Die drei ??? und der dreiTag (drei Fragezeichen) - Hendrik Buchna - E-Book

Die drei ??? und der dreiTag (drei Fragezeichen) E-Book

Hendrik Buchna

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kann ein und derselbe Tag dreimal völlig unterschiedlich verlaufen? Kann ein unscheinbares Detail wie ein Colaglas darüber entscheiden, wie sich alle weiteren Geschehnisse entwickeln? Erleben, wie Justus, Peter und Bob auf den unheimlichen Fluch der Sheldon Street, die mysteriösen Zeichen der Ritter und den bedrohlichen Fremden Freund stoßen - und zwar zeitgleich am selben Tag!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 428

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



und der dreiTag

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2017, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-15793-0

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

1 Fahrrad – 1 Frau – 1 Idee Für Corinna, die immer an unseren dreiTag geglaubt hat

Der Fluch der Sheldon Street

erzählt von Hendrik Buchna

Kosmos

Prolog

»Bist du bald fertig mit dem Protokoll?«

Justus nippte ungeduldig an seinem Colaglas. Die drei Detektive saßen in Jill’s Place, einem gemütlichen, im Westernstil eingerichteten Schnellrestaurant im Zentrum von Rocky Beach. Durch die riesige Fensterfront, die sich fast um das gesamte Gebäude zog, fielen die Strahlen der Nachmittagssonne.

Bob antwortete mit einem zustimmenden »Hmhm«, ließ sich aber nicht weiter ablenken. Der für Recherchen und Archiv verantwortliche dritte Detektiv wollte unbedingt an Ort und Stelle einen Schlussstrich unter ihren letzten Fall ziehen. Mangels eines Computers tat er dies vorläufig handschriftlich in seinem Notizbuch.

»Nun hetz ihn nicht«, beschwichtigte Peter. »Schließlich war das einer der schwierigsten Fälle in der Geschichte unserer Detektei.«

»Ja, aber ich habe Hunger!« Justus strich sich demonstrativ über seinen fülligen Bauch. Zum wiederholten Mal warf er einen sehnsüchtigen Blick auf die Nachbartische, von denen der verführerische Duft der Hamburger herüberzog, für die Jill’s Place berühmt war.

»Und außerdem sind wir hier, um das Riesenschnäppchen zu feiern, das ich vorhin bei dem Garagenverkauf ergattern konnte.«

Peter grinste. »Dieser Filmprojektor hat es dir ja wirklich angetan, Just. Und Mrs Sullivan war wahrscheinlich froh, ihn loszuwerden.«

Auch die Miene des Ersten Detektivs hellte sich schlagartig auf. »Ein echter Novalux T-800 …«, schwärmte er verzückt. »Über dreißig Jahre alt und noch fast wie neu. Und das für ganze fünf Dollar – so was nennt man Glück! Diese Projektoren sind ziemlich selten und bestimmt einiges wert.«

»… am Freitag dem Haftrichter überstellt. Protokoll Ende.« Strahlend legte Bob seinen Stift zur Seite. »So, Freunde – damit wäre der Fall endgültig abgeschlossen!«

Kopfschüttelnd überflog Peter die Aufzeichnungen. »Junge, Junge, das war echt verrückt. Allein schon diese Namen …«

»Wir haben’s ja nun überstanden«, erwiderte Justus knapp. Ihm war sichtlich daran gelegen, so schnell wie möglich zum nächsten Tagesordnungspunkt überzugehen. »Und da jetzt auch das Protokoll fertig ist, widmen wir uns endlich der Speisekarte!«

Die Cola

»Wenn man eine hätte …« Peter drehte sich suchend um. »Ah, da drüben auf dem freien Tisch liegt eine.«

Justus wollte ihn aufhalten. »Peter! Wir haben doch …«

Aber der Zweite Detektiv war bereits aufgesprungen und losmarschiert. Dies hatte er so schwungvoll getan, dass Justus’ randvolles Glas gefährlich ins Schwanken geraten war.

»Vorsicht – die Cola!«

Geistesgegenwärtig schnellte Bob nach vorn, doch es war zu spät. Mit dumpfem Klirren fiel das Glas um und ergoss seinen schwarzbraunen Inhalt großflächig über die auf dem Tisch ausgebreitete Zeitung.

»Volltreffer!« Vorwurfsvoll wies Bob auf den klebrigen Colasee, den der zurückkehrende Zweite Detektiv ungläubig betrachtete. Während Justus mit einem leisen »Mannomann« hektisch eine Papierserviette nach der anderen aus dem Spender zupfte, machte Bob seinem Ärger Luft.

»Ganz große Klasse, Peter! Einmal quer über die ›Rocky Beach Today‹! Wie schaffst du das bloß immer?!«

Zerknirscht half Peter dabei, die Überschwemmung mit den Servietten notdürftig einzudämmen. »Entschuldigung, war ja keine Absicht.«

»Davon wird die Zeitung auch nicht wieder trocken. Igitt …« Mit spitzen Fingern faltete Bob die matschigen Überreste der ›Rocky Beach Today‹ zusammen und beförderte sie samt einer darunter auftauchenden, ebenfalls völlig durchweichten Speisekarte in den Papierkorb.

Im Hintergrund war plötzlich lautes Scheppern zu hören. »Wer hat denn den blöden Kleiderständer mitten in den Weg gestellt?«

Ein hagerer, kahlköpfiger Mann war offensichtlich gegen einen massivhölzernen Wüstenkaktus gelaufen, der in Jill’s Place als Garderobenhalter diente. Die Wucht hatte Mann und Kaktus zu Boden gerissen, sodass der zornesrote Glatzkopf nun aus einem Berg Jacken hervorlugte wie eine überreife Tomate aus einem gemischten Salat.

Staunend blickte Peter zu dem Pechvogel hinüber. »Anscheinend herrscht hier heute eine mysteriöse Zunahme der Erdanziehungskraft. Erst mein Colaglas, dann der Kleiderständer …«

»Jaja, die Gravitation hat schon ihre Tücken«, erwiderte der Erste Detektiv grinsend. »Aus irgendwelchen Gründen treten ihre Anomalien vorzugsweise in der Nähe von Tollpatschen auf. Diesbezüglich sollten wir unbedingt mal Ermittlungen anstellen.«

In diesem Moment klingelte das Handy in Justus’ Hosentasche. Eilig versuchte er, es aus seiner engen Jeans hervorzuziehen, doch der letzte Ruck war so energisch, dass es ihm aus den Fingern glitt.

»Hoppla, bleibst du wohl hier?!« Mit einer geradezu eleganten Seitwärtsbewegung fing der Erste Detektiv das Mobiltelefon in seinem Schoß auf und hob es anschließend schwungvoll ans Ohr.

»Justus Jonas von den drei Detektiven? … Ja, genau. … An Ihrer Hauswand? … Mit roter Farbe, sagen Sie? … Also, um ehrlich zu sein, das hört sich doch eher nach einem Kinderstreich an, und wir – … Hallo?« Irritiert ließ Justus das Handy sinken. »Aufgelegt.«

In seiner Verblüffung nahm er kaum wahr, dass aus dem Radio hinter der Theke statt der bisherigen Folk- und Countrymusik nun eine gruselige Erkennungsmelodie erklang. Joe Price von Radio KTHI, einer der bekanntesten Moderatoren der Westküste, verkündete mit unheilschwangerer Stimme die Fortsetzung des Echtzeithörspiels ›Das Geisterschloss‹.

Gespannt beugte sich Peter vor. »Und? Ein neuer Auftrag?«

»Wohl kaum. Da wollte uns jemand engagieren, um zu klären, wer seine Hauswand mit roten Zeichen beschmiert hat.«

»Graffiti?«, wunderte sich Bob. »Klingt eher nach einem Fall für die Stadtreinigung.«

»Sei’s drum«, erwiderte der Erste Detektiv. »Kommen wir nun zu den wirklich wichtigen Dingen – der Speisekarte.« Er griff sich die von Peter ergatterte Menükarte, die die Form eines übergroßen Sheriffsterns hatte, und blätterte darin herum. Alle Hamburger-Kreationen in Jill’s Place waren nach berühmten Figuren aus Westernfilmen benannt: der klassische Ringo mit Ketchup und Cheddarkäse, der ChickenShane mit herzhafter Mayonnaise, der doppelstöckige Chisum mit extra viel Rindfleisch, Bacon und Röstzwiebeln, der höllisch scharfe Django Chili und natürlich Jill’s Dream mit der berühmten McBain-Spezialsoße … Justus lief schon beim Gedanken an all diese Grillköstlichkeiten das Wasser im Mund zusammen. Doch zuvor musste Ersatz für die Cola her.

»Als Erstes brauche ich ein neues Getränk. Und zur Feier des Tages probiere ich jetzt mal … den Kakao Spezial mit Vanille-Aroma.«

»Klingt nicht schlecht.« Während Peter die letzten Überreste seines Missgeschicks aufwischte, warf er einen Blick auf den Eingang, durch den in diesem Moment mehrere vergnügt plaudernde Jugendliche traten. Angesichts ihres europäisch wirkenden Kleidungsstils tippte der Zweite Detektiv auf Touristen.

»Oh, jetzt wird’s richtig voll. Der reinste Wanderzirkus.«

Tatsächlich bestand die Besuchergruppe nicht nur aus den vier menschlichen Mitgliedern. Ein burschikos aussehendes Mädchen mit kurzen dunkelbraunen Locken führte einen lebhaften schwarz-weißen Hund an der Leine. Der verlockende Grillduft ließ den vierbeinigen Gast erwartungsvoll aufbellen. Mahnend hob das Mädchen den Zeigefinger. »Timmy, benimm dich! Wir sind hier nur zu Gast in Rocky Beach.«

Einem schräg neben der Eingangstür sitzenden älteren Herrn mit harten Gesichtszügen, eisgrauen Haaren und ebenso grauem Anzug schien dieser Trubel ganz und gar nicht zu passen.

»Engländer …«, zischte er kopfschüttelnd. »Und dann nehmen sie auch noch ihren Köter mit ins Restaurant! Wenn ich verlauste Viecher sehen will, gehe ich in den Zoo!«

Ein ihm gegenübersitzendes blondes Mädchen legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Ist schon gut, Onkel Gil. Reg dich bitte nicht wieder so auf.«

Mitleidig beobachtete Justus die vergeblichen Beruhigungsversuche des Mädchens. Onkel Gil schimpfte wie ein Rohrspatz.

»Wenn ich mich völlig zu Recht über unerträgliche Zustände aufrege, dann kann mir das niemand verbieten! Jawohl! Zu meiner Zeit wäre so etwas nicht möglich gewesen – da herrschten noch Anstand und Ordnung! Ich sag’s ja immer wieder: Ein Leben ohne Disziplin und Moral –«

»… ist ein Leben ohne Rückgrat«, ergänzte das Mädchen seufzend. »Ich weiß.« Sie schien es aufgegeben zu haben, seinen Wutanfall zu bändigen.

»Tja«, murmelte der Erste Detektiv. »Es kann eben nicht jeder einen tollen Onkel haben …«

Bleiche Fratze

Nachdem die drei ??? zum krönenden Abschluss noch ein paar Brownies samt Vanilleeis verspeist hatten, machten sie sich mit Peters rotem MG auf den Rückweg zum Schrottplatz. Obwohl der Zweite Detektiv versucht hatte, halbwegs im Schatten zu parken, war es im Wagen kaum zu ertragen. Stöhnend fächelte sich Justus mit einem alten Prospekt Luft zu. Er hatte wahrhaftig nichts gegen das berühmte kalifornische Sommerwetter, aber diese Gluthitze sprengte einfach jede Skala. Der kräftige Fahrtwind, der durch die offenen Fenster ins Wageninnere strömte, sorgte kaum für Abkühlung. Mit unbarmherziger Kraft brannte die Sonne vom tiefblauen Himmel, an dem sich schon seit einer gefühlten Ewigkeit keine Wolke mehr gezeigt hatte. Während der vergangenen Tage waren die Temperaturen stetig gestiegen, trotzdem schien es immer noch Spielraum nach oben zu geben. An diesem Juli-Donnerstag zeigte das Thermometer stolze 35 Grad Celsius an und nicht die leiseste Brise wehte vom spiegelglatten Pazifik her über das Land. Der einzige Trost war, dass die Wettervorhersage für den nächsten Tag endlich eine Abkühlung in Aussicht gestellt hatte. Aber noch war von den angekündigten Gewittern und vor allem dem Regen nicht das Geringste zu spüren.

»Du solltest Pizza ausfahren, Peter. Dein Wagen ist ein rollender Backofen!« Bob wischte sich mit dem Handrücken über die schweißtriefende Stirn.

»Ja klar, ganz im Gegensatz zu deinem coolen Käfer. Ein mobiles Iglu, schon allein von der Form her …«

»Besser schlecht gefahren als gut gelaufen«, versuchte Justus zu besänftigen. »Und in der Zentrale wartet ja der große Ventilator auf uns.«

»Na, wenigstens etwas«, murmelte Peter. »Ich hoffe nur, dass es sich bis Samstag abkühlt. Da mähe ich wieder den Rasen bei den Baxters – und die haben einen riesengroßen Garten.«

Der Erste Detektiv runzelte die Stirn. »Also, wenn dann immer noch diese Sahara-Temperaturen herrschen, würde ich an deiner Stelle drauf verzichten.«

»Da kann ich nicht einfach so absagen«, widersprach Peter. »Die Baxters bezahlen ziemlich gut, und du weißt doch, dass ich mir in den Ferien was zusammensparen will.«

»Jaja, ich weiß, du sparst für diesen Folter-Apparat …«, erwiderte Justus und verzog das Gesicht.

»Für die Fitness-Station ›Gladiator‹, um genau zu sein«, verbesserte ihn der Zweite Detektiv. »Ein Multifunktions-Gerät zum Kraft- und Ausdauertraining mit über vierzig Übungsmöglichkeiten: Bankdrücken, Butterfly, Curl-Pult, hydraulisch verstellbare Stepper …«

»Hör bloß auf!«, winkte Justus heftig ab. »Ich bekomme ja schon vom Zuhören Schweißausbrüche! Wie kann man sich so was nur freiwillig antun?«

Peter warf Justus einen prüfenden Seitenblick zu. »Hm, du bist eben nicht so der Gladiator-Typ.«

»Stimmt«, pflichtete Bob mit einem Zwinkern bei. »Unser Erster wäre im Alten Rom wohl eher kaiserlicher Speisen-Vorkoster gewesen …«

Fünf Minuten später hatten sie das Gebrauchtwarencenter Titus Jonas erreicht, vor dessen Einfahrt schon seit Tagen eine Baufirma mit lautstarken Straßenausbesserungen beschäftigt war. Vorsichtig schlängelte der Zweite Detektiv seinen MG an einem Bulldozer vorbei und parkte vor der Freiluftwerkstatt. Während er und Bob den Karton mit dem Projektor aus dem Auto wuchteten, kontrollierte Justus noch kurz den Briefkasten. Ihm war die Ecke eines Zettels aufgefallen, die aus dem Schlitz hervorlugte. Neugierig faltete er das Papier auseinander und blickte überrascht auf die wenigen handgeschriebenen Worte:

Sonntagnachmittag, 3 Uhr

»Was hast du denn da?«, fragte Bob interessiert. »Eine Nachricht?«

»Wenn ja, dann eine höchst sonderbare. Hier, Kollegen – seht selbst.«

Gespannt warfen Peter und Bob einen Blick auf die ominösen Worte.

Der Zweite Detektiv blickte irritiert auf. »Und was sollen wir nun damit anstellen? Da steht ja nicht mal ein Ort!«

»Kein Ort, keine Erklärung, kein Adressat, kein Absender«, murmelte Justus. »Somit ist völlig offen, worum es geht.«

»Stimmt«, pflichtete Bob bei. »Es könnte zum Beispiel die Aufforderung zu einem Treffen sein, aber genauso gut auch eine Warnung vor irgendetwas, das am Sonntag um drei passieren wird.«

»Die zweite Variante fände ich jetzt nicht so erfreulich«, entgegnete Peter mit betretener Miene. »Haben wir denn momentan mit irgendwas zu tun, vor dem wir gewarnt werden müssten?«

Justus schüttelte zögernd den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Das ist ein ganz normaler Sonntag ohne jedwede Besonderheit.«

»Ob sich deine Tante einen Spaß mit uns erlaubt hat?«, fragte Bob unsicher. »Vielleicht plant sie am Sonntag ja ein großes Picknick und will uns bis dahin herumrätseln lassen.«

»Glaube ich nicht«, erwiderte Justus. »Dann hätte sie einen deutlicheren Hinweis hinterlassen. Außerdem ist das hier weder Tante Mathildas noch Onkel Titus’ Handschrift.«

»Tja, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als bis Sonntag zu warten und zu schauen, was nachmittags um drei passieren wird«, stellte Bob fest.

»Mangels einer Ortsangabe ist das tatsächlich die einzige Möglichkeit«, stimmte der Erste Detektiv zu und steckte den rätselhaften Zettel in seine Hosentasche. »Aber jetzt nehmen wir erst mal gründlich den Novalux unter die Lupe!«

Das Hauptquartier der drei ???, ein ausrangierter, umgebauter Wohnwagen, lag im hinteren Teil des Geländes unter einem Schrottberg verborgen. Um das Detektivbüro zu betreten, standen mehrere Geheimgänge zur Verfügung. Einer davon war das Kalte Tor, ein riesiger hohler Kühlschrank, dessen Rückwand sich per Hebeldruck aufklappen ließ. Nacheinander stiegen Justus, Bob und Peter durch die Öffnung und gelangten unter einem schrägen Wellblechdach zur Tür des Wohnwagens. Neben ein paar abgewetzten Sesseln und einem Schreibtisch verfügte die Zentrale auch über Telefon, Fax, einen internetfähigen Computer samt Drucker, eine Videokamera und sogar ein kleines Fotolabor. Jeder Zentimeter des geräumigen Campinganhängers wurde ausgenutzt, um all den Regalen und Schränken Platz zu bieten, in denen vielfältigste Ermittlungs-Utensilien und dutzende Aktenordner mit Protokollen der früheren Fälle lagerten. Darüber hinaus bot die Zentrale einem ganz besonderen Untermieter ein Zuhause: Seit dem Fall Superpapagei wohnte der intelligente Mynah Blacky im Wohnwagen der drei Detektive und sorgte immer wieder für Unterhaltung. An diesem brütend heißen Nachmittag reichte es jedoch nur für ein matt gekrächztes ›Da kuckst du in die Röhre, was?‹.

»Hast recht, Blacky – die reinste Bratenröhre«, murrte Peter, während er die Wohnwagentür einen Spalt öffnete. »So hohe Temperaturen sollten verboten werden!«

»Stimmt«, pflichtete Bob bei, während er den großen Standventilator näher heranschob. »Noch ein paar Grad mehr und wir können eine Sauna aufmachen und Eintritt nehmen.«

Peter blickte zum Türspalt. »Wenn das Kalte Tor wenigstens seinem Namen gerecht werden würde …« Skeptisch schaute er zu Bob hinüber. »Läuft der Ventilator wirklich mit voller Kraft?«

»Was glaubst du denn? Wenn der sich noch schneller dreht, hebt er ab.«

Sachte stellte Justus den Karton auf dem Tisch ab, hob den Filmprojektor heraus und betrachtete ihn von allen Seiten. Plötzlich stutzte er.

»Nanu? Schaut mal. Die Bodenverschlüsse scheinen sich beim Transport gelockert zu haben. Moment …«

Vorsichtig klappte er die untere Abdeckung auf. »Hier ist ein schmaler Hohlraum. Und darin … eine kleine Filmrolle, mit Klebeband fixiert!«

Während er die Rolle behutsam ablöste, traten Peter und Bob näher.

Justus begutachtete das Fundstück eingehend. »Hm … Super-8-Format. Scheint ziemlich hinüber zu sein. Was meint ihr – sollen wir kurz überprüfen, ob das Ding überhaupt noch abspielbar ist, bevor wir Mrs Sullivan deswegen belästigen?«

»Gute Idee«, entgegnete Bob und griff zum Dimmer der Stehlampe. »Ich verdunkel schon mal die Bude.«

Justus nickte. »Und du könntest die Landkarte da drüben umdrehen, Peter. Dann haben wir eine provisorische Leinwand und ich muss nicht extra ins Haus, um eine zu holen.«

Der Zweite Detektiv grinste. »Bloß keinen Schritt zu viel, stimmt’s, Pummel?«

»So etwas nennt man ökonomische Energieverwaltung«, belehrte ihn Justus.

»Oh, entschuldige, ich hatte das wohl mit Faulheit verwechselt …«

Wenige Sekunden später war alles vorbereitet und Justus hatte die Filmrolle in den abspielbereiten Projektor eingespannt. »Okay – also dann: Film ab!«

Mit einem leisen Rattern erwachte der Novalux zum Leben.

»Fantastisch«, staunte der Erste Detektiv. »Der läuft wie fabrikneu …«

Auf der weißen Rückseite der Landkarte erschien eine sommerliche Gartenszenerie. Mehrere teils verkleidete Kinder tobten lachend um einen großen Tisch herum. Darauf stand eine mit Kerzen geschmückte Torte.

Bob lächelte amüsiert. »Sieht nach Kindergeburtstag aus. Guckt euch mal die Schlaghosen an … und diese Perücke da!«

»Überhaupt die Frisuren«, ergänzte Peter belustigt. »Damals gab’s noch keine Geschmacks-Polizei, oder?«

Justus schmunzelte. »Das war wohl in den Siebzigern. Da ließ man es eben gerne ein bisschen wachsen.«

»Bisschen ist gut!«, prustete der dritte Detektiv. »Sieht ja aus wie ein Live-Ausschnitt aus der Muppet Show!«

»Auf jeden Fall funktioniert der Film noch«, stellte Peter fest. »Also geben wir ihn Mrs Sullivan zurück.«

Justus nickte. »Natürlich. In diesem Fall versteht es sich von selbst, dass –« Irritiert hielt der Erste Detektiv inne.

Auch Peter stutzte. »Da war plötzlich ein Schnitt! Und jetzt …«

»… sieht man eine Hausfassade im Dämmerlicht«, murmelte Bob. »Man kann kaum etwas erkennen außer diesem dunklen Fenster.«

Urplötzlich erschien eine Gestalt an der verschmutzten Scheibe und ließ die Jungen zusammenzucken.

»Mann, hab ich mich erschrocken!«, entfuhr es Peter. »Ist das eine Frau?«

»Ja …«, bestätigte Justus zögernd. »Sie steht mit dem Rücken zum Fenster und hat dabei die Vorhänge beiseitegedrückt. Es scheint, als ob sie vor irgendetwas – oh mein Gott!«

Schockiert starrten die drei Detektive auf die Leinwand.

»Was ist das denn für eine Geisterfratze?«, brachte Bob mühsam heraus.

Beunruhigt beugte sich Justus vor. »Ein totenbleicher Mann mit Augenklappe und weit aufgerissenem Mund!«

Peters Lippen zitterten. »Er bewegt sich auf die Frau zu …«

»Jetzt wechselt das Bild wieder!«

»Zurück zur Geburtstagsfeier«, fügte der Zweite Detektiv hinzu. Wenige Augenblicke später war alles vorbei.

»Das war’s«, kommentierte Bob knapp. »Der Film ist zu Ende.«

Nervös drehte sich Peter um. »Just … was hat das zu bedeuten?«

Ratlos schüttelte der Erste Detektiv den Kopf. »Ich habe keine Ahnung.«

»War das denn überhaupt ein Mensch?« Fassungslos rang Peter die Hände. »Dieses kalte, starre Auge und der zuckende Mund … Mannomann, ich hab jetzt noch Gänsehaut.«

Mit angestrengter Miene versuchte Justus das, was sie gesehen hatten, in eine logische Struktur zu bringen.

»Tatsache ist: Irgendjemand hat diese merkwürdige Szene gefilmt, später dieses Stück herausgetrennt und es in die harmlose Geburtstagsfeier hineingeschnitten.«

Verwundert zog Bob die Stirn kraus. »Du meinst, damit niemand es findet?«

»Ein Versehen war das wohl kaum. Und wie ein Gag sieht es auch nicht aus. Nein, nein – in meinen Augen handelt es sich bei dem Geburtstagsfilm eindeutig um ein Versteck für die Fensteraufnahme.«

»Du meinst, jemand wollte die Szene mit diesem unheimlichen Mann vor anderen Leuten verbergen«, folgerte der Zweite Detektiv.

»Davon bin ich überzeugt. Die Fakten sprechen ja eine deutliche Sprache. Als weitere Sicherung wurde die Rolle dann noch in dem Hohlraum unter dem Projektor versteckt. Wenn sich die Bodenklappe beim Transport nicht gelöst hätte, wären wir nie auf dieses improvisierte Geheimfach aufmerksam geworden.«

»Okay«, stimmte Bob zu. »Dann muss an dem Film also etwas Besonderes dran sein. Man versteckt einen Gegenstand ja nur, wenn er irgendwie geheim oder wertvoll ist.«

»Oder gefährlich«, ergänzte Justus ernst.

Peter verschränkte die Arme vor der Brust. »Na toll, da sitzt man nach einem leckeren Essen gemütlich zusammen, denkt an nichts Böses – und keine zehn Minuten später stecken wir schon wieder mitten in einem unheimlichen Kriminalfall!«

»Mit ›unheimlich‹ gebe ich dir recht«, stimmte der Erste Detektiv zu. »Aber dass es sich hier um irgendeine Gesetzwidrigkeit handelt, ist reine Spekulation.«

»Na, sehr freundlich sah die Begegnung zwischen der Frau und diesem Geistermann ja nicht gerade aus«, wandte Peter ein. »Und wenn das alles überhaupt nichts zu bedeuten hätte, wäre dieser ganze Aufwand mit der herausgeschnittenen Aufnahme und dem Projektor-Versteck doch total sinnlos, oder?«

»Dieser Argumentation würde ich gar nicht widersprechen wollen«, erwiderte Justus. »Mir ging es lediglich um die Klarstellung, dass die lückenhafte Faktenlage derzeit noch kein abschließendes Urteil zulässt.«

»Herrje«, entfuhr es dem Zweiten Detektiv. »Sag doch einfach, dass wir bis jetzt keinen blassen Schimmer haben, was es mit diesem Grusel-Ausschnitt auf sich hat!«

»Das wäre ebenfalls eine zutreffende Zusammenfassung«, gab Justus zu. »Um hier Klarheit zu schaffen, sollten wir auf jeden Fall bei Mrs Sullivan nachfragen.«

Bob nickte. »Klingt gut. Vielleicht stellt sich die ganze Sache ja als völlig harmlos heraus.«

»Und wenn nicht?«, fragte Peter beunruhigt.

In den Augen des Ersten Detektivs blitzte es abenteuerlustig. »Dann haben die drei ??? einen neuen Fall!«

Sammlerstück

Nachdem Justus telefonisch ihren Besuch bei Mrs Sullivan angekündigt und die rätselhafte Filmrolle eingesteckt hatte, brachen die Jungen auf. Zuvor füllte der Erste Detektiv noch frisches Wasser für Blacky nach und streichelte dem Vogel aufmunternd über den Kopf.

»Heute Abend kannst du dann wieder ein schönes Vollbad im Waschbecken nehmen, okay?«

Blacky schien jedes Wort verstanden zu haben und spreizte freudig die Flügel. »Joho, und ’ne Buddel Rum!«

Die drei Detektive verließen die Zentrale und steuerten auf Bobs Käfer zu, der schon seit dem Vormittag auf dem Gelände geparkt war. Das Lärmen von Presslufthämmern wehte von der Straße herüber. Gerade als sie einsteigen wollten, trat ein etwa vierzigjähriger, hagerer Mann im Trenchcoat auf Justus zu. Trotz seines schmalen Gesichts quoll aus dem Hemdkragen ein stattliches Doppelkinn hervor. Die kurzen schwarzen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und sein hektisches Zwinkern ließ auf starke Aufregung schließen.

»E-entsch-schuldigen Sie bitte. Ich b-bin auf d-der S-Suche n-nach einem F-Filmprojektor.«

Justus versuchte, sich die Irritation über das starke Stottern nicht anmerken zu lassen. »Oh, äh – dann führe ich Sie am besten mal in unser Lager.« Er wandte sich kurz um. »Bin gleich wieder da, Kollegen!« Freundlich lächelnd wies der Erste Detektiv seinem Besucher den Weg zum großen Lagerschuppen. »Suchen Sie denn etwas Bestimmtes, Mister …?«

»D-Dawson, Seb-bastian D-Dawson«, entgegnete der Mann mühsam.

»Und ich bin Justus Jonas, sehr angenehm.«

Heftig nickend fuhr Dawson fort: »Es geht in d-der Tat um etwas B-Bestimmtes. Ich interessiere m-mich für den N-Novalux, den Sie heute M-Mittag bei Mrs S-Sullivan erstanden haben.«

Erstaunt legte Justus den Kopf schief. »Darf ich fragen, woher Sie davon wissen?«

»Oh, g-ganz einfach: Ich b-bin auf das Inserat in d-der Zeitung hin e-ebenfalls bei Mrs S-Sullivan vorstellig geworden, kam aber leider z-zu spät. Sie war dann s-so nett, mir diese A-Adresse zu geben.«

Jetzt fiel beim Ersten Detektiv der Groschen. »Ach ja, ich hatte ihr meine Karte gegeben. Nun, Mr Dawson, es tut mir sehr leid, aber dieser Projektor steht nicht zum Verkauf. Kann ich Ihnen vielleicht unser übriges Sortiment zeigen?«

Der Mann schüttelte energisch den Kopf. »N-nein d-danke. Ich bin S-Sammler und genau dieser N-Novalux fehlt mir noch. K-Könnte möglicherweise ein A-Angebot von fünfzig Dollar Ihre M-Meinung ä-ändern?«

»Bedaure, Sir, aber dieses Gerät ist unverkäuflich.«

Ein hintergründiges Lächeln huschte über Dawsons Gesicht. »N-natürlich, ich v-verstehe … Also s-sagen wir, h-hundert Dollar?«

Justus wurde die Situation allmählich unangenehm. »Sie scheinen mich nicht verstehen zu wollen.«

»Zw-weihundert D-Dollar.«

Abwehrend hob der Erste Detektiv die Hand. »Sir, ich sagte doch gerade –«

In diesem Moment wirbelte Mr Dawson herum, packte Justus am Kragen und zischte vollkommen stotterfrei: »Jetzt hör mal zu, Fettfrosch – nichts auf der Welt ist unverkäuflich. Ich könnte auch deine Tante kaufen, wenn der Preis stimmt! Also nimmst du jetzt diese verfluchten zweihundert Dollar oder soll ich dir mein nächstes Angebot ins Krankenhaus schicken?!«

Noch bevor der völlig überrumpelte Justus ein Wort hervorbringen konnte, kam aus der Ferne Bob herbeigeeilt. »He! Was machen Sie da?«

Mit einem Ruck schnellte Dawson zu Justus’ Gesicht vor, sodass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührten. Seine Augen funkelten in grimmiger Entschlossenheit. »Wir sehen uns wieder, Jumbo«, fauchte er leise. »Verlass dich drauf!«

Dann rannte er davon und ließ einen vollkommen entgeisterten Ersten Detektiv zurück. Wenige Sekunden später war Bob bei ihm und legte seinem Freund besorgt eine Hand auf die Schulter.

»Alles in Ordnung bei dir?«

Justus nickte zögernd. »Puh, vielen Dank, Dritter – das war wirklich knapp.«

Auch Peter, der sich erst mühsam aus dem Rücksitz des VW hatte schälen müssen, kam nun hinzu. »Was war denn hier los?«

Der Erste Detektiv atmete tief durch und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Dieser reizende Mr Dawson hegt ein ausgesprochen großes Interesse für unseren Novalux-Projektor und schreckt bei den Verhandlungen selbst vor Handgreiflichkeiten nicht zurück. Wenn ihr mir nicht zu Hilfe gekommen wärt, hätte das richtig unschön ausgehen können.«

»Verrückt …«, murmelte Peter. »Der Typ sah doch ganz harmlos aus, so Marke Staubsaugervertreter.«

»Mit dem kleinen Unterschied, dass er mir keinen Staubsauger andrehen, sondern unseren Projektor aus mir rausprügeln wollte«, stellte Justus fest.

Bob blickte skeptisch in Richtung Zentrale. »Unter diesen Umständen ist es vielleicht besser, wenn wir das gute Stück nicht unbeaufsichtigt hierlassen, oder?«

Der Erste Detektiv nickte bekräftigend. »Da kann ich dir nur voll und ganz zustimmen, Dritter. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, dass Dawson auf der Lauer lag und gesehen hat, wie wir die Zentrale verlassen haben, aber Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste. Wir hätten den Projektor ohnehin mitnehmen sollen, damit wir Mrs Sullivan den Ausschnitt vorspielen können.«

»Diese Bruthitze geht eben auch an unserem Genie Justus Jonas nicht spurlos vorbei«, stellte Bob schmunzelnd fest.

»Dann werde ich das gute Stück mal holen!«, bot sich Peter an. Keine zwei Minuten später war der Karton mit dem Novalux sicher auf der Rückbank des Käfers verstaut. Als sie gerade einsteigen wollten, erklang von der Straße plötzlich die vertraute Glöckchen-Melodie ›Mary had a little lamb‹. In freudiger Überraschung wandte sich Bob um.

»Oh, der Eiswagen von Meadow Fresh! Hat jemand Lust auf ein schönes Softeis?«

Justus strahlte über das ganze Gesicht. »Diese Frage war ja wohl rhetorisch gemeint!«

Nachdem sich jeder ein Eis gegönnt hatte, brachen die drei Detektive schließlich auf. Die große Baustelle gegenüber dem Schrottplatz erschwerte das Abbiegen aus der Einfahrt jedoch erheblich.

»Menschenskind«, knurrte Bob, »konnten die ihren Bagger nicht vielleicht noch dichter an der Zufahrt parken?! Das machen die doch mit Absicht!«

Plötzlich deutete Peter erschrocken nach vorn. »Achtung, Bob – der Bauwagen!«

Mit einem raschen Ausweichmanöver schaffte es der dritte Detektiv gerade noch, dem zurücksetzenden Wagen auszuweichen, kam dabei jedoch für einen kurzen Moment auf die Gegenfahrbahn.

»Passt doch auf mit eurer Schrottmühle!«, keifte die Fahrerin eines rostbraunen Ford Pinto und gestikulierte wütend aus dem offenen Fenster.

»Du hast es gerade nötig mit deinem Mistkübel!«, rief Bob zornig zurück. »Dumme Nuss …«

Justus klopfte ihm besänftigend auf die Schulter. »Jetzt beruhig dich mal wieder. Ist ja nichts passiert.«

Doch so schnell wollte Bobs Empörung nicht verfliegen. »Mein schöner Käfer … Die hat wohl zu heiß geduscht!«

»Apropos«, versuchte Peter zu einem anderen Thema überzuleiten. »Was war denn jetzt mit diesem komischen Mr Dawson? Ob der hinter dem Film her war?«

»Das bezweifle ich«, erwiderte Justus. »Dazu müsste er von dem Versteck wissen. Wir fragen auf jeden Fall gleich Mrs Sullivan, ob sie Dawson kennt. Sie erwähnte vorhin am Telefon übrigens, dass heute Nachmittag noch jemand bei ihr angerufen und sich nach dem Projektor erkundigt hat.«

Stirnrunzelnd blickte Bob im Rückspiegel auf den Karton an Peters Seite. »Scheint ja ein echt begehrtes Stück zu sein …«

Dunkle Erinnerung

Kurz darauf hatten sie die Kingston Lane erreicht. Tanya Sullivan, eine grazile Frau Mitte dreißig, führte die drei Detektive durch einen lang gestreckten Flur zur Küche. Auf dem Weg dorthin fiel Justus eine große Glasvitrine auf, in der mehrere dutzend detailgetreue Auto- und Flugzeug-Modelle standen.

Da würde Onkel Titus leuchtende Augen bekommen, dachte er schmunzelnd.

In der Küche servierte Mrs Sullivan ihren Gästen Saft und Mineralwasser. Nach einigen einleitenden Worten schloss der Erste Detektiv den mitgebrachten Projektor an und spielte den mysteriösen Filmausschnitt ab. Als Peter wenig später das Licht in der verdunkelten Küche wieder anknipste, blickte Mrs Sullivan beunruhigt ins Leere.

»Das … war das alte Waldhaus im Sheldon Forest, kein Zweifel. Schon als Kind war mir das immer unheimlich. Es hieß, dass dort Geister umgehen.«

»War ja klar …«, flüsterte Peter kaum hörbar.

»Wem gehörte denn dieses Waldhaus?«, erkundigte sich Justus.

»Unseren damaligen Nachbarn, einem Ehepaar namens Preston. In früheren Zeiten war das wohl mal ein Jagdhaus, aber die Prestons haben es nie genutzt.«

»Und die Filmaufnahmen?«, klinkte sich Bob ein. »Sind die von Ihrem Vater oder Ihrer Mutter?«

»Weder noch.« Mrs Sullivan hielt kurz inne. »Das war bestimmt mein Großvater, Desmond Kane, Gott hab ihn selig. Er wurde früh Witwer und wohnte damals wie wir in der Sheldon Street. Das Filmen war ein richtiger Tick von ihm. Ständig hat er irgendwas aufgenommen: die Familie, das Haus, den Garten – alles, was er vor die Linse bekam. Irgendwann hat er dann ganz plötzlich damit aufgehört.«

»Aha …«, murmelte Justus aufhorchend.

»Na ja, und jetzt, drei Monate nach seinem Tod, wollte ich auf dem Dachboden endlich mal den alten Kram aussortieren, der da seit Ewigkeiten einstaubt. Der Projektor war auch dabei. Mein Mann und ich haben keine Verwendung mehr dafür. Und meine Eltern wohnen schon seit einigen Jahren in Europa.«

Nachdenklich nippte der dritte Detektiv an seinem Wasserglas. »Ähm … Sie sagten, der Film stamme aus der Zeit, als Sie und Ihre Familie in der Sheldon Street wohnten. Wissen Sie noch, wann Sie dort weggezogen sind?«

»Auf den Monat genau sogar: Es war im Frühsommer vor siebenundzwanzig Jahren, Ende Mai. Ich weiß es deswegen, weil ich ein paar Tage vorher meinen neunten Geburtstag gefeiert habe und überhaupt nicht begreifen konnte, wieso wir kurz darauf so plötzlich umziehen mussten.«

»Sie meinen, der Umzug kam für Sie überraschend?«, hakte Peter erstaunt nach.

Mrs Sullivan nickte. »Absolut! Auch meine Eltern schienen irgendwie … überrumpelt zu sein. Aber niemand sprach über den Grund des Umzugs. Irgendwann stand plötzlich dieser Laster von ›Pacific States‹ vor der Tür und alles ging ganz schnell. Auch später, als wir uns längst hier in der Kingston Lane eingelebt hatten, bekam ich nie eine Erklärung.«

Justus tippte sich grübelnd an die Unterlippe. »Okay, dann fassen wir doch mal zusammen: An Ihrem neunten Geburtstag machte Ihr Großvater einige Aufnahmen mit seiner Kamera. Mutmaßlich im selben Zeitraum war er dann erneut unterwegs, und zwar im Wald während der Abenddämmerung.«

»Das ist gut möglich«, bestätigte Mrs Sullivan. »Grandpa war oft draußen, um Naturaufnahmen zu machen.«

Der Erste Detektiv nickte. »Genau dabei muss er, vielleicht nur durch Zufall, auch auf das Waldhaus geschwenkt haben.«

»Und da hat er beobachtet, wie plötzlich diese Frau am Fenster erschien und anschließend die unheimliche Gestalt«, ergänzte Bob.

»Richtig«, stimmte Justus zu. »Diese Szene muss ihn dazu veranlasst haben, sie später aus der eigentlichen Filmrolle zu entfernen und in die Geburtstagsfeier hineinzuschneiden.«

»Und dann versteckte er den Film im Projektor.« Peter stutzte. »Ach, und du meinst, dass er aus Furcht vor dem, was er da aufgenommen hatte …«

»… seine Familie dazu drängte, aus der Sheldon Street wegzuziehen.«

Mrs Sullivan blickte skeptisch in die Runde. »Klingt ein bisschen abenteuerlich, oder?«

»Zugegeben, unsere Theorie weist noch einige Lücken auf«, gestand Justus. »Aber wenn Sie einverstanden sind, wäre es uns ein Vergnügen, diese Lücken zu schließen und das Geheimnis um die damaligen Geschehnisse zu lüften.«

»Ach, jetzt verstehe ich!« Tanya Sullivan lächelte. »Du hattest mir ja heute Mittag eure Karte dagelassen. Die drei ??? wollen also Ermittlungen anstellen?«

Der Erste Detektiv erwiderte das Lächeln. »Sofern Sie nichts dagegen einzuwenden haben, sehr gern!«

»Tja, warum eigentlich nicht? Es würde mich schon interessieren, was damals wirklich passiert ist. Ihr könntet zum Beispiel Mr Gabbin befragen, einen früheren Bekannten meines Großvaters, der immer noch in der Sheldon Street wohnt.«

Bob notierte den Namen in seinem Notizbuch.

»Ich kann euch auch noch zwei Kartons mitgeben, in denen ich einige Sachen von Grandpa aufbewahrt habe. Ihr könnt ja mal schauen, ob euch da etwas weiterhelfen kann.«

»Vielen Dank, das werden wir«, entgegnete Justus, während er das Kabel des Projektors aus der Steckdose zog. »Ach, was ich Sie noch fragen wollte: Kennen Sie diesen Mr Dawson näher?«

Mrs Sullivan schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen.«

»Verstehe.« Der Erste Detektiv rieb sich nachdenklich das Kinn. »Und wie ist es mit dem Interessenten, der sich telefonisch bei Ihnen nach dem Projektor erkundigt hat? Wissen Sie, wer das war?«

»Bedaure, der Mann hat seinen Namen nicht genannt.«

In diesem Moment ertönte der Schrei eines Babys aus dem oberen Stockwerk.

»Oh, Daniel ist aufgewacht.« Mrs Sullivan erhob sich. »Dann wird Isabelle auch gleich loslegen. Muss ich jetzt eigentlich noch irgendetwas unterschreiben, ein Auftragsformular oder so?«

Justus schmunzelte. »Eine mündliche Bestätigung reicht vollkommen.«

»Okay, dann beauftrage ich euch hiermit feierlich und offiziell, das Rätsel der Sheldon Street zu lösen. So, und jetzt wird es für mich Zeit, den Fall Hungriges Baby in Angriff zu nehmen!«

Eine Viertelstunde später hatte Mrs Sullivan ihre Kinder versorgt und führte die drei Detektive in den Keller.

»Entschuldigt bitte die Unordnung, aber bei all dem Wirbel bin ich seit Ewigkeiten nicht mehr dazu gekommen, hier aufzuräumen.« Sie deutete auf eine Ecke, in der neben einem umgekippten Dreirad und diversem Spielzeug zwei große Pappkartons standen. »Das sind die Sachen meines Großvaters.« Seufzend strich sie über die Kartons. »Das war auch schon so ziemlich alles, was er uns hinterlassen hat. Ihr könnt die Kisten gerne mitnehmen und untersuchen. Ich möchte euch nur bitten, beim Auspacken vorsichtig zu sein. Da sind auch einige zerbrechliche Stücke dabei.«

»Selbstverständlich, Mrs Sullivan.« Mit einem Kopfnicken in Richtung Peter und Bob deutete Justus an, dass seine Kollegen die Kartons nun nach oben tragen konnten.

»Ohne Kistenschleppen wär’s ja auch kein richtiger Fall …«, murmelte Peter leise.

An der Haustür fiel dem Ersten Detektiv plötzlich ein wichtiges Detail ein.

»Nun hätte ich doch fast vergessen, Sie nach Ihrer damaligen Adresse in der Sheldon Street zu fragen. Ohne die wird’s ein bisschen schwierig werden.«

»Natürlich, ihr braucht ja noch die Anschrift.« Mrs Sullivan überlegte kurz, während Bob den Karton abstellte und sein Notizbuch zückte.

»Also, wir wohnten in Haus Nummer 83. Die Prestons wohnten nebenan in der 81 und Mr Gabbin …« Sie verengte grübelnd die Augen. »Das müsste Nummer 74 oder 76 sein, aber da bin ich nicht hundertprozentig sicher.«

»Den finden wir dann schon, haben Sie vielen Dank«, erwiderte Justus und schüttelte Mrs Sullivan zum Abschied die Hand.

»Na dann: Viel Erfolg bei der Detektivarbeit!«

Nachdenklich schlenderten die drei ??? zu Bobs Käfer zurück. Sie ahnten nicht, dass sie dabei aus dem Schatten einer gegenüberliegenden Häuserecke aufmerksam beobachtet wurden.

Auf der Rückfahrt zum Schrottplatz begann Justus unverzüglich mit der Koordination der weiteren Schritte.

»Ich würde sagen, wir gehen zweigleisig vor: Du, Bob, schließt in der Zentrale noch mal den Projektor an und machst ein Standbild von unserem ›Geist‹. Vielleicht kannst du es ja anschließend noch irgendwie am Computer bearbeiten, damit das Gesicht besser zu sehen ist.«

»Versuchen kann ich’s, aber viel wird es wohl nicht bringen. Die Qualität dieses Ausschnitts ist wegen der schlechten Lichtverhältnisse doch ziemlich bescheiden.«

»Und das ist noch freundlich formuliert«, pflichtete ihm Peter bei. »Verglichen mit der heutigen Technik ist das ja reinstes Steinzeit-Material.«

»Es bleibt uns eben nichts anderes übrig, als uns mit diesem Steinzeit-Material zu arrangieren«, stellte der Erste Detektiv fest und wandte sich wieder an Bob. »Wenn du ein einigermaßen brauchbares Foto ausgedruckt hast, fährst du zum Polizeipräsidium und bittest Inspektor Cotta, sich das Bild mal anzusehen. Wer weiß, vielleicht handelt es sich ja um einen aktenkundigen Bekannten.«

»Ach, du meinst, dass dieser Geistermann in der Verbrecherkartei geführt wird?«, erkundigte sich Peter, dem sein Unbehagen deutlich anzusehen war. »Kann ich mir gut vorstellen, so wie der Typ aussieht …«

»Zumindest ist es eine Möglichkeit, die per Ausschlussverfahren geprüft werden muss. Falls es sich tatsächlich um einen bekannten Kriminellen handelt, hätten wir einen wichtigen Teil des Rätsels bereits gelöst.«

»Und wenn dieser Typ nirgendwo gelistet ist?«, fragte der dritte Detektiv.

»Sollte polizeilich nichts vorliegen, kannst du dich auf die nächste Ebene begeben.«

Bob nickte. »Die Presse, alles klar. Dad hat heute frei und wird wohl zu Hause sein. Da kann ich ihn nachher direkt fragen, wenn ich heimkomme. Und was habt ihr so vor?«

»Peter und ich werden die Sheldon Street unter die Lupe nehmen und Mrs Sullivans frühere Nachbarn zu den damaligen Vorgängen befragen. Bin doch mal gespannt, was wir da so herausfinden. Vor allem von den Prestons verspreche ich mir einiges.«

»Stimmt, die wohnten ja direkt nebenan«, überlegte Peter. »Der plötzliche Umzug ihrer Nachbarn hat ja bestimmt einigen Staub aufgewirbelt. So etwas bleibt schließlich nicht unbemerkt.«

»Davon ist in der Tat auszugehen«, bestätigte Justus. »Wenn wir Glück haben, wissen sie vielleicht sogar Einzelheiten über Mrs Sullivans Großvater und sein Kamera-Hobby. Als Besitzer des Waldhauses könnten die Prestons immerhin etwas von Mr Kanes Spaziergängen mitbekommen haben.«

Bob schmunzelte. »Und wenn ihr den Jackpot knackt, kennen die Prestons den Gespenstermann sogar persönlich und haben seine aktuelle Anschrift und Handynummer parat.«

»Sehr witzig, Bob. Übrigens …« Suchend blickte sich Justus um. »Hast du irgendetwas zu trinken im Auto? Diese Hitze rafft mich noch dahin.«

»Tut mir leid, den letzten Schluck Mineralwasser hab ich vorhin getrunken.« Bob überlegte kurz und grinste. »Aber im Handschuhfach müssten noch ein paar alte Fruchtbonbons vor sich hin schmelzen.«

»Na toll, an alles muss man selber denken«, grummelte Justus ungehalten und seufzte. »Pathemata, Mathemata.«

Fragend hob Bob eine Augenbraue.

Mit Schmerzensmiene wischte sich der Erste Detektiv über die heiße Stirn. »Leiden sind Lehren …«

Plötzlich schrillte ein Handy.

»Oh, Moment …« Hastig zog Peter sein Mobiltelefon hervor. »Peter Shaw von den drei Detektiven. … Hallo? … Hallo, wer ist denn da? … Aufgelegt.« Verärgert steckte er das Handy wieder ein. »Da kann man sich doch wenigstens entschuldigen, dass man sich verwählt hat!«

»Gutes Benehmen ist eben nicht jedermanns Sache«, gab Bob zu bedenken.

»Oder die betreffende Person war einfach erschrocken, dass sie unerwartet einen Detektiv am Hörer hatte«, ergänzte Justus schmunzelnd. »So etwas kann einen ganz schön aus dem Konzept bringen, wenn man zum Beispiel gerade die Freundin anrufen will.«

Peter wollte soeben eine spitze Bemerkung machen, als sein Handy erneut klingelte. Misstrauisch drückte er den Annahmeknopf.

»Peter Shaw von den drei Detektiven. … Hallo? … Hallo! Melden Sie sich doch! … Finden Sie das witzig? … Hallo! … So was Dämliches!«

»Was war denn diesmal?«, erkundigte sich Bob verdutzt.

»Keine Ahnung. Irgendein Blödmann, der nur laut ins Telefon geatmet hat.«

Justus lächelte amüsiert. »Tja, auch telefonieren will gelernt sein.«

»Ich glaube nicht, dass das ein Versehen war«, erwiderte Peter ernst.

Bob horchte auf. »Ach, und wieso nicht?«

»Dieser Typ hat doch genau mitbekommen, wer dran war. Ich hab mich ja schon beim ersten Mal klar und deutlich vorgestellt.«

»Vielleicht war’s nur ein dummer Scherz«, überlegte Justus. »Konntest du hören, ob es ein Kind war?«

Peter schüttelte den Kopf. »Dieses tiefe Atmen kam definitiv von einem Erwachsenen.«

»Die Nummer wurde nicht zufällig im Display angezeigt, oder?«, fragte Bob. »Probier’s doch mal unter ›Eingegangene Anrufe‹.«

»Zwecklos, ich habe schon beim Annehmen gesehen, dass die Nummer unterdrückt war.«

Justus zuckte mit den Schultern. »Sofern dich der rätselhafte Atmer nicht nochmals anruft, wird sich die Sache wohl nicht klären lassen.«

»Auf weitere Anrufe von diesem Spinner kann ich gut verzichten«, entgegnete der Zweite Detektiv. »Richtig unheimlich war der. Ich glaube sogar, dass er irgendetwas geflüstert hat, aber das war kaum zu verstehen.«

Neugierig sah Bob ihn an. »Und was?«

Peter ließ beunruhigt den Blick nach draußen schweifen. »Ich sehe dich …«

Alte und neue Technik

Am Schrottplatz angekommen, trennten sich die drei ??? wie besprochen. Bob ging in die Zentrale, um das Foto anzufertigen, während Peter und Justus mit dem MG Richtung Norden fuhren. Nach knapp zehn Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht. Bevor der Zweite Detektiv in die Sheldon Street einbog, blickte er überrascht zu einem kleinen Laden hinüber.

»Seltsam, das Fernsehgeschäft vom alten Mr Bush hat doch zugemacht, oder?«

»Schon lange«, bestätigte Justus. »Sehr bedauerlich, aber gegen die Konkurrenz der großen Kaufhäuser konnte der Laden auf Dauer einfach nicht mithalten.«

»Schade drum. Ich finde, gerade solche Läden mit Charakter fehlen im Einheitsbrei von heute.«

»Du sagst es«, pflichtete Justus bei. »Aber wieso hast du eigentlich gefragt, ob der Laden zugemacht hat?«

»Ich hatte kurz überlegt, ob Mr Bush vielleicht wieder geöffnet hat, ohne dass wir etwas davon mitbekommen haben. Da standen nämlich mehrere Leute vor dem Eingang. Der kleine Dicke sah von hinten fast so aus wie Dick Perry.«

Der Erste Detektiv lächelte grimmig. »Vielleicht will unser Möchtegern-Columbo ja umsatteln: Fernseh-Perry: Wo Qualität ein Fremdwort ist! – Aber fahr jetzt mal ein bisschen langsamer. Wir sind schon bei den Siebziger-Nummern.«

»Ganz wie Sie wünschen, Käpt’n.«

Langsam bremste Peter ab und parkte hinter einem weißen Lincoln. Beim Aussteigen bemerkte er eine erstaunliche Anzahl Marienkäfer, die sich in kreisendem Sinkflug auf seinem Wagen niederließen. Verärgert wedelte er mit der Hand hin und her, richtete jedoch nur wenig aus.

»Mann, als hätten die Käfer eine Invasion geplant … Und das Hauptquartier ist natürlich meine Windschutzscheibe!«

Inzwischen war auch Justus ausgestiegen und hielt lauschend inne. Aus der Ferne drangen die dumpfen Bassrhythmen eines Rocksongs zu ihnen herüber.

»Nanu? Was ist das denn für Musik?«

Peter blickte in Richtung des Waldstücks, das sich nördlich von ihnen hinter den Häusern erstreckte. »Das muss von der Freilichtbühne drüben beim Sheldon Forest kommen. Wahrscheinlich eine Bandprobe für das Konzert morgen.«

»Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Da hingen ja überall Plakate rum.«

Peter schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber dass die ausgerechnet jetzt proben, am helllichten Nachmittag …«

»Wann sollen sie es denn deiner Meinung nach tun?«, fragte Justus belustigt. »Heute Nacht um zwölf?«

»Auch wieder wahr«, stimmte der Zweite Detektiv zu.

Justus ließ seinen Blick über die Häuserreihe zu seiner Rechten schweifen. »Ah, da ist die Nummer 83. Das ist also das Geburtshaus von Mrs Sullivan.« Er ging einige Schritte näher heran. »Laut Türschild wohnt dort jetzt eine … Sarah Tomkins.«

»Ich mach schon mal ein paar Fotos.« Peter zückte eine kleine Digitalkamera, drückte auf den Einschaltknopf, doch nichts rührte sich. Er versuchte es noch drei weitere Male, aber der Apparat blieb stumm und die Linse verschlossen.

»Och nein … Justus!«

Der Erste Detektiv drehte sich erstaunt zu seinem Freund um. »Was denn?«

»Na, hier!« Frustriert hielt Peter die Kamera in die Höhe. »Das Ding spinnt schon wieder! Ich drück wie blöd und nichts passiert. Du wolltest dich doch längst mal darum kümmern!«

In puncto Technik war Justus ausgesprochen begabt. So hatte er in der Vergangenheit zahlreiche elektronische Probleme bewältigt und schier aussichtslose Reparaturen gemeistert. Nicht selten blieb es Onkel Titus dadurch erspart, teure Fachleute zu engagieren, wenn irgendwo auf dem Gelände technische Schwierigkeiten auftraten. Darüber hinaus waren schon so manche ausrangierte Geräte, die Justus auf dem Schrottplatz entdeckt hatte, mit seiner Hilfe wieder zu neuem Leben erwacht.

»Jaja, tut mir leid.« Der Erste Detektiv zuckte verlegen mit den Schultern. »Irgendwie kam immer was dazwischen. Du weißt ja, wie viel in dieser Woche los war wegen der Lieferung aus Pasadena.«

»Ja, das weiß ich nur zu gut – schließlich hatten Bob und ich das Vergnügen, beim Abladen und Verstauen zu helfen. Aber wie sagst du doch immer so schön? Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«

»Richtig«, stimmte Justus zu. »Gestern Vormittag zum Beispiel hatte ich mir fest vorgenommen, das Ding mal genauer anzusehen, aber dann kam Onkel Titus mit einer Riesenkiste Kerzenständern und ich musste ihm beim Sortieren helfen.«

»Und diese Kerzenständer haben dich so in Anspruch genommen, dass du die Kamera vollkommen vergessen hast?«, hakte Peter zweifelnd nach.

»Das war ja noch nicht alles«, verteidigte sich der Erste Detektiv. »Als Krönung tauchte dann auch noch Abner Hunnicutt auf.«

»Oh, verstehe …« Peter seufzte mitfühlend. »Euer nervender Nachbar wollte euch mal wieder irgendwelchen wertlosen Plunder andrehen.«

Justus nickte mit gequälter Miene. »Leider war Onkel Titus gerade am Telefonieren, sodass ich den alten Abner übernehmen musste. Diesmal hatte er angeblich die Original- Tabaksdose von George Washington dabei.« Er ahmte Mr Hunnicutts aufgeregte Stimme nach: »Eine Antiquität von historischem Rang! Stell dir vor, von unserem ersten Präsidenten! Kaum zu fassen, dass ich dieses Prunkstück bei einem Straßenhändler ergattern konnte. Für nur hundert Dollar überlasse ich die Dose euch!«

»Und wie bist du ihn wieder losgeworden?«

»Da kam mir glücklicherweise der Zufall in Form von Tante Mathilda zu Hilfe. Sie muss meine Notlage bemerkt haben und hat das Gespräch dann übernommen. Na, du kennst sie ja. Freundlich, aber bestimmt hat sie Abner Hunnicutt erklärt, dass auf dem Tabaksdosen-Markt momentan nur die Präsidenten Jefferson und Monroe gefragt sind und sie deshalb nicht an dem Angebot interessiert sei.«

Peter schmunzelte. »Was würdet ihr bloß ohne Tante Mathilda machen?«

Auch Justus lächelte breit. »Ziemlich schnell pleitegehen vermutlich.«

Der Zweite Detektiv blickte sich demonstrativ um. »Na, hier in der Sheldon Street werden wir ja wohl kaum auf Mr Hunnicutt treffen. Einer Reparatur steht also nichts mehr im Wege.« Auffordernd hielt Peter ihm die Kamera hin.

Stirnrunzelnd nahm Justus den störrischen Apparat entgegen und betrachtete ihn von allen Seiten. »Dann wollen wir mal schauen. Vermutlich ist es ein Problem am Akkufach. Moment …«

Doch bevor er die kleine Klappe öffnen konnte, ertönte plötzlich ein vertrautes Summen.

»Voilà!« Grinsend gab Justus seinem Freund die Kamera zurück. »Es muss eben einfach ein Fachmann ran, dann läuft’s wieder.«

»Vor allem wenn der Fachmann ein unglaublicher Glückspilz ist«, knurrte Peter leise, griff sich die Kamera und knipste die ersten Fotos. Kurz darauf machte er eine interessante Entdeckung.

»Hey, schau mal – nebenan bei Nummer 81.«

Justus betrachtete das Türschild mit der verschnörkelten Schrift. »Clark Foley. Da haben wir wohl Pech, die Prestons wohnen hier nicht mehr. Damit müssen wir leider unseren aussichtsreichsten Namen vorerst von der Liste streichen.«

»Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Vielleicht weiß ja einer der Nachbarn, wo die Prestons hingezogen sind. Wenn’s nicht zu weit weg ist, können wir sie ja später noch besuchen.«

Der Erste Detektiv lächelte. »Sehr löblich, Peter – immer optimistisch bleiben. Außerdem sind die Prestons sicher nicht die Einzigen, die etwas über das Waldhaus zu berichten haben.«

»Genau. So eine unheimliche Geisterhütte sorgt bestimmt für jede Menge Gesprächsstoff.«

»Das sehe ich auch so«, bekräftigte Justus. »Also auf zu unserer großen Fragerunde!«

»In Ordnung.« Peter schaute misstrauisch zum Sheldon Forest hinüber. »Solange wir nicht auch noch das Gespensterhaus untersuchen müssen …«

»Natürlich nicht, wo denkst du hin?«, fragte der Erste Detektiv in gespieltem Erstaunen.

»Dem Himmel sei Dank.« Peter atmete leise auf. »Ich hatte mir schon Gedanken deswegen gemacht.«

»Aber nein – bei Tageslicht wäre das viel zu auffällig. Deshalb werden wir das nachts erledigen«, fuhr Justus fröhlich fort.

Peter konnte es nicht fassen. »Du … willst allen Ernstes heute Nacht zurückkommen und mitten durch den Wald zu diesem Spukhaus marschieren?«

»Um genau zu sein, werden wir drei mitten durch den Wald zum Spukhaus marschieren. Zu einer vollständigen Ermittlung gehört schließlich auch eine Tatort-Besichtigung.«

Wortlos drehte sich Peter um und murmelte im Weggehen genervt vor sich hin: »Ich hab mir eindeutig das falsche Hobby ausgesucht …«

»Viel Erfolg, Zweiter!«, rief der Erste Detektiv ihm gut gelaunt hinterher.

»Das völlig falsche Hobby!«

Fremde unerwünscht

Gerade als Peter einige weitere Bilder schießen wollte, bemerkte er, wie sich vom anderen Ende der Straße eine kleine Gruppe Jugendlicher näherte. Er ging zu Justus zurück und machte ihn auf die Ankömmlinge aufmerksam.

»Bei denen kannst du ja gleich anfangen. Ich versuche es dann mal bei Miss Tomkins.«

»Alles klar!«

Erwartungsfroh ging Justus der Gruppe entgegen. Wenn sie hier wohnten, konnten sie ihm bestimmt wertvolle Informationen geben. Es waren drei Jungen und ein Mädchen, alle etwa im selben Alter, die gemächlich auf ihn zuschlenderten. Der Größte von ihnen, der lässig seinen braun gebrannten Arm um die Taille des blonden Mädchens gelegt hatte, schien der Anführer zu sein. Mit seiner dunklen Lockenpracht, den breiten Schultern und der verspiegelten Sonnenbrille hätte er problemlos einem Surfer-Magazin entstiegen sein können. Er war offensichtlich ein Fan der Tennessee Titans, denn auf seinem roten T-Shirt prangte das charakteristische spitz zulaufende T dieses Football-Clubs.

Lächelnd hob Justus die Hand. »Hallo! Kann ich euch ein paar Fragen stellen? Ihr kommt doch von hier, oder?«

Der Große blieb vor dem Ersten Detektiv stehen. »Wer will das wissen?«

»Oh, entschuldigt, mein Name ist Justus Jonas und ich bin auf der Suche nach Informationen über das Ehepaar Preston, das früher hier gewohnt hat.«

Das Mädchen schnippte mit den Fingern. »He, jetzt erkenn ich den. Das ist doch dieser Schnüffler, der auf ’ner Müllhalde wohnt!«

Der Erste Detektiv zog die Stirn kraus. »Ein Gebrauchtwarencenter, um genau zu –«

»Hör zu, Qualle, so was wie dich mögen wir hier nicht!«, unterbrach ihn der Footballtyp barsch. »Also klemmst du deinen breiten Hintern lieber ganz schnell zurück in den Wagen und verschwindest!«

Von hinten näherte sich nun Peter, der bemerkt hatte, dass es Probleme gab. »Hey, wenn du Stress willst, versuch’s mit einem von deiner Größe!«

»Oho!«, raunte Mr T belustigt. »Specki hat seinen Bodyguard mitgebracht.«

Ungeduldig zupfte ihn das Mädchen am Ärmel. »Ach komm, Steve – lass die Typen doch. Ich hab echt keine Lust auf Ärger.«

»Da habt ihr noch mal Glück gehabt!«, fauchte einer der beiden anderen Jungen mit finsterer Miene. Er trug eine zerschlissene schwarze Trainingsjacke und schien ebenso wie der Footballer auf Krawall aus zu sein. Nun jedoch wurde er von seinem hinter ihm stehenden Freund, einem dicklichen, blassen Jungen mit ängstlichem Gesichtsausdruck, zurückgehalten.

»Los, Jack, wir gehen. Die Sache von heute Vormittag hat mir gereicht.«

Nach einem finsteren Blickwechsel zwischen Steve und Justus setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Einige Sekunden später drehte sich Jack jedoch um und stieß eine letzte Drohung aus. »Aber wenn wir nachher wiederkommen, seid ihr verschwunden, klar?«

»Das entscheiden wir selbst und niemand sonst!«, rief ihm Peter kampfeslustig hinterher.

Erleichtert wischte sich Justus über die schweißnasse Stirn. »Danke, Zweiter. Menschenskind, heute scheint mir jeder eins auf die Birne geben zu wollen.«

»Ist ja noch mal gut gegangen. Wahrscheinlich wollten sich diese Typen nur vor der Tussi aufspielen.«

»Möglich.« Justus atmete tief durch. »Allerdings hatte ich eher den Eindruck, als ob Fremde hier grundsätzlich unerwünscht sind.«

»Du meinst, die wollen hier unter sich bleiben und drohen jedem Prügel an, der sich aus Versehen in die Sheldon Street verirrt?«

»Zumindest haben diese Typen mich kaum ausreden lassen und waren von Anfang an feindselig. Fast so, als wenn sie in mir irgendeine Bedrohung sehen würden, die man so schnell wie möglich wieder loswerden müsste.«

Peter schmunzelte. »Entschuldige meine Offenheit, Chef, aber wie eine Bedrohung siehst du nicht gerade aus. Schon gar nicht für diesen baumlangen Beachboy.«

»Vollkommen zutreffend«, erwiderte der Erste Detektiv, ohne auf die kleine Spitze einzugehen. »Und deshalb glaube ich, dass es weniger um mich als Person ging, sondern eher um das, was ich hier tun könnte.«

Peter legte irritiert den Kopf schräg. »Nämlich?«

»Genau das, was wir vorhaben: die Nachbarn befragen!«

»Aha. Du meinst also, es geht diesen Typen gegen den Strich, dass wir hier Ermittlungen anstellen.« Der Zweite Detektiv überlegte kurz. »Aber diese Vermutung hält uns natürlich nicht davon ab, unsere Befragung trotzdem durchzuführen, richtig?«

Justus lächelte breit. »Goldrichtig.«

»Hatte ich mir schon gedacht.« Theatralisch seufzend wandte sich Peter in Richtung Haus Nummer 83 um. »Dann mal viel Erfolg! Und versuch, dich nicht wieder von irgendwem vermöbeln zu lassen.«

»Ich tue mein Bestes!« Der Erste Detektiv blickte kurz auf den Adresszettel, den Bob ihm mitgegeben hatte, dann machte er sich auf den Weg zur Hausnummer 74, um bei Mr Gabbin sein Glück zu versuchen. Während des Vorfalls mit den Jugendlichen schien hier jemand eingetroffen zu sein, denn in der Einfahrt stand nun ein sandfarbener Buick. Nachdem Justus geklingelt hatte, dauerte es nicht lange, bis die schwere Tür aufgeschlossen wurde. Ein schlanker, dunkelblonder Mann in den Dreißigern öffnete und blickte ihn misstrauisch an.

»Ja?«

Justus war etwas irritiert, weil er eine deutlich ältere Person erwartet hatte.

»Guten Tag, Sir. Äh, sind Sie Matthew Gabbin?«

»Nein, ich bin John, sein Neffe«, erwiderte der Mann unfreundlich. »Was willst du von meinem Onkel?«

»Mein Name ist Justus Jonas und ich würde Ihrem Onkel gern ein paar Fragen zu den ehemaligen Nachbarn stellen.«

»Moment …« John Gabbin wandte sich um und ging ins Haus. »Matt? Da will jemand was von dir.«