Jörg Knoblauch
Die Chef-Falle
Wovor Führungskräfte sich in Acht nehmen müssen
Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch
»In immer mehr Firmen kommt ans Licht: Der Chef ist schlechter als gedacht. Er entwickelt sich nicht mehr ausreichend weiter. So fällt das ganze Team zurück, bis die Mitarbeiter sich anderswo einen besseren Chef suchen. Das ist die Chef-Falle! Deshalb gilt: Chefs müssen sich ihren Führungsanspruch neu verdienen. Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen allein mit A-Führungskräften Spitzenleistungen erzielen kann. Dafür will dieses Buch Ansporn sein. Doch hierzu ist es nötig, der ungeschminkten Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Sind Sie bereit dazu?«
Jörg Knoblauch
Über den Autor
Prof. Dr. Jörg Knoblauch ist geschäftsführender Gesellschafter der tempus-Gruppe. Das mittelständische Unternehmen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: Gewinner des »Best Factory Award«, einer Auszeichnung für das bestgeführte Kleinunternehmen Deutschlands, sowie des Ludwig-Erhard-Preis-Wettbewerbs. Das Fernsehen hat immer wieder über die pragmatische und erfolgreiche Unternehmensführung berichtet.
Als Referent vermittelt er komplexes Wissen einfach, praxisnah und humorvoll und versteht es, bei Vorträgen zu begeistern. Jörg Knoblauch ist Buchautor mit über 400 000 verkauften Büchern, die mittlerweile in ein Dutzend Sprachen übersetzt sind.
www.die-chef-falle.de
Inhalt
VorwortIch Chef – du dumm?
Kapitel 1 Schlechter als gedachtWarum Chefs nachsitzen müssen
Kapitel 2 Das UnternehmerparadoxonAls Gründer ein Genie, als Chef eine Niete
Kapitel 3 Plötzlich nicht mehr daMitarbeiter verlassen nicht das Unternehmen, sondern ihren Vorgesetzten
Kapitel 4 KassensturzGute Chefs sind teuer, schlechte Chefs sind noch teurer
Kapitel 5 Das große ABCWarum nur A-Chefs auch A-Mitarbeiter haben
Kapitel 6 Abschied vom MittelmanagementWarum A-Mitarbeiter (fast) keine Vorgesetzten brauchen
Kapitel 7 Lob der AufsässigkeitIt’s okay to manage your boss
Kapitel 8 Risiko PersonalchefWarum der Personaler an den Vorstandstisch muss
Kapitel 9 Erst verlieren wir unsere Werte, dann unseren WohlstandWie weiche Faktoren harte Fakten produzieren
Kapitel 10 Gestern Abstellgleis, heute ÜberholspurFähige Führungskräfte gehören nicht in den Ruhestand
Kapitel 11 Schneller, höher, weiterDas 80–20–0-Unternehmen ist keine Utopie
Kapitel 12 Wie man das Schiff drehtWege aus der Chef-Falle
Literatur
Register
Vorwort
Ich Chef – du dumm?
Vor gut drei Jahren habe ich schon einmal Alarm geschlagen: »Schlechtes Personalmanagement ruiniert Unternehmen« – das war die eindringliche Botschaft in meinem Buch Die Personalfalle. Es ging um A-, B- und C-Mitarbeiter und darum, dass ein C-Mitarbeiter immer überbezahlt ist, selbst wenn er umsonst arbeiten würde. Viele Chefs haben mir geschrieben, ich hätte ihnen die Augen geöffnet. Einer berichtete: »Seit ich das ABC-Prinzip verstanden habe, verdiene ich wieder Geld. Meine Probleme sind gelöst. Dass es so einfach geht, hätte ich nicht gedacht.«
Gleichzeitig hagelte es Proteste: »Du hackst auf B- und C-Mitarbeitern herum, aber es sind die Chefs, die Mitarbeiter erst zu B und C machen«, warfen Leser mir vor. In einer Zuschrift hieß es: »Ja, ich komme etwas später und dafür gehe ich etwas früher. Aber das ist eben genau das, was mein Chef auch macht … Ich bin kein C, ich bin ein A. Demnächst kündige ich und werde anderswo beweisen, wie gut ich bin.« Das hat mich berührt. Es gibt nicht nur A-, B- und C-Mitarbeiter, sondern auch A-, B- und C-Führungskräfte. Mehr noch: Ein C als Chef wird niemals A-Mitarbeiter haben!
In immer mehr Firmen kommt ans Licht: Der Chef ist schlechter als gedacht. Er entwickelt sich nicht mehr ausreichend weiter. So fällt das ganze Team zurück, bis die Mitarbeiter sich anderswo einen besseren Chef suchen. Das ist die Chef-Falle! Deshalb gilt: Chefs müssen sich ihren Führungsanspruch neu verdienen. Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen allein mit A-Führungskräften Spitzenleistungen erzielen kann. Dafür will dieses Buch Ansporn sein. Doch hierzu ist es nötig, der ungeschminkten Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Sind Sie bereit dazu?
Giengen an der Brenz, September 2013
Prof. Dr. Jörg Knoblauch|7||8|
Kapitel 1
Schlechter als gedacht
Warum Chefs nachsitzen müssen
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»Wer, glauben Sie, hat den Absturz von Nokia zu verantworten – die 122 000 Mitarbeiter oder die elf Topführungskräfte?« Als ich diese Frage höre, bin ich wie elektrisiert. Ich befinde mich nicht irgendwo, sondern ich bin gerade Teil einer Runde von Spitzenmanagern in der Schweiz. Die Frage stellt auch nicht irgendjemand, sondern Ram Charan. Falls Ihnen der Name nichts sagt: Der gebürtige Inder und ehemalige Professor an der Harvard Business School gehört zu den bestbezahlten Beratern der Welt. Zu seinen Kunden zählen Unternehmen wie General Electric, Air France-KLM oder die Bank of America. Zeitweise war der heute 74-Jährige weltweit so gefragt, dass er weder ein Haus noch eine Wohnung besaß, sondern ausschließlich in Hotels und bei Kollegen übernachtete. |9|In einem Satz: Wenn es jemanden gibt, der das Innenleben internationaler Konzerne aus dem Effeff kennt, dann heißt er Ram Charan. Dieser Mann stellte mir die provokative Frage, wer meiner Meinung nach am Niedergang von Nokia schuld sei – die Mitarbeiter oder die Chefs.
Was habe ich Nokia vor wenigen Jahren noch bewundert! Das finnische Unternehmen hatte sich vom unbedeutenden Hersteller von Toilettenpapier und Gummistiefeln zum Weltmarktführer für Mobiltelefone und zu einem der weltgrößten Telekommunikationsausrüster hochgearbeitet. Noch 2007 betrug Nokias Anteil am globalen Markt für Smartphones mehr als 50 Prozent. Ende 2012 waren es dann nur noch 3,5 Prozent. Es war das Jahr, in dem Nokia auch noch die Weltmarktführerschaft bei konventionellen Mobiltelefonen verlor. Die neue Nummer eins auf dem Handymarkt heißt Samsung und hat die Finnen nach 14 Jahren an der Spitze abgelöst. Wer hat den Niedergang von Nokia zu verantworten? Sind es die Mitarbeiter?
Wenn ich an die Mitarbeiter von Nokia denke, dann sehe ich vor meinem geistigen Auge Weinberge, eine Gastwirtschaft und Menschen, die auch ohne große Mengen Alkohol fröhlich feiern. Dieses Bild verdanke ich einer älteren Teilnehmerin meiner Seminare zur »ABC-Strategie«. Sie besitzt hier bei uns im Württembergischen ein Weinlokal und hat über die Jahre das Personal zahlloser großer wie kleiner Unternehmen kennengelernt. Nicht an deren Arbeitsplätzen, sondern während der Betriebsfeiern. Die traurige Bilanz der Gastronomin: Fast alle betrinken sich beim Feiern und benehmen sich daneben. Ihre Mitarbeiter haben kaum noch Lust, Gäste bei Betriebsfeiern zu bedienen. Die rühmliche Ausnahme: Nokia. »Wenn alle Leute so wären wie die Mitarbeiter von Nokia«, hatte eine Kellnerin nach der Feier des finnischen Konzerns gesagt, »dann könnten wir gerne jeden Tag eine Betriebsfeier ausrichten.« Die Unternehmerin hatte keinen Zweifel: Bei Nokia arbeiten fast ausschließlich A-Mitarbeiter. Mit anderen Worten: Die Nokia-Leute sind einfach top.
Das alles schoss mir auf die Frage von Ram Charan durch den Kopf. Und so antwortete ich aus meinem Gefühl heraus, ohne die Hintergründe genau zu kennen: »Ich vermute, die Chefs, nicht die Mitarbeiter, sind verantwortlich für den Absturz von Nokia.« Ram Charan, der Insider, nickte. Er gab mir voll und ganz Recht. Die Krise bei Nokia gehe |10|zu 80 Prozent auf das Konto der elf Mitglieder des Board of Directors. Diese Topmanager hätten auf ganzer Linie versagt und das Unternehmen beinahe ruiniert. So unterschätzten sie beispielsweise lange das Potenzial der Smartphones. Sie konnten sich trotz aller Mängel nur schwer von der hauseigenen Software verabschieden. Sie verlagerten die Produktion in Niedriglohnländer und handelten sich damit massive Qualitätsprobleme ein. Ram Charan erzählte weiter. Beispiel folgte auf Beispiel. Und immer hatten die Chefs falsch entschieden.
A-Mitarbeiter und C-Chefs: Nokia ist überall
Nachdenklich fuhr ich aus der Schweiz nach Hause. Ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie schwaches Personalmanagement Unternehmen ruiniert: Die Personalfalle. Ich gebe Seminare zur »ABC-Strategie«, inspiriert von einem Konzept meines großen Vorbilds Jack Welch. Danach muss es das Ziel eines jeden Personalmanagements sein, ein Unternehmen zu schaffen, das nahezu komplett aus A-Mitarbeitern besteht. Das sind Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Fähigkeiten und Charaktereigenschaften eigenverantwortlich handeln und das Unternehmen jeden Tag ein Stück voranbringen. Gleichzeitig müssen die mittelmäßigen B-Mitarbeiter nach Kräften entwickelt werden. Und C-Mitarbeiter, die der Organisation Schaden zufügen, sollen ihre letzte Chance bekommen. Nutzen sie diese nicht, dann müssen sie gehen.
Ich bin nach wie vor zutiefst von der »ABC-Strategie« überzeugt. Zahllose Feedbacks von Unternehmern bestätigen mir, dass es im Grundsatz wirklich so einfach ist. Und doch hatte ich vielleicht etwas Entscheidendes übersehen: Was ist, wenn ein Unternehmen A-Mitarbeiter hat, aber C-Führungskräfte? Das ist bei Nokia in den letzten Jahren anscheinend der Fall gewesen. Und was ist wiederum, wenn die Führungskräfte B sind, also mittelmäßig und entwicklungsbedürftig? Können sie dann A-Mitarbeiter gewinnen und auf Dauer binden? Wahrscheinlich nicht.
Mir wurde bewusst, dass die »Personalfalle« keinen Unterschied zwischen einfachen Mitarbeitern und Führungskräften macht. Eine solche Trennung ist in der heutigen Zeit ohnehin kaum noch möglich. Alle An|11|gehörigen der Organisation bilden gemeinsam ein Team. Auch Führungskräfte sind in diesem Sinne »Personal«. Allerdings mit dem Unterschied, dass C-Führungskräfte unvergleichlich mehr Schaden anrichten können als einfache C-Mitarbeiter. So wird aus der »Personalfalle« die noch gefährlichere »Chef-Falle«.
Doch wie verbreitet ist die Chef-Falle? Gibt es einzelne Ausreißer oder sind unsere Führungskräfte in Summe schlechter als gedacht? Je mehr ich mich mit der Frage beschäftigte, desto deutlicher wurde: Nokia ist überall. Auch in unserem Mittelstand gibt es landauf, landab Unternehmen, die von schwachen Führungskräften an den Rand des Ruins getrieben werden. Zunächst haben mich die vielen Zuschriften von Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen auf mein Buch Die Personalfalle überrascht. Hunderte haben protestiert und schrieben mir immer wieder sinngemäß: »Knoblauch, du hast die falschen auf die Anklagebank gesetzt. C-Mitarbeiter fallen ja nicht vom Himmel. Es sind unsere Chefs, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.«
Es folgten wahre Horrorgeschichten über Führungskräfte, die, wenn sie einfache Mitarbeiter wären, mit diesen Leistungen wahrscheinlich keinen Tag länger in ihrer Firma bleiben dürften. Sie müssten ihre Schlüssel abgeben und bekämen Hausverbot. Doch C-Führungskräfte haben es vielerorts geschafft, sich abzusichern und unangreifbar zu machen. Je intensiver ich, gemeinsam mit meinem Team, recherchierte, desto deutlicher wurde: Viele Chefs müssen nachsitzen. Sie sind schlechter, als ich gedacht habe.
Lassen Sie mich an dieser Stelle zwei Dinge klarstellen. Erstens: Ich bin mit Leib und Seele Personalexperte und schreibe auch aus dieser Perspektive. Mir ist bewusst, dass Unternehmen auch aus Gründen scheitern können, die mit den Leistungen des Teams – vom Praktikanten bis zum Geschäftsführer – nichts zu tun haben. Doch das richtige Personal ist der größte Hebel für den Unternehmenserfolg. Gleichzeitig ist das immer noch der am meisten unterschätzte Faktor. Ich bleibe bei der Forderung aus meinen früheren Büchern, dass Personalmanagement in jedem Unternehmen höchste Priorität genießen sollte.
Zweitens: Ich schreibe dieses Buch nicht, um anzuklagen, sondern um aufzurütteln und dringend nötige Verbesserungen anzuregen. Es geht um unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit um nicht weniger als unseren Wohlstand. Ich bin selbst Unternehmer und Führungskraft – und auch nur |12|ein Mensch. Auch ich musste mir in den vergangenen Jahren manche Kritik anhören. Das war nicht immer schön, aber ich war bereit, dazuzulernen. Ich musste nachsitzen und habe es getan. Keine Frage: Die Erkenntnis, schlechter zu sein als gedacht, kann wehtun. Doch die Wahrheit muss ans Licht.
Bitte nachsitzen: Sieben Lernfelder für Chefs
Schon die Bibel warnt davor, andere Menschen zu bewerten oder gar zu verurteilen. Der Balken in unserem eigenen Auge ist meistens größer als der Splitter im Auge des anderen. Mir geht es deshalb auf den folgenden Seiten nicht um charakterliche Fehler von Chefs, sondern um Verhaltensweisen, die den Unternehmenserfolg gefährden. Mit seinem Charakter muss jeder selbst klarkommen, aber das Verhalten lässt sich ändern, wenn es offensichtlich nicht zum Ziel führt. Je mehr ich mich mit den Fehlern von Führungskräften beschäftigt habe, desto deutlicher kristallisierten sich bestimmte Verhaltensmuster heraus. Diese Muster ließen sich schließlich auf sieben Kardinalfehler schwacher Führungskräfte reduzieren. Wer sich diese Fehler anschaut und sich fragt, inwiefern er sie vielleicht selbst schon einmal begangen hat, erkennt gleichzeitig Lernfelder, auf denen er als Führungskraft besser werden kann.
Da ist zunächst die Neigung zum Mikromanagement. Manche Chefs mischen sich in alles ein und lassen ihren Mitarbeitern keine Freiheit. Dieses Muster begegnet mir im Mittelstand besonders häufig. Es wird noch schwieriger, wenn es sich gleichzeitig um einen Chef handelt, der sich persönlich nicht weiterentwickelt. Chefs, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind, aber trotzdem alles bestimmen wollen, neigen besonders dazu, ihre Mitarbeiter auszubeuten. Wenn es ganz schlimm kommt, beschimpfen und erniedrigen sie ihre Mitarbeiter sogar. Leider spielt die Überforderung von Führungskräften sowohl im Mittelstand als auch in Konzernen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Entweder das Unternehmen ist dem Unternehmer über den Kopf gewachsen oder der angestellte Manager ist einmal zu oft befördert worden. Schließlich finden viele Führungskräfte bei Entscheidungen nicht das richtige Maß. Sie zögern und verschleppen |13|Entscheidungen – oder sie sind Schnellentscheider, die überhaupt nicht nachdenken. Beide Extreme schaden dem Unternehmen.
Fehler 1: Mikromanagement oder »So macht man das!«
Ein mittelständisches Unternehmen im Rheinland. Nennen wir es hier einmal die Vollgas GmbH und den Inhaber und Geschäftsführer Heiko Heizer. Vor einiger Zeit kam ein neuer Produktionsleiter in die Firma. Ich kenne diesen Mann persönlich und weiß, dass er es von seinem bisherigen Job gewohnt war, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Bei Heizer erlebt er dann sein blaues Wunder: Beinahe im Stundentakt zitiert der Chef ihn sowie andere Mitarbeiter und Führungskräfte in sein Büro. Mal möchte Heizer von dem Verantwortlichen persönlich und auf der Stelle wissen, bei wie viel Prozent ein bestimmtes Projekt steht. Mal hat der Chef eine geniale Idee, die sofort jemand umsetzen soll. Und mal gefällt ihm der Arbeitsstil eines Mitarbeiters nicht. »So macht man das«, heißt es dann belehrend im Chefbüro.
Es dauerte nur wenige Wochen, da war der neue Produktionsleiter vom Mikromanagement seines Chefs vollkommen zermürbt. Da ist er nicht der einzige. In den vergangenen drei Jahren hat Heizer allein vier Vorzimmerdamen verschlissen. Sie hielten das Dauerfeuer seiner ständigen Anweisungen nicht mehr aus. Abgesehen davon, dass sie überhaupt keine Chance hatten, alles zu erledigen, was der Chef ihnen von früh bis spät auf den Schreibtisch legte. Eine der Assistentinnen meldete sich schon nach wenigen Tagen krank. Da entdeckten die Kollegen, dass sie vorsorglich schon einmal ihre persönlichen Gegenstände mitgenommen hatte. In besagten drei Jahren hat es auch drei Personalchefs und drei Produktionsleiter gegeben. »Zu Vollgas geht man nicht«, hieß es bei einer Karnevalssitzung in der Kleinstadt, in welcher der Mittelständler seinen Sitz hat, »von dort kommt man«. Großes Gelächter – alle wussten, was gemeint war. Wenn bei Heiko Heizer einmal ein Mitarbeiter den Mut hat, das Gespräch zu suchen und um Rat zu fragen, hat der Chef stets nur eine Antwort parat: »Mehr Gas geben! Ihr müsst einfach mehr Gas geben!«
Chefs wie der Sportwagenfan Heiko Heizer lieben die Geschwindigkeit und den schnellen Erfolg. Das ist vollkommen in Ordnung, solange |14|sie es verstehen, ihre Mitarbeiter zu Spitzenleistungen anzuspornen. Die Chef-Falle schnappt zu, sobald ein Manager den Druck, den er sich selbst macht, ungefiltert und rücksichtslos an seine Mitarbeiter weitergibt. Er mischt sich überall ein und erwartet von allen, dass sie ihre Arbeit exakt so erledigen, wie er es selbst tun würde. Er betrachtet 500 Mitarbeiter wie 500 Finger an seinen Händen. Das kann nur schiefgehen.
Der Produktionsleiter der Vollgas GmbH sagte mir: »Meine einzige Chance ist, meinen Arbeitsstil vollkommen an den meines Chefs anzupassen. Aber das kann ich nicht und will ich nicht.« Richtig so. A-Mitarbeiter lassen sich nicht entmündigen. Wer als Chef seine besten Leute gängelt und ihnen alles vorschreibt, macht sie zu abwartenden B-Mitarbeitern und im schlimmsten Fall sogar zu C-Mitarbeitern, die nur darauf aus sind, für sich persönlich den größten Vorteil herauszuholen. Manchmal kommt eine regelrechte Negativspirale in Gang, weil Führungskräfte B-Mitarbeiter mit schwankenden Leistungen nicht weiterentwickeln, sondern unter Druck setzen, wodurch die Leistungen noch schlechter werden, woraufhin der Chef den Druck weiter erhöht – und so weiter.
Fehler 2: Entwicklungsblockade oder »Ich habe doch alles erreicht«
Es gibt Chefs, die fühlen sich einfach wohl auf ihrem Chefsessel und genießen ihren Status. Sie haben es geschafft, sie sind ganz oben. Hier ist die Luft gut und die Aussicht schön. Weiterentwicklung? Das soll die Personalabteilung doch für die Mitarbeiter organisieren. Aber bitte nicht zu oft, Sie wissen ja, was der ganze Spaß kostet! Der Chef braucht keine Weiterbildung, denn er säße ja nicht hier oben, wenn er nicht wüsste, wie man’s macht. Das Problem: Ich kann als Chef meine Mitarbeiter nur maximal dorthin bringen, wo ich selbst stehe. Wenn ich mich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhe, dann tun es meine Mitarbeiter auch. Und wenn ich nicht zur Kenntnis nehme, wie schnell sich heute negative Kundenerfahrungen über das Internet verbreiten, dann ist es meinen Mitarbeitern ebenfalls egal.
Jedes Mal, wenn ich mit United Airlines fliege, stelle ich mir deren Topmanager ungefähr so vor, wie eben beschrieben. Die nach Passagierkilo|15|metern größte Airline der Welt produziert eine Tragödie nach der anderen. Ein Beispiel gefällig? Bitte sehr: Ich bin an einem Montagmorgen um 4 Uhr in Boston am Flughafen, um den allerersten Flug nach Chicago zu erwischen. Dieser Flug wird von United angeboten, soll um 5:40 Uhr abfliegen und ist mit 330 Passagieren restlos ausgebucht. Um 5:20 Uhr wird der Flug am Gate aufgerufen. Das ist schon reichlich knapp. »Wir bitten zunächst die Passagiere der First Class und der Business Class sowie die Inhaber einer Vielfliegerkarte, sich zum Einsteigen zu begeben«, lautet die Durchsage. Ich fliege Economy, bin aber Vielflieger und stelle mich deshalb stolz ganz vorn in die Reihe.
Fünf Minuten später meldet sich die Stimme am Mikrofon stotternd ein zweites Mal: »Ich … ich weiß gar nicht, wie ich es Ihnen sagen soll: Gestern Nachmittag um 3 Uhr hätten die Piloten und Flugbegleiter hier in Boston ankommen sollen, um heute Morgen diesen ersten Flug zu fliegen. Leider gab es da offensichtlich ein Missverständnis. Die gesamte Crew ist erst heute Morgen um 3 Uhr eingetroffen, befindet sich jetzt im Hotel und darf nach den FAA-Regularien in den nächsten fünf Stunden nicht geweckt werden. Wir verschieben Ihren Flug deshalb auf 11 Uhr.« Auf den Bildschirmen stand später allen Ernstes »Delay. Crew not arrived« – ich habe es fotografiert! Von elf United-Flügen an diesem ganz normalen Montagmorgen in Boston – ohne Schnee oder Sturm, nicht einmal bei Regen – fielen vier aus. Dazu gehört schon einiges.
Sind die Mitarbeiter schuld? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Analysten dem Topmanagement von United eine Trägheit bescheinigen, die das Unternehmen an den Rand des Ruins bringt. Nachdem die Fusion mit Continental verpatzt wurde – weder die Flugzeugtypen noch die Buchungsklassen noch die Reservierungssysteme passen bis heute zusammen –, geschah auch noch der PR-Gau: Das YouTube-Video mit dem Song »United breaks Guitars«, in dem der Musiker und Passagier Dave Carroll seinem Ärger darüber Luft macht, dass United seine bei der Gepäckverladung zerstörte Gitarre nicht ersetzen wollte, wurde mit über 12 Millionen Aufrufen zum Hit im Internet. Inzwischen gibt es ein Buch »United breaks Guitars«, dazu T-Shirts, Tassen, Schreibblöcke und andere Andenken. Dave Carroll hielt sogar in Harvard eine Vorlesung zum Thema »Beschwerdemanagement am Beispiel United Airlines«. Beschwerden gibt es bei United sicher einige, denn die Airline belegt bei der Kundenzufrieden|16|heit den letzten Platz unter den 28 Mitgliedern des Luftfahrtbündnisses »Star Alliance«. Und was tut das Topmanagement an diesem Abgrund? Nichts. Es ignoriert die dringende Aufforderung zur Weiterentwicklung und macht business as usual.
Fehler 3: Mitarbeiterausbeutung oder »So ist halt der Markt«
Der Wettbewerb wird härter, die Leistungen werden austauschbarer und die Gewinnmargen dünner. So argumentieren manche Arbeitgeber gerne und da ist durchaus etwas dran. Allerdings haben auch Mitarbeiter das begriffen und sind längst zu Kompromissen bereit. In jedem zweiten der 100 gängigsten Berufe ist das Realeinkommen seit Anfang der 1990er-Jahre gesunken. Nach einer Studie der Universität Duisburg-Essen sinken die Realeinkommen leider dort am stärksten, wo die Menschen ohnehin wenig zum Leben haben: Bei den Geringverdienern waren die Einbußen am größten. Gleichzeitig sind deutsche Konzernmanager in den letzten 30 Jahren vom Mittelmaß zu Spitzenverdienern in Europa aufgestiegen. Nur britische CEOs verdienen im Schnitt noch mehr.
Wenn Chefs sich auf Markt und Wettbewerb berufen, um sich selbst mehr und mehr Geld zu zahlen, aber bei Menschen, die sich kaum das Nötigste zum Leben leisten können, die Löhne drücken, dann stimmt etwas nicht. Es ist eine Frage des Anstands, sich nicht auf Kosten der Schwächsten zu bereichern. Es ist darüber hinaus aber auch eine Frage der Vernunft, denn in einem Unternehmen, in dem Festanstellungen verweigert und Dumpinglöhne gezahlt werden, kann kein Klima entstehen, in dem A-Mitarbeiter sich wohlfühlen und jeden Tag Spitzenleistungen erbringen. Ich habe in der Vergangenheit darüber geschrieben, dass in den besten Unternehmen sogar Putzfrauen und Hausmeister Spitzenleute sind. Aber die gibt es nicht für 6,50 Euro die Stunde!
Ausgerechnet der Deutsche Bundestag ging hier mit schlechtem Beispiel voran. Während die Abgeordneten im Plenarsaal über Mindestlöhne debattierten, hat die Bundestagsverwaltung Hunderte Beschäftigte mit Billiglöhnen von 6,25 Euro die Stunde abgespeist. In den Parlamentsferien erhielten einige Mitarbeiter sogar überhaupt kein Geld. Das enthüllte das Nachrichtenmagazin Focus im Jahr 2012. Natürlich sind solche Zustände |17|im öffentlichen Dienst eigentlich ausgeschlossen. Aber über Outsourcing und die Vergabe von Aufträgen an Fremdfirmen lassen sich die Löhne dann eben doch drücken. Betroffen sind Schreibkräfte, Fahrer, Reinigungspersonal und Sicherheitskräfte externer Unternehmen, die für das Parlament arbeiten. Manche Mitarbeiter beziehen ergänzend Hartz IV – trotz Vollzeitjob beim Bundestag.
Fehler 4: Erniedrigung oder »Den mache ich rund«
Stundenlöhne, für die man in der heutigen Zeit gerade einmal einen Kaffee und ein Sandwich bei Starbucks bekommt, sind für die Betroffenen bereits erniedrigend genug. Einige Chefs hierzulande schrecken jedoch nicht einmal davor zurück, ihre Mitarbeiter – egal auf welcher Gehaltsstufe – regelmäßig zu beschimpfen und zu beleidigen. Aus zahlreichen traurigen Zuschriften sowie aus unserer Beratungspraxis weiß ich, dass es Mitarbeiter gibt, die von ihren Vorgesetzten als »Schwein« oder »fette Sau« bezeichnet werden oder sich beinahe täglich sexuelle Anzüglichkeiten anhören müssen. Manche Chefs kommen offenbar morgens ins Büro und nehmen sich vor, heute mal einen Mitarbeiter so richtig »rund zu machen«.
Ich bin selbst Unternehmer und weiß, wie stark der Frustpegel auf dem Chefsessel ansteigen kann: lähmende Bürokratie, fatale Fehler von Mitarbeitern, technische Pannen. Das alles kann Menschen, die große Ziele erreichen wollen, zur Weißglut bringen. Wer aber Führungskraft sein will, der darf seinen Frust niemals an seinen Mitarbeitern auslassen. Wenn Ihnen als Chef der Kragen zu platzen droht, dann machen Sie Sport, hören Sie über Kopfhörer laute Musik, gehen Sie in die Natur und schreien Sie – tun Sie irgendwas, das Ihnen hilft, Ihre Aggressionen loszuwerden. Aber lassen Sie um Himmels willen Ihre Mitarbeiter in Ruhe!
Einen Unternehmer, der sich nicht beherrschen konnte, stellte das Magazin Stern im Jahr 2012 an den Pranger: »Liqui-Moly-Chef pöbelt gegen Mitarbeiter«, berichtete das Blatt. Ernst Probst hatte bis dahin nicht nur in Fernsehspots für seine Motoröle geworben, sondern sich auch als Saubermann der Branche positioniert. Öffentlichkeitswirksam prangerte er die Mineralölkonzerne an und warb für mehr »Anstand und Respekt« |18|in der Geschäftswelt. Im Stern war dann eine E-Mail zu lesen, die ausgerechnet Probst 2009 an alle 500 Mitarbeiter seiner Unternehmensgruppe geschickt hatte. Darin titulierte er einen soeben entlassenen Manager als »hinterfotzig« und »jämmerlich«. Der Mann habe »nichts gearbeitet« und sein Verhalten sei »pfui Teufel«. Doch der Firma geschadet hat weniger der Entlassene als Probst selbst mit seinen Pöbeleien. Nach den Enthüllungen war der Chef als Werbefigur nicht mehr tragbar. Liqui Moly musste mit einem erheblichen Imageschaden fertigwerden. Den Link zur vollständigen E-Mail finden Sie unter www.die-chef-falle.de.
Fehler 5: Selbstüberschätzung oder »Alles so groß geworden«
Leider gibt es auch Chefs, die nicht nur Fehler machen, sondern eine einzige Fehlbesetzung sind. Sie trauen sich ihren Job zwar zu, aber ehrlicherweise müssten sie erkennen, dass ihnen die Dinge über den Kopf wachsen und sie eine Aufgabe dieser Größenordnung nicht (mehr) beherrschen. Solche Chefs sitzen entweder dort, wo ein Unternehmen schnell und stark gewachsen und dabei hoch komplex geworden ist. Oder es sind ursprünglich begabte und fähige Mitarbeiter, die »einmal zu viel befördert« worden sind. In der Praxis werden sie normalerweise nicht mehr zurückgeholt und richten dann Unheil an. Hier wirkt das von dem amerikanischen Managementautor Laurence J. Peter bereits 1969 beschriebene und nach ihm benannte »Peter-Prinzip«. Peter schrieb damals: »In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence.« Mit anderen Worten: Jeder steigt so lange auf, bis er garantiert überfordert ist.
Eine solche verhängnisvolle Beförderung habe ich zuletzt in den USA erlebt. Ich bin dort Mitglied im Aufsichtsrat eines großen Verbands für Führungskräfte. Der Verband lebt nicht schlecht, denn neben den Mitgliedsbeiträgen gibt es immer wieder größere Spenden. Außerdem kommen bei Fundraising-Dinners schöne Summen zusammen. Vor drei Jahren wählten wir im Aufsichtsrat einen neuen Chef, den ich hier einmal Jim nenne. Jim war ziemlich eitel und ließ sich gleich zwei Titel auf seine neue Visitenkarte drucken: »President & CEO«. Aber er war auch ein sympathischer »Teddybär«, weshalb wir glaubten, einen guten Kommunikator und Netzwerker an die Spitze des Verbands gewählt zu haben. |19|
Doch dann stockten die Spenden. Das Bankguthaben des Verbands ging in den Keller. Aus einem Finanzpolster in Millionenhöhe wurden innerhalb von zwei Jahren ebenso hohe Schulden. Gleichzeitig wirkten die Mitarbeiter plötzlich lustlos und riefen nicht mehr die gewohnte Leistung ab. Bei jeder Aufsichtsratssitzung drängte ich darauf, die mögliche Trennung von Jim auf die Tagesordnung zu setzen. Doch der Aufsichtsratsvorsitzende war mit Jim eng befreundet und schaffte es jedes Mal, den Punkt »Jim« so weit nach hinten zu schieben, dass am Schluss keine Zeit mehr für die Diskussion war. Erst als der Verband so gut wie pleite war, wurde Jim entlassen. Die unmittelbare Folge: Für den Verband in seinem inzwischen desolaten Zustand fand sich nur schwer ein neuer Chef. Wir mussten schließlich 50 Prozent mehr Geld bieten, als der ohnehin schon überbezahlte Jim erhalten hatte. Glücklicherweise konnte der Neue dann wirklich das Ruder herumreißen, und das Konto füllte sich wieder.
Die Geschichte geht aber noch weiter. Jim hatte zwei enge Mitarbeiter, die ich am liebsten ebenfalls entlassen hätte. Einer davon heißt John. John war, so wie ich ihn früher kannte, keine große Leuchte gewesen. Er hatte mir entweder gar keine oder falsche Auskünfte gegeben. Doch seit dem Führungswechsel ist John wie ausgetauscht. Er ist jetzt in Sitzungen immer bestens vorbereitet, steuert wichtige Details bei und macht das Protokoll sofort im Anschluss statt erst Tage später. In einer Sitzungspause kam ich nicht umhin, auf John zuzugehen und ihn um Entschuldigung zu bitten. »John«, sagte ich, »ich muss gestehen, ich habe nicht immer gut über dich geredet. Und um ehrlich zu sein, wäre es mir sehr lieb gewesen, wenn du mit Jim zusammen gegangen wärst. Was ist nur passiert, dass jetzt alles so anders ist?« Darauf sagte John nur den Satz: »Jim hat mich nicht gelassen.«
Johns Hände waren die ganze Zeit gebunden. Er konnte nicht anders, sondern musste das machen, was sein Chef von ihm wollte, und zwar penibel. Jetzt aber macht ihm die Arbeit wieder Spaß. Und da haben wir es: Mitarbeiter werden geradezu blockiert, wenn ihre Chefs C sind. John hätte genauso gut sagen können: Ich bin ein A, aber mein Chef hat mich zu einem C gemacht. Ein Chef, der sich maßlos überschätzt, richtet eben nicht nur selbst Schaden an, sondern zieht auch noch seine Mitarbeiter in den Abgrund. Mitarbeiter werden nicht als C-Mitarbeiter geboren, sondern von ihren Chefs dazu gemacht. Wer als Chef seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, der muss dies einsehen und zurücktreten. Das gilt auch für |20|Unternehmer. Sie sollten den Zeitpunkt erkennen, an dem es wichtig ist, einen Geschäftsführer einzustellen, der es besser macht.
Fehler 6: Entscheidungsschwäche oder »Das haben wir immer so gemacht«
In einer Studie wurden 125 Insolvenzverwalter nach den Ursachen von Unternehmenspleiten befragt. 71 Prozent der Insolvenzverwalter sahen im Versagen des Geschäftsführers die häufigste Pleiteursache. Na klar, hätte ich vor einigen Jahren noch gedacht – für die Insolvenzverwalter sind ja immer wir Unternehmer schuld! Je länger ich als Unternehmensberater unterwegs bin und Einblick in unterschiedliche Firmen habe, desto besser erkenne ich die wirklichen Zusammenhänge. Schaut man sich die Studie genauer an, dann beklagen die Insolvenzverwalter unter anderem einen autoritären Führungsstil, gepaart mit Entscheidungsschwäche. Ein Chef, der stur an seinen alten Konzepten festhielt und unfähig war, bessere Entscheidungen zu treffen, hat nach Meinung der Insolvenzverwalter in fast 60 Prozent der Insolvenzfälle wesentlich zur Pleite beigetragen. Diese Zahl kann ich aus eigener Erfahrung als Berater sehr gut nachvollziehen.
Ein entscheidungsschwacher Chef meint es oft sogar gut. Er will niemand vor den Kopf stoßen oder enttäuschen. Nehmen wir noch einmal Nokia als Beispiel: Als der Boom der Smartphones begonnen hatte und Apple mit dem iPhone sowie die asiatischen Hersteller mit dem Betriebssystem Android von Google spektakuläre Erfolge feierten, hätte klar sein müssen, dass Nokias hausgemachtes Betriebssystem Symbian nicht mehr gut genug ist. Doch es gab bei den Finnen ein eingespieltes Entwicklerteam für Symbian. Man war stolz auf das eigene Programm und hätte bei einem Wechsel zu einer anderen Software die meisten Programmierer entlassen müssen. Ein schmerzhafter Einschnitt. Als dann später doch die Allianz mit Microsoft und der Wechsel zum Betriebssystem Windows für Smartphones kam, war wertvolle Zeit verstrichen. Monatelang blieb es bei der Ankündigung neuer Produkte. Dieser Zeitverlust wäre vermeidbar gewesen und wirkte sich für Nokias Marktposition fatal aus. Der Marktanteil bei Smartphones sank auf unter 5 Prozent. |21|
Fehler 7: Aktionismus oder »Probieren wir doch mal was anderes«
Wer eingesehen hat, dass entscheidungsschwache Chefs Unternehmen ruinieren können, den warne ich an dieser Stelle gleich vor dem anderen Extrem: Die hektischen Schnellentscheider sind genauso gefährlich für das Überleben eines Unternehmens wie unflexible und entscheidungsschwache Chefs. Während autoritärer Führungsstil häufig ein Problem älterer Chefs ist, verfallen Nachwuchsführungskräfte gerne in das andere Extrem. Sie sehen sich als »Business Punks«, radikale Querdenker, blitzgescheite Innovatoren und schmerzfreie Aufräumer. Nachhaltigen Erfolg haben sie selten. Wenn die Prioritäten schneller wechseln, als die Mitarbeiter es nachvollziehen können, entsteht Verwirrung, die schließlich in Lähmung mündet.
Während 2012 beispielsweise für den Sportartikelhersteller Adidas das erfolgreichste Jahr der Unternehmensgeschichte wurde, schlitterte der Mitbewerber Puma in die Krise. Ein Jahr zuvor hatte der französische Mutterkonzern den damals erst 32-jährigen Franz Koch zum Geschäftsführer von Puma ernannt. Weil 2012 trotz Olympischer Spiele der Gewinn einbrach, beschloss Koch ein hektisches Umstrukturierungsprogramm, das aber nicht zündete und ihn nach kurzer Zeit seinen Job kostete. Als Koch die Firma umkrempeln wollte, war es wahrscheinlich schon zu spät, um kurzfristig das Ruder herumzureißen. Jahrelange Fehler bei der Markenführung oder in der Vertriebsstruktur lassen sich nicht mit Radikalkuren korrigieren.
Noch fraglicher als die Zukunft von Puma erscheint mir, was aus der Zeitschrift Capital werden soll. Dieses Magazin war vor gut 30 Jahren unter seinem damaligen Chefredakteur Johannes Gross ein echtes Premiumprodukt und ein wahres Wunderwerk. Ein Exemplar kostete 10 DM – die Bild-Zeitung damals 40 Pfennig –, und wer ein Abo haben wollte, musste nachweisen, dass er zur Zielgruppe gehörte. Entsprechend exklusiv waren aber auch die Inhalte. Mittlerweile wurde Capital zunächst mit Impulse und der Financial Times Deutschland in eine gemeinsame Redaktion namens »Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien« gezwungen. Nach dem plötzlichen Aus für die Financial Times Deutschland Ende 2012 wurde die Redaktion nach Berlin verlegt. Dort soll die Zeitschrift von einem neuen Team weiter produziert werden. Wenn dieses Buch ge|22|druckt ist, können Sie gerne einmal am Kiosk nachschauen, wie es um Capital jetzt bestellt ist. Beschlossen wurde der Schlingerkurs im Vorstand von Gruner + Jahr. Den Journalisten wäre es bestimmt nicht eingefallen, eine Marke derart zu beschädigen.
Raus aus der Chef-Falle
Führungskräfte, die ahnen, dass sie weniger gut sind als gedacht, fragen mich als Berater manchmal: Was kann ich denn konkret tun, um besser zu werden? Aktionismus ist auch an dieser Stelle völlig unangebracht. Ich empfehle jedem Chef, der sich verbessern möchte, zunächst einmal die ehrliche Bestandsaufnahme. Selbstreflexion ist der entscheidende Schritt, wenn es darum geht, ein besserer Chef zu werden. Wenn nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Chefs A, B oder C sein können, dann sollten Führungskräfte im ersten Schritt herausfinden, ob sie ein A-, B- oder C-Chef sind. Wie man das macht? Ganz einfach: Die Mitarbeiter fragen! Wenn die Wahrheit ans Licht soll, dann hilft nur Feedback von anderen. Aus langjähriger Erfahrung weiß ich: Mitarbeiter, die in einem fairen Verfahren befragt werden, schätzen ihre Vorgesetzten absolut realistisch ein.
In meinem eigenen Unternehmen arbeiten wir schon seit Jahren mit Bewertungen der Führungskräfte durch die Mitarbeiter. Wenn Sie meine beiden Bücher Die besten Mitarbeiter finden und halten und Die Personalfalle kennen, dann ist Ihnen das ABC-Thema längst geläufig. Die charakteristischen Merkmale von A-, B- und C-Mitarbeitern lassen sich nun genauso gut auf Unternehmer und Führungskräfte übertragen. Daraus ergibt sich in etwa folgendes Bild:
A-Chefs zeigen ein außergewöhnliches Maß an visionärer Kraft, Engagement und Erfolg. Sie denken stets voraus, handeln initiativ und motivieren auch andere zu Spitzenleistungen. Diese Führungskräfte haben nicht nur ausgezeichnete Ideen, sondern bilden sich auch ständig weiter. Ihren Mitarbeitern geben sie sämtliche Ressourcen und Werkzeuge in die Hand, die diese brauchen, um ebenso erfolgreich zu sein wie ihr |23|Chef.
B-Chefs sind meistens erfolgreich und erfüllen in der Regel die Erwartungen von Mitarbeitern, Kunden oder Investoren. Manchmal erzielen sie ausgezeichnete Ergebnisse, die von denen eines A-Chefs nicht zu unterscheiden sind. Manchmal machen sie es jedoch auch unnötig kompliziert und halten ihre Mitarbeiter auf. Sie bilden sich unregelmäßig weiter, neigen zu Mikromanagement und sparen gerne an Ressourcen für Mitarbeiter.
C-Chefs haben ausschließlich ihre persönlichen Interessen im Blick und handeln mehr oder weniger häufig auf Kosten des Unternehmens. Sie haben keine Zukunftsvision, bilden sich nicht weiter und sperren sich gegen Veränderungen. Gegenüber ihren Mitarbeitern verhalten sie sich typischerweise autoritär und misstrauisch. Sie verweigern ihnen die nötige Unterstützung und neigen dazu, Mitarbeiter zu überwachen und zu kontrollieren – bis hin zur Videoüberwachung.
Das Tableau in Abbildung 1 gibt Ihnen einen Überblick, worauf es ankommt. Chefs können jeweils im Hinblick auf Vision, Führung, Einsatzbereitschaft, Selbstständigkeit, Kundenbezug, Umgang mit Mitarbeitern, Teamarbeit, Zielerreichung, Integrität und Kommunikation A, B oder C sein. Nutzen Sie als Führungskraft diese Matrix zunächst für eine erste Reflexion! Lassen Sie sich dann anschließend von Ihren Mitarbeitern bewerten. Das Tool dazu finden Sie in Kapitel 5 des Buchs. Den vollständigen Testbogen für Führungskräfte erhalten Sie auch kostenlos auf der Website www.die-chef-falle.de.
Am Anfang gehört Mut dazu, sich von seinen eigenen Mitarbeitern im Hinblick auf die Kriterien in Abbildung 1 bewerten zu lassen. In unserem Unternehmen ist das sowohl für die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter längst Routine. Wir haben auch einen glasklaren Maßstab: Wer nicht mindestens die Durchschnittsnote 2,5 erreicht, der hat das Vertrauen der Mitarbeiter verloren und sollte das Unternehmen verlassen. Vor einigen Jahren bin ich von unseren Mitarbeitern mit 2,4 benotet worden und war damit knapp an der Grenze, die Firma verlassen zu müssen. Nun ist es für den Inhaber nicht so einfach, zu gehen, da ja erst einmal die Unternehmernachfolge geregelt werden müsste. Ich habe deshalb damals mit allen Mitarbeitern einzeln gesprochen und um eine Bewährungszeit gebeten. In |24|dieser Zeit habe ich alles getan, um ein besserer Chef zu werden. Ich habe Bücher gelesen, Coaching beansprucht, Feedbacks eingeholt und vieles mehr. Führen kann man lernen wie alles andere im Leben auch. Wenn ich heute in diesem Buch behaupte, dass Chefs nachsitzen müssen, dann weiß ich nicht nur, warum es nötig ist, sondern auch, dass es hilft. |25|
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Abbildung 1: Das Führungskräfte-ABC|26|
Kapitel 2
Das Unternehmerparadoxon
Als Gründer ein Genie, als Chef eine Niete
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Mit seinem Buch Ich arbeite in einem Irrenhaus