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Ein Buch für Bewegungsmuffelinnen, Ich-würde-gern-Bewegerinnen, Extremsportlerinnen und Superaktiv-Frauen. Egal ob es um die Figur, die Schönheit, das Altern, den Stoffwechsel, die Herzgesundheit oder das Gebiet der Heilung geht: Bewegung soll der Schlüssel dafür sein, dass unser Körper gesund, agil und ewig jung bleibt. Das jedenfalls wird uns in der Werbung, durch Workout-Apps, Beweg-dich-Blogs und die Medizin immer wieder weisgemacht. "Die bewegte Frau" basiert auf der Beobachtung, dass viele Frauen einem enorm großen Druck ausgesetzt sind, sich auf normierte Weise zu bewegen. Katrin Jonas hinterfragt das. Denn: Wie sinnvoll sind die Pauschalansagen für den individuellen Frauenkörper? Was ist ein richtiges, weil individuelles Bewegungsmaß? Stimmt das, was man übers Bewegen sagt, überhaupt? Und was meint unser Körper dazu? Mit FEDERLEICHT-ÜBUNGEN, SELBSTREFLEXIONEN und einem WOHLFÜHL-TRACKER Indem die Leserin sich an der Natürlichkeit ihres Körpers orientiert, kann sie ihr Bewegungsempfinden ganz neu entwickeln. So lernt sie den Signalen ihres Körpers zu lauschen, sich beim Bewegen von der Freude leiten zu lassen und ein für sie stimmiges Bewegungsmaß zu finden. Sie bewegt ihren Körper so, wie es ihrem Wohlgefühl entspricht – und kann wieder aufatmen, weil sie sich vom Druck und allem "Sollte" und "Müsste" befreit. Eine gesunde Balance von Bewegung und Ruhe ist ihr Lohn. Wo Bewegungsfreude entsteht, da geht es lang!
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Seitenzahl: 140
Haftungsausschluss:
Die im Buch veröffentlichten Ratschläge und Übungen wurden von der Verfasserin und dem Verlag mit größter Sorgfalt erarbeitet und geprüft. Eine Garantie und Haftung kann jedoch nicht übernommen werden. Die Durchführung der im Buch enthaltenen Übungen erfolgt in Selbstverantwortung.
Ebook-Ausgabe 2020
Umschlaggestaltung: Bunda S. Watermeier, www.watermeier.net
Illustration Cover & Innenteil: AdobeStock_292060716
Copyright© 2019, Innenwelt Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung des Verlags
www.innenwelt-verlag.de
eISBN 978-3-947508-73-0
KATRIN JONAS
VomBewegensollenzumBewegenwollen
Für Bewegungsmuffellinnen,
Ich-würde-gern-Bewegerinnen,
Superaktivfrauen und Extremsportlerinnen
Warming up: Bewegung ist mehr als Schwitzen, Selbstüberwindung und Sport
1. Kapitel
Natürlich bewegen, was sonst?
2. Kapitel
Der Verlust von Natürlichkeit und Femininität
3. Kapitel
Bewegung FÜR oder GEGEN den Körper?
4. Kapitel
Die vier Bewegungstypinnen
5. Kapitel
Yippie – Bewegungsfreude ist der Schlüssel
6. Kapitel:
Organisches Bewegen
Moving on: Den „Bewegungs-Sechser“ im Gepäck
Literaturverzeichnis
Über Katrin Jonas
Viele Ratschläge in Sachen Bewegung sind gespickt mit den Push-Wörtern SOLLTE und MÜSSTE. Sätze wie „Man sollte sich regelmäßig bewegen …“, „Der Körper muss täglich …“ oder „Du müsstest endlich mal … , sonst … “ kennen wir alle.
Und diese SOLLTE- und MÜSSTE-Botschaften haben die Angewohnheit, sich tief in die Furchen des Unterbewusstseins einzugraben und von dort aus zu mahnen: Ausdauer sollten wir entwickeln, Kardiofitness betreiben, die Muskeln trimmen, täglich zehntausend Schritte gehen, uns zu Regelmäßigkeit verpflichten und den inneren Schweinehund besiegen. Egal um welche körperlichen Vorgänge es geht, Bewegung soll die Quelle dafür sein, dass unser Körper fit, jung, schlank und dynamisch bleibt.
Doch! Wenn wir uns nicht genug bewegen, kriegen wir Cellulite, Schwabbelbäuche und fette Hintern. Wir erkranken an Diabetes, Hormonstörungen und Herzproblemen, altern früher und werden von degenerativen Symptomen und Schmerzen am Bewegungsapparat befallen. Außerdem reduzieren sich, wie man uns neuerdings sagt, unsere grauen Zellen, weil das glymphatische System, das den Hirnmüll entsorgt, nicht genug angeschoben wird. Wenn man uns dann noch unterjubelt, dass ein Bewegungsdefizit das Wachsen von Krebszellen unterstützt, verursacht das in unseren Köpfen erst einmal drei Dinge: einen enormen Handlungsdruck, Schuldgefühle und Angst.
Es ist also kein Wunder, dass viele Frauen einiges dafür geben würden, wenn sie das Bewegungsthema positiv für sich lösen könnten. Und genau das dröseln wir hier auf.
Weil ich hier mit einem frischen Blick auf das Bewegungsthema schauen möchte, schlage ich vor, es sofort aus den eingefahrenen Bahnen herauszuwerfen. Dazu stelle ich Ihnen sechs Kernvorschläge vor. Vielleicht können Sie beim Lesen bereits fühlen, ob diese eine Wirkung auf Sie haben.
1. Verb statt Substantiv
Ersetzen Sie den Begriff „Bewegung“ durch das Tätigkeitswort „bewegen“.
2. WIE statt WAS
Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das WIE, die Qualität Ihres Bewegens.
3. Bewegen statt Leistenmüssen
Koppeln Sie Ihre Bewegungsweise von Sport-, Wettkampf- und Leistungsgedanken ab.
4. FÜR statt GEGEN
Schaufeln Sie sich von den Gedanken der Selbstdisziplinierung und des Bewegens „gegen den Körper“ frei.
5. Individuell statt pauschal
Finden Sie erfüllende Bewegungsmöglichkeiten, die Ihr Körper liebt.
6. Natürlich statt gesteuert
Erleben Sie Bewegtsein als natürlichen Ausdruck eines beweglichen Lebens.
Mit dem Bewegungs-Sechser steigen wir ein. Und dann schauen wir uns an, warum so viele Frauen in die Bewegungsextreme gehen, warum sie ihren Körper wie getrieben abrackern und stählen, während andere Frauen erstarren, sich vom Bewegen abwenden und phlegmatisch werden. In Bezug auf die „Beweggründe“ begegnen wir den vier Frauen-Bewegungstypinnen und sehen, welche Impulse den Ich-würde-gern-Bewegerinnen, den Bewegungsmuffelinnen, den Superaktivfrauen und den Extremsportlerinnen gut bekämen.
Mit den praktischen Federleicht-Sequenzen lade ich Sie ein, Ihren Körper aus einer inneren Perspektive heraus zu erkunden und ihn auch einmal in Bezug auf neue, ungewöhnliche und vor allem leichtigkeitserprobte Bewegungen kennenzulernen. Und dabei kommen auch wieder stillere, somatisch kluge und meditativere Sequenzen zur Selbsterfahrung ins Spiel. Diese führen zu einem natürlichen Balanceverhältnis zwischen Bewegung und Ruhe und erleichtern es, zwischen diesen beiden Polen hin und her zu gleiten. Denn: Wer die Stille kennt, verlangt automatisch nach Bewegung. Wer ausschließlich das Bewegtsein kennt, verpasst das Wunder der Stille.
Bei allem geht es um Sie, ja, um Sie und Ihren Körper mit seiner ganz persönlichen Geschichte! Im Einverständnis mit Ihren echten Bedürfnissen dürfen Sie das Spektrum Ihres Bewegens von Neuem aufrollen. Sie knüpfen an Ihr natürliches Gespür für Bewegung an und erfahren im Spielraum zwischen Ruhen und Bewegen, was wirkliche Balance bedeutet. Und dann wird ein Schuh draus; denn diese ist es dann auch, die ihre Gesundheit nährt.
Unabhängig davon, ob Sie sich momentan selbstvergessen auspowern, mit zusammengebissenen Zähnen Kilometer schrubben, sich von Bewegung längst verabschiedet haben oder immer wieder an der Ich-will-aber-ich-kann-nicht-Schwelle scheitern: Kommen Sie mit! Lassen Sie alles Sollte und Müsste hinter sich! Entdecken Sie, was alles möglich ist.
Das Gebiet des Bewegens ist besonders bei uns Frauen so sehr mit Glaubenssätzen und Idealen überfrachtet, dass ich hier auf gar keinen Fall mit einem weiteren Ich-habe-die-ultimative-Lösung-Angebot anrücken werde. Im Gegenteil. Ich möchte das Thema lieber öffnen, mit Fragezeichen versehen und darauf schauen, wie es für Ihren individuellen Organismus am besten wäre. Ja: Wie wäre das Bewegen Ihres Körpers als eine der Grundfunktionen menschlichen Lebens natürlich?
Vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor, denn ich stelle diese Frage nicht zum ersten Mal. Wer meine anderen Bücher kennt, weiß, dass ich sie immer dann stelle, wenn es um körperliche Herausforderungen, die persönliche Konstitution, Symptome oder ums Hinterfragen von Erkrankung geht.
Denn: Aus meiner Erfahrung heraus ist die Frage nach dem Natürlichsein die einzige, die uns zu Antworten führt, welche uns als individuelle Menschen anerkennen und unterstützen. Gleichzeitig hilft sie uns zu bemerken, wann wir es mit körperfremden und von außen aufgesetzten Pauschaltheorien zu tun haben, die für die breite Masse entworfen wurden und das Bewegen des Körpers zu einem standardisierten Relikt machen. Orientieren wir uns bei allem, was folgt, an einer einzigen Sache: an seiner Natürlichkeit.
Wenn wir uns aus dem Wust an Bewegungstheorien und Fitnessdiktaten, die aus den Reihen der Körperoptimierungsindustrie auf uns einprasseln, herauswühlen und unseren eigenen Weg durch das Kapitel Bewegung finden wollen, erleichtern die folgenden drei Fragen den Fokuswechsel zum Natürlichsein:
• Wie hat die Natur das Bewegungssystem des Menschen eingerichtet?
• Was bedeutet es konkret, sich an der Natürlichkeit von Bewegung zu orientieren?
• Was hat es mit einem natürlichen Bewegungsbedürfnis auf sich?
Wieder greife ich auf einen einfachen Lösungsansatz zurück, indem ich mich an denjenigen Menschen orientiere, deren Verhältnis zu Bewegung tatsächlich am natürlichsten ist, und das sind kleine Kinder. Oder richtiger: Das sind Kinder so lange, wie sie vom bewertungsorientierten Denken der Erwachsenenwelt unbeeinflusst bleiben. Und dabei werden Sie im Handumdrehen sehen, ob Ihr Verhältnis zu Bewegung ein stimmiges, weil natürliches ist oder aber, ob Sie sich von diesem entfernt haben. Oder ganz, ganz anders! Vielleicht merken Sie auch, dass Sie mehr vom natürlichen Bewegen verstehen als Sie dachten, und mit Ihrer Intuition goldrichtig liegen. Ja, auch so etwas kann passieren. Gehen wir also zum Anfang zurück und filtern während eines Spaziergangs durch die Bewegungsentwicklung des Kindes heraus, welche Faktoren dabei die essenziellen Rollen spielen.
Das Bewegen eines Neugeborenen ist in den ersten Lebenswochen auf das Minimalste reduziert. Solange sein Organismus vorwiegend damit befasst ist, sich an die neue Umgebung im Vergleich zum Leben im Uterus anzupassen, schläft ein Kind über viele Stunden. Es erholt sich von den Strapazen der Geburt und übt sich in der Anpassung an das neue Leben. Ein Bewegen als äußere Ausdrucksform ist vom Gehirn noch nicht installiert, weil das Überleben in der so anders funktionierenden Umgebung Priorität hat.
Doch ein „inneres Bewegen“ ist bereits im Gange: Der Übergang zur Atembewegung wurde gemeistert, das Herz schlägt, der Blutkreislauf fließt und die Verdauung funktioniert. Sobald ein Kind die erste Anpassungsphase bewältigt hat und seine inneren Bewegungen, die sein Überleben sichern, in Gang gesetzt sind, beginnt es, sich auch um das äußere Bewegen zu kümmern.
Dabei lässt es sich von nichts anderem als seiner Sensorik leiten. Das ist so, weil das Kind nichts vom Leben versteht, keine eigenen Erfahrungen hat und sich an nichts anderem orientieren kann. Deshalb ist seine Sensibilität in den ersten Lebensmonaten enorm hoch. Und von dieser lässt es sich auch bewegungsbezogen leiten.
Schließlich kommt im Leben eines jeden Kindes irgendwann ein Moment, in dem es zum ersten Mal für seine bewegungsbezogenen Mühen sensorisch belohnt wird. Das passiert, sobald es seine Finger zum Mund führen kann, an ihnen lutscht und Wohlgefühl dabei empfindet. Später entdeckt es den großen Zeh und immer mehr Körperteile, die es zu benutzen lernt.
Während dieser Entdeckungen wiederholt es diejenigen Bewegungen besonders gern, die sich gut und flüssig anfühlen. Das kann das Drehen des Kopfes, das Wippen des Beckens oder das Kicken eines Beines sein. So entdeckt ein Kind in den ersten Wochen und Monaten immer mehr Körperteile, die ihm befriedigende sensorische Empfindungen vermitteln. Und diese regen es zum Weiterforschen an.
Sobald ein Baby die erste Anpassungsphase an seine Umwelt gemeistert hat, seine Sensorik ihm viel Genussvolles verspricht und sein Gehirn immer mehr reift, begibt es sich auf eine immense Abenteuerreise. Es bemerkt, welche Körperteile es bewegen kann und was dies auf sensorischer und motorischer Ebene bewirkt. Dabei erfährt es auch, dass es mit jeder neu entdeckten Bewegung einen größeren Handlungsspielraum erlangt, sich besser ausdrücken und verständlich machen kann.
Besonders begrüßt es diejenigen Momente, in denen es durch das Entdecken neuer Bewegungsfunktionen sein Gesichtsfeld erweitert. Das geschieht beispielsweise, wenn es lernt den Kopf zu heben, sich herumzudrehen und zu rollen. Und so geht es weiter. Irgendwann sitzt und krabbelt es, kann es die Schwerkraft überwinden und fühlt sich von der Vertikale angezogen. Eine bewegungsbezogene Revolution erlebt es, wenn es aufstehen und loslaufen kann. Was für ein Moment! Die Welt liegt ihm zu Füßen.
Diese im Kurzdurchlauf beschriebene Entwicklung basiert auf drei natürlichen Triebkräften, die uns Menschen zu eigen sind: dem „evolutionären Code“, dem sozialen Lernen und dem sensomotorischen Genuss.
1. Der „evolutionäre Code“
Der grundlegende Antrieb zu Bewegung resultiert daraus, dass wir Menschen ein bestimmtes „Set-up“, eine Grundinformation in uns tragen, die ich hier als den „evolutionären Code“ bezeichne. Das heißt, dass uns all unsere sensomotorischen Entdeckungen nicht vorgeführt oder beigebracht werden müssen. Das Kind macht diese entsprechend seiner Gehirnreife ganz von selbst, unabhängig davon, auf welchem Fleck der Erde es lebt, wie seine dortigen Bedingungen sind und ob seine Bezugspersonen es dazu animieren. Diese Grundinformation ist in jedem Menschen wach und wird in groben Zügen auch von den meisten Menschen durchlaufen.
2. Soziales Lernen
Die zweite Triebkraft besteht darin, dass das Kind mit zunehmender Reife seine Umgebung und die Menschen darin besser wahrnimmt und mit diesen in Kontakt treten möchte. Es erfährt, dass sich dieser Austausch immer produktiver und lebendiger gestaltet, je mehr Fähigkeiten des Bewegens und des bewegten Selbstausdrucks es entdeckt.
3. Sensomotorischer Genuss
Und die dritte Triebkraft ist, dass sich das Kind in seinem Vorgehen hauptsächlich vom sensomotorischen Genuss leiten lässt. Dadurch, dass es durch Bewegung eine immense innere Befriedigung erfährt, fühlt es sich stimuliert, nach mehr genussvollen Erfahrungen zu suchen. Und das ist einer seiner Hauptantriebe: Ein Kind folgt, so lange es gelassen wird, seinem inneren Erfülltsein.
Einmal abgesehen davon, dass die Interaktionen mit der Außenwelt ein Kind zum Bewegen animiert, sehen Sie deutlich, dass die Bewegungsentwicklung ein Prozess ist, den es zu großen Teilen selbstgeführt vollzieht. Und das, liebe Leserin, traf auch auf Sie zu. Auch Sie handelten vollkommen sicher aus Ihrem Eigenempfinden heraus und richteten sich nach Ihrem Wohlgefühl. Und jetzt staunen Sie vielleicht. Auch Sie orientierten sich an Ihrem Bewegungsgenuss.
Und da schauen wir noch etwas genauer hin. Weil sich ein Kind seiner Vorgehensweise nicht bewusst ist, sondern einfach intuitiv vorgeht und seinem Innenleben folgt, gestaltet sich dieser Prozess recht simpel: Bewegungen und Aktionen, die sich im Inneren produktiv, organisch und deshalb erfüllend anfühlen, verfolgt es weiter. Was es als gegenteilig, unbefriedigend oder unorganisch wahrnimmt, weckt nicht sein Interesse. Und genau diese Variablen sind beim Erlernen neuer Bewegungen seine stärksten Katalysatoren. Diejnigen Bewegungen, durch die es sensomotorische Erfüllung findet, untersucht es besonders genau, benutzt es öfter und feilt es aus. Lösungen findet es dort, wo es Bewegungsfülle, koordinativen Fluss und Genuss vermutet und schließlich erfährt.
Und genau diese Vorgehensweise sollten Sie sich, wenn Sie auf Ihre Beziehung zum Bewegen schauen, einmal auf der Zunge zergehen lassen! Indem wir Menschen Bewegung von klein auf mit sensomotorischer Befriedigung verbinden, liegt es nahe, dass uns dieselben Qualitäten auch weiterhin als innerer Leitfaden beim Bewegen dienen. Sie vermitteln uns, was für uns erfüllend, „richtig“ und natürlich ist.
Darüber hinaus hat ein Kind einen ausgeprägten Sinn für das Verhältnis zwischen Aktivität und Ruhe. Genauso, wie es sich enthusiastisch und ausgelassen bewegen kann, begibt es sich augenblicklich zur Ruhe, wenn es genug vom Aktivsein hat. Und umgekehrt: Wenn es sich ausgeruht hat, verlangt sein Bewegungsdrang wieder nach seinem Ausdruck und diesem folgt es dann auch.
Diese beiden Vorgänge – Aktivsein und Ruhen – wechseln einander ab und streben fortlaufend nach Balance. Weil das so ist, werden Sie weder ein Kind finden, das permanent in Aktivität verbleibt, noch eins, das in Passivität verharrt. Ein Kind ist mit seinem Körper so eng verbunden, dass es sich von seinen sich ständig wechselnden Bedürfnissen leiten lässt und diese immer wieder aktualisiert ins Gleichgewicht bringt.
So kommen wir zu einer weiteren Wahrheit: Es ist nicht ganz richtig, wenn man den Menschen zum steten und regelmäßigen Bewegen animieren möchte. Zutreffender müsste es heißen, dass der gefühlte Wechsel zwischen Bewegen und Ruhen zu unserer Natur gehört. Und dieser gibt dann auch den Ausschlag dafür, dass wir nicht in den Extremen landen, dass wir uns weder durch Überaktivität erschöpfen noch im Phlegmatismus versacken.
In der vergangenen Woche, als ich in London Heathrow auf den Flug nach Shanghai wartete, demonstrierte ein etwa dreijähriger asiatischer Junge genau das lebhaft. Nachdem er seine Mutter auf Trab gehalten hatte, weil ihn der Inhalt eines großen Abfallkübels fesselte, kam er nach einer Weile zu ihr zurück, zog sich die Kapuze seines Hoodies über den Kopf und legte sich neben sie auf die Bank. Auf der Stelle schlief er ein, und zwar so fest, dass die Mutter ihn nach dem Aufruf zum Boarding-Gate tragen musste.
Damit kommt noch eine weitere Eigenschaft ins Spiel: Das alles passiert, weil ein Kind im Moment lebt und sich in sein Bewegen total und passioniert hineinbegibt. Wenn es spielt, sich mit etwas eingehend befasst oder von einer neuen Entdeckung begeistert ist, taucht es voll und ganz in die jeweilige Aktion ein. Genau dieses Verbundensein mit dem Körper im Moment beinhaltet auch, dass es spürt, wann es genug von etwas hat und sein Organismus anderes braucht. Also hält es auf der Stelle an. Ein naturbelassendes Bewegungsverhalten ist spontan. Es entspricht der inneren Situation des Menschen und hat nichts mit äußeren Parametern zu tun. Ein Kind lässt sich intuitiv von seinem Bewegungs- oder Ruhebedürfnis leiten und erreicht in der Art, wie es das tut, aus Sicht der Natur echte „Perfektion“.
Und noch etwas ist interessant. Wenn sich ein Kind bewegt, muss dieses Bewegen keines sein, das wir Erwachsenen mit unserem auf Resultate geeichten Verstand als „richtig“ anerkennen. Für ein Kind zählt neben einem experimentellen, spielerischen Bewegungsverständnis auch das innere Bewegen, mit dem es genauso viel Zeit verbringt wie mit dem äußeren. Genauer betrachtet unterscheidet es nicht einmal zwischen beidem.
Wenn es sich entwickelt und seinen Körper erforscht, testet es viele Bewegungen erst einmal gefühlsbezogen im Kleinen aus. Es probiert, justiert, verfeinert und passt an. Es geht vor wie ein „Körperingenieur“, der beständig Feinabstimmungen vornimmt. Das tut ein Kind solange, bis es die sensomotorische Reife für größere Bewegungen hat.
Wenn wir uns das Vorgehen eines Kindes im Detail ansehen, sagt uns das nichts anderes, als dass es sich beim Erfüllen unserer Bewegungsbedürfnisse nicht ausschließlich um große Bewegungsamplituden drehen muss. Im Gegenteil. Das umfassendere Bewegen ist genauso wichtig wie die vielen minimalen, feinen Bewegungen, die von außen nicht einmal sichtbar sein müssen. Große und kleine Bewegungen greifen vollkommen natürlich ineinander über. Sie sind gleichberechtigte Teile eines Ganzen, die ein Kind in Bezug auf sein Körpergefühl niemals voneinander trennt.
Das Gesagte schließt auch ein, dass ein Kind mit den Bewegungen im Inneren seines Körpers, die durch die Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag oder die Bewegung der Körperflüssigkeiten ausgelöst werden, weiterhin eng verbunden bleibt.