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Peter erwacht aus einer Bewusstlosigkeit und befindet sich in einem Hotel in Shanghai! Wie ist er hier hergekommen und warum? Die Türe ist verschlossen. Offensichtlich wurde er entführt! Zur gleichen Zeit machen sich Justus und Bob in Rocky Beach auf die Suche nach dem verschwundenen Freund. Werden sich die drei ??? wieder finden?
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Seitenzahl: 160
Im Bann des Drachen
erzählt von Christoph Dittert
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2017, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur
ISBN 978-3-440-14955-3
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Peter Shaw schlug die Augen auf und fühlte sich furchtbar. Er kam sich vor, als hätte er eine Ewigkeit geschlafen, und gleichzeitig war er unendlich müde.
Egal! Das Bett war superbequem und die Bezüge rochen angenehm, nach Minze und Rosenblättern.
Minze?
Rosenblätter?!
So roch doch sein Bett nicht!
Peter setzte sich ruckartig auf und schaute sich im halbdunklen Raum um. Er konnte die Möbel nur erahnen. Es gab einen breiten Tisch mit Stuhl, einen großen Wandschrank und daneben viel freie Wandfläche bis zum Fenster. Viel mehr als bei ihm zu Hause. Die Rollläden davor waren heruntergelassen. Nur durch kleine Schlitze fiel Licht herein. Außerdem brummte leise eine Klimaanlage.
Verflixt – wo war er?
Wieso war er nicht in seinem Zimmer?
Der Zweite Detektiv versuchte sich zu erinnern, aber es wollte ihm partout nicht einfallen, wo er sich befand und wie er hierhergekommen war. Er tastete neben dem Kopfteil des Bettes die Wand ab und fand einen Lichtschalter.
Warmes Licht durchflutete den Raum. Peter sah nach oben. Mindestens ein Dutzend Lampen waren in der edlen Holzdecke eingelassen. Eine Tür stand offen. Sie führte in ein Bad, in dem Marmor glänzte.
Sieht aus wie ein Hotelzimmer, dachte Peter. Und zwar wie das edelste Hotelzimmer, das er je gesehen hatte. Er stand auf und ging einige Schritte zu einem großen Schreibtisch aus dunklem Holz. Eine Glasplatte lag darauf und auf dieser wiederum ein Prospekt. Er streifte ihn nur beiläufig mit seinem Blick, weil er gleichzeitig einen Schalter im Fensterrahmen entdeckte. Peter drückte ihn. Die Rollläden fuhren nach oben, quälend langsam.
Was würde er draußen zu sehen kriegen? Wo in aller Welt war er? Rocky Beach konnte es nicht sein, dort gab es kein so nobles Hotel. Los Angeles? Aber wie sollte er dorthin gekommen sein?
Er bückte sich, als ein Teil des Fensters frei lag, um nach draußen schauen zu können.
Sein erster Eindruck war: Ich bin hoch oben. Verdammt hoch oben! Der zweite: So ein verrücktes Gebäude habe ich noch nie gesehen. Das ist nicht Los Angeles.
Aber er befand sich zweifellos in einer Großstadt. Vor ihm lag eine gigantische Metropole, ein Meer aus Hochhäusern, über dem gerade die Sonne aufging.
Der Zweite Detektiv blinzelte einmal. Tatsächlich. Hinter diesem bizarren Turm mit den roten Kugeln lag ein breiter Fluss. Dahinter ragten aus einer endlosen Weite von Hochhäusern ein paar noch höher in den Himmel. Zum Beispiel zwei, die dicht nebeneinanderstanden und aussahen wie gigantische aufgedrehte Lippenstifte, die einander anschauten.
Peters Blick wanderte zurück zu dem Turm vor ihm mit den zwei, nein, drei großen Kugeln, die metallisch glänzten und in der Mitte in breiten Querstreifen rot gefärbt waren. Er erinnerte Peter an ein viel zu groß geratenes Spielzeug, das auf wuchtigen, irgendwie asymmetrischen Pfeilern ruhte. Der Turm musste ein paar hundert Meter hoch sein, mindestens …
Peter stockte der Atem.
Sein Blick wanderte zurück zum Schreibtisch, zu dem Prospekt. Darauf war die Skyline einer Stadt zu sehen und der Turm stand mitten darin. Quer über den Prospekt zogen sich chinesische Schriftzeichen, darunter standen, viel kleiner, auch vertraute Buchstaben.
Shanghai, las Peter.
»Nein, nein, nein, nein, nein«, flüsterte er. »Alles klar, Peter. Das gibt’s nicht.«
Der Rollladen war inzwischen ganz hochgefahren. Peters Blick wanderte zwischen Prospekt und Fenster hin und her. Der Turm! Dieser markante Kugelturm! Kein Zweifel. Die Skyline war identisch, wenn Peter auch aus einem anderen Winkel darauf sah.
Klar, dachte der Teil seines Verstands, der noch logische Schlussfolgerungen ziehen konnte, ich bin in einem der höchsten Gebäude dieser Stadt, und das fast ganz oben.
Und im nächsten Moment wurde ihm klar, was das noch bedeutete. Er war nicht nur nicht mehr in Rocky Beach – er war nicht einmal mehr in Amerika.
Er war tausende von Kilometern von zu Hause weg, mitten in China, in der gigantischen Großstadt Shanghai!
Peter setzte sich auf den Schreibtisch. »Alles klar«, wiederholte er, und es war ihm völlig egal, dass er ein Selbstgespräch begann, »du träumst, Peter Shaw. Nicht, dass du nicht schon genug verrückte Sachen erlebt hast, aber das hier übertrifft alles.«
Er kniff sich in den Arm und kam sich gleichzeitig total albern dabei vor. Konnte man sich in einem Traum kneifen und würde man davon aufwachen? Wohl kaum, weil man ja nur träumte, dass man sich kniff.
Aber das spielte keine Rolle. Er wusste ohnehin, dass er nicht träumte. Was aber nichts daran änderte, dass er nicht begriff, wie das alles die Realität sein konnte.
Wie konnte er nach China gekommen sein, ohne irgendetwas davon zu wissen?
Das waren doch bestimmt zehntausend Kilometer!
Zehntausend!
Dazu musste man viele Stunden in einem Flugzeug sitzen. Und man konnte überhaupt nicht mal eben so nach China reisen. Man brauchte ein Visum. Das kostete Vorbereitungszeit und …
… und …
»Ruhig«, sagte er zu sich selbst. »Alles ist okay.« Unwillkürlich tastete er seinen Kopf ab, ob er irgendwo eine Beule spürte. Hatte er einen Schlag abbekommen und litt deshalb unter Gedächtnisverlust? Aber das war doch ebenso albern wie die Vorstellung, dass er träumte. Er war noch nie auch nur im Ansatz auf die Idee gekommen, nach China zu fahren.
Er begann eine unruhige Wanderung durch das Zimmer und lugte auch ins Bad. Ein Teil in ihm hoffte, dass sich dort seine Eltern versteckten oder seine Freunde Justus und Bob. Dass sie breit grinsen und ihm erklären würden, dass das alles ein Scherz war.
Aber natürlich war da niemand.
Er ging zur Zimmertür. Sie ließ sich nicht öffnen. Abgeschlossen! Und selbstverständlich gab es in einem modernen Hotel wie diesem keinen Schlüssel, sondern man benötigte eine Chipkarte zum Öffnen der Tür. Nur dass Peter keine hatte. Aber ließen sich solche Türen von innen nicht eigentlich immer öffnen?
Er dachte nicht weiter darüber nach, sondern eilte zurück zum Fenster, starrte wieder hinaus, und erneut wurde ihm klar, wie schwindelerregend hoch sein Zimmer lag. Es war ein sonniger Tag, aber am Horizont verschwand das Meer der Häuser in diesigem Nebel. Auf dem Fluss setzte gerade eine große Fähre über. Die Menschen darauf waren klein wie Ameisen.
Peters Herz raste, als er sich den Hörer des Telefons auf dem Schreibtisch schnappte. Die Leitung war tot.
Das war doch alles nicht wahr.
Das konnte nicht sein!
In einem noblen Hotelzimmer eingesperrt, in hunderten Metern Höhe, mit einem toten Telefon, zehntausend Kilometer von zu Hause, mitten in Shanghai?! Und er hatte keine Ahnung, wie er hierhin gekommen war.
Peter zwang sich zur Ruhe. Er musste nachdenken. »Eine Bestandsaufnahme«, flüsterte er vor sich hin.
Er trug eine kurze Jeans, ein einfaches T-Shirt und Turnschuhe. Die Sachen kannte er. Das waren seine Klamotten. Von zu Hause. In Rocky Beach.
So weit, so gut. Das hatte er auch angehabt, als er dem Jungen geholfen hatte, der verfolgt worden war.
Dem … dem Jungen? Wie kam er darauf? Moment, das war sicher wichtig! Aber Peter konnte sich nicht genauer erinnern, es war wie ein Nebelschleier mitten in seinem Kopf, in seinen Erinnerungen.
Seine Hand fuhr in die Hosentasche. Kein Handy. Natürlich nicht. Wenn er entführt worden war – und das war er doch, oder? –, würde man ihm kaum sein Handy gelassen haben. Andererseits steckte man ein Entführungsopfer auch nicht in ein supernobles Hotelzimmer in exquisiter Lage mitten in der modernen Skyline von Shanghai.
Um auf Nummer sicher zu gehen, durchsuchte der Zweite Detektiv das Bett. Immerhin könnte ihm das Handy ja aus der Tasche gefallen sein. Er wurde nicht fündig und in den Schubladen des Nachttisches ebenso wenig.
Als Nächstes nahm er sich den Schrank vor. Weder befanden sich darin Klamotten noch ein Koffer. Auch im Badezimmer gab es nichts Persönliches, keine Zahnbürste, nichts.
Er hörte ein Geräusch.
Das Klacken einer Tür.
Jemand betrat das Zimmer!
Noch immer im Badezimmer, versteinerte der Zweite Detektiv. Was sollte er tun? Sein erster Impuls war, sich zu verstecken, doch das würde ihm allenfalls ein paar Sekunden bringen. Also riss er sich zusammen, straffte seine Haltung – und trat in das Hauptzimmer.
»Wer sind Sie?«, fragte er die junge Frau, die gerade die Tür hinter sich zuzog. Erst als die Frage heraus war, wurde ihm bewusst, dass sie ihn womöglich gar nicht verstand – denn es handelte sich eindeutig um eine Chinesin. Sie war schmal und lackschwarzes Haar fiel ihr glatt bis auf die Schultern. Sie trug eine schwarze Hose, ein rotes Shirt … und ein überlegenes Lächeln zur Schau.
»Peter Shaw«, sagte sie und stellte damit klar, dass sie über die Situation genau im Bilde war.
Eine kleine Chipkarte verschwand in der Tasche ihrer weiten Hose – das musste der Zimmerschlüssel sein, mit dem sie die Tür geöffnet hatte. Das entging Peter nicht. Natürlich nicht.
»Bist du also aufgewacht, ja?« Ihr Englisch war sogar sehr gut, man musste sich sehr anstrengen, wenn man einen Akzent heraushören wollte.
»Bin ich«, stellte Peter das Offensichtliche fest. »Und ich würde gerne wissen, wo ich mich befinde.«
»Was weißt du über deinen Aufenthaltsort?« Sie kam ein paar Schritte näher. Dabei bewegte sie sich geschmeidig wie eine Katze.
Peter überlegte, ob er sich dumm stellen sollte, entschied sich aber dagegen. »Dies ist Shanghai.«
»Sehr gut. Du befindest dich in einem der prominentesten Gebäude im modernen Teil der Stadt, im Shanghai World Financial Center oder kurz SWFC, auch Flaschenöffner genannt wegen der markanten Öffnung in den oberen Stockwerken. Diesen Namen finden vor allem die Touristen offenbar witzig, die –«
»Schon gut«, sagte Peter, dem nicht nach Sightseeing-Informationen zumute war. »Wer sind Sie?«
»Nenn mich Katara.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Katara. Das sollte genügen.«
»Einverstanden.«
»Du hast ohnehin keine Wahl, Peter Shaw.«
Peter zögerte kurz. »Wie bin ich hierhergekommen?«
Katara schwieg.
»Was soll ich hier?«
Keine Antwort.
»Haben Sie mich entführt?«
Diesmal reagierte sie. »Lass die Fragen, du wirst noch früh genug alles erfahren.«
»Also wurde ich entführt? Sie halten mich hier fest? Ich kann diesen Raum –«
»Lass die Fragen«, wiederholte sie. »Und langweile mich nicht, indem du –«
Sie hatte ihn nicht aussprechen lassen und nun zahlte Peter es ihr mit gleicher Münze heim. Nicht mit Worten, sondern mit Taten! Ansatzlos stürmte er auf die Frau los. Zeit, einen großartigen Plan zu entwickeln, war ihm nicht geblieben – aber vielleicht konnte er sie mit einem Überraschungsangriff überwältigen. Und dabei an die Chipkarte in ihrer Hosentasche kommen … um aus dem Zimmer zu fliehen! Er befand sich in einem Hotel, da musste ihm doch jemand helfen, wenn er auf dem Flur nur laut genug auf sich aufmerksam machte! Peter packte ihren rechten Arm und wollte ihn ihr auf den Rücken drehen, sie in eine Art Schwitzkasten nehmen.
Ihre Reaktion kam so schnell, dass Peter die Bewegung nicht einmal sah. Wie eine Schlange entwand sie sich seinem Griff, schüttelte ihn ab und trat ihm die Beine weg. Hilflos stürzte Peter plump wie ein Kartoffelsack aufs Hinterteil. Dann packte sie ihrerseits seinen Arm und bog ihn schmerzhaft nach oben. Peter schrie leise auf und sie ließ wieder los. Gerade noch rechtzeitig. Peter zweifelte keine Sekunde daran, dass sie ihm sonst den Arm ausgekugelt oder gar gebrochen hätte.
»Na, na, Peter Shaw«, sagte sie, völlig ruhig und nicht im Geringsten außer Atem. Das Lächeln blieb wie festgemeißelt in ihrem Gesicht. »Könnte sein, dass ein blauer Fleck zurückbleibt. Ich empfehle dir, die Stelle rasch zu kühlen.«
»Welche Stelle?«, fragte Peter, während er sich zur Seite wälzte und auf die Knie quälte.
»Das wirst du schon merken.« Katara wandte sich ab und ging Richtung Tür. »Schätze, in …«, sie warf ihm einen Seitenblick zu, »… etwa zwei Sekunden.«
Peter kam auf die Füße, stemmte sich hoch – und knickte im rechten Bein ein. Schmerz schoss ihm von der Kniekehle aus in den Oberschenkel.
»Siehst du?«, fragte sie süffisant und verließ das Zimmer. Die Tür fiel wieder ins Schloss.
Oh ja, er wusste, welche Stelle sie meinte. Peter humpelte ins Bad, nahm ein Handtuch und durchnässte es mit kaltem Wasser. Das wickelte er sich um die schmerzende Kniekehle. Dabei dachte er an die junge Frau, die ihn mit spielerischer Leichtigkeit überwältigt hatte, so lässig, als wäre sie einem asiatischen Kampfsportfilm entsprungen. Dort würde sie wahrscheinlich irgendeinen Actionnamen tragen – Katara-Girl oder so ähnlich.
Peter ließ sich auf den Rand der Marmorbadewanne sinken. Er musste nachdenken. Dringend!
»Ich lag im Bett und drei Eulen schauten mich an«, sagte Justus Jonas, während er sich den letzten Keks aus der Schachtel angelte.
Sein Freund Bob Andrews schwang den Schreibtischstuhl vor dem Computer herum. Das Brummen und Tackern des Druckers erfüllte die Zentrale der drei ???, während das Gerät mehrere Blätter Papier ausspuckte. »Was?«, fragte er irritiert.
»Na, du hast mich eben gefragt, was ich so erlebt habe, seit wir uns vorgestern voneinander verabschiedet haben«, meinte Justus mit einem Grinsen, »und da ist mir das als Erstes eingefallen.«
»Das T-Shirt deines Onkels Titus, der hereinkam, als du abends im Bett noch gelesen hast, war also das Aufregendste, was dir zuletzt passiert ist?« Bob saß am Tisch in dem ausrangierten Campinganhänger, der den drei ??? als Zentrale diente. Momentan bearbeiteten sie keinen Fall und übten sich in gepflegter Langeweile. Und darin, auf ihren Detektivkollegen Peter zu warten, der einfach nicht auftauchen wollte.
Justus verdrehte theatralisch die Augen. »Es war ein wirklich, ich meine, wirklich sonderbares T-Shirt. So sehr, dass es schon wieder sehenswert war.« Der Erste Detektiv stutzte. »Woher weißt du überhaupt, dass ich von der Kleidung meines Onkels sprach? Und dass ich noch gelesen ha–«
»Ich habe Titus auch damit gesehen«, unterbrach der dritte Detektiv. »Du hast recht – es ist sonderbar. Der Anblick hat sich mir in die Netzhaut eingebrannt. Das vergesse ich so schnell nicht. Das mit dem Lesen war geraten. Du liest eben viel. Da war die Chance auf einen Treffer hoch.« Derweil schnappte sich Bob die ausgedruckten Papiere. »Genug jetzt von seltsamen Eulen-Shirts! Ich muss ein Referat für die Schule schreiben und dazu diesen Artikel aus dem Internet durcharbeiten.«
»Jetzt?«, fragte Justus. »Mitten am helllichten Tag und am ersten Tag der letzten Ferienwoche?«
»Na ja, wir sitzen hier doch sowieso nur rum und warten auf Peter. Wo bleibt der überhaupt?«
Der Erste Detektiv schaute auf die Uhr. »Keine Ahnung. Aber weißt du was? Es ist drei Uhr. Ich könnte ein Stück Kirschkuchen vertragen. Es ist noch welcher in der Gefriertruhe. Dank an meine Tante.« Er grinste wie ein zufriedenes Honigkuchenpferd.
»Geht es den beiden gut?«, fragte Bob beiläufig, während er die Nase in die Papiere steckte. Mathilda und Titus Jonas, Justus’ Tante und Onkel, waren seit einigen Tagen im Urlaub und würden erst in knapp einer Woche zurückkehren. Für Titus Jonas war es alles andere als einfach gewesen, seinen Gebrauchtwarenhandel für so lange Zeit zu schließen. Das war schon eine Ewigkeit nicht mehr vorgekommen, aber da ein besonders guter Verkauf die Kasse hatte klingeln lassen, hatte Mathilda sich sehnlichst gewünscht, wieder einmal wegzufahren, und Titus hatte nicht Nein sagen können. Justus hatte hoch und heilig schwören müssen, jeden Tag den Anrufbeantworter abzuhören, wichtige Kunden umgehend zurückzurufen und ihnen so gut wie möglich weiterzuhelfen.
»Alles bestens«, versicherte Justus. »Sie haben gestern Abend angerufen. Und deinen Eltern?«
Mr und Mrs Andrews waren ebenfalls im Urlaub – genau wie die Shaws. Das hatte es so noch nie gegeben: Alle drei ??? hüteten jeweils allein das Haus.
»Denen geht’s auch gut«, meinte Bob. »Meine Mutter hängt den ganzen Tag am Strand und liest all die Romane, die sie im letzten Jahr nicht geschafft hat. Dad langweilt sich ein bisschen. Aber da gibt es Schlimmeres.«
»Zum Beispiel«, seufzte Justus, »sich sehr zu langweilen! Ich könnte einen neuen Fall vertragen, du nicht auch?«
»Nicht, solange Peter nicht hier ist.« Bob grinste. »Sonst müssten wir ja als Die zwei ?? ermitteln.«
»Der wird bald auftauchen.« Justus zückte sein Handy und tippte Peters Kurzwahlnummer. Eine Standardansage verkündete, dass der gewünschte Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar sei. »Nichts«, sagte Justus.
»Vielleicht hat er sich bei seinem geplanten Sporttag gestern überanstrengt und liegt immer noch in den Federn!«, meinte Bob. »Ich jedenfalls habe seit … warte mal, wann war das … ja, seit Samstagabend, also vorgestern, nichts mehr von ihm gehört.«
»Genau wie ich«, sagte der Erste Detektiv.
»Komm, fahren wir zu ihm.«
»Echt jetzt?«, fragte Justus unlustig.
Bob stand auf, um durch das Kalte Tor die Zentrale zu verlassen. »Eine kleine Fahrradtour kann nicht schaden!«
»Fahrrad«, ächzte Justus, folgte seinem Freund aber.
Der Campinganhänger lag unter einem Berg aus Schrott verborgen. Heraus kam man durch einen kurzen Gang, der in einen ausrangierten Kühlschrank mündete – das sogenannte Kalte Tor.
Bob drückte von innen die Kühlschranktür auf. Draußen brannte die Sonne und die Luft waberte vor Hitze. Es wehte kein Lüftchen. Als die beiden Jungen ihre Fahrräder beim Eingangstor des Schrottplatzes erreicht hatten, standen ihnen schon Schweißtropfen auf der Stirn.
Ganz zu schweigen davon, wie sie aussahen, als sie kurz darauf beim Haus von Peters Eltern ankamen. Sie klingelten, aber niemand öffnete. Auch ein zweiter Versuch via Handy scheiterte. Also fuhren die beiden Freunde wieder zurück zum Schrottplatz.
Justus wollte gerade das Eingangstor öffnen, als er aus dem Augenwinkel etwas wahrnahm. Er nestelte mit dem Schlüssel herum, als würde das Schloss klemmen. »Ach, verflixt!«, sagte er und versuchte, möglichst natürlich zu klingen. »Es hat sich verhakt! Bob, hilf mir mal!«
Der dritte Detektiv lehnte sein Rad gegen die Mauer, stellte sich neben Justus und griff nach dem Schlüssel.
»Tu so, als ob es nicht aufgeht«, flüsterte Justus. »Jemand schleicht hier herum und beobachtet den Schrottplatz.«
»Das gibt’s ja nicht!«, sagte Bob laut – und für jeden heimlichen Zuhörer musste er damit den Schlüssel meinen, der sich anscheinend auf überaus erstaunliche Weise verhakt hatte.
»Ein Junge«, wisperte der Erste Detektiv weiter, »unser Alter, helles T-Shirt, beigefarbene Baseballmütze, asiatisches Aussehen. Rechts, an der Mauerkante.«
Für einen Moment erstarrte Bob. »Den habe ich vorhin schon gesehen, als wir losgefahren sind«, flüsterte er. »Schnappen wir ihn uns. Plan zwei. Ich übernehme Peters Rolle.«
Mehr Worte mussten die beiden Freunde nicht verlieren. Plan zwei war ein exakt abgesprochenes Standardmanöver, wenn es darum ging, einen heimlichen Beobachter in Sicherheit zu wiegen und dann überraschend zu ergreifen.
Bob öffnete das Eingangstor und tat so, als sei er froh darüber, dass es endlich gelungen war. Beide schoben ihre Fahrräder auf das Gelände des Schrottplatzes und ließen das Tor offen. Sie schlenderten über den Innenhof … und wie erhofft tauchte das Gesicht des asiatischen Jungen bald am Tor auf. Er lugte zu ihnen herein.
Justus tat, als entdecke er den Beobachter erst jetzt. »Da ist jemand, Bob!«, rief er. Und, lauter: »Willst du zu uns?«
Der Junge zuckte zusammen, sah einen Augenblick unschlüssig aus … und rannte weg.