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**Lass dein Herz brennen** Gerade noch waren Romys größte Sorgen ihre bevorstehenden Abschlussprüfungen, als im nächsten Moment Drachen vom Himmel stürzen und die Stadt im Chaos versinkt. Dem merkwürdigen Sog nachgehend, den die feurigen Wesen auf Romy ausüben, begibt sie sich in das Lager der Drachen. Plötzlich steht sie nicht nur ihrem Schicksal, sondern auch dem Anführer Greyer gegenüber, der in Romy ungeahnte Empfindungen auslöst. Zusammen gilt es nun mehr als nur eine Welt zu retten, wobei sowohl Romys Mut als auch ihr Herz auf eine große Prüfung gestellt werden. Eine atemberaubende Fantasy-Dilogie voller Magie, Mut und Liebe //Dies ist der zweite Band der spannungsgeladenen Buchserie »Die Drachenwandler«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte: -- Die Drachenwandler 1: Fire in your Eyes -- Die Drachenwandler 2: Fire in your Blood// Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
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Annika Hanke
Die Drachenwandler 2: Fire in your Blood
**Lass dein Herz brennen**Gerade noch waren Romys größte Sorgen ihre bevorstehenden Abschlussprüfungen, als im nächsten Moment Drachen vom Himmel stürzen und die Stadt im Chaos versinkt. Dem merkwürdigen Sog nachgehend, den die feurigen Wesen auf Romy ausüben, begibt sie sich in das Lager der Drachen. Plötzlich steht sie nicht nur ihrem Schicksal, sondern auch dem Anführer Greyer gegenüber, der in Romy ungeahnte Empfindungen auslöst. Zusammen gilt es nun mehr als nur eine Welt zu retten, wobei sowohl Romys Mut als auch ihr Herz auf eine große Prüfung gestellt werden.
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Vita
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© privat
Annika Hanke, geboren 1996, lebt in Schleswig-Holstein. Schon früh wurde sie durch Fan-Fiction zum Schreiben animiert, nahm diese Leidenschaft allerdings erst Ende 2014 wieder richtig auf und schrieb ihren ersten Fantasyroman, der bis heute darauf wartet neu geschrieben zu werden. Wenn sie nicht gerade im Planen oder Schreiben einer Geschichte untergeht, ist sie viel mit ihrem Hund Tony unterwegs und sucht Inspiration und Ruhe in langen Waldspaziergängen.
Romy
Ich war wieder in den Tunneln.
Erleichterung durchflutete mich so sehr, dass ich die Verwirrung darüber, wieder hier zu sein, gar nicht richtig wahrnahm. Hauptsache war, dass die kleinen Steine im Gleisbett unter meinen Stiefeln knirschten, dass ich die modrige abgestandene Luft einatmen konnte und bereits Stimmen hörte. Dunkelheit umhüllte mich, doch am Ende des Tunnels konnte ich ein Licht sehen. Ich ging weiter, ließ die Gleise hinter mir, um zum Bahnsteig zu gelangen.
Als ich von dem Licht geblendet wurde, kniff ich die Augen zusammen. Die Finsternis hatte sie empfindlich gemacht.
»Hallo?«, rief ich in die plötzlich aufkommende Stille und blickte mich um, als ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Denn da waren keine Stimmen mehr; es herrschte Totenstille auf dem Bahnsteig. Ich kletterte die improvisierte Treppe hinauf und sah mich genauer um. Unsere Sachen lagen noch an Ort und Stelle, ich sah die mittlerweile schmutzige Decke, die meine Mutter immer benutzte. Daneben gesellte sich ein zerknittertes Bild, welches ich nicht kannte. In ein, zwei Schritten war ich dort und nahm es auf.
Es zeigte meine Mutter und mich als Kind. Mein Vater hielt mich lachend im Arm, doch plötzlich verschwamm das Bild von Hendrik und zeigte mir einen Fremden. Schwarzes Haar und so stechende Augen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, zierten sein schmales Gesicht. Er lachte in die Kamera. Als wären wir eine glückliche Familie.
Das Klicken einer Waffe rechts von mir holte mich zurück in die Wirklichkeit. Ich ließ das Bild fallen und drehte mich langsam um. Der Lauf einer Pistole war auf mich gerichtet, zwei Hände umklammerten die Waffe, als würde ihr Leben davon abhängen.
»Komm nicht näher«, presste eine zu bekannte Stimme hervor und ich blinzelte, meine Sicht war verschleiert. Doch dann konnte ich die Person mir gegenüber endlich erkennen.
Es war meine Mutter.
»Ma? Ich bin es, Romy.«
Ich trat einen Schritt auf sie zu, doch sie feuerte einen Schuss ab, der direkt in den Beton zu meinen Füßen einschlug. Erschrocken stolperte ich wieder zurück.
»Was soll das?«, fragte ich verzweifelt. »Ich bin deine Tochter!«
»Du bist nicht mal ein Mensch«, erwiderte sie durch zusammengebissene Zähne. »Ergreift sie!«
Ich hatte keine Chance.
Schneller, als ich hätte reagieren können, wurden meine Arme von hinten gegriffen und ich spürte, wie man mir Handschellen anlegte. Ich wollte mich wehren, doch ein Schlag auf den Hinterkopf ließ mich nach vorn auf die Knie fallen. Meine Sicht verschwamm, der graue Beton kam immer näher.
»Ma …«, murmelte ich benommen, doch die Frau vor mir hörte nicht. Sie war so anders, ihr Blick so voller Hass, dass ich die Situation nicht verstehen konnte. Was war passiert? Waren sie nicht froh, dass ich wieder da war? Dass ich nicht gestorben war?
Ich wurde wieder auf die Füße gezerrt und stolperte benebelt nach vorn. Eine Person hatte meine Handgelenke fest im Griff und schob mich immer weiter voran. Mein Kopf glich einem Karussell, alles drehte sich.
»Was macht ihr denn?«, fragte ich mit schwerer Zunge. »Ich bin doch eine von euch.«
»Du bist eine Wandlerin. Unser Feind.«
Das Rasseln einer Kette war zu hören, ich spürte, wie die Handschellen abgenommen wurden, allerdings nur, um mir die Hände vor dem Körper erneut zu fesseln. Etwas Schweres wurde an meinen Handgelenken befestigt und auf einmal zerrte mir eine Kraft die Arme nach oben. Ich keuchte vor Schmerz, meine Füße berührten kaum noch den Boden.
Dann plötzlich fühlte ich die heiße Macht in mir, die meine Sicht klärte und meinen Verstand wieder auf Vordermann brachte. Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die schweren Kettenglieder, an denen ich aufgehängt worden war. Das Atmen fiel mir schwer und ich brauchte enorme Kraft, um mit den Zehenspitzen weiterhin auf dem Boden zu bleiben.
»Was soll das?!«, keifte ich und blickte zu den Menschen – meiner Gruppe –, die um mich herumstanden. Es war Wolf, der zwischen den anderen hindurchkam und direkt vor mir stehen blieb.
»Wir wissen, was du bist, Romy.« Sein verbliebenes Auge musterte mich und ich konnte die Kälte und den Hass deutlich spüren, die von Wolf ausgingen.
Was sollte ich tun? Darauf beharren, dass ich ein Mensch war? Dass ich zu ihnen gehörte? Oder sollte ich mich ganz dem Teil von mir ergeben, der ein Wandler war? Ehe ich mir selbst die Frage beantwortet hatte, spürte ich, wie meine Hände von einer Hitze ergriffen wurden. Das Drachenfeuer kam zu mir und ich wollte mich befreien. Doch in dem Moment, als ich die Kettenglieder auseinanderriss, ertönte ein Schuss und traf mich in den Kopf.
Ich hatte keine Chance zu reagieren oder auch nur den Hauch von Angst zu verspüren, denn es war sofort alles schwarz und mein lebloser Körper krachte zu Boden.
Und dann schreckte ich schweißgebadet aus diesem Albtraum auf.
Greyer
Nachdem Romy von Jendrik und Lean aus dem Restaurant geführt worden war, kamen Tanya, Aaron, Darian und Kain wieder zu mir. Ich stand noch immer an dem Platz, an dem sie mich zurückgelassen hatte. Meine Gefühle wirbelten umher, mein Herz klopfte ein paar Takte zu schnell, doch nach außen hin durfte ich mir nichts davon anmerken lassen.
Die vier Wandler verharrten wenige Schritte vor mir. »Sie wird uns helfen«, beantwortete ich die stille Frage, die im Raum stand. Ich konnte deutlich erkennen, wie alle vier von Erleichterung durchflutet wurden. »Allerdings unter ein paar Bedingungen. Kain und Darian, bitte sucht nach ihrer Gruppe. Sie müssen sich irgendwo in der U-Bahnstation des Gänsemarkts aufhalten. Laut Romy kommt man vom Stephansplatz oder über St. Pauli dorthin. Findet sie und bringt sie hierher, damit sie in Sicherheit sind.«
Beide neigten respektvoll den Kopf, ehe sie sich auf den Weg machten, um Romys Leute zu suchen. Tanya und Aaron blickten mich weiterhin unverwandt an.
»Sobald sie Fragen zu uns hat, erzählt ihr alles, was sie wissen möchte. Habt ein Auge auf sie, ich schätze sie nicht so ein, dass sie jetzt die Füße stillhalten wird. Vielleicht versucht sie erneut zu fliehen.«
»Wie viel sollen wir ihr über uns erzählen?«, fragte Tanya.
»Beantwortet ihre Fragen ehrlich. Sie ist eine von uns, sie sollte alles über uns erfahren.«
Mit einem Nicken gingen die beiden aus dem Raum und ließen mich allein.
***
Ich ging hinaus auf die Terrasse und atmete tief durch. Ein frischer Wind zerrte an meinem Hemd, doch die Hitze, die weiterhin in mir brodelte, ließ mich die Kälte nicht spüren. Ich legte die Hände an das Geländer und lehnte mich ein Stück nach vorn, heftete mein Augenmerk auf das Wasser vor mir.
Fast war es so, als würde ich ihre Berührung noch immer sengend heiß auf meiner Hand spüren. Die Anziehung, die ich ihr gegenüber fühlte, war unglaublich. Meine Gedanken kreisten einzig und allein darum, wie nah wir uns gewesen waren, als sie die Fassung verloren hatte.
Ich hatte in ihre braunen Augen sehen können, hatte die winzigen goldenen Sprenkel darin betrachten können. Sie war atemberaubend. Ihre Art, ihr Mut und ihr Wille, ihre Gruppe retten zu wollen. Ihre Sturheit, weil sie uns nicht über den Weg traute.
Doch der Mut, den sie in sich trug, kristallisierte sich so sehr heraus. Sie war tapfer, hatte es gut aufgenommen, dass sie offensichtlich nicht gänzlich aus der Menschenwelt stammte. Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich erfahren müsste, dass meine Eltern mich mein ganzes Leben lang belogen hatten.
Wer ihr leiblicher Vater war, würde ich noch herausfinden. Ich wollte ihr alle Informationen schenken, die sie verlangte, wollte sie in die Welt der Wandler führen und ihr zeigen, dass sie eine von uns war. Außerdem musste ich ihr Vertrauen gewinnen, was vielleicht die schwierigste aller mir gestellten Aufgaben war.
Romy war misstrauisch, sie hatte bereits zu lange mit ihrer Gruppe außerhalb der Mauer gelebt. Ihr Zustand war nicht gut gewesen, als sie zu uns gebracht worden war. Vielleicht würde sie sogar einen weiteren Fluchtversuch starten. Ich konnte es ihr nicht einmal verübeln, dass sie versuchte hier auszubrechen.
Bisher hatte sie uns Drachenwandler nicht kennengelernt, sie wusste nur das, was sie selbst gesehen hatte, und das war die Zerstörung ihrer Heimat. Ich bedauerte es zutiefst, dass unser Herkommen so ausgeartet war, dass die Menschen augenblicklich mit Gewalt geantwortet hatten.
Aber was hatte ich mir auch gedacht, als wir noch auf Davantos gewesen waren? Dass sie uns mit Freude auf ihrem Planeten begrüßen würden? Nein. Ich hätte vorsichtiger und bedachter an die Sache herangehen müssen, doch mittlerweile war es zu spät.
Ich atmete noch einmal tief durch, sog die frische Luft in meine Lungenflügel, ehe ich mich von dem Geländer abstieß und zurück ins Innere des Gebäudes ging.
Jakob
»Habt ihr was?«, fragte ich in das Funkgerät, welches an dem Gurt meines Rucksacks befestigt war. Wie so oft waren wir außerhalb, befanden uns nicht mehr in der sicheren Dunkelheit des Tunnels. Aber es war notwendig. Schließlich ging es hier um Romy.
Es hatte Wolf nicht gefallen, als ich entschied nicht den Bundeswehrstützpunkt im Osten anzusteuern, den Marie ausfindig gemacht hatte, sondern nach Romy zu suchen. Sie war seit wenigen Tagen verschwunden und die Hoffnung, dass wir sie finden würden und es ihr gut ging, war bereits nach den ersten vierundzwanzig Stunden so gering geworden, dass ich sie eigentlich aufgeben wollte.
Doch der andere, winzig kleine Teil in mir konnte es nicht. Ich konnte nicht einfach nichts tun oder zur täglichen Routine übergehen, wenn ich wusste, dass sie hier vielleicht irgendwo draußen war. Vielleicht war sie verletzt und brauchte unsere – meine – Hilfe. Ich würde es mir nie verzeihen können, wenn ich nicht alles versucht hätte, um sie zu finden.
»Nein, nichts. Jakob, Mann, hör zu …«
Ich unterbrach Aleksandar augenblicklich. »Ich will es nicht hören, Aleks. Sag mir nicht, dass sie vermutlich tot ist«, knurrte ich in das Funkgerät. Ein Klicken ertönte, ein darauf folgendes Rauschen – doch die Antwort blieb aus.
Ich fuhr mir wütend über das Gesicht und durch die Haare. Fast hätte ich noch einen verzweifelten Schrei ausgestoßen, doch ich konnte mich zügeln. Es brachte doch sowieso nichts. Ich bemerkte eine Hand auf meiner Schulter und blickte mich um. Es war Finja, die mir ein zaghaftes Lächeln schenkte.
»Hey«, sagte sie sanft, als wäre ich eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment losgehen könnte.
Ich spürte tief in meinem Inneren, dass es so war. Und würde ich explodieren, würde ich alles um mich herum zerstören. Aber so war es halt, oder? Ich hatte Romy von Anfang an beschützt. Seit diese verdammten Wandler auf die Erde gekommen waren, hatte ich darauf achtgegeben, dass ihr nichts passierte. Oder sie aus den brenzligen Situationen herausgeholt.
Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf. Bilder, die das verletzte, völlig verängstigte Mädchen auf der Straße zeigten. Ich sah ihr Sommerkleid vor mir und die nackten schmutzigen Füße. Spürte fast wieder ihr Gewicht auf meinen Armen, als ich sie tragen musste. Wir hatten es bis zur Universität geschafft und wir hatten es auch wieder heraus geschafft.
Wie in einem Fingercomic huschten die Ereignisse an mir vorbei. Romy, die mich mit sich zerrte, als Anna getötet worden war. Romy, die Marie half, die Kugel aus meinem Bein zu holen. Romy, die eine Panikattacke erlitt, als ich sie daraufhin zurückholte. Der Streit bei der Suche nach einem neuen Versteck, der folgende Kuss.
Verdammt. Wir hatten so viel durchgestanden, hatten einander immer und immer wieder zurückgeholt und gerettet und jetzt sollte ich sie verloren haben? Wenn die Wandler sie wirklich hatten, wenn sie hinter der Mauer war …
Ich wollte nicht einmal daran denken, was ihr zustoßen würde.
»Lass einfach gut sein, Finja«, sagte ich abrupt und schob ihre Hand von meiner Schulter, als wäre sie nur eine Last. Und das war sie auch irgendwie. Ich wollte keine tröstenden Worte, ich wollte kein Mitgefühl, weil wir sie nicht finden konnten.
Vielleicht musste ich das Thema einfach abhaken und akzeptieren, dass wir nichts tun konnten.
Aber das schien unmöglich zu sein.
»Lass uns gehen. Es bringt nichts, außerdem wird es bald dunkel.« Ohne Finja noch einmal anzusehen, trat ich den Rückweg an. Ich hörte, wie sie den Befehl an die anderen per Funk weitergab, doch es scherte mich nicht. Meine Gedanken waren ein reines Achterbahnchaos und standen nicht still, es fühlte sich an, als würden sie immer wieder den gleichen Looping durchfahren. Und diesem hafteten Hunderte Bilder von Romy an, die ich immer und immer wieder sah.
***
Zurück am Bahnsteig trafen wir auf Aleksandar und Markus, die ebenfalls bei der Suche beteiligt waren. Wieder traf mich eine Woge an Mitleid, die ich jedoch geflissentlich zu ignorieren wusste. Wenn es so weiterging und alle mich nur noch in Watte packten, würde ich wahrscheinlich doch wie eine Bombe hochgehen.
Mein Weg führte mich zu Wolf, der bei offener Tür in einem der Kioske stand und sich rasierte. Auf unserem letzten Streifzug hatten wir Rasierschaum gefunden, was für viele hier unten wahrem Luxus glich.
»Was? Willst du dich ausheulen, weil du die kleine Nervensäge nicht gefunden hast?«, fragte der Generalmajor abwertend, ohne mich anzusehen. Sein Gesicht im Spiegel war verzerrt; durch die ganzen Splitter und den Schmutz bezweifelte ich, dass er genau sehen konnte, was er dort mit der Rasierklinge in seinem Gesicht anstellte.
»Nein. Ich will mit zu dem Stützpunkt.«
Nun war es an Wolf, ein kaltes Lachen auszustoßen und mich doch anzusehen. Die Hälfte seiner rechten Wange war noch mit weißem Schaum bedeckt, die andere leicht gerötet durch das Rasieren.
»Ich dachte, es wäre dir wichtiger, die Kleine zu finden.«
Es nervte mich, dass er sie nicht bei ihrem Namen nannte. Doch ich presste nur kurz die Kiefer aufeinander, ehe ich einen tiefen Atemzug tat und mich zur Ruhe zwang. Es brachte mich nicht in meinem Vorhaben weiter, wenn ich Wolf gegenüber jetzt frech wurde. Er war immer noch Generalmajor und mit seinem Rang demnach sehr weit über mir.
Auch wenn das vielleicht in der heutigen Zeit nicht mehr allzu wichtig war, konnte ich diesen Fakt nicht ignorieren. Es war mir in Mark und Bein übergegangen, Menschen zu respektieren. Vor allem Vorgesetzte.
»Ich jage niemandem hinterher, den wir sowieso nicht finden können. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was uns weiterbringt, und das ist definitiv dieser Bundeswehrstützpunkt.« Mit jedem meiner Worte spürte ich einen dumpfen Schmerz in der Brust. Es war zwar die Wahrheit, doch nicht die, die ich gerne glauben wollte. Je eher ich Romy allerdings hinter mir ließ, desto effektiver würde ich wieder arbeiten können. Und wir konnten es uns nicht leisten, dass noch einer von uns starb.
Wolf sah mich abschätzend durch sein verbliebenes Auge an. Es war mittlerweile ganz gut verheilt und die Augenklappe, die wir gefunden hatten, verlieh seinem sowieso schon groben Aussehen den letzten Schliff. Dunkel erinnerte ich mich an die Situation am Schanzenpark.
Ein Berkan hatte Wolf erwischt und ihm das Auge mit den Stacheln seines Schweifes ausgestochen; dass er überlebt hatte, glich einem Wunder. Es zeigte jedoch auch, wie zäh dieser verdammte Mistkerl war.
»Gut. Melde dich vor Sonnenaufgang bei Markus, er leitet den Einsatz. Wir haben genug Zeit vertrödelt bei der Suche nach diesem Mädchen.« Er wandte sich wieder dem Spiegel zu und beendete seine Rasur. Ich nickte kurz, ehe ich mich umdrehte und zum Bahnsteig ging. Die Treppen führten mich auf das Gleisbett, Kies knirschte unter meinen schweren Stiefeln, als ich auf Daniar zuging, um ihn abzulösen.
»Die nächste Wache ist meine«, sagte ich und schlug ihm kurz freundschaftlich auf die Schulter. Er nickte, gab das Sturmgewehr an mich weiter und verließ seinen Posten.
***
Mit der Nacht kehrte langsam Ruhe in den Bahnsteig ein und ich nutzte die Gelegenheit, um meine Taschenlampe anzuschalten und im Tunnel selbst zu patrouillieren. Es hatte etwas Beruhigendes an sich, Dinge zu tun, die ich seit Jahren tat. Ich fühlte mich endlich wieder wie der Soldat, der ich nun mal war.
»Sie ist tot, oder?«, flüsterte eine Stimme gebrochen, als ich am Anfang des Tunnels ankam und eine dunkle Silhouette auf den Treppen zum Stephansplatz wahrnahm. Ich knipste die Taschenlampe aus und trat in das trübe Mondlicht, setzte mich gegenüber der Gestalt und lehnte den Rücken gegen die kalte Mauer.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Die kleine nervige Stimme war zurück, die sich noch immer an das letzte bisschen Hoffnung klammerte. Doch im Grunde war sie nutzlos, denn es gab keine magische Verbundenheit zwischen zwei Menschen, die einen spüren ließ, wenn dem anderen etwas zugestoßen wäre. Ich tappte völlig im Dunklen – und wenn ich realistisch die Fakten betrachtete, war sie tot. Und das hätte ich bei jedem anderen akzeptiert, doch für all die anderen hegte ich keine tieferen Gefühle. Sie waren Teil der Gruppe, die uns am Leben erhielt, aber Romy war anders. Sie war … sie war einfach Romy.
Ich zwang die Gedanken an sie, die erneut hochkamen, nieder und sah zu Luca, der etwas verloren wirkte und in den Nachthimmel starrte. Dicke Wolken schoben sich vor den Vollmond und ließen so auch das letzte Quäntchen Licht erlöschen.
»Wäre ich bloß mit ihr gegangen. Ich wusste doch, dass sie zum Dammtor wollte wegen dieses bescheuerten Steins! Wieso bin ich nicht mit ihr gegangen? Vielleicht hätte ich sie retten können, vielleicht hätte ich …«
Ich beugte mich vor und stieß Luca mit dem Lauf des Gewehres gegen den Schuh. Sein verzweifelter Blick huschte zu mir, seine Wangen waren tränennass und die Augen gerötet. Die Wolken hatten sich ein Stück weit verzogen und den Mond wieder freigegeben, welcher sein kaltes Licht auf das blasse Gesicht meines Gegenübers warf. Er sah elend aus.
»Du hättest nichts tun können, Luca. Wärst du mitgegangen, hätten wir zwei gute Leute verloren.«
Luca presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und starrte auf einen unbestimmten Punkt auf den Treppen. Ich konnte seinen Verlust nachvollziehen, ja sogar fast seinen Schmerz greifen. Schließlich fühlte ich den Verlust von Romy mit jeder Faser meines Körpers. Doch wir mussten weitermachen und konnten nicht den Geistern der Gefallenen hinterherjagen. Konnten unsere Wünsche nicht an die Spitze der Prioritäten stellen.
Nicht in dieser Welt.
Romy
Mein Atem ging unregelmäßig und ich schlug die Decke zurück. Die Beine schwang ich über den Rand des Bettes. Dann schloss ich die Augen und verbarg das Gesicht in den Händen. Was war das für ein furchtbarer Traum gewesen? Meine eigenen Leute hatten mich umgebracht, weil ich zum Teil eine Wandlerin war. Wie viel Wahrheit steckte in diesem Traum? Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, fürchtete ich, dass sehr viel Wahrheit in ihm verborgen war. Sie hassten die Wandler, allen voran Wolf, der Generalmajor der Bundeswehr, der mich im Traum erschossen hatte.
Mittlerweile war es tiefste Nacht und das Zimmer hatte sich in Dunkelheit gehüllt. Tausend Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher und an Schlaf war jetzt definitiv nicht mehr zu denken. Zu der Frage, wer ich war, gesellte sich nun auch noch die Last, dass ich für die Wandler wichtig war.
Ich war diejenige, die die Splitter aufspüren konnte. Ich war das Kind irgendeiner Prophezeiung einer Spezies, von der ich vor ein paar Wochen nichts geahnt hatte. Wie hatte sich alles so schnell verändern können? Wie war es möglich, dass ich eine Wandlerin sein sollte? Und wie zur Hölle sollte ich die Splitter des Lebenssterns finden? Den ersten hatte ich durch Zufall gefunden, unbeabsichtigt. Wie also sollte ich es jetzt schaffen, gezielt nach den übrigen Splittern zu suchen?
Es war nicht so, dass ich eine innere Karte besaß und die Splitter dort hell leuchteten und mir genau zeigten, wo sie sich befanden. Es war eher so, dass das Wissen spontan kam, ungeplant. Jedenfalls war es so vor zwei Tagen gewesen, als ich eine sanfte Wärme in meinem Inneren wahrgenommen hatte.
Wenn ich jetzt darüber nachdachte, war es das gleiche Gefühl, welches ich im Stadtpark empfunden hatte, als die Meteoriten vom Himmel gefallen waren. Es war diese seltsame Vertrautheit, die ich mir immer noch nicht erklären konnte, dieses Gefühl, als würde ich selbst durch die Splitter endlich ganz sein.
Kaum zu glauben, dass ich erst vor zwei Tagen den Splitter gefunden und Luca gezeigt hatte. Luca. Er ging wohl davon aus, dass ich tot war, denn ich war bisher immer zurückgekommen. Jetzt war es bereits die zweite Nacht, die ich nicht bei ihnen war.
Ehe ich es mich versah, stand ich am Fenster und blickte nach draußen. Das Mondlicht brach sich in der Elbe und ließ sie silbern glitzern. Die Bilder meines Albtraums schoben sich wieder in mein Bewusstsein und ich zwang mich, nicht mehr daran zu denken. Draußen sah alles so friedlich aus, doch ich wusste es besser. Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf. Die Nacht war klar und wunderschön und die Sterne funkelten.
Ob Wolf ein Team losgeschickt hatte, um mich zu suchen? Sie konnten ja nicht wirklich wissen, dass ich eine Wandlerin war. Mein Traum war völlig verquer gewesen und nachdem das mit Thomas geschehen war, hatten wir innerhalb unserer Gruppe endlich eine Regel aufgestellt. Wenn einer von uns nach vierundzwanzig Stunden nicht zurückkehrte, wurde ein Suchtrupp losgeschickt, um den Vermissten zu finden. Sie suchten zwei Tage, dann ging man davon aus, dass derjenige tot war.
Wenn die Sonne aufgehen würde, blieben meiner Gruppe nur noch wenige Stunden, um mich vergebens zu suchen. Denn ich befand mich innerhalb der Mauern der Drachenstadt und dorthin würde keiner freiwillig gehen. Immerhin sah es von außen so aus, als würden die Menschen gefangen, versklavt und getötet werden. Das hatte auch ich all die Zeit lang geglaubt. Ich atmete tief durch und sagte mich von dem Blick aus den Fenstern los.
Meine Glieder waren zwar schwach und jeder Muskel gierte nach etwas Ruhe, doch meine Gedanken liefen auf Hochtouren, ich konnte sie nicht abstellen. Deshalb schlüpfte ich in die Schuhe und tat das, was ich früher schon getan hatte, wenn ich nicht schlafen konnte; ich lief herum.
***
Mit Erstaunen stellte ich fest, dass die Tür nicht abgeschlossen war und ich problemlos auf den Flur gelangte. Eine der beiden Wachen, die mich vorhin zum Abendessen begleitet hatten, folgte mir in wenigen Metern Entfernung. Als ich mich für die Treppen entschied, anstatt den Fahrstuhl zu nehmen, hörte ich ein leises Schnauben hinter mir.
Ich blickte über die Schulter hinweg zu ihm. »Ich brauche keinen Babysitter.«
»Anweisung von Greyer«, brummte der Wachhabende mit tiefer Stimme und ich verdrehte die Augen.
»Und wenn Greyer sagt: ›Spring aus einem Fenster!‹, tust du es dann?«
»Wenn das sein Wunsch ist.«
Ein Schnauben verließ nun meine Kehle und ich richtete kopfschüttelnd die Aufmerksamkeit wieder auf die Treppen vor mir. Ich wollte nicht an Greyer denken, denn dann spürte ich wieder das Kribbeln im Bauch und die Anziehungskraft, die mich dumme Dinge tun ließ. Also konzentrierte ich mich auf die Stufen. Achtzehn Stockwerke nach unten zu laufen war schon eine Aufgabe, doch es beruhigte mich irgendwie.
Der Gedanke, mich in ein weiches Bett zu legen und plötzlich so etwas wie Normalität um mich herum zu spüren, behagte mir nicht. Ich fühlte mich wie Rick Grimes aus The Walking Dead, als er endlich in Alexandria war und es ihn doch stets nach draußen zog, wo die Beißer nach seinem Fleisch gierten. Wie dumm es war, sich vor der Sicherheit zu fürchten! Denn das war es innerhalb der Mauern – sicher. Das musste ich einsehen.
»Vielleicht solltest du schlafen, anstatt durch die Flure zu geistern.«
»Ich geistere nicht. Vielleicht solltest du dir einfach eine andere Beschäftigung suchen und mich nicht ständig verfolgen. Müsst ihr nicht noch mehr Menschen hierher verschleppen?« Als ich mich umdrehte und ein paar langsame Schritte rückwärts ging, verzog der Wandler seine Lippen zu einem belustigten Grinsen.
»Du hast bereits den Beweis, dass wir nicht so böse sind, wie ihr geglaubt habt. Warum also noch immer so misstrauisch?«
Ich presste die Lippen aufeinander und konnte ihm tatsächlich keine vernünftige Antwort darauf geben. Misstrauen von heute auf morgen einfach so beiseitezuschieben funktionierte halt nicht. Aber die Wandler hatten vermutlich ein ganz anderes Gefühlsspektrum als die Menschen. Und ich würde es früher oder später kennenlernen. Ich hatte so viele Fragen, die noch gestellt werden sollten.
»Ich muss nur an die Zeit denken, die ich draußen gelebt habe. Oder aus einem der vielen Fenster schauen; ihr habt nämlich einiges zerstört, falls dir das nicht aufgefallen ist.«
»Es waren eure Bomben, die vom Himmel fielen, nicht unsere.«
»Ich glaube nicht, dass ich weiter mit dir diskutieren möchte. Bist du eigentlich Ernie oder Bert?«, fragte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich es mit Lean oder Jendrik zu tun hatte, vermutete aber, Ersteren vor mir zu haben. Mittlerweile lief ich wieder vorwärts, hatte mein Tempo verlangsamt und ging neben dem Wandler her.
Sein schwarzes Shirt spannte sich über die Muskeln. Diese Aufmachung sollte wohl Respekt einflößend wirken, ich war mir jedoch nicht sicher, ob ich das zu kleine Shirt nicht einfach nur albern finden sollte.
»Mein Name ist Lean. Nicht Ernie und auch nicht Bert.«
Das erste Mal seit langer Zeit wollte sich ein Lachen aus meiner Kehle stehlen. Wie seltsam doch alles war.
»Wie läuft das hier eigentlich ab? Greyer ist euer Anführer? Wie ein Präsident oder so?«
In Leans Miene war absolut nichts zu lesen. Wenn er genervt von mir und meiner Fragerei war, ließ er sich nichts anmerken, und das musste ich ihm vermutlich hoch anrechnen. Ich an seiner Stelle wäre sicherlich genervt von mir gewesen, doch es gab einfach zu viel, was unklar war.
»Er ist unser Anführer, ja. Nachdem der Dracarian zerstört worden war, brauchten wir jemanden, der uns Hoffnung schenkte. Das tat Greyer. In unserer dunkelsten Stunde war er für sein ganzes Volk da. Der Dracarian wird ihn auserwählen, sobald er wieder zusammengesetzt ist.«
»Auserwählen?«
»Unser Lebensstern ersucht einen Wandler und überträgt diesem die ehrenvolle Aufgabe, der Hüter des Dracarian zu sein. Nur ihm oder ihr ist es gestattet, Anführer der Wandler zu sein und uns in eine glorreiche Zukunft zu führen. Greyer ist der Auserwählte, da bin ich mir sicher.«
»Na, na, Lean. Bei deinen Lobeshymnen werde ich ja noch ganz rot«, ertönte die leicht scherzende Stimme von Greyer und ich spürte sofort, wie sich eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper ausbreitete. »Lässt du uns einen Moment allein?«, bat er meinen Aufpasser, woraufhin dieser sich verneigte und tatsächlich ging.
Ich biss mir auf die Zunge und verschränkte die Arme vor der Brust. Dass ich mit Greyer allein war, jagte mir Schauer über den Rücken, gegen die ich mich zu wehren versuchte. Ich wollte seine Nähe nicht mögen oder gar herbeisehnen. Ich wollte … ihn hassen? Vielleicht.
Greyer bedeutete mir, dass wir ein Stück gehen könnten, und ich setzte mich in Bewegung.
***
»Die Wandler scheinen sehr viel von dir zu halten«, merkte ich an.
Greyer führte mich nach draußen, wo ich von der Kälte der Nacht umfangen wurde. »Jeder andere hätte das Gleiche getan, was ich getan habe.« Er gab sich so, als wäre es keine große Sache.
»Erzähl mir von dem Dracarian«, bat ich ihn und strich eine Strähne, die mir ins Gesicht geweht wurde, hinters Ohr. Es war so ungewohnt, dass sie einfach über meiner Schulter aufhörten. Ich erinnerte mich nicht einmal daran, dass ich jemals so kurze Haare getragen hatte.
»Der Dracarian ist unser Lebensstern«, begann er. Obwohl ich das bereits aus den verschiedenen Informationshäppchen herausgehört hatte, lauschte ich gebannt auf seine Worte. »Du musst es dir wie eine Art Energiekern vorstellen, der einen ganzen Planeten mit Leben füllt. Durch ihn blühen die Blumen auf Davantos, das Gras ist kräftig grün und wunderschön. Durch den Dracarian leben die Tiere, leben wir. Wir haben unsere Kräfte durch ihn erhalten.«
»Die Kraft, sich in einen Drachen zu verwandeln?«
Der Wind frischte auf und ich fröstelte. Vielleicht hätte ich mir doch eine Jacke überziehen sollen, als ich aufgestanden war. Aber draußen einen Spaziergang mit Greyer zu unternehmen, hatte nicht auf meinem Plan gestanden. Es stand auch jetzt eigentlich nicht zur Debatte, denn ich wollte die Wandler noch immer verachten.
Ein Teil von mir tat es. Aber ein anderer, wahrscheinlich der, der selbst Wandler war, sehnte sich nach Informationen. Danach herauszufinden, wer ich wirklich war. Was ich wirklich war. Selbst für die Wandler war ich ein Phänomen, denn Greyer hatte gesagt, dass es noch nie jemanden wie mich gegeben hat.
»Unter anderem, ja«, bestätigte er. Ehe ich es mich versah, streifte er seine Jacke von den Schultern und legte sie mir um. Ein fremder Geruch umhüllte mich und für den Bruchteil einer Sekunde schien mein Herz stehen bleiben zu wollen. In meinem Magen tanzten mit einem Schlag Tausende Schmetterlinge, die mir das Gefühl gaben, als würde es in mir rebellieren wollen. Ob vor Aufregung oder wegen irgendetwas anderem, wusste ich nicht.
»Wie ist es, ein Drache zu sein?«, fragte ich daher weiter, ohne auf Greyers fürsorgliche Geste einzugehen.
»Es ist fantastisch. Du hast das Gefühl, frei zu sein. Wenn du dich mit deinen Flügeln in die Lüfte schwingst und weißt, dass sie dich überallhin tragen werden. Das ist das Beste, was es gibt.« Sein Blick war gen Himmel gewandert. Wir beide blieben stehen, ohne es wirklich zu merken, und sahen hinauf.
Ich stellte mir vor, wie es wäre, fliegen zu können. Wahrhaftig fliegen, den Wind unter den Flügeln und auf der Haut spüren zu können. Es musste atemberaubend sein. Würde ich es auch können? Oder war ich gar nicht dazu in der Lage, mich in einen Drachen zu verwandeln? Obwohl ich jetzt etwas mehr über die Wandler erfahren hatte, war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich die Dinge konnte, die sie konnten.
»Ich … es ist spät«, holte ich mich selbst zurück in die Wirklichkeit. Ich spürte tief in mir, wie ich die Zeit mit Greyer viel zu sehr genoss.
»Natürlich, ja. Du musst erschöpft sein, nach all den Strapazen. Es war viel für dich in der letzten Zeit.« Verständnisvoll schaute er mir in die Augen und ich hatte prompt das Gefühl, mich jeden Moment in seinen zu verlieren. Ohne Vorwarnung begannen sich Greyers Iriden heller zu verfärben, zu leuchten, bis das triste Blau einem wunderschönen Türkis wich. Er schlug den Blick nieder und kniff sich in den Nasenrücken.
»Ich bringe dich hinein.«
***
Fast den ganzen nächsten Tag befasste ich mich ausführlich mit den Sachen, die sich in meinen Schränken befanden. Ich sortierte die Teile, die nicht in meiner Größe waren, aus und gab sie Lara mit, als diese mir ihre Hilfe anbot.
Nach dem nächtlichen Spaziergang mit Greyer war mein Kopf bis zum Platzen gefüllt gewesen mit Gedanken, doch ich hatte tatsächlich ein paar Stunden Ruhe finden können. Irgendwie hatte er etwas Beruhigendes an sich, was total widersprüchlich war zu dem ganzen Gefühlschaos, das ich jedes Mal verspürte, wenn er in der Nähe war.
Wenn ich hinausging, folgte Lean mir, und so verließ ich das Westin Hotel und schlenderte durch die Drachenstadt. Innerhalb des Gebäudes fühlte ich mich furchtbar beengt und würde niemals auch nur den Hauch des nächsten Splitters spüren. Es waren noch drei Splitter, die es zu finden galt, den ersten hatten die Wandler selbst entdeckt. Tanya hatte mir beim Frühstück erzählt, dass jeder, ganz gleich ob Wandler oder Mensch, in der Lage war, die Splitter zu finden und zu berühren. Allerdings war es nur mir vorbehalten, sie aus weiter Entfernung zu spüren.
Menschen sahen in den Splittern bloß rubinrote Steine, ganz so, wie Luca es in dem gesehen hatte, den ich ihm an jenem letzten Abend gezeigt hatte. Wandler hingegen spürten die Kraft des Dracarian, allerdings nur in unmittelbarer Nähe. Sie würden wohl jeden Zentimeter ablaufen müssen, um die Splitter zu finden, was unheimlich lange dauern würde.
Da kam ich dann ins Spiel, auch wenn ich noch immer keine Ahnung hatte, wie ich sie finden sollte. Es war nicht so, dass ich es kontrollieren konnte – dieses Gefühl kam einfach irgendwie, irgendwann. Ich wusste nicht, was es auslöste oder beeinträchtigte, ich wusste gar nichts.
Der Druck, die große Hoffnung der Wandler zu sein, wollte mich schier zermürben, und mit jeder Minute, die ich nichts spürte, fühlte ich mich unbrauchbarer. Es war, als würden alle Blicke auf mir liegen und warten, dass mir Flügel wuchsen, doch es passierte nichts.
Für die Wandler selbst wäre ich, trotz des Gesprächs mit Greyer, nicht hiergeblieben und hätte diesen Zirkus mitgemacht. Es ging mir um meine Leute, um die Menschen. Wenn die Wandler erst einmal ihren Lebensstern zurückhatten, würden sie die Städte wieder herrichten. Das holte die Toten zwar nicht zurück, aber wir würden eine Chance erhalten, von Neuem zu beginnen und das Kapitel hinter uns zu lassen.
Zum Abendessen erschien ich erst gar nicht. Ich hatte mir einen Stuhl an die Fensterfront gezogen und ein Buch geschnappt, doch irgendwie saß ich nur da und starrte auf das Wasser.
Wie versprochen hatte Greyer eine Gruppe zusammengestellt, die nach meinen Leuten suchte. Ich wartete sehnsüchtig auf deren Rückkehr, hoffte inständig, dass Jakob, meine Mutter und all die anderen dabei waren, doch mit jeder Stunde, die sie länger fort waren, schwand meine Hoffnung mehr.
Auch wenn die Wandler sie in den U-Bahntunneln fanden, sie würden niemals kampflos mit ihnen gehen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, mich nicht selbst aufzumachen? Aber vermutlich hätte Greyer mich niemals nach draußen gelassen.
Das Buch glitt mir aus den Händen und kam auf dem Boden auf. Erschrocken fuhr ich zusammen und blickte mich um, mein Herz raste. Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich mich gar nicht mehr erinnerte, ein Buch in die Hand genommen zu haben. Erschöpft strich ich mir durchs Haar, nahm das Buch wieder auf und legte es auf den kleinen Nachtschrank.
Der Funkwecker zeigte zwei Uhr morgens. Ich brauchte dringend Schlaf. Ohne mir den Pyjama anzuziehen, der am Fußende der Bettdecke lag, warf ich mich in die Laken und schloss die Augen. Ich schob die Gedanken an Jakob, Luca und alle anderen beiseite und hoffte auf einen ruhigen, traumlosen Schlaf. Doch der war mir einfach nicht vergönnt.
***
Die Umgebung war mir unbekannt. Ich befand mich in einem großen steinernen Saal, in dessen Mitte ein kreisrunder Tisch mit fünf massiven Stühlen stand. An den grauen Wänden kletterte meterlanger Efeu empor und bedeckte den Großteil des Raumes. Selbst der Sockel des Tisches war mit den grünen Blättern bedeckt.
»Seht ihr denn nicht, dass wir viel mehr erreichen könnten? Die Welten sollten uns untergeordnet sein, wir sind viel mehr wert, wir sind göttergleiche Geschöpfe!«, brüllte eine tiefe Stimme hinter mir, die mir durch Mark und Bein ging. Ich wollte mich umdrehen, sehen, wer mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, doch zwei starke Hände hielten mich fest umklammert. Ich fühlte mich seltsam, fast, als wäre ich nicht in meinem eigenen Körper.
Vor mir konnte ich nun vier Gestalten erkennen. Sie waren groß, auf ihren Rücken prangten wunderschöne Drachenflügel und ihre Augen hatten die unterschiedlichsten und eigentümlichsten Farben, die ich je gesehen hatte. Es waren zweifellos Drachenwandler. Eine Frau, deren Haar so rot war wie Feuer und ihr in langen Locken bis zu den Hüften reichte, trat hervor. Ihre Flügel schimmerten orange und zuckten, als spürte sie die Gefahr, die von mir ausging.
Eine unheimliche Macht durchströmte mich, als die Hände mich fester umklammerten. Ich fühlte mich unwohl, Flammen tanzten in meinem Inneren und ich spürte, dass derjenige, der mich hielt, böse Absichten hatte.
»Kasimir, es ist nicht richtig, über andere Welten herrschen zu wollen. Dazu wurden wir nicht geschaffen. Wir leben glücklich und zufrieden auf unserem Planeten, das hat schon immer gereicht. Wieso dürstet es dich nach so viel mehr?«
»Ach, Luran, ich hatte gerade von dir stets gedacht, du würdest nach mehr streben. Zu schade, dass auch du dich gegen mich stellst.« Seine Stimme vibrierte in meinem Inneren, plötzlich stieß er mich nach vorn und ich spürte, wie ein höllischer Schmerz durch mich hindurchschoss – als ich zur Waffe wurde.
Rubinrotes Licht brach aus mir heraus und bündelte sich in einem einzigen kraftvollen Lichtstrahl, der die Frau vor mir ergriff. Sie schrie, Feuer erfasste sie und verbrannte sie bei lebendigem Leibe.
Etwas in mir zerbrach, als die Wandlerin durch meine Hand starb, ich fühlte mich, als wäre ein Teil von mir mit ihr verbrannt. Hinter mir ertönte das eisige Lachen des Wandlers, den sie Kasimir genannt hatte. Er erhob sich mit Leichtigkeit in die Lüfte und benutzte meine Macht, um die übrigen drei Wandler zu töten.
Ich wollte schreien, versuchte mich zu wehren, doch ich war in einem Körper gefangen, der nicht dazu in der Lage war. Mit jedem Mord zerbrach ich mehr, bis ich schließlich gänzlich zersprang.
***
Keuchend fuhr ich aus dem Schlaf. In der Mattscheibe des dem Bett gegenüberstehenden Fernsehers konnte ich erkennen, wie meine Augen rot glühten. Mein Shirt klebte schweißnass am Rücken, einzelne Haarsträhnen hingen mir feucht in die Stirn. Ich rang nach Luft, presste die Hand auf den Brustkorb und versuchte meinen wilden Herzschlag zu beruhigen.
Was war das? Es konnte kein gewöhnlicher Traum gewesen sein, denn ich hatte all das, was geschehen war, gespürt. Den Schmerz, die Kraft, all das ging von mir aus. Es war, als würde ich den Schmerz tief im Inneren immer noch spüren.
Was allerdings viel wichtiger war und was ich erst richtig registrierte, nachdem mein Herz sich langsam, aber sicher beruhigt hatte, war, dass ich den nächsten Splitter deutlich vor mir sah. Ich erkannte die Umgebung, in der er sich befand.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Lean stand im Türrahmen. Mein Atem ging noch immer schwer, ich starrte ihn aus immer noch rot glühenden Augen an.
»Bei unserer Göttin«, hauchte Lean und schlug die rechte Faust kurz über sein Herz. Es war eine Geste, als würden wir Menschen uns bekreuzigen. »Du musst sofort zu Greyer.«
Hastig schlug ich die Decke beiseite und stand auf. Mein Fuß verfing sich in einem der Laken und ich wäre fast hingefallen, hätte Lean mich nicht gestützt. Macht pulsierte in mir und ließ meine Glieder zittern. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.
»Was passiert hier?«, brachte ich keuchend hervor, als ich sah, dass meine Hände von einem roten Leuchten erfasst wurden. Es war, als würde eine Art Rauch um sie herumwabern, als würde die Macht aus meinen Poren treten. Was, wenn ich sie nicht halten konnte?
»Ich weiß es nicht.« Lean schüttelte hilflos den Kopf, während er mich weiterhin festhielt.
***
Auf dem Flur befahl Lean Jendrikh, Greyer zu benachrichtigen, dass etwas mit mir nicht stimmte. Lean hatte einen Arm um meinen Körper geschlungen. Aus eigener Kraft konnte ich nicht stehen. Meine Beine waren wie Wackelpudding und alles schien irgendwie in weite Ferne zu rücken. Präsent waren nur der Schmerz und das Gefühl zu zerbersten.
Ich sah die Morde vor mir, sah, wie das rote Licht aufflammte und einen weiteren Wandler auslöschte. Anstatt dass es mir besser ging und die Schmerzen abflachten, hatte ich das Gefühl, dass es mit jeder Sekunde nur noch schlimmer wurde. Kalter Schweiß brach aus und Lean half mir mich gegen die Wand zu lehnen.
Ich schloss die Augen und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren, doch der Druck in meinem Brustkorb war so stark, dass ich fürchtete, ich selbst würde einfach so zersplittern, wenn ich zu tief Luft holte.
»Der Splitter …«, brachte ich keuchend hervor, »ich sehe ihn.«
Lean war vor mir in die Hocke gegangen. Ich krallte mich in seine Oberarme, um mich an irgendetwas festhalten zu können. Rückblickend würde das einer der schlimmsten Momente in meinem Leben sein. All der Schmerz, physisch wie auch psychisch, der in mir wohnte, drohte mich zu zerstören. Er brachte mich um. Als das rote Wabern meine Oberarme hinaufkroch, schrie ich vor Schmerz auf.
»Lean! Was ist geschehen?«, rief eine bereits vertraute Stimme und keine Sekunde später kam Greyer in mein langsam verschwimmendes Blickfeld.
Ich starrte ihn aus rot glühenden Augen an. »Splitter«, stieß ich hervor, nicht mehr in der Lage, einen ganzen Satz zu formulieren.
»Ruhig, Romy, alles ist in Ordnung.« Greyer griff nach meiner Hand. Die schwarzen Linien seines Tattoos krochen von seinem Hals über den Arm bis hin zu unseren verschlungenen Händen. Als sie mich berührten, sog Greyer die Luft scharf ein und ich keuchte. Seine Augenfarbe veränderte sich, bis sie rubinrot schimmerte. Ich konnte nichts tun, außer in seine Augen zu starren. Zu sehen, was er sah – meinen Traum.
Der Schmerz bäumte sich noch einmal in mir auf, als wolle er mich nicht gehen lassen, dann aber verebbte er langsam und ließ nichts weiter als ein warmes Brennen zurück, welches mich nur noch an ihn erinnerte.
Greyer schloss die Augen, schmerzverzerrt war sein schönes Gesicht. Als er die Lider wieder aufschlug, verging das Rot in seinen Augen und zurück blieb nur die hellblaue Iris.
»Was war das?«, fragte ich völlig erschöpft. Greyer hielt noch immer meine Hand.
»Das ist nicht von Bedeutung. Hauptsache ist, dass es dir besser geht. Kannst du mir sagen, wo sich der Splitter befindet?« Er legte seine freie Hand an meinen Hals, schaute mir direkt in die Augen, die mir immer wieder zufallen wollten. Es kostete mich meine ganze Kraft, wach zu bleiben und mich daran zu erinnern, wo der Splitter sich befand.
»Ein altes Moor in Seevetal. Ihr müsst auf die andere Elbseite … Ich … ich kann euch hinführen.«
Er nickte Lean zu, dieser verschwand binnen Sekunden aus meinem Sichtfeld. Alles schien so weit weg zu sein, als wäre ich in einer himmlisch flauschigen Wolke, die mich einpackte und mir alle Schmerzen und alles Leid fernhalten wollte.
Greyers Gesicht verschwamm vor meinen Augen, ich konnte noch wahrnehmen, wie seine geschwungenen Lippen sich bewegten, doch dann war da nichts mehr.
Romy
Gefühlt hätte ich monatelang schlafen können. Immer dann, wenn ich aus dem Schlaf erwachte, fühlte ich mich noch ausgelaugter und erschlagener als das Mal zuvor. Und immer wieder flammten die Bilder und die Erinnerung an den Schmerz auf, weshalb ich mich einfach nur zurück in die Decke kuschelte und versuchte die Außenwelt komplett auszublenden.
Das, was mit mir geschehen war, konnte ich nicht so einfach abtun und weitermachen, als wäre nichts gewesen. Überdeutlich sah ich das, was mit dem Dracarian passiert sein musste. Einer der Wandler hatte mehr Macht haben wollen, war ausgetickt und hatte andere mithilfe des Lebensstern getötet.
Ich hatte deutlich gespürt, dass ich in keinem menschlichen Körper steckte, vielleicht hatte ich das, was dem Lebensstern widerfahren war, aus seiner Sicht erlebt. Aber warum? Ein weiteres Rätsel nistete sich in meinem Kopf ein, doch ich war nicht bereit, über das Wieso oder Warum nachzudenken.
Noch immer erschöpft schlug ich die Augen auf und starrte für einen kurzen Moment an die Decke. Meine Gedanken waren wieder hellwach und gönnten es mir nicht, einfach nur herumzuliegen und weiterzuschlafen. Tageslicht durchflutete den Raum, ich hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren. Hatte ich nur ein paar Stunden geschlafen – oder war es schon der darauffolgende Tag?
Ich strich mein Haar aus der Stirn und setzte mich auf, fuhr mir müde über das Gesicht. Vielleicht würde eine Dusche helfen. Das hatte sie früher jedenfalls immer getan, wenn ich noch völlig übermüdet aufgewacht war und aufstehen musste. Mit schweren Gliedern kämpfte ich mich also ins Bad, drehte das heiße Wasser auf und entledigte mich meiner Kleidung.
Das Wasser spülte meine Gedanken fort, nahm all die Fragen, die ich mir in den letzten Tagen gestellt hatte, mit sich. Und hinterließ eine neue.
Wie war ich überhaupt zurück in mein Bett gekommen? Szenarien, wie Greyer mich wie einen Kartoffelsack in das Zimmer zurückschleifte, kamen mir in den Sinn und ich lehnte die Stirn gegen die Duschwand, ließ das Wasser meinen Rücken hinabprasseln. Wollte ich überhaupt jemals wieder aus diesem Zimmer hinaus?
Es nützte alles nichts. Ich musste mich dem Leben stellen, musste wissen, ob der Splitter gefunden worden war. Und wie lange ich überhaupt geschlafen hatte.
***
Nachdem ich mir etwas angezogen und meine nassen Haare nachlässig zusammengebunden hatte, war ich hinaus auf den Flur gegangen, wo Lean mich mit einem Lächeln begrüßt hatte.
»Schön, dass du wieder da bist.«
Ich runzelte die Stirn und lugte den Gang hinunter. Jendrik war nirgends zu sehen, nur Lean verharrte vor meiner Tür.
»Wie lange war ich weg?«