Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Bitte, könntest du nicht einmal eine Ausnahme machen, Mutter?« fragte Raimund von Winterfeld und hielt den Telefonhörer fest umklammert. »Diese Reise nach Paris ist wirklich wichtig für uns. Es handelt sich nicht um irgendeine Modenschau. Es ist eine Fachmesse, und ich möchte, daß Barbara mitkommt. Sie hat einen guten Geschmack und kann mich ein bißchen beraten. Ich möchte einige neue Modelle in unser Programm aufnehmen. Es ist nowendig, daß wir unser Angebot stets erweitern. Das weißt du doch selbst.« »Das weiß ich sehr wohl«, erwiderte Juliane von Winterfeld kühl. »Ich kenne mich in diesem Geschäft aus. Nicht umsonst habe ich mit deinem Vater über zwanzig Jahre lang unsere Modehäuser geleitet. Aber euer Kind ist nicht mein Problem. Ich kann mich nicht um einen sechs Jahre alten Jungen kümmern. Barbara muß sehen, wo sie ihr Kind unterbringt.« »Es ist auch mein Kind«, versuchte Raimund es noch einmal. »Vergiß das bitte nicht. Außerdem ist es nur für fünf Tage, und Daniel ist ein lieber kleiner Bursche.«
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 152
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
»Bitte, könntest du nicht einmal eine Ausnahme machen, Mutter?« fragte Raimund von Winterfeld und hielt den Telefonhörer fest umklammert. »Diese Reise nach Paris ist wirklich wichtig für uns. Es handelt sich nicht um irgendeine Modenschau. Es ist eine Fachmesse, und ich möchte, daß Barbara mitkommt. Sie hat einen guten Geschmack und kann mich ein bißchen beraten. Ich möchte einige neue Modelle in unser Programm aufnehmen. Es ist nowendig, daß wir unser Angebot stets erweitern. Das weißt du doch selbst.«
»Das weiß ich sehr wohl«, erwiderte Juliane von Winterfeld kühl. »Ich kenne mich in diesem Geschäft aus. Nicht umsonst habe ich mit deinem Vater über zwanzig Jahre lang unsere Modehäuser geleitet. Aber euer Kind ist nicht mein Problem. Ich kann mich nicht um einen sechs Jahre alten Jungen kümmern. Barbara muß sehen, wo sie ihr Kind unterbringt.«
»Es ist auch mein Kind«, versuchte Raimund es noch einmal. »Vergiß das bitte nicht. Außerdem ist es nur für fünf Tage, und Daniel ist ein lieber kleiner Bursche.«
»Nein, Raimund, tut mir leid. Du hast diese Frau, die wahrhaftig nicht in unsere Kreise paßt, geheiratet. Ich war damit nie einverstanden.«
Gequält verdrehte der Mann die Augen. Was seine Mutter ihm jetzt erzählte, hatte er schon tausendmal gehört. Nach ihrer Meinung war es nicht standesgemäß, eine einfache Beamtentochter zu heiraten. Juliane von Winterfeld hatte für ihren Sohn damals schon eine passende Braut ausgesucht und war außer sich, als Raimund die Botschaftertochter abgelehnt und statt dessen die Tochter eines Buchprüfers zum Standesamt geführt hatte. Bei jeder Gelegenheit hetzte sie nun gegen Barbara.
»Schon gut, Mutter«, sagte Raimund. »Wir werden bestimmt eine Lösung finden.«
Barbara von Winterfeld hatte das Gespräch mit angehört. »Wir hätten deine Mutter nicht bitten sollen, Daniel für die fünf Tage aufzunehmen«, sagte sie. »Es war doch klar, daß sie es ablehnt. Sie haßt mich aus tiefster Seele, und Daniel ist eben ein Stück von mir.«
»Trotzdem ist der Junge ihr Engel«, meinte Raimund ärgerlich. »Ich verstehe Mutter nicht. Sie müßte sich doch längst damit abgefunden haben, daß du meine Frau geworden bist.«
»Damit wird sie sich nie abfinden«, widersprach Barbara. »Du bist ihr einziger Sohn. Sie hatte große Pläne mit dir. Die hast du durchkreuzt, als du ein armes Mädchen geheiratet hast. Das verzeiht sie dir niemals.«
»Vielleicht hast du recht. Aber was machen wir nun mit unserem Sprößling? Wir können ihn doch nicht mitnehmen. Er würde sich entsetzlich langweilen und womöglich lauter Unfug anstellen.«
Barbara war von Anfang an sicher gewesen, daß Juliane von Winterfeld die Bitte, den Jungen zu beaufsichtigen, abschlagen würde. Deshalb hatte sie sich bereits nach einer anderen Möglichkeit umgesehen. Eine Nachbarin hatte ihr von einem Kinderheim berichtet, das ganz in der Nähe, in dem kleinen Ort Wildmoos, lag. Dieses Heim hatte Barbara sich von außen angesehen und war begeistert gewesen. Jetzt erzählte sie ihrem Mann davon.
»Sophienlust heißt das Heim. Aber die Bezeichnung Kinderheim ist eigentlich nicht richtig. Es handelt sich um ein wunderschönes altes Herrenhaus, das mitten in einem Park liegt. Es wird von einer Frau von Schoenecker verwaltet. Soweit ich gehört habe, hat ihr Sohn Nick diesen herrlichen Besitz geerbt. Er ist aber noch nicht volljährig. Deshalb verwaltet seine Mutter Sophienlust für ihn. Nicks Vater ist gestorben, als der Junge noch nicht auf der Welt war. Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Vielleicht kann Daniel für die fünf Tage in Sophienlust bleiben.«
Raimund war von diesem Vorschlag wenig begeisert. Sein Sohn in einem Kinderheim? Das konnte er sich einfach nicht vorstellen. Schließlich war Daniel kein Waisenkind. Barbara spürte sein etwas ablehnendes Verhalten und versuchte, ihn für ihre Idee zu gewinnen.
»Sophienlust ist kein Kinderheim im üblichen Sinne. Es leben nur wenige Kinder dort. Eigentlich ist es eine große Familie. Ich habe gehört, daß es häufig vorkommt, daß Kinder ein paar Tage dort verbringen, wenn die Eltern aus irgendwelchen Gründen verhindert sind.«
»Ich bin nicht sicher, ob das die richtige Lösung ist«, meinte Raimund nachdenklich. »Aber wir haben wohl kaum eine andere Wahl. Vielleicht ist es sogar ganz gut für den Jungen, wenn er einmal für einige Zeit den ganzen Tag mit anderen Kindern zusammen ist.«
Damit war es beschlossene Sache, daß Daniel in Sophienlust untergebracht werden sollte.
Barbara telefonierte mit Denise von Schoenecker, die sofort bereit war, das Kind aufzunehmen. Für sie war es ein ganz alltäglicher Fall. Immer wieder kam es vor, daß Kinder kurzfristig nach Sophienlust kamen, weil die Eltern verreisen mußten, die Mütter im Krankenhaus lagen oder sich aus anderen Gründen nicht um ihre Kinder kümmern konnten.
Daniel selbst nahm es erstaunlich gelassen hin, als seine Eltern ihm erzählten, daß er für fünf Tage in Sophienlust wohnen sollte. Obwohl es die erste Trennung von seinen Eltern war, war er sofort einverstanden. Er hatte nämlich gehört, daß er eventuell bei seiner Großmutter bleiben sollte. Das wollte er aber nicht. Er hatte sie bisher nur dreimal gesehen, aber direkt gemerkt, daß diese Frau ihn nicht mochte. Dann wollte er schon lieber nach Sophienlust. Dort gab es wenigstens Kinder, mit denen er spielen und vielleicht sogar Streiche aushecken konnte.
Denise von Schoenecker hatte die Familie von Winterfeld freundlich empfangen, und die Heimleiterin, Frau Rennert, die von den Kindern Tante Ma genannt wurde, hatte Daniel das Zimmer gezeigt, in dem er schlafen sollte. Es war ein heller, gemütlich eingerichteter Raum, den Daniel mit einem elf Jahre alten Jungen namens Fabian teilte.
Fabian lebte als Dauerkind in Sophienlust. Er hatte seine Eltern bei einem Zugunglück verloren.
Raimund mußte zugeben, daß er sich völlig falsche Vorstellungen von diesem Kinderheim gemacht hatte. Es war tatsächlich ein herrliches Anwesen, auf dem jedes Kind einfach glücklich sein mußte. Es gab mehr als reichlich Platz zum Spielen und sogar Ponys, auf denen die Kinder reiten durften.
»Ihr Haus ist wirklich ein Musterbeispiel für ein ideales Kinderheim«, sagte Raimund zu Denise, als sie die notwendigen Formalitäten erledigten. »Aber ist das für eine Witwe nicht eine recht schwierige Aufgabe?«
Die schwarzhaarige, jugendlich wirkende Frau sah ihn erstaunt an. »Manchmal ist es nicht leicht. Aber es ist eine wundervolle Aufgabe. Allerdings bin ich keine Witwe.«
Raimund von Winterfeld murmelte eine Entschuldigung. »Ich habe gedacht, der Vater Ihres Sohnes Nick sei gestorben. Meine Frau hat mir das erzält. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Mißverständnis.«
»Nein, nein, das ist schon richtig«, erklärte Denise. »Nicks Vater ist schon lange tot. Ich habe wieder geheiratet. Mein Mann Alexander hat damals zwei Kinder mit in die Ehe gebracht. Er war ebenfalls verwitwet. Die beiden Kinder sind inzwischen erwachsen. Sascha studiert in Heidelberg, und Andrea ist mit dem Tierarzt Hans-Joachim von Lehn verheiratet. Sie ist heute selbst schon Mutter.«
»Ich muß Ihnen meine Bewunderung aussprechen«, sagte Barbara. »Dieses Heim zu führen, erfordert bestimmt viel Kraft. Dazu noch drei Kinder zu erziehen, das ist nicht einfach.«
»Vier«, erwiderte Denise lächelnd. »Es sind vier Kinder. Alexander und ich haben noch einen gemeinsamen Sohn, der jetzt neun Jahre alt ist. Henrik ist unser Nesthäkchen.«
»Wohnen Sie eigentlich alle gemeinsam hier in Sophienlust?« wollte Raimund wissen.
»Nein, wir wohnen auf Gut Schoeneich. Es liegt ganz in der Nähe und ist mit Sophienlust durch eine Privatstraße verbunden. Aber unsere beiden jüngsten Kinder sind fast täglich hier. Das ist viel interessanter. In Sophienlust ist immer etwas los. Nick nimmt seine Aufgabe als künftiger Besitzer des Kinderheims jetzt schon sehr ernst. Er ist zwar erst sechzehn Jahre alt, aber er ist mit dem Gedanken groß geworden, daß er eines Tages für Sophienlust verantwortlich sein wird. Er hat diesen Besitz von seiner Urgroßmutter geerbt, als er noch klein war. Nach ihrem Wunsch sollte das Haus in ein Heim für verlassene und in Not geratene Kinder umgewandelt werden. Diesen Wunsch haben wir gern erfüllt.«
Nachdem Barbara und Raimund von Winterfeld nun alles über das Kinderheim erfahren hatten, wollten sie mit Daniel einen Rundgang unternehmen. Aber damit mußten sie noch eine Weile warten.
Die Kinder waren inzwischen von der Schule zurückgekehrt, und auch das Nesthäkchen von Sophienlust, die fünfjährige Heidi, war mit der Kinderschwester Regine Nielsen von einem Spaziergang wieder eingetroffen.
Es dauerte nicht lange, bis die Kinder bemerkt hatten, daß ein neuer Junge angekommen war. Das bedeutete für sie immer wieder ein großes Ereignis. Daniel wurde nach seinem Namen gefragt, und wie lange er bleiben würde, wollten die Kinder auch wissen.
»Fünf Tage nur«, meinte Pünktchen, ein dreizehnjähriges Mädchen mit einer Vielzahl von Sommersprossen auf der Nase. Die hatten ihm auch den Spitznamen Pünktchen verliehen. Eigentlich hieß das Mädchen Angelina Dommin und lebte bereits seit vielen Jahren in Sophienlust. Die Eltern waren bei einem Zirkusbrand umgekommen.
»Schade, daß du nicht länger bleibst«, bedauerte Pünktchen. »Aber auch in fünf Tagen kann man eine Menge unternehmen. Langweilig wird es bestimmt nicht werden.«
»Gehst du schon in die Schule, Daniel?« fragte die kleine Heidi erwartungsvoll.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Ich bin ja gerade erst sechs Jahre alt geworden. Nächstes Jahr komme ich in die Schule.«
»Das ist fein!« rief Heidi und klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Dann können wir zusammen spielen, wenn die Großen in der Schule sind. Allein ist es nämlich manchmal wirklich ein bißchen langweilig. Soll ich dir Schneeweißchen und Rosenrot zeigen? Du darfst sie auch streicheln.«
»Schneeweißchen und Rosenrot? Wer ist denn das?« fragte Daniel zurück.
»Das sind meine Häschen. Sie sind ganz lieb und beißen nicht«, gab Heidi Auskunft.
Daniel liebte Tiere, besonders wenn sie klein und anschmiegsam waren. Er warf seinen Eltern einen fragenden Blick zu. Barbara und Raimund hielten den Augenblick für günstig, um sich von ihrem Sohn zu verabschieden. In der Erwartung, mit den Tieren spielen zu können, würde ihm der Abschied nicht so schwer werden.
»Geh nur mit zu den Häschen«, sagte Barbara und gab Daniel einen Kuß auf die Stirn. »Ich glaube, du wirst viel Spaß mit den Kindern haben. In fünf Tagen sind wir wieder hier und holen dich ab. Dann kannst du uns erzählen, was du alles erlebt hast.«
Die fünf Tage vergingen für Daniel wie im Flug. Er war glücklich, den ganzen Tag unter anderen Kindern zu sein. Zwar ging er sonst auch in einen Kindergarten, aber nur am Vormittag.
Hier verbrachte er die Vormittage mit Heidi, die er sehr gut leiden konnte. Nachmittags fanden dann mit allen Kindern gemeinsame Unternehmungen statt.
Leider schlug am vierten Tag das Wetter um. Der gestern noch so sonnige Herbsthimmel hatte sich mit dicken Wolken bezogen, aus denen es unaufhörlich regnete.
Die Kinder hatten sich in den Bastelraum zurückgezogen und beschäftigten sich dort.
Die zwölfjährige Angelika Langenbach bedruckte ein T-Shirt mit lustigen bunten Mustern. Ihre zehnjährige Schwester Vicky half ihr dabei.
Nick und Pünktchen arbeiteten an einem Vogelhaus, das sie im Winter im Park aufstellen wollten. Pünktchen war immer glücklich, wenn sie mit Nick zusammen etwas unternehmen durfte. Sie schwärmte für den Jungen und wollte ihn später einmal heiraten. Obwohl sie wegen dieser Schwärmerei von den anderen Kindern manchmal geneckt wurde, hatte niemand ernsthafte Zweifel daran, daß ihr Traum eines Tages in Erfüllung gehen würde.
Fabian und Henrik, der jüngste Sproß der Familie von Schoenecker, hatten eine Kunstglasscheibe vor sich liegen, die sich mit Glasmalfarbe in einen schillernden Fensterschmuck verwandelten.
Heidi und Daniel saßen vor großen weißen Papierbögen und malten.
»Was malst du denn da?« fragte Daniel. »Das sieht ja aus wie lauter Regentropfen.«
»Es sind auch welche«, sagte das Mädchen seufzend. »Ich male das schlechte Wetter mit den dicken Wolken und den Regen. Aber oben drüber male ich die Sonne. Tante Isi hat gesagt, daß über den Wolken immer die Sonne scheint, auch wenn wir hier unten gaz furchtbares Wetter haben. Aber was malst du überhaupt?« Heidi warf einen Blick auf Daniels Blatt. »Das ist ja Sophienlust!« rief sie. »Ui, kannst du aber gut malen.«
Derselben Meinung war auch Carola Rennert, die wenige Augenblicke später zur Tür hereinkam.
Die junge Frau war früher selbst ein Schützling von Sophienlust gewesen. In völlig verstörtem Zustand war sie hier angekommen. Aber schon bald war sie regelrecht aufgeblüht. Alle hatten ihr damals viel Verständnis für ihre Liebe zur Malerei entgegengebracht und diese Neigung gefördert. So war aus Carola schließlich eine Kunstmalerin geworden.
Später hatte sie den Sohn der Heimleiterin, Frau Rennert, geheiratet und lebte nun mit ihm und ihren Zwillingen in einem Anbau von Sophienlust.
Die Kinder, die sich inzwischen alle neugierig Daniels Gemälde angeschaut hatten, machten Carola sofort darauf aufmerksam und wollten ihr Urteil hören.
»Hast du das ganz alleine und ohne Hilfe gemalt?« fragte die junge Frau. »Oder hast du wenigstens von einem Bild abgemalt?«
»Nein, ich brauche dazu kein Bild«, antwortete der Junge. »Ich weiß doch auswendig, wie das Haus aussieht.«
Carola war sichtlich beeindruckt. Dieses Kind hatte wirklich Talent. Zwar handelte es sich um eine typische Kinderzeichnung, aber jede Einzelheit der Fassade war darin festgehalten. Sogar die Ansätze für perspektivisches Zeichnen waren deutlich erkennbar.
»Ich finde dein Bild ganz großartig«, gab Carola offen zu. »Du malst wohl sehr gern, nicht wahr?«
»Ja, das macht mir Spaß«, meinte Daniel. »Zu Hause male ich sehr oft. Manche Bilder, die besonders schön geworden sind, darf ich dann in meinem Zimmer an die Wand hängen. Mami hat auch schon gesagt, daß ich gut malen kann. Aber ihr gefallen alle meine Bilder, auch die, die nicht gut geworden sind.«
»Dieses Bild ist dir jedenfalls ausgezeichnet gelungen«, lobte Carola den Jungen. »Weißt du, ich male auch für mein Leben gern. Schon als Kind hat mir das Freude gemacht.«
»Zeigst du mir deine Bilder einmal?« fragte Daniel. »Wenn du schon so lange malst, mußt du doch eine ganze Menge davo haben.«
»Die meisten habe ich nicht mehr«, antwortete Carola. »Viele Bilder verkaufe ich. Aber ein paar sind noch da. Im Moment arbeite ich an dem Bild einer alten Wassermühle. Als wir letztes Jahr in Urlaub waren, habe ich sie fotographiert. Jetzt male ich sie von dem Foto ab. Wenn du Lust hast, dann komm herüber zu uns. Wir schauen uns die Bilder einmal an. Vielleicht können wir auch zusammen etwas malen.«
Das ließ Daniel sich nicht zweimal sagen. Sofort stand er auf und ging mit Carola in den Anbau.
Natürlich sprach sich Daniels künstlerisches Talent augenblicklich überall in Sophienlust herum. Auch Denise von Schoenecker erfuhr die Neuigkeit umgehend. Vicky hatte ihr erzhählt, daß Carola Rennert Daniel mitgenommen hätte, um ihm ihre Bilde zu zeigen und auch mit ihm zu malen.
Unwillkürlich mußte Denise an die Zeit denken, in der Carola als verlassenes und verschüchtertes Kind nach Sophienlust gekommen war. Vorher war die Kleine in einem anderen Heim gewesen. Dort hatte niemand Verständnis für ihre Liebe zur Malerei gehabt. Das Malen war ihr sogar verboten worden.
In Sophienlust hatte Carola sich frei entfalten dürfen und Zeichenunterricht bei Wolfgang Rennert, dem Sohn der Heimleiterin, erhalten. Schon sehr früh hatte sie für diesen Mann zu schwärmen begonnen und ihn schließlich auch geheiratet.
Glücklich fiel Daniel seinen Eltern in die Arme, als sie von der Reise zurückgekehrt waren.
Es gefiel ihm in Sophienlust, und er hatte die Zeit hier genossen. Aber es war doch die erste Trennung von seinen Eltern gewesen. Deshalb freute er sich, daß sie jetzt wieder da waren.
Aufgeregt erzählte er von allen Erlebnissen der vergangenen Tage. Auch, daß Carola mit ihm zusammen drei hübsche Bilder gemalt hatte, vergaß er nicht zu erwähnen.
»Ihr Sohn ist wirklich ein Naturtalent«, meinte Denise lächelnd. »Seine zeichnerischen Fähigkeiten liegen weit über den Durchschnitt.«
»Tatsächlich?« fragte Barbara erstaunt. »Ich fand seine Bilder auch immer sehr nett. Aber das tut wohl jede Mutter. Ob Daniel besser malt als andere Kinder in seinem Alter, konnte ich nie beurteilen. Ich habe ja keine Vergleichsmöglichkeiten.«
»Das stimmt«, gab Denise zu. »Aber er ist tatsächlich sehr begabt. Sie werden das spätestens in einigen Jahren an seinen Zeugnisnoten im Zeichnen erkennen.«
»Sollten wir Daniel nicht eigentlich fördern, wenn er von Natur aus solch ein Talent mitbringt?« wollte Raimund wissen.
»Das sollten Sie tun. Allerdings mit Maß und Ziel«, erwiderte Denise. »Auf keinen Fall darf man ein Kind drängen und ihm übermäßige Leistungen abverlangen. Aber lassen Sie Ihren Sohn malen, wann immer er Lust dazu hat. Geben Sie ihm Anregungen und helfen Sie ihm. Dann wird er sich von allein entwickeln und den Spaß an der Sache behalten. Überfordern Sie ihn nur nicht. Das schadet mehr, als es nutzt.«
Barbara und Raimund waren stolz auf ihren Sohn und freuten sich darüber, daß das in ihm schlummernde Talent in Sophienlust entdeckt worden war. Sie nahmen sich vor, ihn zu fördern, ohne ein Wunderkind aus ihm machen zu wollen.
Denise lud die von Winterfelds ein, zum Mittagessen in Sophienlust zu bleiben. Das Paar nahm die Einladung gern an. Auf diese Weise hatte Daniel die Möglichkeit, sich von allen seinen Freunden zu verabschieden, die im Augenblick noch in der Schule waren.
Carola erschien auch am frühen Nachmittag, um dem Jungen auf Wiedersehen zu sagen.
»Wenn du Lust hast und deine Eltern es erlauben«, besuche uns doch hin und wieder«, meinte sie. »Vielleicht können wir dann zusammen malen.«
»Ja, und spielen können wir dann auch miteinander«, warf Heidi ein.
Fragend sah Daniel seine Eltern an. Er wäre gern ab und zu nach Sophienlust gekommen. Das gemeinsame Malen mit Carola machte ihm großen Spaß. Sie kannte so viele Tips und Tricks, von denen sie ihm schon ein paar verraten hatte.
»Das ist eine gute Idee«, sagte Raimund. »Mutti wird bestimmt gern manchmal mit dir herfahren. Es sind nicht einmal dreißig Kilometer.«
»Ja natürlich, das machen wir«, stimmte Barbara zu. »Das ist für uns beide eine schöne Abwechslung.«
Die Kinder winkten dem abfahrenden Wagen noch lange nach. Sie waren ein bißchen traurig, daß Daniel Sophienlust schon so rasch wieder verließ. Sie alle mochten den aufgeweckten und stets freundlichen kleinen Jungen gern.
Raimund und Barbara waren jetzt froh darüber, daß Juliane von Winterfeld es abgelehnt hatte, sich um Daniel zu kümmern. Selbst wenn sie dazu bereit gewesen wäre, hätte der Junge sich bei ihr mit Sicherheit nicht so wohl gefühlt, wie es in Sophienlust der Fall war. In diesem Kinderheim war er besser aufgehoben als an irgendeinem anderen Platz.
*
Eine Woche war Daniel nun wieder zu Hause. Immer wieder erzählte er von Sophienlust, und seine Eltern freuten sich, daß es ihm dort so gut gefallen hatte.