"Langsam lehne ich mich noch weiter nach vorne und lege eine Hand auf seinen behaarten, festen Oberschenkel. Er stöhnt. Langsam lasse ich meine Hand weitergleiten ..."Zu Beginn der Corona-Pandemie ist die neunzehnjährige Mireille auf Klassenfahrt in London. Bisher wurden nur wenige Fälle festgestellt, und kaum jemand ahnt, dass die Krise sich bald zuspitzen wird. Mireille denkt jedenfalls nicht an das Virus. Sie ist viel zu beschäftigt mit ihrer Sehnsucht nach dem Mathelehrer Klaus.Am Abend geht sie zu Klaus' Hotelzimmer mit dem Vorwand, ihre Abschlussnote zu besprechen. Aber sie ahnt nicht, dass das Hotel unmittelbar danach unter Quarantäne gestellt werden wird – und jeder in dem Zimmer bleiben muss, in dem er sich gerade befindet. Und das bedeutet, dass Mireille und Klaus die Nacht zusammen verbringen müssen – allein in seinem Hotelzimmer.Die besten erotischen Kurzgeschichten von LUST 2022 Vol. 1 ist eine Sammlung unserer beliebtesten, meistgekauften und meistgelesenen Erotikgeschichten des Jahres 2022. Von der Erkundung sexueller Lebensweisen in polygamen Beziehungen bis hin zum Spiel mit Strap-ons, von tabulosen Flirts mit dem Stiefbruder oder einer MILF bis hin zu heißen Sub- und Dom-Erlebnissen – diese erotischen Kurzgeschichten bieten für jeden etwas, um seine Fantasien zu befriedigen.Diese Sammlung enthält folgende erotischen Kurzgeschichten:Begierde 1 - FlitterwochenBegierde 2 - Der ProfessorBegierde 3 - Coming-outBegierde 4 - Der PavillonBegierde 5 - Der DreierBegierde 6 - Horizontale und vertikale FreundeBegierde 7 - Rote RosenBegierde 8 - Der AusflugBegierde 9 - MütterBegierde 10 - FickfreundeBegierde 11 - Der LiebhaberBegierde 12 - RollenspielDer letzte Wunsch der ÄrztinFilmabendWie man sich bettet, so liegt manUngefähr wie Carpe DiemLicht aus im StudentenwohnheimLiebesinselnScharf wie ChiliDie SwingerDer TriebMit dem Lehrer in Quarantäne-
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LUST Autoren
Übersetzt von LUST translators
Lust
Die besten erotischen Kurzgeschichten von LUST 2022 Vol. 1
Übersetzt von LUST translators
Titel der Originalausgabe: THE BEST OF LUST 2022 VOL. 1: TOP EROTIC SHORT STORIES
Originalsprache: Schwedisch
Copyright ©2022, 2023 LUST Autoren und LUST
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788728407813
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.
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Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
„You guys are amazing“, sagt José, als er sich, glänzend vom Schweiß und mit stehendem Schwanz die paar Meter von Jonathans und meinem Doppelbett ins Bad schleppt.
Er kratzt sich am Sack und fragt, ob er eine Zahnbürste leihen kann. José ist ein leicht übergewichtiger Dreiunddreißigjähriger aus Madrid, dessen Haare dünn werden. Wir haben ihn auf einer Charterreise nach Ibiza im letzten Jahr kennengelernt, als er uns die Geheimnisse des Dreiers näherbrachte.
„Musst du auch zu Ericsson?“, fragt Jonathan, als wir mit dem Frühstück fertig sind und uns für den ersten Arbeitstag der Woche vorbereiten. „Dann kannst du mit Julia und mir fahren.“ Jonathans und meine kleine Höhle in der Altstadt liegt echt nicht optimal, wenn man in Kista arbeitet. Aber wir sind noch nicht bereit, die Innenstadt gegen einen Vorort im Norden einzutauschen, auch wenn wir in weniger als einem halben Jahr heiraten werden.
„Am Pfingstabend läuten die Glocken“, wie mein Vater zu sagen pflegt. „Zieht ihr dann wieder nach Hause?“
Mein Papa ist ein echter Außen-Göteborger und versteht überhaupt nicht, wie man von Schwedens schönsten Ort wegziehen kann, wo die Sonne im Meer versinkt und die Fische sieben Tage pro Woche taufrisch sind.
„Vielleicht, wenn wir eine Familie gründen“, antworte ich ausweichend und frage mich, wie es wohl wäre, nicht nur mit seinem Mann und Liebhaber zu arbeiten, sondern dem eigenen Vater auch noch auf Geschäftsmeetings zu begegnen.
Ich lache auf. „Was ist so lustig?“, fragt Jonathan, als wir José rausgelassen haben und zum Parkplatz weiterfahren.
„Ich habe heute Morgen ein Meeting mit meiner Chefin. Ich hoffe, ich kann mich darauf konzentrieren, was sie sagt und denke nicht die ganze Zeit an unsere nächtlichen Eskapaden.“
„So lange du nicht anfängst zu stöhnen und zu wiehern wie gestern, wird dir wohl nichts passieren“, antwortet Jonathan und lächelt.
„Was finden die Frauen eigentlich an ihm?“, fahre ich fort und gestikuliere in Richtung José, der zum Haupteingang schlendert.
Seine sackartige Altherrenhose betont seinen Hängehintern. Echt jetzt, wer trägt denn heutzutage noch solche Hosen? Sein Hemd ist ungebügelt. Und ich dachte immer, die Kleiderordnung in Spanien sei strenger! Obwohl – vielleicht haben sie ihn ja deshalb nach Schweden geschickt? Er sieht wie jemand aus, der alles zu gewissenhaft betreibt: arbeiten, rauchen, trinken und ficken. Ein Genussmensch, wie er selber sagen würde.
„Das Gleiche wie du, scheint mir“, antwortet Jonathan und kichert. „Er scheint einfach gut ficken zu können.“
„Das funktioniert ja nur, weil ich die Augen zumache und deine Hand halte“, antworte ich und tätschle ihm freundlich den Arm.
Im Aufzug zum vierten Stock frage ich mich, ob ich wirklich so äußerlich bin. Wie sonst kann dieser furchtbar gekleidete Controller mit der geilen Frau zwischen zwei Männern verschmelzen? Die Frau, die ich vor ein paar Stunden noch war? Genauso natürlich, wie ich mich einem zum großen Teil unbekannten Mann hinter runtergelassenen Jalousien im Morgengrauen hingegeben habe, so natürlich gleite ich jetzt in den Konferenzraum im vierten Stock. Platziere mein iPad vor mir auf dem großen, ovalen Holztisch. Sehe hoch, als meine Chefin in den Raum geeilt kommt. Sie wirft sich auf ihren Stuhl und wischt sich drei Schweißperlen von der Stirn, wie sie es immer tut.
Ich höre mit einem halben Ohr zu, als sie von ihrem Vierjährigen erzählt, der mit Grippe aufgewacht ist und der Einjährigen, die nicht in die Kita will. Sie holt tief Luft und legt beide Hände auf den Tisch. Sieht mich auffordernd an und fragt:
„Bereit, die Herausforderungen der Woche durchzugehen?“
„Absolut“, antworte ich.
Am Ende des Arbeitstags diskutieren Jonathan und ich, ob man mal eine After-Work-Party in Kista ausprobieren sollte oder nicht. Obwohl wir seit drei Jahren täglich hierher pendeln, ist uns noch nie die Idee gekommen, den Stadtteil abends mal genauer zu betrachten.
„Kann man nicht“, stellt José fest, als er mit achtundzwanzig Minuten Verspätung auftaucht und wir uns noch immer nicht entschieden haben. „Let’s go to Riche and have dinner“, fährt er fort. „Dann könnt ihr da das Auto stehen lassen. Es kostet ein Vermögen, mit dem Taxi von Kista zur Altstadt zu fahren.“
„Was ist mit der U-Bahn?“, frage ich rhetorisch, obwohl ich ihm zustimme, dass Östermalm sehr viel gemütlicher klingt als dieses Glas- und Betonghetto.
„Wir möchten Champagner“, sagt José ein Weilchen später, noch ehe wir uns die Jacken ausgezogen haben.
„Ich empfehle eine Flasche Charles Lafitte, Jahrgang 1999“, antwortet der Kellner.
„Was kostet die?“, fragt Jonathan. „Viertausend Kronen“, sagt der Kellner und lächelt, als er Jonathans erschrockenes Gesicht sieht. „Ich mache nur Spaß. Wollt ihr auch was essen?“
„Natürlich. Ich zahle“, antwortet José und beugt sich über die Speisekarte. „Wir brauchen noch ein paar Minuten, bitte“, fährt er fort.
„Im Riche muss man Toast Skagen essen“, sage ich und deute auf die englische Beschreibung in Josés Karte. „Die Vorspeise hat ein Gardemanger von hier in den Fünfzigerjahren kreiert.“
„Wird man davon satt?“
„Vielleicht nicht, aber ich werde trotzdem damit anfangen.“
„Okay, klingt gut“, sagt José, wirft die Speisekarte von sich und winkt dem Kellner zu. „Wir sind dann so weit.“
Kurze Zeit später steht die Geschmackssensation hübsch angerichtet auf weißen Tellern vor uns.
„Was habt ihr für Urlaubspläne für den Sommer?“, fragt José.
„Wir heiraten ja Ende Mai, dann fahren wir irgendwohin in die Flitterwochen. Aber wir wissen noch nicht, wohin“, antwortet Jonathan.
„Kommt mit mir zur Cap d’Agde für eine Woche“, sagt José.
„Was ist das?“, fragen Jonathan und ich gleichzeitig.
„Und ihr nennt euch Swinger?“, murmelt José und schüttelt den Kopf. „Cap d’Agde ist die Hochburg des Hedonismus. Guckt euch mal die Website an und ruft mich an, wenn ihr euch entschieden habt. You won’t regret it. It’s an experience of a lifetime.“
An einem frühen Samstagmorgen sieben Monate später holt José uns mit seiner neuen Freundin in einem großen, schwarzen BMW vor unserem Hotel in Barcelona ab. Laut José ist sie Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln und hat einen ungewöhnlichen Namen. Weder Jonathan noch ich können uns an den Namen erinnern.
„Wie spricht man deinen Namen aus?“, fragt Jonathan, als wir uns alle begrüßt haben und eingestiegen sind.
„Diana“, antwortet Diana und sieht ihn verwirrt an. Wir verstehen sofort, dass dies nicht die Frau ist, mit der wir eigentlich hatten verreisen sollen. José hat einen Ersatz gefunden.
„Wo kommst du her?“, frage ich.
„Von den Kanaren“, antwortet Diana.
„Wie spannend!“, sage ich und meine es auch so.
José lächelt mich im Rückspiegel an. Er ist dankbar, dass ich uns alle aus der peinlichen Situation gerettet habe, die beinah entstanden wäre.
Während der vier Stunden Smalltalk und erwartungsvollem Lachen überqueren wir die Pyrenäen und die spanisch-französische Grenze. Nach dem Mittagessen und der Pinkelpause kommen wir endlich in der sechshundert Jahre alten französischen Stadt am Mittelmeer an, in der knapp zwanzigtausend Menschen wohnen. Eine Bevölkerung, die sich in den Sommermonaten vervielfacht. Allein in dem Nudistendorf direkt vor den Toren von Cap d’Agde, wohin wir unterwegs sind, wächst die Bevölkerung auf vierzigtausend.
Wir fahren zu einem hohen, hellblauen Metalltor. In dem runden Gebäude dahinter drückt jemand auf einen Knopf. Die Farbe blättert vom Tor ab, das sich unter lautem Quietschen langsam öffnet. José parkt das Auto und steigt aus.
„Kommt, wir müssen uns registrieren“, sagt er und nimmt Dianas Hand.
Jonathan und ich trotten ein paar Meter hinter ihnen drein. Als ob wir unbewusst versuchen, nicht auf den Filmen der Überwachungskameras zu landen. Dann schubst uns ein uniformierter Mann brüsk in einen Raum, der an einen überdimensionierten Wartesaal oder eine Liftstation in den Alpen erinnert.
„Alle Besucher müssen sich registrieren“, erklärt José und teilt weiße Formulare aus, die wie ein amerikanischer Visumsantrag aussehen.
Wir stellen uns an einen pultartigen Tresen, der an der Wand befestigt ist, und füllen unsere Personalien aus. Nachdem wir die Parkgebühr bezahlt haben, bekommen wir einen Passierschein für die Anzahl der Tage, die wir bleiben möchten. Dann fahren wir in ein Paralleluniversum.
„Oh my God“, sage ich und drücke die Nase ans Autofenster. Wir fahren langsam zwischen den Dorfbewohnern entlang: Große und Kleine. Dicke und Dünne. Alte und Junge. Sie sind überall: am Strand, am Pool, auf den Straßen, auf dem Weg in Läden und auf dem Weg hinaus. Vierzigtausend Menschen auf einer kleinen Oberfläche sind ziemlich viele Menschen. Besonders, wenn sie alle nackt sind. Selbst bei den Straßenschildern sind Verbotsschilder für bekleidete Menschen.
„Kannst du aufhören, dich zu benehmen, als wären wir im Tierpark?“, zischt Jonathan.
„Faszinierend, nicht?“, grinst José. „Nur schade, dass wir keine eigene Wohnung mieten konnten. Ihr habt euch zu spät entschieden. Da war schon alles ausgebucht. Nun müssen wir mit Europas schlampigstem Hotel Vorlieb nehmen.“
José übertreibt nicht. Trotz des Preises hat das Hotel seine besten Tage hinter sich. Anscheinend war es eins der ersten Hotels, die in den Siebzigern gebaut wurden, als das Nudistendorf gegründet wurde. Es scheint seitdem nicht renoviert worden zu sein. Wie überall in Frankreich sind die Zimmer klein. Jonathan, der in einer palastartigen Villa im Saltsjöbad aufwachsen ist, bekommt seine Klaustrophobie zu spüren und stöhnt.
„Don’t be mad, man“, sagt José und klopft Jonathan auf die Schultern. „Wenn ich dir erzählt hätte, wo wir wohnen werden, wärst du doch nie mitgekommen, oder? Aber mach dir keine Sorgen, in Cap d’Agde verbringt man kaum Zeit im Hotelzimmer. Wir holen euch in zwanzig Minuten, okay?“
Grummelnd packt Jonathan aus und legt seine frisch gebügelten Kleider in ordentlichen Haufen auf den synthetischen, kackbraunen Bettüberwurf. Ich öffne das Fenster am einen Ende des Zimmers und die Balkontür am anderen, in einem verzweifelten Versuch, einen Luftzug herzustellen und die abgestandene Mischung aus verwurzeltem Dreck, Rauch und billigem Parfüm loszuwerden. Jonathan reicht mir den Föhn.
„Au!“, schreien wir beide gleichzeitig, als sich unsere Hände berühren und wir beide einen Schlag bekommen.
Der Föhn landet auf dem einen Quadratmeter des Hotelbodens, auf dem kein Teppich mit Blumenmuster liegt. Seine Plastikhülle zerspringt. Das Geräusch klingelt in den Ohren.
„Wo sind wir hier verdammt noch mal gelandet, Julia?“, seufzt Jonathan. Wir sinken beide auf die Bettkante. Es ist so weich, dass wir beinah zu Boden fallen.
„Ich kriege den Hexenschuss zuerst!“, versuche ich zu scherzen, aber eigentlich will ich weinen.
Monatelang aufgestaute Vorfreude. Die Anspannung der langen Reise. Und nun das!
Plötzlich steht José in der Tür. Er tritt über die Schwelle und kommt auf seine etwas wacklige, halbnervöse Art auf uns zu. Sein Schwanz wippt im Takt. An unserem Bett bleibt er stehen und kratzt sich am Sack.
Warum kann er nicht klopfen?, denke ich. Und warum kratzt er sich ständig am Sack?
José zeigt auf die Kleider auf dem Bett. „Ihr wisst schon, dass ihr die nicht braucht, ne? Habt ihr vergessen, dass wir auf einer Nudisteninsel sind? Jetzt kommt schon. Wir warten am Pool auf euch.“
Jonathan und ich gucken einander an und lachen los. „An experience of a lifetime ist es wirklich“, sagt Jonathan und steht auf. „Du weißt, dass ich dich mehr liebe als alles andere auf der Welt, nicht?“, fährt er fort und nimmt mein Gesicht in seine Hände. „Ich meine, falls ich dieses Abenteuer hier nicht überlebe.“
„Natürlich überleben wir. Jetzt geht der Spaß ja erst los“, antworte ich und gebe ihm ein Küsschen auf die Nase.
Jonathan und ich gehen vorsichtig die Treppe runter, ein Badehandtuch um die Hüften.
„Bonne journée“, wünscht der Rezeptionist, der erste bekleidete Mensch, den wir seit der unfreundlichen Security gesehen haben. Diana sitzt am Beckenrand und planscht mit den Füßen. Ich sehe erleichtert, dass sie ihr Bikinihöschen noch anhat. Ich setze mich neben sie und mache dasselbe.
„Warst du auch schon mal hier?“, frage ich. „Nein, ich kenne José erst seit vier Monaten.“
Jonathan legt sich auf eine Sonnenliege neben José und versteckt seinen Schwanz hinter einem Handtuchzipfel. Er versucht es natürlich und nonchalant aussehen zu lassen, aber José lacht los.
„Und ich dachte immer, Schweden wären so freizügig“, prustet er. „Prost!“
Etwa drei Piña Coladas später merkt niemand mehr, dass Jonathan und ich zum ersten Mal auf dieser Seite von Saint Tropez sind. Das Handtuch gleitet hinab, als wir einen Spaziergang am Strand machen. Wir gehen die Straße entlang – splitterfasernackt. José diskutiert lebhaft mit seinem Chef am Telefon. Wie immer. Unter dem Arm trägt er seinen Laptop. Wenn José nicht am Ficken ist, ist er am Arbeiten. Immer.
„Am Strand gibt es drei unsichtbare Grenzen“, erklärt José. „Wir gehen ganz nach hinten. Da sind die Swinger zugange.“
Wir verstehen, was er meint, als wir an den typischen französischen, spanischen und sogar schwedischen Familien im Adamskostüm vorbeikommen. Mama, Papa und Kind genießen das Nacktbaden. Auch der Hund darf bei einigen mit.
Nachdem wir ein paar Hundert Meter gegangen sind, kommen wir zum homosexuellen Gebiet. Schöne Männer posieren in der Gischt und bewundern die feinen Muskeln der anderen. Das Salzwasser spritzt und färbt ihre haarlosen Körper in der Sonne weiß. Es riecht nach Marmor und griechischen Göttern.
„Können wir zwei nicht hier bleiben?“, frage ich Diana und zwinkere ihr vertraut zu.
Diana sieht mich verständnislos an. „Sie ist nicht nur dumm, sondern auch total spaßbefreit“, flüstere ich Jonathan zu.
„Aber sie ist jung und schön“, tröstet mich Jonathan. „Wir sind ja nicht hier, um mit ihr zu reden.“
„Wir hätten Proviant mitnehmen sollen“, sage ich. „Meine Güte, ist das weit.“
„Es ist doch ganz schön, sich nach der langen Autofahrt mal zu bewegen. Aber mein Rücken brennt schon ein bisschen“, antwortet Jonathan.
„Sobald wir ein Plätzchen gefunden haben, schmiere ich ihn dir ein.“
„Was geht denn hier ab?“, rufe ich, als wir uns endlich am richtigen Ende vom Strand unter einem Sonnenschirm eingerichtet haben.
Ich bekomme Sand in die Augen, als etwa zwanzig moppelige nackte Männer vorbeilaufen. Sie jagen einen weiteren nackten Mann mit einer erbsengrünen Flagge und blasen in eine Trillerpfeife. Plötzlich bleibt der erste Mann vor einer Sanddüne schräg vor uns stehen.
„Kommt mit, dann könnt ihr es sehen“, sagt José und wir drei folgen ihm, als wäre er Dick aus den Fünf-Freunde-Büchern.
Das ist einfach zu viel, denke ich, als ich das fickende Pärchen in einer Kuhle sehe.
Es fällt mir sehr schwer, das Geile an zwei kopulierenden, bleichen, mittelalten Personen aus Irland zu sehen. Aber sie sind intensiv dabei und innerhalb von wenigen Minuten umringt von Typen, die sich einen runterholen. Einer nach dem anderen spritzt seinen weißen Samen auf die Frau. Die Flüssigkeit vermischt sich mit dem Sand und ich erschaudere beim Gedanken, wie sehr das reiben und schmerzen muss.
„Ich will hier weg, bevor ich kotzen muss“, sage ich schließlich.
„Sei nicht so eine Spaßbremse“, sagt José.
„José, hier ist keine Party, die man bremsen könnte“, antworte ich sauer und packe meine Sachen zusammen.
Jonathan hilft mir. „Wir sehen uns heute Abend“, sagt er zu José und Diana.
„Kommt ihr nicht mit zu Nat Hamman?“
„Was ist das?“
„Eine Saunalandschaft, aber tagsüber ist es auch ein Sexklub. Wir gehen da gleich hin.“
„Nein, wir schonen unsere Kräfte für heute Abend“, antwortet Jonathan und legt mir den Arm um den Hals.
„Au“, zische ich.
„Hast du auch einen Sonnenbrand?“
„Offenbar.“
„Wir hätten uns vorher schon an die Sonne gewöhnen sollen.“
„Mit den acht Sonnentagen in Stockholm?“
„Es gibt ja auch Solarien.“
Wir gehen schweigend zum Hotel zurück. Ich merke, dass es mir schon auffällt, wie ungewohnt angezogene Menschen aussehen. Aber auch wir tragen dünne, weiße Morgenmäntel als Schutz gegen die Hitze.
Wir machen am Laden Halt, um eine Cola und ein paar Antipasti für den Abend zu kaufen. Es riecht nach frischem Brot aus der Bäckerei daneben.
„Entschuldige, dass ich so sauer war“, sage ich zu Jonathan. „Wahrscheinlich habe ich einfach Hunger.“
„Ich fand es auch ganz schön bizarr.“
„Hast du gesehen, wie sein Arsch gewabbelt hat?“
„Ja! Und ihr Bauch hing ihr quasi über die Muschi. Man hat sie kaum gesehen.“
Wir treffen den ein oder anderen nackten Kunden zwischen den Regalen und ich frage mich, wie sich Salmonellen eigentlich verbreiten.
Nach einem Nickerchen im Hotel begeben wir uns ins Abendgetümmel in den Bars, Restaurants, Klamottenläden und Sexshops. Es gibt fünf Swingerklubs innerhalb von einem Hundert-Meter-Radius. Etwa zehn Kilometer außerhalb des Dorfs befindet sich einer der bekanntesten Swingerklubs der Welt, das l’Extasia. Auch wenn es mit einem alten Weinberg und Draußen-Tanzfläche verlockend klingt, gehen wir am ersten Abend lieber ins Le Glamour. Wir haben tagsüber schon genug im Auto gesessen und ziehen einen kurzen Spaziergang einer weiteren Autofahrt vor.
Le Glamour ist elegant. Ich fühle mich wie in einem italienischen Einrichtungshaus am Stureplan, wo die Verkäuferinnen extra eingeflogene Topmodels aus Paris und New York sind. Was ein bisschen Schminke und hübsche, schwarze Kleidung bewirken können! Kein einziger Ring unterm Auge oder eine kleine Falte, so weit das Auge reicht. Nackte Menschen müssen das Ungeilste sein, was es gibt, und ich bin sehr dankbar, dass alle Gäste bekleidet sind. Die großen Flächen schaffen einen luftigen Eindruck, obwohl über fünfhundert Gäste anwesend sein dürften. Alle sind freundlich und lächeln. Ich fühle mich wohl.
Wir holen uns unsere Willkommensdrinks an der Bar und sinken jeder in einen lila Plüschsessel. Der Drink schmeckt nach Saft. Der Bartender hat am Alkohol gespart. Aber der Saft ist lecker und der Placeboeffekt funktioniert genauso gut wie echter Alkohol.
Jonathan tanzt gut, aber nicht gern. Ich muss ihn eine Weile überreden, damit er mit mir auf die Tanzfläche kommt. Nachdem wir eine halbe Stunde getanzt haben, sind José und Diana noch immer nicht aufgetaucht. Jonathan wird ungeduldig und findet, dass wir selber unser Glück versuchen sollten. Im Kellergeschoss. Wir haben gehört, dass dort die Aktivitäten stattfinden.
Ich greife nach dem Geländer und tripple unsicher auf meinen Absätzen die Treppe hinunter. Eine Stufe nach der anderen. Es fühlt sich an, wie als ich klein war und zum ersten Mal bei meiner Freundin schlafen durfte. Es war furchtbar, als Mama mich allein ließ, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich bleiben musste, denn irgendwann würde es lustig werden und ich würde es immer bereuen, wenn ich mich jetzt nicht traute.
Auf dem halben Weg nach unten bleibe ich stehen und sehe Jonathan an. Er sieht genauso ängstlich aus wie ich. Wir drücken einander die Hände und nach einer halben Ewigkeit treffen wir endlich auf zwei schwarzgekleidete Wachen im Untergeschoss. Sie kontrollieren, dass niemand Alkohol reinschmuggelt oder schon zu betrunken ist. Und dass die Regeln befolgt werden: Die rechte Seite ist nur für Paare. Alleinstehende Männer müssen auf die linke Seite.
Wir beschließen, erst mal nach rechts zu gehen. Es fühlt sich an, als beträten wir ein Labyrinth zwischen etwa zehn sehr hohen, breiten Betten mit dicken Matratzen. Auf jeder Matratze liegen mindestens drei oder vier Paare eng umschlungen in komplizierten Stellungen. In dem schwachen Licht kann man unmöglich erkennen, welches Körperteil zu wem gehört. Der Begriff „Orgie“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. Es sieht aus wie ein Porno im IMAX. Nur besser. Menschlicher. Die plastikartigen Hauptpersonen, die Melodramatik und die mechanischen Wiederholungen des Pornos sind weggeschnitten worden.
Ein Mittzwanziger schlägt die Hände überm Kopf zusammen und flucht auf Französisch, als die Versagensangst zuschlägt. Seine Freundin, die gerade mit einer gleichaltrigen Frau direkt daneben beschäftigt ist, eilt zu ihm und hilft ihm, wieder in die Gänge zu kommen. Ein etwas älterer Mann klopft dem anderen freundlich auf die Schulter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Etwa so, wie ein Fußballspieler seinen Mannschaftskameraden tröstet. Ich muss mich konzentrieren, meinen Mund geschlossen zu halten und nicht zu starren.
„Sie wollen, dass man sie anstarrt“, sagt Jonathan und versucht, weltmännisch zu klingen, als ich aus falschem Respekt weiterziehen will.
Er nimmt meine Hand und mir wird warm. Wärme für ihn und alle um mich herum. Ich entspanne mich. Die Matratzen umschließen mich nicht nur physisch, sie absorbieren alle störenden Geräusche, wie Schnee im Winter. Es fühlt sich an, als ob man in einem Kokon gewiegt wird.
Wir lehnen uns an eine Wand. Jonathan hält mich von hinten im Arm. Streichelt meinen Bauch. Meine Ruhe wird zu Erregung. Er versucht, mit der Hand unter meinen engen, kurzen Jeansrock zu kommen, gelangt aber nur in eine der vielen Taschen. Ich helfe ihm, den richtigen Weg zu finden.
Im Bett neben uns kniet ein Mann und fickt eine Frau von hinten. Sie wiederum bläst einem Mann gegenüber einen. Seine Hände liegen auf ihrem Kopf. Helfen ihr, den Rhythmus zu halten. Unsere Blicke treffen sich kurz. Trotz des Abstands zwischen uns fühle ich mich als Teilnehmerin. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass es seine Finger sind, die ich spüre. Es ist, als könnte er meine Gedanken lesen, denn als ich meine Augen wieder öffne, streckt er seine Hand einladend aus. Ich genieße seine Aufmerksamkeit, aber ich wage nicht, der Einladung nachzukommen. Ich werde rot und schüttle den Kopf. Er lächelt und wirft mir einen Kuss zu.
Das schlechte Gewissen versetzt mir einen Stich und ich kehre in die Wirklichkeit zurück. Jonathan scheint nichts gemerkt zu haben, aber ich drehe mich trotzdem um und küsse ihn. Bohre mich in seine schützende Umarmung, als ob ich Angst habe, von schöneren, interessanteren Männern entführt zu werden, die mich jenseits jeder Vernunft lieben wollen. Jonathan streicht mir über den Rücken, wie er es immer macht, wenn ich traurig bin.
Nach einer Weile übernimmt die Geilheit und ich ziehe meinen Rock hoch. Ich bin Josés Anweisungen gefolgt und habe mein Höschen zu Hause gelassen. Durch den Gedanken, dass die Blicke unbekannter Männer Jonathans Bewegungen über meinen nackten Po folgen, bekomme ich eine Gänsehaut. Jonathan kehrt gierig zu meinem Schritt zurück und dreht mich wieder um. Beeilt sich, mit seinen Fingern wieder zu dem warmen Nass zu kommen. Steckt sie die Finger zuerst in seinen eigenen Mund, dann in meinen. Der Mann gegenüber fixiert mich mit seinem Blick. Leckt sich die Lippen. Ich tue es ihm nach.
Jonathans Schwanz drückt durch die Jeans. Ich öffne seinen Hosenstall und spüre den Schwanz mit der zarten Haut gegen meine Hand pochen. Jonathan drückt mich sanft nach vorn. Der Mann gegenüber streckt wieder seine Hand aus und diesmal greife ich sie. Jetzt oder nie.
Er zieht mich zum Bett hoch. Hält mich an der Hüfte fest. Küsst mich gierig im ganzen Gesicht. Auf den Hals. Wickelt seine Zunge um meine. Es ist schwierig, das Gleichgewicht zu halten, obwohl ich knie und Jonathan mich am Po festhält. Er zieht die Pobacken auseinander, um von hinten an meine Muschi zu kommen. Leckt meine Klitoris, bis sie hart ist. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Jonathan kann nicht alles in sich aufnehmen, was aus mir herausströmt. Ich hinterlasse einen nassen Fleck auf dem Laken, ehe ich in Embryonalstellung in mir zusammenfalle.
„Geh noch nicht“, sagt der Mann, als ich nach einer Weile wieder zu mir komme und wir eigentlich weitergehen wollen.
„Wir kommen wieder“, antwortet Jonathan. „Danke, dass wir hergefahren sind. Ich liebe dich“, flüstere ich ihm ins Ohr.
Wir drängeln uns durch einen engen Gang. Es ist nur Platz für je eine Person, aber an den Wänden stehen knutschende Pärchen und strecken ihre lüsternen Hände aus, um den Arm, die Brust oder den Schenkel einer vorbeigehenden Person zu streicheln. Ich atme immer schwerer und bereue es, meinen Rock nach dem ersten Orgasmus wieder zurechtgerückt zu haben. Ich habe Lust, mich auf eins der Betten zu werfen und hier und jetzt mit Jonathan Liebe zu machen, aber er knufft mich weiter, bis wir den Gang verlassen haben. Er lacht über meinen armseligen Widerstand und flüstert:
„Geduld ist eine Tugend.“
„Du hast es nur eilig, in den nächsten Teil zu kommen“, scherze ich. „Das ist schon klar.“
Die Singleabteilung im Le Glamour ist wie ein Zirkeltraining mit verschiedenen Stationen aufgebaut. Die Luft ist so voller Testosteron, dass man sie fast zerschneiden kann. Es ist warm. Die erste Station ist eine schwarze Sperrholzwand mit runden Löchern in verschiedenen Größen. Auf der einen Seite stecken die Typen ihre Schwänze durch, auf der anderen Seite blasen ihnen Frauen einen.
„Willst du das ausprobieren?“, frage ich.
„Wäre das okay?“
„Ja, klar“, antworte ich und öffne seinen Gürtel.
Seine Hose fällt zu Boden. Jonathan streckt seine Hände über den Kopf und greift nach der Holzwand, die ihn von seiner Wohltuerin auf der anderen Seite trennt. Ich streichle seinen Rücken. Er legt die Wange an die Wand und stöhnt. Die ganze Anspannung des Abends fällt von ihm ab und es dauert nur ein paar Sekunden, bis er laut aufstöhnt.
„Das muss ein neuer Rekord sein“, kichere ich.
„Das ist hier alles so wahnsinnig erregend“, stöhnt Jonathan.
„Ich weiß“, seufze ich.
Auf dem Boden an der nächsten Station liegen zwei rote Sitzsäcke, wie man sie in alternativen Geburtshäusern findet. Auf dem einen liegt bäuchlings eine halbnackte Frau. Sie trägt eine Augenbinde und hält die Hand ihres Mannes. Er dirigiert die Männer in der länger werdenden Schlange. Zeigt auf den, der seine Frau von hinten ficken soll. Ich bin fasziniert von der Primitivität der Lust, der spektakulären Umgebung und der kitzelnden Angst, entdeckt zu werden. Als Hure abgestempelt zu werden.
„Willst du das probieren?“, fragt mich Jonathan.
„Das traue ich mich nicht“, antworte ich. „Vielleicht beim nächsten Mal.“ Bis auf weiteres begnüge ich mich mit dem Gangbang im Kopf.
Die dritte Station ist ein schwarzes Zelt. Wir gehen hinein. Ich streiche mit der Hand an der Stoffwand entlang, um nicht zu stolpern oder das Gleichgewicht zu verlieren. Ein Schatten kommt näher. Die Finger von jemandem treffen auf meine. Ich habe keine Angst. Jonathan steht direkt hinter mir. Ich befinde mich in der bestmöglichen Situation: unfassbare Spannung in totaler Sicherheit.
„Okay?“, höre ich einen Mann mit deutlichem italienischen Akzent fragen.
Ich lasse mich von der Dunkelheit und dem Geruch von Carolina Herrera 212 verschlucken. Der Mann legt meine Hand auf seinen Schwanz. Er ist groß. In diesem Moment braucht es nicht mehr viel mehr, damit ich meine Beine spreize. Für wen auch immer. Ich will Schwanz. Wen kümmert es, welcher Typ Müllmann ist und welcher Hirnchirurg wird? Jonathan hebt mich auf das Regal, das an der Wand entlangläuft.
„Er will dich ficken“, flüstert Jonathan, der sich auch nicht mehr mit Formalitäten aufhält.
„Inglese?“
„Yes“, lügt Jonathan, um nicht noch mehr reden zu müssen. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Jedenfalls so weit, dass ich die Konturen des älteren, graumelierten Don Giovanni ausmachen kann, der mir mein Top hochzieht und an meinen bereits steinharten Brustwarzen saugt. Jonathan streicht mir über den nackten Rücken. Ich bin mehr als so weit. Ich möchte nicht mehr warten. Ich greife nach den Wangen des Mannes und küsse ihn mit der Zunge. Pfefferminzgeschmack. Sein Dreitagebart kratzt.
Ich suche nach seinem Hosenstall. Jonathan reicht mir ein Kondom, das er in einem Flechtkorb neben uns gefunden hat. Immer bereit. Ich kann es ihm kaum draufrollen, bevor der Italiener mich runterhebt, sich auf einen Stuhl setzt und mir Zeichen macht, dass ich mich auf ihn setzen soll. In diesem Moment gibt es nur uns zwei. Jonathan ist zurück in Stockholm. Mein neuer Liebhaber füllt mich aus. Ich küsse ihn wild. Meine Zunge wirbelt herum. Er kneift mir in die Brustwarzen. Ab und zu klatscht er mir auf den Arsch. Ich spüre, wie es dort heiß wird. Es schmerzt.
Ich erhöhe den Takt. Er hilft mit seinen Händen nach. Mit seinem Schwanz. Seinem ganzen Körper. Er will tiefer rein. Er hebt mich hoch und legt mich auf den Boden, ohne hinauszugleiten.
„What’s your name?“, fragt er.
„Julia.“
„You like to fuck, Julia, don’t you?“
„I love to fuck!“
Es fühlt sich an, als ob er mich zweiteilen will. So tief. So schnell. Genuss und Schmerz so nah beieinander. Es fühlt sich an, als ob es nie aufhören wird. Es muss aufhören. Ich bohre ihm meine Fingernägel in den Rücken und schreie. Er spuckt, als er antwortet:
„Julia!“ Ein paar Minuten später steht er auf. Es zieht. Mein Bauch wird kalt. Ich setze mich auf. Er zieht sich die Hose hoch und nimmt Jonathans Hand. Beugt sich vor und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. Schwindelnd stehe ich auf. Fummle an meinen Klamotten rum.
„Ich habe furchtbaren Durst“, flüstere ich Jonathan zu.
„Soll ich dir was zu trinken kaufen?“
„Eine Cola Light wäre lieb“, antworte ich. „Ich komme mit nach oben.“
„Sollen wir mal gucken, ob wir José und Diana finden?“, fragt Jonathan, als er den Vorhang zum nächsten Raum öffnet, dessen Schummerlicht uns fast blendet.
„Komm“, sagt Ida und nimmt meinen Arm.
Sie braucht dreißig, höchstens zweiunddreißig Sekunden, um die ganze Bar abzuscannen und mit mir im Schlepptau zum Tisch hinter dem coolsten Typen im Fjällgården zu marschieren. Auf unserer Osterreise nach Paris werde ich mich dafür revanchieren, denke ich. Da werde ich Ida auf alle Fälle durch den Louvre, das Musée d’Orsay und jedes verdammte Kunstmuseum, das ich finden kann, schleifen. Genau so, wie sie mich heute jede Piste runtergescheucht hat.
Vielleicht bin ich ungerecht. Ida ist meine beste Freundin, aber nach einem ganzen Tag ununterbrochenen Skifahrens fühlen sich meine Beine wie gekochte Spaghetti an und ich sehne mich danach, im Bett zu liegen und zu lesen oder im hoteleigenen Whirlpool zu liegen. Ida hält das für totale Zeit- und Ressourcenverschwendung, im Urlaub Dinge zu tun, die man auch zu Hause machen könnte.
„In Åre fährt man Ski und geht auf Partys“, sagt sie. „Und die Partys plant man beim Après-Ski.“
Ungeschminkt und etwas verschwitzt und mit ihrer knallgelben Norrøna-Skijacke sieht sie anscheinend nicht ganz schlecht aus, den nach ein paar weiteren Minuten unterhält sie sich eifrig mit einem blonden Typen, der wie ein Basketballspieler aussieht.
Ich sitze an der äußersten Tischecke und nippe an meinem Irish Coffee. Sahne landet an meiner Nase. Ich wische sie schnell ab, aber aus dem Augenwinkel sehe ich, dass es schon jemandem aufgefallen ist. Ich lächle ein Paar braune Augen an.
„Müde?“, fragt der Typ, zu dem die Augen gehören.
„Mm“, antworte ich. Er ist nicht der Typ, der einem in der U-Bahn auffallen würde. Oder nach dem man sich im Vorbeigehen auf der Straße umdrehen würde, um einen genaueren Blick zu erhaschen. Er sieht einfach zu normal aus. Gewöhnlich. Nett, wie Mama sagen würde. Ohne langweilig zu sein, würde ich in dem Fall hinzufügen.
„Hi, ich heiße Alex.“
„Anna“, antworte ich.
„Wir sind anscheinend die einzigen, die Irish Coffee mögen“, sagt er und hebt sein Glas.
„Meine Freundin Ida hat auch gestöhnt, als ich den bestellt habe, aber wenn ich jetzt Jägermeister trinke, schlafe ich ein.“
Ich habe es geschafft, mit einem ganzen Satz zu antworten. Und ziemlich gut formuliert. Ich bin zwei Minuten lang sehr stolz auf mich. Dann macht die Stille sich bemerkbar. Ich schiele zu Ida rüber, die gerade voll dabei ist, meinen Purzelbaum von vorhin zu beschreiben:
„Anna hat zu mir gesagt, dass wir nach links fahren sollen“, erzählt Ida. „‘Du weißt doch, dass ich nicht Offpist fahren kann‘, hat sie mir zugeschrien. Aber ich war mir ganz sicher, dass der Hügel nach rechts ging. Ich meine, ich bin ja schon quasi hundertmal in Åre gewesen. Natürlich kenne ich den Weg! Aber dann hat es nur zwei Minuten gedauert, und Anna saß in der weltgrößten Schneewehe fest. Je mehr sie mit Armen und Beinen wedelte, desto tiefer sank sie ein. Das war ziemlich heftig. Wie Treibsand.“
Wie Treibsand, denke ich. Ja, klar. Die weiß wahrscheinlich nicht mal, was das ist. Mir tut es weh, wenn Ida sich auf meine Kosten über mich lustig macht. Aber die sabbernden, hormontriefenden Viecher scheinen sich eh mehr für ihre Kurven zu interessieren als für das, was sie sagt. Was macht jemand wie Alex mit denen?
„Überall um sie herum war Schnee, wie weißer Staub. Ich konnte mich vor Lachen kaum halten. Und da ist Anna richtig sauer geworden. Oder, Anna?“, setzt Ida hinzu und dreht sich zu mir um, als sie endlich merkt, dass ich zuhöre.
„Ja“, antworte ich und lächle blöd.
„Wie ist es ausgegangen?“, fragt der Basketballer.
„Ich habe aufgehört zu lachen und sie mit meinem Stock rausgezogen. Sie hätte ja erfrieren können!“
„Ja, du hast wohl Annas Leben gerettet“, pflichtet Alex ihr bei.
„Darauf stoßen wir an! Die Runde geht auf mich“, schreit der Basketballer und hebt sein Glas.
Beiden ist Alex‘ Ironie entgangen. Ich lächle ihn dankbar an.
„Sehnst du dich auch nach deinem Hotelzimmer?“, fragt er mich.
„Ja, aber anscheinend ist Après-Ski obligatorisch“, antworte ich und bereue es sofort.
Ich habe das witzig gemeint, aber er lacht nicht. Logisch. War ja auch nicht witzig. Wenn sich einmal ein Typ für mich interessiert, statt sich auf Ida zu werfen, klinge ich wie eine blöde Ziege. Sarkastisch und von oben herab.
„Muskelkater?“
„Ja, wir sind heute gekommen. Ida ist viel besser als ich, also muss ich mich wie so eine Idiotin anstrengen, um mithalten zu können.“
Schon wieder. Der Vergleich mit Ida. Warum muss ich mich immer schlecht machen?
„Seit wann bist du hier?“, frage ich. Versuche mich auf seine Antwort zu konzentrieren und nicht an meinen Pickel auf der Stirn zu denken und was ich sagen soll, wenn er geantwortet hat. Falls er antwortet.
„Eine Woche. Wir fahren morgen ab“, antwortet Alex und macht eine Geste zu den anderen um den Tisch. „Wir sind im selben Skiklub in Sundsvall. Kommt ihr aus Stockholm?“
„Ja, hört man das so deutlich?“
„Bei dir nicht. Aber bei deiner Freundin.“
„Meine Eltern kommen aus Göteborg. Vielleicht deshalb.“
„Da bin ich geboren. Als ich klein war, sind wir oft hingefahren und haben Verwandte besucht“, sagt Alex.
„Ich auch. Nach Långedrag.“
Die Freude des Wiedererkennens. Der Irish Coffee bekommt wieder Geschmack und Geruch. Er wärmt mich. Ich schiele zu Alex‘ schmalen Fingern, die auf den Tisch trommeln. Vielleicht ist er genauso nervös wie ich? Vielleicht sehnt er sich nach meinen Fingern auf seinem Körper, so wie ich mich nach seinen sehne? Irgendwelche Finger, um genau zu sein. Achtzehn Jahre und frustriert. Pathetisch.
„Echt jetzt?“, ruft er aus. „Wir haben auf Asperö gewohnt. Vielleicht haben wir als Kleinkinder zusammen gespielt? Ich war der dünne Junge, der nie ins Wasser gegangen ist, weil ich solche Angst vor den Feuerquallen hatte.“
„Und ich war das knallrote Mädchen, das direkt in sie reingeschwommen war.“
Wir lachen. „Was machst du, wenn du nicht Ski fährst?“, fahre ich sehr viel besser gelaunt fort.
„Ich studiere Russisch in Umeå.“
„Wie spannend!“, rufe ich.
„Das musst du nicht sagen. Die meisten halten mich für bekloppt.“
„Ich finde das wirklich. Anna Karenina ist eins der besten Bücher, das ich je …“
Ich halte mitten im Satz inne. Mir wird klar, was ich gerade gesagt habe. Ich nehme meine Serviette. Sie ist nass und zerreißt. Der Tisch ist voller großer, hellbrauner Tropfen. Ich hebe den Kopf und sehe Alex in die Augen. Er versteht. Denkt dasselbe. Er legt seine Hand auf meine und sagt:
„Es ist bestimmt der beste Roman, der je geschrieben wurde. Mama hat mich nach Graf Vronsky benannt.“
Anna und Alex. Die Hauptpersonen in einem hundertfünfzig Jahre alten Roman. Bald. Die Wärme seiner Hand breitet sich aus. Meine Wangen werden heiß. All das Warten. Die Ungeduld. Darum also. Aber nun ist es vorbei: Die einzige volljährige Jungfrau von Stockholm ist nur noch eine Erinnerung. Ich schließe die Augen. Und lächle. Habe leidenschaftlichen Sex in einem vollen Zugwaggon mit einem sanften Experten für russische Klassiker. Holzvertäfelung und weiche, weinrote Sitze. Ein freundlicher Schaffner zwinkert bedeutsam, als wir uns am Gleis in Sankt Petersburg verabschieden.
„Sollen wir nach Hause?“, unterbricht Ida meine Gedanken. Ich sehe hoch, nur halb wach. „Wir sind heute Abend zu euch eingeladen“, fährt sie fort und nickt in Richtung Alex. „Da könnt ihr dann eure Reisepläne weiterdiskutieren.“
„Reisepläne?“, frage ich ängstlich. Was hat Ida gehört? War ich eingeschlafen? Habe ich im Schlaf geredet? Statt kribbelnder Erwartung und Erregung spüre ich nur noch Angst.
Sechs Stunden später sitzen Alex und ich auf einem großen, moosgrünen Plüschsofa vor einem Feuer in einer Holzhütte mitten im Skigebiet. Der Gemütlichkeitsfaktor des Hauses leidet beträchtlich darunter, dass die Besitzer alle alten Möbel und grellbunte Gemälde hingeschleppt haben, für die in ihrer eigentlichen Wohnung kein Platz mehr war. Es ist ziemlich still. Die anderen sind in den Klub gegangen und unsere lebhafte Literaturdiskussion hat keinen Saft mehr. Die Benommenheit nach einer halben Flasche Rotwein setzt langsam ein. Draußen schlägt sanft ein Ast gegen das Fenster. Große Schneeflocken fallen im schwachen Schein der Außenlampe nieder. Ich lehne meinen Kopf gegen Alex‘ Schulter und wünschte, dass dieser Moment niemals vorübergeht. Wünschte, dass ich in Åre wohnte und ich dem Schneematsch der Großstadt entkommen könnte. Wünschte, dass ich mich für den Herbst fürs Medizinstudium in Umeå beworben hätte. Oder dass Alex einen Job als Russischdozent in Stockholm bekäme. Wir haben erschreckend viel gemeinsam. Das kann nicht nur Zufall sein. Die Götter des Universums haben uns zusammengeführt. Hier und jetzt. Heute.
Alex hebt seinen Arm. Legt ihn um mich. Ich lasse meinen Kopf auf seine Brust herabgleiten. Die dicke Wolle riecht harzig. Die Härchen kitzeln mich in der Nase. Ich höre seinem ruhigen, regelmäßigen Herzschlag zu. Lange sitzen wir so da. Alex streichelt mir vorsichtig über den Rücken. Er zählt meine Wirbel. Das dauert lange. Mit jedem Wirbel steigt meine Erwartung. Und meine Unruhe. Ich halte ganz still. Endlich streichelt Alex meine Wange. Küsst mich auf die Stirn. Als ich mich nicht wehre, fährt er bei der Nase fort. Am Hals. Auf dem Mund. Die Lust kriecht in meinen Körper. Er öffnet mit seinem Mund meinen. Zungen treffen sich. Ich höre auf zu atmen.
„Sollen wir in mein Zimmer gehen?“, fragt Alex nach einer Weile. Ich nicke und hole tief Luft. Meine roten Wangen leuchten im Dunkeln. Ich wische meine Hand schnell an meiner Jeans ab, ehe ich seine nehme. Er führt mich in den zweiten Stock. Wir schlängeln uns zwischen Matratzen und Schlafklamotten entlang. Hemden und Hosen. Ich drehe meine Kopf weg und hoffe, dass sie sauber sind. Man merkt, dass hier fünf Typen eine Woche lang Urlaub gemacht haben.
„Entschuldige die Unordnung“, sagt er. „Das hier ist mein Zimmer“, fährt er fort und zeigt in einen länglichen Raum hinter einem blaukarierten Vorhang mit einem Etagenbett aus Kiefer von Ikea.
Dankbar bemerke ich, dass er das Licht ausmacht.
„Willst du hier schlafen?“, fragt er und setzt sich aufs Bett. Ja! Ja! Ja!, will ich schreien. Ich will mich neben ihn setzen, möchte fest in den Arm genommen und die ganze Nacht geliebt werden, aber ich stehe wie angewurzelt auf dem Linoleumboden. Klebe im Flur davor und bin unfähig, mich zu rühren.
„Ich kann hier nicht bleiben“, antworte ich stattdessen. „Dein Zimmergenosse kommt doch jeden Moment zurück.“
„Er kann auch einmal auf dem Sofa schlafen. Ich habe da in der letzten Woche fast jede Nacht geschlafen.“
Er hebt die Decke hoch und klopft dreimal neben sich aufs Bett. Ich gehe einen Schritt vor, dann bleibe ich wie ein unsicherer Hund auf der Schwelle stehen. Wiege mich vor und zurück. Trete von einem Bein aufs andere. Mein Herzschlag hallt in meinem leeren Kopf wider. Ich widerstehe dem Drang, mir die Ohren zuzuhalten.
„Teilst du dir dein Zimmer mit dem Basketballer?“, höre ich mich fragen.
Als ob das irgendeine Rolle spielen würde. Als ob mich der interessiert.
„Ja, wie hast du das erraten?“, antwortet Alex und versucht ein Lächeln. Das Ergebnis ist eine Grimasse. Er sieht traurig aus. „Findest du ihn süß?“, fährt er fort.
„Er ist nicht mein Typ“, antworte ich schnell.
„Das sagst du nur, um nett zu sein.“
Ich gehe einen Schritt weiter. Ich muss ihn trösten und die Dinge richtigstellen. Wieso ist alles so schiefgelaufen?
Als ich im Zimmer bin, beuge ich mich vor und ziehe mir den einen Strumpf aus. Versuche dabei unbeteiligt auszusehen. Ich überlege, was man natürlicherweise als Nächstes tun würde.
„Heute Nacht kommt er jedenfalls garantiert allein nach Hause. Ida redet viel, aber sie schläft immer in ihrem eigenen Zimmer. Allein“, sage ich und setze mich neben ihn an die Bettkante.
Im Gegensatz zu mir, also, so soll es klingen. Anna, die niemals mit jemandem in der Bar flirtet, die sich wie ein ängstliches Kaninchen benimmt, aber die keine Angst hat, wenn es hart auf hart kommt. Die scharfe Bettkante bohrt sich in meinen schmalen Hintern.
„Machst du Witze?“, fragt Alex.
„Ich meine es todernst.“
„Dann weiß ich einen, der morgen früh richtig sauer sein wird“, lacht Alex. „Am letzten Tag und alles.“
Alex‘ Lachen lässt meine Schultern ein paar Zentimeter nach unten sinken. Ich kann wieder atmen.
„Bist du schadenfroh?“, frage ich.
„Ja, ein bisschen. Oder wahrscheinlich ziemlich viel. Er kann so wahnsinnig eingebildet sein. Die Mädels rufen ihn ständig an oder schreiben ihm und er jammert deswegen rum. Jammert! Niemand will sein Zimmer mit ihm teilen, weil man ständig auf dem Sofa landet. Wir haben gelost.“
„Und du hast gewonnen?“
„Ja. Die Art von Wettbewerben gewinne ich immer. Brauchst du Hilfe?“, fragt Alex und deutet mit seinem Kopf auf meine Füße.
Ich habe noch immer einen Strumpf an. Ehe ich antworten kann, steht er auf und zieht sich seine Hose aus. Er trägt blau-weiß gestreifte Shorts. Sie sehen wie Schlafanzughosen aus Flanell aus. Ich weiß nicht, wo ich hingucken soll. Er zwickt mir in die Nase. Ich niese. Seine Hand wird nass.
„Entschuldigung“, flüstere ich. Alex legt mir seinen Finger auf den Mund. Als ob er mir rät, nicht mehr zu reden. Ich soll aufhören, über meine Nervosität Witze zu machen. Aber die Stille lähmt mich. Ich will etwas sagen. Irgendwas. Die Stille ist nicht auszuhalten. Aber mir fällt nichts ein. Stattdessen ziehe ich ein bisschen am Ärmel meiner Strickjacke. Trockne seine Hand ab. Gründlich. Er wird jede Sekunde zu sich kommen, seine Sinne wiederfinden und abhauen.
Alex hilft mir beim Ziehen am Ärmel. Ich versuche, meinen Arm rauszubekommen, aber es klappt nicht. Der Ärmel wird nur immer länger. Kichernd muss ich an einen Zauberkünstler mit bunten Schals im Hut denken. Plötzlich sind alle miteinander verbunden und hören nie auf. Die Bühne ist voller Seide.
„Wir sind besser darin, über russische Literatur zu reden“, lacht Alex.
„Nee, nee, ich hab das schon tausendmal gemacht“, antworte ich und schaffe es, unter hysterischem Fuchteln, Strickjacke, Hemd und BH in einem Rutsch auszuziehen.
Ich stütze meine Ellenbogen auf die Schenkel und lege meinen Kopf in die Hände, um meine nackten Brüste und meinen mageren Körper zu verdecken.
Es sieht fast normal aus, wie ich da sitze. Alex erkundet die Rückseite meines Oberarms und mein Schulterblatt mit seinem Zeigefinger. Streichelt meinen Hals mit weiteren zwei Fingern. Mittelfinger und Ringfinger. Ich weiß nicht, ob das besonders schön ist. Ich kann mich irgendwie nicht auf ihn konzentrieren. Ich höre viel zu sehr das Tropfen des Wasserhahns in der Küche. Bald begeben sich alle seine fünf Finger auf meine Vorderseite und streichen an meinem Schlüsselbein entlang.
Alex ist so vorsichtig. Ich wünschte, dass seine Achtsamkeit zu Ungeduld werden würde. Zu Leidenschaft. Dann könnte ich vielleicht die Wanduhr im Wohnzimmer des ersten Stocks ignorieren. Aus dem Geigenkonzert würde isländischer Rock werden. Björk. Wir beide könnten die Kontrolle verlieren. Uns wild küssen. Er schiebt meinen Arm weg und legt seine Hand wie eine Porzellanschale über meine Brust. Die kalte, glatte Oberfläche streicht über meine Brustwarze. Ich erschaudere. Zucke zusammen. Erschrocken nimmt Alex seine Hand weg. Ich schlucke. Kämpfe mit den Tränen. Jetzt müssen wir wieder von vorne anfangen. Noch mal. Ich kann das nicht noch mal. Ich gehe kaputt. Werde von innen in Stücke zerspringen. Plötzlich wird die Tür geöffnet.
„Ist jemand gekommen?“, rufe ich aus und setze mich so schnell auf, dass ich mit dem Kopf ans obere Bett schlage.
„Alles gut?“, fragt Alex und streicht mir übers Haar.
„Alles gut“, antworte ich und bin erleichtert über den physischen Schmerz, mit dem ich so viel besser umgehen kann.
„Warte kurz“, sagt Alex, zieht seine Hose an und geht die Treppe runter.
Ich ziehe die Decke zu mir, um meinen nackten Körper zu verdecken. Fummle an meiner Unterwäsche rum. Als die Tür kurz danach wieder aufgeht, habe ich meinen BH wieder angezogen.
„Du darfst jetzt nicht gehen“, protestiert Alex.
„Aber …“
„Alles gut. Wir machen Musik an, dann hörst du nichts.“
„Hast du gesagt, dass du Besuch hast?“
„Nein, natürlich nicht. Wir schmuggeln dich morgen früh raus.“
„Kann man die Tür nicht abschließen?“
„Die sind so besoffen, die schlafen sowieso gleich ein. Ich habe heimlich eine halbe Flasche Jägermeister mitgenommen.“
Er trinkt aus der Flasche. Die Flüssigkeit kommt schneller, als er schlucken kann, und rinnt ihm über Wange und Kinn. Er trocknet sich mit der Hand ab und reicht mir die Flasche. Der würzige Alkohol brennt in meinem Hals. Ich lecke mir den Mund ab. Alex fängt meine Zunge. Beißt mir sanft in die Zungenspitze.
„Au.“
„Entschuldigung. Habe ich dir wehgetan?“
„Nein“, antworte ich und nehme noch einen Schluck. „Das schmeckt gut.“
Er legt seine Hand auf meinen Bauch und sucht den Weg nach unten. Fingert an meinem Höschen. Bewegt seine Hand langsam vor und zurück. Quälend langsam. Er nimmt meine Hand und legt sie auf seinen Schwanz. Er streckt sich zu mir. Will aus den Shorts raus. Er zieht sie aus und führt meinen Zeigefinger über die angespannte Haut.
Ich schließe meine Hand um ihn. Spüre, wie er wächst.
„Willst du?“, fragt er. Ich nicke kräftig. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Alex sucht in der Hosentasche seines Kumpels nach einem Kondom. Er versucht es anzulegen. Das klappt nicht so gut. Er wird abgelenkt, weil es in der Besteckschublade in der Küche raschelt. Wir sitzen still da und hören den Stimmen zu, die zu flüstern versuchen. Gelaber von Betrunkenen. Die Toilettenspülung geht. Jemand stolpert ins Zimmer nebenan. Flucht. Nach einer Weile wird es wieder still. Schnarchen dringt durch die Wände.
Endlich trauen wir uns wieder, uns zu bewegen. Ich drehe mich neben Alex auf den Rücken und bin erleichtert, nicht die einzige Anfängerin im Zimmer zu sein. Wir umarmen uns. Küssen uns. Erst vorsichtig, dann immer intensiver. Alex streichelt meine Brüste mit seinen feuchten Lippen. Knabbert mehr daran, je mehr ich stöhne.
Er streckt sich nach einem neuen Kondom. Beißt die Ecke der Verpackung ab. Ich liege da und warte. Seine Eichel drückt gegen meinen Schoß, als er sich bereit macht. Alex greift nach meiner Hüfte. Ich helfe ihm, den Eingang zu finden. Wir wippen gemeinsam. Als ob wir gemeinsam in einem Boot wären. Als wären wir schon seit Monaten zusammen.
Ich stelle mich auf die Knie, will ihm näher sein. Er zieht mich noch näher an sich. Wir stoßen beide zusammen gleichzeitig auf und nieder. Immer schneller. Ich verstehe, warum sich alle immerzu mit Sex beschäftigen. Ich genieße es mehrere Sekunden.
Genau dann, ohne Vorwarnung, kracht der Lattenrost mit einem lauten Knall auf den Boden. Ich schließe die Augen. Vielleicht fällt auch noch der Rest vom Bett auf uns? Alex schützt meinen Kopf. Als wir feststellen, dass nichts Schlimmeres mehr kommt als ein nicht stattgefundener Orgasmus, beginnen wir nervös zu lachen und klammern uns aneinander.
„Verdammt noch mal, Alex!“, schreit der Basketballer und öffnet energisch die Schlafzimmertür. „Hast du mein Bett kaputtgefickt?“
Wie hatte ich die besoffenen Jungs vergessen können? Alex breitet die Decke über uns aus und ich verstecke mein Gesicht an seinem Hals. Mein Körper ist in Alarmbereitschaft, mit Kloß im Hals, Herzklopfen und Zittern.
„Was schreist du hier rum?“, hört man verschlafen aus dem Wohnzimmer.
„Der Professor hat mein Bett kaputtgefickt“, sagt der Basketballer erneut.
„Du machst Witze“, sagt jemand am anderen Ende des Hauses. Schon füllt sich die Türöffnung mit neugierigen Gesichtern.
„Könnt ihr uns jetzt in Ruhe lassen?“, bittet Alex. Er klingt müde.
„Was für eine verdammte Schlampe“, höre ich jemanden sagen.
„Jetzt reicht’s, Jungs“, sagt Alex lahm, als wäre es ein Dummerjungenstreich.
Ich stehe auf und nehme so schnell ich kann meine Kleider. Die Jungs gehen zur Seite, als ich zur Schlafzimmertür gehe.
„Anna“, beschwert sich Alex, ohne sich vom Fleck zu rühren.
Warum folgt er mir nicht durch die Tür?, denke ich. Warum muss ich mich allein der Demütigung aussetzen?
Es sind ja seine Freunde. Er kann von ihnen nicht so niedergemacht werden wie ich. Er ist ein Typ. Sie werden ihm sicher gratulieren, sobald ich weg bin. Die Enttäuschung staut sich in meinem Hals. Ich muss meine Tränen gewaltsam zurückhalten.
Mittäter, möchte ich schreien, als ich meine Schuhe an mich reiße.
Ich habe nicht vor, mich in den Flur zu setzen und sie unter acht Augen zuzubinden. Ich will fort. Verschwinden.
Verdammte Schlampe, hallt es in meinem Kopf, als ich auf Strümpfen ins Dorf runterlaufe.
„Wäre es nicht langsam Zeit fürs Coming-out?“ Ich schrie nicht, sprach aber laut genug, dass es mehrere von Andreas Arbeitskollegen im ICA-Supermarkt hören konnten. Jetzt warteten sie neugierig auf die Auflösung des Dramas.
Es war lang genug über uns getuschelt worden. Andrea und Frida, das Lesbenpaar vom Dorf. Würden sie endlich die Wahrheit erfahren? Der Lagerarbeiter streckte seinen Kopf unter dem Milchkühlschrank hervor. Der Obsttyp spähte hinter dem Kartoffelkarton hervor. Die alte Frau Jansson ließ sich zweihundert Gramm Leberpastete über die Fleischtheke reichen und blieb mit dem angehobenen Paket stehen.
„Was ist daran so wichtig, dass alle es wissen sollen?“, flüsterte Andrea. „Reicht es nicht, dass ich dich liebe?“
Wie immer. Es war nicht das erste Mal, dass ich der Welt unsere Liebe zeigen wollte. Skåne und Anderslöv. Ich wollte nicht mehr Andreas beste Freundin sein. Ich wollte ein Geständnis. Sie war doch mein Ein und Alles! Aber Andrea ließ mich mitten im Laden stehen. Allein. Erniedrigt. Zugrunde gerichtet. Sie ging ruhig zur Kasse, um eine Kollegin abzulösen. Als ob es mich nicht gab.
„Jetzt weiß ich, wie sich alle fühlen“, sagte Andrea, als wir uns das erste Mal küssten.
Sie zögerte drei Sekunden zu lange. Der weiße Volvo des Nachbarn hielt auf der anderen Straßenseite, als unsere Lippen gerade kurz davor waren, sich zu treffen. Vier aufgedrehte Spätteenager quollen heraus, grüßten grölend und winkten, waren aber zu betrunken, um sich am nächsten Tag an mich zu erinnern, als ich aus Andreas Haus stolperte.
Wir tanzten die ganze Nacht. Gegen Morgen zog Andrea sich ihr Baumwollhemdchen aus. Ich streichelte ihren nackten, schmalen Rücken. Spürte jede Rippe unter meinen Fingerspitzen. Andrea kitzelte mit ihren langen Nägeln meinen Unterarm. Ein abgebrochener Nagel hinterließ einen weißen Streifen auf meiner rötlichen Haut. Ich legte mich auf den Bauch und Andrea setzte sich auf meinen Po. Sie strich an meinen verspannten Halsmuskeln entlang. Massierte all die Sorgen fort, die sich an meinem linken Schulterblatt festgesetzt hatten. Suchte an meiner Wirbelsäule nach Verhärtungen. Ich spürte ihre warme Muschi durch den dünnen Rock. Andreas spitze Brüste, die sich gegen meinen nackten Rücken drückten, als sie sich hinlegte und mich umarmte. Ich verschwand in ihrer Umarmung. Wir lagen still da. Die Zeit setzte aus. Mit aufgewühlten Körpern. Eine Ewigkeit her.
Seit Andrea und ich den Film Gorillas im Nebel mit Sigourney Weaver gesehen hatten, träumten wir davon, die Berggorillas an der Grenze zwischen Ruanda und Uganda zu beobachten. Monatelang planten wir die Reise. Sparten und geizten. Bis zum allerletzten Moment hoffte ich, dass Andrea mich am Flughafen treffen würde. Dass sie mich mit offenen Armen empfangen und mir darlegen würde, dass alles nur ein Missverständnis war. Erst, als das Flugzeug abhebt, gebe ich die Hoffnung auf. Andrea kommt nicht. Sie hat ihre Reise tatsächlich storniert. Hat mich für immer verlassen.
Ich wache von einem dumpfen Geräusch auf. Die Räder kommen am Boden auf. Der Pilot bremst. Endlich da. Ich werde vom Hotelchauffeur am Flughafen von Entebbe abgeholt. Er hält ein Schild mit meinem Namen hoch. Ich zeige auf das Schild und dann auf mich.
„How do you do?“, antwortet er auf fehlerfreiem Englisch mit britischem Akzent.
Eine knappe halbe Stunde später sind wir im Hotel in Kampala.
„Willkommen im Sheraton“, sagt der Rezeptionist. „Ihre Gruppe trifft sich heute Nachmittag um vier.“
Ich gebe dem Pagen viertausend Shilling Trinkgeld, der meinen Rucksack in mein Zimmer trägt. Seine Uniform ist gelb, rot und schwarz. Genau wie die Landesflagge, die auf dem Foto im Touristenflyer auf dem Nachttisch weht.
„Webale nnyo nnyo nnyo“, sagt er auf Luganda, einer von dreiunddreißig Landessprachen.
„You’re welcome“, antworte ich.
„Wir fangen mit einer Vorstellungsrunde an. Ich heiße Peace. Eigentlich studiere ich Buchhaltung an der Universität von Kyambogo, aber die kommenden zwei Wochen bin ich Ihr Reiseleiter“, sagt unsere Guide, als wir uns mit einer Tasse Tee in der Lobby versammelt haben.
Peace sieht aus wie eine junge Variante vom Supermodel Naomi Campbell. Ihre Haare sind mitten auf dem Kopf zu einem Dutt gebunden. Um den Knoten hat sie einen farbenfrohen Seidenschal gebunden. Ich kann die Augen nicht von dem langen, schlanken Körper und den großen, munteren braunen Augen lassen. Sie scheint warm und freundlich zu sein. Spricht leise. Vielleicht ist sie ein wenig schüchtern? Meine Aufregung legt sich etwas. Mir ist wieder etwas wohler zumute.
In der Gruppe ist ein älteres amerikanisches Pärchen. Beide haben Hörgeräte und sprechen sehr laut. Sie fragen alles, was wir auch gerne wissen wollen, aber wir kommen nicht zu Wort. Dann gibt es noch einen Norweger, der auf einer Bohrinsel im Atlantik arbeitet, und seine Mutter aus Oslo, und eine sexy Frau aus Prag mit langen, blonden Haaren, die ihr bis zur Taille reichen. Prag ist wohl in meinem Alter. Wir werden uns ein Zelt teilen.
Am nächsten Morgen geht es schon um sechs Uhr los. Wir versuchen, um Kampala herumzukommen, wo eine Million Einwohner zur Schule und zur Arbeit wollen. Nur ein paar verirrte Hühner sind auf unserem Weg schon wach.
„Habt ihr gut geschlafen?“, fragt Peace.
„Danke, ja“, antworte ich und setzte mich ganz vorn in den Minibus.
„Wir frühstücken in Masaka. Es sind zweieinhalb Stunden bis dahin, wenn es keine Sperrungen auf der Straße gibt. Zögert nicht, mich auf der Fahrt alles zu fragen, was euch beschäftigt. Wenn ich keine Antwort habe, frage ich den Fahrer oder ich denke mir was aus.“
„Das klingt gut“, schreit der Amerikaner.
„Darf ich neben dir sitzen?“, fragt Peace.
„Natürlich“, antworte ich und stelle meine grüne Kameratasche zur Seite. Ich habe vergessen, sie zuzumachen, und mein Teleobjektiv fällt auf den Gang. Peace und ich beugen uns gleichzeitig runter, um es aufzuheben. Unsere Köpfe schlagen zusammen und ich sehe ihre rosa Unterwäsche. Komme fast mit der Nase an ihre nackte Haut.
„Entschuldigung“, stammle ich und spüre, wie meine Wangen heiß werden.
Gleich hinter Masaka fahren wir auf einen groben Kiesweg zum Mburo Nationalpark. Die Lüftung summt. Ich wackle mit den Zehen in meinen neu gekauften Ledersandalen mit Perlmutt auf einem der Riemchen. Peace schimpft mich lachend aus, als ich erzähle, was sie gekostet haben.
„Du musst feilschen“, sagt sie.
„Aber sie sind doch so hübsch“, protestiere ich. „Handgemacht.“
„Nächstes Mal helfe ich dir“, sagt sie und legt ihre Hand auf meine.
Die Savanne breitet sich vor uns aus und bald sind wir von Tieren umgeben, die ich sonst nur aus den Tierfilmen im Fernsehen kenne. Zebras, die mit den Schwänzen schlagen. Antilopen, die im Gänsemarsch gehen. Wildschweine, die neugierig in die Kamera gucken. Schimpansen, die sich am Hals kratzen. Der ein oder andere Elefant, der seinen Rüssel schwenkt. Baumgroße Kakteen. Wir laufen von der einen Seite des Busses zur anderen, um nichts zu verpassen. Vielleicht sollte ich hier bleiben, denke ich.
„Wenn du dich mit dem beschäftigst, was dich am meisten interessiert, und dieses Interesse dir immer Neues beschert, ist es Liebe“, philosophiert die Amerikanerin und lehnt sich in ihrem Sitz zurück.
Ihr Mann streichelt ihr über die Wange
„Vögel“, sagt Statoil. „Mama und ich beobachten wahnsinnig gern Vögel. Ich habe schon dreihundertsechs Kreuzchen. Das letzte war eine Kolbenente. Sogar in Schweden.“
„Ich kriege Hunger“, sagt Prag. „Was isst man hier so?“
„Heute Abend grillen wir. Aber die ugandische Hausmannskost besteht meistens aus Fleisch- oder Hühncheneintopf mit Bananenmus, das Matooke heißt. Oder mit Ugali, das ist eine Art Maisbrei“, antwortet Peace.
„Wie lecker! Ihr habt hoffentlich Marshmallows dabei“, sagt Prag zu den Amerikanern.
„Natürlich. Und Erdnussbutter für zwischendurch“, antworten sie.
Prag schläft als Erste ein. Sie liegt schnarchend im Bett neben mir. Ich kann nicht einschlafen. Die Gedanken durchfliegen meine fünf Hirnlappen wie die Bälle bei einem Tennismatch. Ich denke an den Abend zurück und das Gefühl, als alle das Beatleslied Yesterday anstimmten. Peace hat Gitarre gespielt. Das offene Feuer ließ ihre Haare leuchten.
Ich drehe mich zum siebten Mal um. Schwebe drei Zentimeter über der Matratze, so angespannt bin ich. Ich wünschte, Andrea wäre hier und würde mich runterbringen. Die Decke um mich stopfen. Mich beruhigen. Wie sie es immer gemacht hat.
„Du siehst ein bisschen blass aus, Frida. Geht’s dir gut?“, fragt Peace, als ich aufgebe und mich mitten in der Nacht aus dem Zelt kämpfe.
Ich zucke zusammen. Ich hatte nicht erwartet, dass sie noch immer am Feuer sitzen würde. Dunkelheit und Stille haben sich über die Landschaft gelegt.
„Ich brauche nur ein bisschen frische Luft“, antworte ich. „Es ist so warm im Zelt. Ich wollte ein bisschen spazieren gehen.“
„Geh nur nicht zu weit. Ich will nicht, dass du von einem Löwen gefressen wirst“, sagt Peace und lacht.
Im selben Moment habe ich keine Lust mehr auf einen Spaziergang. Außerdem ist es draußen genauso warm. Ich gehe einen Kreis von drei Metern Durchmesser.
„Willst du ein Glas Wein, um deine Nerven zu beruhigen?“, fragt Peace. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“
„Ja, gern“, antworte ich.
Peace verschwindet in ihrem Zelt, kommt aber bald wieder mit zwei Bechern und einer Flasche französischem Rotwein raus.
„Den habe ich vor geraumer Zeit von einem Touristen bekommen und ihn für einen besonderen Anlass aufgehoben“, sagt Peace.
„Webale nnyo“, antworte ich.
„Wo hast du Luganda gelernt?“
„Von meinem Reiseführer, aber Danke ist so ziemlich das einzige, das ich sagen kann.“
„Dann kann ich dir noch ein bisschen was beibringen: Olimukazi mulungi nnyo.“
„Was heißt das?“
„Du bist hübsch.“
„Danke“, antworte ich und lächle. „Du auch.“
Wir setzen uns auf einen Steinblock und nippen am Wein. Draußen riecht es nach frischem Heu und es ist auffallend still. Der Himmel ist sternklar. Die Sterne leuchten hell und fühlen sich sehr nah an. Die Zeit steht still und ich bekomme ein Gefühl, wie es ist, im Jetzt zu leben.
„Willst du morgen früh den Sonnenaufgang mit mir angucken?“, fragt Peace.
„Sehr gern.“
„Dann müssen wir uns jetzt mal schlafen legen. Es ist spät“, sagt Peace und steht auf.
Sie umarmt mich. Ihre Arme schmelzen um meinen Körper und formen sich nach ihrer Bewegung. Ich umarme sie zurück. Stark. Lehne meinen Kopf an ihren schmalen Brustkorb. Er riecht nach Haut. Nach Mensch. Kein Duft von parfümierter Creme, der einen ablenkt. Ich hebe den Kopf und drücke meine Lippen auf ihre. Peace zuckt zusammen. Ich sehe verwundert auf. Ist sie nicht so wie ich?
„Habe ich etwas falsch gemacht?“, stottere ich.
„Nein, nein, überhaupt nicht. Alles ist gut mit dir, Frida. Aber jetzt musst du gehen. Wir dürfen nach zehn Uhr keinen Kontakt mehr zu den Touristen haben. Wir sehen uns morgen früh um sechs“, sagt Peace und nimmt vorsichtig meine Arme von sich. „Gute Nacht.“
Gelähmt bleibe ich da stehen, wo sie mich verlassen hat. Sehe, wie sie in ihr Zelt geht. Sie winkt, als sie den Reißverschluss von ihrem Zelt schließt. Ich winke zurück und flüstere gute Nacht.
Von dem Berg, zu dem Peace mich mitgenommen hat, blicke ich am nächsten Morgen über eine dicke, grauweiße Decke, die sich mehrere Kilometer in alle Himmelsrichtungen erstreckt. Als die Sonne aufgeht, verfärbt sich die Daunendecke rosa. Ich hole meine Kamera hervor. Versuche, Gottes Schöpfung im Bild einzufangen. Der Nebel lichtet sich. Ich kann die Baumkronen mehrere Hundert Meter unter mir erkennen. Mit dem Fernglas sehe ich eine Elefantenfamilie, die ihr Morgenmahl einnimmt. Drei Flamingos leisten ihnen Gesellschaft. Trinken an der gleichen Oase Wasser.