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Der israelische Privatagent Daud gerät ins Visier einer Terrorgruppe, die ihn bedingungslos verfolgt - egal, in welchem Land er sich gerade zuhause fühlt. Mit seiner Ehefrau Hana, einer arabischen Anwältin, gründet er eine Familie, die jedoch von Beginn an in großer Gefahr schwebt. Am Ende müssen sich Daud und Hana entscheiden, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist - und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Ein Roman, der nicht nur die brisanten Konflikte um Israel hervorhebt, sondern auch die Bedeutung von Heimat, Familie und Berufung. Robert Whitlow gelingt es wieder, Spannung, Glauben und Themen rund um Israel zu vereinen. Der actionreiche Folgeband zu "Der Auftrag"!
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Seitenzahl: 570
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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe,die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung,die sich für die Förderung und Verbreitung christlicherBücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7592-0 (E-Book)ISBN 978-3-7751-6175-6 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Aachen
© der deutschen Ausgabe 2023SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]
Originally published in English under the title: Promised Land © 2020 by Robert WhitlowPublished by arrangement with Thomas Nelson, a division of HarperCollins ChristianPublishing, Inc.
Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen.
Übersetzung: Renate HübschLektorat: Tanja OmenzetterUmschlaggestaltung: Oliver Berlin, www.oliverberlin.bizTitelbild: AdobeStockSatz: Satz & Medien Wieser, Aachen
Kommt, wir wollen auf den Berg des Herrn steigen,zum Tempel des Gottes Israels.Dort wird er uns seine Wege lehren,damit wir so leben, wie er es möchte.Micha 4,2
Über den Autor
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Epilog
Danksagung
Leseempfehlungen
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
ROBERT WHITLOW arbeitete als Anwalt, bevor er Bestsellerautor zahlreicher Justizthriller und Preisträger des Christy Awards für zeitgenössische Belletristik wurde. Er erwarb sein Juradiplom mit Auszeichnung an der University of Georgia School of Law. Mit seiner Familie lebt er in North Carolina, USA.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Rahal Abaza saß regungslos da und starrte aus seinem Bürofenster auf den Persischen Golf, der sich als weites Panorama vor ihm erstreckte. Unter einem wolkenlosen Himmel glitzerte das tiefblaue Wasser, das von einem sanften Wind gekräuselt wurde. Rahal wohnte in Doha, der Hauptstadt Katars, der größten Stadt des Landes. Seine moderne Wohnung im Stadtteil Al Dafna nahm das gesamte sechsunddreißigste Stockwerk eines Wolkenkratzers ein, sein Büro eine weitere Etage. Das Gebäude gehörte zur Hälfte ihm, der Miteigentümer war ein Mitglied des katarischen Königshauses.
Rahal war der älteste Sohn der zweiten Frau seines Vaters. Schon als Junge hatte er sich durch einen scharfen Verstand ausgezeichnet und auch wegen seiner Geschicklichkeit im Bogenschießen und seines literarischen Talents Aufmerksamkeit erregt. Nach dem Tod seines Vaters hatte er die Verwaltung des Anteils der Familie an den Ölreserven des Landes übernommen und schnell andere Geschäftsbereiche hinzugewonnen. Darunter waren auch etliche Verträge mit der US-Regierung auf dem zwanzig Meilen südwestlich von Doha gelegenen Luftwaffenstützpunkt Al Udeid – mit mehr als elftausend Einwohnern die größte Konzentration von US-Militärpersonal im Nahen Osten. Rahals Unternehmen lieferte alles, vom Reinigungsservice für das Bad bis zu Kaviar für Bankette.
Vor fünf Jahren hatte sich Rahals Leben dramatisch verändert. Während einer Pilgerreise nach Mekka war er – nicht weit vom Eingang der Heiligen Moschee – einem verhärmten alten Bettler begegnet. Da er auf einer Pilgerreise war, war Rahal stehen geblieben, um dem Mann ein Almosen zu geben. Mit überraschender Kraft hatte der Bettler seine Hand gepackt und nicht losgelassen, bis Rahal ihm direkt in die Augen gesehen hatte.
»Gib deinen Reichtum nicht für dein eigenes Vergnügen aus, sondern für den Ruhm des Dschihad, bis die ganze Erde Allah und seinem Propheten unterworfen ist. Dann wirst du im Paradies mit offenen Armen empfangen werden«, hatte der alte Mann gesagt.
Rahal hatte seine Hand weggezogen. Der Bettler hatte das Geld auf den Boden geworfen und vor ihm ausgespuckt.
»Bring deine verruchten Almosen an den Ort der Qual«, hatte er gefordert.
Rahal hatte den Blick nicht vom Gesicht des Bettlers losreißen können. Die Augen des alten Mannes waren wie tiefe Seen, tiefer als alles, was es in der Natur gab. Rahal hatte dieser durchdringenden Präsenz entkommen wollen, aber seine Füße waren wie festgewurzelt gewesen. In der Heiligen Stadt befanden sich zur Zeit des Hadsch über eine Million Pilger, aber Rahal hatte sich völlig allein gefühlt. Er war niedergekniet und hatte mit zitternden Händen das Geld eingesammelt.
»Was muss ich tun?«, hatte er gefragt.
»Erkenne Ali als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten an«, hatte der alte Mann mit tiefer, eindringlicher Stimme gesagt. »Wahrheit fließt aus der Wahrheit.«
Rahal war zurückgezuckt.
»Aber ich bin Sunnit«, hatte er protestiert. »Genau wie alle meine Väter vor mir. Ich mache den Hadsch, wie vom Propheten befohlen.«
»Du!«, hatte der Mann gesagt und den Zeigefinger in Rahals Brust gebohrt. »Du bist ein Ungläubiger!«
Rahals Herz hatte wild gepocht. Er war als Sunnit aufgewachsen, nicht als Schiit. Die größte Kontroverse zwischen den beiden Gruppen bestand in der Frage der direkten Erbfolge des Propheten Mohammed. Rahal hatte bisher niemandem erzählt, dass er seit mehr als zwei Jahren in dieser Frage äußerst zwiegespalten war. Wenn er in Katar, wo neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung und die gesamte politische Führung Sunniten waren, Zweifel am sunnitischen Glauben äußerte, würde er geächtet werden, wenn nicht Schlimmeres. Rahal hatte gespürt, wie es seine Seele förmlich zerriss.
»Ich habe Fragen«, hatte er mit zitternder Stimme gesagt.
»Keine Fragen mehr!« Der Alte hatte warnend die Stimme erhoben.
»Aber …«
»Geh«, hatte der Alte befohlen und auf die Heilige Moschee und die Kaaba gedeutet. Und plötzlich hatten sich Rahals Füße aus ihrer Erstarrung gelöst, und er war mit der Menge der Pilger, die ihn kurz zuvor noch umströmt hatte wie Wasser einen Felsen in einem Fluss, mitgerissen worden. In den nächsten Tagen hatte er die Pilgerpflichten erfüllt, die der Hadsch verlangte. Aber die Drohung des Alten hatte ihn in jeder wachen Minute verfolgt, und seine eindringlichen Worte hatten sich in sein Bewusstsein eingegraben und seine bisherigen Überzeugungen als falsch entlarvt. Mehrmals war er an den Ort zurückgekehrt, an dem er dem Alten begegnet war, aber er hatte ihn nie wiedergesehen. Vielleicht war er ein Malak gewesen, ein Engel.
Rahal war nach Doha zurückgekehrt und hatte den Mietvertrag für die Wohnung in Paris gekündigt, in der seine favorisierte Geliebte wohnte. Er hatte angefangen, intensiver als zuvor den Koran zu studieren, hatte lange Passagen auswendig gelernt und sich heimlich Predigten einflussreicher schiitischer Imame angehört. Bald war er völlig davon überzeugt, dass die sunnitische Häresie ein fast ebenso großes Übel darstellte wie die moralische Korruption des Westens. Das Einzige, was beides übertraf, war das Krebsgeschwür der Gegenwart der Zionisten an den Küsten des Mittelmeers.
Rahals Frau kümmerte nichts anderes als ihr Lebensstandard. Seine beiden erwachsenen Töchter waren mit Männern verheiratet, die sich mehr für Pferderennen interessierten als für Religion. Rahal hatte weder einen Sohn noch Männer seines Alters, mit denen er offen reden konnte. Vorsichtig begann er, neue Beziehungen anzuknüpfen, um sich mit mehr Menschen zu umgeben, die seinen Eifer und seinen Glauben teilten.
»Sir«, sagte plötzlich eine männliche Stimme hinter Rahal.
Rahal drehte sich mitsamt seinem Stuhl um und sah sich zwei drahtigen, kräftigen jungen Männern Anfang dreißig gegenüber. Khalil und Mustafa Morsi stammten aus einer angesehenen schiitischen Familie in Beirut, die durch die politischen Umwälzungen im Libanon in eine schwierige Lage geraten war. Sie teilten Rahals Glaubensüberzeugungen und wussten von seinem spirituellen Wandel während des Hadsch. Khalil war IT-Experte, hatte in Deutschland studiert und war ein Hafiz, die Ehrenbezeichnung für jemanden, der den gesamten Koran auswendig gelernt hatte. Mustafa, zwei Jahre jünger, war Rahals Sicherheitschef. Bevor er nach Katar gekommen war, hatte er fünf Jahre in einer militärischen Eliteeinheit der Hisbollah im Libanon gedient. Die Brüder sahen sich so ähnlich, dass sie als Zwillinge durchgehen konnten.
Es war bekannt, dass die Brüder Schiiten waren. Dass sie zu Rahals Vertrauten gehörten, erregte keinen Verdacht, denn als Untergebene fielen sie nicht ins Gewicht.
»Sie wollten uns sehen«, sagte Khalil mit einer angedeuteten Verneigung.
»Ja«, bestätigte Rahal. »Ich möchte euch eine Frage stellen.«
Weder Khalil noch Mustafa zeigten in seiner Gegenwart irgendwelche Anzeichen von Nervosität oder Angst. Unter anderem aus diesem Grund hatte Rahal die begabten jungen Männer in seinen inneren Kreis aufgenommen. Gefühle waren der Feind des Mutes.
»Wo ist das Herz der Finsternis?«, fragte Rahal.
»An vier Orten«, antwortete Khalil. Er fand schneller Worte als sein Bruder Mustafa, der schweigsamere von beiden. »In der Seele eines Ungläubigen, in den Augen einer schamlosen Frau, im Land, das von Juden besetzt ist, und in Amerika.«
»Du hast gut geantwortet«, antwortete Rahal. »Lass mich noch einen weiteren Ort hinzufügen – im Abtrünnigen, der die verrät, die dem Propheten folgen.«
Beide Brüder nickten.
»Was sollten wir gegen das Herz der Finsternis tun?«, fuhr Rahal fort.
»Wir sollen es mit dem Schwert des Dschihad zerschlagen!« Mustafas rechte Hand deutete einen Dolchstoß an.
»Und wer führt dieses Schwert in meinem Haus am besten?«
»Das bin ich.« Mustafa richtete sich noch gerader auf.
Khalil legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. »Und zusammen sind wir unbesiegbar.«
»Setzt euch zu mir«, sagte Rahal und wies auf zwei leere Stühle. »Ich möchte mit euch darüber sprechen, wie wir die Finsternis in Scharm El-Scheich mitten ins Herz treffen können.«
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Es war 3:33 Uhr morgens und Hana Abboud Hasan verspürte ein inneres Bedürfnis zu einem nächtlichen Gebet. Daud, ihr Mann, mit dem sie seit sechs Monaten verheiratet war, war auf einer dienstlichen Reise im Ausland. Daud hatte einen festen Schlaf und wachte nur selten auf, wenn sie nachts aus dem Bett schlüpfte. Als Hana ihn einmal darauf angesprochen hatte, hatte er gelächelt und gesagt: »Der Schlaf der Gerechten ist süß.« Hana hatte die Augen verdreht, aber nicht widersprochen. Daud war ein guter Mann, der Ehemann, um den sie gebetet hatte, und der Seelenpartner, den Gott eigenhändig für sie ausgewählt hatte.
Hana ging in das Wohnzimmer des kleinen Häuschens, in dem sie seit ihrem Umzug von Israel in die USA wohnte. Sie knipste eine Lampe an und schlug ihre Bibel auf. Ein leises Winseln kam aus der Küche, gefolgt von einer Reihe kurzer Schniefer. Die Quelle der Geräusche war Leon, ihr zotteliger, fünfundachtzig Pfund schwerer, schwarz-weißer Hund, der vor über einem Jahr aus dem Wald in Hanas Leben hineinspaziert war. Leon war eine Promenadenmischung aus großen Hunderassen und ähnelte einem kleinen Bernhardiner. Sein dickes Fell hatte Hana und Daud veranlasst, die Klimaanlage des Hauses ein paar Grad kühler zu stellen, damit sich ihr tierischer Mitbewohner in der schwülen Hitze des Sommers in Atlanta wohlfühlte. Zudem hofften sie zu vermeiden, dass dem Hund ständig die lange rote Zunge aus dem Maul hing und er das ganze Haus vollsabberte.
Hana las einen Psalm, steckte sich dann die Kopfhörer in die Ohren und lauschte der Anbetungsmusik. Der Text war in Aramäisch, der alten Sprache, die Jesus und seine Jünger gesprochen hatten. Hana sprach Arabisch, Hebräisch, Englisch und Französisch. Sie beherrschte Aramäisch nicht fließend, aber sie wusste genug, um bekannte Lieder zu verstehen. Sie schloss die Augen und lauschte den Melodien. Für einen Menschen aus dem Westen klangen sie vielleicht unharmonisch oder fremd. Aber für Hana fing die Musik die Weite des sternenübersäten Himmels ein, der ihre Vorfahren veranlasst hatte, ins Firmament zu blicken und den anzubeten, der alles geschaffen hat. Mit ihrer klaren Altstimme sang Hana leise mit. Dann ging sie zu Liedern auf Arabisch über.
Als das letzte Lied verklang, stieg ganz plötzlich ein Liedtext in Hanas Herzen auf. Sie stellte die Musik ab und sang ohne Begleitung weiter. Das neue Lied war eine Mischung aus Gebet und Bekenntnis. Sobald sich in ihren Gedanken eine Zeile formte, wiederholte sie sie so lange, bis sie den Eindruck hatte, weitergehen zu können. Eine Zeile nach der anderen tat sich Hana auf, wurde von ihr wiederholt und dem Vorhergehenden hinzugefügt. Es gab nur weniges, was Hanas Vertrauen in Gottes Liebe und seine Treue mehr stärkte als die Lieder, die er ihr schenkte. Aber heute Nacht war ihr Lied nicht Ausdruck ihrer Anbetung. Heute sang sie eine Fürbitte – eine Fürbitte für ihren Mann.
Daud saß allein in einem Hotelzimmer in Scharm El-Scheich in Ägypten. Neben ihm auf dem Bett lag ein abhörsicheres Mobiltelefon, das er von der US-Regierung erhalten hatte. Durch das Fenster hatte er einen freien Blick auf die Na'ama-Bucht und ihren in der Sonne gleißenden Strand. Es war später Nachmittag, und jetzt, wo die Sonne allmählich am Himmel tiefer sank, flanierte nur noch eine Handvoll Menschen über den weißen Sand.
Vom nächsten Jachthafen zu den faszinierenden Korallenriffen, die Scharm El-Scheich zu einem beliebten Ziel für Taucher machten, fuhr man zwei Stunden mit dem Boot. Ganz in der Nähe gab es Plätze, an denen jedermann schnorcheln und zwischen den exotischen bunten Fischen herumschwimmen konnte. Daud war ausgebildeter Taucher und hatte in der Vergangenheit die Riffe der Inseln Tiran und Ras Muhammad erkundet. Aber auf dieser Reise würde er sich keine Tauchausrüstung ausleihen und eine Vergnügungsfahrt mit dem Touristenboot stand auch nicht auf dem Programm.
Daud warf einen Blick auf sein Handy und wartete auf die SMS, die ihm den Einsatzbefehl geben sollte. Vier Tage waren seit seiner Ankunft an der Südspitze des Sinai vergangen. Zweimal war eine Nachricht gekommen, seine Phase der Mission zu beginnen. Beide Male hatte sein CIA-Kontakt die Anweisung innerhalb von dreißig Minuten zurückgenommen. Sein Handy summte und leuchtete auf.
Halten Sie sich zurück bis morgen um 9:00 Uhr.
Das war nicht die Botschaft, die Daud lesen wollte. Er widerstand dem Impuls, eine scharfe Antwort zurückzuschießen, in der er die Kompetenz seiner amerikanischen Vorgesetzten infrage stellte. Daud erschienen sie manchmal der fixen Idee unterlegen, alles perfekt machen müssen, bevor sie ihm den Startschuss gaben. Eine genaue Vorbereitung war unmöglich, wenn es um Menschen ging. Wenn Dauds jahrelange Erfahrung als verdeckter Ermittler für den Shin Bet, das israelische Pendant zum FBI, ihn etwas gelehrt hatte, dann dies: Es war besser zu handeln, wenn die Erfolgschancen neunzig Prozent betrugen, als zu zögern und zuzusehen, wie die Chancen durch unvorhergesehene Veränderungen der Umstände rapide sanken. Daud lief im Zimmer hin und her, um seine inneren Spannungen abzubauen. Die Wände engten ihn ein, und er beschloss, ein frühes Abendessen im Ort zu sich zu nehmen. Er setzte seine dunkle Sonnenbrille auf und verließ das Hotelzimmer.
Daud – gut eins achtzig groß und muskulös – hatte während seiner Flitterwochen mit Hana in Südspanien seinen zweiunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Sie hatten zwei Wochen dort verbracht und Sevilla, Granada und Córdoba besucht. Orte, an denen der Einfluss der arabischen Kultur noch Jahrhunderte nach der endgültigen Niederlage der Mauren gegen König Ferdinand und Königin Isabella deutlich zu spüren war.
Ihre Trauung in Reina war der Höhepunkt einer einwöchigen Feier mit ihren Familien gewesen – seine kleine und Hanas viel größere Verwandtschaft hatten daran teilgenommen. Aufgrund der Sicherheitsbedenken, die sich aus Dauds früherer verdeckter Arbeit und den anhaltenden Drohungen gegen sein Leben ergaben, war die Hochzeit nur im privaten Kreis gefeiert worden, ohne öffentliche Ankündigungen oder Posts in den sozialen Medien. Zu den Momenten, an die Daud sich aus dieser Woche am liebsten erinnerte, gehörte die Zeit, die sie mit Anwar Abboud verbracht hatten, Hanas Großonkel.
Der neunundneunzigjährige Mann empfing das Paar in einem kleinen Raum, wo er in einem bequemen Sessel saß, ein Glas frisch gepresste Limonade neben sich auf dem Tisch. Anwars Gedächtnis ließ nach, und Daud war sich nicht sicher, ob der Familienpatriarch sich noch an ein einziges früheres Treffen mit ihm erinnerte, und so stellte er sich in einem respektvollen Tonfall vor.
»Ich bin nicht wie Isaak, der den Unterschied zwischen Esau und Isaak nicht kannte«, antwortete der alte Mann mit einem zahnlosen Grinsen. »Der Herr ist treu. Er stellt mir oft innerlich Hanas Gesicht vor Augen. Und vor Kurzem warst auch du mit bei ihr. Das bedeutet, dass der Heilige Geist euch zusammengeführt hat.«
Daud spürte, wie ihm unwillkürlich Schauer über Schultern und Arme liefen. Er warf einen Blick auf Hana, deren Gesicht bei dieser Bestätigung dessen, wovon sie auch beide selbst überzeugt waren, regelrecht leuchtete.
»Hat Gott dir etwas über Daud gesagt?«, fragte sie.
Anwar nickte. »Kind, du stellst immer die richtige Frage. Möchte Daud die Antwort wissen?«
Daud schluckte. Er hatte schon mehrere Situationen überlebt, in denen es um Leben und Tod ging, aber noch nie hatte sein Herz schneller geschlagen als jetzt. Hana gab ihm einen kleinen Stoß und nickte energisch.
»Ja, Sir«, antwortete er und hielt dann den Atem an.
Anwar schaute Daud in die Augen, bevor er sprach. »Wie dein Namensvetter, König David, bist du dazu bestimmt, die Tore deiner Feinde zu besitzen.« Daud wartete auf eine Erklärung, aber es kam keine.
Anwar schloss die Augen, sein Kopf sank ihm auf die Brust und innerhalb von Sekunden war an seinem ruhigen Atmen zu erkennen, dass er eingeschlafen war.
»Sollen wir gehen?«, flüsterte Daud Hana zu.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Ich hatte gehofft, er würde für uns beten und uns seinen Segen mitgeben.«
Sie saßen schweigend da und warteten.
Anwar schnarchte. Dann blinzelte er und sah Hana an. »Und was ist mit dir?«, fragte er. »Willst du etwas vom Herrn hören?«
»Ja, Onkel«, antwortete Hana respektvoll. »Ich möchte wie Maria sein, als der Engel Gabriel zu ihr kam und sie sagte: ›Mir soll geschehen, wie du gesagt hast.‹«
Anwar lächelte. »Ich bin kein Engel. Ich bin nur ein alter Mann, der dich liebt.«
Dann sah er Hana in die Augen, und in seinem Blick lag eine feurige Intensität, die Daud erschreckte. Er hörte, wie Hana unwillkürlich tief Luft holte.
»Hast du das gespürt?«, fragte Anwar sie.
»Ja, Onkel«, antwortete sie.
»Manche Verheißungen erfüllen sich nur durch Schmerz und Opfer. Und so wird es auch für euch sein.« Anwar breitete die Hände aus, beschrieb mit der rechten Hand einen weiten Bogen und landete dann mit seinem Zeigefinger auf seiner Brust. »Es gibt ein verheißenes Land draußen und ein Land der Verheißungen hier drinnen. Und ihr werdet beides einnehmen, wenn ihr die Prüfungen besteht.«
Hana senkte für einen Moment den Kopf. »Daud und ich werden morgen heiraten«, sagte sie. »Es wäre uns eine Ehre, wenn du uns als Mann und Frau segnen würdest.«
Anwar hielt inne, als lausche er auf etwas. »Seid fruchtbar – in jeder Hinsicht«, sagte er in weniger gewichtigem Tonfall. »Das ist das erste Gebot.«
Der alte Mann verstummte und schlief nach wenigen Augenblicken wieder ein. Daud und Hana schlichen sich aus dem Zimmer. Während sie den Flur hinuntergingen, griff Daud nach Hanas Hand, und sie traten auf einen kleinen Balkon hinaus, von dem aus man auf einen großen eingezäunten Garten auf der Rückseite des Anwesens blickte. Unten waren Leute dabei, Tische und Dekorationen für eine Feier zu ihren Ehren später am Abend aufzustellen. Hana lehnte sich an Daud, der sie anschaute.
»Was denkst du über die Worte deines Onkels?«, fragte er.
»Ich weiß es noch nicht. Onkel Anwars Worte sind wie Samenkörner, die in der Erde liegen müssen, bis sie keimen und sprossen. Und was dann wächst, ist nicht immer das, was man erwartet.«
Während er auf den Hotelaufzug wartete, tastete Daud in der linken Hosentasche nach seinem Ehering. Er steckte ihn an den Finger, zog ihn wieder ab und dachte an Hana. Angesichts der bisher längsten Trennung in ihrer jungen Ehe war ihm schwer ums Herz. Er seufzte, als er an seinen Auftrag dachte.
Dauds Vorgesetzter bei diesem Projekt war ein Mann, der über ein sicheres Computernetz und per SMS an das dafür vorgesehene Mobiltelefon kommunizierte. Er nannte sich Charlie, aber Daud hatte ihn noch nie persönlich getroffen und vermutete, dass es nicht sein richtiger Name war. Dies war eine gängige Praxis in der Welt der Nachrichtendienste, um das Wissen der einzelnen Beteiligten über die Befehlskette zu begrenzen. So war sichergestellt, dass ein Agent wie Daud, wenn er verhaftet oder gefangen genommen wurde, keine relevanten Informationen preisgeben konnte.
Ein Shin-Bet-Mann namens Aaron Levy, mit dem Daud in Israel zusammengearbeitet hatte, hatte ihn Charlie gegenüber empfohlen. Als Daud den Zweck der Mission erfahren hatte, hatte er das Angebot, in einem der Teams mitzuarbeiten, angenommen. Die Interessen der Vereinigten Staaten waren mit denen Israels, die Verbreitung hoch entwickelter Raketentechnologie und nuklearer Waffen im Nahen Osten einzudämmen, deckungsgleich, und in diesem Fall verfügten die USA über die besseren logistischen Möglichkeiten zur Durchführung der Mission.
Ihr Ziel war ein ukrainischer Wissenschaftler namens Artem Kolisnyk, der aus seinem Heimatland geflüchtet war. Man hatte ihn beschuldigt, geheime Informationen an den Meistbietenden verkauft zu haben. Zu seinen Kunden gehörte auch Ägypten. Kolisnyks Spezialgebiet waren nicht die schweren Sprengraketen, die jede Stadt im Nahen Osten treffen konnten, sondern etwas Kleineres und in mancherlei Hinsicht Gefährlicheres: Die Entwicklung von Kurzstreckenwaffen, die in der Lage waren, das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome zu unterlaufen, das bisher so wirksam Kurzstreckenraketen und konventionelles Artilleriefeuer über Israel vom Himmel geholt hatte. Daud war nicht im Detail über die wissenschaftliche Grundlage der Arbeit des Ukrainers informiert worden. Er wusste nur, dass die von Kolisnyk entworfenen kompakten Waffen die Millionen verschlingenden Marschflugkörper des amerikanischen Arsenals imitieren konnten, indem sie extrem nah am Boden flogen. Dadurch war es für die Radarkomponente einer Iron-Dome-Batterie schwierig, das Geschoss zu entdecken und abzufangen. Die Ägypter waren drauf und dran, die Exklusivrechte an Kolisnyks Diensten zu erwerben. Amerikaner und Israelis wollten dies um jeden Preis verhindern.
Als Araber, der fließend Russisch sprach, war es Dauds Aufgabe, den Wissenschaftler zu überzeugen, ihn zu einem Treffen mit Vertretern der US-Regierung zu begleiten, die Kolisnyk ein besseres Angebot als die Ägypter unterbreiten wollten. Dazu gehörte politisches Asyl in den USA und eine garantierte finanzielle Sicherheit durch einen nichtmilitärischen Job. Die Mission würde Subtilität und Finesse erfordern. Kolisnyk war auf dem Weg nach Kairo und hatte Zwischenstation in Scharm El-Scheich gemacht. Das war ihre letzte Chance einzugreifen. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellte die Verlobte des Ukrainers dar, eine junge Ägypterin, die ihn begleitete. Das Paar reiste vermutlich unter falschem Namen.
Daud trat aus dem klimatisierten Hotel in die trockene Hitze hinaus und warf sich einen leichtes Sakko über die Schulter. Es waren nur fünf Häuserblocks bis zum zentralen Einkaufsviertel von Na'ama Bay, dort konnte er gut essen. Er fand ein Fischrestaurant, steckte dem Oberkellner einen Zwanzigdollarschein zu und bekam einen Platz an einem Tisch, von dem aus er den gesamten Raum im Blick hatte.
Fünfzehn Minuten später wurden ihm vier saftige Garnelen auf einem Bett aus aromatisch gewürztem Reis serviert. Als Daud aufblickte, sah er ein Pärchen, das auf den Oberkellner zuging. Er erkannte sie sofort aufgrund der Unterlagen, die er zur Vorbereitung auf diese Mission erhalten hatte – Kolisnyk und seine Verlobte. Dass er dem Ukrainer hier im Restaurant begegnete, bot Daud eine hervorragende Gelegenheit, Kontakt aufzunehmen – in einer öffentlichen Umgebung und ohne zu erwartende Störung. Er zückte sein abgesichertes Handy und schickte rasch eine SMS an Charlie.
A und B sind in dem Restaurant, in dem ich gerade esse. Kein Sicherheitspersonal anwesend. Erbitte Erlaubnis, sie anzusprechen und tätig zu werden.
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Hana goss sich eine Tasse traditionellen arabischen Kaffee mit Kardamom-Aroma auf und stellte Joghurt und frisches Obst zum Frühstück bereit. Während sie aß, verfolgte sie besorgt die israelischen Nachrichten auf ihrem Computer. Daud hatte ihr versichert, dass er weder in Israel noch im Westjordanland sein würde, aber sie machte sich trotzdem Sorgen. Sie nahm ihr Tagebuch zur Hand und las noch einmal ihre Gebete aus der letzten Nacht.
Nach dem Frühstück ging sie die Nachrichten ihrer Verwandten in Israel auf den sozialen Netzwerken durch und las das Neueste über ihre vielen Cousins, Nichten und Neffen. Hana hatte keinen öffentlichen Facebook-Account und schickte nur private Nachrichten. Ihre beiden Lieblingscousinen, die Schwestern Fabia und Farah, fragten inzwischen nicht mehr täglich nach ihrem Befinden als verheiratete Frau, aber Hana wusste, dass sie nach wie vor auf jede pikante Neuigkeit lauerten, die sie weitergeben konnte. Sie schickte ihnen Fotos von einem Abendessen mit Shish Taouk, einem Gericht mit marinierten Hähnchenspießen, das sie am Abend vor seiner Abreise für Daud zubereitet hatte.
Hana zog einen hellbraunen Rock und eine weiße Bluse an und bürstete ihr langes schwarzes Haar. Die Kleiderordnung bei Collins, Lowenstein und Capella war eine Stufe über Business Casual, und sie nahm häufig an Firmenbesprechungen teil, bei denen es besser war, eher overdressed als underdressed zu sein. Leon wartete erwartungsvoll an der Haustür.
»Fertig für die Schule?«, fragte Hana den Hund, der mit seinem wuchtigen Schwanz auf den Boden schlug.
Es war nicht nötig, Leon an die Leine zu nehmen. Der Hund lief direkt zu Hanas Auto und wartete darauf, dass sie die Tür öffnete. Als Hana den Schalthebel von Parken auf Drive umlegte, schleckte er ihr die Hand.
»Ja, ich mag dich auch«, sagte Hana und kraulte den Hund hinter dem rechten Ohr, seiner Lieblingsstelle.
Als sie an der Hundebetreuung ankamen, hakte sie die Leine ein. Leon lief in ihrem Tempo mit ihr über den Parkplatz, aber als sie drinnen waren, zog er kräftig in Richtung des Bereichs, in dem seine vierbeinigen Freunde warteten.
»Ich übernehme ihn«, sagte der Mitarbeiter. Er kannte Leon, seit er ein Welpe gewesen war, und hatte mitverfolgt, wie er zu einem ausgewachsenen Rüden herangewachsen war. »Rusty ist heute krank, also werden es nur Leon, Butch und Oscar sein – die übliche Truppe.«
»Ich muss für heute Abend wohl den Verspätungszuschlag zahlen«, sagte Hana. »Ich habe um sechs Uhr eine Telefonkonferenz.«
»Schicken Sie uns eine Mail, wenn es später wird, dann füttern wir ihn schon mal.«
Bevor sie den Parkplatz des Zwingers verließ, warf Hana einen Blick auf die App auf ihrem Handy, mit der sie Leon aus der Ferne beobachten konnte. Er spielte bereits mit Oscar, einem schwarzen Labrador, Tauziehen mit einem dicken Baumwollseil.
Den größten Teil des Vormittags arbeitete Hana an einer Buyout-Vereinbarung zwischen einem israelischen Softwareunternehmen und einer amerikanischen Private-Equity-Gesellschaft. Ein großer Teil ihrer Arbeit bestand darin, juristische Dokumente ins Hebräische oder Englische zu übersetzen, ohne die Bedeutung oder die Intention der Parteien zu verändern. Sie hatte gerade einen längeren Abschnitt fertiggestellt und machte eine Pause, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und sang leise einen Ausschnitt aus dem neuen Lied von letzter Nacht, als Janet in der Tür erschien.
»Könntest du ein bisschen lauter singen?«, fragte ihre Assistentin mit ihrem Nordstaatenakzent. »Ich möchte dich gern mit dem Handy aufnehmen, dann verkaufe ich es und wir werden beide steinreich.«
»Es ist auf Arabisch.«
»Das macht das Ganze noch geheimnisvoller.«
Janet arbeitete seit über fünfzehn Jahren in der Kanzlei und hatte Hana unter ihre Fittiche genommen, als die junge arabische Anwältin nach Atlanta gekommen war.
»Hast du deine Sprachnachrichten abgehört?«
»Noch nicht.«
»Jakob Brodsky hat angerufen.«
Jakob war ein junger jüdischer Anwalt, der Collins, Lowenstein und Capella in einem Fall im Zusammenhang mit einem Terroranschlag in Jerusalem unterstützt hatte. Der Fall Neumann. Gloria Neumann, eine amerikanische Staatsbürgerin, war bei dem Anschlag ums Leben gekommen. Während ihrer Arbeit an dem Fall hatte Hana Daud kennengelernt. Sie hatte ihn zunächst als Privatdetektiv angeheuert, der sie bei ihren Recherchen vor Ort unterstützen sollte.
»Hast du die Nachricht angehört?«, fragte Hana.
»Ich war neugierig. Er sagte, es gäbe einen Fall, über den er mit dir sprechen wolle. Keine Details.«
Hanas Herz setzte einen Schlag aus. Der Fall Neumann war ein Erfolg gewesen, aber Jakob Brodsky und sie waren in Jerusalem von Terroristen als Geiseln genommen worden und beinahe ums Leben gekommen.
»Was für ein Sachverhalt?«, fragte sie zögernd.
»Wie gesagt, er hat keine Details genannt.«
»Okay«, seufzte Hana. »Ich rufe ihn besser an. Es wird schwer sein, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, solange ich nicht weiß, was er will.«
Hana blickte einen Moment lang auf das Foto von Sadie Neumann, Gloria Neumanns Tochter, bevor sie Jakob anrief.
»Kanzlei Jakob Brodsky«, meldete sich Jakobs Stimme, die seine Wurzeln in Long Island verriet. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin's, Hana. Hat dein Telefon meine Nummer nicht erkannt?«
»Natürlich, aber es hätte auch Leon Lowenstein sein können.«
Der Seniorpartner hatte seinerzeit versucht, Jakobs Beteiligung am Fall Neumann so gering wie möglich zu halten, aber im Laufe der Zeit hatte er zähneknirschend Anerkennung für Jakobs Beharrlichkeit und Mut entwickelt.
»Wann hat dich Leon Lowenstein das letzte Mal direkt angerufen?«, fragte Hana zurück.
»Ein paar Wochen, nachdem meine Gewinnbeteiligung für den Fall Neumann auf meinem Konto gelandet war. Er bat mich um eine Spende für den Kauf eines Krankenwagens für das Äquivalent des Roten Kreuzes in Israel.«
»Ah, das ist Magen David Adom. Es bedeutet ›Roter Schild Davids‹.«
»Ja, aber Magen David Adom klingt seriöser, wenn du es sagst, als wenn Mr Lowenstein es tut.«
Hana lächelte. Leon Lowensteins Hebräischkenntnisse beschränkten sich auf ein paar Wörter und Redewendungen, die er in der Synagoge und während seiner lebenslangen Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde von Atlanta durch Osmose aufgesogen hatte. Er hatte Israel nur einmal besucht und den Großteil der Zeit an der Mittelmeerküste verbracht.
»Worüber wolltest du mit mir sprechen?«
»Interessierst du dich für Archäologie?«
»Ich habe als Jugendliche viele Ausgrabungsstätten besucht und sogar eine Woche lang freiwillig an einer Ausgrabung teilgenommen.«
»Das reicht mir schon. Ich schicke dir einen Zeitungsartikel. Wenn du ihn gelesen hast, möchte ich dir einen neuen Mandanten vorstellen. Einen gewissen Vladimir Ivanov.«
»Ich bin sehr beschäftigt.«
»Lies erst mal den Artikel.«
Fünf Minuten später erhielt Hana eine E-Mail von Jakob mit der Betreffzeile »Seltener archäologischer Fund«. Die Nachricht enthielt einen Link zu einem Artikel in der israelischen Presse über die Entdeckung eines dreitausend Jahre alten winzigen Keramikkopfes, der ursprünglich zu der kompletten Figur eines unbekannten Königs gehört hatte. Das kleine Keramikfundstück war nahe der modernen Stadt Metulla an der israelisch-libanesischen Grenze entdeckt worden, in der Nähe des alten Dorfes Abel-Bet-Maacha, das in der Bibel im Ersten Buch der Könige erwähnt wird. Das Artefakt aus der Eisenzeit war nur fünf Zentimeter groß, wies aber exquisit gearbeitete Gesichtszüge auf, die durch eine braune und hellbraune Farbgebung noch betont wurden und die fast so lebensecht waren, wie sie gewesen sein mussten, als sie von einem sehr begabten Künstler geschaffen wurden. Der Berichterstatter stellte die Hypothese auf, dass der Kopf zur Figur eines israelitischen, aramäischen oder phönizischen Herrschers gehören könnte. Der außergewöhnliche Fund war sofort im Israel-Museum in Jerusalem ausgestellt worden. Ein Mann namens Vladimir Ivanov wurde nicht erwähnt.
Verblüfft schloss Hana die E-Mail und begann mit der Arbeit an einem Projekt für Mr Collins. Dreißig Minuten später summte ihr Handy. Es war eine Textnachricht von Jakob, dem Beharrlichen.
Hast du den Artikel gelesen?
Sie tippte eine Antwort.
Ja.
Jakobs Antwort kam umgehend.
Was wäre, wenn der König eine Königin hatte? Kannst du dich mit mir und Ivanov zum Mittagessen treffen? Ich habe Heißhunger auf ein Curry.
Hana lächelte. Sie hatte Jakob einmal in ein indisches Restaurant eingeladen, welches inzwischen zu einem seiner Lieblingslokale geworden war.
12:30 Uhr?
Als Antwort erschien ein Daumen-hoch-Icon.
Daud aß eine Garnele, während er auf eine Antwort auf seine Nachricht wartete. Kolisnyk und seine Verlobte saßen an einem Vierertisch auf der anderen Seite des Restaurants. Die hufeisenförmige Theke, die in den Raum ragte, machte es Daud schwer, sie im Blick zu behalten, aber da es nur einen Ausgang gab, konnten sie das Lokal jedoch nicht unbemerkt verlassen. Er kaute gedankenverloren vor sich hin. Die Tatsache, dass er nicht sofort eine ablehnende Antwort von Charlie erhalten hatte, ließ ihn vermuten, dass sein Vorschlag zumindest diskutiert wurde und er hoffentlich grünes Licht bekam. Sein Handy blieb stumm. Er beendete seine Mahlzeit und der Kellner kam mit der Dessertkarte in der Hand auf ihn zu. Dauds Handy leuchtete auf – eine neue Nachricht.
»Danke, kein Dessert«, sagte Daud knapp.
Sobald der Kellner gegangen war, las Daud die Nachricht.
Kontaktaufnahme in Ordnung. Treffpunkt M für die nächsten zwei Stunden einsatzbereit. Bitte bestätigen.
Daud bestätigte die Nachricht. Er erhaschte den Blick des Kellners und rief ihn zurück an den Tisch.
»Auf der anderen Seite des Raumes sitzt ein Paar. Er trägt ein hellbraunes Sakko und sie ein schwarzes Kleid. Bitte stellen Sie fest, was sie bestellt haben, und servieren Sie ihnen eine dazu passende Flasche des besten Weins aus Ihrem Keller.«
Die Miene des Kellners zeigte Verwirrung.
»Setzen Sie ihn auf meine Rechnung«, fuhr Daud fort. »Und sagen Sie ihnen nicht, wer den Wein bezahlt hat. Sagen Sie einfach, er geht auf Kosten des Hauses.«
Der Kellner nickte.
»Oh, und finden Sie ihre Namen heraus«, fügte Daud hinzu.
»Wie soll ich das machen, Sir?«
»Sehen Sie nach, ob sie einen Tisch reserviert haben. Wenn nicht, fragen Sie sie nach ihren Namen, wenn Sie den Wein bringen. Sagen Sie, Sie wollen sicher sein, dass der Wein den richtigen Leuten serviert wird. Es spielt keine Rolle, was sie sonst noch sagen, aber merken Sie sich ihre Namen und sagen Sie sie mir.«
Der Kellner zögerte.
»Das schaffen Sie«, fuhr Daud fort. »Es wird sich für Sie lohnen.«
Daud beobachtete, wie der Kellner die Reservierungen durchsah, dann warf er Daud einen Blick zu und schüttelte den Kopf, bevor er sich auf den Weg zum Tisch am Fenster machte. Einige Minuten vergingen. Daud rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Der Kellner kam zurück.
»Alles erledigt, Sir. Sie essen Fisch, deshalb habe ich ihnen einen Premier Cru Chablis gebracht«, sagte er. »Sie heißen Mr und Mrs Bakaj.«
»Mr und Mrs Bakaj?«
»Ja. Sie sind in den Flitterwochen.«
»Ausgezeichnet. Bitte bringen Sie mir die Rechnung.«
Daud zahlte mit einer Kreditkarte, die auf denselben Namen ausgestellt war wie sein gefälschter ägyptischer Pass. Da seine Familie aus der Region Alexandria an der Nilmündung nach Beerscheba gezogen war, sprach Daud Arabisch mit einem ägyptischen Akzent, was es ihm leicht machte, sich als Ägypter auszugeben. Er gab ein großzügiges Trinkgeld.
»Vielen Dank, Mr Sayyid«, sagte der Kellner mit einer leichten Verneigung.
Daud trat an die Theke, von wo er einen freien Blick auf das Paar hatte. Sie hoben ihre Weingläser und stießen an. Nachdem sie an dem Wein genippt hatten, lehnte sich die Frau vor und legte eine Hand auf die Hand des Mannes. Ein Diamant funkelte an ihrem Ringfinger. Daud wartete, bis sie zwei weitere Schlucke Wein getrunken hatten, bevor er sich zu ihrem Tisch begab. Als er näher kam, blickte die Frau auf und sah ihn an, und Daud erwiderte den Blick sehr direkt. Ein erstaunter, aber willkommen heißender Ausdruck ging über ihr Gesicht. Als Daud den Tisch erreichte, konnte er einen Ehering neben dem Diamantring an ihrem Finger sehen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er auf Russisch und an den Mann gewandt. »Ich hoffe, Sie freuen sich über den Wein. Ich habe den Kellner gebeten, ihn Ihnen und Mrs Bakaj zu bringen. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Hochzeit.«
Kolisnyk blickte auf. »Wer sind Sie? Und woher kennen Sie unseren Namen?«, fragte der Ukrainer scharf auf Russisch und wandte sich dann auf Arabisch an seine Frau. »Esma, kennst du diesen Mann?«
»Er sieht aus wie jemand, den ich mal kannte«, antwortete die Frau in stark akzentuiertem Russisch und nickte Daud freundlich zu. »Danke für den Wein.«
»Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«, fragte Daud auf Russisch.
»Nein«, schoss Kolisnyk mit einem Blick in Richtung des Oberkellners zurück.
»Sei nicht unhöflich«, antwortete seine Frau auf Arabisch. »Du hast gerade gesagt, das sei ein hervorragender Chablis.«
Kolisnyk zögerte einen Moment. »Nun gut«, antwortete er. »Was wollen Sie?«
Daud setzte sich, lehnte sich vor und faltete die Hände auf dem Tisch.
»Soll ich russisch sprechen oder lieber arabisch?«
»Arabisch«, antwortete die Frau. »Mein Russisch ist grauenhaft.«
Kolisnyk winkte unwirsch mit der Hand, um Daud zu signalisieren, dass er zur Sache kommen solle. Daud sah dem Ukrainer in die Augen, bevor er sprach.
»Ich bin hier, um Ihnen ein besseres Angebot zu machen«, antwortete er. »Ein viel besseres Geschäft.«
»Was für ein Geschäft?«, fragte der Mann.
»Ihr richtiger Name ist Artem Kolisnyk«, antwortete Daud. »Ich weiß, warum Sie aus der Ukraine geflohen sind und warum Sie auf dem Weg nach Ägypten sind.«
Die Frau umklammerte ihre Serviette und starrte ihren Mann einen Moment lang an, bevor sie sich Daud zuwandte. In ihren Augen stand Panik.
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte sie.
»Von den Leuten, die mich geschickt haben, um mit Ihnen zu sprechen«, antwortete Daud und hielt seinen Blick auf Kolisnyk gerichtet. »Ich wurde auch beauftragt, Ihnen zu sagen, dass Uri Bondar sich an die Tage erinnert, die Sie gemeinsam beim Fischen verbracht haben, in dem Bach, der durch die Bergwiese fließt.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte die Frau ihren Mann, der Daud anstarrte.
Aus dem Dossier über den Einsatz ging hervor, dass Uri Bondar und Artem Kolisnyk langjährige Freunde und Kollegen waren. Diese Bemerkung hatte sichtlich Einfluss auf Kolisnyk.
»Ist Uri in Scharm El-Scheich?«, fragte Kolisnyk. »Ich habe seit über zwei Wochen nichts mehr von ihm gehört.«
»Uri ist hier, und meine Aufgabe ist es, Sie zu dem Boot im Hafen zu begleiten, wo er wartet«, antwortete Daud. »Dort werden Sie mehr erfahren.«
»Für wen arbeiten Sie?«, fragte Kolisnyk. »Ich gehe nirgendwo hin, bis Sie mir das sagen.«
»Wie ich schon sagte, für Leute, die Ihnen ein besseres Angebot machen wollen als die Ägypter.«
Kolisnyk schwieg einen Moment lang. »Ich habe den Iranern gesagt, dass ich nicht interessiert bin. Um keinen Preis. Sie können nicht für meine Sicherheit garantieren.«
»Es sind nicht die Iraner. Es sind die Amerikaner.«
»Die Amerikaner!«, platzte Kolisnyk heraus. »Denen kann ich nicht trauen!«
»Uri tut es.«
Kolisnyk sah seine Frau an und rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Ich muss jemanden anrufen«, sagte der Wissenschaftler.
»Wen denn?«, fragte seine Frau. »Uri?« Kolisnyk ignorierte ihre Frage.
»Sind wir in Gefahr?«, wandte sie sich jetzt an Daud.
»Sie waren ständig in Gefahr, lange, bevor Ihr Mann Kiew verlassen hat«, antwortete Daud.
»Gehen Sie!«, sagte Kolisnyk abrupt zu Daud.
»Nein«, mischte sich Esma Kolisnyk besorgt ein. »Ich möchte, dass er bleibt, hier bei mir. Ich will nicht allein bleiben, wenn das, was er sagt, wahr ist.«
»Wie du meinst«, sagte Kolisnyk barsch.
Der Ukrainer ging an der Bar vorbei und verschwand in Richtung Herrentoilette. Daud wollte ihm folgen, für den Fall, dass der Wissenschaftler seine Frau im Stich lassen und das Restaurant verlassen wollte, aber Esma streckte die Hand aus und umklammerte mit überraschender Kraft seinen rechten Arm.
»Bitte, lassen Sie mich nicht allein«, flehte sie. »Artem tut das für mich, damit wir gemeinsam ein neues Leben beginnen können.«
Daud empfand ein gewisses Mitleid mit der jungen Frau. Er kannte ihren Hintergrund nicht, aber ihre Zukunft war ungewiss.
»Haben Sie Uri gesehen?«, fuhr sie fort. »Was können die Amerikaner für uns tun? Für mich?«
»Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass Sie beide sicher zu einem Treffen gebracht werden, bei dem man Ihnen alles erklären wird«, antwortete Daud so ruhig er konnte. »Betrachten Sie mich als Ihren Bodyguard.«
Er riss seinen Arm los und ging in Richtung Toilette. Als er um die Bar herum war, sah er Kolisnyk, der in einer entlegenen Ecke stand und sein Handy am Ohr hatte. Daud trat zurück und warf einen kurzen Blick über die Schulter auf Esma, die am Tisch sitzen geblieben war, das Gesicht in den Händen vergraben. Kolisnyk nahm sein Handy vom Ohr, drehte sich um und sah Daud direkt ins Gesicht.
Und in seinem Blick konnte Daud lesen, dass Artem Kolisnyk nicht freiwillig mit ihm mitgehen würde. Es würden andere Mittel nötig sein, um ihn zu überzeugen.
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Hana sog die würzigen Gerüche der indischen Küche mit Wohlbehagen ein. Mittags gab es hier ein reichhaltiges Büfett mit großer Auswahl: Lammcurry, Wurzelgemüse-Curry, Chili-Paneer und einige weitere Gerichte. Jakob war nirgends zu sehen. Die Bedienung führte Hana an einen Tisch mit guter Sicht auf die Tür.
Hana überflog die E-Mails auf ihrem Handy. Als sie aufblickte, sah sie Jakob, der eilig durch die Eingangstür hereinkam. Er war allein. Wie Hana war auch Jakob Anfang dreißig. Er war groß und schlank, hatte kurzes, gelocktes schwarzes Haar und dunkle Augen.
»Tut mir leid, dass ich zu spät komme. Mr Ivanov hat das falsche Restaurant aufgesucht und wird erst in fünfzehn Minuten hier sein. Ich weiß, du hast immer einen engen Zeitplan, aber ist es in Ordnung, wenn wir mit dem Essen auf ihn warten?«
»Natürlich.«
Jakob bestellte ebenfalls heißen Tee. »Was gibt es Neues von dir und Daud?«, fragte er.
»Nicht viel von mir. Aber Daud ist im Ausland. Ein Auftrag.«
»Wie lange?«
»Ich weiß es nicht genau.«
Jakob hob die Augenbrauen. »Was für ein Auftrag?«
»Für die Regierung«, antwortete Hana und senkte ihre Stimme. »Ich weiß nicht, wo er ist, nur, dass es nicht Israel ist.«
Die Kellnerin kam mit dem Tee. Jakob nahm einen Schluck. »Ich dachte, Daud wollte seine ganze Zeit in den Aufbau seiner Beratungsgesellschaft stecken«, bemerkte er.
»Das tut er auch. Aber er hat keine Website und bisher findet er nur durch Empfehlungen Kunden. Dieser andere Auftrag war etwas, wovon er glaubte, dass er es tun sollte.«
»Wie geht es dir damit?«, hakte Jakob nach.
»Ich habe zu kämpfen. Ich meine, nach dem, was wir alle in Jerusalem durchgemacht haben, ist es schwer, sich keine Sorgen zu machen, dass nicht doch etwas Unerwartetes passiert.«
»Auf jeden Fall. Ich werde beten - für dich und für ihn.«
Hana brachte ein schwaches Lächeln zustande. Jakob, der früher ein säkularer Jude war, war als Kind mit seinen russischen Eltern in die USA eingewandert. Erst im letzten Jahr hatte er vor der Klagemauer in Jerusalem gestanden, und dort war ihm Jesus Christus begegnet. Jakob hatte ihn als seinen Messias erkannt und angenommen. Dass er jetzt versprach, für sie zu beten, war wie frisches Wasser, das auf Hanas aufgewühlte Seele gespritzt wurde.
»Niemand weiß besser, wie man in einer solchen Situation betet, als du«, sagte sie.
»Das weiß ich nicht, aber ich habe deinen Rat befolgt und viel Zeit damit verbracht, die Psalmen zu lesen. Sie enthalten so viel, was für das Leben relevant ist, egal, was gerade passiert.« Er beschrieb, was er gelesen hatte und was ihm das bedeutete, und Hana hörte ein paar Minuten lang zu. »Oh, hier kommt Vladimir«, sagte Jakob schließlich und hob die Hand, um sich bemerkbar zu machen.
Hana drehte sich um und sah einen kleinen, glatzköpfigen Mann mit einer dunkel gerahmten Brille in weißem Hemd und schwarzer Hose auf sie zukommen. Sie stand auf und Jakob tat es ihr gleich.
»Nein, nein«, sagte der Mann in einem Englisch mit russischem Akzent und bedeutete ihnen, sich zu setzen.
»Das ist Vladimir Ivanov«, stellte Jakob vor.
Ivanov gab Hana die Hand und verbeugte sich leicht. Jakob sprach mit ihm auf Russisch.
»Vladimirs Englisch wird immer besser«, sagte Jakob, »aber ich muss dir wohl den größten Teil seiner Geschichte erzählen.«
»Essen?«, warf Ivanov ein und deutete auf die Schlange am Büfett.
Jakob nickte. »Ja.«
Hana ging vor. Das Restaurant beherrschte die Kunst, das Essen in einer Warmhaltetheke frisch zu halten. Das trug dazu bei bei, dass das Lokal zur Mittagszeit mit Gästen überfüllt war. Hana wählte Lamm- und Wurzelgemüse-Curry mit Safranreis. Jakob brauchte länger und kam mit einem Teller voll mit mehreren Gerichten zurück. Ivanov nahm eine viel kleinere Portion vom Lammcurry. Jakob sagte etwas zu ihm, und Ivanov lächelte breit und kehrte zum Büfett zurück.
»Er hat nicht verstanden, dass es All-you-can-eat ist«, sagte Jakob zu Hana. »In Weißrussland, wo es der Wirtschaft nicht so gut geht, würde sich so ein Restaurant nicht lange halten.«
»Hat er Verwandte in Atlanta?«
»Ja. Sie haben ihm ein Flugticket bezahlt. Er ist schon seit über einem Monat hier.«
Ivanov kehrte mit einem viel volleren Teller zurück.
Jakob wandte sich an Hana. »Ich bete«, sagte er und wandte sich dann an Ivanov, der sofort den Kopf senkte.
Hana schloss ihre Augen und wartete.
»Gott, ich danke dir für Hana und Daud«, sagte Jakob. »Wache über ihn, während er weg ist, und bringe ihn sicher nach Hause. Segne Vladimir und seine Familie und das, worüber wir heute sprechen wollen. Danke für dieses Essen. In Jesu Namen, Amen.«
»Amen!«, wiederholte Ivanov mit überschwänglicher Stimme.
Hana nahm einen Bissen vom Lamm, das genau so lange in der Soße mariniert worden war, dass es nicht zäh geworden war oder seinen Eigengeschmack verloren hatte. Ivanov probierte dasselbe Gericht von seinem Teller und schloss für einen Moment die Augen, als ob er es genoss.
»Gut?«, fragte Hana ihn, als er die Augen öffnete.
»Ja, ja«, sagte er. »Mehr.«
Das Hauptgericht auf Jakobs Teller war ein Wurzelgemüse-Curry mit im Ofen gerösteten Karotten, Pastinaken, Rüben und roten Zwiebeln. Das Rösten des Gemüses brachte seine natürliche Süße zur Geltung. Sie aßen ein paar Augenblicke schweigend und genossen andächtig ihre Mahlzeit.
»Was hältst du von dem Artikel, den ich dir geschickt habe?«, fragte Jakob Hana.
»Ich kenne Metulla«, sagte sie und wischte sich mit der Serviette über die Lippen. »Es liegt ganz in der Nähe der libanesischen Grenze. Wenn die Hisbollah eine Mörsergranate auf das Dorf abfeuert, haben die Bewohner etwa zehn Sekunden Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Metulla liegt in einer sehr fruchtbaren Region, sodass schon immer Menschen in dieser Gegend gelebt haben, seit Jahrtausenden. Es ist nicht überraschend, dass so etwas wie der Kopf einer Plastik eines Herrschers oder Königs aus der Eisenzeit gefunden wurde. Aber die künstlerische Qualität ist erstaunlich. Die meisten Funde aus dieser Zeit, die ich in Museen gesehen habe, sind viel einfacher und primitiver. Auch die Details und die Farbgebung waren atemberaubend.«
Jakob lehnte sich vor. »Es gibt nicht nur die Königsplastik. Es gibt auch eine Königin.«
»In dem Artikel wurde kein weiteres Stück erwähnt.«
»Weil die Archäologen nichts davon wissen«, sagte Jakob, etwas Verschwörerisches im Blick. »Zumindest noch nicht.«
Ivanov sagte etwas auf Russisch zu Jakob. Jakob antwortete und Ivanov nickte nachdrücklich.
»Er hat das Wort ›Metulla‹ gehört und wollte sichergehen, dass ich dir von seinem Urgroßvater erzähle, der vor hundert Jahren ein ähnliches Fragment einer Plastik an einem Ort namens Iyyon entdeckt hat. Weißt du, wo das ist?«
»Ja, das ist in der Nähe von Metulla. Dort gibt es einen alten Hügel oder Tell.«
»Das leuchtet ein.«
»Aber Betrug mit archäologischen Artefakten ist im gesamten Nahen Osten weit verbreitet und es gibt viele Fälschungen«, warnte Hana. »Zu beweisen, dass ein Fund echt ist, ist schwer.«
»Ich bin nicht naiv. Die Echtheit eines Artefakts festzustellen ist wie die Herkunft eines berühmten Gemäldes zu dokumentieren, nur dass es weniger Anhaltspunkte gibt. Aber Vladimir hat eine faszinierende Geschichte, und als er mich um Hilfe bat, habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihn vor die Tür zu setzen, ohne ein wenig nachzuhaken.«
Hana schenkte ihm ein fragendes Lächeln. »Ist das ein Wortspiel?«, fragte sie.
»Ähm, nein«, antwortete Jakob verlegen. »Aber ich könnte so tun, als wäre es das.«
Hana lachte. »Der erste Schritt ist offensichtlich«, sagte sie. »Ist der Gegenstand, den Mr Ivanov besitzt, schon von einem Sachverständigen untersucht worden?«
»Bisher nicht.«
»Vielleicht kann ich helfen, jemanden in Israel zu finden, der …«
»Der Frauenkopf ist nicht in Vladimirs Besitz«, unterbrach Jakob.
Hana wollte gerade den nächsten Bissen nehmen, senkte aber jetzt ihre Gabel. »Wo ist er dann?«, fragte sie.
Jakob nahm einen Schluck Tee, bevor er antwortete. »Vladimir und seine Familie leben seit Generationen in Weißrussland. Der Familienhintergrund ist eine Mischung aus Russisch, Weißrussisch und Polnisch. Aber er sagt, vor allem sei er jüdisch. Er ist in Minsk aufgewachsen, der größten Stadt dort. Eine Nichte von ihm lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Atlanta. Sie ist diejenige, die mich angesprochen hat, weil auf meiner neuen Website erwähnt wird, dass ich Russisch spreche. Vladimirs Urgroßvater lebte in den frühen 1900er-Jahren in einem Kibbuz auf der Südseite des Sees Genezareth. Ich kann mich nicht mehr an den Namen des Ortes erinnern, aber es war einer der ersten Kibbuzim.«
»Degania«, sagte Hana.
»Ja«, warf Vladimir mit einem Lächeln ein. »Degania. Gut.«
Jakob fuhr fort. »Nachdem er einige Jahre im Kibbuz verbracht hatte, kehrte der Urgroßvater nach Minsk zurück, um zu heiraten. Er war Amateurarchäologe und brachte Artefakte mit, die er entweder selbst gefunden oder gekauft hatte. Darunter war auch eine kleine Frauenfigur mit Kopf und Schultern, die der männlichen Figur in dem Artikel, den ich dir geschickt habe, sehr ähnlich sieht. Die Frau des Urgroßvaters wollte nicht nach Palästina auswandern und deshalb kam er nie zurück.«
»Welche Beweise gibt es für das alles?«
»Vladimir hat zwanzig alte Schwarz-Weiß-Fotos, die er auf den Laptop seiner Nichte übertragen hat. Ich habe sie gesehen. Die Bilder zeigen mehrere Münzen aus der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands gegen die Römer, einige Keramikgegenstände und eben den Kopf der Königin. Vladimir sagt, die Familie habe immer geglaubt, dieser Frauenkopf sei etwas Besonderes. Der Urgroßvater führte ein Tagebuch und hielt fest, dass er ihn selbst bei Ausgrabungen in Iyyon gefunden hatte. In dem Tagebuch gibt es eine brauchbare Skizze des Kopfes.«
»Hat Mr Ivanov eine Ahnung, wo die Artefakte jetzt sind?« Jakob blickte Vladimir an, bevor er antwortete. »Sie sind im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Der größte Teil der Familie wurde im Holocaust ermordet. Vladimir sagt, dass zwei Drittel der Juden in Weißrussland von den Deutschen oder den Ukrainern, die für sie arbeiteten, umgebracht wurden. Vladimirs Vater und ein Cousin waren die Einzigen aus der großen Familie, die überlebten. Sie kämpften als Partisanen und konnten die Sammlung in einer alten Scheune verstecken, um sie vor den Nazis zu retten. Leider fanden die Sowjets gegen Ende des Krieges das Versteck und beschlagnahmten es.«
»Das ist mal was anderes. Normalerweise waren es die Nazis, die Kunstwerke gestohlen haben.«
»Stimmt, aber Diebstahl ist Diebstahl. Seit die Sache mit dem Fund in Metulla bekannt wurde, haben Vladimir und seine Familie erste Nachforschungen angestellt.«
»Wie sahen die aus?«
»Sie kennen den Namen des sowjetischen Obersts, der die Scheune geplündert hat. Er war ein berühmter Mann – hatte so viele Orden auf der Brust, dass er kaum aufstehen konnte, ohne umzukippen. Nach dem Krieg lebte er in einem großen Schloss außerhalb von Moskau, wo er einen Teil der Sammlung ausstellte, darunter auch den Frauenkopf. Vladimir hat einen Zeitungsartikel aus den 1950er-Jahren darüber. In dem Artikel wird behauptet – fälschlicherweise –, der Oberst habe die Gegenstände während mehrerer Reisen in den Nahen Osten erworben.«
»Wenn die Familie dieses russischen Mannes die Sammlung noch besitzt, müsste eine Klage dort eingereicht werden, nicht hier.«
»Das war noch nicht alles. Der Oberst fiel in Ungnade, als Stalin starb und Chruschtschow an die Macht kam. Kurz darauf verschwand der Oberst im Gulag und starb in einem Holzfällerlager in Sibirien. Und mit ihm verschwanden auch die Artefakte.«
Rahal stand am Ende des ebenen Feldes und wartete darauf, dass der Junge drei Pfeile aus der Zielscheibe zog und ihm zurückbrachte. Als er älter wurde, hatte Rahal den Zug des Wettkampfbogens verringert und zog nun mit siebenunddreißig Pound Zugewicht. Er übte immer noch regelmäßig. Bogenschießen war für ihn der ehrenwerteste Sport der Welt. Mohammed selbst war Bogenschütze gewesen, und im Topkapi-Palast in Istanbul war ein Bogen ausgestellt, den der Prophet selbst benutzt haben soll. Einer von Rahals wertvollsten Besitztümern war ein alter Zierbogen, der mit goldenen Kalligrafien verziert war, die die Tugenden des Bogenschützen als Krieger in der islamischen Geschichte rühmten.
Der Junge kam mit den Pfeilen zurück. Rahal hatte einen Schuss in den zweiten Ring vom Bullauge und zwei weitere in den fünften Ring vom Zentrum aus gesetzt. Drei weitere Pfeile verfehlten das Ziel und wurden weggeworfen. Rahal verwendete nie einen Pfeil, der sein Ziel verfehlt hatte, erneut. Khalil stand neben ihm. Ein weiterer Bediensteter öffnete eine Flasche Wasser und reichte sie Rahal, der einen großen Schluck nahm.
»Gehen wir auf sechzig Meter ran«, sagte er zu Khalil.
Während sie vorgingen, klingelte Khalils Handy, und er nahm an. Sie erreichten die Sechzig-Meter-Marke und blieben stehen. Khalil beendete das Telefonat.
»Wie hießen die sechs Bögen des Propheten?«, fragte Rahal den Jungen, der die Pfeile aufgesammelt hatte. Der Junge war der Sohn des Chauffeurs, der sie zu dem privaten Bogenschießplatz am Rand von Doha gefahren hatte.
»Az-Zawra, al-Bayda und as-Safra«, sagte der Junge und brach ab. »Aber an die anderen kann ich mich nicht erinnern. Sein Köcher hieß al-Kafur.«
»Nicht schlecht«, antwortete Rahal. »Wie alt bist du?«
»Zwölf Jahre alt, Sir.«
Rahal sah dem Jungen direkt ins Gesicht. »Wie heißt du?«
»Yanis, Sir.«
»Wenn du alle Bögen des Propheten aufzählen kannst, erhältst du ein Geschenk von mir.«
»Das nächste Mal, Sir. Ich werde bereit sein.«
Khalil trat näher an Rahal heran. »Sir, ich würde Sie gerne unter vier Augen sprechen.«
»Nach dieser Runde.«
Rahal legte einen Pfeil auf die Sehne und schaute über das Feld auf die Zielscheibe. Er spannte sanft den Bogen und ließ den Pfeil los. Rahals Technik war makellos. Der symmetrische Flug des Pfeils war ein Moment der Schönheit, die man im Augenblick genießen, aber nie genau wiederholen konnte. Der Pfeil durchdrang die Zielscheibe in der Mitte.
»Knapp im Gelb, Sir«, sagte der Junge.
»Deine Augen sind besser als meine«, antwortete Rahal.
Rahal schoss fünf weitere Pfeile ab, die alle das Ziel trafen und überlebten, um an einem anderen Tag noch einmal zu fliegen.
Ein weiterer Bediensteter reichte Rahal ein Fernglas. Rahal hielt es vor seine Augen.
»Du hast recht«, sagte Rahal zu dem Jungen. »Wie ist die Wertung, wenn der Pfeil auf der Linie zwischen zwei Farben landet?«
»Man erhält die höhere Punktzahl.«
»Richtig. Los!«
Der Junge rannte über das Feld, und Rahal und Khalil entfernten sich ein wenig von den anderen Bediensteten.
»Fahre fort«, sagte Rahal.
»Mustafa ist in Scharm El-Scheich und hat das Hotel ausfindig gemacht, in dem sich Kolisnyk aufhält. Die Informationen, die Sie über seine Ausreise aus der Ukraine erhalten haben, waren korrekt. Er reist unter falschem Namen mit einer Begleiterin. Sie haben eine Villa am Strand gemietet. Die Frau ist Araberin.«
Rahal hob die Augenbrauen. »Eine Araberin? Mit einem Ungläubigen?«
»Ja. Mustafa glaubt, dass sie in Scharm El-Scheich geheiratet haben.«
»Das Herz der Finsternis breitet sich aus«, sagte Rahal. »Ich wünschte nur, wir könnten das Geld zurückholen, das wir für Kolisnyk verschwendet haben. Er hat viele Feinde, und vermutlich versucht er, einen sicheren Unterschlupf zu finden. Das können wir nicht zulassen.« Er nahm einen Pfeil aus seinem Köcher und berührte leicht die rasiermesserscharfe Spitze. »Gerechte Rache wird mein Lohn sein. Mustafa hat meinen Segen.«
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Daud folgte Artem Kolisnyk zu dem Tisch, an dem die Frau des Ukrainers wartete. Artem gab ihr ein Zeichen, aufzustehen und ihm zu folgen.
»Müssen wir jetzt gehen?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete Kolisnyk und wandte sich an Daud. »Wer auch immer Sie sind, lassen Sie uns in Ruhe, oder ich rufe die Polizei.«
Der Kellner, ein anderer als der, der Daud bedient hatte, eilte herbei und sprach Kolisnyk auf Arabisch an.
»War etwas mit dem Essen nicht in Ordnung?«, fragte der Mann.
Artem griff in seine Tasche und holte ein dickes Bündel von Hundertern heraus. Dollarscheine. Er nahm drei davon und drückte sie dem Kellner in die Hand. »Damit sollte das Essen bezahlt sein«, sagte er. »Und bitten Sie den Manager, die Polizei zu rufen. Sie sollen diesen Mann wegen Belästigung festnehmen. Und wir gehen jetzt.«
Der Kellner warf Daud einen besorgten Blick zu. Daud trat einen Schritt zurück und hob die Hände.
»Ich habe weder meine Stimme erhoben noch jemanden bedroht«, sagte er.
Esma schaute Daud an und sprach. »Artem, ich habe Angst. Ich bin mir nicht sicher, ob du ignorieren solltest, was dieser Mann dir gesagt hat. Denk daran, Uri hat ihn geschickt.«
»Er hat nicht gesagt, dass Uri ihn geschickt hat, und ich glaube nicht, dass Uri hier in Scharm El-Scheich ist. Er wartet in Kairo auf uns.«
»Hast du mit ihm gesprochen?«
Artem antwortete nicht. Mehrere Leute an den Nachbartischen beobachteten die Szene. Daud sah, wie eine Frau ihr Handy zückte und anfing, Fotos zu machen. Die Kolisnyks gingen weiter zum Ausgang. Daud wartete, bis sie ihm ein paar Meter voraus waren, bevor er ihnen folgte. Artem sprach im Vorbeigehen mit dem Oberkellner, blieb aber nicht stehen.
»Bitte, Sir«, sagte der Oberkellner und hob die Hand, als Daud sich näherte. »Wir wollen hier keine Störungen.«
Ein Wachmann trat ihm in den Weg. Daud schüttelte den Kopf. »Fassen Sie mich nicht an«, warnte er.
Der junge Mann zögerte. Daud ging an ihm vorbei und spürte sofort, wie eine Hand seine rechte Schulter packte. Mit einer schnellen Bewegung packte Daud das Handgelenk des Mannes und verdrehte ihm den Arm, sodass der Wachmann schließlich zusammengekrümmt dastand und zu Boden sah. Als er versuchte, sich zu bewegen, verstärkte Daud den Druck auf den Arm des Mannes. Der Oberkellner sah mit großen Augen zu. Das Licht eines Handys blitzte auf, als jemand ein Foto machte. Daud ließ den Wachmann los und stieß ihn weg.
»Ich werde gehen«, sagte Daud. »Friedlich.«
Draußen blickte er den Gehweg entlang. Es war dunkel, aber die Lichter der umliegenden Geschäfte und Restaurants erhellten die Straße. Einen Block weiter östlich sah Daud Artem und Esma Kolisnyk in ein Taxi steigen. Ein anderes Taxi war nicht in Sicht. Er rannte den Bürgersteig entlang, als das Fahrzeug abfuhr und in eine Straße einbog, die in das Viertel mit den teuersten Hotels der Stadt führte. Es dauerte fast eine Minute, bis ein anderes Taxi desselben Unternehmens auftauchte. Daud winkte es heran und öffnete die Beifahrertür.
»Wissen Sie, wer das Taxi Nummer 467 fährt?«, fragte er den Fahrer, der kaum alt genug aussah, um einen Führerschein zu besitzen.
»Äh, nein, Sir, aber ich kann das mit unserer Zentrale klären. Hatten Sie ein Problem mit ihm?«
»Nein, aber ich muss mit dem Mann sprechen, den er gerade an dieser Ecke aufgegabelt hat.«
Der Fahrer zögerte. Daud nahm einen Fünfzigdollarschein heraus und reichte ihn dem Fahrer. Der griff sofort zu seinem Handy.
»Er ist auf dem Weg zum Four Seasons Resort«, sagte der junge Fahrer.
»Wenn Sie sich beeilen, sind nochmal fünfzig Dollar für Sie drin«, antwortete Daud und stieg ein.
Der Fahrer bog in eine Seitenstraße ein. Die Reifen des Fahrzeugs quietschten.
»Ich kenne eine Abkürzung«, sagte der junge Mann.
In weniger als fünf Minuten hatten sie das Hotel erreicht.
»Lassen Sie mich hier raus, nicht am Haupteingang«, sagte Daud.
Der Fahrer hielt am Straßenrand und erhielt einen weiteren Fünfzigdollarschein. Er reichte Daud eine Karteikarte, auf der er seine Kontaktinformationen notiert hatte.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie mich während Ihres Aufenthalts brauchen«, bot der junge Mann eifrig an. »Ich habe noch keine Visitenkarten gedruckt.«
Daud schlich sich in den Schatten und stellte sich hinter eine Palme, um den Haupteingang des Hotels im Auge zu behalten. Zwei Taxis kamen zur gleichen Zeit an. Die Kolisnyks stiegen aus dem zweiten Fahrzeug aus. Daud holte sein gesichertes Handy heraus und schickte eine SMS an Charlie.
Kontakt mit A und B. Noch nicht zur Zusammenarbeit bereit. Aufenthalt im Four Seasons Resort, registriert unter dem Namen Bakaj. Zimmer- oder Suitennummer erbeten.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis Dauds Handy summte.
Villa 4. Werden Sie in der Lage sein, A pünktlich zu liefern? Jegliche Mittel genehmigt.
Der Versuch, einen unkooperativen Artem Kolisnyk aus einer schicken Villa quer durch die Stadt zum Jachthafen zu schleppen, würde schwierig werden. Mit der neuen Frau des Ukrainers, die Daud ein wenig zu vertrauen schien, könnte es einfacher werden. Er gab eine kurze Antwort ein.
Anwesenheit von B vermutlich günstig für Kooperation von A. Erwarte Anweisung.
Dieses Mal musste er nicht lange warten.
Fortfahren.
Adrenalin schoss durch Dauds Körper, und alle seine Sinne waren geschärft. Selbstbewusst betrat er die Hotellobby und bat am Empfang um eine Karte des Anwesens. Eine Gruppe von freistehenden Villen befand sich in einem von den allgemeinen Gästezimmern getrennten Bereich. Die Präsidentenvilla hatte ihren eigenen Privatstrand, Villa 4 lag direkt daneben. Daud verstaute die Karte in seinem Sakko und verließ die Lobby, um durch den Poolbereich zum Strand zu gelangen. Jetzt, da es Nacht war, hatte sich die Wüstenluft schnell abgekühlt. Das ruhige, klare Wasser des Roten Meeres rollte plätschernd auf den Sand. Daud sah ein junges Paar, das Händchen haltend am Strand entlangschlenderte.