Die Fackel der dreißig Statuen - Bruno Giordano - E-Book

Die Fackel der dreißig Statuen E-Book

Bruno Giordano

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Beschreibung

Der Naturphilosoph Giordano Bruno (1548-1600) versinnbildlicht in der "Fackel der dreißig Statuen" je 30 Begriffe in Gestalten der griechischen Mythologie. Mit Hilfe dieser Einteilung soll alles, was es auch sei, analysiert, erkannt, verstanden und im Gedächtnis bewahrt werden. Dieses Buch ist jedoch viel mehr. In der "Fackel der dreißig Statuen" entwirft Giordano Bruno die Metaphysik einer lebendigen, beseelten und von Liebe druchdrungenen Welt, in der aus der Begegnung der Kräfte der Finsternis und des Lichts alles Sein hervorkommt. Das Universum selbst ist ein Lebewesen, nämlich das erste Lebewesen, aus dessen Fülle, Bewusstsein und Liebe alles entsteht. Mehr über die Bücher Giordano Brunos unter https://erikarojas.de/GiordanoBruno/GB.html

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Seitenzahl: 293

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Die Fackel der dreißig Statuen

TitelseiteVorwortDas erste Ungestaltbare oder das ChaosDas zweite Formlose, der Orkus oder der AbgrundDas dritte Ungestaltbare, die Nacht oder die FinsternisDer Vater, der Geist oder die FülleDas erste BewusstseinDas Leuchten oder das Spirituelle des UniversumsApoll oder die MonadeDie Statue Saturns oder der UrsprungDie Statue des PrometheusDie Werkstatt und die Statue VulkansDie Statue der Thetis oder das SubjektDie Statue des SchützenDer Berg OlympDer Bereich des Himmels und der VestaDer Bereich des OkeanosDie Statue des Mars oder die TüchtigkeitDer Bereich der Erde oder die PotenzDer Bereich JunosDer ErdgeistDie Darstellung des Horns des Acheloos oder das HabenDer Bereich Minervas oder das WissenDer Bereich der Venus oder die EintrachtDie Pfeile CupidosDas Fell der Ziege AmaltheaDer Äon oder die EwigkeitDie Anwendung der dreißig StatuenDie Stufenleiter der NaturDie Erklärung der Stufenleiter der universalen Prädikate und Attribute für die Substanz und die NaturDie Statuen der UnterteilungDie Kunst der Erforschung und der Formulierung von Aussagen in der AnwendungDie Praxis des Erforschens mit dieser MethodeDas dritte und letzte: Die AnwendungImpressum

Giordano Bruno

Die Fackel der dreißig Statuen

(Lampas triginta statuarum)

Übersetzt von Erika Rojas

Vorwort

Vorwort zur Fackel der dreißig Statuen

Die Wahrheit ist die Nahrung der Seele, denn sie kann in  ihre Substanz wie eine ihr gemäße Ernährung umgewandelt werden. Die Vollendung und das Ziel dieser Nahrung ist das Licht der Kontemplation, in dem wir mit den geistigen Augen zuerst die Sonne der ersten Wahrheiten und dann das sie Umgebende erblicken können. Das Erkennen des Einzelnen ist wie ein erstes Ergreifen der Nahrung, das Zusammenfassen des Einzelnen in den inneren Sinnen ist wie ein Verdauen, die vollkommene Ausbildung des Bewusstseins ist schließlich die Vollendung unserer Erkenntnis im gegenwärtigen Zustand, zu der wie zur Reife und zum vollkommenen Sein der Seele, alle zu gelangen wünschen, die nach der Erkenntnis der Natur streben. Von dieser Haltung erfüllt und von dieser Nahrung gestärkt sind wir bereit, durch die Kunst und die Wissenschaft in unserem geistigen Wirken Fortschritte zu machen. Denn die Wissenschaft und die Kunst folgen der Erfahrung und der Kenntnis, der Zufall und das Glück der Trägheit und der Unerfahrenheit.

Deshalb wenden wir uns einer Kunst zu, bei der wir nicht  denjenigen ähnlich sind, die schwanken wie der Zufall oder das  Glück. Auch wollen wir nicht mit Methoden, die uns wegen ihres  Umfangs ganz anderes betrachten und gewinnen lassen, einen unsicheren, rauen, unbeständigen oder einen wodurch auch immer fruchtbaren Weg durchwandern, so dass es kaum gelingen kann, durch das Zusammentreffen des Erforschten mit dem Gewünschten die gesuchten Früchte ohne Laub und Dornen zu pflücken. Hier soll also auf einem geraden Weg geforscht werden, auf dem wir nicht mit viel Konzentration, Ausarbeiten, Kunstfertigkeit und Abweichungen zu etwas außerhalb des Themas Liegendem gelangen, sondern vom Nächsten und Eigentlichen ohne Mühe zu allem und zum Wesentlichen.

Einige Arten des Forschens   

Es gibt viele Methoden etwas zu untersuchen:

Durch Auflösung, wie es bei der Erfindung der Schrift  deutlich wird, bei den grammatikalischen Trennwörtern und den Interpunktionen. 

Durch Gestaltung, wie zum Beispiel bei Statuen (Idolen).  Dabei können wir aus demselben Wachs, das in verschiedene Modelle gepresst wird, einmal einen Menschen, einmal ein Pferd, einen Vogel oder auch ein Gefäß gestalten.

Durch dauerhaftes und geordnetes Hinzufügen einzelner  Teile um das spirituelle Atom oder die körperliche Substanz.

Durch unterschiedliche Kombinationen verschiedener Teile  und Elemente, wie zum Beispiel beim Bau eines Hauses.

Durch sachgemäßes Abtrennen von irgendeinem nicht gestalteten Ganzen, wie wir durch unterschiedliches Abtrennen vom ungestalteten Stein die Gestalten unzähliger Pflanzen, Tiere und anderer Teile der Natur erwecken können.

Durch verschiedene Arten des Vermischens. Dies ist eine  andere Methode als die Komposition, bei der die Teile entweder  völlig oder auf andere Weise die eigene Form behalten, was hier kaum der Fall ist. Dies zeigt sich, wenn verschiedene Flüssigkeiten oder Pulver zum Herstellen einer einzigen Masse vermischt werden.

Durch eine gewisse Abspaltung, wo nicht so sehr wir selbst  als tätig wahrgenommen werden, sondern durch uns oder anderes die Natur oder Geistiges etwas bewirken und der Ursprung ist.

Schließlich durch Gegenüberstellen oder, um es besser auszudrücken, Objektivieren, wie uns durch das Abbilden in einem Spiegel unzählige Bilder wiedergegeben werden. Ebenso können wir durch eine einzige und gleichbleibende Fähigkeit, die sich völlig unterschiedlichen Bereichen zuwendet, alles begreifen, auch wenn es verschiedenen Bedingungen unterliegt.

Die erste Art des Untersuchens scheint eher geeignet zu  sein für jene Unterweisungen und Lehren, die mit Reden und auf ähnliche Weise überbracht werden und die durch gewisse einfache, erwiesene und deutlich unterteilte Prinzipien in das menschliche Denken gelangen.

Die zweite Art ist mehr dem Wirken der Natur, des Zufalls  oder des Schicksals zu vergleichen. Ihr entspricht eine Vorgehensweise, die sich anstelle positiver Aussagen entfaltet.

Die dritte Art ahmt das Wirken der Seele nach, die aus der  Mitte des Samens wie aus dem Innersten der Materie verschiedene Teile aufnimmt und anzieht, und deren Werk in entgegengesetzter Richtung durch die Auflösung wieder zerstört wird.

Die vierte Art ist dem Werk zu vergleichen, das in den Gebäuden der „Architectura et Combinationes Lulliana“ sichtbar wird.

Die fünfte Art ist geeignet für kunstreiche Abhandlungen, wie es in diesen selbst veranschaulicht wird.

Die sechste Art ist äußerst geeignet für medizinische und physikalische Mischungen und für die Chemie.

Die siebte Art entspricht der „Ars notoria“, ja es ist selbst  die “Ars notoria“. Durch sie werden manche ganz plötzlich nicht  aus eigener, sondern durch fremde Begabung zu Wissenden, so dass nicht jene, sondern etwas anderes, ein herbeigerufener und bösartiger Dämon, in ihnen weiß und handelt.

Die achte und letzte Art ist am meisten der Vorgehensweise zu vergleichen. die wir hier darstellen wollen.

Diese besteht aus dreißig Statuen, die dreißig Intentionen enthalten, wodurch sie sich als eine Methode der klaren Darstellung erweisen wird. Diese sind zwar Allgemeinbegriffe, wie es erforderlich ist, durch die äußerst spezifische Darstellungsweise jedoch besser anwendbar als die Prinzipien des Aristoteles oder des Lullus. Ob sie auch besser gestaltet sind, darüber sollen andere urteilen.

Wir sind der Meinung, dass es keine mögliche Fragestellung gibt, die sich auch nur einer dieser Ideen entziehen könnte, so dass jede von ihnen imstande ist, durch alle und jedes einzelne ihrer Glieder und Details eine gewisse Anzahl von Beweismitteln beizutragen. Ich will nicht weiter erwähnen, was bei der Betrachtung der Statuen an ihren Sitzen zu sehen sein wird, von denen es sich zeigen wird, dass ein Austausch zwischen ihnen stattfindet, und dass sie in einer gewissen wechselseitigen Beziehung zueinander stehen. Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Methode umfassen und übersteigen die gesamte Thematik der Anwendungen anderer Methoden, so dass von diesen nichts übrigbleibt, das nicht in ihr enthalten wäre. Wir werden sehen, dass ihre besondere Form, ihre Ordnung, Architektur und ihre Reihenfolge des Kombinierens alles hinzufügt, das darüber hinaus wünschenswert erscheint. Ihre Formulierungen umfassen alle Anwendungen und alles Wissen des ganzen kontemplativen und metaphysischen Bereichs.

Die Reihenfolge beginnt bei der uns vertrauteren, sinnlich wahrnehmbaren Realität und den Bildern der Phantasie und geht weiter zu den intelligiblen und der Betrachtung zugänglichen Universalien, welche die Ursache und der Grund für alle Einzeldinge sind. Deshalb wird es ein sehr leichtes Unterfangen sein, aus ihnen wie aus der Ursache und dem Ursprung die Mittel der Darstellung zu entnehmen. Denn wir wollen, dass durch sinnlich Wahrnehmbares, gestaltete Eindrücke und durch die Werke der Phantasie und der Vorstellungskraft das den Sinnen ferner Liegende gezeigt wird. Deshalb holen wir die Form der antiken Philosophie und den Brauch früherer religiöser Lehrer wieder hervor, die ganz selbstverständlich die Geheimnisse der Natur in solche Bilder und Gleichnisse zu kleiden pflegten, und zwar nicht nur, weil sie dargelegt, erklärt, in einer Reihe angeordnet und leichter dem Gedächtnis eingeprägt werden sollen. Natürlich prägen wir uns eine sinnlich wahrnehmbare, sichtbare und vorstellbare Statue leichter ein und aus demselben Grund auch, was dem sinnlich Wahrnehmbaren beigefügt wurde. Es ist für uns nicht schwer, anschaulich ausgestaltete Geschichten im Gedächtnis zu behalten. Folglich werden wir auch imstande sein, mit deren Unterstützung durch dieselbe Darstellungsweise Geheimlehren, Unterweisungen und dem Lernen dienende Intentionen ohne jede Schwierigkeit zu betrachten und zu behalten. Wir erfanden also nicht als erste diese Lehrmethode, sondern sind möglicherweise nur deren erste Erneuerer in dieser wie auch immer beschaffenen Zeit. Es ist der Natur vergleichbar, so dass sich nicht nur die Finsternis und das Licht abwechseln, sondern auch verschiedene Arten des Philosophierens. Denn nichts Neues verkündete Aristoteles, als er in seinem Buch „De Coelo“ sagte, dass es notwendig sei, eine bestimmte, feststehende Zahl von Jahrhunderten zurückzugehen, um dieselben Meinungen zu vernehmen. Nun sollen also hiermit wie in einem  Schatten und Zeichen die Intention, die Anwendung, der Modus  und die Vorgehensweise gezeigt werden. Zuletzt wollen wir uns mit demjenigen befassen, das zur Substanz des Seienden gehört.

Das erste Ungestaltbare oder das Chaos

Die drei Formlosen oder Ungestaltbaren

Bevor wir zu den idealen und geformten Statuen kommen,  wollen wir vorher als Ergänzung der sichtbaren Subjekte die drei ungestaltbaren besprechen. Diese sind das Chaos, der Orkus und die Nacht. Das Chaos bedeutet das Vakuum, der Orkus die passive und empfangende Potenz und die Nacht die Materie.  

Das erste Ungestaltbare oder das Chaos

Das Chaos hat keine Statue, keine Gestalt, kein Bild in der Vorstellung und keine Vorstellbarkeit, aber einen Begriff oder eine Denkbarkeit, die nicht ohne Wahrheitsgehalt sind. Zu ihm gehören dreißig Abschnitte: 

Erstens weist die Tatsache auf das Chaos hin, dass an demselben Ort die Körper aufeinanderfolgen. Denn ein Teil der Luft folgt einem anderen Teil nach, ähnlich ein Teil des Wassers einem Teil des Wassers. Daher werden weder die Luft noch das Wasser als Raum aufgefasst, sondern als im Raum, der sich aber nun von beiden unterscheiden muss.

II. Das Chaos ist von allem das erste, wie Hesiod richtig  sprach. Denn wenn auch alles seit Ewigkeit existiert, und weder in der Ordnung der Materie noch in der Ordnung der Zeit irgendetwas vorausgehen kann, so existiert in der Ordnung der Natur doch nichts, wenn es nicht irgendwo existieren kann, und nichts wird empfangen, ohne dass vorher etwas existierte, das es empfängt. 

III. Es ist ungestaltet und ungestaltbar, denn jede Gestalt umschließt einen Körper und eine physische Materie. Es existiert jedoch vor jedem Körper und vor jeder Materie und muss folglich frei von ihnen sein. Es ist ferner mehr eine Einheit als die Materie. Denn wenn die Materie auch unbegrenzt und undefiniert ist, so ist sie doch von allen Seiten begrenzbar und definierbar, nirgendwo jedoch das Chaos.

IV. In ihm existiert nichts und - wie ich betonen will - es selbst enthält nichts. Es ist auch nicht so zu begreifen, dass sich die Körper in ihm befinden, als ob es die Fülle aufnehmen würde, sondern sie existieren eher zusammen mit ihm. Dabei entsprechen offenbar die Dimensionen des Vakuums auf irgendeine Weise den Dimensionen, welche die Körper enthalten, da der leere Raum die Ursache ist, dass die Dimension der Körper existiert. Es gibt nämlich keinen Körper, wenn er nicht irgendwo existieren kann, und er kann nirgendwo existieren, außer dort, wo Raum ist. Dieser jedoch ist das Vakuum.

V. Die Dimensionen des Chaos treffen mit den Dimensionen der Körper so zusammen, dass die Körper durch ihre Dimensionen vom Leeren oder von den leeren Dimensionen unmöglich losgelöst sein können, wie sehr das Chaos selbst auch frei von Körpern ist und sein kann. Dem widerspricht nicht der Einwand von ungenau Denkenden, dass eine Durchdringung von Dimensionen völlig unmöglich ist. Denn dies mag wahr sein in Bezug auf die Dimensionen zweier Körper. In diesem Fall ist es jedoch insoweit unmöglich, als sich die Dimensionen in ihrer Art unterscheiden.

VI. Das Chaos ist weder aktiv noch passiv in Hinsicht auf irgendetwas, sondern es ist das Untätigste von allem. Von jeder  Aktivität oder Passivität, die sich in ihm befinden, kann es selbst in keiner Weise berührt werden. Denn dabei entsprechen zwei Teile einander, die mit irgendeiner Fähigkeit, Qualität oder Zusammensetzung versehen sind, was beim Chaos sicher nicht der Fall ist.

VII. Außerhalb des Chaos gibt es nichts, und kann nichts gedacht werden, denn jeder Raum, jeder Körper, jedes Ausgedehnte und folglich jede Dimension, die eine Begrenzung annimmt, übernimmt diese als Einzelnes durch das Einzelne, als Teil durch den Teil. Das Ganze aber und das Absolute kann man sich nicht einmal vorstellen. Deshalb ist es richtig zu sagen, dass es außerhalt des Chaos nichts gibt.

VIII. So ist es von Natur aus und gleichsam durch seine Dauer das erste von allem ebenso wie von der Gesamtheit dessen, das Grenzen nicht nur der Dauer, sondern auch der Größe hat.

IX. Was auch immer existiert, das existiert, handelt und wirkt mit ihm oder in ihm, sei es geteilt oder ungeteilt, körperlich  oder unkörperlich. Deshalb kann nichts seiner Gegenwart entkommen. Denn sogar das Volle selbst trifft, wenn es geteilt ist, mit den Dimensionen des Vakuums zusammen, wenn es ungeteilt ist, fällt es mit ihm als dem Ungeteilten selbst zusammen, wenn es immateriell ist, kann es nicht ohne das Chaos gedacht werden, wie auch das Vakuum nicht außerhalb des Chaos gedacht werden kann.

X. Das Chaos kann sich nicht mitteilen. Es ist das Geizigste von allem, weil es nichts gleichsam von seiner Substanz aussendend gibt und nichts gleichsam in seine Substanz einlassend empfängt. Doch da es alles enthält, wird dieses Haben und Enthalten so aufgefasst, dass nicht es selbst als bereichert oder beraubt gedacht werden kann, sondern dass der Reichtum und der Mangel in ihm aufgenommen werden.

XI. Es ist das wirkliche Unendliche, nicht jedoch ein Akt, weil es nicht Licht ist und auch nicht zusammengesetzt aus dem Licht und der Nacht, noch ist es eine gleichsam mögliche Potenz, sondern es ist das allerwirklichste Existierende, denn wenn es nicht existierte, gäbe es keinen Ort und nichts, das sich an einem Ort befindet. Wie jedoch nach den Pythagoreern die Materie oder die Nacht die unendliche Zahl ist, und der Körper, weil er teilbar ist, sowohl die unendliche Größe als auch die unendliche Zahl, so ist das Vakuum der Raum, der die unendliche Größe umfasst. Ich betone, es ist nicht die Größe, sondern das Empfangende der Größe, das Ungeteilte, das die Unendlichkeit aufnimmt.

XII. Was eine Teilung, Abtrennung oder ein gleichsam ortsabhängiges Unterscheidungsmerkmal empfangen kann, erhält diese aus der Unterschiedlichkeit der Körper, die im Chaos aufgenommen werden. Ebenso ist es teilbar, und als Teilbares muss es quantifizierbar sein. Die Quantität aber folgt oder begleitet die Materie oder die Nacht, und die Teilbarkeit geht der Quantität nicht voraus, sondern folgt ihr nach. Der Orkus aber und das Chaos ebenso wie die Zeit und die Natur müssen notwendig als vor der Nacht gedacht werden und müssen deshalb frei sein von den Voraussetzungen und Begriffen, deren Ursprung sie ist, oder die das erste Mal bei ihr auftreten. Denn das Chaos ist nichts anderes als das Empfangende der ausgedehnten und teilbaren Körper. In ihm entsteht die Teilung, und in ihm ist alles Teilbare. Dennoch ist nicht alles, was eine Ausdehnung besitzt, auch teilbar, außer es ist ein Körper. Denn nur diese sind als Ausgedehntes auch teilbar, nicht jedoch das Unkörperliche. Dies zeigt sich deutlich bei Sonnenstrahlen, die nicht abgetrennt werden können, bei denen es jedoch möglich ist, sie fernzuhalten. Es ist aber nichts dagegen einzuwenden, die Teilung durch Berechnung einzuführen, denn dies geschieht durch ein Akzidens, nämlich durch den Begriff des sinnlich wahrnehmbaren Raums.

XIII. Das Chaos ist sinnlich nicht wahrnehmbar, da es ja von sich aus weder das „wieviel“ der Körper hat noch auf Grund einer körperlichen Qualität ein „wie". 

XIV. Es ist weder ein Verlieren noch ein Erscheinen, weder erleidet es einen Verlust, noch besitzt es etwas in sich selbst, sondern es ist ein wirkliches und notwendiges Seiendes, und es existiert notwendigerweise, denn wir können uns nicht vorstellen, dass es nicht existiert.

XIV. Es enthält weder einen Unterschied noch Übereinstimmung noch Gegensätzlichkeit, sondern es enthält eine gewisse Undifferenziertheit in sich selbst und empfängt die Verschiedenheit durch anderes, mit dem es nirgends in einer Gattung zusammenkommen kann.

XV. Dazu kommt, dass es nicht durch eine Ursache oder wie verursacht existiert. Es ist sogar völlig unmöglich ist, dass es verursacht wird, denn es ist Mitursache vor allem, ja sogar noch vor der körperlichen Ursache und vor der Ursache durch die Wirklichkeit der Körper.

XVI. Es ist ausgedehnt, ohne ergriffen werden zu können. Denn nicht nach der Art der Materie wird es durch seine Ausdehnung als formbar und wie erleidend erfahren, denn es ist auch kein  Subjekt, das etwas erleidet.  

XVII. Es kann weder von etwas durchdrungen werden, da es auf keine Weise geteilt werden kann, noch kann es irgendetwas durchdringen, da es nicht beweglich ist, denn der Raum wäre ohne das derartig Unbeweglichste nicht so unbeweglich.

XVIII. Es ist ausgedehnt ohne Verschiedenheit der Teile und überall dasselbe ohne deren Vereinigung.

XIX. Wenn auch überall im unendlichen Universum ein unendlicher, umfassender und kontinuierlicher Raum gedacht wird, so füllt er doch nichts aus, noch lässt er den Modus des Ausfüllens zu, sondern nur den Begriff der Anwesenheit.

XX. Es kann weder als fein, noch als dicht, noch als das Feinste gedacht werden, sondern es wird als außerhalb aller solcher Differenzierungen aufgefasst.

XXI. Es ist nicht in der Zusammensetzung wie ein Teil, wie sehr es auch dem Zusammengesetzten eingeprägt sein mag, und man es sich so vorstellen kann, sondern es enthält den Grund für die gegenseitige Abgrenzung der Teile und für die Trennung der ersten Körper der Individuen, bei denen notwendigerweise ein Zwischenraum sein muss. Wenn sie einander beim Zusammentreffen berühren.

XXII. Das Chaos selbst wird als völlig unbeweglich gedacht, wie Aristoteles meinte, obwohl es selbst den Körpern für deren Bewegung eingepflanzt ist, denn die sich bewegenden Körper ergreifen ein anderes Vakuum und einen anderen Raum. Es ist nicht anders als bei der Luft in einem sich bewegenden Ring. Denn es wird nicht die Luft innerhalb des Umkreises des Rings mit ihm bewegt, sondern durch die Bewegung des Rings fließt andere Luft und ein anderer Raum in ihn hinein. Genauso ist über die Leere zu urteilen, die in den Körpern eingeschlossen ist, denn das Chaos ist überall und von allen Seiten ein kontinuierliches Eines. Es wird nicht unterteilt durch die Verschiedenheit, Trennung, Nähe oder Kontinuität der Körper. Es kann hier voll, aber dort wirklich ein Vakuum sein. Es kann auch sein, dass es nirgends ein Vakuum ohne Körper oder zumindest Äther gibt, was auch meine Meinung ist.

XXIII. Es ist weder Seiendes noch Nicht-Seiendes, sondern das Wirkliche und das Aufnehmende des Seienden. Denn wenn  jemand das Seiende und das Wirkliche überall vertauschen will, gewähren und wollen wir die Freiheit der Benennung, solange nur die Bedeutung der Dinge unangetastet bleibt. 

XXIV. Obgleich es Seiendes ist, (wir verstehen es jedoch nicht als das Nichts oder das Leere) wissen wir doch, dass es weder Substanz noch Akzidens ist. Es ist keine Substanz, da es nicht das Subjekt einer substantiellen Form ist wie die Materie noch das Subjekt irgendeiner akzidentellen Form wie ein Zusammengesetztes. Es ist auch kein Akzidens, da es kein Subjekt hat, nichts das es aufnehmen könnte, sondern es ist selbst dasjenige, das alles aufnimmt.

XXV. Es wird definiert als dasjenige, in dem alles ist, da es dem unendlichen Universum gleichgesetzt wird, das in allem ist, da es jeder Zusammensetzung eingeprägt ist und alle Fülle aufnimmt, durch das alles ist, denn ohne Raum gäbe es nichts, oder könnte man sich zumindest kein Sein vorstellen.

XXVI. Eine schlechte Definition wäre „ in dem nichts ist, aber etwas sein kann“, da ja auch ein Atom etwas ist, in dem nichts ist, und ein Ort etwas ist, in dem etwas sein kann. Gut wird es dagegen bezeichnet als Raum, in dem alles ist, zusammen mit den übrigen aufgezählten Unterscheidungsmerkmalen.

XXVII. Seine Teile können in der Weise, in der man sich vorstellen könnte, dass es Teile enthält, nirgends als geformt oder gestaltet gedacht werden. Denn weder das Vakuum noch der Raum werden als quadratisch oder rund gedacht, es sei denn akzidentell oder aus einem äußeren Grund, aus dem ein sinnlich wahrnehmbarer Körper für begrenzt und durch seine Außenflächen als quadratisch oder auf Grund seiner Biegung für kugelig gehalten wird. 

XXVIII. Aus verschiedenen Gründen können das Chaos, das Vakuum, das Leere, das Volle, der Ort und das Aufnehmende  als identisch bezeichnet werden. Denn es heißt Vakuum wegen seiner Fähigkeit zu ergreifen, Chaos wegen seiner Ungestaltbarkeit, das Leere wegen seiner Unbenennbarkeit und Undefinierbarkeit, das Volle wegen seines tatsächlichen Inhalts, der Ort, weil die Körper sich in ihm abwechseln, das Aufnehmende wegen der Übereinstimmung der Dimensionen des Ergreifenden mit denjenigen des Ergriffenen.

Das zweite Formlose, der Orkus oder der Abgrund

Wie der Sohn dem Vater folgt der Abgrund oder der Orkus dem Chaos, denn aus dem Leeren und Unbegrenzten folgt eine  Hinwendung, ein Mangel oder ein grenzenloses Verlangen, wie es im Sprichwort heißt, dass „der Mangel das Verlangen hervorbringt“.  

Durch den Namen des Orkus stellen wir uns einen unermesslichen und unendlichen Schlund vor, der dem Leeren dasjenige hinzufügt, das irgendwie alles zu empfangen, zu begehren und anzuziehen vermag. Ihn stellen wir durch dreißig Bedingungen dar oder erklären wir durch das Dargestellte. Wir können ihm jedoch nicht irgendeine Idee oder Form geben.

I. Orkus oder Abgrund wird er wegen seiner Weite genannt, die mit der Weite seines Vaters, des Chaos, zusammentrifft. Das unendliche Verlangen folgt somit der unendlichen Leere.

II. Er wird Acheron genannt oder der Traurige, wegen der Ähnlichkeit, da sie beide wegen ihrer Bedürftigkeit nicht sonderlich zufrieden sind. Er selbst ist der Traurigste von allen, da er ja allen Mangel bedeutet und das Dasein des sich widersprechenden Gegensatzes.

III. Man stellt sich vor, dass er alles verwirft, was ihn nicht ausfüllt, da ja das dem Unendlichen oder dem unendlichen Verlangen hinzugefügte Endliche keinerlei Verhältnismäßigkeit oder Vereinbarkeit zulässt.

IV. Durch den Brunnen des Belus ist sein unermessliches Streben zu erkennen, oder er weist zumindest darauf hin. So viel Wasser auch in ihn hineingeschüttet wird, scheint es doch immer wie aus einem durchlöcherten Gefäß wieder herauszufließen und nichts zum Auffüllen des Schlundes beizutragen, noch zu seinem Ausfüllen zu führen.

V. Da hier ein Verlangen dargestellt wird, dessen Gegenstand das Endliche ohne Ende ist, ist es selbst unendlich. Denn der  unendlichen Leere und dem unendlichen Mangel folgt nicht ein Verlangen, dem ein bestimmtes Ziel seines Strebens oder ein bestimmtes Wünschenswertes gegenüberstehen könnte, sondern es ist in gleicher Weise unendlich und unbestimmt.

VI. Unersättlich ist sein Beiwort, denn welches Begehrenswerte oder Wünschenswerte ihm auch immer angeboten werden  könnte - wenn er glaubt, es umfassen zu können, wird es ihn in keiner Weise befriedigen können, nicht einmal mehr als das Nichts selbst.

VII. Daran ändert sich auch nichts durch den Körper des Tityos mit einer Größe von neun Morgen. Diese Zahl ist gebildet aus drei mal drei und bedeutet die vollkommen vollkommene Zahl oder das sphärisch vollkommene Unendliche. Von seiner ständig nachwachsenden Leber kann der ebenso unaufhörlich sich erneuernde Hunger des Geiers nicht gestillt werden, denn ein unendliches Streben, dem ein endliches Objekt oder Subjekt gegeben wird, ist niemals zufrieden, ebenso wie durch zufällig nichts. Wenn es immer so endlich ist, dass es nicht auch beendet wird, wie ein Subjekt, das beständig verschlungen werden kann, dann ist es nicht so abwesend, wie Gegenwärtiges abwesend ist oder Abwesendes anwesend ist. Wie zum Beispiel auch das Objekt des endlichen Bewusstseins und des endlichen Wollens das unendliche Gute ist, denn wenn es völlig erfasst und erreicht werden könnte, wäre es nicht mehr das Gute, denn es gäbe ja keinen Grund mehr, es zu begehren. Wenn es folglich immer gut sein soll, muss es immer begehrenswert sein. Um immer begehrt zu werden, darf es sich niemals erfüllen. Es ist also nicht völlig abwesend, außer es ist vielleicht überhaupt nicht gut, da es sich auf keine Weise mitteilt. Es ist auch nicht völlig anwesend, wenn es nicht ein endliches Gutes ist, und folglich seine Güte begrenzt ist und irgendwo endet, wo es sich erfüllt und sein Ende erreicht.

VIII. Durch die Gefangenschaft des Giganten wird ausgedrückt, wovon tiefsinnige Dichter erzählen, nämlich, dass es von der  Erdoberfläche in die Tiefe ebenso weit hinabgeht, wie sich der Himmel von derselben Oberfläche in die Höhe erhebt. Für die  Wirklichkeit wird dadurch gezeigt, dass der Umfang des Mangels und des Verlangens ebenso groß ist wie der Umfang des Guten. Das absolut unendliche Gute setzt also voraus, dass es unendlich wünschenswert ist, das unendliche Streben einen Abgrund ohne Ende.

IX. Er wird das Chaos der ewigen Nacht genannt, da er alt ist, so dass er seinem um nichts älteren Vater, dem Chaos, gleichgestellt wird. Sein Fassungsvermögen soll dem seines Vaters gleichkommen, denn wie es nichts Umfassenderes als das Umfassende gibt, so gibt es auch nichts Bedürftigeres und Abgründigeres als die Bedürftigkeit und den Abgrund selbst.

X. Es heißt, er verschlinge alles, denn wie er fähig ist, Unendliches hervorzubringen und Unendliches zu ergreifen, so ist er auch fähig, Unendliches zu überbringen und sich dem Unendlichen zuzuwenden. Denn wenn sie eingesetzt werden, setzen sie sich gegenseitig ein, und wenn sie entfernt werden, heben sie sich gegenseitig auf.

XI.. Es heißt, zwischen dem Orkus selbst und der eigentlichen  Fülle liege das weite Chaos, weil zwischen einem solchen  Verlangen und einem so großen Gut das Werk des unermesslichen Universums von der Nacht als Mutter und dem Licht als Vater gezeugt wurde.

XII. Er heißt blind und verwirrt, da er keine Form und keine Gestalt hat und folglich auch nicht erkannt werden kann, so dass sich der Sohn seines Vaters, des Chaos, würdig erweist.

XIII, Nicht einmal er selbst kann die Empfindung und die Erkenntnis seiner selbst bewahren. Er ist sogar das Urbild und das Gefäß aller Torheit und Vergesslichkeit. Deshalb wird erzählt, dass der Fluss Lethe in ihn münde und aus ihm entspringe.

XIV. Er ist zu begreifen als der Vater allen Wechsels, da ja alles am Schatten seines Mangels und am Chaos teilhat, und man glaubt, dass alles sich mit der gleichsam von der mütterlichen Seite stammenden Empfindung infizierte. Denn alles, was aus diesem Ursprung hervorkommt, begehrt alles zu sein, und ich behaupte, dass es unter allen Einzelwesen keines gibt, das nicht begehrte alles zu sein, da der Trieb des Orkus und die Töchter der Nacht jedes endliche und bestimmte Licht verschmähen, so dass sie sich ihres Vorfahren, des Chaos, würdig erweisen.

XV. Wie einerseits dem Vater, dem Chaos, alles fehlt, so sucht seine Enkelin, die Nacht, nach allem. Zwischen ihnen steht der Orkus, der Sohn, der alles begehrt.

XVI. Wie das Chaos sich nicht bewegt, und es folglich auch nichts gibt, in dem es ruhen könnte, und es weder Bewegung noch Ruhe kennt, (und doch kann es nicht als unbeweglich ruhend bezeichnet werden) so ist der Orkus ein Zeichen der Ruhe. Denn er will sich selbst nicht seines Begehrens berauben, noch könnte er dies wollen. Die Nacht verfolgt die Ruhe und das Gute, und weil sie es immer nur im Einzelnen ergreift, schleudert sie es gleichsam voller Unwillen von sich. Denn das Ganze, das sie nicht gleichzeitig in allen Teilen besitzen kann, fordert sie nach und nach in allen seinen Teilen ein. Wie also die Nacht die Ruhe verfolgt, so ist der Orkus ein Zeichen für sie.

XVII. Der Orkus geht nicht in den Himmel und in die Welt des Lichts über, noch könnte er dies wünschen, denn wenn er aufhörte, er selbst zu sein, würde er letztlich auch die Ordnung des Universums zerstören. Ebenso könnte auch niemand ohne Verwirrung zu stiften vorgeben, dass der Mangel kein Mangel sei, und das Begehrende sich in das Begehrenswerte verwandle, denn ohne das Begehrende kann das Begehrenswerte niemandem gegeben werden, ebenso wie ohne das Begehrenswerte dem Begehrenden nichts gegeben werden kann. Wie also die Welt des Lichts und der Fülle notwendig ist, ebenso ist es notwendig, dass es eine Welt gibt, in der sie leuchten, begeistern und erfüllen kann. Es ist also eine solche Sehnsucht, dass sie nicht wollen kann, keine Sehnsucht zu sein, genauso wie alles Seiende nicht wollen kann, kein Seiendes zu sein. Deshalb wird das Begehren des Orkus ein hinweisendes genannt, das der Nacht aber ein verfolgendes.

XVIII. In ihm, heißt es, seien der Acheron, der Cocytus, der Styx und der Phlegeton. Nicht deshalb aber ist diese Abgründigkeit traurig, beklagenswert oder betrüblich, da ihm ja das eigene Sein angenehm und erfreulich ist und in der Wirklichkeit der Natur nicht weniger gut und notwendig. Deshalb beneidet Pluto Zeus nicht und kann ihn auch nicht beneiden. Es heißt, dies seien nicht die Empfindungen des Orkus, sondern die Empfindungen, die durch den Orkus in denjenigen entstehen, in denen eine Zusammensetzung aus Licht und Finsternis besteht, weil ihre Mutter die Nacht und ihr Vater der Himmel ist. Wenn in diesen Zusammengesetzen das Licht überwiegt, beklagen sie das Tal der Finsternis. Wenn aber in ihnen der Anteil der Mutter die Oberhand hat, hassen sie den Himmel und streben dem Orkus zu.

XIX. Das Chaos ist formlos, unformbar der Orkus, die Nacht wird immer geformt, aber hat nie eine vollständige Form.  Der Orkus befindet sich folglich so in ihrer Mitte, dass er in der Unformbarkeit selbst nicht geformt werden kann, aber geformt zu werden wünscht. Auf der einen Seite ist das Leere oder das Chaos, das niemals geformt wird und auch nicht geformt zu werden wünscht. Auf der anderen Seite ist die Nacht, die immer geformt wird und immer geformt zu werden wünscht. 

XX. Das Übel existiert auf eine solche Weise, dass es nicht gut wäre, wenn es nicht existierte. Es bringt nämlich die Notwendigkeit des Guten hervor, denn ohne das Übel gäbe es keine Sehnsucht nach dem Guten, durch die das Gute wünschenswert, herrlich und hochgeschätzt ist. So ist also der Orkus notwendig ebenso wie die Ströme des Bösen.

XXI. Wie das höchste Gut nicht hervorgebracht wurde oder hervorgebracht werden kann, so auch nicht der Gegensatz seiner Fülle, das Chaos, oder was aus ihm folgt. Dem widerspricht nicht, dass gesagt wird, das Chaos sei gleichsam der Vater des Orkus und der Orkus der Vater der Finsternis oder der Nacht. Denn bei diesen verstehen wir darunter eine gewisse Abhängigkeit und Reihenfolge und nicht eine Ursache oder aufeinanderfolgende Ableitung. 

XXII. Es heißt, vor seiner Tür stünden die Trauer, die Krankheiten und die Rächerinnen der Sorge. Sie bedeuten die Potenz des Orkus oder sein Einfließen sowie seinen Einfluss, die er durch die Fortpflanzung mit seinem Samen seiner Tochter, der Nacht, mitgegeben hat. Aus ihnen werden alle Veränderung und aller Wechsel geboren, die der Keim des Verderbens und des Todes sind. Denn die Veränderung und das Leiden sind Tür und Tor des Todes und des Verderbens. Diesen zur Seite steht der Schlund des Orkus, da ja durch die Abgründigkeit des Orkus, wie gesagt, alles verschlungen und hinweggerissen wird.

XXIII. Die Ketten dort bedeuten die unwiderstehliche Notwendigkeit des Schicksals, durch die alles unauflöslich gebunden und gehalten wird. 

XXIV. Das Feuer selbst ist das lodernde und aktivste Ergebnis seiner Aktivität, das aus diesem Verlangen hervorkommt,  von dem man sich vorstellt, dass es auf gewisse Weise alles so in sich selbst verwandeln und zu sich herziehen will, wie auch unter den Elementen das Feuer als das aktivste auf ähnliche Weise alles in sich selbst verwandeln zu können scheint.

XXV. Es wird erzählt, dass Ixion sich dort auf einem Rad befindet, wo er ,“sich folgt und vor sich flieht“. Dies bedeutet, dass das Verlangen des Orkus alles so begehrt, dass man sich vorstellen muss, er begehrt ebenso nichts, da er sich nicht selbst begehren kann, denn sonst müsste er ja, um nicht grundlos vor sich selbst geflohen zu sein, der Himmel und nicht der Orkus sein. Wenn er jedoch völlig sich selbst folgte, wäre sein Begehren nicht nur nicht unendlich, sondern überhaupt nicht vorhanden, und da er nichts begehrte, wäre er nicht der Orkus. 

XXVI. In ihm ist Sisyphus dargestellt, der auf die Spitze des Berges einen Felsblock hinaufwälzt, der gleich darauf wieder in dieselbe Ebene zurückrollt. Dies bedeutet einen solchen Antrieb des Mangels dem Licht, der Form und dem Bereich des Daseins entgegen, dass er das eigene Sein, nämlich die väterliche Region des Leeren, verlassen möchte.

XXVII. In ihm ist Tantalus dargestellt, dem die köstliche Speise so dargeboten wird, dass er sie nie erreicht, um zu zeigen, dass der Mangel ständig vom Verlangen begleitet wird.

XXVIII. Dort haben die Erinnyen oder die Furien ihren Platz, die als schlimme Göttinnen dargestellt werden, weil der Orkus oder der Mangel der Ort und auch die Ursache allen Zorns, Unwillens, Neids und anderes dieser Art ist.

XXIX. Eben dorthin, heißt es, wurde der hundertarmige Briareus hinabgestoßen, der hundert Felsen gegen Zeus schleuderte, um zu zeigen, dass die Ursache allen Frevels und jeder Sünde der Mangel ist. Es heißt, jede Sünde und jedes Vergehen oder jeder Fehler entstehe durch Vernachlässigen, durch Schwächen und folglich durch Entbehren. Nicht der Bereich des Effekts, sondern der Bereich des Defekts ist der Wohnort des Verbrechens, weshalb es zum Bereich des Orkus gehört, wo es gegen die Herrschaft des Lichts kämpft.

XXX. Je unbegreiflicher uns auf der einen Seite die Fülle des Lichts erscheint, desto mehr berühren wir sie. Ebenso erkennen wir den Bereich des Mangels und der Finsternis desto besser, als je unbestimmter und unbegrenzter wir ihn uns vorstellen.

Das dritte Ungestaltbare, die Nacht oder die Finsternis

Wir betrachten die Nacht als die erstgeborene Tochter des Orkus, die in ihrer Seinsweise als Tochter des Orkus für eine der drei Ungestaltbaren gehalten wird. Entsprechend ihrer eigenen Seinsweise jedoch und ihrer eigenen Natur, die nicht der Art ihres Vaters entspricht, wird sie als uralte Göttin betrachtet, und als solche ist sie gestaltbar. Denn die Urmaterie in Gestalt der Nacht wird im Bild der Tochter des Orkus wiedergegeben, insoweit sie abgesondert ist und sich der ihr beigegebenen Absonderung unterordnet. Insoweit sie jedoch ein Subjekt ist, zeigt sie ihr eigenes Wesen. Dreißig Bedingungen beziehen sich auf diese Ungestaltbare.

Durch die erste wird sie als zum Licht gehörend betrachtet, als bezogen auf die Wechselseitigkeit und die Stellung zum Licht. Dessen Ankunft und Rückkehr offenbart sich als Finsternis und Nacht. Wie wir nämlich die Eigenart und die Beschaffenheit eines Ortes von der Beschaffenheit des sich darin Befindenden unterscheiden, da Verschiedenes am selben Ort aufeinanderfolgt, genauso wie im selben Subjekt verschiedene Qualitäten aufeinanderfolgen, deren Sein aus demselben Grund vom Sein des Subjekts unterschieden wird, ebenso sind wir gezwungen, die Urmaterie als gleichsam unveränderliches und fortdauerndes Subjekt von allen Erscheinungsweisen der Natur zu unterscheiden, da offenbar Verschiedenes in einer gewissen Reihenfolge in derselben sinnlich nicht wahrnehmbaren Materie aufeinanderfolgt.

II. Ihr Sein wird durch seine Verschiedenheit vom Raum und vom Leeren verstanden, die kein Teil des Zusammengesetzten der Natur sind und gemäß seiner Unterschiedlichkeit von allen künstlichen und akzidentellen Formen, die in irgendeine körperliche und sinnlich wahrnehmbare Materie eingehen. Denn die Dunkelheit ist ein sinnlich nicht wahrnehmbares Subjekt und bringt keine Erscheinungsweisen der Natur hervor, sondern wird als das auf unbewegliche Weise unteilbare Subjekt der Erscheinungsweisen der Natur aufgefasst. 

III. Aus dem zweiten Punkt folgt, dass wir sie nicht wahrnehmen, wie wir den Schatten nicht wahrnehmen, es sei denn als unterschiedlich zum Licht, während das Licht durch sich selbst wahrnehmbar ist. Die Nacht oder die Materie erreicht deshalb nicht die Wahrnehmung, außer durch die Aufeinanderfolge der Formen in ihr, die Töchter des Lichts sind.

IV. Sie heißt das erste Subjekt, da weder ihr Vater, der Mangel oder der Orkus, ein Subjekt sein kann, noch das Vakuum ein Subjekt ist, sondern das Aufnehmende der Subjekte. Sie aber ist die Dunkelheit, die das ganze Chaos ausfüllt und der Weite des Orkus gleichkommt. Sie ist das erste, das dem Dasein unterworfen ist und den Akt wie eine Vermählung annimmt, vermählt nämlich dem Licht.

V. Daraus folgt, dass die Dunkelheit nicht für etwas Erdachtes und gleichsam rein Logisches gehalten werden darf, sondern für etwas äußerst Beständiges, ja sogar für die ewig fortdauernde Natur selbst. Denn im Reich der Natur erkennen wir sie als jenes sinnlich nicht wahrnehmbare Subjekt, das ununterbrochen fortdauert, und um das der Wechsel der Formen ohne Unterlass bewirkt wird.

VI. Sie ist auf eine solche Weise ein Ursprung, dass sie durch sich selbst der Ursprung keinerlei Handelns ist. Denn zu ihr gehört es nicht zu handeln, sondern dem Handelnden zugrunde gelegt und untergeordnet zu werden.

VII. Aus demselben Grund muss vermutet werden, dass auf sie nicht eingewirkt werden kann. Denn da offenbar verschiedenes Seiende in ihr entsteht, vergeht und sich abwechselt, muss sich jede Einwirkung auf das Vergängliche beziehen, nicht jedoch auf dasjenige, das diesem unaufhörlich zugrunde liegt. Denn hier bedeutet eine Einwirkung zu erleiden etwas anderes als zugrunde gelegt zu werden. Sie wird deshalb zugrunde gelegt, ohne dass auf sie eingewirkt wird.

VIII. Wenn jemand sie für ein Nicht-Seiendes halten sollte, könnte diesen Worten aus dem Grund Glauben geschenkt werden, weil Seiendes in der Art von Zusammengesetztem und von Formen gedacht wird. Denn wie auch im anderen Endpunkt die erste Ursache weder als Essenz noch als Seiendes bezeichnet wird, sondern als Überessenz oder Überseiendes, weil sie alles überragt, so wird auch die Urmaterie nicht als Seiendes aufgefasst, sondern als etwas unterhalb des Seienden. das gleichsam alles emporhebt.

IX. Es heißt, sie habe keine Idee, da ja Ideen zu Seiendem oder Erscheinungsweisen gehören. Soweit sie eine Nachfahrin des Chaos ist, ist sie ebenso formlos, hat deshalb auch keine Idee und folglich bei uns auch keine Statue. Wie es sich zeigte, darf sie deshalb jedoch nicht einfach als Nicht-Seiendes beurteilt werden.

XI. Sie ist das erste, aus dem irgendetwas entsteht. Denn obwohl das Leere und auch das Verlangen des Orkus in allem Zusammengesetzten zu finden sind, entsteht das Seiende doch nicht wirklich aus ihnen, sondern das Seiende existiert eher mit ihnen. Denn wie oben gesagt, verhalten sie sich nicht wie Teile, sondern sie sind den Teilen eingeprägt und umfassen alles Zusammengesetzte.