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. Der Gamechanger beim Auflösen von Stress- und Traumareflexen . Eine Roadmap, um überflüssig gewordene Selbstschutzmechanismen aufzulösen . Eine neue Perspektive für Therapie, Traumaheilung und Stressmanagement Unser Körper ist mit einem ausgefeilten Selbstschutzsystem ausgestattet, das uns in herausfordernden Situationen vor seelischen oder körperlichen Verletzungen bewahrt. Doch wenn diese Mechanismen und Reflexe aktiv bleiben, obwohl die Bedrohungssituation längst vorbei ist, verfestigen sie sich. Der Körper bleibt im Alarmmodus, sodass die harmonischen Abläufe des zentralen Nervensystems gestört werden. Dies führt langfristig zu Symptomen und Krankheitsbildern und dauerhafter Anspannung. Katrin Jonas zeigt, wie überflüssig gewordene Selbstschutzmechanismen erkannt und somatisch klug zurückgefahren werden können. Wir lernen Achtsamkeit als äußeren Bodyguard zu etablieren und erfahren, worauf es ankommt, um in Harmonie mit dem eigenen Nervensystem zu leben. So erlangen wir wirkliche "Selbst-Sicherheit" und stärken unsere Selbstkompetenz.
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Seitenzahl: 186
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Die im Buch veröffentlichten Ratschläge und Übungen wurden von der Verfasserin und dem Verlag mit größter Sorgfalt erarbeitet und geprüft. Eine Garantie und Haftung kann jedoch nicht übernommen werden. Die Durchführung der im Buch enthaltenen Übungen erfolgt in Selbstverantwortung.
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Die Namen und die Geschichten der Personen, die als Fallbeispiele dienen, sind so abgewandelt, dass die Privatsphäre der Betreffenden unangetastet bleibt.
Ebookausgabe 2023
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung eines Motivs von © Angelina Bambina / iStock / Getty Images Plus
Copyright© 2023, Innenwelt Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags
www.innenwelt-verlag.de
eISBN 978-3-947508-99-0
KATRIN JONAS
SELBSTSCHUTZ ALS SCHLÜSSEL ZUR SELBSTHILFE
Einleitung
Innerer und äußerer Selbstschutz: Die Roadmap zu einem organischen Körperverständnis
1. Das innere Bodyguardsystem des Körpers und sein Wirken
Den inneren Selbstschutz als Survivalguide des Organismus verstehen
Die Folgen der Stress- und Traumareflexe erkennen
2. Vom Reflex zur Reflexion: Die Auflösung der inneren Selbstschutzmechanismen
Dem „Primären Selbstschutzfaktor“ folgen und die ersten drei „Selbstschutzschritte“ setzen
Das Körperbewusstsein vertiefen und die drei „somatischen Lichtblickmittel“ nutzen
Das Unterbewusstsein mittels Dehypnose und Meditation klären
3. Der äußere Selbstschutz und ein somatisch gesundes Leben
Achtsamkeit als äußeren Bodyguard etablieren und den „Selbstschutz-TÜV“ bestehen
Sich in der Selbst-Sicherheit behütet fühlen
Literaturverzeichnis
Wenn wir unseren Körper ins Verhältnis zur Dimension und Kraft unseres Lebensraums, der Natur oder sogar des ganzen Kosmos setzen, muss er uns wie eine Miniatur vorkommen. Und vor allem wird uns seine Zartheit bewusst. Der sensible Stoff, aus dem er gemacht ist, seine dünne Haut, seine weichen Organe, die tofuähnliche Hirnmasse und sein fühlendes Herz sind Ausdruck seiner Fragilität. Da er im Laufe der Evolution sogar sein beschützendes Fell abgelegt hat, ist er seiner Umgebung ausgelieferter, als es der Körper eines Lebewesens jemals zuvor war.
Darüber hinaus ist auch die menschliche Motorik begrenzt. Wir können nicht wie die Vögel davonfliegen oder wie die Wale, Delphine und Reptilien einfach abtauchen. Und mit unserer Fähigkeit zur Selbstverteidigung sieht es auch nicht rosiger aus. Wir haben keine scharfen Krallen, weder gefährliche Reißzähne noch Gift speiende Drüsen, die unsere Unversehrtheit sichern.
Wie es sich in der Evolution auch immer zugetragen hat: Der menschliche Organismus ist der feinste, der je geboren wurde. Und das bringt mit sich, dass er verwundbar ist und Schutz braucht.
Es ist kein Zufall, dass die Natur unseren Organismus mit so viel Zartheit ausgestattet hat. Das hängt damit zusammen, dass der Homo Sapiens in der Entwicklung ein paar Stufen auf einmal genommen hat und in ihm ein Bewusstsein wohnt. Dieses braucht offenbar eine durchlässigere Hülle als unsere dickfelligen Vorfahren, sodass es eingehüllt in die Schichten des Körpers wachsen und durch diese hindurchscheinen kann.
Doch damit unser Organismus dabei auch genug Schutz erfährt, ist der Natur ein Geniestreich geglückt: Sie hat in uns ein Sicherheitssystem installiert und die Funktionsweise des Zentralen Nervensystems so eingerichtet, dass es wie ein hochspezialisierter Bodyguard wirkt. Dieser filtert alle Gefahren im Außen heraus und entwirft daraufhin die exakt passende Sicherheitsstrategie. Die damit verbundenen Reaktionen, wie der Stress- oder der Traumareflex, bilden unseren somatischen Survivalguide und helfen uns, in Gefahren- und Stresssituationen bestmöglich behütet zu sein.
Doch so hilfreich diese Schutzreflexe in Stress- oder Gefahrensituationen für uns sind, so viele Probleme können sie bereiten, wenn sie bleiben. Wie Neuro- und Traumaforscher herausstellen, ziehen sie sich nämlich nicht immer automatisch zurück, wenn die Gefahr verebbt ist. Sie hinterlassen Spuren und führen zu Ungleichgewichten im Organismus, die nicht nur sein natürliches Funktionieren hemmen, sondern die Ursache von vielen gesundheitlichen und für unsere Zeit typischen Symptome sind. Also hat dieser gutgemeinte Selbstschutz auch eine Kehrseite. Und deshalb ist es wichtig, dass wir den Ist-Zustand unserer inneren Schutzmechanismen kennen und aktualisieren – und gleichzeitig unseren äußeren Selbstschutz im Blick behalten.
Wenn wir diese beiden Aspekte, den inneren und den äußeren Selbstschutz, verstehen und leben, übernehmen wir einen großen Teil der Bodyguard-Leistungen sogar selbst. Und das kommt unserer Gesundheit immens zugute:
1. Indem wir erkennen, dass die Selbstschutzreflexe die Ursache zahlreicher gesundheitlicher Probleme sind, wird uns klar, warum sich viele von ihnen durch die Anwendung herkömmlicher Methoden nicht zurückziehen. Allein diese Erkenntnis kann eine Riesenüberraschung für Menschen mit Langzeitsymptomen sein.
2. Indem wir erfahren, welche somatisch klugen Schritte wir setzen können, damit sich die Schutzreflexe zurückziehen, gehen wir mit unserer Selbstregulation Hand in Hand. Körperliche, emotionale und seelische Symptome dürfen heilen, und das versetzt uns einen Wohlfühlbooster ohnegleichen.
3. Indem wir sehen, welche Lebensweise und persönlichen Prioritäten unseren Selbstschutz stärken, tragen wir dazu bei, dass sich keine neuen Schutzreflexe manifestieren. So können wir uns inmitten einer unkontrollierbaren Welt dennoch wohl und gut behütet fühlen.
In diesem Buch entblättere ich, welches somatische Wissen wir beim Umgang mit Stress- und Traumareflexen benötigen und woran wir uns dabei orientieren können. Gehen wir’s an!
Wann immer ich mir die Dienstleistungen unseres inneren Selbstschutzsystems etwas genauer ansehe, beginne ich sofort, den menschlichen Körper zu bewundern. Mich erfasst eine Ehrfurcht davor, mit welcher Weisheit die Natur uns Menschen erschaffen hat.
Erstmalig kam ich mit dem Thema des inneren Selbstschutzes in den neunziger Jahren in Kontakt, als ich meine Ausbildung zur Feldenkraislehrerin absolvierte. Bis dahin hatte ich von Schutzreflexen, die sich in unserem Organismus einnisten können, noch nie etwas gehört, obwohl ich damals mein berufliches Zuhause bereits auf dem Gebiet der Körper-Mind-Integration und des Körperbewusstseins gefunden hatte. Ich erfuhr, dass der Physiker Dr. Moshe Feldenkrais bereits Jahrzehnte zuvor auf solche Schutzmechanismen in seiner praktischen Arbeit mit der Feldenkraismethode eingegangen war. Danach verschlang ich die Bücher des kanadischen Arztes Dr. Thomas Hanna, der Begründer von Hanna Somatics, in denen er die Konsequenzen der Schutzreflexe für das neuromuskuläre System und die Sensomotorik beschrieb. Und ich werde die vielen Aha-Momente nicht vergessen, als ich dieses Verständnis sowohl in meinem eigenen Körper als auch später im Zuge meiner therapeutisch-coachenden Arbeit bei anderen Menschen wiederfand.
Gleichzeitig sah ich, dass dieses Wissen über die Selbstschutzmechanismen in der Medizin- und Therapielandschaft damals so gut wie keine Rolle spielte. Weil es sich nur bis in ein paar alternative Nischen vorgearbeitet hatte und somit Insiderwissen blieb, wurde es so vielen Menschen mit gesundheitlichen, emotionalen und seelischen Problemen vorenthalten. Diese steckten in Therapiekreisläufen fest, schluckten unnötigerweise Medikamente, unterzogen sich überflüssigen Operationen und verpassten so ihre Chance auf ein gesundes Leben. Der symptomorientierte Ansatz in Therapie und Heilung war so übermächtig, dass es in diesem keine Schlupfwinkel für die Beobachtungen der Somatiker und Body-Mind-Mediziner zu den Schutzmechanismen gab.
Doch glücklicherweise ist das Thema des Selbstschutzes in den letzten fünfundzwanzig Jahren nahezu revolutioniert worden. Immer wieder bahnten sich mutige, kluge Visionäre und Pioniere den Weg in die Öffentlichkeit, die durch ihre medizinische, heilende oder wissenschaftliche Arbeit neue Wege aufzeigten. Wissenschaftler, Hirnforscher, Mediziner und Fachautoren brachten das verborgene Wissen über das natürliche Funktionieren des menschlichen Organismus nachdrücklicher in die öffentliche Diskussion, sodass es immer mehr Menschen zugänglich wurde. Und weil das seit einigen Jahren auch die Neurowissenschaft mit bildgebenden Verfahren in Bezug auf die Beeinflussbarkeit der Hirnfunktionen unterstützt, verfügen wir heute über ein viel größeres Verständnis darüber, wie unser Organismus sich in Stress- und Gefahrensituation organisiert und welche gesundheitlichen Konsequenzen das für uns hat. Das Internet läuft über mit Informationen zur Funktion des reflektorischen Selbstschutzes des Körpers.
Und diese Entwicklung spricht mir aus dem Herzen, weil sie bei meiner praktischen Arbeit auf dem Gebiet des Körperbewusstseins, die ich mit dem Begriff BodyWareness überschreibe, und meinen langjährigen Erfahrungen in der somatischen Integration, der Hypnose und der körperorientierten Meditation Hand in Hand geht. Mit der Kraft des Körperbewusstseins helfe ich Klienten und Workshopteilnehmern, die in den verschiedensten Ländern dieser Welt zu Hause sind, die Signale und Symptome ihres Körpers zu verstehen, einzuordnen und zum Auflösen einzuladen.
Mich fasziniert die Aussicht, dass wir Menschen mit unserer Innenwelt im Einklang leben können, wenn wir ihr nur mit einem Funken Bewusstsein begegnen. Und so begrüße ich alles, was den modernen Menschen sich selbst besser fühlen und verstehen lässt, ihm beim Bewältigen der täglichen Herausforderungen und im Umgang mit körperlichen Beschwerden und emotionalen Unstimmigkeiten hilft.
In Sachen Selbstschutzreflexe möchte ich, dass so viele Menschen wie möglich ihren eigenen Organismus begreifen lernen, sich im Umgang mit ihm sicher fühlen und „somatisch selbstkompetent“ werden, wie ich gern sage.
Tatsächlich ist eine neue Ära angebrochen, eine, in der wir Menschen mit unserem Nervensystem, welches unseren Organismus instruiert, eine nie dagewesene Intimität erleben dürfen und den Zugang zu einem neuen Körperverständnis finden.
Und genau das ist ja auch nötig! Wenn wir in dieser unruhigen, bebenden Welt seelisch und körperlich gesund bleiben wollen, hat unser Organismus ziemlich viele Herausforderungen zu meistern. Indem abertausende Impulse täglich auf ihn einstürmen, muss er diese ja auch verdauen und ausbalancieren können.
Darüber hinaus steht der Mensch wie auf unsicherem Boden, weil sich persönliche und gesellschaftliche Gefüge verschieben, sicher Geglaubtes sich auflöst und Wertigkeiten neu definiert werden müssen. Und dabei nimmt der allgemeine Stressfaktor zu.
Deutlich wird: Wir haben uns tatsächlich um uns selbst zu kümmern, wenn wir heil sein und gesund bleiben wollen, und das schließt den Umgang mit dem Thema des inneren und äußeren Selbstschutzes ein. Doch weil die Beschäftigung mit dem Thema Selbstschutz für viele Menschen immer noch so etwas wie das Betreten von Neuland darstellt und der Bedarf nach real umsetzbaren Schritten und Maßnahmen groß ist, stelle ich hier meine beruflichen Erfahrungen aus über 25 Jahren somatischer Praxis zur Verfügung und wünsche mir, dass die Inhalte dieses Buches zu einer wertvollen Gesundheitsressource für so viele Menschen wie möglich werden.
Tasten wir uns zuerst an das Thema des inneren Selbstschutzes heran.
Da ich mich im Folgenden grundsätzlich an der menschlichen Neurophysiologie orientiere, gehe ich hier davon aus, dass die Aufgabe des Zentralen Nervensystems mit seinem Chef, dem Gehirn, darin besteht, das Funktionieren unseres Organismus zu überwachen, zu sichern und aufrechtzuerhalten. Und von dort stammen auch verschiedenartigste Reflexmechanismen, mit denen unser Körper ausgestattet worden ist. Dabei unterscheidet man die unbedingten von den bedingten Reflexen.
Zu den unbedingten Schutzreflexen zählen beispielsweise die frühkindlichen Reflexe, die größtenteils nur bis in die ersten Lebensmonate aktiv sind. Diese sorgen für die Sicherheit des Fötus im Mutterleib, des Neugeborenen oder des kleinen Kindes und ziehen sich mit der zunehmenden Gehirnentwicklung wieder zurück, weil sie überflüssig geworden sind. Zu den frühkindlichen Reflexen gehören der Klammer-, Greif-, Such-, Schwimm-, Babinski-, Landau- und der Saug-Schluck-Reflex.
Außerdem gibt es die große Gruppe der Fremdreflexe, die unseren Organismus vor äußeren Gefahren schützen. Und diese kennen wir alle: Wenn unsere Hand eine heiße Herdplatte oder einen Rosendorn berührt, ziehen wir sie sofort weg. Oder wir verscheuchen eine Mücke, noch bevor sie uns sticht, krümmen den Fuß, wenn wir am Strand auf einen Seeigel treten, ziehen die Zungenspitze ein, wenn der Kaffee zu heiß ist, und werfen die Hände über den Kopf, wenn etwas auf uns herabzufallen droht. Der Lidschlussreflex setzt ein, wenn uns ein Insekt oder ein Sandkorn ins Auge fliegt, und der Nies- oder Hustenreflex lässt uns so lange niesen und räuspern, bis die Fremdpartikel aus unseren Atemwegen verschwunden sind. Das heißt, dass ein bestimmter Reiz von außen zur entsprechenden Reaktion führt und unser Organismus vor dessen Einwirkung sicher ist. Und das unterscheidet die unbedingten von den bedingten Schutzreflexen. Bei den bedingten wird das Gehirn in den Reflexbogen einbezogen, sodass eine komplexere Reizantwort entsteht.
Innerhalb dieser bedingten Selbstschutzmechanismen verhält sich unser Zentrales Nervensystem immer noch wie das unserer Vorfahren, für die es überlebensnotwendig war, Bedrohliches möglichst früh zu erkennen und abzuwehren, und leitet deshalb diese alten Überlebensreflexe mit den dazugehörigen Reaktionsschleifen ein. Das heißt, dass unsere Sinnesfunktionen darauf spezialisiert sind, Gefahren im Außen herauszufiltern, das Gehirn über diese zu informieren und damit zu veranlassen, dass es im Interesse unseres Selbstschutzes reflektorisch tätig wird.
Doch weil das Gehirn in den Reflexbogen einbezogen wird, hängt die Reaktion auch davon ab, wie die innere Bodyguardfunktion die Art und Stärke der Gefahr einordnet und bewertet. Und dabei spielt es eine Rolle, wie viel Erfahrung das Zentrale Nervensystem mit Stress und lebensbedrohlichen Umständen hat und für wie gefährdet und beschützenswert es deshalb den individuellen Menschen hält.
Denn: Dieser innere Bodyguard ist nicht jedes Mal aufs Neue überrascht. Das ist er nicht, weil er ein ziemlich smarter Experte ist und lernt. Das heißt, dass unser Gehirn alle Erfahrungen mit Stress und Gefahr registriert, verarbeitet und auf dessen Grundlage unseren persönlichen Sicherheitsstatus erstellt. Je nachdem, wie dieser ausfällt, hält es sich reaktionsbereit und lässt die inneren Alarmglocken schellen, sobald es bestimmte Situationen auch zukünftig als Bedrohung erkennt.
Wenn ein Mensch also viele verschiedene Erfahrungen macht, die Gefahr, Herausforderung oder Spitzenstress beinhalten, spielt das seinem hauseigenen Sicherheitssystem immer wieder neue Informationen zu. So entsteht ein ganzer Erfahrungskatalog an Auslösern, Stressoren oder sogenannten „Triggerpunkten“, für den es spezielle Schutzmaßnahmen einsatzbereit hält. Wie ein Computer bekommt auch unser persönlicher Sicherheitsstatus im Gehirn regelmäßige Updates, damit es seine Schutzfunktion beim nächsten Mal noch besser wahrnehmen kann.
Die Natur hat uns also ein inneres Hilfssystem zur Verfügung gestellt, das tatsächlich mit einem hochspezialisierten Bodyguard vergleichbar ist, nur dass dieses „undercover“ operiert.
Die Sache ist, dass diese installierten Schutzmechanismen für uns nicht offensichtlich sind. Das ist so, weil sie sich im Unterbewusstsein abspielen. Obwohl der Begriff „Unterbewusstsein“ einen immer größeren Eingang in den allgemeinen Wortschatz findet, möchte ich dennoch kurz auf dessen Bedeutung eingehen, weil dies für das Verständnis der Schutzreflexe wichtig ist.
Tatsächlich gibt es Tausende Vorgänge und Prozesse, die in unserem Organismus in jedem Moment parallel und aufeinander abgestimmt ablaufen, damit er wie ein Uhrwerk funktioniert. Doch von diesen Vorgängen gehen nur die wenigsten in unser Bewusstsein ein. Dazu zählen beispielsweise die Abläufe im neuromuskulären System, die jede unserer großen, kleinen oder feineren Bewegungen organisieren, die Aktivität der Organe, die Atmung, das Herz-Kreislauf-System, die Verdauung oder der Stoffwechsel, und ganz zu schweigen von den komplexen Vorgängen im Immunsystem oder im Gehirn. Es bleibt uns komplett verborgen, wie diese entstehen, wie sie aufeinander abgestimmt werden und miteinander verflochten sind. Und das ist gewissermaßen gut so. Ich glaube, es wäre ein einziges Chaos, wenn wir diese Vorgänge allesamt bewusst aufrechterhalten und koordinieren müssten.
Darüber hinaus sitzen im Unterbewusstsein auch alle Gewohnheiten, Meinungen, Werte, Glaubenssätze und Regeln – ja alles, was wir je erlernt, als Wahrheit oder Tatsache verinnerlicht und zu unserem eigenen Wissen gemacht haben. Und auch die Organisation der Schutzreflexe spielt sich im Unterbewusstsein ab.
Für das Ausmaß dieser unbewusst ablaufenden Prozesse bekommen wir dann ein Gefühl, wenn wir uns vor Augen halten, dass uns Experten fürs Unterbewusstsein zufolge nur etwa 10 Prozent der Vorgänge in unserem Organismus bewusst werden. Das heißt, dass uns ganze 90 Prozent intern ablaufender Vorgänge verborgen bleiben. Es ist also durchaus gerechtfertigt, wenn ich hier davon ausgehe, dass unser Organismus zum überwiegenden Teil vom Unterbewusstsein gesteuert wird. Und unter diese 90 Prozent fällt auch die Aktivität unserer Schutzmechanismen. Tatsächlich haben wir keine wirkliche Ahnung davon, wie, warum und wann das Nervensystem diese einleitet, welche Indikatoren es als Gefahr einstuft und was darüber entscheidet, wie massiv diese Mechanismen sind.
Genau hier hake ich mich ein. Tatsächlich ist es möglich, wesentlich mehr Informationen über diese Schutzvorgänge zu erhalten, als wir im Allgemeinen annehmen. Die Zeit ist reif dafür, dass wir Menschen in den Besitz eines solchen inneren Wissens kommen und die Signale, Folgen und Konsequenzen der Schutzmechanismen für unseren Organismus entschlüsseln lernen.
Tatsächlich habe ich vor, hier eine höhere Stufe der somatischen Selbstkompetenz zu betreten. Wenn das Unterbewusstsein unseren Organismus tatsächlich zu 90 Prozent dirigiert, liegt es doch nahe, dass wir uns damit befassen, wie es funktioniert und wie wir es unterstützen, entlasten und pflegen können. Denn genauso, wie wir unsere Körperpflege zu einer Routine gemacht haben, weil sie gesund für uns ist, können wir auch lernen, unser Unterbewusstsein einer gewissen Hygiene zu unterziehen. Wir Menschen des 21. Jahrhunderts müssen es nicht mehr komplett dem Zufall überlassen, was in unserem Unterbewusstsein geschieht. Lassen wir uns hier auf diese spannende Aufgabe ein!
Wenn ich mich nun also mit den bedingten Selbstschutzreflexen befasse, werde ich verschiedene Bezeichnungen für diese verwenden. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass es sich hier um verschiedene Reflexarten handelt. Doch die unterschiedlichen Namen rühren zumeist daher, dass sich Experten aus diversen Fachgebieten mit diesen befassen. Zum Beispiel fokussieren die Stressforscher auf den Stressreflex, die Psychologen auf die seelisch-emotionalen Komponenten des Traumareflexes und die Somatiker – wie ich – auf die sensomotorischen und neuromuskulären Reflexantworten wie den Green-Light- oder den Red-Light-Reflex. Letztere haben mich besonders interessiert, weil dieses somatische Verständnis mit der Entwicklung unseres Körperbewusstseins Hand in Hand geht und im Sinne unserer Selbsthilfe für uns wirklich interessant sein kann. Bei allem habe ich mich für diejenigen Namen entschieden, durch die uns die Wirkung der Reflexe in unserem Körper am besten deutlich wird.
Also gehen wir hier vom Stressreflex aus, der die Grundlage des inneren Schutzgeschehens bildet. Er fasst zusammen, wie das innere Bodyguardsystem grundsätzlich funktioniert.
Wenn wir Menschen einer herausfordernden Aufgabe gegenüberstehen, es in einer Situation „eng“ wird, eine Gefahr auf uns zukommt oder das Gehirn etwas zu Bewältigendes als grenzwertig oder bedrohlich erkennt, besinnt das Zentrale Nervensystem sich auf seine animalischen Sicherheitsstrategien und löst in uns den Stressresponse aus, der in Kampf, Flucht, Rückzug oder Erstarrung besteht. Und dementsprechend fällt auch die Art und Weise der Reflexantwort aus, die je nach Gefahrensituation verschiedene Ausrichtungen hat: Wenn sich das Unterbewusstsein für den Angriff als besten Weg der Verteidigung entscheidet, stellt sich unser Organismus auf die Offensive ein; wir greifen an. Erfasst es hingegen, dass die Fluchtvariante die angemessene Lösung ist, reißen wir aus und laufen davon. Wenn wir mit dem Rücken an der Wand stehen und die Situation eine bestimmte Bedrohlichkeitsgrenze übersteigt, lässt uns das Nervensystem einfrieren und schottet uns bewusstheitsbezogen und sensorisch vom Geschehen ab.
Genauso ist es ja auch entwicklungsgeschichtlich gewachsen: Ein Tier, das definitiv stärker als ein anderes ist, wird sich im Angriff sicher fühlen, während eins, das keine Aussicht auf den Sieg hat, davonlaufen, sich zurückziehen oder unterwerfen wird. Und so beim Menschen: Ist er der Gefahrenquelle gewachsen, wird er sich stark machen, die Fäuste ballen und in die Offensive gehen. Doch wenn beispielsweise ein tobender Chef ein stressauslösender Faktor ist, der offensichtlich die Powerposition und damit Macht über den Arbeitsplatz und das Einkommen hat, scheint es weniger klug, sich offensiv zu benehmen. Wenn sich ein Tier für das Erstarren und Totstellen entscheidet, hat es instinktiv erfasst, dass der einzige Ausweg darin besteht, am besten zu überleben oder der Gefahr zu entgehen. Und so friert auch ein Mensch sensomotorisch ein und geht in eine Art Lähmung, wenn sich sein Körper in einer physischen oder emotionalen Ausnahmesituation befindet, aus der es kein Entrinnen gibt. Schließlich kann es vorkommen, dass sich ein Mensch auch mit dem Bewusstsein aus dem Geschehen herausziehen muss. Das geschieht, indem er kollabiert.
Wie auch immer die Schutzreaktion ausfällt: Wir können davon ausgehen, dass unser inneres Selbstschutzsystem sich für diejenige Strategie entscheidet, die es nach dem Abgleichen mit unseren Erfahrungen, unserer nervalen Konstitution oder der Höhe des Gefährdungslevels für die sinnvollste hält und uns die größte „Überlebenschance“ in Aussicht stellt.
Doch ganz gleich, für welche Variante sich der innere Bodyguard entscheidet, seine Antworten auf Stresssituationen führen im Körper immer zu ähnlichen Konsequenzen: Ab einer bestimmten Reizschwelle setzt die Amygdala als Teil des Limbischen Systems, das eine entscheidende Rolle beim Verarbeiten von Emotionen spielt, die Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol in Gang. Das führt dazu, dass Puls und Blutdruck ansteigen, der Atem sich beschleunigt und die Leber mehr Blutzucker produziert. Bestimmte Schutzmuskeln, auf die ich später noch eingehe, werden in einen hohen Spannungszustand versetzt und bereiten den Körper auf die motorische Bewältigung der Schutzaufgabe vor.
Im selben Zuge werden alle Funktionen zurückgefahren, die im Angriffs- und Verteidigungsmodus keine primäre und lebenserhaltende Rolle spielen. Dazu gehören beispielsweise die Verdauung, die Sexualfunktion und der Stoffwechsel. Das Gefühl der Angst versetzt uns in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, sodass uns kein Detail entgeht, das uns gefährden, aber auch retten könnte. Schließlich steht aus der Sicht des Nervensystems unser Leben auf dem Spiel und wir wissen nicht, ob wir schnell, reaktionskräftig oder stark genug sind, um die Situation zu meistern. Und ja: Bei allem beeinflusst die Amygdala auch unser Gedächtnis, indem die Situation in dieses eingeht und deshalb spätere Stressreaktionen beeinflussen wird. Und hier nochmals zum Ursprung zurück: Der Stressreflex macht uns von seiner Urfunktion her fit für das Bewältigen von Herausforderungen und Gefahren. Und das kommt uns in dem jeweiligen Moment gewissermaßen zugute. Würde uns diese innere Bodyguardfunktion des Nervensystems nicht helfen, könnten wir sehr viele Akutsituationen überhaupt nicht meistern und in einigen vielleicht nicht einmal überleben.
Dem Traumareflex liegt dasselbe reflexhafte Überlebensprinzip zugrunde. Nur besteht der Unterschied darin, dass eine Gefahr oder Bedrohung als so überwältigend und erschütternd erlebt wird, dass sie in einen inneren Schockzustand führt. Die Bodyguardzentrale im Gehirn hat sich dafür entschieden, in Sachen Selbstschutz die oberste Alarmstufe einzuläuten.
Der Traumaexperte Dr. Peter Levine und Begründer von Somatic Experiencing führt dazu aus, dass die Situation deshalb als so überwältigend erlebt wird, weil der Betreffende in dem ausgelösten Zustand der Angst die Kampf-, Flucht- oder Verteidigungsaktion nicht erfolgreich ausführen kann. Das heißt, dass seine Schutzfunktion ausgebremst wird, erfolglos bleibt und er der Situation ausgeliefert ist.
Wenn das Zentrale Nervensystem sich in diesem Geschehen für eine Freeze-Version entscheidet, gibt es mehrere Stufen. Zuerst fühlt sich der Betroffene benommen und nimmt wahr, wie seine Muskulatur müder und teigiger wird. Das kann graduell so weit gehen, dass diese erstarrt und man von einem Furcht-Lähmungsreflex spricht. Und schließlich kann die Situation so schockierend oder lebensgefährdend sein, dass sie in der Bewusstlosigkeit mündet und der Betreffende kollabiert.
Auch Dr. Steven Porges, Psychiater, Neuroforscher und der Begründer der Polyvagalen Theorie, hat diese Vorgänge sehr genau untersucht und beschreibt, dass das Geschehen durch das Versagen des dorsalen Astes des Vagusnervs ausgelöst wird. Während dieser wichtige Nervenstrang des vegetativen Teils des Nervensystems eigentlich dazu beiträgt, die Balance zwischen Aktivität und Ruhe aufrechtzuerhalten, lässt er hier, wenn er überfordert ist, das gesamte System zusammenbrechen. Auch das ist, selbst wenn es nicht so wirkt, vom Ursprung her eine Schutzreaktion des Organismus. Das Erlebte ist für den Betroffenen zu stark, als dass er es im Wachzustand verarbeiten kann.