In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten - Hellmuth Opitz - E-Book

In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten E-Book

Hellmuth Opitz

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Beschreibung

Die neuen Gedichte von Hellmuth Opitz sind wie Akkus aus Sprache. Sie laden Wirklich­keiten lyrisch auf, bringen alltägliche Momente zum Leuchten und erzählen Geschichten, die sehr fein beobachtet sind. Dabei kommen sie so mühelos und unangestrengt daher, dass man immer wieder überrascht ist, wie unmerklich sich umgangssprachliche Lakonie in poetische Magie verwandeln kann. »Was so leicht daherkommt, fast wie ein prosaisches Dementi lyrischer Ekstasen, ist in Wirklichkeit sorgfältig gebaut, gefeilt und poliert.« Matthias Politycki | Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Hellmuth Opitz · In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten

Die neuen Gedichte von Hellmuth Opitz sind wie Akkus aus Sprache. Sie laden Wirklichkeiten lyrisch auf, bringen alltägliche Momente zum Leuchten und erzählen Geschichten, die sehr fein beobachtet sind. Dabei kommen sie so mühelos und unangestrengt daher, dass man immer wieder überrascht ist, wie unmerklich sich umgangssprachliche Lakonie in poetische Magie verwandeln kann.

Hellmuth Opitz

In diesenleuchtendenBernsteinmomenten

Gedichte

Der Intellektuelle hasst den Dichter, weil er zwar

seine schwierigen, nicht aber seine einfachen Sätze versteht.

Gerhard Falkner | Berlin – Eisenherzbriefe

Dein Gesicht gehört geküsst

We got high on travel

And we got drunk on alcohol

And on love the strongest poison and medicine of all

Joni Mitchell | A Strange Boy

Limonade

Diese dickflüssigen Sommernachmittage,

in denen wir schwammen,

wenn wir vom Bolzen kamen,

die Kehlen verklebt vom Ascheplatz,

Nachmittage aus Harz, die uns

träge die Beine herunterliefen,

wenn wir auf der Veranda saßen

und deine Mutter erschien

in dieser ärmellosen Bluse,

die überm Nabel verknotet war.

Diese Stimme, wenn sie fragte:

Kleine Erfrischung, Jungs?

Und wenn sie dann den Krug

selbst gemachter Zitronenlimonade

auf den Tisch stellte,

da war es, als setze sich das

goldgelbe Licht dieses Nachmittags

in Bewegung und rolle mit uns

ganz langsam zu Tal.

Jahrtausende später

wird man uns finden,

gefangen in solchen

Bernsteinmomenten,

winzige Einschlüsse: du, ich,

deine Mutter und der Durst,

den nie ein Getränk zu löschen

vermochte.

Anflug eines Lächelns

Kaum wahrzunehmen,

eher ein leichtes

Nachwippen der Zweige,

wenn die Blaukehlchen

deines Blicks längst

davon gefedert sind,

der Nachklang eines

Schwirrens, zu schwach

für ein Geräusch,

eine Strähne, die

in die Stirn fällt

aus den Augenwinkeln

vielleicht, wo ich ihre

Nistplätze vermute.

Gern hätte ich gesagt,

es betrete die Lichtung

deines Gesichts,

doch von Betreten

kann keine Rede sein,

nein, ein Anflug, der im

Abflug allein sichtbar

wird, ein Hauch nur,

beflügelt von

Scheuheit und Schönheit,

flüchtig, als sei diese

Lichtung überbelichtet,

als stecke im Wunder

die Wunde schon drin.

Kirschn küssn

Klauen oder klauben mit den Lippen,

Mundrauben, sagst du, mit der Zunge stippen

gegen das Fruchtfleisch einer Frucht,

von der ich nicht weiß, ob ich sie

trinken oder beißen soll, am besten

beides, sagst du, während du dich

bückst und pflückst mit beiden Händen,

die Zweige wippen, der Saft läuft dir über

Zähne, Lippen, Kinn, du streifst dir eine

Strähne hinters Ohr, wo schon die reifen

Zwillingskirschen stecken im Kleid

und in der Hose, deine Hände streifen

weiter hinein ins Atemlose und die Flecken,

frage ich, du lachst mich aus und tippst mir

an die Stirn, sagst, die gehen da nie wieder raus.

Flamingofarbener Abend im Stelzlicht

die Geliebte beim Anziehn des Etuikleids.

Allein: Etuikleid zu sagen, dieses ärmellose

Wort, das vorn im Mund aufgeführt wird

wie ein schüchterner Zungenkuss, ein Wort,

bei dem der Reißverschluss nicht zugeht.

Sie dreht sich um, ihr Lächeln weiß genau,

wie bestechlich meine Blicke sind: so

tret ich hinter sie, das Kleid zu schließen,

meine Nasenflügel im Aufwind ihres

Nackenwirbels, ach, in dieser Halsbeuge

möchte ich den Rest meines Lebens verbringen.

Sie lächelt wieder: Welche Klarnamen

für mein Begehren will sie denn noch?

Ich lege meine Blicke an die Kette,

den Verschluss ihrer Lieblingskette

mit dem grünen Turmalin. Er leuchtet.

Aaah, jetzt schüttelt die Geliebte ihr Gefieder.

Selfie mit Sophie

Und gerade als ich diesen bernsteinprächtigen Pint Red Ale hinunterstürzen will, da fliegt doch glatt die kalte Sophie auf meinen abgespreizten kleinen Finger. Wie immer steckt sie bis zum Hals in Tätowierungen und anderen Schwierigkeiten. Geh nicht weg, flötet sie, ich muss mal grad für goldene Kanarienvögel, schon flattert sie davon in diesen aufgeschäumten Abend, an dem die Hähne krähen wie verrückt. Und dann setzt wieder das Gefiedel ein und ich stürze weiter, stürze ins Glas, stürze diese irischen Melodien hinab, diese aus Noten gebauten Wendeltreppen, bestürzend schnell gespielt für den Rausch in Schwindel erregenden Tiefen.

In der Sekunde davor

Diese Bewegung, mit der sie

im Café aus dem Wintermantel

gleitet, ihn auf die Lehne

eines Stuhles legt.

Dieses Wort, wie es

nachklingt: Wintermantel.

Als wolle es die ganze Sprache

warm umhüllen.

Dieser Blick, der eigene,

wie er umher tastet, naturtrüb noch

in der Sekunde, bevor er weiß,

dass er liebt.

Diese Gewissheit, ab sofort

nie wieder Wintermantel

sagen zu können,

ohne dich zu denken.

Nachtschwimmen

Der Vollmond serviert uns den Svendborger Sund

auf dem Silbertablett, ein kühler Teller

glänzender Münzen.

Auf dem Weg zum Steg kichern wir unentwegt,

weil es wieder dieses Heimliche hat,

wie damals im Freibad,

heillos beschwipst vom sternhagelvollen August,

als ich dich das erste Mal nackt sah,

wunderbar deine unentschlossenen Brüste:

wie du mir entgegen frorst. Wir waren so leise

wie möglich mit den Händen am Beckenrand

des jeweils andern.

Doch kurze Zeit später bannten uns Blaulicht,

Kegel von Taschenlampen und die Frage,

was uns bloß einfiele.

Wir plädierten auf unschuldig und tatsächlich

gewährte man uns die mildernden Umstände

einer tropischen Spätsommernacht.

Bruchstaben

Komm, nimm dir mein H.

Ich schnapp nach deinem I

und wenn ich naschen

darf an deinem A,

kriegst du mein Doppel-L.

So war das. So ging das

über Tische und Bänke

in deinem und in meinem

Namen. Buchstäblich

verzehrten wir uns.

Und heute, wo so viel

Unausgesprochenes, du

weißt schon, haben wir

keine Namen dafür,

nur Stückwerk.

Komm, leg an mit mir

Buchstab um Bruchstab,

bauen wir weiter

an dieser Liebes

Erklärung auf Russisch

Brot.

Leviten lesen

Also bitte: Dieser Lippenstift ist doch wohl

eine Kampfansage. Oder eine Blüte. So viel Gift.

Und so viel Güte. Hart behauptet.

Watteweich.

Doch ganz gleich, ob mundtot oder

wundrot: Deine Lippen

sind Schießbudenrosen,

so ballerst du deine Sätze heraus.

Und nennst das Freiheit der Rede.

Oder Stoßgebet.

Sodass ein jeder staunend steht

wie vor einem Kunstwerk

ohne Namen und sich denkt: Die Kunst?

Na ja. Jedoch der Rahmen.

Die Augen fahren über diesen Mund

mit seinem Rot und den dahinter

kühl möblierten Räumen.

Von der Unnachgiebigkeit deiner Sätze

können deine Lippen nur träumen.

Sag es so

Komm, wirf mir etwas an den Kopf:

Briefbeschwerer, Whiskeyglas,

ein fieses Schimpfwort, irgendwas,

damit ich weiß, die Wut ist echt,

sie lässt dir einfach keine Wahl,

zu spürn, es ist dir nicht egal

und bitte: keine Jammerklage,

keine weinerliche Frage,

was ich mir denn jetzt hier erlaube.

Knall mir lieber eine rein. Und:

Sag es so, dass ich es glaube.

Beug dich noch einmal über mich,

so, dass dein Haar in Strömen fließt

und sich in mein Gesicht ergießt.

Ich weiß, ich hab es nicht verdient,

dass du mir nackte Haut spendierst

und mich mit Küssen tätowierst,

auf deinem weichen Bauch zu ruhn.

Kannst du noch einmal nur so tun,

als ob ich dir den Atem raube?

Dann wirf dein Haar zurück. Und:

Sag es so, dass ich es glaube.

Such dir den schönsten Abend aus,

reservier den Tisch zu zweit,

für dich und meine Ahnungslosigkeit.

Nimm dir den passenden Moment,

den Lippenstift hol aus der Tasche

und bestell die beste Flasche.

Zieh die Lippen nach und dann

stoßen wir gemeinsam an