Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen) - John Green - E-Book + Hörbuch

Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen) E-Book

John Green

4,4

Beschreibung

19-mal war Colin verliebt, jedes Mal hießen die Auserwählten Katherine - und immer haben sie ihn abserviert. Sein Freund Hassan - der immer einen guten Witz auf Lager hat - sieht nur eine Möglichkeit: Colin muss sein Leben ändern! Dazu soll er mit ihm quer durch Amerika fahren - ohne Ziel, nur mit dem Mut zum Abenteuer. Ein Albtraum für Colin, der lieber in Ruhe sein Schicksal analysiert. Trotzdem reist er mit. Im Gepäck: sein Liebestheorem, mit dem er vorausberechnen will, wann ihn eine Freundin abserviert. Doch bevor er es einsetzen kann, kommt ihm die Liebe in Gestalt von Lindsey zuvor. Lindsey ist seine erste Nicht-Katherine - dafür dauert ihre Beziehung schon länger, als das Theorem es hätte voraussagen können. Pointenreiche Freundschaftsgeschichte eines jungen Autors aus den USA.

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John Green

Die erste Liebe

[nach 19 vergeblichen

Versuchen]

Aus dem Amerikanischen

von Sophie Zeitz

Carl Hanser Verlag

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel An Abundance of Katherines bei Dutton Books, New York. Published by arrangement with Dutton Children’s Books, a division of Penguin Young Readers Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Die Schreibweise in diesem Buch entspricht

den Regeln der neuen Rechtschreibung.

ISBN 978-3-446-24206-7

© 2006 by John Green

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© Carl Hanser Verlag München Wien 2008

Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Meiner Frau Sarah Urist Green

In Anagrammen:

Ruhige Starrnase / Irres Gartenhaus /

Ihr Restansauger / Tigers Ausharren /

Rasthaeuser-Ring / Ihre Russgranate /

Sture Sangria-Ehr’ / Reisegans Arthur /

Hartes Isar-Grün / Arena ihres Trugs

»Aber das Schöne ist nicht, den Menschen zu besitzen.

Das Schöne ist: einen Mitstreiter auf deiner Seite zu haben.«

Philip Roth, Der menschliche Makel

[1]   Am Morgen nachdem das anerkannte Wunderkind Colin Singleton seinen Highschool-Abschluss gemacht hatte und ihn zum neunzehnten Mal in seinem Leben ein Mädchen namens Katherine sitzen ließ, legte er sich in die Badewanne. Colin hatte schon immer lieber gebadet als geduscht. Einer seiner Grundsätze im Leben lautete: Tu nichts im Stehen, was du auch im Liegen erledigen kannst. Sobald das Wasser heiß aus dem Hahn kam, stieg er in die Wanne, dann saß er da und sah mit seltsam leerem Blick zu, wie das Wasser von ihm Besitz nahm. Langsam kroch es an seinen angewinkelten, gekreuzten Beinen hoch. Verschwommen nahm er wahr, dass er zu groß und zu lang für die Wanne war – er sah aus wie ein fast erwachsener Mensch, der Kind spielt.

Als das Wasser seinen mageren, sehnigen Bauch überspülte, musste er an Archimedes denken. Mit vier Jahren hatte Colin ein Buch über Archimedes, den griechischen Philosophen, gelesen, der in der Badewanne entdeckte, dass Volumen sich durch Wasserverdrängung messen ließ. Es heißt, dass Archimedes, als er die Entdeckung machte, splitternackt durch die Straßen rannte und »Heureka!«1 rief. In dem Buch stand, dass viele wichtige Entdeckungen mit einem »Heureka-Erlebnis« einhergingen. Schon damals hatte Colin unbedingt einmal ein paar wichtige Entdeckungen machen wollen, und abends, als seine Mutter nach Hause kam, stellte er ihr diesbezüglich ein paar Fragen.

»Mami, kann ich auch ein Heureka-Erlebnis haben?«

»Schätzchen«, sagte sie und nahm seine Hand, »was fehlt dir denn?«

»Ich will ein Heureka-Erlebnis«, antwortete er im gleichen Ton, in dem andere Vierjährige um einen Plastik-Batman betteln.

Seine Mutter fühlte seine Stirn und lächelte ihn an, das Gesicht so nah, dass er ihren Lippenstift riechen konnte. »Aber ja, mein Schatz. Natürlich bekommst du eins.«

Doch Mütter lügen. Das gehört zu ihrem Job.

Colin holte tief Luft, dann ließ er sich am Wannenrand hinabgleiten und tauchte unter. Ich weine, dachte er, als er im schaumigen, beißenden Wasser die Augen öffnete. Ich habe das Gefühl, dass ich weine, also weine ich wahrscheinlich, doch ich kann es nicht wissen, weil ich unter Wasser bin. Aber Colin weinte nicht. Erstaunlicherweise war er zu deprimiert zum Weinen. Er war zu verletzt. Es fühlte sich an, als hätte Katherine ihm den Teil, der weinte, weggenommen.

Schließlich zog er den Stöpsel, stand auf, trocknete sich ab und kleidete sich an. Als er aus dem Bad kam, saßen seine Eltern zusammen auf seinem Bett. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn seine Eltern gleichzeitig in seinem Zimmer waren. In den letzten Jahren hatte es Folgendes bedeutet:

1.  Deine Großmutter/Dein Großvater/Deine Tante Suzie, die/ den du nie kennengelernt hast, die/der aber furchtbar lieb war, ist leider gestorben.

2.  Du lässt wegen eines Mädchens namens Katherine die Schule schleifen.

3.  Babys entstehen durch einen Akt, den du irgendwann vielleicht mal interessant findest, aber im Moment würdest du nur Albträume davon bekommen, und manchmal tun die Menschen etwas mit den dafür vorgesehenen Körperteilen, ohne dass ein Baby rauskommt, zum Beispiel küssen sie sich an Stellen, die nicht das Gesicht sind.

Es bedeutete nie:

4.  Als du in der Badewanne warst, hat ein Mädchen namens Katherine angerufen. Es tut ihr leid. Sie liebt dich immer noch und hat einen schrecklichen Fehler gemacht und wartet unten auf dich.

Trotzdem konnte sich Colin der Hoffnung nicht erwehren, dass es Fall 4 war, weswegen seine Eltern zusammen auf seinem Bett saßen. Normalerweise war er Pessimist, doch bei Katherines machte er offenbar eine Ausnahme: Jedes Mal hegte er die Hoffnung, dass sie zu ihm zurückkämen. Plötzlich erinnerte er sich an das Gefühl, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden, und er schmeckte Adrenalin in seinem Mund – vielleicht war es doch nicht vorbei, vielleicht würde er bald wieder ihre Hand in seiner spüren und ihre laute, freche Stimme hören, die zu einem Flüstern schrumpfte, wenn sie ganz schnell und leise Ich liebe dich sagte, so wie sie es immer sagte. Sie sagte Ich liebe dich, als würde sie ihm ein Geheimnis anvertrauen, ein großes Geheimnis.

Colins Vater stand auf und kam auf ihn zu. »Katherine hat mich auf dem Handy angerufen«, sagte er. »Sie macht sich Sorgen um dich.« Colin spürte, wie sein Vater ihm die Hand auf die Schulter legte, und dann kam er einen Schritt näher und nahm ihn in den Arm.

»Wir machen uns auch Sorgen um dich«, sagte seine Mutter. Sie war eine kleine Frau mit braunem, lockigem Haar und einer einzelnen weißen Strähne über der Stirn. »Und wir sind sehr überrascht. Was ist passiert?«

»Ich weiß nicht«, murmelte Colin in die Schulter seines Vaters. »Sie ist einfach – sie hat die Nase voll. Sie mag nicht mehr. Das hat sie jedenfalls gesagt.« Und dann stand auch seine Mutter auf, und alle umarmten sich, überall Arme, und seine Mutter fing zu weinen an. Irgendwann befreite sich Colin aus all den Armen und setzte sich aufs Bett. Er hatte das dringende Bedürfnis, allein zu sein, so schnell wie möglich, als würde er explodieren, wenn sie nicht gleich gingen. Buchstäblich explodieren. Eingeweide an den Wänden, sein hochbegabtes Gehirn auf der Tagesdecke verspritzt.

»Wir sollten uns zusammensetzen und deine Möglichkeiten abwägen«, sagte sein Vater. Im Abwägen war sein Vater gut. »Nicht um den Silberstreifen am Horizont zu suchen, sondern weil du jetzt anscheinend ziemlich viel Zeit in den Sommerferien hast. Vielleicht willst du an der Uni einen Sommerkurs belegen?«

»Ich muss wirklich erst mal allein sein, heute wenigstens«, antwortete Colin, während er versuchte, Ruhe zu bewahren, damit sie endlich gingen und er nicht explodieren musste. »Können wir morgen abwägen?«

»Natürlich, Schätzchen«, sagte seine Mutter. »Wir sind für dich da, den ganzen Tag. Komm einfach runter, wenn du dich danach fühlst. Wir haben dich lieb, und du bist etwas ganz Besonderes, Colin, und du darfst dir von diesem Mädchen auf keinen Fall etwas anderes einreden lassen, denn du bist der tollste, schlauste Junge auf der ganzen …« In diesem Moment stürzte der ganz besondere, tolle, schlaue Junge aus der Tür, rannte ins Bad und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Es war eine Explosion, irgendwie.

»Oje, Colin«, rief seine Mutter.

»Ich will allein sein«, rief Colin zurück. »Wirklich. Bitte.«

Als er aus dem Bad kam, waren sie fort.

Während der nächsten vierzehn Stunden las Colin, ohne eine Pause zum Essen, Schlafen oder Kotzen einzulegen, immer wieder das Jahrbuch durch, das er erst vor vier Tagen erhalten hatte. Außer dem üblichen Jahrbuchkram enthielt es zweiundsiebzig persönliche Eintragungen seiner Mitschüler. Zwölf hatten einfach nur unterschrieben, sechsundfünfzig lobten außerdem seine Intelligenz, fünfundzwanzig wünschten, sie hätten ihn besser gekannt, elf schrieben, Englisch mit ihm hätte Spaß gemacht, sieben erwähnten den Ausdruck »Pupillenschließmuskel«2, und immerhin siebzehn endeten mit: »Bleib cool!« Cool bleiben war für Colin Singleton etwa so unmöglich wie schlank bleiben für einen Pottwal oder reich bleiben für einen Bangladeshi. Wahrscheinlich meinten es alle siebzehn als Witz. Und während er darüber nachdachte, begann er außerdem zu grübeln, wie fünfundzwanzig seiner Mitschüler, mit denen er zum Teil zwölf Jahre lang in die gleiche Klasse gegangen war, behaupten konnten, sie hätten ihn gern »besser gekannt«. Als hätte es keine Möglichkeit gegeben.

Doch die meiste Zeit der vierzehn Stunden las er die Widmung von Katherine XIX., immer wieder.

Col,

auf alle Orte, an denen wir gewesen sind. Und auf alle Orte, die noch auf uns warten. Und immer flüstere ich dir zu, wieder und wieder und wieder und wieder: ichliebedich.

Liebe, ewig

K-a-t-h-e-r-i-n-e

Irgendwann schien ihm das Bett zu gemütlich für seinen Seelenzustand, und er legte sich auf den Boden, wo er so lange Anagramme aus »Liebe, ewig« machte, bis ihm eins davon gefiel: Bleiwiege. Und dann lag er da, mit seinem bleischweren Schmerz, und wiederholte im Kopf ihre Worte, die er längst auswendig konnte, und er wollte weinen, aber stattdessen war da nur eine dumpfe Leere auf Höhe seines Solarplexus. Weinen fügte etwas hinzu: Weinen war man selbst, plus Tränen. Doch das Gefühl, das Colin hatte, war das grausame Gegenteil von Weinen. Es war er selbst, minus etwas. Die ganze Zeit musste er über dieses Wort nachdenken – ewig – und spürte dabei direkt unter dem Brustkorb ein brennendes Reißen. Es tat so weh wie die schlimmste Tracht Prügel, die er je eingesteckt hatte. Und er hatte jede Menge eingesteckt.

[2]   Der Schmerz hielt bis kurz vor zehn Uhr abends an, als ein dicklicher, behaarter Junge libanesischer Abstammung ohne Anklopfen in Colins Zimmer platzte. Colin drehte den Kopf und blinzelte zu ihm auf.

»Was zum Henker ist hier los?«, fuhr Hassan ihn an.

»Sie hat Schluss gemacht«, antwortete Colin.

»Ich hab davon gehört, Sitzpinkler, und ich würde dich auch gerne trösten, aber meine Blase ist so voll, dass ich ein brennendes Haus löschen könnte.« Hassan marschierte am Bett vorbei und riss die Badezimmertür auf. »O Gott, Singleton, was hast du gegessen? Hier stinkt es nach – AHHH! KOTZE! KOTZE! IIIHHH!« Und während Hassan brüllte, dachte Colin: Stimmt. Das Klo. Hätte runterspülen sollen.

»Vergib mir, wenn ich daneben gepinkelt habe«, sagte Hassan, als er zurückkam. Er setzte sich auf die Bettkante und gab Colin, der am Boden lag, einen sanften Tritt. »Ich musste mir mit beiden Händen die Nase zuhalten und Donnerlümmel frei schwingen lassen. Mächtiges Pendel, der Kleine.«

Colin lachte nicht.

»Gott, dir scheint es echt mies zu gehen, wenn du a) nicht über meine Donnerlümmelwitze lachst und b) vergisst, das eigene Gewürge wegzuspülen.«

»Ich will in ein Loch kriechen und sterben.« Ohne sichtbare Regung hatte Colin in den cremefarbenen Teppichboden gesprochen.

»O Mann.« Hassan seufzte.

»Alles, was ich je wollte, war, von ihr geliebt zu werden und aus meinem Leben etwas Bedeutendes zu machen. Jetzt schau mich an. Ich meine, schau mich an«, sagte Colin.

»Ich sehe es, Kafir3. Und ich sag dir eins: Was ich sehe, gefällt mir nicht. Und ich setze noch eins drauf: Was ich rieche, gefällt mir auch nicht.« Er legte sich zurück und ließ Colins Unglück einen Moment lang im Raum stehen.

»Ich … ich bin ein Versager. Was, wenn es das jetzt war? Was, wenn ich in zehn Jahren in einem beschippten Großraumbüro sitze, Zahlen in den Computer tippe und Baseballstatistiken auswendig lerne, um in meiner Phantasieliga abzusahnen, und sie gibt es nicht, und ich werde nie etwas Bedeutendes leisten, sondern bin einfach nur eine totale Niete?«

Hassan setzte sich wieder auf und legte die Hände auf die Knie. »Siehst du, genau deshalb solltest du an Gott glauben. Ich rechne nicht mal mit einem Platz in einem Großraumbüro, und mir geht’s so gut wie einem Schwein in der Jauchegrube.«

Colin seufzte. Obwohl Hassan selber nicht besonders religiös war, versuchte er hin und wieder aus Spaß, Colin zum Islam zu konvertieren. »Ja, genau. An Gott glauben. Tolle Idee. Ich würde auch gerne daran glauben, dass ich auf dem Rücken eines flauschigen Riesenpinguins ins Weltall reisen und Katherine XIX. bei Schwerelosigkeit flachlegen könnte.«

»Singleton, du hast Gott dringender nötig als sonst jemand, den ich kenne.«

»Na und? Du hast es dringend nötig, aufs College zu gehen«, murmelte Colin. Hassan stöhnte. Er hatte ein Jahr vor Colin seinen Highschool-Abschluss gemacht, doch dann hatte er erst mal eine »Pause« eingelegt, obwohl er von der Loyola University in Chicago angenommen worden war. Und weil er sich auch für das kommende Herbstsemester noch nicht angemeldet hatte, sah es aus, als würde er seine Pause um ein weiteres Jahr verlängern.

»Lass mich aus dem Spiel«, sagte Hassan lächelnd. »Ich bin hier nicht der, der zu fertig ist, um vom Teppich aufzustehen oder seine eigene Kotze runterzuspülen, Mann. Und weißt du, warum? Ich habe Gott.«

»Versuch nicht immer mich zu konvertieren«, knurrte Colin.

Doch Hassan sprang auf, setzte sich auf Colin, drückte seine Arme auf den Boden und rief: »Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet! Los, sag es, Sitzpinkler! La ilaha illa-llah!4« Colin ächzte unter Hassans Gewicht, doch er musste lachen, und Hassan lachte auch. »Ich will nur deinen Arsch vor der Hölle retten!«

»Geh runter, sonst komme ich schneller hin, als dir lieb sein kann«, keuchte Colin.

Hassan stand auf, dann wurde er ernst. »Also gut. Was genau ist das Problem?«

»Sie hat mich sitzen lassen, genau das ist das Problem. Und ich bin allein. O Gott, ich bin wieder allein. Und nicht nur das, ich bin außerdem eine totale Niete, falls du es noch nicht gemerkt hast. Ich habe fertig, ich bin Geschichte, ein Ex. Exfreund von Katherine XIX. Exwunderkind. Exhochbegabter Teenager voller Potenzial. Jetzt bin ich nur noch voller Probleme.« Wie Colin Hassan unzählige Male erklärt hatte, gab es zwischen hochbegabt sein und genial sein einen himmelweiten Unterschied.

Wunderkinder können sehr schnell lernen, was andere ausgeklügelt haben; Genies entdecken Dinge, von denen noch keiner je gehört hat. Wunderkinder lernen; Genies handeln. Aus der überwältigenden Mehrheit der Wunderkinder wird kein Genie, wenn sie erwachsen sind. Colin war so gut wie sicher, dass er zu dieser unglücklichen Mehrheit gehörte.

Hassan setzte sich aufs Bett und zupfte an seinem Doppelkinn. »Was ist das eigentliche Problem – das mit Katherine oder das mit dem Genie?«

»Ich liebe sie einfach so«, antwortete Colin. Doch eigentlich waren in seinem Kopf beide Probleme untrennbar miteinander verknüpft. Das Problem war, dass er, dieser außerordentliche, besondere, brillante Junge – eben genau das nicht mehr war. Das Problem war, dass er keine Rolle mehr spielte. Colin Singleton, anerkanntes Wunderkind, anerkannter Veteran in Katherine-Konflikten, anerkannter Langweiler und Sitzpinkler, spielte keine Rolle mehr für Katherine XIX., und er spielte keine Rolle für den Rest der Welt. Plötzlich war er nicht mehr irgendjemandes Freund oder irgendjemandes Genie. Und das war – um die komplexe Ausdrucksweise zu verwenden, die man von einem Wunderkind erwartet – zum Kotzen.

»Weil, die Sache mit dem Genie«, fuhr Hassan fort, als hätte Colin gerade nichts von Liebe gesagt, »das ist Quatsch. Es geht immer nur darum, berühmt sein zu wollen.«

»Nein, das ist es nicht. Ich will etwas Wichtiges tun«, sagte er.

»Eben, wie ich gesagt habe, du willst Ruhm. Berühmtsein ist das neue Beliebtsein. Und Amerikas nächstes Topmodel wirst du bestimmt nicht, so viel steht fest. Also willst du Amerikas nächstes Topgenie werden, und jetzt – nimm’s nicht persönlich – jetzt heulst du rum, weil es noch nicht passiert ist.«

»Du bist keine große Hilfe«, murmelte Colin in den Teppich. Dann drehte er sich um und sah Hassan an.

»Steh auf«, sagte Hassan und hielt ihm die Hand hin. Colin nahm sie, zog sich hoch und wollte wieder loslassen. Doch Hassan hielt ihn fest. »Kafir«, sagte er, »du hast ein sehr kompliziertes Problem mit einer sehr einfachen Lösung.«

[3]   »Tapetenwechsel«, sagte Colin. Zu seinen Füßen standen ein vollgestopfter Seesack und ein Rucksack, voll mit Büchern, der fast platzte. Er und Hassan saßen auf einem schwarzen Ledersofa. Auf dem identischen Sofa gegenüber saßen Colins Eltern.

Colins Mutter schüttelte missbilligend den Kopf, mechanisch wie ein Metronom. »Wohin?«, fragte sie. »Warum?«

»Seien Sie mir nicht böse, Mrs. Singleton«, sagte Hassan und legte die Füße auf den Couchtisch (was nicht erlaubt war), »aber Sie haben das Entscheidende nicht verstanden. Es gibt kein Wohin oder Warum.«

»Denk an all die Dinge, die du diesen Sommer tun könntest, Colin. Du könntest Sanskrit lernen«, sagte sein Dad. »Du wolltest doch immer schon Sanskrit lernen.5 Wird es dir überhaupt Spaß machen, ziellos durch die Gegend zu fahren? Das sieht dir gar nicht ähnlich. Ehrlich gesagt, es kommt mir vor wie eine Kapitulation.«

»Eine Kapitulation vor was, Dad?«

Sein Dad schwieg. Er schwieg nach jeder Frage, und dann, wenn er sprach, benutzte er ganze Sätze ohne Ähs oder Hms, als hätte er seine Antwort auswendig gelernt. »Es schmerzt mich, dir das zu sagen, Colin, aber wenn du dich intellektuell weiterentwickeln möchtest, musst du genau jetzt härter daran arbeiten als je zuvor. Sonst riskierst du, dass du dein Potenzial verschwendest.«

»Theoretisch«, antwortete Colin, »habe ich mein Potenzial vielleicht schon längst verschwendet.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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