Die Frauen meines Lebens - Anne Ameri-Siemens - E-Book

Die Frauen meines Lebens E-Book

Anne Ameri-Siemens

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Beschreibung

Hier sprechen Frauen über Frauen. Dieses Buch erzählt von den kleinen und großen, manchmal politisch und gesellschaftlich bemerkenswerten, immer aber bewegenden und prägenden Erfahrungen und Erlebnissen im Leben von zwanzig Frauen – indem diese wiederum von den wichtigen Frauen in ihrem Leben erzählen. Das können Mütter sein, Freundinnen, Konkurrentinnen. Diejenigen, die hier porträtiert werden und von den «Frauen ihres Lebens» sprechen, stehen mitten im Leben, als Politikerinnen, Sportlerinnen, Schauspielerinnen oder auch Schriftstellerinnen: darunter Senta Berger, Luisa Neubauer und Maryam Zaree, Anna Maria Mühe, Sawsan Chebli und Jutta Allmendinger. Sie alle eint, dass sie erfolgreich ihren Weg gegangen sind, wichtige gesellschaftliche Impulse geben – und deshalb auch selbst Vorbild sein können für Frauen, die ihren Weg suchen. Denn nicht allen war Erfolg vorgezeichnet, nicht alle haben ihn gesucht – und auch darum geht es in diesem Buch: wie es zu entscheidenden Wendepunkten im Leben kam, was die großen Herausforderungen waren und nach wie vor sind. Nicht weniger aber geht es um Humor, um Inspiration und um Glück.

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Seitenzahl: 227

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Anne Ameri-Siemens

Die Frauen meines Lebens

Frauen erzählen von ihren Heldinnen, Vorbildern und Wegbegleiterinnen

 

 

 

Über dieses Buch

Hier sprechen Frauen über Frauen. Dieses Buch erzählt von den kleinen und großen, manchmal politisch und gesellschaftlich bemerkenswerten, immer aber bewegenden und prägenden Erfahrungen und Erlebnissen im Leben von achtzehn Frauen – indem diese wiederum von den wichtigen Frauen in ihrem Leben erzählen. Das können Mütter sein, Freundinnen, Konkurrentinnen. Diejenigen, die hier porträtiert werden und von den «Frauen ihres Lebens» sprechen, stehen mitten im Leben, darunter Senta Berger, Luisa Neubauer und Katharina Schulze, Minh-Khai Phan-Thi und Jutta Allmendinger. Sie alle eint, dass sie erfolgreich ihren Weg gegangen sind, wichtige gesellschaftliche Impulse geben – und deshalb auch selbst Vorbild sein können für Frauen, die ihren Weg suchen. Denn nicht allen war Erfolg vorgezeichnet, nicht alle haben ihn gesucht – und auch darum geht es in diesem Buch: wie es zu entscheidenden Wendepunkten im Leben kam, was die großen Herausforderungen waren und nach wie vor sind. Nicht weniger aber geht es um Humor, um Inspiration und um Glück.

Vita

Anne Ameri-Siemens, geboren 1974 in Frankfurt am Main, arbeitet als Journalistin für die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung», das «SZ-Magazin» und das Fernsehen. Für ihren «Spiegel»-Bestseller «Für die RAF war er das System, für mich der Vater» wurde sie 2007 u. a. mit dem Internationalen Buchpreis Corine ausgezeichnet. Mit der Verfilmung des Buchs, der Dokumentation «Wer gab euch das Recht zu morden?», war sie 2008 für den Grimme-Preis nominiert. Zuletzt erschien «Ein Tag im Herbst. Die RAF, der Staat und der Fall Schleyer» (2017).  

Inhaltsübersicht

VORWORT

MINH-KHAI PHAN-THI

Meine Mutter, Alice Schwarzer – und Söhne, die zu guten Männern werden

KATHARINA SCHULZE

Meine Theaterlehrerin – und warum Auftritte nicht immer laut sein müssen

ILDIKÓ VON KÜRTHY

Frauenfreundschaften – und warum man sich im Leben eigentlich nie zu früh freuen kann

LUISA NEUBAUER

Meine Großmutter – und die Fähigkeit, andere für unbequeme Wahrheiten zu begeistern

FRÄNZI KÜHNE

Die Musikerin ¥o-Landi Vi$$er – und warum es wichtig ist, anders zu sein

JUTTA ALLMENDINGER

Meine Freundin Shirley – und warum aus Zurückhaltung nichts Neues entstehen kann

VERENA PAUSDER

Meine Schwester Viktoria – und warum es wichtig ist, dass Mädchen selbst die Grenzen des Machbaren festlegen

DJAMILA BÖHM

Meine Mutter, Serena Williams – und warum es keine richtigen Mädchen gibt

ANIKA DECKER

Die Frauen meiner Familie, meine Freundinnen – und wie Humor Leben retten kann

JANINA KUGEL

Meine Freundinnen – und das Prinzip «If you can see her, you can be her»

JOY DENALANE

Meine Mutter – und wie wichtig es ist, die eigene Stimme zu nutzen

STEPHANIE CASPAR

Meine Kindheitsfreundin Claudia – und gesunder Ehrgeiz

CIANI-SOPHIA HOEDER

Meine Mutter, meine Freundin Nana – und warum der Versuch, sich anzupassen, verschwendete Zeit ist

CHRISTIANE NÜSSLEIN-VOLHARD

Meine Großmutter – und wie wichtig es ist, das eigene Talent ernst zu nehmen

CARLA REEMTSMA

Meine Cousine Luisa Neubauer, Vanessa Nakate, Mitzi Jonelle Tan, Jördis Thümmler – und der Mut, Verantwortung zu übernehmen

GISA PAULY

Meine Wegbegleiterinnen – und der Wille, das eigene Leben zu verändern

RIA SCHRÖDER

Meine Freundin Saskia – und wie man an Stärke gewinnt, wenn man auch mal Schwäche zeigt

SENTA BERGER

Meine Mutter – und Liebe, Zivilcourage, Bescheidenheit

NACHWORT

BILDNACHWEIS

VORWORT

Fünf Tage vor ihrer Amtseinführung als Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten fragte ein Journalist Kamala Harris, woran sie denken werde, wenn sie auf den Stufen des Kapitols ihren Schwur leiste.

«An meine Mutter, die mir vom Himmel zuschauen wird», antwortete sie.

Ein schöner Satz, voller Wärme. Aber er war auch nicht einfach nur schön. Er verstärkte, was Kamala Harris kurz zuvor bei einem Auftritt erzählt hatte. Ihre Mutter, sagte sie dort, habe ihr etwas Wichtiges mit auf den Weg gegeben: Sie werde vielleicht öfters im Leben die Erste sein, die etwas Bestimmtes tun könne – dann aber solle sie auf jeden Fall dafür sorgen, nie die Letzte zu sein.

Nun gehört es zum Narrativ vieler Politiker in hohen Ämtern, über ihre Eltern zu sprechen: Dankbarkeit auszudrücken, Persönliches zu erzählen und sich so nahbar zu machen. Aber bei Kamala Harris ging es um viel mehr: die Migrationsgeschichte ihrer Familie, die Chancen, die eine Gesellschaft bietet, und die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

Es war eindrucksvoll, wie die Sätze der US-Vizepräsidentin in die Welt hallten, wie die Erwähnung einer Frau, die für sie wichtig ist, eine solche Bedeutung bekam – und ganz grundsätzlich, dass eine Frau darüber sprach, wie sie von einer anderen geprägt wurde, und deren Botschaft mit der Welt teilte: Sorge dafür, dass die Tür, sobald du einen neuen Raum betreten hast, auch für andere offen bleibt. Dass andere Frauen Vertrauen in sich selbst haben und ihren Weg gehen können. Eine für alle.

Nach Kamala Harris’ Vereidigungsrede kam ich auf die Idee, ein Buch zu schreiben, in dem Frauen über Frauen sprechen. Es sollte davon erzählen, wie Frauen ihrer eigenen Stimme folgen und dabei von anderen Frauen begleitet werden.

Im Mittelpunkt sollte nicht stehen, was die Porträtierten erreicht haben, sondern wie sie ihr Leben gestalten. Denn mitten im Leben stehen alle diese Frauen: als Politikerinnen, Sportlerinnen, Musikerinnen, Aktivistinnen, Unternehmerinnen, Schauspielerinnen oder auch Schriftstellerinnen. Jede Frau, mit der ich für das Buch gesprochen habe, nimmt uns mit in eine ganz eigene Welt.

Katharina Schulze, die zu den bekanntesten Politikerinnen der Grünen in Deutschland zählt, kehrt in der Erinnerung zurück in ihre Schulzeit und zu einer Lehrerin, die ihr vorlebte: Lass dich nicht bremsen, wenn du für etwas eintreten willst.

Die Schauspielerin Minh-Khai Phan-Thi erzählt von ihrer Mutter, einer energischen Fürsprecherin für Unabhängigkeit – und dafür, Mädchen und Frauen zu zeigen, dass sie ihre Chancen selbstbewusst nutzen müssen.

Die Schriftstellerin Ildikó von Kürthy spricht über die Bedeutung von Frauenfreundschaften, über Ehrlichkeit, gemeinsames Nachdenken und die Erfahrung, dass man sich im Leben eigentlich nie zu früh freuen kann.

Geschichten wie diese sind individuell und persönlich, aber auch Teil einer größeren gesellschaftlichen Erzählung, die Frauen bestärkt. Als Kamala Harris in einem Moment, in dem alle Welt zusah, von der Frau ihres Lebens erzählte, öffnete sie die Bühne ganz grundsätzlich für Frauen und würdigte gegenseitige Inspiration und Empowerment. Ihre Sätze sind auch ein Appell, es nicht als selbstverständlich anzusehen, dass der Prozess der Gleichberechtigung voranschreitet. Er muss vorangetrieben werden. Zum Beispiel, indem man über Vorbilder und Wegbegleiterinnen spricht, über die Freiheit, die Frauen haben sollten, wenn sie ihren Weg gehen.

Für das Buch interviewte ich auch die Unternehmerin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder, die das erste Online-Magazin für Schwarze Frauen in Deutschland gegründet hat. In dem Gespräch ging es unter anderem darum, dass Frauen, die etwas zum ersten Mal erreichen, oft viel Aufmerksamkeit bekommen. Die erste Frau als Bundeskanzlerin. Die erste Frau als Präsidentin der Europäischen Kommission. Die erste Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens. Die erste und /oder jüngste Aufsichtsrätin. Die erste Nobelpreisträgerin in Medizin. Die erste Schwarze als US-Vizepräsidentin – diese Liste ließe sich fortsetzen. Aber über den Weg, den Frauen gehen müssen, um dort anzukommen, und über die damit verbundenen Gefühle wird wenig reflektiert. Es fordert ungeheure Energie, die Einzige und /oder Erste zu sein.

Dass die Bezeichnung «Feminist/in» nicht nur auf Frauen beschränkt ist und wie man diese Haltung lebt, hat übrigens der kanadische Regierungschef Justin Trudeau gezeigt: Er rief Männer wie Frauen dazu auf, sich selbst so zu nennen.

Einer für alle. Auch das gehört dazu, wenn wir eine gerechtere Welt wollen.

MINH-KHAI PHAN-THI

MINH-KHAI PHAN-THI gehört zu Deutschlands bekanntesten Schauspielerinnen und Moderatorinnen. Sie wurde 1974 in Darmstadt geboren, zog im Alter von zehn Jahren mit den Eltern nach München. Mitsiebzehn arbeitete sie als Model, nach dem Abiturjobbte sie für Produktions- und Castingfirmen. Schließlich wurde sie für den Sender Kabel 1 als Moderatorin entdeckt. Damals war sie zwanzig Jahre alt.

Nach eineinhalb Jahren wechselte sie zum Musiksender VIVA, wo sie das Live-Format «Interaktiv», die Reisesendung «Manhattan World Tour» und ihre eigene Interviewsendung «Minh-Khai and Friends» mit Gästen wie Harald Schmidt und Alfred Biolek moderierte. Vier Jahre später beendete sie die Zusammenarbeit mit dem Sender, widmete sich fortan dem Schauspiel und übernahm neben Fernseh- und Kinofilmen Rollen in Krimireihen wie «Tatort», «Nachtschicht» und «Notruf Hafenkante».

Minh-Khai Phan-Thi ist Drehbuchautorin und Regisseurin des Dokumentarfilms «Mein Vietnam – Land und kein Krieg». Mit ihrer Herkunftsgeschichte setzte sie sich in dem Buch «Zu Hause sein – Mein Leben in Deutschland und Vietnam» auseinander, das 2007 erschien.

In ihrem Podcast «anderssein» führt Phan-Thi mit wechselnden Gästen Gespräche über Gesellschaft und Individualität.

Minh-Khai Phan-Thi lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Berlin. Sie schätzt die Stadt wegen ihrer Vielfalt und Kultur – und auch wegen des Sports: Phan-Thi ist Fan von Hertha BSC und den Basketballern von Alba Berlin. Sie ist seit 2013 Mitglied des Kuratoriums der Hertha-Stiftung.

Meine Mutter, Alice Schwarzer – und Söhne, die zu guten Männern werden

Von meinem Kinderzimmer aus konnte ich durch den Flur in unser Wohnzimmer sehen, wo meine Mutter abends oft noch am Schreibtisch saß. Wir lebten damals in Darmstadt, es war die Wohnung meiner Kindheit. Auch die erste meiner Eltern, seit sie 1969 aus Vietnam nach Deutschland gekommen waren, um hier zu studieren.

Dieser Blick zu meiner Mutter, wenn ich abends nicht einschlafen konnte, zeigt mir in der Erinnerung immer dasselbe Bild: Bücher und Papiere, ausgebreitet auf dem Tisch, ihr Kopf gebeugt über die Unterlagen, ein Stift in der Hand, der unablässig markiert. Sie studierte Chemie, mein Vater Papiertechnik.

Vor meiner Geburt gingen meine Eltern putzen und arbeiteten im Lager verschiedener Firmen, um neben dem Studium ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als ich zur Welt kam, gab meine Mutter ihre Nebenjobs auf und konzentrierte sich ganz auf mich und ihr Studium, um möglichst schnell fertig zu werden, während mein Vater noch etwas dazuverdiente, indem er Zeitungen austrug.

Meine Mutter war dreiundzwanzig Jahre alt, als sie mich bekam. In Vietnam ist das nicht jung, aber in dem Leben, das meine Mutter für sich geplant hatte, war es eine große Herausforderung: Kind, Universität, Prüfungen, die nicht aufgeschoben werden konnten – und eine andere Kultur, eine andere Sprache. Keine Großeltern in der Nähe, die sie hätten unterstützen können. Alle Verwandten lebten in Vietnam.

Trotzdem gelang es meinen Eltern, mir eine Kindheit zu geben, die in der Rückschau voller schöner Erinnerungen ist. Besonders hat sich mir eingeprägt, wie geräuschlos meine Mutter alles tat. Sie klagte nie darüber, müde zu sein, vom Lernen, vom Arbeiten, den kurzen Nächten, in denen sie oft nicht durchschlief wegen ihres kleinen Kindes, wegen mir. Ich idealisiere diese Zeit vielleicht, aber ich hatte nie das Gefühl, dass meine Mutter ihr Leben als anstrengend empfand. Sie war sehr zielstrebig, plante sehr genau. Ihr Studium schloss sie als eine der besten Absolvent*innen ab. Nach unserem Umzug von Darmstadt nach München begann sie, als Chemikerin zu arbeiten. Ich war damals zehn Jahre alt.

Oft nahm meine Mutter mich am Wochenende für ein paar Stunden mit ins Labor. Ich saß mit einem Malbuch auf dem Boden, gerne unter dem Schreibtisch. Der Geruch des Labors ist unvergesslich, nach Chemikalien. Auch die Haltung meiner Mutter: nur nichts auf morgen zu verschieben. Ich mochte es, bei ihr zu sein.

Ich fühlte mich nie vernachlässigt, aber es war doch anders, als ich es heute oft beobachte. Wenn ich an meine beiden Söhne denke, an Freunde, ganz grundsätzlich an Kinder in der Stadt – wir leben in Berlin –, habe ich den Eindruck, dass das Leben der Kinder doch sehr im Mittelpunkt des Elternalltags steht. Solange die Balance stimmt, warum nicht? In meiner Kindheit rahmte der Alltag meiner Eltern mein Leben ein.

Heute würde man vielleicht sagen: Ich lief mit. Ob es mir gut ging oder nicht, war sicher keine Nebensache. Aber meine Aktivitäten standen weniger im Mittelpunkt, als ich das heute bei manchen Kindern erlebe.

Ich sah meiner Mutter zu, wie sie lebte, was sie anpackte, was ihr wichtig war. Unbewusst übernahm ich sicher viel von ihr, vor allem ein Verständnis davon, was es bedeutet, Chancen zu haben: die Chance auf eine gute Ausbildung, auf Eigenständigkeit im Beruf und überhaupt darauf, den eigenen Weg selbst gestalten zu können.

Meine Mutter hatte den festen Vorsatz, Geld zu verdienen. Mein Vater war einverstanden, er wollte nicht, dass sie ihre Ziele zugunsten der Familie zurückstellt. Sie wollte nicht, dass nur er berufstätig ist und allein in der Pflicht, finanziell für die Familie zu sorgen. Ich kann nicht sagen, ob die beiden viel darüber diskutiert haben – oder ob sie sich einfach nur ähnlich waren in ihrer Haltung dem Leben gegenüber und in ihrer Lust darauf, sich eine Bildungs- und Lebenswelt zu erschließen. Jedenfalls unterstützten sie sich gegenseitig sehr, und beide kümmerten sich um mich. Was ich als Kind sah, waren sehr aktive Eltern, mit einer modernen Rollenverteilung und zugleich Wurzeln in der vietnamesischen Kultur, wenn es etwa um den hohen Stellenwert und Status von Familie ging.

Geheiratet hatten meine Eltern sehr jung. Eigentlich lernten sie sich erst in Deutschland wirklich kennen, und möglicherweise brachten die Studentenbewegung, die Ende der sechziger Jahre in vollem Gange war, oder auch die Frauenbewegung für sie wichtige Impulse. Vor kurzem habe ich durch Zufall eine Werbung aus den fünfziger Jahren gesehen, da hieß es: «Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Was soll ich kochen?» Meine Mutter vermittelte mir etwas ganz anderes: «Überleg dir genau, was du willst. Erkenne deine Chancen.» Und auch wenn sie selbst früh geheiratet hatte, sagte sie zu mir: «Schau dir das Leben an, lass dir Zeit, bevor du dich bindest.»

Diese Offenheit entsprach ihrer eigenen Freiheit und natürlich auch ihrem Verhältnis zu meinem Vater. Hätte er auf einer traditionellen Rollenverteilung bestanden, wäre ihre Beziehung eine andere gewesen und ihr Rat an mich wohl zwischen die Fronten der Überzeugungen geraten. Die beiden hatten das Glück, zueinanderzufinden, obwohl sie sich vor der Heirat kaum kannten. Sie sind bis heute zusammen, und dazu gehört sicher auch, sich weiterzuentwickeln. Was ich besonders an ihnen schätze, ist ihre Begeisterungsfähigkeit und ihre Bereitschaft, neue Schritte zu wagen. Ich bin im Jahr 2000 nach Berlin gezogen. Sie gaben ihr Leben in München auf und zogen ebenfalls nach Berlin, um in meiner Nähe zu sein. Als ich 2015 an der Show «Let’s Dance» teilnahm, verpassten sie keine Folge der Sendung. Sie saßen immer im Publikum. Meine Mutter kochte für meinen Tanzpartner. Sie öffnet Menschen das Herz mit ihrer Herzlichkeit.

Meine Mutter wollte beruflich vielleicht sogar mehr als mein Vater. Ein vietnamesisches Restaurant, das war ihr lange gehegter Wunsch. Als ich vierzehn Jahre alt war, verwirklichte sie in München, nicht weit von der Theresienwiese entfernt, ihren Traum. Gut vorbereitet, mit der üblichen Gewissenhaftigkeit und Energie. Um Erfahrungen als Köchin zu sammeln, hatte sie etwa ein Jahr lang an den Wochenenden in einem Restaurant gearbeitet. Meine Kindheitserinnerungen sind unweigerlich auch mit Essen verbunden. Meiner Mutter war es wichtig, alle Bereiche zu beherrschen, um ihr eigenes Restaurant zu einem guten zu machen. Auf die Karte kamen die Rezepte ihrer Kindheit.

Ich sah ihren Enthusiasmus und ihr Glück, und ich freute mich für sie. Gleichzeitig hatte ich hundert andere Dinge im Kopf, die mich mehr interessierten – ich war Teenager: Die Aussicht, regelmäßig mithelfen zu müssen, versetzte mich nicht gerade in Begeisterung. Ich sagte ihr das auch, trotzdem ließ sie mich nicht aus der Pflicht. Letztlich verpasste ich keine Schicht. Irgendwie konnte ich wohl nicht anders, nachdem meine Eltern ja auch nie Pausen einlegten. Es schien für sie nie zu viel Arbeit, auch später nicht, als sie schon älter waren. Keiner von beiden beschwerte sich je über Stress und Anspannung.

Das Einzige, worüber sie sich beklagten, zumindest anfangs, war meine Idee, Moderatorin und Schauspielerin zu werden. Meine Mutter noch mehr als mein Vater. Als ich ihnen gegen Ende meiner Schulzeit davon erzählte, waren sie erst sehr überrascht, was dann umschlug in eine Mischung aus Sorge und Kritik. Beide wünschten sich, dass ich studiere. In der vietnamesischen Kultur haben akademische Lebensläufe meinem Empfinden nach einen noch höheren Stellenwert als hier. Wer studiert hat, der ist jemand. Natürlich wollten sie, dass ich jemand werde.

Dass ein Studium Chancen eröffnet, ist ja nicht zu bestreiten. Ich konnte sie also gut verstehen. Aber ich war überzeugt von meinem Vorhaben, und meine Mutter hatte mir vorgelebt, selbständig zu sein und dass Hartnäckigkeit zum Ziel führt. Also blieb ich hartnäckig. Und sie halb hartnäckig.

«In Ordnung. Schau, wie weit du in einem Jahr kommst», sagten meine Eltern schließlich. «Wenn du auf der Stelle trittst, dann überleg neu.»

Das sollte kein Druckmittel sein, und ich verstand es auch nicht so – für meine Mutter war immer klar, dass man sich einen Rahmen setzt und nicht einfach mal ein bisschen herumprobiert und schaut, wo einen das Leben so hinweht.

1994 machte ich Abitur. Ein halbes Jahr später moderierte ich bei dem Sender Kabel 1 die «Hugo Show» und kurz darauf beim Musiksender VIVA die Sendungen «Interaktiv», «Manhattan World Tour» und «Minh-Khai and Friends».

Das eigentlich Bestärkende war, dass meine Mutter, nachdem wir unseren Kompromiss gefunden hatten, nicht mit mir oder meinem Weg haderte. Sie unterstützte mich, sie begleitete mich – das Netz, das mich immer auffangen würde, gab es nach wie vor. Es ist bis heute da.

 

Es gibt auch andere Frauenbilder aus meiner Kindheit und Jugend, die mir unvergesslich sind. Wie das Leben von Frauen verlaufen kann, hat mich schon immer sehr beschäftigt.

Letzteres hat wohl auch damit zu tun, dass ich von zwei Kulturen geprägt wurde. Es gab sehr unterschiedliche Einflüsse, die von Beginn an da waren und die ich, bis ich älter wurde, als ganz selbstverständlich annahm. Dazu gehörten die Reisen nach Vietnam, zu meinen Großeltern, die immer wunderbar waren. Zwar schien mir der Flug nach Ho-Chi-Minh-Stadt als Kind endlos und die Fahrt über staubige Straßen mit tiefen Fahrrinnen bis zum Dorf meiner Großeltern wie eine Weltreise – aber dort angekommen, war kein Tag zu lang. Ich genoss die Freiheit des überschaubaren Dorflebens. Jeder kannte jeden. Ich war überall zu Hause, liebte die Geschichten, die mir erzählt wurden, und die Warmherzigkeit, die ich erlebte. Diese Reisen waren auch ein Nachhausekommen.

Zur Geschichte meiner Familie mütterlicherseits gehört, dass ich zwei Großmütter hatte. Die erste Frau meines Großvaters nannte ich «große Oma». Mein Großvater hatte sich von ihr getrennt, weil sie keine Kinder bekamen. Danach hatte sie für meinen Großvater eine neue Frau mit ausgesucht – meine «Oma». Beide liebte ich, und mit beiden verbrachte ich viel Zeit. Meine «große Oma» lebte nur ein paar Minuten vom Haus meines Großvaters und meiner «Oma» entfernt. Die beiden Frauen gingen herzlich und achtsam miteinander um – mir kam es als Kind nie fremd oder seltsam vor, dass mein Großvater ein zweites Mal geheiratet hatte und seine erste und seine zweite Frau sich nahestanden. Meine «große Oma» hatte nach der Trennung drei Waisenkinder adoptiert, die für mich wie Cousinen und Cousins waren.

Eine andere Sichtweise auf das Leben meiner «großen Oma» wuchs in mir erst später, als ich eine junge Frau und sie schon verstorben war. Ihre Geschichte war geprägt vom Patriarchat und von dem Zwang, Kinder zu bekommen. Mein Großvater hätte die Wahl gehabt, sich aus diesen Strukturen zu lösen – sie hatte sie nicht. Es liegt sicher an der Lebenshaltung meiner Mutter, dass sie und dann auch ich diese Lebensverläufe kritisch reflektierten. Aber wir sahen auch das Gute darin: wie zwei Frauen zueinanderstanden und sich wertschätzten – statt zu Rivalinnen zu werden. Das war ein starker Einfluss im Leben meiner Mutter und auch in meinem. Die Lehre für mich war, dass sich Frauen nie gegenseitig abwerten sollten.

Meine Mutter zum Beispiel ging ihren Weg, und ich hatte nie den Eindruck, sie befände sich mit anderen Frauen im Wettbewerb. Verbissen. Unter Druck. Die Dynamik, die sich aus Konkurrenzdenken ergibt, richtet sich ja nicht nur nach außen, sondern auch gegen einen selbst.

Ich trage die Bilder der beiden Großmütter in mir und lebe letztlich in dem starken Bewusstsein, mit anderen Frauen solidarisch zu sein. Ob im Privatleben oder als Schauspielerin am Set.

Wenn ich darüber nachdenke, welche Rollen für mich in den letzten Jahren wichtig waren, komme ich zuerst auf die der Kommissarin in der Krimireihe «Die Nachtschicht», die ich ab 2002 gespielt habe. Damals erhielt ich für die Rolle viel Aufmerksamkeit, weil zum ersten Mal eine Schauspielerin mit asiatischem Hintergrund als Kommissarin besetzt wurde. Für mich war es großartig, zum festen Ensemble von «Nachtschicht» zu gehören, und meine Kollegin Barbara Auer wurde zu einer Freundin und Mentorin. Wettbewerb gab es zwischen uns nicht. Durch diese Rolle eröffneten sich für mich neue Räume – und ganz grundsätzlich war meine Besetzung ein wichtiger Schritt hin zu mehr Diversität in deutschsprachigen Filmen und Fernsehformaten. Es wird dadurch auch ein neues Erzählen ermöglicht. Auf jeden Fall gibt es Bewegung in die richtige Richtung – auch wenn noch viele Schritte zu gehen sind, bis die Besetzung in Filmen und Serien wirklich widerspiegelt, wie wir heute in Deutschland leben.

Insbesondere in den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass es mir wichtig ist, über Diversität und eine offene Gesellschaft zu sprechen, aber auch über rassistische Erfahrungen – in meinem eigenen Leben, im Leben anderer. Es war keine leichte Entscheidung, doch nach vielen guten und erfolgreichen Jahren gab ich meine Rolle bei «Nachtschicht» auf, auch um mein eigenes Podcast-Format zu machen: «anderssein». Ich bin darin die Gastgeberin, führe Gespräche mit wechselnden Gästen – mir geht es darum zu thematisieren, dass jeder von uns anders ist im Sinne von Einzigartigkeit und Individualität. Dabei gibt es auch eine andere Seite des Andersseins, die mit Ausgrenzung und Abwertung zu tun hat. Ich gehe mit meinen Gästen der Frage nach: Wie stehen wir zu dem Begriff «Anderssein»? Wo fängt die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen an? Ich selbst sehe es als meine Verantwortung an zu zeigen, wie vielschichtig Lebensgeschichten sein können und wie wertvoll sie für unsere Gesellschaft sind.

Heute fließen all die Einflüsse aus der deutschen wie aus der vietnamesischen Kultur in meinem Leben sehr selbstverständlich zusammen. Ich habe meinen Weg gefunden. Als Jugendliche beschäftigte ich mich noch oft mit der Frage, wo ich mehr hingehöre. Mit Mitte zwanzig habe ich gelernt zu sagen, dass ich nicht zwischen, sondern mit den Kulturen lebe, dass es gar nicht darum geht, welcher Einfluss nun stärker ist. Im Jahr 2003 drehte ich den Dokumentarfilm «Mein Vietnam – Land und kein Krieg», um darin die beiden kulturellen Prägungen zu verarbeiten. Ein paar Jahre später schrieb ich ein Buch: «Zu Hause sein – Mein Leben in Deutschland und Vietnam».

Im Jahr 2008 engagierte sich Minh-Khai Phan Thi im Rahmen des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs als Botschafterin in Deutschland. Diese Aufgabe war Teil einer Kampagne der Europäischen Kommission, die den Austausch fördern und die Wertschätzung unterschiedlicher Kulturen stärken sollte. Zu Minh-Khai Phan-This sozialem Engagement gehört auch ihre Unterstützung der Organisation ONE, der Welthungerhilfe und der Kampagne «Stark im Beruf» des Bundesministeriums für Familie.

Ein Sprung zurück, noch einmal in die Zeit, als ich schon paar Jahre Moderatorin bei VIVA war.

Damals wurde noch eine andere Frau sehr prägend für mich: Alice Schwarzer. Ich fing an, mich intensiver mit ihrer Biographie zu beschäftigen, las ihre Artikel und Bücher. Rückblickend kann ich sagen: Zu verfolgen, wie Alice Schwarzer sich in die großen gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit einbrachte, hat meinen Blick geschärft. Ich stimme nicht immer mit den Schlüssen überein, zu denen sie kommt. Was ich aber ganz grundsätzlich als bestärkend empfinde, ist ihr Mut dagegenzuhalten. Tabus zu brechen. Ihr Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen 218 mitsamt der Aktion «Ich habe abgetrieben!» auf dem Titel des Magazins «Stern» hat mich als junge Frau dazu angeregt, über Frauen und das Recht am eigenen Körper nachzudenken. Ebenso hat Alice Schwarzers Kampf gegen Sexismus und für gleichberechtigte Arbeitsverhältnisse meine Sicht geprägt.

Sicher geht es vielen Frauen so, dass sie sich nach einigen Jahren Berufstätigkeit fragen: Wie läuft es eigentlich für mich? Habe ich meine Bestimmung gefunden? Wie werde ich von außen wahrgenommen? Bin ich zufrieden mit dem, was ich mache? So war es bei mir auch. Hinzu kam durch die Arbeit bei VIVA, dass ich in der Öffentlichkeit stand und auch da meinen Weg finden musste.

1999 entschied ich mich, als Moderatorin bei VIVA aufzuhören. Die vergangenen vier Jahre waren eine gute und wichtige Zeit gewesen. Manches passte aber nicht mehr, so wie das öffentliche Bild von mir: immer gut gelaunt und witzig. Damals war ich immer «Minh-Khai», als hätte ich keinen Nachnamen. Das ewige Mädchen. Ich wollte mehr Ernsthaftigkeit. Für mich. Auch in der Art, wie ich wahrgenommen werde.

Einige Erfahrungen als Schauspielerin hatte ich neben meiner Tätigkeit bei VIVA schon gesammelt, aber bekannt und erfolgreich war ich als Moderatorin. Mein damaliger Agent zog nicht mit, als ich mit ihm über meinen Entschluss sprach. «Wenn du jetzt aufhörst, kommst du nicht mehr auf die Beine», sagte er.

Da endete unsere Zusammenarbeit.

Ich konzentrierte mich fortan aufs Schauspiel. 2001 erhielt ich für meine Leistung in dem Kurzfilm «Schattenwelt» den Silver Scales Award als beste Darstellerin. Für meine Rolle in dem Fernsehfilm «Die Novizin» erhielt ich viel Lob. Ich stand fest auf meinen Beinen.

Ich zog damals viel Inspiration aus Alice Schwarzers Haltung, keine Angst vor Konfrontation zu haben. Mädchen und Frauen kann ich dazu nur ermutigen. Man darf sich keine Angst machen lassen, auch wenn man von einem bis dahin erfolgreichen Weg abweicht. Man kann nur selbst bestimmen, was für einen richtig ist. Auch meine Mutter bestärkte mich. Ich fand eine neue Agentin. Wir arbeiten noch immer zusammen. Sie ließ mir Zeit, als Schauspielerin einen Weg zu finden. Sie drängte nie, im Gegenteil: Sie berät mich bis heute mit viel Umsicht.

Gerade lese ich «Lebenswerk», den zweiten Teil von Alice Schwarzers Autobiographie. Ich habe sie als Gast in meinen Podcast eingeladen – ihren Mut, Impulse zu setzen, damit die Gesellschaft sich weiterentwickelt, finde ich nach wie vor beeindruckend. Über die Jahre ist sie für mich eine Begleiterin geworden, in meinen Gedanken und in meinem Bewusstsein dafür, welches Frauenbild ich transportieren möchte. Durch die Auseinandersetzung mit ihr habe ich zum Beispiel gelernt, selbst zu bestimmen, wann ich über mein Aussehen oder meine Herkunft spreche. Allein die Tatsache, in der Öffentlichkeit bekannt zu sein, bedeutet nicht, dass man jedem Rede und Antwort stehen muss.

Es gab einen Schlüsselmoment für mich, kurz nach der Geburt meines zweiten Sohnes. Bei einer Kinopremiere fragte mich ein Journalist nicht nach dem Film, nicht nach meiner Arbeit und auch nicht nach zukünftigen Projekten, sondern: wie ich es geschafft hätte, wenige Wochen nach der Geburt schon wieder dünn zu sein. Er schob nach: ob das vom Stillen komme. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich so nicht bewertet und befragt werden möchte. Aber seine Fragen überrumpelten mich in ihrer Direktheit, und ich antwortete: «Dass ich so schnell abgenommen habe, ist wohl Veranlagung. Ich stille gar nicht, das klappt bei mir auch gar nicht so gut und macht keine Freude.» Die Reaktionen, die ich in den nächsten Tagen auf meinen Social-Media-Accounts fand, verschlugen mir die Sprache: Beleidigungen, Beschimpfungen, hasserfüllte Fragen wie die, warum ich überhaupt Mutter sei, wenn ich mein Kind nicht mal stillen wolle.

Was ich seit dieser Erfahrung noch bewusster vertrete: Ich selbst entscheide als Frau, über welche Themen ich mich äußere. Ich selbst bestimme die Regeln für das öffentliche Gespräch. Dabei bin ich durchaus bereit, mich kritischen Fragen zu stellen. Aber doch lieber zu Themen, die bereichern. Zum Beispiel darüber, wie Mütter ihre Kinder begleiten – oder in meinem Fall: wie ich meine Söhne begleite.