rest Beherrschung zusammen: »Das Problem ist, dass wir übermorgen schon wieder abreisen müssen. Da fände ich es gut, wenn wir unsere Prioritäten auf die wichtigen Dinge legen würden.«

Chris entzog mir seine Hand. »Mir ist Biken wichtig«, entgegnete er und verschränkte die Arme vor seinem Brustkorb.

In diesem Moment implodierte die Hoffnung, die ich in dieses Wochenende gesetzt hatte, und die Bilder, die ich mir davon ausgemalt hatte, zersprangen in Tausende kleine Splitter: Chris und ich händchenhaltend beim Wandern, so wie früher. Chris und ich auf einer urigen Hütte, intensiver Blickkontakt und Schnapsgläschen voll Enzian, die klirrend aneinanderstießen. Wir beide auf einem Gipfel, erschöpft, aber glücklich nach dem anstrengenden Aufstieg. Alles dahin. Der Feuerball kam so plötzlich, dass ich ihn nicht mehr aufhalten konnte.

»Und warum sind wir dann hier?«, schrie ich Chris an, nicht mehr fähig, die Wut zu kontrollieren. Im gleichen Moment sah ich, wie er sich innerlich von mir entfernte. Seine Gesichtszüge wurden starr und sein Blick stumpf. Es war, als hätte sich eine unsichtbare Glaswand zwischen uns geschoben.

Er schlug die Augen nieder und studierte die Karte.

Zurück blieb sein Schweigen, das zwischen uns im Raum hing.

»Hey, jetzt mach nicht wieder zu! Lass uns darüber sprechen.«

Mein Mann nippte an seinem Kaffee, ohne zu reagieren.

»Chris?!«

»Verdammt noch mal, Christian, ich rede mit dir!« Wütend sauste meine Hand auf den Holztisch nieder.

Chris zuckte zusammen und sah auf. In seinem Blick mischten sich Vorwurf und Ablehnung. »Musst du immer aus allem solch ein Drama machen?«

Sein Giftpfeil hatte ins Schwarze getroffen. »Ach, jetzt bin ich wieder schuld!« Verletzt sprang ich vom Esstisch auf. »Wofür mache ich all das hier eigentlich noch? Hat doch eh keinen Sinn mehr«, schleuderte ich zurück, gewillt, nun auch ihn zu verletzen. Dann flüchtete ich in das winzige Badezimmer, knallte lautstark die Tür hinter mir zu und ließ mich frustriert auf den Toilettendeckel fallen. Ich hatte es so satt! – Ja, ich war laut geworden. Aber doch nur, weil Christian mir signalisiert hatte, dass ihm mal wieder alles andere wichtiger war, als Zeit mit mir zu verbringen. War das nicht der beste Beweis dafür, dass ihm unsere Beziehung nichts mehr bedeutete? Dass ich ihm nichts mehr bedeutete?

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte und meine Wut abgeebbt war. Zurück blieben die Enttäuschung über Chris’ Zurückweisung und das beschämende Gefühl, wieder einmal die Fassung verloren zu haben. Zerknirscht öffnete ich die Badezimmertür, bereit, mich für meinen Ausbruch zu entschuldigen und Chris noch einmal in Ruhe zu erklären, warum mich sein Wunsch, heute Mountainbiken zu gehen, so sehr verletzt hatte. Inständig hoffte ich, dass es uns gelang, den Tag noch zu retten. Doch als ich in den Raum blickte, war dieser leer. Ich trat zum Fenster und konnte gerade noch erkennen, wie Chris seinen Integralhelm in den Kofferraum legte. Dann stieg er in unser Auto und fuhr davon.

Fasziniert blickte ich in die Wipfel der Nadelbäume, die in gigantischer Höhe über meinem Kopf in den Himmel ragten. Etwa dreißig Minuten lang war ich nun schon einem schmalen Pfad gefolgt, der sich durch einen dichten Nadelwald bergauf schlängelte. Am Wegesrand wuchsen üppige Farne und kleine gelbe Sommerblumen, und der mit Tannennadeln bedeckte Boden war noch feucht vom Regen der letzten Nacht.

Es tat gut, endlich einmal wieder den eigenen Körper zu spüren. Die Muskeln in den Oberschenkeln, die sich bei jedem Schritt anspannten. Meinen Rücken, der zu Hause viel zu oft eine falsche Haltung einnahm und jetzt den kleinen braunen Rucksack trug. Und meine Waden, die sich schon ein bisschen schwer anfühlten, weil sie die körperliche Anstrengung kaum noch gewohnt waren. Ich öffnete den Reißverschluss meiner Regenjacke bis zur Hälfte. Als ich losgelaufen war, hatte ich ihn fröstelnd bis oben hin zugezogen, denn obwohl wir Mitte Juli hatten, war die Luft kühl und erinnerte mehr an einen Herbst- als an einen Sommertag. Doch durch das stete Bergauflaufen wurde mir langsam warm. Ich spürte, dass nicht nur mein Shirt allmählich am Rücken feucht wurde, sondern auch der harte Wutknoten in meinem Bauch sich Schritt für Schritt immer mehr auflöste.

Früher hatte ich nach einem heftigen Streit mit Chris oft geweint. Die Tränen hatten meist etwas Heilsames, trugen den Schmerz mit sich fort, und zurück blieb die Zuversicht, alles würde wieder gut werden. Mittlerweile fühlte ich mich nach einem Streit vor allem leer. Es war eine Leere, die sich ausdehnte, jedes Mal größer wurde, gleichzeitig aber auch etwas in mir zusammenzog: meinen Brustkorb eng werden ließ, sodass ich nicht genug Luft bekam, egal wie tief ich auch einatmete. Meist war sie mit einem beklemmenden Gefühl verbunden, manchmal ging mit ihr auch eine düstere Traurigkeit einher, die sich wie ein bleierner Poncho über mich legte und jeden meiner Handgriffe verlangsamte.