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Die neuen Gedichte von Hellmuth Opitz sind wie Akkus aus Sprache. Sie laden Wirklichkeiten lyrisch auf, bringen alltägliche Momente zum Leuchten und erzählen Geschichten, die sehr fein beobachtet sind. Dabei kommen sie so mühelos und unangestrengt daher, dass man immer wieder überrascht ist, wie unmerklich sich umgangssprachliche Lakonie in poetische Magie verwandeln kann. »Was so leicht daherkommt, fast wie ein prosaisches Dementi lyrischer Ekstasen, ist in Wirklichkeit sorgfältig gebaut, gefeilt und poliert.« Matthias Politycki | Frankfurter Allgemeine Zeitung
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Seitenzahl: 58
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Hellmuth Opitz · In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten
Die neuen Gedichte von Hellmuth Opitz sind wie Akkus aus Sprache. Sie laden Wirklichkeiten lyrisch auf, bringen alltägliche Momente zum Leuchten und erzählen Geschichten, die sehr fein beobachtet sind. Dabei kommen sie so mühelos und unangestrengt daher, dass man immer wieder überrascht ist, wie unmerklich sich umgangssprachliche Lakonie in poetische Magie verwandeln kann.
Hellmuth Opitz
In diesenleuchtendenBernsteinmomenten
Gedichte
Der Intellektuelle hasst den Dichter, weil er zwar
seine schwierigen, nicht aber seine einfachen Sätze versteht.
Gerhard Falkner | Berlin – Eisenherzbriefe
Dein Gesicht gehört geküsst
We got high on travel
And we got drunk on alcohol
And on love the strongest poison and medicine of all
Joni Mitchell | A Strange Boy
Limonade
Diese dickflüssigen Sommernachmittage,
in denen wir schwammen,
wenn wir vom Bolzen kamen,
die Kehlen verklebt vom Ascheplatz,
Nachmittage aus Harz, die uns
träge die Beine herunterliefen,
wenn wir auf der Veranda saßen
und deine Mutter erschien
in dieser ärmellosen Bluse,
die überm Nabel verknotet war.
Diese Stimme, wenn sie fragte:
Kleine Erfrischung, Jungs?
Und wenn sie dann den Krug
selbst gemachter Zitronenlimonade
auf den Tisch stellte,
da war es, als setze sich das
goldgelbe Licht dieses Nachmittags
in Bewegung und rolle mit uns
ganz langsam zu Tal.
Jahrtausende später
wird man uns finden,
gefangen in solchen
Bernsteinmomenten,
winzige Einschlüsse: du, ich,
deine Mutter und der Durst,
den nie ein Getränk zu löschen
vermochte.
Anflug eines Lächelns
Kaum wahrzunehmen,
eher ein leichtes
Nachwippen der Zweige,
wenn die Blaukehlchen
deines Blicks längst
davon gefedert sind,
der Nachklang eines
Schwirrens, zu schwach
für ein Geräusch,
eine Strähne, die
in die Stirn fällt
aus den Augenwinkeln
vielleicht, wo ich ihre
Nistplätze vermute.
Gern hätte ich gesagt,
es betrete die Lichtung
deines Gesichts,
doch von Betreten
kann keine Rede sein,
nein, ein Anflug, der im
Abflug allein sichtbar
wird, ein Hauch nur,
beflügelt von
Scheuheit und Schönheit,
flüchtig, als sei diese
Lichtung überbelichtet,
als stecke im Wunder
die Wunde schon drin.
Kirschn küssn
Klauen oder klauben mit den Lippen,
Mundrauben, sagst du, mit der Zunge stippen
gegen das Fruchtfleisch einer Frucht,
von der ich nicht weiß, ob ich sie
trinken oder beißen soll, am besten
beides, sagst du, während du dich
bückst und pflückst mit beiden Händen,
die Zweige wippen, der Saft läuft dir über
Zähne, Lippen, Kinn, du streifst dir eine
Strähne hinters Ohr, wo schon die reifen
Zwillingskirschen stecken im Kleid
und in der Hose, deine Hände streifen
weiter hinein ins Atemlose und die Flecken,
frage ich, du lachst mich aus und tippst mir
an die Stirn, sagst, die gehen da nie wieder raus.
Flamingofarbener Abend im Stelzlicht
die Geliebte beim Anziehn des Etuikleids.
Allein: Etuikleid zu sagen, dieses ärmellose
Wort, das vorn im Mund aufgeführt wird
wie ein schüchterner Zungenkuss, ein Wort,
bei dem der Reißverschluss nicht zugeht.
Sie dreht sich um, ihr Lächeln weiß genau,
wie bestechlich meine Blicke sind: so
tret ich hinter sie, das Kleid zu schließen,
meine Nasenflügel im Aufwind ihres
Nackenwirbels, ach, in dieser Halsbeuge
möchte ich den Rest meines Lebens verbringen.
Sie lächelt wieder: Welche Klarnamen
für mein Begehren will sie denn noch?
Ich lege meine Blicke an die Kette,
den Verschluss ihrer Lieblingskette
mit dem grünen Turmalin. Er leuchtet.
Aaah, jetzt schüttelt die Geliebte ihr Gefieder.
Selfie mit Sophie
Und gerade als ich diesen bernsteinprächtigen Pint Red Ale hinunterstürzen will, da fliegt doch glatt die kalte Sophie auf meinen abgespreizten kleinen Finger. Wie immer steckt sie bis zum Hals in Tätowierungen und anderen Schwierigkeiten. Geh nicht weg, flötet sie, ich muss mal grad für goldene Kanarienvögel, schon flattert sie davon in diesen aufgeschäumten Abend, an dem die Hähne krähen wie verrückt. Und dann setzt wieder das Gefiedel ein und ich stürze weiter, stürze ins Glas, stürze diese irischen Melodien hinab, diese aus Noten gebauten Wendeltreppen, bestürzend schnell gespielt für den Rausch in Schwindel erregenden Tiefen.
In der Sekunde davor
Diese Bewegung, mit der sie
im Café aus dem Wintermantel
gleitet, ihn auf die Lehne
eines Stuhles legt.
Dieses Wort, wie es
nachklingt: Wintermantel.
Als wolle es die ganze Sprache
warm umhüllen.
Dieser Blick, der eigene,
wie er umher tastet, naturtrüb noch
in der Sekunde, bevor er weiß,
dass er liebt.
Diese Gewissheit, ab sofort
nie wieder Wintermantel
sagen zu können,
ohne dich zu denken.
Nachtschwimmen
Der Vollmond serviert uns den Svendborger Sund
auf dem Silbertablett, ein kühler Teller
glänzender Münzen.
Auf dem Weg zum Steg kichern wir unentwegt,
weil es wieder dieses Heimliche hat,
wie damals im Freibad,
heillos beschwipst vom sternhagelvollen August,
als ich dich das erste Mal nackt sah,
wunderbar deine unentschlossenen Brüste:
wie du mir entgegen frorst. Wir waren so leise
wie möglich mit den Händen am Beckenrand
des jeweils andern.
Doch kurze Zeit später bannten uns Blaulicht,
Kegel von Taschenlampen und die Frage,
was uns bloß einfiele.
Wir plädierten auf unschuldig und tatsächlich
gewährte man uns die mildernden Umstände
einer tropischen Spätsommernacht.
Bruchstaben
Komm, nimm dir mein H.
Ich schnapp nach deinem I
und wenn ich naschen
darf an deinem A,
kriegst du mein Doppel-L.
So war das. So ging das
über Tische und Bänke
in deinem und in meinem
Namen. Buchstäblich
verzehrten wir uns.
Und heute, wo so viel
Unausgesprochenes, du
weißt schon, haben wir
keine Namen dafür,
nur Stückwerk.
Komm, leg an mit mir
Buchstab um Bruchstab,
bauen wir weiter
an dieser Liebes
Erklärung auf Russisch
Brot.
Leviten lesen
Also bitte: Dieser Lippenstift ist doch wohl
eine Kampfansage. Oder eine Blüte. So viel Gift.
Und so viel Güte. Hart behauptet.
Watteweich.
Doch ganz gleich, ob mundtot oder
wundrot: Deine Lippen
sind Schießbudenrosen,
so ballerst du deine Sätze heraus.
Und nennst das Freiheit der Rede.
Oder Stoßgebet.
Sodass ein jeder staunend steht
wie vor einem Kunstwerk
ohne Namen und sich denkt: Die Kunst?
Na ja. Jedoch der Rahmen.
Die Augen fahren über diesen Mund
mit seinem Rot und den dahinter
kühl möblierten Räumen.
Von der Unnachgiebigkeit deiner Sätze
können deine Lippen nur träumen.
Sag es so
Komm, wirf mir etwas an den Kopf:
Briefbeschwerer, Whiskeyglas,
ein fieses Schimpfwort, irgendwas,
damit ich weiß, die Wut ist echt,
sie lässt dir einfach keine Wahl,
zu spürn, es ist dir nicht egal
und bitte: keine Jammerklage,
keine weinerliche Frage,
was ich mir denn jetzt hier erlaube.
Knall mir lieber eine rein. Und:
Sag es so, dass ich es glaube.
Beug dich noch einmal über mich,
so, dass dein Haar in Strömen fließt
und sich in mein Gesicht ergießt.
Ich weiß, ich hab es nicht verdient,
dass du mir nackte Haut spendierst
und mich mit Küssen tätowierst,
auf deinem weichen Bauch zu ruhn.
Kannst du noch einmal nur so tun,
als ob ich dir den Atem raube?
Dann wirf dein Haar zurück. Und:
Sag es so, dass ich es glaube.
Such dir den schönsten Abend aus,
reservier den Tisch zu zweit,
für dich und meine Ahnungslosigkeit.
Nimm dir den passenden Moment,
den Lippenstift hol aus der Tasche
und bestell die beste Flasche.
Zieh die Lippen nach und dann
stoßen wir gemeinsam an