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In Stendhals Werk 'Die Brüder Massimi und andere Geschichten aus italienischen Chroniken' taucht der Leser tief in die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts ein und erlebt historische Ereignisse und menschliche Dramen aus der italienischen Geschichte. Mit einem klaren und prägnanten Schreibstil bringt der Autor die Charaktere und ihre Konflikte zum Leben. Diese Erzählungen spiegeln Stendhals Interesse an Liebe, Politik und Gesellschaft wider, und bieten einen faszinierenden Einblick in die damalige Zeit. Stendhals Werk ist ein Meisterwerk der literarischen Realismus und Historismus und ein Beispiel für seine kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Normen seiner Zeit. Die Geschichten sind sowohl fesselnd als auch aufschlussreich und bieten eine vielschichtige Darstellung der menschlichen Natur und ihrer Abgründe.
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Seitenzahl: 204
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Books
Inhaltsverzeichnis
Ich kann mir denken, daß meine Zeitgenossen aus dem Jahre 1833 von den naiven und lebhaften Geschichten, die man hier in der Sprechweise einer Gevatterin wiedergegeben findet, wenig erbaut sein dürften. Mir liefert die Erzählung all dieser Prozesse und Hinrichtungen wahrhafte Daten über das menschliche Herz, über die man des Nachts im Postwagen gern nachdenkt. Es wäre mir viel lieber gewesen, ich hätte Geschichten von Liebeshändeln, Heiraten, klugen Erbschleichereien gefunden. Aber in solche Geschichten hätte, auch wenn ich deren gefunden hätte, die Eisenhand der Gerechtigkeit nicht hineingegriffen, und sie würden mir auch, fände ich welche, wenig vertrauenswürdig vorkommen. Immerhin sind gefällige Leute in diesem Augenblick bemüht, für mich derlei auszuforschen.
Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hat die Eitelkeit, le desir de parestre, wie der Baron de Foeneste, sagt, in Frankreich einen dichten Schleier über das Tun der Menschen geworfen und insonders über die Motive des Tuns. In Italien ist die Eitelkeit von ganz andrer Art, dessen ich den Leser mit meinem Ehrenwort versichern kann; sie hat hier eine bedeutend geringere Wirkung. Man denkt im allgemeinen an den Nachbar nur, wenn man ihn haßt oder ihm nicht traut; Ausnahmen davon gibt es höchstens bei den drei oder vier großen Festen im Jahr; dann erzwingt sich jeder, der ein Fest gibt, sozusagen mathematisch des Nachbarn billigende Zustimmung. Es gibt da keine flüchtigen Nuancen, die man in jeder Viertelstunde des Lebens mit tödlicher Unruhe im Fluge sich erhascht und merkt. Man sieht hier keines jener unruhigen und magern Gesichter, durch welche alle Ängste einer stets leidenden Eitelkeit blicken, keines dieser Gesichter à la Vixault, Deputierter des Herault im Jahr 1833.
Diese italische Eitelkeit ist so sehr verschieden und so sehr viel schwächer als unsere französische, und dies hat mich darauf geführt, die nachfolgenden Klatschgeschichten abschreiben zu lassen. Meine Vorliebe für diese Geschichten dürfte jeden meiner französischen Zeitgenossen spaßig und gesucht vorkommen, die gewohnt sind, ihr literarisches Vergnügen und das Abbild des menschlichen Herzens in Werken wie denen der Herrn Villmain und Delavigne zu suchen. Dessen bin ich sicher, daß das heutige England, Deutschland und Frankreich viel zu zerfressen sind von Affektiertheit und aller Art Eitelkeit, als daß sie imstande wären, ein so scharfes Licht in die Tiefen des menschlichen Herzens zu werfen, wie es diese alten italienischen Berichte tun.
Ich muß gestehen, daß ich sehr wenig neugierig bin auf die Denk- und Lebensgewohnheiten der Bewohner von Ceylon oder von Neu-Holland. Diese Völker sind allzuverschieden von den Menschen, die meine Freunde und Nebenbuhler waren. Sie bringen mich zum Gähnen wie die Achille, und Agamemnone und die Helden Racines: ich kenne diese Herrschaften nicht. Aber ich schmeichle mir, die Franzosen und die Italiener meiner Zeit zu kennen; ich liebe das, was das Herz des Menschen darstellt, aber des Menschen, den ich kenne.
Rom, Palazzo Cavalieri 24. April 1833.
Man wird in dem Folgenden keine komponierten Landschaften finden, sondern wahrhafte Naturansichten. Die Wahrheit muß hier für alle sonstigen Vorzüge stehen; aber wir leben in einer Zeit, der die Wahrheit nicht genügt und die sie nicht genug pikant findet. Die sich in dieser Verfassung Geistes befinden, denen rate ich, jede Woche nur eine der folgenden Geschichten zu lesen, deren Sprache ich liebe; es ist die des Volkes, voller Pleonasmen und alle schrecklichen Dinge bei ihrem schrecklichen Namen nennend. Aber gerade dadurch schildert der Erzähler unbewußt sein Jahrhundert und dessen gemeinübliche Denkweise.
Die mehreren dieser Geschichten sind wenige Tage nach dem Tode der armen Teufel niedergeschrieben worden, von denen sie Bericht geben. Meine Korrekturen versuchten, die Sprache etwas weniger dunkel zu machen, damit ich nicht schon beim dritten Lesen die Geduld verliere. Es ist ja überhaupt die Dunkelheit ein großer Fehler des Italienischen oder vielmehr der acht oder zehn italienischen Sprachen, von denen keine ihre Rivalinnen besiegt hat, so wie die Sprache von Paris die Montaignes getötet hat. So sagt man in Rom: vi vedrò domani al giorno, was in Florenz kein Mensch verstünde. Ich persönlich läse lieber eine Geschichte in englischer als in italienischer Sprache, sie wäre mir deutlicher.
Nur ein Volk, in dem die Stärke des unmittelbaren Eindruckes, wie in Neapel, und die Stärke der vom Geiste ohne Pause geförderten Leidenschaft, wie in Rom, so bedeutend war, vermochte es, in solch hohem Maße Affektiertheit und Eitelkeit zu unterdrücken oder auszuschalten. Ich bin nicht sicher, ob man außerhalb Italiens — und Spaniens vor der Unnatur des 19. Jahrhunderts — eine Epoche fände, kultivierter und interessanter als die der Riccaras, von denen Franklin berichtet, und doch wieder so sehr ohne Eitelkeit, daß das menschliche Herz fast bloß liegt. In diesem Jahre 1833 kann ich feststellen, daß man in Frankreich und besonders in England Totschlag vorwiegend des Geldes wegen begeht. Aber von den beiden armen Teufeln, die vorgestern hier hingerichtet wurden, hat der dreiundzwanzigjährige Vivaldi seine Frau umgebracht, weil er eine andere liebte, und der zweite, siebenundzwanzigjährig, hatte aus politischen Gründen einen Arzt erschossen, der wahrscheinlich ein Vaterlandsverräter war. Von Geldinteressen keine Spur.
Rom, 15. Mai 1833.
Inhaltsverzeichnis
Paolo Santacroce, ein römischer Edelmann aus Fano, war wiederholt mit Bitten in seine Mutter gedrungen, sie solle ihn zum gesetzlichen Erben ihres Vermögens einsetzen. Da sie sich dessen weigerte, beschloß er, sie ums Leben zu bringen. In solcher Absicht schrieb er an seinen älteren Bruder Onofrio Marchese von Oriolo, der damals von Rom abwesend war, ihre Mutter beflecke durch ihre Ausschweifungen die Ehre ihres edlen Hauses und daß sie derzeit schwanger sei. In Wahrheit war die arme Frau wassersüchtig, wie sich nach ihrem Tode herausstellte. Onofrio schrieb seinem Bruder zur Antwort, er solle tun, was ein Edelmann seiner Ehre schuldig sei. Daraufhin erdolchte Paolo seine Mutter und floh nach Neapel, wo er bald darauf den Tod fand.
Diesem Verbrechen Pardon zu geben schien der Papst gar nicht geneigt, zumal kurz vorher der Brudermord des Marc Anton Massimi sich ereignet hatte und der Prozeß der Cenci wegen Vatermordes im Gange war. Papst Clemens VII. befahl strenge Untersuchung, zumal der Hauptschuldige fehlte; man fand die beiden Briefe der Brüder und alsbald wurde Onofrio verhaftet, gerade als er auf dem Grundstück der Orsini dem Ballspiel oblag.
Als des Papstes Neffe, der Kardinal Aldobrandini, von dieser Verhaftung hörte, gab er dem Monsignore Taverna, Gouverneur von Rom, den Auftrag, sich persönlich des Prozesses anzunehmen und versprach ihm durch Verwendung bei seinem Onkel den Kardinalshut, wenn es ihm gelänge, gegen Onofrio ein Todesurteil zu erreichen. Es tut aber selber Hut mehr Wirkung auf die römischen Prälaten als die Farbe des Goldes auf die Augen der Banditen. Der Monsignore Taverna tat getreu, wie ihm aufgetragen.
Solange das Verhör dauerte, wollte der Kardinal Aldobrandini ihm anwohnen, und war ihm da kein Tag zu heiß und keine Mittagsstunde; also sah man ihn oft mitten im Juli sein Haus gegen die siebzehnte Stunde verlassen und sich nach dem Kerker von Tordi Nona begeben, woselbst er sieben und acht Stunden hintereinander blieb, um dem Verhör beizuwohnen. Selbes drehte sich immer um jene Briefstelle, in der Onofrio schrieb, sein Bruder möge tun, was die Ehre einem Edelmanne gebiete, und immer wieder wollte der Gouverneur wissen, was er mit diesen Worten gemeint habe. Verwirrt im Geiste durch das lange Verhör gab endlich Onofrio zu, daß er damit den Tod der Mutter gemeint und verlangt habe, auf daß der Flecken abgewaschen würde, mit dem die vermeinte Schwangerschaft des unglücklichen Weibes die Ehre seines berühmten Hauses befleckt habe.
Dieses Geständnis kostete ihm das Leben; er wurde zum Tode verurteilt und enthauptet.
Man sah eine große Dummheit darin, daß er dieses Geständnis gemacht hatte; denn hätte er erklärt, jene Stelle in dem Briefe bedeutete, daß der Eintritt jener unwürdigen Frau ins Kloster die Schmach abwasche, so hätte er damit nicht nur sein Leben gerettet, sondern Lob geerntet, zumal es nach den Gesetzen ritterlicher Ehre nicht zu den Pflichten des Sohnes gehört, Fehltritte der Mutter zu rächen, sondern nur solche der Gattin oder der unverheirateten Schwester.
Unter den Kardinälen, welche der Papst im Jahre 1604 ernannte, befand sich auch Monsignore Taverna. Er hätte seine Barretta im Blute des Onofrio Santacroce rot gefärbt, sagte man damals in Rom.
Es soll aber das Verlangen des Kardinals Aldobrandini nach der Verurteilung des Santacroce seinen Grund in der Nebenbuhlerschaft bei einer Dame gehabt haben, die er leidenschaftlich liebte und welche des Onofrio Geliebte gewesen sein soll. Von Aldobrandini hatte sie einen kostbaren Diamantring zum Geschenk erhalten, den die Dame wieder dem Onofrio schenkte, der mit dieser Gunst seiner Geliebten prahlte. Als er eines Tags den Kardinal begrüßte, legte er die Hand auf den Schlag der Sänfte, so daß der Diamant jenem in die Augen funkelte.
Man erzählt auch, daß Onofrio eines Nachts den Kardinal mit Faustschlägen angriff, als dieser gerade am Hause seiner Geliebten vorbeiging; und am andern Morgen sei er im Vorzimmer des Kardinals erschienen, um ihm seine Aufwartung zu machen, und tat so, als ob er ihn nicht erkannt hätte. Daher die Wut und Rache des Kardinals.
Unter dem Papste Clemens VII. war dessen Neffe, eben der genannte Kardinal Aldobrandini, mit der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit des Kirchenstaates betraut. Der Papst hielt streng darauf, daß unter seinem Pontifikat die Gesetze gerecht und genau befolgt würden, weshalb er auch seinen eignen Neffen mit diesem Vertrauensposten bekleidet hatte. Und es wurden auch in der Tat viele Schuldige bestraft, aber andere Verbrechen wieder blieben ungesühnt; so die Ermordung des römischen Ritters Girolamo Longobardi.
Dieses Longobardi Haupt fand man am Morgen des Karsamstag auf dem Petersplatz auf eine Lanze gespießt und daran einen Zettel mit dieser Aufschrift: »Du hast allzu tyrannisch regiert und was du andern antun wolltest, das hat man dir angetan.«
Man kannte nicht die Motive, welche den Kardinal Aldobrandini zum Todfeind dieses kaum zwanzigjährigen Longobardi machten, der von allen, die ihn kannten, so geliebt wurde wie gehaßt jener Kardinal, dem der Papst, da er ihn mit dem Purpur bekleidete, sagte: »Trachte, deine neue Würde nicht zu entehren, denn es wird dir, tust du Böses, nichts nützen, daß du mein Neffe bist.«
Longobardi hatte zur Geliebten eine junge Sängerin von großem Talente und von außerordentlicher Schönheit, namens Anna Felice Brocchi. Der Kardinal-Nepot hatte durch das Gerede bei Hofe und in der Stadt Talent und Schönheit der Sängerin rühmen hören. Eines Tages, als er an ihrem Hause vorbeiging, erblickte er sie am Fenster liegen und entbrannte allsogleich in heftiger Liebe zu ihr. Und suchte nach einem Mittel, ihr dies zu sagen. Da er sich aber von seinem Onkel überwacht wußte, mußte er hiebei mit äußerster Vorsicht zu Werk gehen. Er erfuhr, daß diese Brocchi dem Longobardi gehöre, den er haßte.
Die Sängerin hatte die Leidenschaft des Kardinals wohl bemerkt und fühlte seine Liebe, da er jeden Mittag an ihrem Hause vorbeiging, gerade zu der Zeit, wo sie zur Messe in Santa Maria della Pace zu gehen pflegte und wohin ihr der Kardinal folgte. Hier sah sie der Kardinal unausgesetzt zärtlich an und versuchte es, ihr durch bestimmte Zeichen seine Liebe bekannt zu geben.
Dieses Spiel währte eineinhalb Jahr, ohne daß Aldobrandini anders als durch Zeichen mit Anna Brocchi sprechen konnte.
Solches erzählte sie nun eines Tages alles dem Longobardi. Worauf dieser sagte, daß es wegen der Feindschaft zwischen ihm und dem Kardinal sehr übel ausgehen könnte; er empfahl ihr größte Zurückhaltung und den lügnerischen Versprechungen des Kardinals nicht zu glauben, vor allem aber, ihn nie bei sich zu empfangen. Auch nicht zu grüßen oder sonst zu beachten.
Longobardi, erregt von der Mitteilung und den Versprechungen Annas wenig trauend, ließ seine Geliebte durch Spione beobachten und ihr Haus bewachen, wovon allem Anna nichts merkte, da es mit großer Heimlichkeit geschah.
Und bald erfuhr der junge Edelmann durch seine Leute, daß die Liebe zwischen jenen beiden nicht nur nicht aufhörte, sondern täglich fester wurde. Um sich selber davon zu überzeugen, begab er sich am Sankt Matthäustage zur gleichen Zeit wie Anna Brocchi in die Kirche della Pace, wo er sich in einer Seitenkapelle verbarg, von der aus er alles genau sehen konnte, was sich zwischen der Sängerin und dem Kardinal begab. Und es blieben ihm keine Zweifel mehr, als die Brocchi, gefolgt vom Kardinal, die Kirche verließ und dieser sie lachend grüßte, was ihm die Sängerin mit einem Blick zurückgab, der deutlich genug war.
Der arme Longobardi lief wütend zu der Sängerin und machte ihr Vorwürfe wegen ihres von ihm doch verbotenen Kirchenbesuches und daß sie den Kardinal gegrüßt habe. Die Brocchi gab den Kirchenbesuch zu, leugnete aber, den Kardinal Aldobrandini da gesehen zu haben. Und fuhr trotz seiner Bitten fort, dieses zu behaupten, daß sie jenen weder gesehen noch gegrüßt habe. Da riß der Ritter Longobardi seinen Dolch heraus und bedrohte sie mit dem Tode, wenn sie nicht die Wahrheit sage. Da gestand die erschrockene Sängerin, den Kardinal gesehen und gegrüßt zu haben, aber dies nur in höflicher Antwort auf seinen Gruß und auf ganz übliche Weise. Sie habe anfangs dies nur geleugnet, weil sie so geringfügiger Ursache wegen keinen Streit zwischen den beiden Männern entfachen wollte.
Diese Antwort beruhigte etwas den jungen Edelmann, und er bat sie aufs neue, die Kirche della Pace nicht zu besuchen und den Kardinal nicht zu grüßen oder gar zu sprechen, denn anders würde es sie das Leben kosten, dessen könne er sie versichern. Und die Sängerin versprach, wenn auch sehr gegen ihren Willen, alles zu tun, wie er wünsche.
Aldobrandini vermißte zu wiederholten Malen die Sängerin in der Kirche und konnte sich den Grund ihrer unbegreiflichen Abwesenheit nicht erklären; er beschloß aber, auf das Geheimnis zu kommen; doch löste es sich ihm auf eine nicht erwartete Weise. Er erhielt von Anna Brocchi einen Brief, in dem sie ihm mitteilte, daß sie sich unter seinen Schutz stelle; er möge sie von Longobardi befreien, der sie mit grausamer Härte behandle. Der Kardinal war entrüstet über das, was er die Frechheit des Ritters nannte und ließ Anna sagen, daß er ihr ergeben sei und sich um nichts andres kümmere, als ihr zu dienen. Sofort suchte er nach einem Mittel, sich seines Rivalen zu entledigen. Alsbald fand man an jenem Ostersamstag das Haupt des Longobardi auf eine Lanze gespießt auf dem Petersplatze.
Der Verdacht richtete sich alsobald auf Aldobrandini, von dessen Besuch bei der Sängerin am selben Abende des Mordes man erfuhr. Und alle Welt wunderte sich über die geringe Tätigkeit, welche die Justiz in dieser Mordsache entfaltete, und über das Schweigen des Papstes in dieser Sache.
Den Kardinal sah man nun zu jederzeit in das Haus der Sängerin gehen, derart, daß es ein großes Ärgernis gab.
Umgeben von Kreaturen des Kardinals, konnte der Papst nichts wissen. Man pries ihm die Sittenstrenge seines Neffen, an die zu glauben ihn wohl auch seine verwandtschaftlichen Gefühle bewogen. Aldobrandini hätte sich auch fernerhin alles Vertrauen des Papstes, seines Onkels, erfreuen können, hätte diesen nicht ein Zufall mit dem Leben des allzuverliebten Kardinals bekannt gemacht.
Im Verlaufe eines Gespräches mit dem spanischen Gesandten beleidigte der Kardinal diesen auf das schwerste. Der Gesandte, ein Edelmann von feinstem Geiste, wollte die guten Beziehungen zwischen seinem Hofe und dem päpstlichen Stuhle von diesem Zwischenfall nicht trüben lassen und tat, als ob er die Beleidigung nicht merkte, bereitete aber im Geheimen seine Rache. Nun erfuhr er durch seine Leute von der Beziehung Aldobrandinis zur Sängerin Brocchi, der schamlosen Straflosigkeit des Kardinals und daß der Papst von den Schandtaten seines Neffen nichts wisse. Dieser pflegte die Sängerin unter den größten Vorsichtsmaßregeln gegen vier Uhr des Nachts zu verlassen; Diener und Wagen erwarteten ihn ein paar Schritte vom Hause entfernt um eine Straßenecke, wohin er sich immer zu Fuß begab. Der Gesandte schickte nun einen seiner Lakaien zu Anna Brocchi und ließ sie bitten, ob er an einem bestimmten Abend zu ihr kommen könne, sie singen zu hören. Er ließ ihr auch sagen, daß sie zu niemandem von dieser Einladung sprechen möge, damit daraus kein Gerede entstehe.
Die Sängerin war sehr geschmeichelt, von einer so hohen Persönlichkeit bemerkt worden zu sein, und gab ihre Zustimmung bereitwilligst.
An dem beschlossenen Abend schickte der Gesandte einige vertraute Diener voraus, die sich im Treppenhaus versteckt halten sollten. Alle waren mit großen Fackeln versehen, geschickt in besonders dazu gefertigten Gehäusen verborgen. Als nun Aldobrandini heimlich und leise seine Schöne verließ, hielten ihm die Kerle des Gesandten ihre leuchtenden Fackeln ins Gesicht, als Ehrengeleite, wie sie sagten. Der Kardinal, dem diese starke Beleuchtung gar nicht paßte, wollte die Leute wegschicken, aber sie blieben durchaus und geleiteten den Kardinal, der, so gut er konnte, mit seinem Mantel sein Gesicht verhüllte, bis an seinen Wagen.
Die Geschichte wurde bald bekannt und kam endlich auch zu den Ohren des Papstes, der alles zu wissen begehrte. In großem Zorne entzog er seinem Neffen sein Vertrauen, entkleidete ihn seiner Ämter und Titel und verbot ihm, jemals mehr vor seinen Augen zu erscheinen, falls er nicht auch des Purpurs verlustig gehen wolle; denn es blieb dem Papste kein Zweifel mehr, daß Aldobrandini auch an der Ermordung jenes Longobardi schuldig war.
Inhaltsverzeichnis
Zur Zeit, als sich der fünfte Karl bemühte, das Haus Medici in Florenz auf den Thron zu bringen, gab es unter den edlen Familien dieser Stadt auch eine, die ganz besonders dem Unglücke geweiht zu sein schien, das Geschlecht der Biancinfiore. So starben im Jahre 1520 Madonna Constanza Biancinfiore und ihre Kinder plötzlich an Gift, ohne daß man dem Urheber dieses Verbrechens auf die Spur kam. Nur eines der Kinder kam mit dem Leben davon; es war dies Signor Girolamo Biancinfiore, der fortan in Neapel lebte. Man war allgemein des Glaubens, daß er selber seine Familie umgebracht habe, um deren einziger Vertreter zu sein; darum begab er sich, um sein Leben bangend, alsofort nach Rom, als er erfuhr, daß sein Landsmann, der Papst Leo X. aus dem Hause Medici den päpstlichen Thron bestiegen hatte. Er warf sich dem Papst zu Füßen, der ihn gnädig aufnahm.
Dieser Girolamo war von hoher Intelligenz und einer über alle Probe erhabenen Tapferkeit. Unglücklicherweise hatte ihm diese Tapferkeit zu nichts anderem gedient als dazu, ein leidenschaftlicher Zweikämpfer zu werden; denn mit dem Degen verstand er vortrefflich umzugehen. In Neapel hatte er im Zweikampf mehr als sechsunddreißig Gegner getötet, und zumeist aus ganz nichtigen Gründen, was ihn ebenso gefürchtet machte wie den Verdacht bestärkte, den man hinsichtlich des Todes seiner Familie auf ihn geworfen hatte.
Girolamo ließ sich in Rom nieder, mietete hier ein Haus und lebte in einem Aufwand, der bald alle seine Einkünfte verschlungen hatte. Er verkehrte mit einer Anzahl junger Adeliger, die ihn nicht wegen seiner persönlichen Tugenden schätzten als wegen der Länge und Lebhaftigkeit seines Schwertes, weshalb sie sich auch hüteten, mit ihm in Streit zu kommen. Aber Girolamo, der sich von denen, die er seine Freunde nannte, so geschätzt sah oder vielmehr glaubte, brannte darauf, eine Probe seines Wertes und seiner Geschicklichkeit abzugeben, rühmte er sich doch immer, nie noch einen Gegner verfehlt zu haben. Und da bot sich ihm auch schon so sehr verlangte Gelegenheit. Am Ostersonntag beleidigte er ohne jeden Grund und Anlaß mitten in der Kirche von Santa Maria in Trefontana einen neapolitanischen Edelmann, den Grafen von Alincastro, den er von früher her kannte, und der in der Kirche seine Andacht verrichten wollte. Der Graf, der ein frommer Mann war, sagte leise zu Biancinfiore: »Signor Girolamo, es ist dies weder der Ort noch die Stunde, Händel auszutragen, aber zu anderer Zeit und an anderm Orte mögt Ihr mich immer finden.« Darauf verließ Girolamo wütend die Kirche und wartete draußen auf den Grafen. Als er ihn aus dem Kirchentor treten sah, ging er auf ihn zu und forderte ihn mit Beschimpfungen zum Zweikampf. Und nannte ihn einen Feigling, wenn er die Herausforderung nicht annehme. Da solches vor vielem Volke sich zutrug, blieb dem Grafen, der Ehre und Ruf bedroht sah, nichts andres, als den Zweikampf anzunehmen. Er holte bei einem Freunde, wo er ihn gelassen hatte, seinen Degen und focht mit Biancinfiore; eine große Menge sah zu. Der Graf bekam einen Stich in die Brust, und verschied eine halbe Stunde danach.
Die Familie des Grafen erhob beim Papste Klage gegen Biancinfiore, von dessen ruchlosen Taten in Neapel der Papst bei dieser Gelegenheit erfuhr. Er ließ ihn in die Engelsburg werfen. Aber ein paar einflußreiche Freunde Girolamos verwandten sich für ihn und es gelang ihnen, die Sippe des Erschlagenen versöhnlich zu stimmen. Darauf begnadigte ihn auch der Papst, doch unter der Bedingung, daß er in Rom nie mehr Waffen tragen dürfe, unter Strafe des Todes.
Dieses päpstliche Verbot machte des Girolamo Bekannte weniger ängstlich vor ihm, denn jeder war der Meinung, er würde jenes Gebot achten. Aber es waren noch nicht zwei Monate nach seiner Haftentlassung vergangen, als er sich durch ein zweideutiges Wort eines venetianischen Edelmanns beleidigt glaubte und diesen, wie er es gewohnt war, mit Beschimpfungen zum Zweikampf forderte. Darauf begab er sich nach Hause, seinen Degen zu holen, und fand sich an dem Orte ein, wo ihn der Venetianer erwartete. Dieser war ein gewandter Fechter, hatte aber das Mißgeschick, über einen Stein zu stolpern und hinzufallen. Alsogleich stürzte Biancinfiore über ihn her und versetzte ihm so viele Stiche, daß dem Unglücklichen kaum Zeit zur Beichte mehr blieb, als er seinen Geist aufgab.
Biancinfiore flüchtete vor dem Zorn des Papstes in eine Kirche, wo er sich zwei Monate lang verborgen hielt. Während dieser Zeit legten sich neuerlich einige seiner Freunde beim Papste ins Mittel, und dieser verzieh ihm zum zweiten Male; Girolamo hatte eine hohe Geldbuße zu zahlen und nachher den Kirchenstaat zu verlassen. Nun war aber Biancinfiore schon aus Neapel, Florenz und andern Orten verwiesen und wußte nicht mehr, wohin er sich begeben sollte; also ließ er dem Papste die Beteuerung seiner Reue und seines Gehorsams zukommen und daß er ihn nur immer schwer strafen möge, wenn er inkünftig sein Gebot übertrete. Der Papst begnadigte, gerührt von diesen inständigen Bitten, Girolamo zum andern Male, und hinfort lebte dieser sehr zurückgezogen, um jeden neuen Anlaß zu Vergehungen zu vermeiden.
Nun geschah es aber, daß er viel im Hause der Gräfin Oddi zu verkehren begann und sich heftig in die Gräfin verliebte, die auch ihrerseits bald eine solche starke Zuneigung zu ihm empfand, daß sie ihm nicht nur ihren Wagen überließ, sondern ihm alles gab, wessen er bedurfte, ja ihn in einem Trakte ihres Hauses wohnen ließ. Daraus entstand, daß sich Girolamo bald wie ein Eheherr fühlte, denn er verbot, eifersüchtigen Wesens, der Gräfin, die ein großes Haus führte, jede Geselligkeit, insonders den Empfang von Herren in ihrem Hause. Aber die Gräfin kümmerte sich um solches nicht und begann den Biancinfiore lästig zu finden; sie sagte ihm, daß er sie mit seiner Eifersucht langweile. Solche Worte kränkten den Eifersüchtigen um so mehr, als er die Gäste, die er täglich mit bösen Blicken sah, nicht mehr vor seine Klinge fordern konnte. Er konnte es nicht hindern, daß die Gräfin Herren und Damen zu einem Gastmahl lud, worunter besonders ein paar junge Edelleute seinen Haß hervorgerufen hatten; da nahm er seine Zuflucht zu Gift, wohl in der Hoffnung, daß auch dieser Giftmord wie der an seiner Familie verborgen bleiben oder daß ihm dabei das Glück so günstig sein würde wie bei seinen beiden Zweikämpfen. Einen ihm sehr ergebenen Diener der Gräfin machte er zu seinem Vertrauten, indem er ihn mit Geld bestach. Die Gäste waren bereits versammelt, als er diesen Diener in sein Gemach rief und ihm sagte: »Streu dieses Pulver hier unvermerkt auf das letzte Gericht, das du aufträgst, und gib mir dann ein Zeichen. Du bekommst als Lohn mehr als du dir träumst.«