Die Bucht am Ende der Welt - Sergio Bambaren - E-Book

Die Bucht am Ende der Welt E-Book

Sergio Bambaren

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Beschreibung

»Wenn du dich zu sehr in ein Ziel verrennst, verlierst du leicht den Blick für das Schöne, das dich umgibt.« Sergio Bambaren, der mit seinen Büchern ein Millionenpublikum berührt, erzählt, wie ihn eine einzige Reise veränderte. Er war zum Wellenreiten nach Tobago gekommen, um die Energie des Meeres zu spüren und sich auszupowern. Den Zauber der Insel, ihre üppige Vegetation, die Vogelvielfalt: Das alles nahm er dabei kaum wahr. Doch dann herrschte tagelang Windstille, und sein Brett lag unberührt im Sand. Beinahe wollte er schon wieder enttäuscht abreisen – bis er eine Welt voll ungeahnter Schönheit und Kraft für sich entdeckte …

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www.piper.de

Übersetzung aus dem Englischen von Gaby Wurster

Mit acht Farbfotos

Für Karol, meine kleine Schwester. Wir begegneten uns, als ich jung war, die Schönheit des Lebens mit ihr zu teilen, und alt genug, meine Gedanken mit ihr zu teilen. Karol wird in dieser Geschichte nicht erwähnt, aber ohne sie wäre das Ganze nicht dasselbe gewesen …

Bildnachweis

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: CORBIS

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: Getty Images

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2008

ISBN 978-3-492-95742-7

Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München, 2008 Titel der englischen Originalausgabe: »Angels of the Sea« Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München Umschlaggfoto: Raphaele van Butsele / Getty Images Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Wenn wir etwas riskieren,

wollen wir uns dem Leben nicht entziehen,

sondern wir wollen verhindern,

Vorwort

Ein anstrengendes, aber wundervolles Jahr lag hinter mir.

Ich hatte tolle Lesereisen durch Europa und Lateinamerika unternommen. Bei Lesungen, Vorträgen und anderen Veranstaltungen, die ein Schriftsteller besuchen muss, wenn er seine tiefsten Überzeugungen vermitteln will, hatte ich viele interessante Menschen getroffen. Wie gesagt, es war ein hektisches, aber erfüllendes Jahr gewesen. Und ich hatte mich sehr in eine wunderbare Frau aus Santiago de Chile verliebt, dieser schönen Stadt am Fuße des Andenhochlands. Doch die Dinge liefen nicht besonders gut für uns. Die Zeit würde zeigen, wie stark unsere Liebe war.

Alles in allem war es eines dieser Jahre, an die man sich mit einem Lächeln zurückerinnert. Ich hatte diese Zeit nicht vergeudet, ich hatte mein Menschenmögliches versucht, um jeden einzelnen Moment etwas Sinnvolles zu tun. Natürlich wurde ich immer mal wieder zurückgeworfen, wenn ich überdachte, was ich erreicht hatte und was nicht. Doch am Ende war es ein herrliches Jahr, und das ist wohl die schönste Belohnung, die man sich in der kurzen Spanne seines Lebens erträumen kann.

Ich hatte mir auch Zeit genommen, ein paar kleine Inseln in der Karibik zu bereisen, die ich schon immer hatte besuchen wollen – nicht diese Inseln, auf denen manche Leute ihr Glück in Betonburgen zu finden meinen, nein, ich wollte an ferne Orte reisen, weitab vom Irrsinn der Welt, in der wir leben.

Ich war auf Bonaire, einer Insel, die zu den Niederländischen Antillen gehört. Auch auf den Bocas-Inseln im Nordwesten Panamas habe ich tolle Menschen kennengelernt. Ich habe sogar eine Lagune voller Delfine entdeckt; sie erinnerten mich an die Nächte in Portugal, wo ich mein erstes Buch geschrieben habe, Der träumende Delphin. Die Nebelwälder von Panama habe ich ebenfalls besucht, dort konnte ich aus nächster Nähe den prächtigen Quetzal beobachten, der dem Paradiesvogel sehr ähnlich sieht.

Insgesamt war es ein wunderbares Jahr gewesen, und ich hatte das Gefühl, dass es mir in menschlicher Hinsicht sehr viel gebracht hat. Doch wie das Leben so spielt – ich wollte zurück zu den Wurzeln, wo all meine schönen Entdeckungsreisen ihren Anfang genommen hatten, und das hieß: Surfen.

Zuerst einmal surfte ich im Internet und informierte mich über Orte mit Regenwäldern und warmem, türkisblauem Wasser, wo ich richtig wellenreiten und meinen Seelenfrieden finden könnte. Und ich fand, was ich suchte: Tobago, eine kleine Karibik-Insel vor der venezolanischen Küste.

Ich hätte natürlich nie gedacht, dass mich diese spontane Entscheidung, zum Wellenreiten an so einen zauberhaften Ort zu reisen, in ein Abenteuer führen würde, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Die Wege des Lebens sind manchmal unergründlich, und dieses Mal war es zu meinem Vorteil. Ohne danach gesucht zu haben, fand ich auf dieser Reise Antworten auf Fragen, die mich schon lange beschäftigen.

Tobago

Bei meinen Reisevorbereitungen dachte ich, der Trip nach Tobago im Karibischen Meer sei ein Katzensprung. Von Lima aus war ich schon verschiedentlich in Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, gewesen, der Flug dorthin dauert gerade mal drei Stunden. Bei einem Blick auf die Karte Lateinamerikas sah ich, dass Tobago fast die Küste berührt – in einem halbstündigen Flug von Caracas müsste ich die Insel eigentlich bequem erreichen können.

Weit gefehlt! Ich wusste nämlich nicht, dass die meisten Tobago-Reisenden von Norden kommend direkt nach Trinidad fliegen, dem größeren Eiland und der Hauptinsel des Staates Trinidad und Tobago. Doch da ich von der Südhalbkugel aus startete, war die Reise eine ganz andere Geschichte.

Ich hatte zwar bereits einen Anschlussflug von Caracas gebucht, musste aber stundenlang auf meinen Weiterflug nach Trinidad warten. Das Flugzeug kam und kam nicht, und ich war gezwungen, in Caracas zu übernachten.

Leider hat sich die Stadt stark verändert. Überall auf der Welt haben Politiker die Macht, ein prosperierendes Land in ein Jammertal zu verwandeln, wo Hunger und Not herrschen. So auch in Venezuela. Der Flughafen von Caracas ist ein einziges Chaos; aus den Gesichtern der Menschen spricht Trauer und Verzweiflung über den Verfall ihres Landes. Hoffentlich ändert sich das eines Tages wieder!

Jedenfalls ging der Flug nach Trinidad erst am nächsten Morgen, die Nacht verbrachte ich gezwungenermaßen auf dem Flughafen. Schlimmer noch: Es gab keinen Direktflug von Caracas nach Tobago, und so musste ich vom Piarco International Airport auf Trinidad noch zwanzig Minuten nach Tobago weiterfliegen. Am Ende war ich über zwanzig Stunden unterwegs, um an mein Ziel zu gelangen: die schöne kleine Insel Tobago.

Bei der Ankunft war meine schlechte Laune gleich wie weggeblasen. Kaum stieg ich aus dem Flugzeug, war ich auch schon von üppiger tropischer Flora und feuchtwarmem Klima umgeben, doch eine frische Atlantikbrise kühlte die schwüle Luft.

Tobago ist eine zauberhafte Insel mit nur wenig Tourismus, der Crown Point Airport wirkt eher wie ein Puppenhaus, und auch die Maschine, die mich zu diesem entlegenen Ort gebracht hatte, sah aus wie ein Spielzeugflugzeug. Aber genau das hatte ich doch gesucht! Einen Ort, der nicht überlaufen ist und wo es keinen Stress gibt. Einen Ort, wo ich meinen Seelenfrieden finden könnte.

Allein der Gang durch die Zollschranke war ein Erlebnis – eine großgewachsene, dunkelhäutige Frau stempelte lächelnd meinen Pass ab. Dann holte ich mein Gepäck – es kam nicht auf einem Förderband, sondern wurde mir persönlich ausgehändigt. Nachdem ich also alle Formalitäten erledigt hatte, machte ich mich mit meinem Surfbrett, meinem treuen Gefährten, erst einmal auf den Weg ins Hotel, das ich schon vor Wochen gebucht hatte.

Ein Taxi brachte mich in die Englishman’s Bay, auf den Teil der Insel, wo ich die berühmte Rechtswelle surfen wollte. Wir fuhren etwa eine Stunde über kurvige Straßen; jeder Zentimeter, der nicht asphaltiert war, war von saftigem Grün überzogen. Über die Landschaft spannte sich ein tiefblauer Himmel, an dem vereinzelte Zuckerwattewolken hingen. Überall sah man Vögel, und ich begriff, warum Tobago ein Paradies für Vogelkundler ist. Vögel in allen Farben, Blau, Grün, Goldgelb sogar. Das Inselchen Little Tobago im Nordosten trägt sogar noch immer den Beinamen »Bird of Paradise Island«, nachdem der Engländer William Ingram dort vor hundert Jahren Paradiesvögel aus Neuguinea ausgesetzt hatte, damit sie sich dort vermehrten. Die Vögel hatten die Insel zu Tausenden bevölkert, doch nachdem 1963 der Hurrikan Flora über Tobago hinweggefegt war, waren sie alle eingegangen.

Der Taxifahrer war ein Einheimischer, ein Gentleman der alten Schule. Er war um die Sechzig, seine dunkle Haut zeigte die Spuren der Zeit. Er rauchte eine alte, ramponierte Pfeife und steuerte seinen in die Jahre gekommenen Wagen in aller Gemütsruhe, als hätte er es überhaupt nicht eilig, mich an mein Ziel zu bringen.

[1]

Gleich nachdem ich aus dem Flugzeug gestiegen war, das mich in diesen Winkel der Welt gebracht hatte, war mir diese Gelassenheit aufgefallen. Ich spürte, dass die Zeit hier langsamer verging als dort, wo ich herkam. Und es war nicht nur ein Gefühl, es war wirklich so. Die Menschen bewegten sich langsamer, sie sprachen langsamer, sogar der Wind, der die Zweige der alten, grünen Bäume streichelte, schien sehr viel gemächlicher zu blasen.

Entlang der schmalen Straße konnte ich immer wieder abgeschiedene Buchten mit weißem Sand und smaragdgrünem Wasser entdecken. Die Hitze war groß, aber erträglich, denn Tobago liegt dem Mittelatlantik näher als jede andere Karibik-Insel und profitiert von der frischen Brise, die vom offenen Meer her weht.

»Gefällt Ihnen die Fahrt?«, fragte mich der Fahrer.

»Und wie!«, antwortete ich. »Hier in Tobago kennt man wohl keine Hetze.«

»O ja«, sagte er, »das müssen Sie lernen, solange Sie hier bei uns sind: Zeit ist eine Erfindung der Menschen, Leben ist eine Erfindung des Universums.«

»Wie meinen Sie das?«

»Was glauben Sie: Wie alt bin ich?«, fragte er.

»Ich weiß nicht – vielleicht sechzig, fünfundsechzig …«

Er lächelte. »Stimmt. Ich habe heute Geburtstag. Ich werde fünfundsechzig.«

»Herzlichen Glückwunsch!«

»Danke. Aber zu meinem Alter müssen Sie mir nicht gratulieren, sondern zu dem, was wirklich von Wert ist.«

»Und was ist das?«

»Heute Morgen bin ich aufgewacht wie jeden Tag in meinem Leben«, sagte der alte Mann, »mit einem Lächeln auf den Lippen und mit einer unbändigen Lust, diesen neuen Tag zu genießen, den das Leben mir geschenkt hat. Das war schon immer meine Einstellung. Und so merkte ich heute Morgen, als ich das Haus verließ, zum Flughafen fuhr, Sie abholte und dabei das türkisblaue Wasser sah, das den Strand meines kleinen Dorfes umspült – da merkte ich also, dass ich endlich etwas erreicht habe, das ich mir schon so lange gewünscht hatte.«

»Und das wäre?«, fragte ich.

Ende der Leseprobe