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Je tiefer die Dunkelheit, desto wacher im Cockpitdieses Audi A6 auf der A7 nordwärts, die Nacht knistert wie Kandis, dem man Tee zufügt oder Geschenkpapier, in das Sterne verwickelt sind, überhaupt: eine Nacht, durch die man gleitet wie durch einen Ärmel schwarzer Seide …Auszug aus dem Gedicht: Distanzen. StimulanzenNatürlich ist die Realität der Stoff, aus dem die Gedichte von Hellmuth Opitz sind. Aber wie er das macht, wie er jedes Wirklichkeitsmolekül mit poetischem Wunder und unvergesslichen Bildern auflädt -
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Seitenzahl: 53
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Hellmuth Opitz · Die Dunkelheit knistert wie Kandis
Diese Gedichte beherrschen souverän verschiedene Tonlagen: das rhythmisierte Sprechen in tradierten Formen ebenso wie das saloppe Parlando im erzählerischen Duktus. Die Realität ist die Reibefläche, an der sich ihre poetischen Funken entzünden, sie beziehen ihre Impulse aber auch aus zeitgenössischer Musik, ebenso aus dem Film. Denn es sind Gedichte voller Bilder, die im wahrsten Sinne des Wortes einleuchten – und das auf Anhieb. Macht sie das verdächtig? Vielleicht. Aber wenn, dann nur der Schönheit wegen. Es stimmt auch hier: Im Einfachen steckt die wahre Raffinesse.
„… ein kluger Vertreter des poetischen Realismus.“
Michael Braun „Deutschlandradio“
Hellmuth Opitz
Die Dunkelheit knistert wie Kandis
Gedichte
Bedanken möchte ich mich beim dänischen Konsortium des Brecht-Hauses in Svendborg, das mir im September 2010 ein vierwöchiges Aufenthaltsstipendium dort gewährte.
In Brechts ehemaligem Arbeitszimmer, mit Blick auf den Sund und den morsch gewordenen Birnbaum, bekam die Arbeit an diesem Band ihren entscheidenden Schub.
Zum Tee wurden feinste Schneebemerkungen gereicht
It is January, and I’m wide awake.
Tage, die nicht leben wollen und nicht sterben,
die zerrieben werden zwischen Bäuchen und Bräuchen,
die letzten Krümel Licht in den Auslagen früher
Nachmittage, enttäuschte Gesichter, vom Umtausch
ausgeschlossen, Tage, in denen Einkaufswagen
herumstehen, die niemand zurückbringt,
der Bahnhofsvorplatz ein Teller Milchreis mit Zimt,
die Streufahrzeuge kommen kaum durch,
Tage, aus denen jede Erwartung, jeder Glanz gewichen
ist, die letzten Fäden Lametta in den Zweigen der ersten
entsorgten Tannenbäume, Tage in Auflösung, wie alles
sich auflöst, was niemand gehört, abgerissene Zeit,
gegen die nichts hilft, nur der Trost von Berber Relax,
dem türkischen Friseursalon, aus dem jetzt gerade
einer auf die Straße tritt, zehn Jahre jünger,
den Nacken ausrasiert, die Zierleiste der Bartstoppeln
exakt geschnitten, tritt er hinaus, ein wenig Ordnung
in die Wildnis zu tragen und als er den Mantelkragen
hochschlägt, dreht er sich um, wirft einen Blick zurück
auf den Mann, der er eben noch war.
Schon wie es durch die Türe kam
und uns gleich als Geiseln nahm
im Schlitz der Sturmhaube
ein Furcht erregend starrer Blick
dicht wie nach einem harten Joint.
Es nahm sich einfach einen Freund
beim Fußballspielen mit
und brachte ihn nicht mehr zurück.
Versetzte Mutter ein paar Schocks,
sperrte sie in eine Box
mit Atemloch und sprach
dann höhnisch von Altersglück.
Am Ende ging es nur um Geld,
es hat sich fordernd aufgestellt,
uns beinahe ruiniert
und ist dann fortgegangen.
Nun haben wir dies Jahr geschafft,
es sitzt hier in Einzelhaft,
an einer Sekt-Perlschnur
wird es heut’ aufgehangen.
Neujahrsmorgen
und als wolle niemand
die frisch angebrochene Zeit
mit seiner Anwesenheit behelligen,
so leer gefegt die Straßen, so grau
gefugt die Kacheln des Himmels.
Jeder Blick nach draußen
gleitet daran ab oder bleibt
hängen an den Stromleitungen
wie diese Handvoll Krähen,
hingeworfene Noten auf Linien,
Präludium des Ungewissen.
Gegen Nachmittag setzt Schneefall ein
und noch immer niemand draußen,
nur die Wünsche von gestern,
hochgeschossen Punkt Mitternacht,
haltlos schwirren sie herum
in der verschorften Schneeluft.
Noch immer unbetreten die Wege,
noch immer betretenes Schweigen,
niemand, der das neue Jahr auffordert
zwischen all den tanzenden Flocken
nur gute Vorsätze, die keinen Eindruck
hinterlassen. Nicht den geringsten.
Zum Tee wurden
feinste Schneebemerkungen gereicht:
großer Gleichmacher
Bleichmacher
Weichmacher,
aus allen Ecken wehten Namen hinzu,
die um Landschaftsgestaltung kreisten,
Demokratie und andere Betäubungsmittel,
während draußen Menschen umhertrieben
in wattierten Mänteln wie Luftkissenboote
mit Motorschaden. Die Autos hatten
längst auf Kiemenatmung umgestellt
dicht am gewundenen Flusslauf der Straße,
die Kühlergrills voller Eiszapfen
lauerten sie: Welse in stillen Buchten.
Die Kathedrale dieses Wintermorgens betreten,
aufschauen zur Empore schneebestäubter Bäume.
Eiszapfen wie Orgelpfeifen,
der Nordost zieht alle Register.
Mit den Augen Krähen folgen,
den verwischten, flüchtigen Kajal-Strichen ihrer Flüge.
Ein Kopfschmerz füllt diesen Raum aus, klar wie
die Kopfstimme dieses Sängers, der ein Lied singt,
das nicht im Gesangbuch steht, ein Lied
mit dem Refrain: Oh mein Gott, Charles Darwin.
Die Stimme so hoch, es ist zum Niederknien,
und fragte mich jetzt jemand im Krähenschwarz
des Talars, ob ich ein Glaubender sei,
ich würde sagen: Heute morgen ja.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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