Die Farbpalette der Sehnsucht - Louis Geras - E-Book

Die Farbpalette der Sehnsucht E-Book

Louis Geras

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Beschreibung

Als die Grafikerin Susan Berger, nachdem sie ihren Freund verlassen hat, spontan in den nächsten Zug nach Padua steigt, ahnt sie nicht, dass damit sich ihr Leben vollkommen verändern wird. Ein überraschendes Angebot des Kunstprofessors Venici und die grünen Augen von Pat Suttner versprechen ihr eine aufregende Zukunft, auf die sie sich nach kurzem Zögern einlässt….

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Louis Geras

Die Farbpalette der Sehnsucht

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Farbpalette der Sehnsucht

1.Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20.Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Epilog

Impressum neobooks

Die Farbpalette der Sehnsucht

Louis Geras

Die leichte Brise, die durch die weit geöffneten Fenster herein wehte, blähte die weißen hauchdünnen Vorhänge zu dicken Bäuchen auf. Sie milderte endlich die sommerliche Schwüle, die seit Tagen in der Stadt herrschte. Die ersten Wolken türmten sich bereits am Nachthimmel zu riesigen bedrohlichen Gebilden auf und mit großer Wahrscheinlichkeit würde ein heftiges Gewitter, irgendwann in dieser Nacht, die Hitze endgültig vertreiben.

Die alteingesessene Galerie, in der ich mich befand, lag mitten im alten Stadtzentrum, an einen der vielen wundervollen alten Plätze, die Salzburg in aller Welt so berühmt machten.

Selbst jetzt – Mitternacht war längst vorbei - hörte man immer noch reges Treiben auf dem Platz vor der Galerie. Das Klick-Klack der Stöckelschuhe der Damen, die am Arm ihres Begleiters dahinstelzten, das Klingeln von Fahrradglocken und hin und wieder den fröhlich grölenden Gesang der jungen Burschen und Mädchen, die den Heimweg nach einer durchzechten Nacht antraten, oder auch nur das Lokal wechselten.

Diese ständige Betriebsamkeit machte seit jeher den Reiz dieser Stadt aus. Sie war und ist voller Leben, ständig in Bewegung, voller pulsierender Betriebsamkeit und im ständigen Wandel.

Die letzten Besucher der Ausstellung standen in kleinen Gruppen plaudernd um die runden Stehtische, mit Gläsern, gefüllt mit Sekt und Orangensaft, in den Händen. Sie unterhielten sich über die ausgestellten Gemälde, über gemeinsame Bekannte und den allgemeinen Klatsch, den es in jeder Stadt seit jeher gibt.

Langsam schlenderte ich durch die weitläufigen Räume der Galerie. Immer wieder verweilte ich vor den mit weichem Licht bestrahlten Bildern, die ich in den letzten Jahren gemalt hatte. Kritisch betrachtete ich sie und so wie jedes Mal, wenn ich sie erneut sah, fand ich sie unvollkommen. Ich hätte jedes einzelne am liebsten neu gemalt, um nur wieder festzustellen, dass ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden war.

Schließlich trat ich an eines der geöffneten Fenster, schob den Vorhang etwas zu Seite und sah in die noch von Mond erhellte Nacht hinaus. Die düsteren Umrisse des Doms zeichneten sich gegen den Himmel ab. Die Schatten der nahenden Gewitterwolken und das silberne Mondlicht erzeugten eine geradezu gespenstische Kulisse, in der sich das nächtliche Leben abspielte.

‚Wie passend, das ‚der Tod‘ jeden Tag, während der Festspielzeit in Salzburg, von den Türmen des Doms schrie‘, dachte ich versonnen. Meine Fantasie zeichnete ein realistisches Bild vor meinen Augen, wie die verkleidete Gestalt des Todes am Turm stand und voller Inbrunst seinen schaurigen Jedermann-Ruf über den Platz schrie, so dass die Besucher das Grauen befiel und die Gänsehaut über ihren Rücken langsam in den Nacken kroch.

Ich schüttelte mich, um den Gedanken an den Tod, der mich so viele Monate in den vergangenen Jahren begleitet hatte, abzuschütteln. Zu gegenwärtig war die Erinnerung daran noch immer.

Die kühlende Brise, die von außen hereinwehte, strich mir liebevoll über die Wangen, so wie die zärtliche Hand eines Liebenden. Während ich am Glas, in dem sich noch ein Rest von Gin Tonic befand, nippte, fühlte ich, wie die Anspannung der letzten Tage und Wochen von mir abfiel. Die Vorbereitungen hatten uns viel Mühe und Kraft gekostet. Aber es hatte sich gelohnt. Jedenfalls die Vernissage - die Eröffnung der Ausstellung - war ein voller Erfolg gewesen. Die Gemälde hatten viele begeisterte Reaktionen ausgelöst. Das Interesse des Publikums an der Ausstellung hatte mich überrascht. Nicht nur schwärmerische Gratulationen hatte es gegeben, sondern einige der Bilder waren sogar bereits verkauft. Das war mehr, als ich erwartet hatte.

Sie - mein Förderer und inzwischen guter Freund Professore Venici, Signora Bedoni, die mir meine Familie in Padua ersetzte, und natürlich Pat, der die Ausstellung organisierte – hatten es mir immer wieder vorher gesagt. Trotzdem waren meine Zweifel geblieben.

Als Pat vor einem halben Jahr mit der Idee kam, hier eine Ausstellung zu machen, war ich wenig begeistert gewesen. Zu viele negative Erinnerungen waren mit dieser Stadt verbunden, in der ich so viele Jahre gelebt hatte. Und - war es nicht hinreichend bekannt, dass Künstler selten dort, wo sie auf die Welt gekommen waren, kaum Beachtung, geschweige denn Anklang fanden? Ich hatte Angst, enttäuscht zu werden. Bis zu Letzt hatte ich meine Bilder immer wieder kritisch beäugt. Ich hatte die ausgesuchten Exemplare immer wieder gewechselt, beziehungsweise überarbeitet, weil ich mit dem Ergebnis meiner Malerei nicht zufrieden war.

Pat ertrug meine Launen gelassen. Er kannte Künstler zur Genüge, hatte er doch in seinem Beruf ständig mit ihnen zu tun. Er lächelte über meine Ängste, wobei er stets betonte, dass jedes einzelne meiner Bilder perfekt wäre.

Nun aber, da die Nervosität abgeklungen war, war ich froh hier zu sein. In dieser vertrauten Umgebung, wo ich jede Gasse kannte, jeder Winkel mir vertraut war. Viele frühere Freunde und Bekannte wohnten hier und waren zur Ausstellungseröffnung gekommen.

Auch Lisa, meine beste Freundin, die ich regelmäßig in Salzburg besuchte, war gekommen. Sie hatte immer an mich geglaubt und ohne ihre Hilfe und geistigen Unterstützung hätte ich es nicht geschafft. Das wusste ich genau. Umso mehr freute ich mich über ihr erscheinen.

Professore Venici und Signora Bedoni waren schon gegen Mitternacht aufgebrochen, nachdem sie mir zum X-ten Mal gratuliert hatten. Signora Bedoni strahlte vor stolz. Während meines Studiums hatte sie sich um mich, wie eine Mutter gekümmert und wie selbstverständlich sich meiner Sorgen und Nöte angenommen.

Und Professore Venici, mein Mentor und Lehrer? Wäre er nicht gewesen, würde ich heute wahrscheinlich noch als unbedeutende Grafikerin arbeiten. Er hatte erkannt, welches Talent in mir schlummerte. Seiner Fürsprache auf der Universität und seiner strengen, kritischen Schulung verdankte ich meinen Erfolg. Selbst jetzt noch, nach dem Studium, fragte ich ihn immer wieder um seine Meinung, wenn ich ein neues Gemälde beendet hatte und seine Kritik war genauso ehrlich wie hart.

Sie alle gaben mir den Mut diesen Weg einzuschlagen.

Meine Augen wanderten zum Eingangsbereich, wo ich Pat vermutete. Er unterhielt sich angeregt mit einigen seiner Bekannten, die extra für diese Ausstellung nach Salzburg gekommen waren. Sie stammten aus London, USA und Japan. Sein Beruf brachte es mit sich, dass er viel in der Welt herumreiste. Oft sahen wir uns wochenlang nicht. Aber ich fühlte mich trotz der körperlichen Entfernung niemals allein.

Gerade lachte er über etwas, dass ein Galerist aus Manhattan (Seinen Namen hatte ich schon wieder vergessen - irgendetwas wie Billingham oder so ähnlich.) gesagt hatte. Seine Bekannten waren in erster Linie Galeristen, die ständig auf der Suche nach neuen Talenten waren. Pat wusste, dass man ohne ihr Interesse keinen bleibenden Erfolg in der Kunstszene hatte und er verstand es dieses Interesse in ihnen zu wecken. Er war überzeugt von meinem Können, wobei ich mich oft fragte, ob es nicht seine Liebe zu mir war, die ihn von meinen Bildern begeistert sein ließ.

Wie meistens in den letzten Jahren beobachtete ich ihn prüfend, ob es ihm auch gut ginge. Ein Verhaltensmuster, das man nicht so schnell wieder ablegt, wenn man in die Situation kommt, sich um den, den man liebt, stundenlang, nein wochenlang zu ängstigen. Die vielen Stunden, die ich an seinem Bett im Krankenhaus ausgeharrt hatte, mit der ständigen Angst nie mehr die Möglichkeit zu bekommen, ihn überhaupt richtig kennen zu lernen, hatten ihre Spuren in meiner Seele zurückgelassen. Dies alles war vor mehr als drei Jahren geschehen, aber die Angst um ihn war geblieben, auch wenn ich sie möglichst aus meinen Gedanken verdrängte.

In diesem Moment trafen seine Augen die Meinen und blitzten für einen Moment auf. Ohne sein Gespräch zu unterbrechen, lächelte er mich an. Genau dieses Lächeln und seine jungenhaften, grünen Augen hatten mich von Anfang an gefesselt. Ich lächelte zurück. Mit dem Gefühl geliebt zu werden, wandte ich mich wieder dem Fenster zu. Während ich in die Dunkelheit hinaus starrte, schweiften meine Gedanken in die Vergangenheit ab. Meine Erinnerungen führten mich fort von der Galerie und ihren Besucher und brachten mich in die Zeit vor über fünf Jahren zurück. Zu dem Tag, an dem ich mein Leben, mit einer Flucht aus dem frustrierenden Alltag, neu begann …

1.Kapitel

Als ich den Schlüssel im Schloss drehte und die Tür aufsprang, wusste ich bereits, was mich erwartete. Wie immer bückte ich mich im Vorraum und hob die mitten auf dem Weg liegenden Schuhe auf, um sie auf die Seite zu stellen. Die Bewegungen vollführte ich automatisch, denn sie wiederholten sich jeden Tag aufs Neue, wie in einem Film, der immer wieder und wieder von vorne abgespult wird. Ich ging durch den schmalen langen Vorraum, von dem die Türen in die einzelnen Räume abgingen und stellte müde die Taschen mit den mitgebrachten Einkäufen in die kleine Küche. Dann kehrte ich in das Wohnzimmer zurück, wo ich mich erschöpft auf das gemütliche, buntgemusterte Sofa sinken ließ.

Ich hatte es erst vor kurzen auf einem Flohmarkt erstanden und liebevoll mit neuem Stoff bezogen. Ich blickte mich um. Jedes Detail im Wohnzimmer nahm ich heute unnatürlich intensiv wahr. Es war nicht sehr groß, aber praktisch und liebevoll eingerichtet. Jedes Möbelstück hatte ich sorgsam ausgesucht und zum Teil selbst renoviert. So wie alle Räume in der kleinen Wohnung war auch dieser Raum hell und freundlich.

Als ich die Wohnung vor einigen Jahren das erste Mal betreten hatte, war es das vorherrschende Gefühl darin gewesen. Dies war der Hauptgrund gewesen, dass ich sie damals mit dem Geld, das ich von meinen frühverstorbenen Eltern geerbt hatte, kaufte. Obwohl sie ansonsten ziemlich heruntergekommen war, hatte ich mich in die helle Freundlichkeit ausstrahlende Wohnung sofort verliebt. Es kostete viel Zeit und Mühe sie in diesen Zustand, in dem sie sich jetzt befand, zu bringen. Aber die Mühe hatte sich gelohnt, denn nun war sie ein liebevoll restauriertes Schmuckstück, um das mich so mancher meiner Bekannten beneidete.

Die Wohnung bestand, außer dem Wohnzimmer noch aus einem Schlafzimmer, einem Vorraum, einer Küche und einem Bad.

Die Küche war groß genug um darin gemütlich zu zweit zu sitzen. Ein kleiner runder Tisch mit zwei Thonet-Stühlen stand in der Ecke und man sah von dort durch das Fenster hinunter in den kleinen Park, der direkt vor dem Haus lag. Am Morgen schien die Sonne bereits beim Frühstücken herein und im Sommer hörte man am Nachmittag das fröhliche Lachen der Kinder vom nahen Spielplatz herauf.

Ich liebte es in der Früh hier in aller Ruhe zu Frühstücken. Die heiße Tasse Kaffee mit beiden Händen haltend, hinauszublicken und die ersten warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht zu spüren, wie sanfte Hände, die einen über das Gesicht streichen mit zärtlicher Berührung. In solchen Momenten hing ich meinen Tagträumen nach und genoss es, mir meine Zukunft in den schönsten Farben auszumalen.

Als ich hier einzog, war ich so voller Energie und Lebensfreude. Das Abitur hatte ich mit Erfolg abgeschlossen und in meiner Fantasie träumte ich von einer steilen Kariere im Berufsleben. Nun arbeitete ich seit mehreren Jahren in einer großen Marketingfirma, machte Tag für Tag die gleichen, oft wie mir schien, sinnlosen Tätigkeiten und fühlte mich unzufrieden und lustlos. Ich wollte mehr leisten, meine Ideen verwirklichen, aber man gab mir keine Gelegenheit dazu. Mein direkter Vorgesetzter hörte sich meine Ideen und Vorschläge an, lehnte sie jedoch stets strikt ab, um kurz darauf sie, als seine großartigen Gedanken auszugeben. Am Anfang ärgerte ich mich und protestierte dagegen, aber schließlich resignierte ich. Inzwischen hasste ich meinen Job regelrecht, ging mit Widerwillen zur Arbeit und überlegte bereits seit geraumer Zeit, ob ich kündigen sollte. Dies war aber nicht so leicht, denn ich brauchte das Geld, das ich dort verdiente.

Bald nachdem ich einzog, lernte ich Peter Wieland kennen. Er war groß, sportlich und charmant und - wie ich inzwischen wusste - egoistisch und rücksichtslos.

Peter bezauberte mich anfangs durch seine kraftvolle, dynamische Art. Es schien, als würde er jede Schwierigkeit mit Leichtigkeit meistern und aus den Weg räumen. Ich dachte, mit ihm würde alles leichter werden.

Aber ich stellte bald fest, dass dies ein großer Irrtum war. Fünf Monate nach unserem Kennenlernen zog er bei mir ein und machte sich breit in meiner Wohnung und in meinem Leben. Sein Fernseher stand auf meinem Beistelltisch, auf dem ich bis zu diesem Tag meine Sammlung von Farben und Pinseln und anderen Malutensilien aufgestellt hatte und in der ganzen Wohnung lagen seine achtlos hingeworfenen Sportsachen. Die stinkenden Socken auf dem Boden, die verschwitzten Pullis auf den Sesseln und sein Feuerzeug und der Aschenbecher neben der Obstschüssel. Durch seine Unordnung lebte ich in einem ständigen Chaos und er erwartete, dass ich es ebenfalls mochte. Er bestimmte den Tagesablauf und da ich ihn liebte (zumindest dachte ich das zu diesem Zeitpunkt), nahm ich auf seine Wünsche Rücksicht.

Wenn er länger schlief, blieb ich auch liegen, um ihn nicht zu stören. Für mich war es oft eine Qual, da ich gerne morgens aufstand. Ich kochte seine Lieblingsspeisen, die in erster Linie aus Fleisch bestanden (obwohl ich lieber vegetarisch aß) und sah seine Filme, die entweder langweilig oder extrem brutal waren. Nur beim Rauchen gab ich nicht nach. Da ich nicht rauchte, verlangte ich, dass er auf den Balkon ging. Er tat es, aber er machte es immer theatralisch, als wäre es eine unerträgliche Zumutung von mir, von ihm das zu verlangen.

Er zog demonstrativ geräuschvoll die Vorhänge weit zurück, bevor er die Tür öffnete, nahm eine lächerlich dicke Jacke, auch wenn es nicht kalt war, und zog sie möglichst umständlich vor meinen Augen an. Dann ging er mit hochgezogenen Schultern hinaus auf den Balkon. Wie ein grausam Vertriebener!

Automatisch fing ich an seine Sachen aufzuräumen. Dabei überlegte ich, wieso ich mir all seine Launen und sein überhebliches Getue gefallen ließ. Solange er nur zu Besuch in meine Wohnung gekommen war, hatte er sich immer ordentlich gezeigt. Seine Schuhe standen an ihren Platz, seine Jacken waren aufgehängt und das Bad war sauber, wenn er es verließ. Wie Selbstverständlich hatte er bei der Hausarbeit mitgeholfen. Das Geschirr weggeräumt und, wenn er etwas verschüttet hatte, aufgewischt. Ich hatte, in meiner Naivität, meinen Freundinnen voller Begeisterung von seinen ‚Hausmannqualitäten‘ vorgeschwärmt. Doch sobald er eingezogen war, hörte er schlagartig auf damit, so als wäre er ein Anderer.

Wieder einmal überlegte ich mir, was ich falsch gemacht hatte. Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich hatte keinen Fehler gemacht. Ich hatte ihn immer wieder gebeten seine Sachen wegzuräumen und im Haushalt mitzuhelfen. Aber er sah mich jedes Mal nur erstaunt an, als würde ich etwas Unmögliches, Unverständliches von ihm verlangen. Es war für ihn selbstverständlich, dass das meine Arbeit war, oder anders ausgedrückt: die Sache der Frau.

Aber nicht nur, dass ich die Hausarbeit machte, sondern ich zahlte auch noch sämtliche Rechnungen für die Wohnung und die Einkäufe. Als ich ihn aufforderte, er möge seinen Teil dazu beitragen, erklärte er mir, dies ginge ihn nichts an, denn es sei doch meine Wohnung und somit meine Angelegenheit.

In letzter Zeit stellte ich mir nun immer öfter die Frage: „Was trägt Peter eigentlich zu unserem Zusammenleben bei?“ Je länger ich angestrengt darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass er nichts, rein gar nichts für unsere Beziehung tat.

Ich richtete mich auf und sah auf die Socken, die ich in der Hand hielt und plötzlich wurde mir schlagartig klar, dass ich mich schon seit einiger Zeit selbst belog. Ich hatte mir immer wieder eingeredet, dass Peter mein Traummann wäre, aber das stimmte nicht. Bevor ich Peter kennengelernt hatte, ging es mir in jeder Hinsicht besser. Ich war mein eigener Herr, konnte mir mehr leisten und brauchte keine Rücksicht auf einen launigen, selbstherrlichen Kerl nehmen, der seinerseits keinerlei Rücksicht auf mich nahm. Es wurde mir klar, dass meine Lustlosigkeit und mein Frust nicht nur mit meiner langweiligen, unbefriedigenden Arbeitsstelle zu tun hatte, sondern vor allem auch mit Peter.

Niedergeschlagen setzte ich mich auf das bunte Sofa, nahm einen der gelben Polster in den Arm. Fest hielt ich ihn umschlungen, als würde er mir Halt und Kraft gegeben und schmiegte bekümmert meine Wange daran. Den Tränen nahe, grübelte ich vor mich hin.

Wir hatten beide die nächsten Tage frei, aber die Vorstellung, ständig mit ihm beisammen zu sein, verursachte mir förmlich Bauchweh. Ich hatte ihm vorgeschlagen, dass wir gemeinsam eine Reise machen könnten. Ich wäre gerne in eine Stadt gefahren, um eine Besichtigungstour durch die Gassen und Museen zu machen. Er aber wollte lieber mit seinen Kumpeln Freddy und Bernhard in die Berge. Sein Vorschlag war, ich sollte gemeinsam mit ihm und seinen Freunden ins Gebirge. Sie würden ebenfalls ihre Freundinnen mitnehmen. Dort würden wir gemeinsam ein paar Nächte in einer gemütlichen, einsamen Hütte verbringen, auf offenem Feuer grillen und uns gemeinsam unter die Decke kuscheln.

Als er das erste Mal davon sprach, gefiel mir die Idee sogar sehr gut. Ich liebte die Ruhe der Berge, die urtümliche Kraft, die sie ausströmten. Früher war ich eine begeisterte Kletterin gewesen. Aber seit ich mit Peter beisammen war und er den Tagesablauf bestimmte, hatte ich keine Zeit mehr für dieses Hobby gefunden. Aber auch Wandern war O K. Ich würde meinen Zeichenblock mitnehmen und wenn ich keine Lust hatte zu wandern, konnte ich mich vor die Hütte setzen und zeichnen. Ich malte es mir in meiner Fantasie aus, wie herrlich es werden würde, bis ich richtiggehend begeistert war. Doch die Wirklichkeit holte mich sehr schnell brutal ein. Denn bald wurde mir klar, dass Peter nicht vorhatte mit mir zu wandern, sondern ich sollte mich mit den Freundinnen der Freunde beschäftigen.

Ich kannte die Beiden. - Britta eine etwas mollige Blondine mit rotem Schmollmund und ständig Kaugummi wiederkäuend und Elisa, eine fast magersüchtige, zickige Braunhaarige, deren einziges Gesprächsthema ihre vielfältigen Diäten war. Ich hatte nicht die geringste Lust die gehässigen Bemerkungen und ständigen Nörgeleien der Beiden zu ertragen, die sie unentwegt von sich gaben. Sie hatten an Allen etwas auszusetzen und kritisierten ständig jeden, der ihnen zu nahe kam. Ich stellte mir unter einen schönen, erholsamen und amüsanten Urlaub etwas anderes vor.

Als ich Peter darauf ansprach, dass ich doch mit ihm und seinen Freunden auf die Berge aufsteigen könntet, und wenn ich es nicht schaffte, einfach auf sie warten oder umkehren würde, war er nicht gerade begeistert davon. Ich konnte es ihm förmlich ansehen, dass er das nicht wollte. Im Grunde wollte er seine Gipfelsiege nur mit seinen Freunden feiern und das mit ausgiebig Alkohol. (Für diesen Zweck hatte er schon vor einer Woche zwei Kisten Bier besorgt. Alles andere durfte ich besorgen, beziehungsweise organisieren.) Für mich war in seinen Plänen genaugenommen kein Platz. Außerdem hatte er seinen Freunden bereits versprochen, dass ich die Rolle des fleißigen Hausmütterchens in der Hütte übernehmen würde, denn Britta und Elisa dachten nicht im Traum daran diese Rolle zu spielen. Er war nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass ich dies vielleicht nicht wollte, geschweige denn, dass er mich gefragt hätte. - Wie kam er nur dazu mich dafür vorzuschlagen? Als ich das vor wenigen Tagen zufällig beim Frühstücken erfuhr, blieb mir der Bissen, den ich gerade im Mund hatte, fast im Hals stecken. Ich war so wütend, das ich kein Wort herausbrachte. Der Appetit aber war mir restlos vergangen.

Ich starrte ihn eine Weile sprachlos an. Aber er tat, als merke er es nicht. – Wahrscheinlich war es auch so. - Vor Zorn brachte ich kein Wort heraus. So stand ich langsam auf und machte mich fertig, um zur Arbeit zu gehen. Ich nahm mir vor am Abend mit ihm noch einmal darüber zu reden, aber wie immer wenn es ein Problem gab, (oder genau genommen, wenn ich ein Problem hatte,) kam er erst spät nachts nach Hause, so dass er sicher sein konnte, dass ich schon lange schlief. Er machte es sich leicht. Für ihn war die Sache damit erledigt. Er dachte wohl, ich würde so, wie in letzter Zeit immer, klein beigeben und es einfach akzeptieren. - Kannte er mich denn so wenig, oder war es ihm einfach egal, was ich dachte und fühlte?

Wenn ich heute daran zurück denke, glaube ich das Zweitere.

2. Kapitel

Ich hatte es endgültig satt. Und jetzt wusste ich auch, dass ich nicht länger meine Gefühle ignorieren konnte, sonst würde ich mein restliches Leben von Peter ausgenützt und tyrannisiert werden.

Erst vor Kurzen hatte er sich darüber beschwert, dass ich ihn in seiner Freiheit zu sehr einschränken würde. Und das nur, weil er, bevor er seine Freunde in der Kneipe traf, sein Auto vom Service holen sollte.

Normalerweise ließ er mich nicht mit seinem Auto fahren, nur wenn es darum ging es zum Service oder zur Reparatur zu bringen, änderte er schlagartig seine Meinung. Dann hieß es plötzlich ‚Frauen wären Gleichberechtigt und hätten auch technisches Verständnis, anstatt den üblichen Sprüchen wie ‚Frauen hintern Steuer, Ungeheuer! ‘ und dergleichen Abgedroschenes. Er war es gewöhnt, dass ich solche lästige Dinge erledigte. Doch an diesem Tag musste ich länger arbeiten und hatte keine Zeit dafür. Daher wagte ich es, ihn darum zu bitten. Er regte sich maßlos darüber auf und beschuldigte mich, ich würde es mit Absicht tun, nur um ihm das Leben schwer zu machen. Er drohte mir sich seine Freiheit zurückzunehmen. Sollte er sie sich doch nehmen. In Zukunft würde ich ihn nicht mehr einengen und seine Freiheit würde ich ihm nachschmeißen, beschloss ich. Und zwar sofort, damit ich nicht wieder schwach würde.

Ich stand auf und holte ein Blatt Papier aus der Schublade des Kastens, setzte mich an den kleinen runden Tisch in der Ecke des Wohnzimmers und fing an zu schreiben:

‚Lieber Peter…‘

Ich hielt inne und betrachtete diese zwei Wörter, die mir, wie mir schien, höhnisch entgegen lachten.

WAS FÜR EINE LÜGE!

Er war schon lange nicht mehr mein „Lieber Peter“. Ich nahm das Blatt und zerriss es zornig in lauter kleine Stücke und warf diese in den Papierkorb unter dem Tisch, den ich mit meinem Fuß heranzog. Dem zweiten und dritten Blatt erging es nicht besser. Ich hatte nicht geahnt, dass es so schwer sein würde ihm einen Abschiedsbrief zu schreiben. Schließlich hielt ich inne und starrte einige Zeit lang nachdenklich aus dem Fenster.

Draußen war es trist und grau. Seit Tagen regnete es in Strömen und die düsteren Wolken am Himmel ließen keine Besserung des Wetters erwarten. Immer wieder prasselten plötzliche Regengüsse auf die Fensterscheibe. Dann sah man, wie die Tropfen am Glas hinunterliefen und sich auf der Fensterbank sammelten und dort kleine Pfützen bildeten. So saß ich da und beobachtete die Regentropfen. Die Zeit verstrich, ohne dass ich eine passende Formulierung fand. Endlich sammelte ich meine Gedanken wieder und konzentrierte mich auf das, was ich schreiben wollte. Ich setzte neuerlich zum Schreiben an und verzichtete auf die Anrede. Stattdessen schrieb ich auf den letzten Bogen Papier, der vor mir auf dem Tisch lag:

‚Ich fahre weg!

Nimm dir deine Freiheit, deinen Fernseher und deine Sachen und zieh aus!

PS.: Und vergiss deinen Aschenbecher und die Bierkisten nicht!

Den Schlüssel wirf in den Postschlitz!

Erleichtert legte ich meinen Schreiber neben das Blatt und stand auf. Es hatte keinen Sinn es nochmals zu lesen, denn es würde nichts mehr ändern.

In der Ecke stand mein bereits für die Bergtour gepackter Rucksack. Ich hob ihn hoch, drehte ihn um und entleerte ihn auf das Sofa. Schließlich türmte sich die ganze Ausrüstung, die für die Wanderungen vorbereitet war, darauf.

Ich hatte immer davon geträumt einmal, einfach aufs gerade Wohl, in den nächsten Bus oder Zug zu steigen und loszufahren, ohne vorher etwas zu planen.

Nun würde ich es tun.

Den Rucksack in der Hand ging ich zum Kleiderschrank und statt der Wanderausrüstung legte ich drei T- Shirts, zwei Jeans und Wäsche hinein. Ich wollte nur das nötigste Mitnehmen, damit ich nicht zu viel Gepäck mit mir herumschleppen musste, das mich behindert hätte. Zwei Pullis vervollständigten meine Ausrüstung. Zahnbürste, Bürste und Handtuch und meinen Bikini stopfte ich in eine Seitentasche. Schließlich wusste ich nicht wo ich landen würde. Dann schnappte ich meinen griffbereiten Pass und das Kuvert mit Geld, welches ich gestern für den Urlaub im Gebirge von meiner Bank abgehoben hatte und gab sie in meine braune Umhängetasche. Ich sah mich nochmals um, ob ich etwas vergessen hatte. Dann atmete ich tief durch.

Kurz überlegte ich noch, ob ich mich duschen und umziehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch und griff stattdessen nach meinen Sachen und ging in den Vorraum, wo ich meine bequemen Turnschuhe anzog und meine Jacke vom Haken nahm.

Es war besser gleich loszufahren. Ich wollte vermeiden Peter noch einmal zu begegnen. Er hätte vielleicht versucht mich zum Bleiben zu überreden. Und ich kannte mich gut genug um zu wissen, dass ich schwach geworden wäre.

Ich öffnete die Tür, um hinaus in den Gang zu treten, dabei fiel mein Blick auf den Koffer mit Farben und Papier, der zwischen Peters Sportsachen hervor blitzte. Er stand seit geraumer Zeit achtlos und ungenutzt in der Ecke gestanden, da Peter keinerlei Verständnis für meine Malerei hatte. In seinen Augen war es nur Gekritzel oder Kleckserei, wobei er nicht zögerte seine Meinung lautstark heraus zu posaunen. (Am liebsten in Gegenwart seiner Freunde).

In den nächsten Tagen würde ich eine Menge Zeit mit mir alleine verbringen und so würde ich genug Muse fürs Malen haben. Also hängte ich auch noch den Riemen meines hölzernen Malkoffers über die Schultern, trat nun endgültig hinaus auf den Gang und schloss mit einem halb erleichterten halb ängstlichen Gefühl die Tür sorgfältig hinter mir ab.

3. Kapitel

Das Einschnappen des Schlosses und das Zusperren mit dem Schlüssel hallten überlaut durch den langen stillen Gang. Langsam ging ich, den mit grünen Teppichen ausgelegten Flur entlang, die Stiege hinunter zur Haustür. Vorbei an den einzelnen Wohnungstüren, deren Bewohner ich meistens nur flüchtig kannte, da sie häufig wechselten. Hier herrschte Anonymität. Bestenfalls grüßte man sich mit einem kurzen Nicken. Aber oft wandten die anderen Bewohner nur den Blick zur Seite und gingen stumm vorbei, als fürchteten sie belästigt zu werden. Normalerweise störte mich das nicht, aber in diesem Moment wünschte ich mir jemanden, der mich vermissen würde.

Als die Haustür hinter mir ins Schloss fiel, zuckte ich zusammen. Dieses Geräusch hatte etwas Endgültiges an sich. Für einen Moment schloss ich meine Augen und stand still und bewegungslos vor der Eingangstür.

Zum Glück fand ich keine Zeit mehr, über das was ich tat, lange nachzudenken.- Wer weiß, womöglich hätte ich kehrt gemacht.- Doch als ich die Augen öffnete, sah ich bereits auf der belebten Straße den näherkommenden Bus, der in Richtung Bahnhof fuhrt.

So packte ich meine Sachen fester und rannte eiligst zur nahen Haltestelle. In letzter Sekunde sprang ich, durch den sich bereits schließende Eingang des abfahrbereiten Busses. Unmittelbar hinter mir schloss sich die Tür und der Bus setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.

Im überfüllten Bus drängte ich mich zum Fenster und lehnte mich an die Seitenwand. Die feuchten Jacken und Mäntel der Passagiere strömten einen intensiven Geruch aus und machten das Atmen mühselig. Ich drehte mich zur Scheibe, lehnte meine Stirn an das kalte, feuchte Glas und starrte hinaus. Ich hoffte keinen Bekannten zu treffen, denn ich wollte mit niemanden reden.

Draußen prasselte wieder der Regen herunter, so dass die schweren Tropfen von der Straße abprallten und nach oben spritzten. Das Wasser bildete kleine Flüsse, die eilig zu den Kanaldeckeln flossen, wo sie leise gurgelnd verschwanden.

Das hektische Treiben des frühen Abends auf der Straße lenkte mich ab. Ich wollte nicht nachdenken. Ich hatte Angst, dass ich wieder zur „Vernunft“ kommen würde und dann vielleicht zur Wohnung zurückkehrte, um mich wieder in Peters Abhängigkeit zu begeben. “Bloß nicht nachdenken, bloß nicht nachdenken.“, dröhnte es in meinem Kopf.

Endlich erreichte ich, den im alten Kaiserstil erbauten Bahnhof und drängte mich durch die Menschenmenge an der Haltestelle, um in die Bahnhofshalle zu gelangen.

Hektisch eilten die Menschen an mir vor vorbei, wobei sie mich mit ihren Schulten und Taschen immer wieder achtlos anrempelten. In diesem Wirrwarr lief scheinbar jeder ziellos in eine andere Richtung. Jeder hatte es eilig. Jeder wollte seinen Zug erreichen. Nur ich stand in der Halle einfach nur da. Ein Hindernis für jeden. Unschlüssig wohin ich mich wenden sollte, blickte ich mich um.

Schließlich sah ich den Ticketschalter. Das freitägliche Gedränge in der Halle machte es mir schwer mir den Weg zum Schalter zu erkämpfen. Immer wieder stieß ich mit meinem Malkoffer und den Rucksack an andere Reisende, denen ich nicht schnell genug ausweichen konnte.

Endlich erreichte ich die lange Menschenschlange, die ungeduldig mit den Füßen scharrend, wartend vor dem Ticketschalter stand. Nur langsam rückte sie Schritt für Schritt vorwärts.

Um mir die Zeit zu vertreiben, blickte ich mich um. Auf einer großen elektronischen Tafel standen die Namen der ankommenden und abfahrenden Züge, wo sie hielten und wie lange sie Aufenthalt hatten. An erster Stelle stand ausgerechnet: Paris, die Stadt der Liebe. Wie passend!’, dachte ich ironisch. Nein, dorthin wollte ich jetzt sicher nicht. Ich hatte genug von der Liebe, von Männern und Beziehungen. In nächster Zeit würde ich sie meiden. Als nächstes folgte Warschau. Die Wettervorschau für den Norden war in den nächsten Tagen schlecht. Zumindest wurde das im Radio, der den ganzen Tag in der Firma lief, gesagt. Die Vorstellung durch kalte nasse schmutzige Straßen zu laufen, war nicht angenehm. Also kam Warschau auch nicht in Frage, egal wie sehr mich die Stadt als solches auch interessierte. Darauf folgte Venedig! Die romantische Lagunenstadt mit seinen Gondeln und den vielen Kanälen war verlockend. Doch um diese Jahreszeit würde ich sie mit tausenden anderen Touristen teilen. Außerdem war es die einzige Stadt, die ich gemeinsam mit Peter besucht hatte. Wobei die Erinnerung unangenehm war, denn Peter hatte aus lauter Geiz ein wirklich schäbiges Hotel gebucht. Noch heute schüttelte ich mich vor Ekel beim bloßen Gedanken daran. Nicht nur der Putz bröckelte überall ab, sondern auch die Toilette funktionierte nicht richtig. Das Frühstück war wirklich schauderbar gewesen, ganz abgesehen von dem Getier, welches sich eilig aus dem Staub machte, wenn man das Licht abends einschaltete. Neben Venedig stand noch ein Vermerk: “mit Anschluss nach Padua“.

‚Padua!’, hallte es in meinem Kopf. Vor meinem geistigen Auge entstand ein Bild, das ich vor kurzen gesehen hatte. Erst vor ein paar Tagen hatte ich in einem Magazin von dieser alten Universitätsstadt gelesen. Ich dachte an die Beschreibungen der engen Gassen und den grobgepflasterten Plätzen, wie sie in dem Magazin beschrieben wurden. Ich liebte diese südländische Atmosphäre. Die alten Universitätsstädte, die scheinbar die Jahrhunderte überdauerten, ohne an Reiz und Flair zu verlieren, hatten stets Begeisterung bei mir ausgelöst. Immer schon faszinierten mich historische Stätten und wann immer es möglich war, las ich darüber. Gerade im Frühsommer waren diese oberitalienischen Städte besonders reizvoll, da sie schon herrlich Warm waren, aber noch nicht so heiß, das jede Bewegung zur Qual wurde. Außerdem blühte alles. Der herrliche Duft der abertausenden Blüten würde in der Luft liegen und einen einhüllen, wie in einer wohlduftenden Parfumwolke. Die Vorstellung von den vielen Motiven, die ich hier in Ruhe malen konnte, war ebenso verlockend, wie das in der Sonne sitzen mit einem Espresso oder einem Café Latte vor mir auf dem Tisch. Ich konnte den Duft des Kaffes regelrecht riechen. Italien war schon immer für mich das Land der Kunst und Kultur. Wie viele berühmte Künstler, Maler und Bildhauer, stammten von dort. Ich wollte auf ihren Spuren wandern – wie geschwollen das Klang – aber es war genau das, wonach ich mich sehnte. Alte Museen und neue Galerien besuchen und Gemälde und Plastiken betrachten. Das war das Größte für mich! Sie regelrecht zu studieren und die Ästhetik, die sie ausstrahlen, in mir aufzunehmen, war alles was ich wollte. Was gab es Schöneres?

In Padua gab es davon sicher genug, da es auf der Universität auch ein Kunststudium gab. Früher träumte ich davon Kunst, beziehungsweise Kunstgeschichte, und Malerei zu studieren. Aber jeder, dem ich davon erzählte, riet mir davon ab, da man als Künstler sowieso keinen Arbeitsplatz bekam. Also lernte ich Grafikerin, das wenigstens ein wenig mit künstlerischer Tätigkeit zu tun hat. Doch das Interesse an wirklicher Malerei war geblieben.

In diesem Moment wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen. Eine genervte Stimme stellte die ungeduldige Frage: „Wohin, bitte?“ Unbemerkt war ich bis zum Schalter vorgerutscht und der Ticketverkäufer wartete gestresst auf meinen Auftrag. Die plötzliche Frage des Bahnbediensteten schreckte mich aus meinen Gedanken auf. Völlig verwirrt starrte ich ihn einige Sekunden lang an. “Padua!“, stieß ich dann hervor. Es war das erst Beste, das mir in den Sinn kam. Kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, tippe er bereits hektisch auf seiner Tastatur. Dann nannte er den Preis. Ich schob das Geld unter der Trennscheibe durch und nahm das Ticket, das er mir mit nun freundlicherem Gesicht zuschob. „Beeilen sie sich!“, sagte er, während er mir das Wechselgeld zuschob, „Der Zug fährt in Fünf Minuten vom Bahnsteig 3a ab.“

Den Ausgang zu Bahnsteig 3a suchend, rannte ich mit dem Ticket in der Hand durch die große Halle, vorbei an den wartenden oder auch eilenden Zugreisenden. Ich schlängelte mich, wie bei einem Slalom, durch die Menschenansammlungen, die breite Stiege hinauf zu den Bahnsteigen und erreichte nach kurzen Suchen endlich den Bahnsteig. Dort wartete der abfahrbereiten Zug. Menschen drängten hinein. Quälten sich mit ihrem Gebäck durch den schmalen Gang auf der Suche nach einem Sitzplatz. Vor den geöffneten Fenstern standen Freunde, Verwandte und Zurückbleibende und bemühten sich ihre Gefühle zu kontrollieren. In diesem Moment ertönte bereits der letzte Aufruf der Sprecherin aus den Lautsprechern „Letzter Aufruf! Zug nach Venedig mit Anschluss nach Padua, Verona und Rom fährt von Gleis 3a ab.- Bitte einsteigen! - Türen schließen! - Zurücktreten!“, schallte es laut über den Bahnsteig.

In letzter Sekunde erreichte ich die Tür, die mir der Schaffner, der mich herbei hetzen sah, aufhielt. Keuchend sprang ich hinein. Hinter mir schloss er geräuschvoll die Tür. Nun gab es kein Zurück mehr.

4. Kapitel

Langsam setzte sich der Zug knirschend in Bewegung. Die Fenster des Bahnhofs glitten außen vorbei. Einige Leute am Bahnsteig winkten, andere holten ihre Taschentücher aus den Jackentaschen und wischten sich über die Augen. Ratternd ließ der Zug den Bahnhof hinter sich, wurde schneller und schneller. Die grellen Lichter des Bahnhofgeländes verschwanden und die Düsternis des gewitterwolkenverhangenen Abendhimmels hüllte den Zug ein.

Vom schnellen Laufen noch immer außer Atem, öffnete ich die nächste Schiebetüre und ging, nach einem Platz ausschauhaltend, den Gang entlang. Da viele Reisende noch auf dem Gang standen, gestaltete sich dies sehr mühsam. Nur langsam kam ich voran. Doch wie sich herausstellte, standen die Leute mit gutem Grund am Gang. Alle Plätze waren belegt. Der Zug war hoffnungslos überfüllt. Schließlich hörte ich mit meiner Platzsuche auf, stellte meinen Rucksack und meinen kleinen Koffer im Gang vor den abgeschlossenen Abteilen ab. Ich blickte durch das Zugfenster hinaus.

Inzwischen war es endgültig dunkel geworden, so dass man nur noch die Lichter der hellerleuchteten Fenster in den Häusern entlang der Zugstrecke und die Lichter der Straßenlaternen vorbeihuschen sah. Die Umrisse der Häuser und Bäume waren nur noch schemenhaft auszumachen. Immer noch regnete es sintflutartig, als wolle es nie mehr aufhören.

Das Gemurmel der anderen Reisenden und das gleichmäßige Rattern der Räder waren die einzigen Geräusche, die mich umgaben. Sie hatten etwas Beruhigendes an sich, so dass die Anspannung der letzten Stunden von mir abfiel. Gleichzeitig setzte die körperliche und seelische Erschöpfung ein, wie es bei extremer sportlicher Leistung auch passierte. Das Einzige nach dem ich mich nun noch sehnte, war Ruhe. Doch daran war nicht zu denken, denn immer wieder drängten Reisende mit ihrem Gepäck an mir vorbei, in der Hoffnung doch noch einen Sitzplatz zu erbeuten.

Da ich ohnedies nicht schlafen konnte, fing ich an über meine „Flucht“ – anders konnte ich es nicht nennen - nachzugrübeln. Unsicher überlegte ich, ob ich nicht voreilig gehandelt hatte. Ob es vielleicht besser gewesen wäre, mit Peter zu reden, anstatt Hals über Kopf meinen Rucksack zu packen und davonzulaufen. Aber wie ich auch die Sache drehte und wendete, die Tatsache, dass ich Peter nicht mehr liebte und ich es beenden musste, bevor ich daran zugrunde ging, konnte ich nicht schönreden. Es war besser jetzt zu gehen, als es auf die lange Bank zu schieben. Ich wusste, je länger ich wartete, umso schwerer würde es mir fallen mich aus seiner Umklammerung zu lösen. Dies war mir nur allzu bewusst.

Gleichzeitig dachte ich, ich wäre ein Feigling. Was ja auch in gewisser Weise stimmte, denn ich hatte nicht den Mut Peter persönlich gegenüber zu treten und ihn vor die Tür zu setzen. Auch einer Diskussion mit ihm wich ich bewusst aus. Ich kannte mich. Wahrscheinlich würde ich seinen leeren Versprechungen glauben und sein Dackelblick würde meinen letzten Widerstand brechen. Aber genau das wollte ich nicht.